Wünsch dich ins Märchen-Wunderland

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Eine intergalaktische Liebesgeschichte

Im Weltall gibt es noch viele unentdeckte Planeten, einer davon ist der Stern der Katzen. Dort geht es ganz ähnlich zu wie auf der Erde. Allerdings kennen die Bewohner des Katzenplaneten keine Kriege oder andere böse Dinge. Natürlich liegt es in der Natur der Katzen, dass sie miteinander raufen oder sich jagen, aber sie verletzen sich nicht dabei, sondern tun es aus Spaß und Lebensfreude. Sicher fragt ihr euch, wie die Katzen hierhergekommen sind. Dafür gibt es eine ganz einfache Erklärung.

Vor vielen Jahren wollten die Menschen mehrere Katzen zu Forschungszwecken auf den Mond schicken. Sie selbst waren zu feige, sich dorthin schießen zu lassen, deshalb dachten sie, es wäre eine gute Idee, einige Katzen vorauszusenden. Sie bauten also ein Raumschiff und programmierten es so, dass die Katzen während ihres Fluges durch das Weltall genug Futter und Wasser zur Verfügung hatten. Sobald sie am Ziel ankommen würden, sollte sich eine Schleuse nach draußen öffnen. Das haben sie auch hinbekommen, aber mit der Flugbahn hatten sie sich verrechnet, denn die Katzen landeten nicht auf dem Mond, sondern auf dem Stern, den sie jetzt bewohnen.

Für diese ersten Katzen muss es wirklich schlimm gewesen sein, schließlich waren sie ganz allein auf sich gestellt. Aber Katzen sind kluge Tiere. Zuallererst suchten und fanden sie Wasser. Zum Glück hatte ihr Planet eine Atmosphäre wie die Erde, aber es gab nur wenig Beute, die sie jagen konnten. So ernährten sie sich zunächst überwiegend von den restlichen Vorräten in ihrem Raumschiff. Um ihr Überleben auf Dauer zu sichern, mussten diese Katzen sich anders entwickeln als ihre Artgenossen auf der guten alten Erde.

Auf dem Katzenstern lebten zwar einige Mäuse, aber die waren nicht grau, sondern rot und zudem ungenießbar. Mit der Zeit lernten die Katzen sogar, sich mit ihnen zu arrangieren, denn die Mäuse waren ihnen bei der Besiedlung des Planeten nützlich. Irgendwann lernten die Katzen auch, welche Pflanzen sie fressen und vertragen konnten. Schon lange sind alle Bewohner des Katzensterns Vegetarier und leben mit den roten Mäusen friedlich zusammen. Im Laufe der Jahrhunderte entstand so eine ganz eigene Lebensform. Wie auf der Erde gibt es inzwischen Aufzeichnungen vom Leben der Stammväter und Mütter der heutigen Katzen und Mäuse. Diese Schriftzeichen sind mit unseren nicht vergleichbar, aber jede Katze und jede Maus kann sie entziffern. Die Aufzeichnungen tragen dazu bei, dass nichts in Vergessenheit gerät. Die Tiere, die auf dem Katzenplaneten ein Zuhause gefunden haben, leben viel länger als die auf der Erde, denn dort gibt es keinen Klimawandel oder etwas anderes, das ihr Leben bedroht. Auch natürliche Feinde haben sie nicht, so ist es ein wahres Paradies. Das Einzige, wovor die Katzen und Mäuse Angst haben, ist, dass jemals Menschen oder andere Lebewesen sie finden könnten.

Eines schönen Tages geschah genau das. Ein fremdes Raumschiff landete auf dem Katzenstern. Erschrocken verkrochen sich die Mäuse in ihre unterirdischen Gänge, und die meisten Katzen suchten ebenfalls schnell das Weite. Nur Rubius, ein großer, pechschwarzer Kater, blieb gelassen. Mutig wollte er sich den Eindringlingen entgegenstellen, wer immer sie auch sein mochten.

Eine ganze Weile geschah nichts. Dann öffnete sich eine Luke des Raumschiffes und ein unbekanntes Wesen kletterte ins Freie. Vor lauter Spannung hielt der Kater den Atem an. Das konnte nur ein Mensch sein, vermutete er. So oft hatte Rubius sich schon gefragt, ob es außer ihnen noch anderes Leben im Weltall gab. Auf dem Arm hielt der Fremde eine Katze. Die war ebenso schwarz wie Rubius, nur viel kleiner und zierlicher. Der Mensch setzte die Katze auf den Boden und sah sich erwartungsvoll um. Dann entdeckte er Rubius, der in einiger Entfernung völlig reglos dasaß und ihn fragend anschaute.

Die kleine Katze hatte Rubius ebenfalls erblickt und tapste zögernd auf ihn zu. Sie war bildhübsch, fand Rubius. Er kannte viele Katzendamen, aber diese unbekannte Schönheit hatte sein Herz im Nu erobert. Er konnte die Augen gar nicht von ihr lassen. Langsam kam die kleine Katze näher, und Rubius rührte sich noch immer nicht, um sie nicht zu erschrecken.

Als das Kätzchen direkt vor ihm saß, miaute es leise. Daraufhin beugte Rubius sich zu ihm hinunter und begrüßte es mit einem zärtlichen Nasenküsschen. Das schien der Kleinen zu gefallen, denn sie begann zu schnurren.

Nun kam auch der Mann, der mit ihr aus dem Raumschiff gestiegen war, näher. Er sah sich um und fragte: „Leben hier auch Menschen?“

Rubius wunderte sich, dass er die Laute verstand, die der Fremde von sich gab. Ob er auch seine Antwort verstehen würde?

„Nein, das ist der Planet der Katzen“, gab er Auskunft.

„Umso besser. Mit den Menschen bin ich nie gut ausgekommen, aber Katzen liebe ich. Deshalb konnte ich keinesfalls ohne mein kleines Blümchen fliegen“, erfuhr Rubius.

„Wie kommt es, dass du unsere Sprache sprichst?“, fragte der Kater erstaunt.

Der Neuankömmling lachte dröhnend. „Ich habe auf der Erde einen Sprachcomputer entwickelt, der es mir erlaubt, die Laute aller Lebewesen umzuwandeln, sodass ich sie verstehen kann. Umgekehrt kann auch ich in jeder Sprache reden.“

Rubius staunte. Er hoffte, dass dieser Mensch in friedlicher Absicht gekommen war. Allerdings fand Rubius, er dürfe den Planeten nicht wieder verlassen, denn wenn die Menschen auf der Erde von ihrer Existenz erfuhren, konnte das für die Katzen gefährlich werden. Womöglich würden viele andere Menschen kommen und ihre Welt beherrschen wollen oder sie gar zerstören, so wie sie seit vielen Jahren dabei waren, auch ihren eigenen Planeten zugrunde zu richten. „Was willst du hier oder hast du dich verflogen?“, erkundigte Rubius sich entschlossen.

Blümchen saß an seiner Seite und schnurrte liebevoll. Statt des Fremden, der eine verlegene Miene aufsetzte, antwortete sie: „Mein Katzenpapa und ich wollten eine neue Bleibe für uns suchen. Eine Welt, in der es keinen Hass und nichts Schlechtes gibt, wir führen wirklich nichts Böses im Schilde. Dass wir hier gelandet sind, ist reiner Zufall, aber zurück wollen wir auf keinen Fall, bitte lass uns bleiben.“

„Das kann ich nicht allein entscheiden“, entgegnete Rubius. „Aber ich werde unseren Ältestenrat zusammenrufen und für euch ein gutes Wort einlegen.“

„Das ist fair“, hörte er den Fremden erleichtert sagen.

„Wartet hier“, befahl Rubius.

Dann lief er zurück, um mit den anderen Katzen zu beraten, ob sie die Neuankömmlinge aufnehmen wollten oder nicht. Nach langem Ringen stimmten sie zu, wenn auch unter der Bedingung, dass dieser Mensch ihnen hoch und heilig versichern musste, dass außer ihm und Blümchen niemand mehr auftauchen würde.

„Das kann ich euch guten Gewissens versprechen“, erklärte er.

Die beiden hatten von der Erde viele schöne Dinge mitgebracht. Auch Blumensamen war darunter, und so grünte und blühte es bald überall auf dem Katzenplaneten. Rubius und Blümchen waren sehr froh, dass sie sich gefunden hatten. Oft saßen sie, eng aneinandergeschmiegt, auf dem Mond, der zu ihrer Galaxie gehörte, und schauten zufrieden auf ihre Welt hinunter. Um sie herum strahlten und funkelten die Sterne – schöner als je zuvor, fand Rubius. Früher hatte er sich oft danach gesehnt, eines Tages auch andere Planeten zu erforschen, aber seitdem Blümchen bei ihm war, konnte er sich nichts Schöneres vorstellen, als mit ihr auf seinem Heimatstern zu leben. Seine Sehnsüchte nach anderen, unbekannten Welten hatte er völlig vergessen.

Brigitta Rudolf: Weitere Infos und Leseproben zu ihren inzwischen 20 Bücher unter www.brigittarudolf.jimdo.com.

*

Der Katzenmond

Es waren einmal zwei Katzen, die sich innig liebten. Beide waren sie schwarz wie die Nacht und verfolgten jeden Abend, wenn die Menschen in ihren Betten schliefen, den Lauf des Mondes am Sternenhimmel.

„Was es wohl auf dieser großen gelben Käsescheibe da oben gibt?“, fragte Purzel und strich sich mit einer Pfote über das dicke Bäuchlein. „Ich wette, da fließen Milch und Katzenfutter in Strömen!“

„Meinst du wirklich?“, fragte Pünktchen, die zierliche Katzendame an seiner Seite. „Das würde ich zu gerne mal sehen! Ich hab mich schon immer gefragt, wie es dort oben wohl so ist.“

Purzel sah Pünktchen in die großen grünen Augen. Das Mondlicht spiegelte sich in ihnen wie in einem spiegelglatten See. Kurzerhand fasste er einen Entschluss: „Ich werde dich dort hinbringen, Pünktchen! Du wirst sehen! Du wirst die erste Katze auf dem Mond sein.“

Begeistert schlug Pünktchen die Tatzen zusammen und kuschelte sich mit ihrem flauschigen Köpfchen an Purzels Schulter. „Wirklich? Das wäre so toll! Aber wie willst du das anstellen?“

„Lass das mal meine Sorge sein“, sagte Purzel und betrachtete gebannt die golden glänzende Scheibe am Himmel, vor die sich gerade eine dicke Wolkendecke schob. Fast sah es aus, als ob sich der Mond unter seine Kuscheldecke verkrochen und zum Schlafen hingelegt hätte.

Noch am selben Abend unternahm er gleich den ersten Versuch, zum Mond zu fliegen, und schnallte sich eine Sprungfeder unter jede seiner Tatzen. Die Federn hatte er aus dem Bettgestell der Menschen stibitzt, die er und Pünktchen sich als Herrchen hielten. Sicher würden die nicht einmal bemerken, dass sie fehlten. Dann kletterte er wippenden Schrittes, so gut es ging, auf das Trampolin der Nachbarn und fing an, darauf herumzuspringen. Er hatte schon eine ganz ansehnliche Höhe erreicht (sogar die umliegenden Hausdächer hatte er schon von oben sehen können), als er mit den Sprungfedern so schief auf dem Trampolin aufkam, dass er schnurstracks durch das Fenster der Müllers krachte. Pünktchen stockte der Atem. Ängstlich hielt sie sich die Augen mit den Pfötchen zu.

 

„Nichts passiert!“, rief Purzel aus dem zu Bruch gegangenen Schlafzimmerfenster, der schon viel schlimmere Stürze überlebt hatte, ohne dabei eines seiner neun Leben verbraucht zu haben.

In den folgenden Nächten bekam Pünktchen ihren Kater kaum noch zu Gesicht. Stundenlang schloss er sich in seiner Werkstatt ein und schraubte und schweißte an einem Gerät, mit dem sie zum Mond fliegen würden.

Als es endlich fertig war und er es ihr vorführen wollte, betrachtete die es zunächst misstrauisch. „Bist du sicher“, fragte sie, „dass das … nun ja … sicher ist?“

Purzel lächelte breit und schob sie ein Stück weit mit seiner Pfote zur Seite. „Gar keine Frage“, sagte er. „Aber du solltest vielleicht noch etwas weiter zurückgehen.“

„Noch weiter.“

„Noch weiter.“

„Perfekt! Alles bereit zum Testflug.“

Darauf setzte er sich seine stylishe Fliegerbrille auf, zündete den Stapel Silvesterraketen an, den er sich auf den Rücken geschnallt hatte, und breitete seine Vorderbeine aus, an die er seine selbst gebauten Flügel angelegt hatte.

„Drei, zwei, eins ...“

Zzzzzzzzz-schhhh.

Gerade hatte Pünktchen ihm noch viel Glück wünschen wollen, da war er auch schon mit einem lauten Zischen in die Luft geschossen. „Armer Purzel!“, dachte sich Pünktchen, als sie dabei zusah, wie die Raketen auf dem Rücken des Katers eine nach der anderen explodierten und die dunkle Nacht mit bunten Farbblüten erhellten.

Aber Purzel hatte Glück. Kurz darauf landete er völlig verkohlt in einem Brennnesselbusch. Diesmal jedoch hatte er mit ziemlicher Sicherheit eines seiner neun Leben verbraucht.

Wie viele hatte er überhaupt noch übrig gehabt? Allzu sicher war er sich nicht mehr. Also entschied er sich dazu, dass er einen anderen Weg finden musste, um Pünktchen ihren Traum zu erfüllen. Der Kater zerbrach sich wochenlang den Kopf darüber, aber es wollte ihm einfach nichts einfallen. Doch dann, eines Nachts, kam er an einer Bäckerei vorbei und sah im Schaufenster etwas, das ihm vor Aufregung die Schnurrhaare kribbeln ließ.

Keine zwei Tage später führte Purzel sein Pünktchen mit verbundenen Augen in den Garten, von wo aus sie so gern den Mond bei seinen Wanderungen über den Nachthimmel beobachteten. Doch was Pünktchen dort an diesem Abend vorfand, verschlug ihr glatt die Sprache. Es sah aus wie ein sichelförmiger, gelb leuchtender Mond. Nur für sie auf die Erde herabgebracht. Er war umringt von lauter kleinen Sternen, die zwischen den Grashalmen verstreut lagen.

„Was ist das?“, fragte sie.

„Das?“, flüsterte Purzel ihr sichtlich stolz zu. „Das ist das größte jemals gebackene Croissant der Welt. Ich habe es mit einer Farbe bemalt, die in der Nacht leuchtet. Genauso wie die ganzen Weihnachtssterne hier.“

„Wow“, schnurrte Pünktchen und strahlte. „Das ist so süß von dir!“ Sie sah hinauf. „Sogar eine kleine Laterne hast du an dem Zipfel oben angebracht.“

„Ja“, sagte Purzel und sprang auf die untere Hälfte seines Katzenmondes. „Selbst die Mäuse von der anderen Straßenseite haben mitgeholfen und die Löcher reingebissen.“ Er reichte ihr die Pfote und half ihr zu sich hoch.

„Danke, Purzel!“, sagte Pünktchen und schmiegte sich an ihren Kater. „Dank dir weiß ich jetzt endlich, wie es auf dem Mond ist. Und es ist schöner, als ich es mir jemals hätte vorstellen können.“

Ben Berlin: Weitere Informationen zum Autor unter www.ben-berlin.de

*

Träume werden wahr

Schaurig schön war sein Katzengesang

In Träume tief er sich wiegte

Ob seine Freundin sich zu ihm gesellt?

Noch war er da, der Mond, der die Nacht erhellt

Noch war er eine Sichel am Himmel,

von den Wolken verdeckt.

Als die Sterne blinzelten verschmitzt

Eine edle Haltung nahm er versonnen ein

Geschmeidig, sanft schlich er auf seinen samtenen Pfoten,

hinaus in die schaurig schöne Nacht

Jeden Abend stromerte der alte schwarze Kater Luk durch die Felder. Er suchte weder Spatz noch Maus. Einsam und traurig war er, seit seine Katzenfreundin Lil die Reise weit über den Mond hinweg angetreten hatte. Sie hatten fast ihr ganzes Leben zusammen verbracht. Beide mit seidenem Fell, kohlrabenschwarz. Manche Abenteuer hatten sie erlebt, Luchs, Fuchs und Marder besiegt. Ausgetrickst hatten die zwei sie alle. Lil entkam keine Maus, wenn auch nur zum Spielen. Sie war stets aktiv und keck, Luk dagegen durch und durch ein Träumer. Doch jeden Abend erzählte Luk, seiner Katzendame ein kleines Gedicht.

Ich sah dich, wunderschön anzusehen,

im silbernen Lichtstrahl liegen.

Nebelschwaden umhüllten dich.

Du rekeltest und strecktest dich.

Deine gelben Augen funkelten wie kleine leuchtende Sterne.

Dann erschrakst du fürchterlich,

der Bussard zog seine Kreise über dich.

Nun brauchst du dich nicht zu fürchten,

du liegst zufrieden in deinem Katzennest und schnurrst ganz leise.

Ich wünsche dir eine gute Reise ins Katzenschlaraffenland.

So beendete Luk jeden Abend sein Ritual, bevor auch er glücklich und zufrieden einschlief.

Nun war auch er alt geworden und hatte nur noch einen einzigen Traum. Nur einmal, ein einziges Mal, wollte er nach den glitzernden Sternen greifen. Auf dem Mond schaukeln und die Welt von oben bestaunen.

Auch an diesem Abend zog er voller Hoffnung los, um endlich seiner Freundin nahe zu sein. Er spürte genau, er würde sie bald wiedersehen. Es lag ein Zauber in der Luft. Kurz erschrocken über diese ihm fremde Energie, stellte er seine Nackenhaare auf.

Was war das bloß?

Die Abendluft schien zu knistern. Vor ihm schlugen kleine, klitzekleine Blitze ein. Ein greller Lichtstrahl zog ihn in den Himmel hinein.

„Juchhe, ich kann fliegen. Endlich wird mein Traum Wirklichkeit.“

Und wie aus dem Nichts saß Luk auf der Mondsichel, die Sterne zum greifen nah. Er schaukelte und sah sich die Welt von oben an. Es fühlte sich alles ganz leicht und bezaubernd an.

Ohne dass er es bemerkte, hatte sich Lil zu ihm gesetzt. Zärtlich und leise sprach sie ihn an. „Lange habe ich auf dich gewartet, doch nun hast auch du diese letzte Reise geschafft. Ich ahnte, dass wir uns hier treffen. Denn nur für Träumer, die an Wunder glauben, werden Wünsche wahr. Erzähl mir bitte ein Gedicht, ich habe es so vermisst.“

Und Luk erzählte sein letztes Gedicht.

Jeden Abend suchte ich dich

und erinnerte mich an deine gelben Augen.

Es war langweilig und trostlos ohne dich.

Einsam schlich ich durch Feld und Wald,

kein Mäuschen, kein Spatz konnte mehr mein Herz erfreuen.

Ich hatte nur noch einen Traum,

von den Monden herab die Welt zu sehen

und nach den Sternen zu greifen.

Mary Winkens und Gabriela-Alexandra Scharff: Weitere Infos unter www.autoren-im-team.de.

*

April


*

Der größte Schatz

Es war einmal, vor vielen Jahren, einigen Monaten, mehreren Wochen und ein paar Tagen, da herrschte große Aufregung in Akvo, dem großen Unterwasserreich der Meereskönigin Yara. Narius, ein sehr dicker Wassermann, hatte sich den Fuß an einem Wasserfahrrad gestoßen, das sein Nachbar Nero achtlos hatte liegen lassen. Narius war im Kreis herumgehüpft und hatte wütend mit den Armen und Beinen gewedelt.

Dadurch waren riesige Wellen entstanden. Fische, Meerjungfrauen, Wassermänner, Meerhexen und Seeungeheuer waren herumgewirbelt worden. Prinzessin Maila, die Tochter der Meereskönigin, war gerade dabei, ein paar Perlen zu suchen. Von einer riesigen Flutwelle erfasst, wurde sie auf eine Insel gespült. Bewusstlos lag sie am Strand.

„Wen haben wir denn da?“ Eine schlanke Gestalt, in ein dunkles Gewand gehüllt, mit langen silbernen Haaren, beugte sich über die Prinzessin. „Ich glaube es nicht. Die Tochter der Meereskönigin.“ Die Gestalt hob die immer noch ohnmächtige Prinzessin hoch und nahm sie mit.

„Wo ist meine Tochter?“ Yara hatte alle Untertanen mobilisiert, um Maila zu finden. Die Fische waren suchend durchs Wasser gesaust, sämtliche Winkel, Riffe und Muschelverstecke waren abgesucht worden. Doch die Prinzessin blieb verschwunden.

Nach einiger Zeit kamen die beiden Fische Schuppi und Flossi angeschwommen. Sie waren die Hausfische der Prinzessin und begleiteten sie überallhin.

„Prinzessin Maila ist auf der Insel“, blubberte Flossi. Schuppi weinte, aber unter Wasser konnte man die Tränen nicht sehen.

Yara blickte zur Wasseroberfläche. „Enja!“, rief sie aus. „Meine böse Schwester hat sie in ihren Fängen.“ Alle wussten, dass Maila nicht länger als drei Tage ohne Meerwasser überleben würde. Narius, der das Malheur verursacht hatte, bot sich an, sie zurückzuholen.

Die Meereskönigin schüttelte den Kopf. „Sie wird dich töten. Dem schrecklichen Inselkönig Tala hatte sie unseren Meeresschatz versprochen. Dafür wollte er sie zur Königin über Wasser und Land machen. Ich habe meine Schwester auf die Insel verbannt, wo sie auf Rache sinnt.“ Yara hob ihren Zauberstab mit den leuchtenden Korallen und Perlen. „Ich habe keine Macht an Land.“

Enja lief mit der Prinzessin zum Schloss. Endlich würde Tala sie belohnen müssen. Zur Strafe, dass sie ihr Versprechen nicht gehalten hatte, war sie von Tala in den Kerker des Schlosses geworfen worden. Nur zum Arbeiten durfte sie hinaus. Sie schritt die Treppe zum Schloss empor. „Yara, nun wirst du dafür büßen, dass du mich verbannt hast.“

König Tala lachte laut, als Enja ihm ihren Fund präsentierte: „Haha! Nun haben wir den größten Schatz der Meereskönigin.“ Er holte Salzwasser und schüttete es über Maila aus.

Sogleich erwachte die Prinzessin. Sie hustete und versuchte, sich aufzurichten, doch sie war zu schwach.

Enja zog an Mailas Haaren. „So eine Schönheit, doch die wird bald vergehen.“ Sie lachte böse und schnitt mit einem Messer die roten Haare der Prinzessin ab.

König Tala rief vier seiner Gesellen und übergab ihnen das Haar der Prinzessin. „Fahrt aufs Meer hinaus und gebt Yara das Haar. Sie soll uns den Meeresschatz bringen, wenn sie ihre Tochter lebendig zurückbekommen will.“ Dann drehte er sich zu Enja um: „Du wirst meine Frau und Herrscherin über Wasser und Land werden, sobald du dein Versprechen eingelöst hast.“

Aufgeregt versammelten sich alle Meeresbewohner um ihre Königin. Sie hielt das rote Haar ihrer Tochter in den Händen. Yara war traurig und wütend zugleich. „Nun haben wir den Beweis. Wir haben nicht viel Zeit. Es ist schon Abend.“ Sie hielt das rote Haar an ihre Brust. „Wir brauchen eine List. Niemals werden wir unseren Schatz verraten.“

Yara schwamm hin und her. Schließlich rief sie: „Ilayda, liebe Wasserfee, bist du hier?“

Ein zartes Geschöpf mit blauen Haaren und glitzernder Haut kam zwischen den anderen hindurchgeschwommen. Ilayda verbeugte sich. Yara sprach: „Du bist die Einzige hier, die sich an Land einen Tag lang bewegen und wieder zu uns zurückkehren kann. Ich werde dir eine andere Gestalt verleihen, sodass niemand dich als Wasserfee erkennen wird.“

Ilayda schreckte zurück. „Tala wird mich durchschauen.“

Yara schüttelte den Kopf: „Nein, nicht, wenn ich dich in Enja verwandle. Gehe morgen ganz früh zum Schloss. Nimm die Kiste hier mit und sage, dass es der Schatz aus dem Meer sei, den ich dir gegeben habe. Tala wird nur Augen für diesen Schatz haben. Zur Sicherheit nimm diesen silbernen Stab mit, er wird Enja sofort betäuben, sobald du sie damit berührst.“

Ilayda war bang ums Herz. Sie schwamm noch vor Sonnenaufgang los, begleitet von vier Wassermännern, die im Wasser mit der Kiste warten würden. Sie verabschiedete sich von ihnen und nahm an Land unmittelbar Enjas Gestalt an. Nun hing alles von ihr ab.

 

Ilayda betrat das Schloss. Alles war ruhig. Sie ging eine Treppe hinauf und landete auf einem langen Gang. Plötzlich ging eine Tür auf, Enja trat hinaus. Ilayda berührte sie mit dem Stab, brachte sie ins Zimmer und verschloss es hinter sich. Dann schlich sie zur nächsten Tür und öffnete sie einen Spaltbreit. Tala lag dort im Bett.

„Hallo“, flüsterte sie.

Tala sprang auf und zog sofort sein Messer. „Was gibt es denn um diese Zeit so Wichtiges?“, rief er böse.

Ilayda hatte noch nie vor jemandem so viel Angst gehabt, aber sie fasste sich. „Unten am Meer ist eine Abordnung meiner Schwester mit dem versprochenen Schatz. Wenn wir ihnen Maila bringen, gehört der Schatz uns.“

Talas Gesicht hellte sich auf. „Du holst Maila.“

Ilayda lief in den Keller. „Wache“, rief sie, „öffne die Zelle und bring mir die Prinzessin.“ Die Wasserfee hätte sie am liebsten umarmt. Aber das durfte sie nicht. So stieß sie die Prinzessin vor sich her, den Weg zum Meer hinunter. Tala wartete schon.

Die Wassermänner schwammen um die Kiste herum. „Gebt mir euren Schatz.“ Tala baute sich zu seiner vollen Größe auf.

Narius hielt die Kiste fest. „Erst wenn wir die Prinzessin haben.“

„Halt, sie ist eine Betrügerin!“ Enja, die sich irgendwie aus dem Zimmer befreit haben musste, kam angerannt.

Tala blickte von einer zur anderen.

Ilayda lachte: „Du Verräterin, du bist von meiner Schwester gesandt worden, um den Handel zu verhindern. Aber es wird dir nicht gelingen, Tala, den großen mächtigen König zu täuschen.“

Tala schlug Enja mit der Hand beiseite. „Du hast recht, niemand betrügt mich.“

Ilayda übergab dem Wassermann die Prinzessin und nahm die Kiste. Enja hatte sich aufgerappelt und wollte ihr die Kiste wegnehmen. Ilayda berührte sie mit dem Silberstab und sie fiel sofort um. „Hier, mein König.“ Ilayda übergab ihm die Kiste.

Tala befahl seinen Männern, sie zu öffnen. Mit gierigen Augen wartete er. Ilayda sprang mit leichten Schritten ins Meer zurück. Sobald sie tiefer ins Wasser eingetaucht war, verwandelte sie sich wieder.

Tala war entsetzt: „Betrug, die Kiste ist mit Seetang und Muscheln gefüllt.“ Wütend erhob er seine Harpune, die er immer zum Fischen benutzte, und schoss sie ins Meer. Doch statt der Wasserfee traf er Enja. Wütend zertrümmerte er die Kiste und raste solange auf der Insel hin und her, bis er umfiel und nie wieder aufstand.

Heute befindet sich an dieser Stelle ein Felsen, der Teufelsfelsen. Enja ertrank im Meer und die Gesellen des Königs zogen mit Schiffen von dannen. Die Teufelsinsel blieb von da an für alle Zeiten unbewohnt.

Die Meereskönigin schloss ihre Tochter in die Arme und dankte Ilayda für ihren Mut. „Das ist unser wahrer Schatz“, sprach Yara, „unsere Freunde und Familie. Niemals kann jemand diesen Schatz stehlen. Er ist für immer in unseren Herzen.“

Alle Bewohner von Akvo feierten eine ganze Woche lang ihr Glück. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann feiern sie noch heute. Manchmal kann man es sehen, denn dann bewegen sich an der Oberfläche des Meeres die Wellen etwas stärker.

Sabine Nölke wurde 1960 geboren, wuchs im Ruhrgebiet auf und studierte in Bochum Biologie. Von der Ruhr zog es sie an den Rhein und von dort an die Eder. Seit einem Jahr lebt sie mit ihrem Mann und zwei Hunden im Schwalm-Eder-Kreis in Nordhessen. Sie arbeitet als freie Journalistin und schreibt Kurzgeschichten, Krimis und Gedichte.