Wünsch dich ins Märchen-Wunderland

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Ein unglaublicher Wunsch

„Oh“, seufzte die kleine Meerjungfrau Amelia zum fünften Mal. Sie saß an ihrem Lieblingsplatz, also auf dem großen Stein, der immer aus dem Wasser hervorlugte. Er glänzte an der Oberfläche. Sie beobachtete das Meer bereits seit Stunden und war dabei ganz still. Was die kleine Meerjungfrau so sehr interessierte, flog am Himmel. Die Schmetterlinge faszinierten sie sehr.

„Ich würde so gerne eure Farben haben. Die sind ja wirklich fabelhaft! Außerdem würde ich gerne fliegen können“, sagte sie zu einem der bunten Schmetterlinge, der in ihrer Nähe flog. „Schwimmen ist so langweilig“, bemerkte Amelia. „Ich möchte ein Schmetterling sein.“ Und sie hoffte, dass ihr Wunsch in Erfüllung gehen würde.

Die bunten Schmetterlinge verstanden sie natürlich nicht. Die kleine Meerjungfrau Amelia, die eigentlich auch in wunderschönen Farben schimmerte, hüpfte von Stein ins Wasser. Sie schwamm geschickt auf den Meeresboden. Dort fand sie ein kleines Häuschen. Ja, das musste es sein. In diesem Häuschen wohnte die liebe Meerjungfrau, die über Zauberkräfte verfügte. Die kleine Meerjungfrau klopfte unsicher an der Holztür. Auch wenn das Häuschen im Wasser stand, war es überhaupt nicht nass.

„Wahrscheinlich wurde dieses Haus mit Zauberkräften gebaut“, dachte Amelia.

Kurz darauf öffnete sich die Tür ganz von allein. Die kleine Meerjungfrau schwamm in das gemütliche Zimmer hinein. Dort saß auf dem Sofa die liebe Meerjungfrau namens Luna. Sie war so in ihr Buch vertieft, dass sie die Besucherin überhaupt nicht bemerkte.

„Hallo“, sagte die Meerjungfrau Amelia leise.

„Oh, Entschuldigung, ich habe dich nicht kommen hören!“, erschreckte sich Luna und stand auf. Sie räumte das Buch ins Regal, während sie Amelia nach ihrem Wunsch fragte.

„Kannst du mich in einen bunten Schmetterling verwandeln?“

„Willst du das wirklich?“, fragte Luna nach.

„Ja“, antwortete Amelia sicher.

„Gut. Dann komm in der Nacht wieder her, wenn der Mond hell scheint. Dann kannst du ein Schmetterling werden“, sagte Luna.

Amelia schwamm nach Hause. Sie konnte es kaum erwarten. Als es endlich so weit war, verließ sie ihr Unterwasserschloss. Im Meer war es ganz still. Alle schliefen. Bis auf die liebe Luna und Amelia. Die Meerjungfrau Amelia schwamm zu ihrem Lieblingsplatz. Die liebe Meerjungfrau Luna wartete dort bereits auf sie. Amelia war ziemlich aufgeregt. Luna umhüllte Amelia mit einer bunten, glänzenden Magie und murmelte leise einen Zauberspruch vor sich hin:

Es ist jetzt Nacht

Die Sterne funkeln

Der Mond erwacht

In stiller Nacht.

Es leuchten hundert Sterne

Die sieht man schon aus der Ferne

Du sitzt noch da und kurz danach

Fliegst du hoch in die dunkle Nacht!

Amelia flog von dem Stein aus in die Luft. „Du bist ein Schmetterling geworden!“, freute sich Luna. „Der Zauber ist tatsächlich gelungen!“

Amelia war froh, im Himmel sein zu können. Endlich! Sie flog herum, musste unbedingt die Welt von oben sehen, die Vögel am Strand und auch die Blumen riechen zu können. Sie konnte mit den Delfinen, ihren Freunden, in die Luft springen.

Bald lernte sie neue Schmetterlingsfreunde kennen. Mit ihnen spielte sie oft in der Luft lustige Spiele. Die machten besonders viel Spaß. Nach vielen fantastischen Momenten dachte sie: „Oje. Zwar habe ich jetzt Schmetterlingsfreunde, aber ich habe keine Freundinnen bei den Meerjungfrauen mehr!“ Auf einmal wollte sie wieder eine Meerjungfrau sein.

Ihre Traurigkeit lockte am späten Abend Luna an. Sofort war sie bei ihr. Sie setzte sich auf den Stein und hörte zu. Der Schmetterling erklärte ihr, weshalb sie wieder eine Meerjungfrau sein wollte.

„Auch wenn die Farben eines Schmetterlings bunt sind“, sagte sie.

Luna verstand sie sofort. Sie machte den Zauber rückgängig.

Es ist jetzt Nacht

Die Sterne funkeln

Der Mond erwacht

In stiller Nacht.

Es leuchten hundert Sterne

Die sieht man schon aus der Ferne

Du fliegst noch kurz und gleich danach

Sitzt du auf Stein im Schatten der Nacht!

Sie war wieder eine Meerjungfrau! Ach, wie schön! Amelia wusste jetzt, dass das Leben unter der Oberfläche des Wassers und oben hoch im Himmel schön sein konnte. Man konnte beides genießen. Wichtig waren nur Freunde, die das Leben wertvoll und lustig machten. Sie seufzte glücklich: „Es ist so schön, eine Meerjungfrau zu sein!“

Julia Buczkowska, 10 Jahre.


*

Die kleine Meerjungfrau

Es war einmal eine kleine Meerjungfrau mit Namen Aquaria. Sie war grün wie eine gewöhnliche Alge und nur ein winziger Teil ihrer Flosse glänzte silberfarben. Die anderen hatten wunderschöne Flossen, die in allen Farben schillerten und schimmerten. Besonders bunt glitzerten die beiden Freundinnen Merle und Mena.

Auf dem Weg zur Schule begegnete Aquaria ihnen. Die eingebildeten Meerjungfrauen riefen ihr gehässig zu: „Da kommt ja die langweilige Silberflosse!“

Aber Aquaria achtete gar nicht auf sie und schwamm schnell weiter in das Klassenzimmer. Die Lehrerin Frau Fanta, ein oranger Fisch, sagte: „Na, dann fangen wir an mit Kunst! Heute sollt ihr ein buntes Korallenriff malen.“ Als die Lehrerin nicht hinschaute, gab Merle Aquaria einen Schubs und ihre Farben fielen mit einem lauten Knall zu Boden. Die Lehrerin rief: „Aquaria, pass doch besser auf!“

In der Pause riefen ihr Merle und Mena zu: „Silberflosse, Silberflosse!“ Als die Schule aus war, ging Aquaria traurig heim.

Am nächsten Tag hatte sie Geburtstag. Sie durfte ihn mit ihrer Freundin Lilli, einer kleinen Meerjungfrau, und ihrem besten Freund Toho, dem Delfin, feiern. Zusammen aßen sie im Restaurant. Es gab leckeren Algensalat und frische Meerlimo.

Toho schenkte ihr eine silberne Muschel, die er selbst vom Korallenriff geholt hatte, und Lilli überreichte ihr ein Delfin-Geschichtenbuch. Zum Nachtisch gab es Kuchen, der mit Algen und Perlen verziert war. Sie spielten noch Fangen und Verstecken, dann war der Geburtstag leider schon zu Ende und Lilli musste nach Hause. Auch Aquaria und Toho machten sich auf den Heimweg.

Merle und Mena wollten ihnen auflauern. Da fuhr plötzlich ein Motorboot über ihnen und hielt an. Ein großes Netz fiel über die beiden Meerjungfrauen und zog sie ans Boot. Dort wurde es befestigt. So sehr die beiden auch strampelten, sie konnten sich nicht allein befreien. Aquaria und Toho, die das Boot kommen gehört hatten, konnten sich gerade noch rechtzeitig hinter den Algen verstecken. Von dort beobachteten sie, wie die Freundinnen gefangen wurden.

Schnell schmiedeten sie einen Plan. Toho sollte die Menschen ablenken, während Aquaria mit ihrer neuen Muschel das Netz aufschneiden würde.

Toho stürzte an die Wasseroberfläche und vollführte einen Delfintanz, um die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zu lenken. In der Zwischenzeit schwamm Aquaria so schnell sie konnte zum Boot. Mit der Muschel, deren Kanten sehr scharf waren, schnitt sie das Netz so weit auf, dass Merle und Mena herausschlüpfen konnten.

Gemeinsam mit Toho schwammen sie nach Hause.

Am nächsten Tag erlebte Aquaria eine Überraschung. Früh am Morgen warteten Merle und Mena schon auf sie. Sie entschuldigten sich für ihr gemeines Verhalten, bedankten sich für die Rettung und schenkten Aquaria eine wunderschöne Kette, die sie nun immer trug.

Paula Gänzler, 7 Jahre, Deutschland, Gestratz/Brugg.

*

Ayana

„Ich möchte nicht, dass du dasselbe Schicksal erleidest wie deine Stiefschwester“, klagte die Großmutter, deren kahler Kopf nur noch die silberne Krone, aber nicht mehr ihr schneeweißes Haar zierte.

„Keine Sorge! Ich habe nicht das Verlangen, meine zierliche Schwanzflosse gegen Quadratlatschen in einer Laufmaschine einzutauschen“, lächelte Ayana. „Ich möchte aus unserem Versteck emportauchen, um Prinz Jeldrik zu sprechen, der Sooyoung ins Unglück stürzte.“

„Was willst du tun, wenn du ihn triffst? Rache nehmen?“, fragte die Königinmutter.

„Keine Ahnung!“, zuckte Ayana mit den Schultern. „Ich folge meinen Gefühlen.“

„Bleibe!“, bat die Greisin. „Ich habe meinen Sohn noch nie so glücklich gesehen wie in den letzten 18 Jahren, als er deine Mutter traf, sich verliebte, sie heiratete und du aus dem Schaum zu uns kamst.“

„Oma, nach unseren Gesetzen hätte ich schon vor drei Jahren zu der Welt der Menschen emportauchen dürfen! Länger kann und will ich nicht warten! Bitte gib mir deinen Segen!“, flehte Ayana.

„Du machst ja doch, was du willst! Ich nähe dir meine zwölf Austern auf deinen Schwanz. Sie zeigen deine adelige Abstammung. Setze deine goldene Krone auf! Wenn du nicht mehr weiterweißt, drehe sie nach links, dann nach rechts.“

„Danke!“, flüstere Ayana und küsste ihre faltige Wange.

Eilig schwebte sie vom königlichen Garten, der des Nachts im Dunkeln lag und nur durch den rosa Mond am Himmelszelt erhellt wurde, leicht wie eine Feder empor. Sie huschte an den Wächtern des Königreiches, den glubschäugigen Koloss-Kalmaren, deren Augen größer als Fußbälle waren, unbemerkt vorbei und schwirrte durch das dunkelblaue Wasser des Weltmeeres. Anglerfische beschützten die kleine Nixe, indem sie mit ihren blitzenden Taschenlampen den Weg durch die Peitschen der neunschwänzigen Katze, das Palmtang, beleuchteten. Durch das türkisfarben werdende Nass, in dem sich noch Ruderfußkrebse tummelten, die Ayana mit bläulich leuchtenden Sprechblasen begrüßten, glitt sie bis zu den hellblau schimmernden Wellen empor, in denen Clown-, Doktor- und Mandarinfische sowie Königsfeenbarsche ihren Hofstaat bildeten.

 

Kurz vor der Marmortreppe des Wasserschlosses, in dem Sooyoung mit Jeldrik kurze Zeit glücklich gewesen war, tauchte sie auf.

Auf der untersten Stufe saß ein junger Mann und starrte trübselig auf die Gischt. „Könnte ich doch die Unterwasserwelt erkunden!“, seufzte er.

„Komme mit mir!“, säuselte Ayana und umschlang seinen Leib. Ihre langen roten Haare, die ein Seestern schmückte, und der türkis schimmernde Schwanz gaben ihr das Aussehen einer Königslilie.

„Potzblitz!“, rief der Bursche erstaunt. „Eine rothaarige grünäugige Meereshexe!“

„Ich bin Prinzessin Ayana, jüngste Tochter des mächtigen Meereskönigs“, erwiderte Ayana beleidigt und wedelte mit ihrem Schwanz. „Bist du Prinz Jeldrik?“

„Prinz Jeldrik ist mein Vater. Ich heiße Alvar. Warum fragst du?“

„Dein Vater hat meine Schwester Sooyoung auf dem Gewissen! Statt sie, seine Lebensretterin, zu heiraten, wählte er eine andere Braut. Sooyoung wollte lieber zu Meeresschaum werden, statt ihn zu töten, um ihr Leben als Meerjungfrau wieder aufzunehmen. Die Töchter der Luft haben ihr Zuflucht gegeben“, klagte Ayana den Jüngling bitterböse an.

„Sie war eine Meerjungfrau? Mein Vater segelt schon jahrelang über die Weltmeere, um sie zu finden. Er glaubt, dass sie noch lebt. Meine Mutter ist bei meiner Geburt gestorben.“

„Ich bedauere dich.“

„Ich bin viel allein und mir ist langweilig.“

„Komme mit mir!“

„Ich möchte nicht auf dem Friedhof deines Vaters begraben sein.“

„Kannst du nicht schwimmen?“

Alvar schüttelte den Kopf. Ayana drehte ihre Krone nach links, dann nach rechts und pfiff, bis ein blau-weißer Delfin erschien, der sie freudig begrüßte.

„Halte dich an seiner Finne fest! So lernst du spielend schwimmen“, befahl Ayana.

Alvar zögerte, gab sich einen Ruck, stürzte sich in die Fluten und begann, langsam mit dem Delfin zu schwimmen. Bald konnte er sich mühelos über Wasser halten. Begeistert ergriff er die Flipper des freundlichen Tieres und tanzte Walzer. „Fantastisch!“, juchzte er. „Ich will noch mehr entdecken, will tauchen lernen.“

Ayana drehte ihre Krone nach links, dann nach rechts und schlug mit ihrem Schwanz drei Mal aufs Wasser, bis die Tentakel einer portugiesischen Galeere erschienen.

„Hilfe, eine Krake!“, schrie Alvar.

„Du brauchst keine Angst zu haben!“, beruhigte ihn Ayana. Sie flüsterte mit dem Meeresungeheuer, das so schnell, wie es aufgetaucht war, auch wieder versank. Es dauerte nicht lange, bis die Fangarme eine Maske, eine Brille, einen Atemregler, eine Bleiflasche und einen Meerjungfrauenschwanz freigaben.

„Dies sind Raritäten, die die Wassermüllabfuhr vom Meeresboden aufgesammelt hat“, erklärte Ayana. „Zieh dich um!“

Gesagt, getan.

Zunächst schnorchelten, dann tauchten sie. Immer tiefer sanken sie vorbei an antiken Tempelruinen, Schiffswracks, bunten Korallen, grünen Augentierchen, glitschigen Quallen und Röhrenwürmern, die mit ihren Federkronen als Insignien des Meereskönigs galten. Sie durchquerten zahlreiche Fischschwärme, denen Alvar zuwinkte gleichsam, als wollte er sie mit: „Hallo, liebe Fische!“, begrüßen. Als sie die schwarzen Raucher der Tiefseevulkane erreichten, signalisierte Alvar: „Ich bekomme kaum noch Luft. Mir ist so heiß. Ich mache mich auf den Heimweg. Auf Wiedersehen!“

Ayana schwamm eilig zu ihrer Großmutter, die bereits voller Sorge auf sie wartete. Sie erzählte ihr von ihrer ungewöhnlichen Begegnung mit Prinz Jeldriks Sohn.

„... und wie geht es nun weiter, Oma?“, fragte Ayana und drehte ihre Krone erst nach links, dann nach rechts. „Erlaubst du mir, so oft nach oben zu tauchen, wie ich will, um Alvar zu treffen?“

„Solange du nur einen Freund besuchst, bin ich einverstanden“, erklärte die Königinmutter. „Ziehe deinen schönsten Tankini an! Wir wollen deine Rückkehr mit einem Ball feiern.“

Im Schlossgarten eilten Oktopusse unentwegt hin und her, um den geladenen Gästen die köstlichsten Speisen zu servieren. Auf dem Muschelklavier sorgten Krebse für eine fröhliche Musik. Seepferdchen tanzten ein zauberhaftes Ballett. Schließlich lauschten ihr Vater, ihre Mutter, ihre Großmutter, ihre Stiefschwestern und die Meeresbewohner atemlos Ayanas Eindrücken über die Menschenwelt.

Plötzlich riefen die Koloss-Kalmare: „Feindlicher Fisch ist im Anmarsch!“

„Ist es ein Hai?“, rief der Meereskönig und ergriff seine Harpune. „Schnell, Kinder! Folgt eurer Großmutter, Stiefmutter und Mutter und bringt euch im Schloss in Sicherheit. Zu den Waffen!“

„Majestät, es sieht wie mein Auge aus!“, rief eine der Wachen.

Ayana weigerte sich, die Flucht zu ergreifen. Ungläubig starrte sie auf ein riesiges rundes gläsernes Fenster, aus dem Alvar ihr zuwinkte. Er hielt einen Zettel an die Glasscheibe, auf dem zu lesen war:

Hallo, Ayana! Ich habe mir das Tiefseeboot meines Vaters ausgeliehen. So kann ich dich so oft besuchen, wie ich will. Freust du dich?

Ayana nickte und klatsche vor Begeisterung in die Hände. „Vater, es ist Alvar!“

„Er soll unser Ehrengast sein“, entschied der Meereskönig. Der Unterwasserball wurde mit aller Pracht weitergefeiert.

Ich wünschte, du und ich wir wären dabei gewesen! Pass auf, wenn du das nächste Mal über den Ozean schipperst, ob du nicht auf den Wellen Alvars Tiefseeboot entdeckst, das von seiner Reise vom Meeresboden auftaucht! Vielleicht siehst du in den Wellen auch Ayanas Kopf und Schwanz, wie sie im Schmetterling-Stil ihrem Freund das Geleit gibt? Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.

Anja Apostel, geboren 1963, Minden, Dipl.-Volkswirtin, Magister Artium. Weitere Infos unter www.anjaapostelwixsite.com.

*

Nixi in Nöten

Es war einmal eine kleine Seejungfrau, die schwamm vergnügt hin und her. Plötzlich entdeckte sie an der Wasseroberfläche eine orangefarbene Mücke. Sie sah zwar echt aus, aber Nixi wusste, dass es keine Mücken in dieser Farbe gab.

„Warum denken die Menschen immer, sie könnten uns überlisten?“, fragte sie sich.

Trollo, der Unterwassergeist und Spielkamerad von Nixi, lugte hinter einer Koralle hervor. „Wollen wir spielen?“, fragte er und plusterte sich auf. „Wir könnten die falsche Mücke sorgfältig entfernen und eine alte Blechdose, die ich gerade am Seeboden gefunden habe, an den Haken hängen. Was denkst du, wie groß die Augen des Fischers werden, der die Angel mit der Plastikmücke ausgelegt hat?“

Nixi wedelte mit der Flosse. „Das ist kein Spiel! Das könnte gefährlich werden. Wir sollten Dentos, den Säbelzahnfisch, suchen. Er könnte die Angelschnur abschneiden, ehe einer unserer Forellenfreunde auf die Idee kommt, die Mücke fressen zu wollen“, schlug Nixi vor.

„Aber Dentos ist auf Reisen auf der Suche nach Dingen, die er zersägen kann!“, erklärte Trollo. „Ich wüsste nicht, wo ich ihn suchen sollte!“, fuhr er fort.

„Wir könnten Elvira, die Wald-Elfe, bitten, einen Erkundungsflug über den See zu machen. Vielleicht findet sie Dentos!“, schlug Nixi vor.

„Und wie finden wir Elvira?“

Nixi dachte nach. Plötzlich landete eine Libelle an der Wasseroberfläche, direkt über Nixis Nase. „Kannst du uns helfen? Wir brauchen Elvira, die Wald-Elfe, sie soll über den See fliegen und Dentos suchen!“ Die Libelle schwirrte dienstbeflissen ab.

Plötzlich entdeckte Trollo einen wunderschönen Saibling, der sich der falschen Mücke näherte. „Nicht, versuch ja nicht, die Mücke zu fressen, das bedeutet deinen sicheren Tod!“, schrie er aufgeregt.

Der stolze Saibling ließ sich nicht beirren und steuerte auf den vermeintlichen Köder.

„Halt, keinen Meter näher!“, rief nun auch Nixi und versuchte, den Saibling von seinem Vorhaben abzuhalten. „Willst du sterben?“, schimpfte sie und schwamm dem Saibling hinterher.

Zu spät hatte Nixi gesehen, dass die orangefarbene Mücke über ihr schwebte. Während der Saibling geschickt abdrehte, blieb Nixi mit der Flosse am Haken hängen, der unter der falschen Fliege hervorblitzte. „Hilfe, Hilfe!“, brüllte sie verzweifelt.

„Wenn doch Dentos hier wäre, dann gäbe es kein Problem! Anscheinend hat die Libelle Elvira noch nicht gefunden“, jammerte Trollo.

Nixi schwamm aufgeregt hin und her. Sie hatte eine Panikattacke. „Wenn ich an Land muss, dann ist das unbeschwerte Leben hier zu Ende. Ich müsste dem Menschen womöglich drei Wünsche erfüllen als Dank, dass er mich aus dem Wasser gefischt hat. Aber ich will doch gar nicht an Land und ich will ihm dafür auch nicht noch dankbar sein müssen!“, kreischte die kleine Seejungfrau.

Während sie hin und her zappelte, kam der dicke, alte Hecht Jona angeschwommen. „War da nicht eben ein junger Saibling? Könnt ihr mir sagen, in welche Richtung er geschwommen ist?“, gurgelte er mit sonorer Stimme.

„Ich glaub es nicht!“, schimpfte Trollo. „Siehst du nicht, dass Nixi ein Problem hat? Sie hängt an dem verflixten Angelhaken und kann sich nicht befreien. Wir bräuchten Dentos, aber der ist anscheinend unauffindbar! Kannst du uns nicht helfen?“

Jona schmollte. „Ja, schon, aber nur, wenn ihr mir verratet, wo der kleine Saibling sich gerade versteckt hat!“

Nixi spürte ein mächtiges Ziehen an ihrer Flosse. Der Fischer versuchte, die Angelschnur einzuholen.

Just in dem Augenblick kam Elvira, die Wald-Elfe angeflattert. „Ach, du liebe Zeit!“, rief sie entsetzt aus. „Wie kann ich helfen?“

Nixi hüpfte jammend hin und her.

„Wir brauchen Dentos, damit er die Schnur absäbelt kurz vor der falschen Fliege, sonst ist sie verloren!“, jammerte Trollo.

Elvira überlegte. „Hör mal, Jona, du bist doch sehr kräftig. Häng dich zu Nixi, damit sie nicht hochgezogen werden kann. Mit dir an der Angel hat der Fischer eine Weile zu tun und einstweilen suche ich weiter nach Dentos.“

Aber Dentos blieb unauffindbar. Der Hecht hatte die Angelschnur oberhalb der gefakten Mücke ins Maul genommen und ließ sich darauf schaukeln. Geschickt hielt er sich vom Angelhaken fern. Jetzt wurde der Druck auf Nixi etwas leichter. Sie atmete kurz auf, während sie nur wenige Zentimeter unter dem Wasser versuchte, das Gesicht des Anglers zu sehen. Es war eine alte Frau mit weißem Haar. Ihr Gesicht strahlte Verzweiflung aus. Vielleicht würde sie sie wieder zurückwerfen ins Wasser, wenn sie ihr ihre Wünsche erfüllt hatte.

Plötzlich ein Ruck und – schwupps – wurde Nixi an Land geschleudert. Was war geschehen? Jona hatte den kleinen Saibling entdeckt und das Maul geöffnet. Dadurch gab er die Schnur frei.

Trollo schrie vor Entsetzen auf. „Das ist jetzt gar nicht gut gelaufen!“, stotterte er. Jona jagte den Saibling und kümmerte sich nicht mehr darum, was er angerichtet hatte.

„Oh, du bist aber ein schönes Wesen!“, murmelte die Alte entzückt. „Eigentlich wollte ich einen Fisch fangen, keine Nixe. Was mache ich jetzt mit dir?“ Sie kratzte sich verlegen am Hinterkopf.

Nixi verdrehte die Augen und stotterte. „Du kannst mich zurück ins Wasser werfen, nachdem ich dir drei Wünsche erfüllt habe! Sprich also, was kann ich für dich tun?“

Die Alte seufzte tief und rieb sich die müden Augen. Sie wunderte sich zwar, dass eine Nixe zu ihr sprach, aber nachdem sie nur einen Wunsch hatte, äußerte sie diesen sogleich. „Ich wünsche mir, dass Georg, unser Sohn, wieder gesund wird. Mehr brauche ich nicht!“

Nixi blickte verwundert in das traurige Gesicht der alten Frau. „Oh, na ja, darauf bin ich eigentlich nicht vorbereitet. Die Menschen wollen alle immer viel Geld und Häuser und Autos.“

Mittlerweile war auch Trollo aus der Tiefe aufgetaucht und hatte kurz unter der Wasseroberfläche seinen Beobachtungsposten bezogen.

Elvira flatterte näher. „Keine Spur von Dentos!“, schimpfte sie.

 

„Kann ich einen Wunsch erfüllen, der nicht auf materieller Basis begründet ist?“, fragte Nixi ihre beiden Freunde.

„Hm, das weiß ich nicht. Aber ich werde sofort Gloria, die Seenfaunin, fragen. Bin gleich wieder da!“, meldete sich Elvira und flatterte davon.

„Siehst du, nicht einmal du kannst uns helfen, also werde ich dich wieder zurück ins Wasser werfen.“ Die Alte erhob sich umständlich von dem Baumstrunk, auf dem sie saß, und hob Nixi in die Höhe, um sie dann auf der glatten Seeoberfläche langsam ins Wasser zu tauchen.

„Menschen gibt es! Das ist mir noch nie passiert, dass mich jemand sofort wieder ins Wasser gegeben hat!“

Trollo folgte Nixi und beide warteten sie gespannt auf Elvira.

„Ich habe Gloria von der alten Frau berichtet, sie sagt, dass der Fall bereits erledigt ist! Was immer das auch heißen soll. Und sie hat gesagt, dass Dentos sich auf Schlimmes gefasst machen kann, wenn sie ihn erwischt!“

Die Alte war für ein paar Minuten eingenickt. Wieder munter, rollte sie die Angelschnur ein. Nur wenn es nicht anders ging, weil sie nichts mehr zu essen zu Hause hatten, begab sie sich mit ihrer Angel zum See. Im Grunde genommen taten ihr die Fische immer leid.

Als sie sich auf den Heimweg begab, musste sie über den Traum, den sie gerade gehabt hatte, schmunzeln. Sie betrat die kleine Hütte und schaute nach ihrem Sohn.

„Mutter, ich werde wieder gesund. Es geht mir viel besser und ich habe kein Fieber mehr. Der Säbelzahnfisch hat wohl ordentlich an meinem Bein gesägt, aber die Schwellung geht zurück und die Wunde sieht nicht mehr so schlimm aus!“

Georgs Mutter lächelte. War es doch kein Traum gewesen?

Hannelore Futschek wurde am 19. Juni 1951 in Wien geboren. Nach Matura und Studium in Wien heiratete sie 1975. Mit ihrer Familie zog sie 1984 ins Weinviertel. Sie übte mehrere Berufe aus, unter anderem als Bankangestellte, Bestatterin und Angestellte im Arbeitsmarktservice Niederösterreich, wo sie sich vor allem für die Karriere von Frauen und die Gleichbehandlung einsetzte. Seit ihrer Pensionierung schreibt sie Kurzgeschichten, in denen sie meist selbst Erlebtes schildert. Das Spektrum hat sie in den letzten Jahren um Romane erweitert, die auch Liebesgeschichten, Biografien und Krimis zum Thema haben. Bis dato wurden in sieben Anthologien ihre Kurzgeschichten veröffentlicht. Auch die Acrylmalerei zählt zu ihren Hobbys.

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