Was Mörder nicht wissen ...

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Er überlegt lange: „Ich denke, mich haben sie abgestumpft, auch gefühlsmäßig.“

Es weiß nicht, wie sein Umfeld, seine Freunde darüber denken. Die Bilder an einem Tatort können belastend wirken.

Die Kriminalisten konzentrieren sich nochmals auf die Beweismittel, ob sie wirklich alles erfassen konnten. Diese Frau ist vermutlich erschossen worden, was fehlt, ist die Tatwaffe. Neugierig sind sie auf die Auswertung von Beweismittel 4, dem Smartphone. Können die Forensiker die Handy-Daten noch abrufen, von außen sieht es beschädigt aus. Die Mordermittler dürfen jetzt die weißen Schutzanzüge ausziehen. Moon und Light sind für den übernächsten Morgen früh aufgeboten worden, um sich im Rechtsmedizinischen Institut einzufinden und bei der Obduktion dabei zu sein, wenn die Leiche untersucht wird.

Auch im Rechtsmedizinischen Institut müssen sie Schutzkleider anziehen. Dann folgt der Morgenrapport, ein Forensiker informiert: „Im Scheitelbereich rechts sind die Haare mit Blut verkrustet, was darunter ist, kann im Moment nicht gesagt werden. Besteht hier ein Zusammenhang mit dem Messer oder war es stumpfe Gewalt mit einer der Flaschen? Die Schusswunde und Suizid sind ein Thema, da müssen wir den endgültigen Beweis abwarten. Es wurde keine Waffe vor Ort gefunden. Wir haben festgestellt, dass das Opfer 11 bis 14 Stunden vor unserem Eintreffen am Tatort gestorben ist.“

Die Leiche wurde inzwischen gesäubert und kommt in das dreidimensionale Röntgengerät. Dieses Gerät ermöglicht den Blick ins Innere und liefert Informationen zur Todesursache. Das Opfer wird nun Zentimeter um Zentimeter in Tranchen gescannt. Das 3D-Gerät hilft den Medizinern, die Daten am Computer 1:1 zu rekonstruieren, das ist Hightech in der Forensik. Es dauert, bis das Einscannen abgeschlossen ist.

Die beiden Kriminalisten, die Rechtsmedizinerin Linda Medi und ein Kollege gehen in den Kühlraum und öffnen ein Kühlfach, in welchem ein Toter im Leichensack eingepackt liegt. Linda schaut kurz die Etiketten an mit der Beschriftung, Datum und Name an, denn später folgt eine klassische Obduktion. Norwin fragt die Gerichtsmedizinerin: „Macht dir dieser Gestank nichts aus?“

„Angenehm ist es sicher nicht, es ist ein Teil unserer Arbeit, man gewöhnt sich daran.“

„Ist das nicht zu eintönig?“

„Nein, wir beschäftigen uns nicht nur mit Toten.“

Hinter der nächsten Türe erfahren sie, wie wahr diese Aussage ist. Im Nebenraum wird ein Leichnam von Assistenten der Gerichtsmedizin schön hergerichtet und aufgebahrt. Die Angehörigen haben von außen Zugang zu diesem Abschiedsraum. Für sie ist der tatsächliche Tod meistens eine schreckliche Angelegenheit. Obwohl der Tod nicht immer überraschend und plötzlich eintritt, befinden sich viele Angehörige bei der Besichtigung in einem Schockzustand. Die Gerichtsmediziner zeigen viel Empathie. Sie erleben die ganze Bandbreite der menschlichen Emotionen. Angehörige, die ihre Kinder identifizieren müssen, Geschwister, die sich schon jahrelang nicht mehr gesehen haben, unter denen es vor langer Zeit Streit gab (das wird dann eher nüchtern, kühl, erledigt). Die Gemütsbewegungen der Zurückgebliebenen gehen ab und zu auch einem erfahrenen Gerichtsmediziner unter die Haut. Manchmal ist so eine Situation sehr taff. Die Gerichtsmedizinerin sagt ganz cool: „Es ist die Vielseitigkeit, die mich begeistert.“

Kriminaltechnischer Dienst

Das Spurensicherungsteam ist in diesen Mordfall ganz vertieft. Auch im Labor müssen die Kommissare Moon und Light wegen der Hygiene den Schutzanzug, Mundschutz und Gummihandschuhe anziehen. Die zu untersuchenden Spuren dürfen auf keinen Fall kontaminiert werden. Das Messer vom Tatort wird untersucht. Auf den ersten Blick haben die Ermittler keine Spuren gesehen, aber das heißt noch nichts! Es braucht nur ein paar Zellen oder Hautschuppen, die genügen für ein DNA-Profil. Beim Messer ist nicht erkennbar, ob damit zugestochen wurde. Man sieht kein Blut. Es gibt kleine dunkle Spuren an der Messerspitze.

Moon ist voll dabei: „Wir müssen Klarheit haben, wer das Messer in der Hand hatte.“ Der Forensiker verkneift sich ein Lächeln. Er macht den Test mit destilliertem Wasser. Ist es Blut, reagiert der Teststreifen schnell. Es ist Blut. Nach jedem Test müssen neue Gummihandschuhe angezogen werden. Damit sich das Blut für die DNA-Probe gut vom Messer löst, wird die Spitze mit einem Wattestäbchen und destilliertem Wasser betupft. Der Forensiker hofft, dass die Auswertung sie weiterbringt.

Ein wichtiges Beweisstück ist das Handy. Hier ist die Chance groß, eine gute DNA zu erhalten. Es werden Abstriche am Home Button gemacht.

Die Weinflasche vom Tisch und ein Glas könnten gute Beweismittel sein. Es ist anzunehmen, dass daraus nicht nur getrunken wurde. An der Flasche sind Blut und Haare sichtbar. Das Opfer hat eine Kopfwunde. Der Verdacht liegt nahe, dass die Tote mit der Flasche geschlagen wurde. Ob der Schlag tödlich war und wie es passierte, das wird jetzt weiter geklärt.

Das Labor verfügt über ein modernes Gerät für ein spezielles Verfahren, mit dem Fingerabdrücke sichtbar werden. Die Beweismittel Weinflasche, Messer und Glas werden in diese Maschine gelegt. Der Forensiker sagt zu Moon: „Mit diesem Gerät wird Sekundenkleberleim eingespritzt, der verdampft wird. Das Geniale daran ist, dass die Leimpartikel in der Luft an den vielen Fingerabdrücken haften bleiben.“

Norwin meint: „Bin gespannt, was da zum Vorschein kommt.“

Nach einer Stunde haben sich die Partikel abgesetzt und sie können das Ergebnis betrachten. Die Kommissare Moon und Light staunen. Irritiert fragt Moon: „Die Weinflasche sieht total verstaubt aus!“ „Das sind alles Fingerabdrücke, die mit dieser modernen Technik sichtbar gemacht werden. Das bedeutet für uns viel Arbeit“, gibt ihm der Techniker zur Antwort.

Nebenan im Fotolabor werden die guten Abdrücke fotografiert, erklärt der Forensiker. Der „genetische Fingerabdruck“ erfordert von den Kriminaltechnikern viel Gespür. Für die Ermittlung sollte ein Fingerabdruck so groß wie möglich sein. Das ist eine Wissenschaft für sich. Die Kommissare fragen sich, ob sie das in diesem Mordfall weiterbringt? Von den vielen Fingerprints werden für den DNA-Abgleich Vergleichsabdrücke erstellt, um so zu erkennen, welche vom Opfer sind und welche anderen Personen zugeteilt werden können. Das ist reine Routinearbeit bei einem Mordfall. Die vorliegenden Abdrücke werden durch die Fingerabdruck-Datenbank laufen gelassen. Es dauert recht lange, bis die Meldung kommt: kein Treffer. Nils versucht es mit Humor: „Das wäre doch super, wenn wie in den TV-Krimis nach ein paar Sekunden ein Treffer vorliegen würde.“

In der realen Mordermittlung passiert das praktisch nie.

Linda bleibt im Institut der Rechtsmedizin, die beiden Ermittler verabschieden sich und fahren retour in ihr Polizeirevier. Dort besprechen und analysieren sie den aktuellen Stand in diesem Mordfall.

„Kling“, tönt es auf dem PC, Moon erhält eine E-Mail mit einer wichtigen Information aus dem DNA-Labor. Es gibt Übereinstimmungen mit einer Person A und Person B und dem Opfer. Diese Nachricht muss er zweimal lesen. Rechtsmedizinerin Linda Medi hat am Anfang der Mordermittlung gesagt, die Spuren könnten auf einen Seitensprung hindeuten. Ob ihre Vorhersage zutrifft, müssen die Ermittler herausfinden.

Norwin studiert die Handlung und den möglichen Ablauf. Er versucht, einen „roten Faden“ zu finden, was irgendwie nicht gelingen will.

Was war für die Frau tödlich?

War es der Schlag auf den Kopf oder die Schussverletzung?

Die Blutspur auf dem Messer könnte dahin führen, dass sich das Opfer wehren wollte und deshalb den Täter verletzte, somit müsste Blut an der Messerspitze und vielleicht auch am Fingerabdruck erkennbar sein.

Der Täter könnte Person A sein. Wer ist er/sie, was wissen wir darüber?

Dann eine weitere E-Mail vom Forensiker: Wieder kein Treffer in der DNA-Datenbank! Die Täter sind meistens im unmittelbaren Umfeld der Opfer zu finden. Ist B oder A der Mörder? Ist einer der beiden der Freund vom Opfer?

Hat der Unbekannte sie in flagranti erwischt und getötet?

Hat es einen Streit gegeben, der eskalierte, und der Täter ist geflohen – aber wohin? So ein Tötungsdelikt bedeutet, einen Berg von Fragen abzuarbeiten, und dazu braucht es viel Zeit.

Moon und Light erstellen eine Zusammenfassung der vorliegenden Beweismittel.


Beweismittel mit DNA-SpurenBeweisCorine L. OpferPersonAPersonB
SmartphoneNr. 4X
BlutspurSchuhabdruckBoden, TeppichNr. 5XX
WeinglasNr. 6XX
WeinflascheNr. 7XXX
BlutspurenBadezimmerNr. 8X
ZigarettenstummelNr. 9XX
Blutspur an der WandNr. 10
Patronenhülse vom Boden (Laboratory Imaging)Nr. 11
SpermaspurenNr. 13X
3 Spermaspurenim SchlafzimmerNr. 14X
Blut am KüchenmesserNr. 15XX
Projektil 9 mmLuger (BallScan)Gefunden in derBadewanneNr. 17X
Pistole SIG P220 Kaliber 9 mmGefunden im Gebüsch vor dem HausNr. 18X
Schmauchspuren am TürrahmenNr. 19
CT dreidimensionales Röntgengerät-X

„Wir fahren morgen nochmals ins Institut der Rechtsmedizin, dort erhalten wir weitere Hinweise“, sagt Norwin. Ein paar Minuten später meldet sich die Rechtsmedizinerin Linda Medi: „Morgen Nachmittag wird das Opfer obduziert.“

 

„Wir sind dann im Institut und treffen uns dort. Danke für die Info.“

„Nils, du bist morgen bei der Leichenschau mit dabei. Wir fahren zusammen.“

Institut Rechtsmedizin Radiologie

Schon früh am Morgen fahren Kommissar Norwin Moon und Nils Light in die Rechtsmedizin. Ein Rechtsmediziner betrachtet die Ermittlungen aus einer ganz anderen Perspektive und erklärt: „Auf diesem Schichtröntgenbildquerschnitt dieser 3D-Röntgenaufnahmen ist auf der linken Seite die Kopfwunde gut erkennbar und man sieht auch einen Riss in der Schädeldecke.“

Norwin fragt: „Ist diese Verletzung durch einen Sturz oder durch einen Gegenstand wie die Weinflasche entstanden? Kann man an so einem Schlag sterben?“

„Diese Frage können wir noch nicht beantworten.“

„Im Brustbereich ist es wegen des weichen Gewebes schwieriger. Spuren des Schusses auf dem Bildschirm zu sehen, ist nicht einfach. Auf dem Bildschirm seht Ihr viel Grau, das ist Flüssigkeit, könnte Blut sein vom Herzen her. Es ist auffallend, dass beim Einschussloch wenig Blut war. Das wäre die Erklärung, wohin das ganze Blut geflossen ist. Der Blutverlust nach innen ist sicher ein Thema. Wir werden zur Erstellung von DNA-Profilen histologische Untersuchungen der Gewebeschnittteile und toxikologische Untersuchungen von Körperflüssigkeiten oder Organen durchführen lassen.“

Woran ist das Opfer gestorben?

War es der Schlag auf den Kopf oder der große Blutverlust vom Schuss? Diese Frage ist noch nicht beantwortet.

Forensische Medizin – Klinische Obduktion/Autopsie

Die äußere Besichtigung der Leiche wurde am Tatort in der Wohnung der Toten durchgeführt. Jetzt erfolgt die innere Leichenschau, die zur Feststellung der Todesursache und zur Rekonstruktion des Sterbevorgangs durchgeführt wird. Obduktionen werden von Pathologinnen/Pathologen und Rechtsmedizinerinnen/Rechtsmediziner durchgeführt.

Die Kommissare sind für 13:00 Uhr mit Linda Medi verabredet, um bei der Obduktion der toten Frau anwesend zu sein. Sie fahren mit dem Lift in die unteren Stockwerke, wo die Leichen gelagert werden und die rechtsmedizinischen Untersuchungen (Sektionen) stattfinden. Zwei Assistenten, die Rechtsmedizinerin und die Kommissare Moon und Light sind anwesend. Die Toten werden immer nach demselben Schema geöffnet. Je nach Bundesland schneiden Gerichtsmediziner die Männer Y-förmig auf und die Frauen U-förmig. Wegen des Totenhemdes werden unterschiedliche Schnitte gemacht. Angehörige können so Abschied nehmen, ohne die Schnitte zu sehen. Wenn der Bestatter den Rechtsmediziner anruft und ihn darum bittet, dann werden diese Schnitte so gemacht. Die Ausnahme ist in Berlin, dort werden Leichen fast nicht mehr aufgebahrt.

Die Organe werden eines nach dem anderen entnommen. Je nach Leichnam ist dies oftmals eine berufliche Herausforderung. Leichen, die lange Zeit irgendwo gelegen haben, sind am ekligsten. Im Sommer gibt es viele Fäulnisleichen, wenn die Maden in der Leiche rumkrabbeln, die Fliegen herumschwirren, dann spüren das die Medizinerin mit allen Sinnen. Es stinkt unangenehm. Diesen Gestank nehmen Norwin und Nils anschließend mit nach Hause. Dieser bleibt in den Haaren und in der Wäsche so zu sagen als Andenken an diese Sektion hängen.

Für die Medizinerin ist das heute einfach eine Leiche. Sie untersucht die Organe mit allen Flüssigkeiten akribisch. Es riecht gegoren, die Hirngefäße sind sehr fein. Jedes Detail wird festgehalten. Es begeistert sie, dass man sieht, was mit einem Körper passieren kann und was die physikalischen Kräfte wie Wasser und Feuer, mit einem Körper machen können. Bei Unfällen oder Verbrechen kann das schnell gehen. Wie dünn ein Schädelknochen ist, wie fragil der Brustkorb, das ist einfach spannend. Linda Medi erkennt sehr schnell, woran eine Person gestorben ist. Sie betrachtet die Augenbindehäute. Sind dort punktförmige Einblutungen, kann das ein Hinweis auf Ersticken sein. Wenn sie keine Totenflecken sieht, dann weiß sie, dass das Opfer wahrscheinlich verblutet ist.

Es ist mehr, als nur das Herz des Toten in der Hand zu halten. Sie denkt dabei an die Angehörigen und daran, dass sie denen in die Augen schauen und sagen kann: „Die Verstorbene musste nicht leiden.“

Es kommen dann Fragen wie: „Hatte sie Schmerzen?“

„Nein, es ging ganz schnell, sie war bewusstlos, hat gar nichts mehr mitgekriegt.“

Das hilft den Menschen, es bedeutet der Gerichtsmedizinerin auch viel, dass sie jemanden trösten konnte. Wie kostbar das Leben ist, zeigt der Tod dieser Frau, Tag für Tag erlebt sie das.

In diesem Moment ist Linda glücklich. Es ist die Erfahrung, einfach nur am Leben zu sein, in diesem Moment hier zu sein. Das ist unglaublich.

Für die Angehörigen ist es hart. Sie leben in der Realität und müssen damit umgehen. Es ist schmerzhaft, mitzuerleben, wenn ein Familienmitglied verstorben ist. Schlimm wird es dann, wenn man auf ein Foto blickt und den liebsten Menschen sieht. Dann wird die Erkenntnis vermittelt, wie fragil das Leben ist. Sind wir tot, dann sind wir weg. Fotos sind alles, was von uns bleibt. Wie kann außer mit Fotos der Beweis erbracht werden, dass wir existierten? In diesem Moment ist vielen Menschen ihre Sterblichkeit bewusst. Natürlich hoffen sie alle, noch lange leben zu können. Das Leben geht weiter.

„Gibt es Fälle, bei welchen ein Rechtsmediziner an seine Grenzen und Vorstellungskraft kommt?“, will Nils unbedingt von Linda wissen!

„Ja, die gibt es. Ein Kollege der Rechtmedizin hat mir erzählt, wie Eltern ihr Kind jahrelang in einem dunklen Zimmer gefangen gehalten haben, ohne Essen, ohne Spielzeug. Die Knochen des Mädchens hatten kein Wachstum und es war total unterernährt. Er erzählte, wie er bei der Obduktion Mörtel in ihrem Magen gefunden hat. Sie hatte das vor lauter Hunger aus der Wand gekratzt.“

Nils wird langsam blass im Gesicht.

„Er erzählte auch vom Fall eines sechsjährigen Jungen. Der wurde von Hunden gejagt, niemand konnte ihm helfen. Die Hunde wurden eingeschläfert. Der Rechtsmediziner musste die beiden obduzieren, ob diese durch Kokain oder Anabolika scharf gemacht wurden. Aus dem Magen eines der Hunde hatte er das komplette Gesicht des kleinen Kindes geholt. Die Hunde waren für die Jagd trainiert. Sie hatten eine extrem starke Muskulatur.“

„Konnte der Mediziner noch weiter obduzieren?“

„Wenn er das nicht könnte, würde das seine Professionalität einschränken, das betrifft auch meine Arbeit. Wir können es uns nicht leisten, betroffen zu sein.“

Ganz benommen von dieser Erkenntnis und den Informationen, verlassen Norwin und Nils diesen Ort und verabschieden sich von Linda und den Assistenten. Morgen sind sie mit dem Waffenspezialist verabredet.

Forensische Ballistik

Die Kriminaltechniker haben in der Nähe des Tatortes die Wiese abgesucht und die mutmaßliche Tatwaffe gefunden. Die Waffe wurde eingepackt und an die Kriminaltechnik zur Untersuchung gegeben. Sie werden vom Kriminaltechniker empfangen. Beide müssen Mundschutz und Gummihandschuhe anziehen. Es ist höchste Vorsicht geboten, die Waffe könnte noch geladen sein. Der Forensiker packt die Waffe vorsichtig aus. Moon hat mit ihm bei der Tatortuntersuchung in der Wohnung die Hülse gefunden. Das Projektil lag in der Badewanne und sie konnten Schmauchspuren sichern. An seinem Arbeitsplatz im Labor erklärt der Experte: „Als erste Handlung werden mögliche Spuren gesichert. Am geriffelten Griff sind Fingerabdrücke kaum zu finden, aber vielleicht eine DNA vom Täter. Die Pistole ist eine SIG P220.“

Dann gehen sie zu dritt nach unten in den Schiesskeller. Dort wird beurteilt, ob die Waffe geladen ist oder nicht bzw. ob noch eine Kugel im Lauf ist. Hier unten müssen alle wegen des Schmauchs beim Schießen einen Arbeitskittel anziehen, Kopfhörer und Brille aufsetzen. Der Waffenexperte erklärt sein Vorgehen: „Ich nehme jetzt das Magazin heraus. Seht Ihr, es sind noch zwei Patronen darin, die Waffe war mit einer weiteren Patrone geladen. Wie leicht hätte sich auf dem Transport sein Schuss lösen können. Das war gefährlich.“

„Und wie!“, bestätigt Norwin.

„Die Waffe werde ich jetzt beschießen.“

Nils: „Was heißt das genau?“

„Ich werde einen kontrollierten Schuss im Waffenkanal abgeben, damit wir ein Projektil und eine Hülse von dieser Pistole haben.“ Der Schuss wird in einer extra hergestellten Schusskanal-Holzbox abgefeuert. Das Projektil wird in diesem Schusskanal festsitzen, dann wird es für den Vergleich herausgenommen. Dann erzählt er gleich von einem Vorfall: „Vor kurzem hat ein Polizist durch unvorsichtiges Hantieren mit der Waffe einen Schuss ausgelöst. Bei einer Handfeuerwaffe muss zuerst das Magazin entfernt und anschließend ein Entladen durchgeführt werden. Es könnte sich noch eine Patrone im Patronenlager befinden. Bei einer Waffentragebewilligung wird das gelernt. Aus Versehen drückte der Polizist ab und ein Schuss löste sich. Er war zum Glück alleine in der Kabine. Er ist unverletzt, musss sich aber mit Verdacht auf ein Gehörproblem ärztlich untersuchen lassen.

Der Waffenexperte ruft: „Achtung Schuss.“

Der Schusskanal besteht aus einzelnen Kammern. Dazwischen ist ein Blatt Papier, damit man erkennt, wie weit das Projektil durchgedrungen ist und es so schnell finden kann. Der Schusstest ist ein sehr wichtiges Beweismittel. Jede Waffe hinterlässt unverkennbare Spuren an der Hülse und dem Projektil. Und sie hat ihr eigenes Individualmerkmal, das kommt vom Zündstift her, dann vom Lauf. Es ist somit ein ‚Fingerabdruck‘ der Pistole. Nach dem Schusstest folgt ein sehr vorsichtiges Entladen der Waffe. Arbeitskittel, Kopfhörer und Brille können sie wieder ausziehen, jetzt geht es wieder ins Labor nach oben.

Der Forensiker untersucht dort die Schmauchspur. An der Hand wurde vom Opfer eine Probe genommen. Auf diese Probe wird eine Chemikalie gesprayt, die nicht reagieren sollte. Es passiert nichts, keine chemische Reaktion. Das beweist, dass die tote Frau nicht geschossen hat. Die Probe von der Badezimmertüre zeigt eine farbliche Reaktion auf den Schmauch. Am Türblatt hat sich Schmauch festgesetzt, man sieht dies als kleine Punkte. Daraus kann abgeleitet werden, dass der Schuss bei der Türe im Bad abgefeuert wurde.

Es muss noch abgeklärt werden, ob wirklich mit dieser Pistole geschossen wurde. Hülse und Projektil werden mit dem BallScan (Laboratory Imaging) vergrößert und die Individualmerkmale damit verglichen. Der Techniker zeigt den beiden die Vergrößerung: „Seht Ihr hier die verschiedenen Linien? Auf dem linken Bildschirm seht Ihr die Hülse vom Tatort und auf dem rechten die vom Schiesskeller.“ Die Bilder werden richtig positioniert, dann erkennen sie, dass beide gleich sind und von derselben Waffe abgeschossen worden sind. Es wird nach weiteren Abstimmungsmerkmalen gesucht. Für die Beweisführung vor Gericht ist es von Vorteil, wenn es mehrere gibt.

Moon kommt zu folgender Schlussfolgerung: „Das Opfer hat die Waffe nicht selber abgefeuert, es hat an den Händen keine Schmauchspuren. Der Mörder hat in der Umgebung der Türe den Schuss abgegeben, dort gibt es Schmauchspuren. Weiter steht fest, dass die Hülsen dieser Waffe übereinstimmend und von dieser abgefeuert worden sind.“

„Ja, das ist so. Ich werde das in meinem Bericht festhalten und Ihnen diesen zusenden“, bestätigt der Waffenexperte. Norwin und Nils bedanken sich: „Wir müssen jetzt zum Physiker von der Rechtsmedizin. Wo finden wir sein Labor?“

„Einen Stock höher, dort ist es angeschrieben.“

Physiker Rechtsmedizin

Die Weinflasche vom Tatort ist noch ein wichtiger Teil. Reichte ein Schlag für tödliche Verletzungen? Sie begrüßen den Physiker der Rechtsmedizin. Auch bei diesem Test werden Kittel, Schutzbrille und Handschuhe angezogen. Er geht der Frage nach, welche Schlagkraft mit so einer Flasche erreicht werden kann.

Norwin hat das so noch nie gesehen: „Für den Test habe ich einen kopfähnlichen Gegenstand hergestellt, auf welchen die Flasche geschlagen wird.“

„Wie machen Sie das?“

„Auf den Kopf trage ich eine dünne Schicht Plasticine auf, die das dünne Gewebe am Schädel simuliert.“

Nils kann das fast nicht glauben: „Das funktioniert so?“

„Jawohl. Der (Kopf-) Gegenstand hat physikalisch dieselbe Widerstandskraft wie ein echter Kopf. Wir gehen davon aus, dass die Flasche viel robuster ist, als man glaubt. In TV-Filmen sind die Flaschen aus Zucker, da ist man gewohnt, dass diese einfach und leicht in Brüche gehen. In der Praxis ist dies nicht der Fall.“

 

Die Ermittler stehen sehr nahe am Testgerät und sind gespannt, was da passiert. Der Rechtsmediziner lässt eine Flasche auf den nachgebildeten Kopf sausen. Fast wie bei einer Schiffstaufe, nur bei diesem Test bleibt die Flasche ganz. Eine Verletzung am Kopf wäre wahrscheinlich und vermutlich ein Schädelbruch. Der Physiker hat die Bilder vom CT gesehen und sagt: „Es wurde ein Bruch am Kopf wurde festgestellt und auch, dass innerhalb des Schädels Blutungen aufgetreten sind. Es ist anzunehmen, dass der Schlag mit der Flasche auf den Kopf nicht zum Tod geführt hat.“

Moon resümiert: „Somit können wir davon ausgehen, dass die Verletzung am Herzen durch den Schuss als Todesursache sehr wahrscheinlich ist. Die Kugel ist durch den Körper hindurch und hinten rausgetreten. Die endgültige Antwort wird uns die Rechtsmedizin geben.“

Im Polizeirevier besprechen die Ermittler den Mordfall. In diesem Verbrechen werden wichtige Mosaiksteine zusammengefügt, damit der Tatvorgang geklärt werden kann. Die Ermittler haben die Beweise, dass die Pistole die Tatwaffe ist. Auch die Schmauchspuren wurden dieser Waffe zugeordnet. Was noch fehlt, sind die Namen der DNA-Spuren der Vergleichsproben.

Norwin sagt zu Nils: „Wir müssen der Spur nachgehen, wie die Fingerabdrücke von Person B auf die Weinflasche am Boden kommen? Wurde die Frau tatsächlich kaltblütig erschossen? Ist sie auf den Mörder losgegangen und ein Schuss hat sich in einer Kurzschlusshandlung gelöst?“

Moon ruft den Techniker an, welcher die Tatortszenerie erstellt hat: „Ja, ja, gut, das würde passen, dann bis morgen.“

Vermessungs-Ingenieur Rechtsmedizin

Moon und Light sind im Technikerraum und hoffen, dass die Rechtsmedizin ihnen weiterhelfen kann. Die Tatortermittlung wurde eingescannt, das Computermodell ist anatomisch bewegbar.

„Wir arbeiten hier mit der modernsten Technik“, erklärt der Ingenieur. „Das heißt?“, fordert Moon den Mann heraus. „Die dargestellten Personen haben genau die Proportionen der toten Frau. Diese Daten wurden vom CT und vom äußeren Scan erfasst. Jedes Detail ist ersichtlich, die Verletzungen, die Oberfläche der Haut und ihr Skelett.“

„Somit sind die Verstorbenen alle etwa gleich?“

„Nein, auf keinen Fall. Bei jedem Toten werden die Daten individuell angepasst, dadurch lässt sich der Schussverlauf im Bild feststellen, die Ein- und Ausschusslöcher sind beim Opfer gut sichtbar. Erinnern Sie sich, bereits am Tatort wurde virtuell das Gleiche gemacht. Das Einschussloch im Duschvorhang und das am Schwamm beim Badwannenrand müssen stimmen, wenn die roten Linien in der virtuellen Nachbildung erstellt werden.“

Norwin ist beeindruckt und sagt anerkennend: „Für den Staatsanwalt sind solche Nachbildungen des Tatvorganges bei Mord von großer Bedeutung.“

Der Radiotechnologe beschreibt die Zukunft: „Wir entwickeln moderne und digitale Technologien, die auf der Jagd nach Killern eingesetzt werden. Anhand der DNA können wir Haut-, Augen- und Haarfarbe, Herkunft und Alter bestimmen. Diese Technik darf noch nicht offiziell eingesetzt werden. Das wird im Parlament mit einer entsprechenden Gesetzesgrundlage verabschiedet. Auf jeden Fall können wir mit dieser Methode ungeklärte Mordfälle lösen.“

„Was kann man sonst noch damit machen?“, fragt Moon interessiert.

„Der neue Fingerabdruck ist die Stimme eines Mörders.“

„Wirklich! Das ist den Mördern sicher nicht bekannt!“

„Wir können den virtuellen Tatort danach zugänglicher machen als den echten. Wir arbeiten mit Laser statt mit dem Maßband. Roboter kommen anstelle von Rechtsmedizinern zum Einsatz. Mit unserer neuen Technologie entlarven wir fast jeden Mörder. Die haben keine Chance mehr, uns zu entkommen. Das zeigt sich in der Statistik in der sehr hohen Aufklärungsquote (über 90 Prozent).“

Rundgang in der Radiologietechnik

„Bevor wir die Ergebnisse des Mordfalles anschauen, zeigen wir Euch unsere Hightech-Anlage.“

Sie gehen in einen Raum im Keller. Dort hängt an der Decke ein Roboterarm. Direkt darunter stehen ein Computertomograph und zusätzlich ein Scanner, welcher mit mehreren Kameras bestückt ist. Mit diesem Gerät können die Mediziner eine Autopsie ohne einen Schnitt vornehmen. Der technische Fortschritt ist so weit, dass damit eine Leiche obduziert wird, ohne sie zu beschädigen. Es dauert ein paar Sekunden, dann liefert das Gerät ein dreidimensionales Abbild der Leiche. Die scharfen Aufnahmen geben Aufschluss zu der Todesursache. Bei Verbrechen liefert das Gerät auch den Tathergang und die Waffe.

„Sehr beeindruckend, jetzt müssen einige Mörder zittern, denn die wissen nicht, was die heutige Technik in der Mordermittlung leisten kann! Das betrifft auch alle alten Mordfälle, da laufen noch viele Mörder frei herum“, bestätigt Moon und reibt sich genüsslich die Hände.

Der Mediziner: „Die Spezialkameras bilden nicht nur die Oberfläche ab, wie wir das von Fotoapparaten kennen. Mit diesem Gerät gehen wir tief unter die Haut.“

„Wie weit geht das?“

„Mit der richtigen Kameraeinstellung werden Verletzungen unter der Haut sichtbar, die man von außen nicht erkennt. Auch Spuren von fremden Körperflüssigkeiten am Körper werden sichtbar, das ist bei Sexualverbrechen wichtig.“

Moon macht eine Anmerkung: „Das ist wirklich wichtig, weil diese Verbrechen enorm gestiegen sind. Die Zahl der polizeilich erfassten Fälle von Vergewaltigung und sexueller Nötigung und sexuellem Übergriff mit besonders schweren Fällen, einschließlich Todesfolge, ist gestiegen. Von den Sexualstraftaten werden leider nur 5 % bis 8 % angezeigt. Im Durchschnitt jede dritte Frau wird Opfer einer Gewalttat, einer Vergewaltigung oder eines Angriffs. Deshalb finde ich diese Technik sehr gut.“

Virgin Reality – digitale Forensik

Voller Stolz erklärt der Ingenieur den beiden Kommissaren seine neuste Technik in der Mordermittlung:

„Sie erleben jetzt einen Blick in die Zukunft, mit Virgin Reality. Mit der 3D-Brille gehen wir zurück an den Tatort.“

Moon wird eine Brille in der Größe einer Skibrille aufgesetzt. Er kann den Tatort abrufen und hat das Gefühl, als wäre er mitten im Tatort. Das ist eine unglaubliche Dimension in der Tatortermittlung. Virtuell lassen sich die verschiedenen Tatortmöglichkeiten abrufen und einstellen. Das ist ein ausgezeichnetes Hilfsmitte für die Ermittler, den Staatsanwalt, die Richter und auch die Befrager der Täterschaft.

Mit Virgin Reality kommt man virtuell nochmals in den Tatort hinein, die Erinnerungen werden verstärkt und das hilft dem Gedächtnis auf die Sprünge. Norwin zieht die Brille ab, reicht sie Nils: „Genial, das ist Zukunft in der Mordermittlung.“

Der Techniker meint: „Mit diesem Gerät werden die kleinsten Verletzungen an den Knochen abgebildet. Bei der Schussabgabe können wir die Richtung, den Winkel, mit dem das Projektil abgefeuert wurde, bestimmen, was im vorliegenden Mordfall wichtig ist.“

Wir sind jetzt in der digitalen Forensik.

Moon und Light besprechen mit dem Techniker, was noch fehlt. „Wir brauchen die beiden Namen von Person A und B.“ Das Smartphone vom Tatort hat dem Opfer gehört. Die Forensiker durften erst auf diese Daten zugreifen, nachdem der Staatsanwalt den offiziellen Auftrag dazu erteilte. Bei Tötungsdelikten oder Kapitalverbrechen ist dies enorm wichtig. Der Digital-Forensiker knackt die Sperrung vom Handy. Wie er das macht, bleibt sein Geheimnis. Dank einer speziellen Software kann er jedes kleine Detail herauslesen.

Auf dem Bildschirm werden Anrufnummern, Chats, hunderte von Bildern sichtbar. Eine gigantische Datenflut steht den Kommissaren zur Verfügung. Es ist verrückt, was da alles nachträglich erkennbar gemacht werden kann. Ein Handy ist effektiv ein digitales Tagebuch aus dem Privatleben eines Menschen. Dank dieses Tagebuchs haben die Ermittler zwei Namen samt Telefonnummern herausgefunden. Der eine verdächtige Mann A heißt Aabid P., der zweite Mann B Chris W. Diese beiden Personen gelten ab sofort als verdächtig. Von den beiden Verdächtigen lassen die Ermittler Schuhe abholen. Sie erstellen einen Abdruck und wollen wissen, ob einer auf die blutige Schuhspur vom Tatort passt.

Mit der DNA finden die Forensiker Blut auf dem Messer. Bei einem der Verdächtigen gibt es Spuren am Hals des Opfers und DNA auf der Tatwaffe. Alle Beweismittel und DNA-Spuren haben den mutmaßlichen Täter überführt. Trotz modernster Hightech-Geräte auf der Jagd nach Mördern müssen Fingerabdrücke und DNA-Proben von Ermittlern weiterhin am Tatort gesichert werden. Die werden dann im Bereich der Forensischen Genetik untersucht.