Steintränen

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Aus der Reihe: Steintränen #2
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Steintränen
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Manja Gautschi

Steintränen

Winterkrieg

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1 - Die „Netten“ - Koron

2 - Alltag - Mara & Aron

3 - Ansichten - Koron

4 - Glauben & Vertrauen - Boris & Joret

5 - Geisterplanet - Mara & Torns

6 - Entscheidung - Isara

7 - Machtlos - Kero

8 - Absichten - William & Torns

9 - Neues Land - Boris

10 - Ende der Reise - Ralph & Janus

11 - Kein gutes Gefühl - Joret & Sora

12 - Freundschaften - Djorak & Greg

13 - Spaziergang am See - Aron, Boris & Mara

14 - Nie! - Joret, Greg

15 - Code 9 - Ragor & Sol

16 - Vermutlich - Boris & Horau

17 - Informationen - Tom

18 - Unerwartet - Barra & Aron

19 - Nicht böse sein - Peter, Boris, Djorak

20 - Allein - Isara

21 - Entmutigt - Boris & Mara

22 - Befehle - Greg

23 - Pläne & Schlüssel - Kor

24 - Bitte leise - Simone & Joret

25 - Zerstreut - Boris, Tom & Ilrimi

26 - auf Reisen- Isara, Phil & Djorak

27 - Ungeschickte Begegnung- Mara & Kor

28 - Wirklich schade- Peter & Simone

29 - Nein!- Djorak, Ralph & Isara

30 - So ein Gefühl - Joret

31 - So ein Gefühl - Boris & Aron

32 - Laute Nacht- Greg

33 - Ich komme mit!- Mara, Aron & Kero

34 - Lächeln - Greg & Cedric

35 - Wichtigeres Problem - Boris

36 - Gedulds - Problem - Tom, Kor, Mara, Boris

37 - Gute Idee! - Joret

38 - Keine Zeit - Kor

39 - Update - Torns, Peter & Schoren

40 – Luft & Licht! - Aron, Mara & Kero

41 - Code 9 - Ragor & Sol

42 - Zuviel - Zylin

43 - Gute & Schlechte Nachrichten - Djorak & Torns

44 - Bemerkt - Zyron & Sokra

45 - Einig - Boris, Joret & Jürg

46 - Warten - Mara, Boris, Horau & Zylin

47 - Na ja, es gibt Schlimmeres - Peter & Torns

48 - Vorbereitung - Mara, Aron & Tom

49 - Warum? - Simone & Torns

50 - Ein Gespräch unter Freunden - Djorak & Ralph

Impressum neobooks

1 - Die „Netten“ - Koron


Winterkrieg

Buch 2

von Manja Gautschi


Impressum

"Steintränen - Winterkrieg"

Erhältlich als gebundene Ausgabe und als eBook.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.de abrufbar.

Copyright © 2020 Manja Gautschi

Cover & Illustrationen: Manja Gautschi

Web: www.steintraenen.ch

Mail: gruen@steintraenen.ch

Herstellung und Verlag:

epubli, ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Printed in Germany

Neobooks - Der Self-Publishing-Verlag

ISBN: XXX

"Es gibt Menschen,

die kriegen nie genug."

Joret Laertens

Stadtherr und Hauptmann von Rotsand

„He! Kann vielleicht mal einer herkommen?“ brüllte Berok zwischen den Gittern hindurch. „Komm Berok, lass gut sein.“ bat Koron seinen Freund die Bemühungen einzustellen, irgendeinen der Soldaten dazu zu bewegen, nach ihnen zu sehen.

Koron und ein paar seiner Leute sassen seit 2 oder 3 oder mehr Tagen in einer ihrer eigenen Arrestzellen. Sie wussten es nicht genau, sie konnten kein Sonnenlicht sehen. Die Zellen waren wie alle ihre Wohnräume in die Steinberge hineingeschlagen worden und wurden nur mit dem grünen Licht des Feuers einer Fackel gegenüber den Gitterstäben beleuchtet. Dicke Gitterstäbe verschlossen ihre fensterlose Zelle. Wie viele ihrer Leute sich in den anderen Zellen befanden, wussten sie auch nicht. Sie hatten die Zellen selbst so angelegt, dass sie isoliert voneinander waren. In den Zellen war nichts, ausser einem Loch, jeweils ganz hinten, für die Hinterlassenschaften. Und es war kalt und nass.

Nachdem die Soldaten des Terra Sonnensystems Koron und seine Leute brutal und schnell überrannt und niedergemetzelt hatten, sperrten sie die ‚auserwählten’ Gefangenen in diese ungemütlichen, dunklen Zellen. Kamen sporadisch mit etwas zu Trinken und Essen vorbei, aber das war’s auch schon. Und viele von Korons Leuten waren verletzt vom Kampf. Irgend so ein Monsterimpulsor hatte Koron selbst gegen eine Steinwand geschleudert. Er war nicht mehr der Jüngste und musste wirklich ungeschickt aufgeprallt sein, denn sein gesamter Körper schmerzte. Wohl aufgrund mehrerer Knochenbrüche. Müde lehnte er sich also gegen eine Wand und versuchte sich möglichst so zu bewegen, dass es nicht schmerzte.

Berok, ein grosser kräftiger Mann mittleren Alters, Gruppenchef, wenn man so wollte, hatte Korons Lage erkannt und ärgerte sich, fand, dass die Dreckskerle sich darum kümmern sollten. Wenigstens! Also rief er um Hilfe, auf seine Art.

„Haaaaaaalloooo!“ der grosse Mann mit Vollbart und zerzaustem Haar hätte die Gitter rausgerissen, hätte er gekonnt. Alle waren dreckig und ungewaschen seit man sie hier eingesperrt hatte. Berok selbst sah aus wie ein echter Höhlenbewohner, zumal seine Kleidung teilweise zerrissen und verblutet war. Selbst hatte er eine tiefe Schnittwunde am linken Arm und einen heftigen Schlag ins Gesicht abbekommen. Der Arm blutete, war mit einem abgerissenen Teil seiner Hose verbunden und die verletzte Gesichtshälfte war geschwollen und blutunterlaufen. Sah zum Fürchten aus. Telalia hatte gemeint "Zum Glück ist es so dunkel hier."

 

Berok, verdammt nochmal! Du nervst. Scheisse Mensch. Mir tut schon alles weh, da brauch ich nicht auch noch verfluchte Kopfschmerzen von deinem Gebrüll!“ Berok drehte sich zu Koron um. Sah sich den Haufen in der Zelle an. Sie waren zu 13ent. 9 Männer und 4 Frauen. Sahen alle mitgenommen aus.

„Ihr blöden Vixer! Wenn ihr uns töten wollt, tut es doch gleich, aber lasst uns hier nicht einfach verrecken!“ „BEROK! Muss ich denn beim Teufeln noch eins aufstehen und dir deine riesen Gosche stopfen. Gib doch Ruhe!“ die Schmerzen wirkten alles andere als beruhigend auf Koron. Seine Aggression steigerte sich. "Jetzt hört schon auf!" maulte Telalia von der Wand gegenüber. Sie hatte sich so gut es ging zusammengerollt hingesetzt, versuchte sich warm zu halten.

Berok schüttelte den Kopf, setzte sich neben Koron. Die anderen beobachteten. Gesprochen wurde nicht, es war keinem wirklich nach Reden zumute. Berok hob sachte Korons Hosenbein. Schüttelte den Kopf, Koron haute ihm mit links auf die Finger, verzerrte dabei allerdings sein Gesicht. Die Schulter.

„Koron, du verblutest. Das Bein ist gebrochen oder so. Und deine linke Schulter...“ Berok schüttelte den Kopf „...Mann, die ist so dick. Und dein rechter Arm, dass der hin ist...“ „Verdammt Berok! Bist du plötzlich ein Scheiss-Doktor?“

Korons Ausdrucksweise beeindruckte niemanden. Waren alle gewohnt. Darum sprach Berok einfach weiter „Nein, aber blind auch nicht.“ „Koron, warum hast du denen nicht einfach gesagt, dass du der gesuchte Anführer bist? Vielleicht hätten sie dich gleich verarztet?“ fragte nun Sandra. „Und was dann, verflucht?“ fing Koron an „Die kranken Dreckschweine hätten euch mit meinem Leben erpresst aufzugeben oder was weiss ich zu verraten. Ihr hättet es getan. Ihr Weicheier.“ „Wenn schon, was könnten die von uns wollen?“ „Ihr kennt die Mistkerle nicht. Sie könnten euch zwingen für sie zu spionieren um mein Leben zu retten. Zum Beispiel.“ erklärte Koron „Schon vielen ist es so ergangen. Haben Feinde aus Brüdern gemacht. Glaubt mir. Denen ist jedes noch so miese Mittel recht.“

„Dabei sind wir so nett.“ höhnte eine gut gelaunte Männerstimme vor den Gitterstäben zur Antwort. Niemand hatte den Wachmann kommen bemerkt. Der Terra Sonnensystem Soldat stand grinsend vor der Zelle, blickte durch die Gitterstäbe und sah abschätzig auf die Gefangenen.

„Ach du Scheisse!“ stöhnte Koron, schloss die Augen und liess seinen Kopf gegen die Rückwand fallen, atmete aus. Einen Moment zu wenig achtsam und schon war’s passiert. Er hatte sich verraten. Doch noch. Die mussten es darauf angelegt haben. Heimlich, geduldig gewartet. Dreckskerle. "Ach Berok" flüsterte Koron und seufzte.

Der Soldat mit dem perfekt frisierten Haarschnitt, dem aalglatt rasierten Gesicht und einer offenbar frischen Uniform liess die Tür öffnen. Musste ein Offizier sein. Das konnte man sehr wohl erkennen, auch wenn alle Terra Sonnensystem Soldaten die gleichen Kleider trugen um die Ränge für Aussenstehende unkenntlich zu halten.

„Und das mit dem ‚nett’ meine ich tatsächlich, denn unser Arzt nimmt sich ab sofort gerne Zeit für euch.“ Berok wurde wütend, das konnte doch nicht wahr sein, dass die sie hier absichtlich hatten dahinsiechen lassen. „Ihr verdammten Schweinehunde!“ Er stand auf, machte sich daran diesem Soldaten eine dicke Faust ins grinsende Gesicht zu schlagen. Wozu es selbstverständlich nicht kam, denn ein weiterer soeben aufgetauchter Soldat mit Gewehr schlug ihm so heftig er konnte den Kolben erst ins Gesicht, danach stiess er ihn dem grossen Mann in den Unterlaib. Ein zweiter Soldat hielt gleichzeitig unter dem Türrahmen stehend sein geladenes Gewehr auf Berok gerichtet. Der grosse Mann blutete erneut heftig im Gesicht und krümmte sich. Hielt seinen Bauch. Stöhnte, wich zurück. Louis stand auf und hielt Berok fest. Sah entsetzt den Soldaten an, der vor ihnen in der Zelle stand. Langsam sein Gewehr umdrehte und bei der ganzen Aktion keine Regung im Gesicht gezeigt hatte. Dem war’s offenbar ganz egal, ob er Berok verletzte oder nicht.

„Macht nicht den Fehler zu denken, wir würden nicht schiessen. Auf einen mehr oder weniger kommt es jetzt nämlich nicht mehr an.“ kommentierte der mit dem grinsenden Gesicht.

Neben ihm kamen weitere drei Soldaten in den Gang, der zu den Zellen führte. Er wartete einen Moment, bis es schien, als ob kein weiterer Widerstand bestand. Dann verschwand sein Grinsen und er befahl „Den Alten da bringt ihr gleich zu Sven.“ zwei Soldaten nickten. „Und den Dicken da soll Chris als Ersten verarzten.“ er grinste wieder, sah zu Koron „Sonst verlieren wir ja noch unseren Ruf als die ‚Netten’. Nicht wahr?“

Die beiden Soldaten, der im Türrahmen und der andere, der Berok geschlagen hatte, machten sich auf um Berok zu packen. „He, he!“ unterbrach der Grinsemann, sie hielten inne „Was?“ „Mit Ketten bitte, oder wollt ihr eine Schlägerei riskieren? Idioten!“ Die beiden folgten kommentarlos.

Nachdem sie Berok in Ketten abgeführt hatten, betraten zwei weitere Soldaten die Zelle, die Koron mitnehmen sollten. „Das könnt ihr gleich vergessen. Scheisse nochmal.“ fluchte Koron. Und der nicht mehr Grinsende vor der Zelle schüttelte den Kopf, meinte „Och, komm schon Alter. Jetzt mach keine Schwierigkeiten.“ er winkte einem weiteren Soldaten, der bislang ungesehen im Gang gewartet hatte. Der betrat ebenfalls die Zelle, hielt Ketten in der Hand. Koron schüttelte den Kopf „Mistkerle, verdammte Idioten.“ und als ihn der dritte anfassen wollte, hielt ihn Sandra sachte auf „Halt, wartet. Bitte.“ sagte sie. Einer der beiden anderen verpasste ihr eine heftige Ohrfeige, sie viel rückwärts zu Boden, Koron wollte aufstehen, aber es ging einfach nicht.

Er kann doch nicht aufstehen.“ keuchte Sandra am Boden liegend. Sie richtete sich wieder auf, sah den Offizier vor dem Eingang flehend an, hielt sich die pulsierende Wange. Telalia stellte sich neben sie. Der Offizier überlegte, runzelte die Stirn. ‚Was sollte dieses Theater?’ Sandra deutete auf Koron „Sein Bein ist gebrochen und an der Hüfte stimmt was nicht. Er kann“ „Sandra, lass! Verdammt!“ schimpfte Koron „Bitte, so glaubt mir doch. Er kann nicht alleine aufstehen.“

„Ich denke sie hat recht.“ stellte der Soldat mit den Ketten fest. Er hatte während des Gesprächs Koron mit einer Taschenlampe begutachtet.

„Meinetwegen. Dann holt halt eine Bahre. Ist mir doch egal. Aber bringt ihn zu Sven. Wir brauchen ihn lebend.“ er fuchtelte mit den Armen „Also hopp hopp! Ich habe noch anderes zu tun.“ befahl er.

Der mit den Ketten rannte los. Alle anderen warteten.

Was ist mit den anderen?“ unterbrach Koron das Warten. „Wie? Mit den anderen?“ fragte der Offizier zurück. „Na, verarztet ihr nur Berok und mich? Oder was? Verfluchte Kacke.“ Der Offizier runzelte die Stirn, schüttelte den Kopf „Selbstverständlich alle. Wir sind keine Barbaren, so wie ihr.“ „Du kleiner Mistkäfer nennst uns Barbaren?!“ „Natürlich.“ er breitete die Arme aus „Oder wie willst du diesen Lebensstil und eure Kleidung, ja eure gesamte Art und Weise sonst nennen? Ihr bringt grundlos Leute um.“ „Was für ein dreckiger Lügner behauptet das?“ Koron musste husten. Seine Kehle war völlig ausgetrocknet, denn er hatte aufgrund der Schmerzen in letzter Zeit nicht viel trinken mögen.

„Wenn ich mal von den jüngsten Ereignissen absehe, das mit der Gruppe um John Dek, zum Beispiel, meine ich.“ fing der Offizier an zu erklären „Dann wissen wir sehr wohl, dass ihr es wart, die in den letzten Jahren unsere Leute immer wieder habt ‚verschwinden’ lassen. Man erzählt, ihr hättet sie an diese Viecher verfüttert. Diese überdimensionalen grauen Pumas oder Katzen oder wie ihr sie nennt. DAS nenn ich barbarisch!“

Das Gespräch wurde vom Hereinfahren der Bahre unterbrochen. Und statt der Ketten hielt der Soldat von eben nun eine Spritze in der Hand die er nach einem kurzen „Was soll der Mist?!“ seitens Korons, ohne viel Feingefühl in Korons Schulter steckte und zügig den gesamten Inhalt injizierte. Koron viel bewusstlos zusammen, wurde unter den sorgenden Blicken seiner Leute auf die Bahre gelegt und weggestossen.

Essen und Trinken wurden in die Zelle gestellt, dann die Gittertür verriegelt.


2 - Alltag - Mara & Aron

Sonnenschein, feiner Wind, herrliche Luft. Die Baumkronen hatten sich in den letzten Tagen rasch komplett gelb gefärbt, die Immer-Blauen Sorten stachen nun besonders hervor. Das Gras war blau, würde sich bald bordeaux-dunkel verfärben, absterben und im Frühling wieder hellgrün ausschlagen. Das war die perfekte Zeit um Schilfgras zu ernten, welches genau jetzt am meisten Mineralien enthielt.

Custa spielte am seichten Uferrand des grünen Sees, gefiel sich darin hinter Enten herzurennen, die ihr jeweils kurz vor der Nase davonflogen um ein paar Meter daneben wieder zu landen.

Mix, Boris Packpferd, das sich Aron als Reittier ausgeliehen hatte, frass sich friedlich durchs Gras am Waldrand. Zwischendurch auch mal ein paar Blätter vom Baum.

Der Wind spielte fein mit den Haaren, kräuselte angenehm. Mara zog die Luft durch die Nase, schloss die Augen. Nachher würde sie noch kurz bei Zylin, also seiner ‚Gedenkstätte’, vorbeisehen, bevor sie nach Hause ging. Die Luft duftete herrlich, die Geräusche beruhigten. Der Winter war spürbar nahe.

Autsch! So ein Mist. Das war das Letzte Mal, das sag ich dir.“ Aron hatte sich am Schilf geschnitten, schon wieder. Mara schmunzelte. Sah erst zu Rupes, dessen Umrisse weit in der Ferne ganz klein am Seeufer erkennbar waren, ging dann zu Aron um sein x-tes Wehwehchen zu begutachten.

Beide trugen braune Hosen und ein orangenes langärmeliges Oberteil. Die dunkelbraunen Jacken lagen neben den Sätteln ihrer Reittiere im Gras, etwas weiter weg. Die Kleider sahen ziemlich mitgenommen aus, weil man sich zum Schilfgras ernten, meistens ins kniehohe Wasser stellte und sich zwischen den harten, nahe beieinander wachsenden Gräsern hindurchzwängen musste, um an die nur halbhohen weiblichen Pflanzen ohne Knollen zu gelangen. Die orangenen Oberteile waren dabei hilfreich, um für Aussenstehende als nichtjagdbares Gut schnell erkannt zu werden. Zwischen den dunkelblauen Schilfgräsern leuchteten die orangenen Kleidungsstücke besonders schön heraus.

„Zeig her“ Mara griff Arons linke Hand. „Also weißt du“ sie lächelte, während sie ein Taschentuch aus dem Sack zog und es erst mit Wasser benetzte, damit das Blut abwischte, nochmals ins Wasser, ein paar Steintränen darauf und um die Hand wickelte. „Aua“ Aron wollte die Hand wegziehen, Mara hielt fest, zog den Knopf fest zusammen, damit es auch hielt. „Hatte gar nicht gewusst, dass du so ungeschickt bist.“ nun sah sie Aron in die Augen. „Das heilt schnell. Du stirbst nicht daran.“ beendete sie ironisch die Verarztung und liess Arons Hand los. Der zog sie etwas beleidig zu sich heran, drückte am Tuch herum und meinte ebenso ironisch „Damit kann ich dir morgen nun leider nicht mehr helfen bei dieser Strafarbeit hier.“ neckisch hob er seine beiden Augenbrauen und blickte zurück. Beide fingen herzhaft an zu lachen.

Es tat richtig gut. Nach all den verstörenden Geschehnissen der letzten Tage war Mara mehr als nur froh um diese Auszeit.

Nachdem Boris zum Stadtmeister ausgerufen worden und dabei nicht ums Leben gekommen war, fing es an sich in Maras Gefühlswelt zu stabilisieren. Beruhigen wäre das falsche Wort, aber sie fühlte sich nicht mehr so aufgelöst. Die Trauer um Zylins Verlust hängte jeden Tag schwer an ihrem Herzen, doch es war nicht zu ändern. Dafür war die Erleichterung über Boris ‚Weiterleben’ umso grösser gewesen. Sie war froh um Arons Gesellschaft, der ihr neben Custa half, sich aufs Hier und Jetzt zu besinnen. Sein Auge war zwar immer noch etwas geschwollen, wofür sie sich weiterhin täglich bei ihm entschuldigte, so unangenehm war der Gedanke daran. Aber es heilte und zu spüren, dass es ihm wirklich egal war, weil er bedingungslos einfach ihr Freund war, gab ihr Sicherheit.

 

Überhaupt fühlte sich die gesamte Gegend wohler an, seit der Stadtmeister ausgerufen worden war: Joret und die Stadtherren von Rotsand hatten endlich einen adäquaten politischen Ansprechpartner. Die Rupianer selbst trugen zwar noch viele Fragen und Probleme mit sich herum deswegen, aber noch mehr waren sie stolz und fühlten sich gut, eine ‚starke’ Persönlichkeit klar als Anführer zu wissen, der sich für sie gegen das Terra Sonnensystem einsetzte, ihre Interessen vertrat.

Und man mochte sie für verrückt halten, aber die Energie der Luft war eine völlig andere seither. Viel mächtiger, ruhiger und angenehmer, fand Mara. Ihr gefiel es eindeutig, fühlte sich ähnlich an wie in den Steinbergen früher. Auch wenn es bedeutete, dass sämtliche Elektrizität im rupianischen Tal nicht mehr funktionierte. Es gab bereits Leute, die siedelten deswegen nach Rotsand um, denn dort war alles beim Alten geblieben. Der ‚harte’ Kern allerdings blieb, es waren hauptsächlich Zugezogene, die sich für einen Umzug entschlossen hatten und wurden dafür belächelt ‚Weicheier’ und ‚typisch Zugezogene‘ hiess es.

Merkwürdigerweise hatten kurz nach Boris Ernennung die vielen schönen Verzierungen im Verwaltungsgebäude angefangen zu ‚leben’ oder so etwas. Als ob etwas angefangen hatte durch sie hindurch zu fliessen, wie Blut in Adern. Die staunenden Besucher nahmen täglich zu und Tamsane, die weiterhin die Auskunftsstelle betreute, erhielt zusätzliche Unterstützung um so eine Art ‚Touristenführungen’ zu organisieren, damit die Leute nicht unbeaufsichtigt im Gebäude herumstolperten.

Jedenfalls funktionierten die Geräte im Verwaltungsgebäude. Wobei betont werden muss, die ‚alten’ Geräte. Alles was in den letzten Jahren widerwillig neu angeschafft worden war: Funkgeräte, zusätzliche Tablets, usw. war tot. Alles andere an Computern und Gegensprechanlagen, ja sogar Jorets ungeliebter ‚Rauschfunk’ funktionierten einwandfrei.

So verhielt es sich in allen ‚alten’ Gebäuden der Stadt, die irgendwo Verzierungen an den Wänden trugen, Boris musste sie lediglich einmal berühren, die Verzierungen, um sie zum 'Leben' zu erwecken.

Die Techniker versuchten das Geheimnis zu lüften um damit weitere Geräte bauen zu können, blieben bisher erfolglos. Einer der Schlüsselträger hatte die Leitung der eigens dafür gegründeten Abteilung übernommen.

Boris selbst entpuppte sich als wahre Wundertüte, was Informationen über den Stadtmeister und seine Fähigkeiten betraf. Wie hatte das allen nur unbemerkt bleiben können? ‚Dieser Spitzbube‘ wie Esmar zu sagen pflegte und dafür jeweils ein ‚Ja Gleichfalls’ kassierte, weil sie ebenso allen verheimlicht hatte, dass ihre Familie, bzw. sie selbst eine Schlüsselträgerin war, schon seit Generationen.

Als solche hatte sie die Leitung der Patroullienwachen übernommen. Sora die internen Stadtwachen und Esmar die um die Stadt herum. Die beiden energiegeladenen forschen Frauen bildeten ein echtes Powerteam und behielten ihre Leute im Griff.

Noch nicht so ganz im Griff hatte Boris seine Fähigkeiten selbst. Wie ein Blinder bewegte er sich nach wie vor durch dieses Meer aus Energie - Lichtern. An die Lautstärke der Stimme gewöhnte er sich nur schwer, musste immer wieder nachfragen, was gerade gesagt wurde, denn er konnte noch nicht gut unterscheiden zwischen Nebengeräuschen und ‚Wichtigem’. Dass sein Gehör besser werden würde, hatte er schon gewusst, es sich nur anders vorgestellt. Seine anderen Sinneswahrnehmungen versuchte er fürs Erste einfach zu verdrängen, zu ignorieren. Er erklärte es Mara so, dass sie sich vorstellen solle, dass sie alles, was sie im Moment gerade fühlt und wahrnimmt, wirklich alles, gleichzeitig und gleichstark empfangen würde. Also sich der Zeh, der die Socke berührt, das Bein, das die Hose berührt, sich gleich ‚wichtig’ anfühlten wie die Hand, die gerade die Tasse hält. Die Luft im Haar, die Zunge im Mund, einfach alles.

Mara hatte begriffen, hatte erstaunt genickt. Mit „Wow, das ist heftig“ kommentiert und Boris hatte ergänzt „Und dazu alles andere im Tal.“ „Wie?“ „Ja, ja.“ bestätigte Boris „Ich spüre alles andere auch. Es ist wie heissen Sand in Händen zu halten und dabei zu versuchen ein einzelnes Sandkorn zu spüren. Ich hab keine Ahnung, wie ich das machen soll. Bin froh, dass ich die Tasse“ er hob dabei die Tasse an, die er hielt „nicht fallen lasse.“ dann trank er einen Schluck. „So, ich muss los.“ hatte er gesagt und die überraschte Mara in der Küche stehen gelassen.

Die Küchentür fasste er dann an wie ein rohes Ei, denn immer noch ungewohnt war ebenfalls seine ‚physische’ Kraft, die ihn beim Ausrufen, als er hatte aufstehen wollen, in die Leute katapultiert hatte. Irgendwie hatte Mara Mitleid mit Boris, traute es ihm aber zu, dass er es schon in den Griff bekommen würde. Es fragte sich nur ‚wann’.

Die Gespräche mit den Delegierten des Terra Sonnensystems, Admiral Torns und dem Regenten Bachschaum, hatten wie erwartet ein relativ schnelles Ende gefunden. Nach zwei Tagen schon verliess die Delegation Rupes wieder. Boris hatte sie weggeschickt, mit Jorets und Barras Zustimmung.

Sie hatten dem Terra Sonnensystem die Möglichkeit angeboten in Rupes oder Rotsand Botschaften einzurichten, was einem wirklichen Entgegenkommen entsprach. Würde es dem Terra Sonnensystem doch eine engere Zusammenarbeit und kontinuierliche Informationspolitik mit Steinwelten ermöglichen.

Aber einen vertraglichen Einfluss auf den Anteil an Steintränen und dessen Preispolitik zu erhalten, geschweige denn die Übernahme oder gar Regierung der Städte, Länder oder des Planeten zu übernehmen, kam nicht in Frage. Auch nicht, wenn sie damit drohten ihre Truppen zu schicken um es sich gewaltsam zu holen.

Die Freilassung der Geiseln ‚Koron und Co.’ stiess bei Joret und Barra auf keinen fruchtbaren Boden, da sie dieselben ebenso strafrechtlich verfolgten. Und Boris liess sich nicht erpressen, er meinte, das würde Koron auch nicht wollen. Worauf Torns damit drohte, dass er Boris und Koron eigenhändig in ein Loch werfen würde. Es sei ein Hohn, hier mit einem verfolgten Kriegsverbrecher verhandeln zu müssen.

Boris bat sie also zu gehen, schickte sie fort. Sie sollen es sich mit der Botschaft überlegen. Wies abschliessend darauf hin, dass sie, insbesondere ihre Truppen, sich unbefugt auf Steinwelten aufhielten. Ihr Handeln, der Angriff und die Gefangennahme von Koron und seinen Leuten seitens Rupes als kriegerischer Erstschlag gewertet würde. Es sei mehr als entgegenkommend, sie nicht gleich festzusetzen, sondern stattdessen das Gespräch zu suchen. Niemand hier hätte Interesse an Kämpfen. Aber sollten weitere Soldaten oder Angehörige des Terra Sonnensystems in Rupes oder Rotsand auftauchen, würden sie umgehend festgenommen.

Nur um Missverständnisse zu vermeiden.“ verabschiedete sich Boris höflich aber klar und schüttelte Bachschaums Hand dabei. „Natürlich“ entgegnete dieser. Er hatte verstanden. „Sie hören von uns.“ verabschiedete sich Bachschaum mit diesem immer noch viel zu freundlichen Lächeln. Während Admiral Torns grimmiger Blick offen zeigte, dass er Boris am liebsten gleich festgenommen und irgendwo in ein Loch gesperrt hätte.

Wohl die Ruhe vor dem Sturm war es, die sich in den folgenden Tagen einstellte. Alle gingen ihrem Alltag nach, warteten der Dinge die kommen. Die Wachen Rupes und Rotsands taten ihren Dienst, bereiteten sich vor, waren wachsam.

Jolara übernahm die Rolle der Haushälterin in Boris Haus, während sich Jur den Wachen unter Esmar anschloss. Kero maulte zwar erst, sagte dann aber doch zu, auf Esmars ‚Befehl’ hin, wieder die Schule zu besuchen um den Abschluss zu machen. Mara war ja da und kümmerte sich um die Apotheke, würde Kero natürlich mitarbeiten lassen, soviel er konnte. Zusammen mit Aron genoss Mara also die Ruhe und Normalität der letzten Tage.

Ich versteh immer noch nicht, was dir so plötzlich an diesem Typen gelegen hat.“ meinte Aron während sie im Wald standen, da wo Zylin gewütet hatte und schliesslich gestorben war. Nachdenklich blickte Mara auf den Boden, die Stelle war immer noch dunkler verfärbt. Das viele Blut. Sie kniete nieder, berührte mit der Handfläche den Boden. Das Dunkle war Moos, schönes weiches Moos, das durch Zylins Blut offenbar wunderbar gedieh. Es war warm. Sie liebte es, darüber zu streichen. „Ich weiss auch nicht. Eigentlich“ sagte sie, stand wieder auf. „Eigentlich fand ich ihn einen arroganten Arsch.“ Aron nickte „Allerdings“

„Aber ich glaube, eigentlich war er ganz anders.“ „Hein?“ „Weil er Wakaner war. Denke ich.“ „Was hat das denn damit zu tun?“ „Die reden einfach nicht viel. Aber ich denke, eigentlich war er im Innersten eine ganz feinfühlige Person mit grossem Herz.“ „Ah, du meinst so wie ‚harte Schale - weicher Kern’?“ „Ja, ja. So in etwa. Und ich hab’s zu spät bemerkt. Ich vermisse ihn. Ich meine“ Mara deutete auf den Platz vor ihnen „Warum sonst hätte er das für uns tun sollen? Er ist zurückgekommen um mir zu helfen. Er hat Boris und Koron geholfen. Seine Art war halt gewöhnungsbedürftig. Und wenn ich mir’s recht überlege“ sie blickte in Aron Gesicht „Ich wüsste ja nicht, wie ich mich andern gegenüber benehmen würde nach so einer Zeit im Gefängnis. Würde mit niemandem mehr zu tun haben wollen.“ sie deutete auf den Rücken „Wusstest du, dass er überall Narben hatte? Was wohl für eine Geschichte dahinter steckte.“ „Oh, jetzt kommen mir die Tränen“ unterbrach Aron sarkastisch die anfangende depressive Stimmung, auf so schwere Kost hatte er keine Lust und Mara sollte sich das nicht antun, wie er fand. Also Themawechsel!

„Was ich dich noch fragen wollte.“ fuhr er fort „Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich ab morgen gerne wieder auf der Verwaltung arbeiten. Ich meine, nichts gegen“ er suchte nach Worten „ähh...Heu ernten, aber...“ Mara war amüsiert und unterbrach „Schon gut, schon gut. Ich denke, ich komm alleine klar. Und wenn nicht, weiss ich, wo ich dich finde. Vermutlich bist du dort ohnehin eine grössere Hilfe als hier.“ sie lächelte und freute sich über Arons Erleichterung.

Dann winkte sie mit dem Zeigefinger „Und übrigens hab ich’s schon gemerkt. Themawechsel und so“ Aron grinste verlegen, natürlich hatte er gewusst, dass sie es merkt. „Entschuldige, aber es wurde mir zu depressiv und“ nun deutete er mit dem Zeigefinger auf sie „und du solltest dir das auch nicht antun. Er ist tot. Ist richtig beschissen, immer. Aber es ist eine unumstössliche Tatsache und wir können es nicht mehr ändern. Ich bin ihm dankbar dafür, was er getan hat. Hätte er hier nicht aufgeräumt, hätte es Schwierigkeiten und Komplikationen ohne Ende gegeben. Es wäre nicht einmal sicher gewesen, ob Rotsand und Rupes überhaupt zusammenarbeiten.“ „Du hast Recht“ stimmte ihm Mara zu „abschliessend will ich einfach noch erwähnen: Er war gross und stark. Das hat mir schon gut gefallen. Sexy, irgendwie.“ „Hein?! Du findest ‚grüne’ Haut sexy?“ Mara lachte und verteilte Aron eine Kopfnuss „Idiot!“