Das unselige Vermächtnis

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Das unselige Vermächtnis
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Liselotte Riedel

DAS UNSELIGEVERMÄCHTNIS

Geschichten aus Südthüringen

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2016

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Titelfoto © Klaus Riedel

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

HERRN OTTO VON BUTLER GEWIDMET

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Das unselige Vermächtnis

Stutzel

Das Sagenbüchlein

VORWORT

Für die vorliegenden Erzählungen habe ich mich durch Gerstäcker, Bechstein und Wucke inspirieren lassen. In der Geschichte vom treuen Hund Stutzel bin ich mit den historischen Fakten etwas großzügiger umgegangen, auch eine Art Reinhardsbrunner Fälschung. Und das Sagenbüchlein? Hier bin ich ungezügelt meiner Fantasie gefolgt, gemäß den Worten Fontanes, dass unsere Lieblingsgestalten, die Gespenster, unter einer sehr dünnen Decke schlafen …

DAS UNSELIGE VERMÄCHTNIS

Es war ein schöner sonniger Abend. Der Herbst hatte bereits angefangen, die Blätter bunt zu färben, und die Menschen waren aus der kleinen verräucherten Gaststätte, die am Rande der Stadt lag, in den Biergarten umgesiedelt. Es war ein Werktag, und das Geschäft ging mäßig. Der Wirt, hemdsärmlig und mit nicht allzu sauberer Schürze vor dem umfangreichen Bauch, stand nicht hinter der Theke, sondern in der Eingangstür. Als geschäftstüchtiger Mann hätte er längst die beiden jungen Leute, die mit leeren Gläsern unter einer schattenspendenden Kastanie saßen, fragen müssen, ob sie noch ein Bier wollten. Aber er war nicht geschäftstüchtig, auch der Drang, mit seinen Gästen Konversation zu machen, ging ihm ab. Nicht einmal ihre Unterhaltung, die er mit einiger Anstrengung hätte verstehen können, interessierte ihn.

»Sprich nicht so laut, Erich«, sagte der dunkelhaarige der beiden jungen Leute.

»Tut nichts, der olle Dietrich hört sowieso nicht hin«, erwiderte der andere. Aber er dämpfte doch seine Stimme, um sie gleich wieder zu erheben. »Noch ein Bier, Diet!«

Es dauerte eine Weile, bis der ›Diet‹ genannte der Aufforderung nachkam.

»Wenn es wahr ist«, fuhr Erich fort, »hat Dietrich in jungen Jahren mal zu einem Gast gesagt, ›wegen deinem einem Bier laufe ich doch nicht extra zur Theke!‹«

»Also ein Original.« Der Dunkelhaarige lachte herzlich.

»Kaum; eher ein ganz gewöhnlicher Muffel, ein Ganztagsmuffel sozusagen. Er profitiert nur von der fehlenden Konkurrenz.«

»Viel Profit scheint er aber trotzdem nicht zu machen.«

»Nein.« Der heitere Ausdruck in Erichs Gesicht verschwand. »Ich muss dir etwas sagen, Frieder, das heißt, ich wollte dich etwas fragen. Deshalb habe ich dich heute hergebeten.«

»Dann schieß los! Du machst es ja richtig feierlich.« Einen Moment lang zögerte Erich noch, um dann abrupt herauszuplatzen: »Das Problem ist, ich habe geerbt.«

Auf dem Gesicht des dunkelhaarigen Frieder wechselte sich Belustigung mit bemühtem Ernst ab. »Geerbt«, sagte er schließlich, »na und? Wo ist das Problem?«

»Das liegt doch auf der Hand; es gibt schließlich nur ein einziges Problem beim Erben: Ich weiß nicht, ob ich das Erbe nicht besser ausschlage.«

»Also«, erwiderte sein Freund, »das musst du mir schon genauer erklären. Als armer Schlucker, der ich bin, war ich noch nie in der Lage zu erben. Ich könnte mir aber vorstellen, dass es noch andere Probleme gibt, vielleicht, dass dir die Hinterlassenschaft streitig gemacht wird oder dass man dich einen Erbschleicher nennt.«

»Da ist keine Gefahr, mein Onkel hatte außer mir keine weiteren Angehörigen.«

»Das zumindest ist beruhigend«, warf Frieder ein, »und warum willst du nun die Erbschaft ausschlagen? Hatte der Onkel Schulden, die du mit übernehmen musst?«

Erich zögerte mit der Antwort.

»Er hatte also welche?«, schlussfolgerte sein Freund, »warum unterhältst du dich nicht mit einem Rechtsanwalt darüber? Ich als einfacher Revierförster kann dir da kaum einen Rat geben.«

»Weil die Angelegenheit etwas heikel ist, weil du mein Freund bist, und zu deiner anderen Vermutung: Nein, mein Onkel hatte keine Schulden. Übrigens bin ich nicht so unbedarft, wie du glaubst, der Notar hat mich einigermaßen aufgeklärt.«

»Dann wäre es schön, wenn du mit mir das Gleiche tun würdest. Wo steckt denn überhaupt der phlegmatische Kneiper?« Frieder warf einen Blick in sein leeres Glas und einen weiteren nach der Tür, die jetzt nicht mehr von der imposanten Gestalt des Wirtes ausgefüllt wurde.

»Ich gehe nachsehen.« Erich erhob sich und verschwand im Innern des Gastraumes. Frieder blickte ihm amüsiert hinterher; es war zu offensichtlich, dass sein Freund nur Zeit gewinnen wollte.

Als der Nachschub gekommen war und sie den ersten Schluck genommen hatten, sagte Frieder: »Nun erzähle mal schön der Reihe nach!«

Und Erich tat es. Der Onkel habe ihm etwas Geld und ein Haus, dasjenige, in dem er bis zu seinem Lebensende gewohnt hatte, vererbt. Das Haus war ziemlich heruntergekommen, da der Onkel jahrelang allein darin gelebt hatte und zudem zuletzt krank und hinfällig gewesen war. »Das ist die ganze Geschichte«, schloss er.

»Und du meinst, so wie das Haus jetzt ist, kann man es niemandem zum Kauf oder zur Miete anbieten?«

»Richtig.«

»Andere Frage: Was verstehst du unter etwas Geld? Ist das nicht sehr relativ ausgedrückt?«

»Etwas Geld«, erwiderte Erich, »sind in diesem Fall 3000 RM; ja, du hast Recht, für den einen mag es viel sein, besonders jetzt, nachdem sich der gebeutelte Bürger von der Inflation erholt. Das ist, wie du sagst, relativ. Aber wie dem auch sei, die Summe reicht auf keinen Fall, um die alte Ruine in einen bewohnbaren Zustand zu versetzen.«

»Das muss ja eine schlimme Behausung sein. Warum überlässt du das Erbstück nicht einfach dem weiteren Verfall?«

»Davon hat mir der Notar eindringlich abgeraten.«

»Hm«, meinte Frieder nachdenklich, »vielleicht sollten wir es uns einfach einmal ansehen, ehe es ganz zusammenfällt.«

»Genau das ist die Bitte, die ich an dich habe.«

»Und du glaubst, mein täglicher Umgang mit Holz macht mich zu einem sachkundigen Berater?«

»Unsinn«, erwiderte Erich, »ich habe dir das alles erzählt, weil du mein Freund bist. Ich hätte es auch getan, wenn du Pfarrer oder Hutmacher wärst. Du weißt, dass du mein vollstes Vertrauen hast.«

Frieder war ein Gefährte aus Jugendtagen, und Erich pflegte diese Freundschaft, zumal er nach kurzer Ehe Witwer geworden war und als von Natur aus zurückhaltender Mann nur wenig Abwechslung hatte.

Eine Viertelstunde später erklommen sie den Berg, der über dem malerischen Städtchen Breithalde aufragte. Frieder, der aus einem benachbarten Dorf stammte, sagte mit einem Blick auf die unter ihnen liegende Stadt: »Ich kann mich nicht erinnern, dass ich hier oben schon einmal war. Dein Erbonkel war wohl in jüngeren Jahren gut zu Fuß?«

„Möglich“, erwiderte sein Freund, „um ehrlich zu sein, wir hatten keinen besonders engen Kontakt.«

»Mit anderen Worten, du hast dich überhaupt nicht um ihn gekümmert.«

»So einfach lagen die Dinge nicht«, erwiderte Erich, ohne die mindeste Kränkung erkennen zu lassen. »Ich habe den Onkel, seit ich ein kleiner Junge war, stets am Neujahrstag zusammen mit meiner Mutter besucht, er war ihr einziger Bruder. Für diese Liebesmüh bekam ich von dem alten Herrn immer zwei RM zugesteckt. Ob sich seine Mildtätigkeit auch auf meine Mutter erstreckte, weiß ich nicht. Nötig hätte sie es gehabt. Mehr Kontakte wünschte er nicht.«

»Aber es war doch nicht das Elternhaus deiner Mutter, sie hat doch unten im Ort gewohnt, oberhalb von euerm Laden. Wie ist denn der Onkel an diesen Riesenkasten geraten? Auch geerbt?«

»Ich glaube, durch Heirat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er es gekauft hat.«

»Dann muss er ja eine gute Partie gemacht haben“, vermutete Frieder.

»Scheint so; ich glaube, das Haus hat sich vor langer Zeit ein Fabrikant für seine zahlreiche Familie gebaut.«

»Und wie war das mit der Apanage? Hast du dir, als du schon ein junger Mann warst, der zu den schönsten Hoffnungen berechtigte, weiterhin die Zuwendung von zwei RM abgeholt?«

»Ja.«

»Und wurde sie mit den Jahren etwas angepasst, an den Markt oder vielleicht an dein Alter?«

 

»Nein.«

»Dann können wir also sagen«, resümierte Frieder, »dass du deinen Wohltäter vor einem reichlichen halben Jahr das letzte Mal gesehen hast.«

»So ist es.«

Eine Weile herrschte Schweigen zwischen den beiden jungen Leuten. Frieder betrachtete das Haus, das in der Mitte eines verwilderten Gartens stand, wie ein Makler, der überlegt, ob und wie man es am günstigsten präsentieren könne. Es war ein Klinkerbau; die ursprüngliche Farbe, ob gelb oder rötlich, war nicht mehr erkennbar. Große Fenster ohne spiegelnden Glanz verliehen dem Gebäude etwas Abweisendes.

Der bucklige Pfad von der schief hängenden Gartentür bis zu der breiten Eingangspforte war nicht so überwuchert wie das übrige Gelände. Er war wohl öfter begangen worden.

»Wer hat deinen alten Erbonkel eigentlich versorgt, wenn er das selbst nicht mehr konnte?«

»Eine Frau aus dem Ort, aber frage mich nicht, ob sie täglich kam oder nur einige Male in der Woche.«

»Ist ja ein riesiger Kasten«, sagte Frieder, der sich anschickte, die Rückseite des Hauses in Augenschein zu nehmen.

»Ist es; aber von hinten wirkt es auch nicht einladender. Gehen wir lieber hinein!«

Erich zog einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete die zweiflügelige Haustür. Der dumpfe Geruch eines unbewohnten und ungelüfteten Gebäudes schlug ihnen entgegen.

»Irgendwo muss hier auch ein Lichtschalter sein«, murmelte Erich und tastete an der Wand herum.

»Lass nur, es wird auch so gehen«, erwiderte der Freund und wies auf das große Fenster auf dem oberen Treppenabsatz, durch dessen Staub ein milder Abglanz der Abendsonne hereindrang.

»Wo beginnst du mit der Führung?«

»Im Obergeschoss; die Bodenräume erlass ich dir; ich kenne sie übrigens selbst nicht. Dort bin ich nie gewesen.«

»Wir sollten sie aber trotzdem nicht auslassen, vielleicht sind dort vergessene Reichtümer versteckt“, vermutete Frieder.

Das war nicht der Fall; außer unendlichen Mengen Staub, morschen und lädierten Möbeln, mottenzerfressenen Kleidungsstücken in einer Truhe und einigen Mäusekadavern fand sich dort nichts.

Sie setzten ihren Inspektionsgang im ersten Stock, der eigentlichen Wohnetage, fort, die aber nichts Wohnliches an sich hatte.

»Diese beiden Räume hat der Onkel benutzt«, erklärte Erich und öffnete eine Tür neben der Bodentreppe. Das vordere Zimmer enthielt Tisch und Stühle, eine altmodische Anrichte, sowie einen Radioapparat. Die Schlafkammer lag dahinter und war mit Bett, Schrank und einem Nachttisch ausgestattet. Auf diesem lag noch die Brille des Verstorbenen, ein Bügel war mit Heftpflaster geklebt. Ein Paar an den Fersen herabgetretene Pantoffeln vollendeten das Gesamtbild.

»War er allein, als er gestorben ist?«, fragte Frieder.

»Allein; die Haushälterin oder Zugehfrau hat ihn am anderen Morgen gefunden. Er lag vor dem Bett.«

»Was für ein einsames und trostloses Ende!«, murmelte der Freund.

»Ja, und du kannst dir vorstellen, dass ich mit meinen mangelhaften Kenntnissen über die Lebensumstände des Onkels, den ich noch dazu beerbt hatte, weder bei dem Notar, noch bei dem Arzt, der den Tod feststellte, eine gute Figur abgegeben habe.«

Hatte er den Freund zu hart oder vorwurfsvoll angefasst? Frieder suchte nach einem anderen Thema. »Was ist mit den übrigen Räumen?«, fragte er.

»Spärlich möbliert«, erwiderte Erich, »ich glaube, sie sind seit Jahren nicht betreten worden.«

So war es in der Tat. Wie Stalaktiten hingen Spinnweben darin herab.

»Erstaunlicherweise keine Mäusekadaver«, stellte Frieder fest.

»Was sollten sie hier? Es war ja nichts Essbares da.«

»Und du meinst, nachdem die ersten auf dem Boden verendet waren, hatte sich das herumgesprochen?«

»Möglicherweise.«

Frieder öffnete einen Schrank, der als einziges Möbel in dem Raum zurückgeblieben war. Die Tür tat sich widerwillig ächzend auf und gab den Blick auf ein paar vergessene Kleidungsstücke frei. »Ich hatte schon befürchtet«, sagte er, »dass hier der Leichnam des letzten Bewohners drin ist.«

»Du hast zu viel Dickens gelesen«, erklärte Erich, der im Ort eine kleine Buchhandlung betrieb, »lass uns weitergehen. Ich merke ja, du willst keine Ecke auslassen.«

»Wo ist eigentlich die Küche?«, wollte Frieder wissen, »dein Onkel muss sich ja irgendwie ernährt haben.«

»Unten; und frage jetzt bitte nicht, ob du einen Kaffee haben kannst. Soviel ich weiß, hat die Zugehfrau das Essen mitgebracht und die Küche gar nicht benutzt.«

Sie hatten tatsächlich keine Ecke ausgelassen und atmeten auf, als sie wieder an der frischen Luft waren.

»Jetzt hast du alles gesehen«, meinte Erich, als sie die Besichtigung beendet hatten. Sie saßen auf einer Bank weitab von Haus und verwildertem Grundstück. Zu wenig vertrauenswürdig waren ihnen die dort verbliebenen Sitzmöglichkeiten erschienen.

»Nun sage mir, was du davon hältst!«

»Am besten abfackeln!«, war die lakonische Antwort. »Nein, nein, ich weiß, dass das nicht geht«, fuhr der Freund fort, »lass mir ein wenig Zeit, ich glaube, ich muss gründlich drüber nachdenken.«

Erst nach drei Tagen hatte er diese Gedankenarbeit bewältigt und trat mit einem merkwürdigen, wenn nicht bizarr zu nennenden Plan an Erich heran.

»Versuche es zu verkaufen! Setze eine Annonce in die Zeitung.«

»Das ist nicht dein Ernst! Wer wird sich mit dieser Ruine behängen wollen!«

»Setze eine Annonce mit dem Text Spukhaus zu verkaufen in die Zeitung«, beharrte Frieder, der immerhin beachtliche Zeit darauf verwandt hatte, um diesen Plan auszubrüten.

»Und du meinst, dann melden sich in Scharen Interessenten?«

»In Scharen gewiss nicht, aber es gibt immer Leute, die auf das Wunderliche oder Übernormale aus sind.« »Was für eine abgeschmackte Idee! Und wenn sich tatsächlich irgend so ein Irrer findet, was sagt er, wenn er Onkels Erbstück zu Gesicht bekommt?«

»Das wird sich herausstellen. Vielleicht ist er nach einer ersten Führung hellauf begeistert. Die ächzenden Treppen werden da durchaus mitspielen, und die unzuverlässige Elektrizität könnte noch für zusätzliche Effekte sorgen.«

»Lassen wir diese Wunschgestalt von Käufer oder Interessenten erst einmal beiseite«, warf Erich ein, »wie willst du eine solche Annonce überhaupt lancieren? Wenn wir oder ich, denn ich nehme an, du wirst dich bescheiden im Hintergrund halten, mit diesem Anliegen an den Herausgeber unserer Heimatzeitung herantreten, empfiehlt er uns doch eine Kaltwasserkur.«

Mit seiner nächsten Antwort bewies Freund Frieder, dass er durchaus willens war, Verantwortung zu übernehmen. »Ich habe da eine Bekannte bei unserem Tageblatt«, sagte er, »die uns vielleicht behilflich wäre. Erich, der den Bekanntenkreis seines Freundes für ein sehr gemischtes Publikum hielt, seufzte schwer. Aber letztendlich stimmte er zu; die verstreichende Zeit arbeitete gegen ihn, in den nächsten drei Wochen musste er sich entschieden haben. »Mach, was du willst!«, sagte er resigniert.

Erich betrachtete das Vorhaben als ausgemachte Schnapsidee und sah die Erfolglosigkeit voraus, aber so war es nicht; das eigentliche Problem war Monika, Frieders Bekannte, die seine Verbindungsfrau zur Zeitung war, wo sie den Anzeigenteil redigierte und auch im Hinterzimmer die wöchentlichen Horoskope konstruierte. Sie lehnte sein Ansinnen nicht direkt ab, aber sie entwarf, da sie aus alter Bekanntschaft seinen Geburtstag im September und sein Sternzeichen kannte, einen Text folgenden Inhalts: Ein geplantes Vorhaben steht unter ungünstigen Vorzeichen; Sie sollten unbedingt Abstand davon nehmen. Auch Erich, dessen Geburtstag sie wusste – woher auch immer – erhielt von ihr ein warnendes Horoskop erstellt. Aber Frieder, der die Glaskugel und den Kaffeesatz kannte, dem Monika ihre Weissagungen entnahm, beharrte auf dem Erscheinen des Inserats. Und so überraschte den geneigten Leser eines Tages eine Anzeige folgenden Inhalts: Spukhaus zu verkaufen, gering reparaturbedürftig. Preis: Verhandlungssache. Angebote unter ..., und dann folgte eine Chiffrenummer.

Es versteht sich, dass Frieder, der die erste Hürde genommen sah, am nächsten Tag begeistert und mit einem großen Blumenstrauß ausgerüstet, in die Redaktion stürzte. Im Hinterzimmer, wo Monika sonst ihren prophetischen Geist walten ließ und guten Freunden einen Kaffee servierte, fand er die junge Dame in Tränen aufgelöst vor.

»Ich bin wegen deiner dämlichen Anzeige gerade noch an der Entlassung vorbeigeschrammt«, schluchzte sie. »Verhöhnt hat mich der Chef noch, weil ich, die ich in die Zukunft blicke, den Ärger nicht vorhergesehen habe. Sogar die Hexe von Endor wäre gescheiter gewesen.«

»Aber es ist doch alles wieder gut?«, erkundigte sich Frieder in gedämpftem Ton, »er hat dich doch nicht entlassen?« Er wusste von zarten Banden, die angeblich zwischen dem Chef und seiner Angestellten bestehen sollten.

»Nein. Aber nur, weil ich ihn an die Annonce erinnert habe, die er selber einmal reingesetzt hat, als ich in Urlaub war.«

»Und was war damit?«

»Da hatte ein Inserent ein Mittel gegen Bettnässen empfohlen. Und die Betroffenen bekamen bei Nachfrage und Entrichtung eines bestimmten Betrages einen Brief mit der lakonischen Nachricht: Ganz einfach, schlafen Sie auf dem Sofa!«

All das hatte Monika unter Tränen hervorgebracht, und der gutmütige Frieder wusste nicht, ob er lachen oder sie trösten sollte.

»Auf jeden Fall danke ich dir«, sagte er und drückte einen freundschaftlichen Kuss auf ihre nasse Wange.

»Jetzt müssen wir abwarten«, sagte er am Abend zu seinem Freund, dem er die neuesten Entwicklungen einschließlich des Wundermittels gegen Bettnässen erzählt hatte.

Es war offensichtlich, dass Erich seinen Optimismus nicht teilte.

»Hoffentlich«, sagte dieser, »brauen wir uns da nicht eine Suppe zusammen, von der wir nicht wissen, wie wir sie auslöffeln sollen.«

Auch die drei Tage später eingehende Nachricht, dass sich ein Interessent gemeldet habe, nahm er mit gemischten Gefühlen auf.

Frieder, der mit Monika weiter in Verhandlungen stand, organisierte ein Treffen in der Wohnung seines Freundes. Denn Erich wollte die weiteren Schritte auf keinen Fall alleine gehen.

Es waren zwei Männer, die sich beide mit Alessandros vorstellten und offensichtlich Vater und Sohn waren. Am vereinbarten Tag standen sie abends vor der Tür. Sie sahen etwas abenteuerlich aus, wie Erich später seinem Freund anvertraute; der Ältere, hatte dichtes, zweifellos gefärbtes Haar, er trug eine goldene Halskette, und die äußere Bekleidung ließ bei ihm wie bei seinem Sohn eine diskrete Schäbigkeit erkennen. Aber sie erwiesen sich als umgänglich und leutselig und konnten durch die Mitteilung, dass sie Künstler, der Ältere Leiter einer Theatertruppe, seien, alle Bedenken zerstreuen. Nein, sie wollten das Reisen nicht aufgeben, suchten aber ein festes Quartier als Rückhalt. Der redliche Erich bestand darauf, dass die Preisverhandlungen erst nach der Besichtigung des Objektes geführt würden. Es erschien ihm unfair, dies jetzt bei Eintritt der Dunkelheit zu tun. Die Zeichen, die Frieder ihm signalisierte, übersah er geflissentlich. Nein, das Haus musste fairerweise bei Tageslicht besichtigt werden.

Die Reaktion auf das Inserat, zumal eine so schnelle, war für Erich überraschend gekommen. Jetzt mussten Grundstück und Immobilie so wie sie waren, besichtigt werden, denn aus Gründen, die sie nicht näher erläuterten, wollten die beiden Männer das gleich am nächsten Vormittag tun.

Überflüssig zu sagen, dass das Haus, das an diesem Tag in strahlendem Sonnenschein lag, keineswegs anheimelnder geworden war.

Doch weder Staub, noch Mäusekadaver, weder ungünstige Lichtverhältnisse, noch bedenklich knarrende Treppenstufen, schienen den beiden Interessenten unwillkommen zu sein. Der Jüngere der beiden wippte mehrmals auf einer besonders beweglichen Stufe hin und her, als wollte er die Schwingungen in sich aufnehmen. Selbst die üppig wuchernde Vegetation, die nur den holprigen Pfad bis zur zweiflügeligen Haustür respektiert hatte, störte die potentiellen Käufer nicht.

Die Preisverhandlungen wurden nicht an Ort und Stelle vorgenommen, da dort weder ausreichendes Licht, noch ein stabiler Tisch vorhanden waren. Zu diesem Zweck begab sich die kleine Gesellschaft in das nahegelegene Wirtshaus; es war das nämliche, in dem Erich vor wenigen Tagen seinem Freund den Tod des Onkels und Erblassers mitgeteilt hatte. Auch der Wirt, Diet, war noch derselbe, und man mochte Gleiches von der Schürze vermuten, die seinen umfänglichen Bauch umspannte, und er bediente sie in der bekannten bedächtigen Weise.

 

Die Verhandlungen wurden von dem älteren der beiden Interessenten geführt. Er suche für seine Truppe, aus etwa zwanzig Mann bestehend, ein Objekt, das sich sowohl für Aufführungen, wie auch als nicht allzu teures Quartier eigne. Erich wand sich bei diesen Äußerungen auf seinem Stuhl, und Frieder grinste fröhlich in sich hinein, als winke ihm eine saftige Provision. Nach seinen Preisvorstellungen gefragt, offenbarte der unglückliche Erbe zögernd, er habe an 3000 RM für Haus und Grundstück gedacht, für die alte Scheune mit der dazugehörigen Wildnis, wie der Notar die Hinterlassenschaft genannt hatte.

»Durchaus passabel«, stimmte der ältere Interessent zu, »dann können wir also ins Geschäft kommen.«

Zunächst wurde die Abmachung mit Handschlag besiegelt; um die notariellen Angelegenheiten, die baldmöglichst in Angriff genommen werden sollten, wollte sich Frieder kümmern.

Bei Diet wurden weitere Getränke geordert, um den Handel zu begießen, und dieser machte sich mit gewohnter Langsamkeit daran, die Bestellung auszuführen.

Der Ältere der beiden Alessandros füllte die Wartezeit mit Fantasien über die Freilichtbühne, die auf dem Wildpark des Onkels entstehen sollte. Nein, nicht alles eigne sich für Aufführungen in freier Natur, aber der Sommernachtstraum oder sogar Wilhelm Tell böten sich dafür an. Während sich des Onkels heruntergekommene Hinterlassenschaft mehr und mehr in ein Luftschloss verwandelte, saß der redliche Erich mit einem Gesicht da, als hätte er Zahnschmerzen. Durch die Aktivitäten der nächsten Tage fühlte sich der Erbe fast entmündigt.

Der Revierförster hatte einen raschen Notartermin ausgemacht, und Erich befürchtete, dass die schnelle Abwicklung durch die Zusicherung eines kurhessischen Klafters Brennholz für den Winter zustande gekommen war. Die Schauspielertruppe schwärmte auf Onkels Grundstück umher, als sollte der Sommernachtstraum noch vor Eintritt der Herbststürme aufgeführt werden. Überhaupt hatte das Erscheinen der Künstler den kleinen Ort aus seiner beschaulichen Ruhe aufgestört. Die aus etwa zwanzig Mitgliedern bestehende Truppe schien für das geplante Vorhaben, sei es nun Der Sommernachtstraum oder Wilhelm Tell zu klein, denn es wurde sogar in Erichs Buchhandlung erzählt, dass der Theaterleiter jüngere Bürger der Stadt Breithalde als Statisten rekrutiere.

Zum Zeitpunkt des Notartermins waren die Vorbereitungen schon in vollem Gange, und Erich wurde durch den Advokaten zu dieser Entwicklung beglückwünscht. Nie habe er, der Notar, angesichts des desolaten Zustandes des Erbstückes gewagt, ihm irgendwelche Hoffnungen zu machen.

Erich erfüllte ein Gefühl der Dankbarkeit, das fast an Rührung grenzte, als er sich diese Fügung vor Augen führte. Es war nur allzu verständlich, dass er während der Verhandlungen spontan den Entschluss verkündete, sich an der Herrichtung des alten Gebäudes mit 1000 RM zu beteiligen. Wegen dieser Äußerung nannte sein Freund ihn dann in Abwesenheit der übrigen Beteiligten einen Esel. Dessen ungeachtet rückte er am nächsten Tag mit ein paar kräftigen Waldarbeitern an, um gegen das Dickicht, das das Haus als grüner Gürtel umgab, vorzugehen. Wenn sich die Natur auch vieles zurückgeholt hatte, so waren doch ein alter Brunnen, eine primitive Toilettenanlage sowie eine mit eingeritzten Namen und Herzen verzierte Bank noch vorhanden und wurden bei den Aufräumarbeiten freigelegt.

Die erste Hälfte der Kaufsumme sollte nach Eintragung ins Grundbuch entrichtet werden. Es war dies ein Vorgang, auf den der Revierförster selbst mit Abholzen eines Waldstückes keinen Einfluss nehmen konnte. Bei diesem bürokratischen Akt musste man den Dingen ihren Lauf lassen.

Rasch gewöhnte sich die Einwohnerschaft von Breithalde an den kulturellen Aufschwung, den sie durch die Ansiedlung der Schauspieltruppe erfahren hatte. Es wollte Erich sogar scheinen als würden die Künstler entgegen ihren früheren Absichten in der Stadt dauerhaft Quartier nehmen. Vielleicht waren sie doch solidere Leute als der erste Anschein vermuten ließ.

»Sie fühlen sich in dem behaglichen Heim deines Onkels halt wohl«, äußerte Frieder mit undurchdringlicher Miene. Binnen kürzester Zeit erschien an geeigneter Stelle, auch im Schaufenster von Erichs Buchladen, ein Plakat, das die erste Aufführung ankündigte. Es war weder der Sommernachtstraum noch Wilhelm Tell, sondern das Ensemble hatte sich erstaunlicherweise an den Altmeister Goethe herangewagt: Mit Szenen aus Faust, Erster Teil sollte dem alten Gemäuer wieder Leben eingehaucht werden. Auf eine Freiluftaufführung war wegen des inzwischen unsicheren Wetters wohl verzichtet werden.

Mit Spannung wurde in Breithalde der Theaterabend erwartet. Die angeworbenen Komparsen waren anscheinend auf Verschwiegenheit eingeschworen worden, aber Kenner der Materie, wie Erich, vermuteten, dass für die meisten Szenen des klassischen Werkes die Mitglieder der Künstlertruppe ausgereicht hätten, und er nahm an, dass lediglich die Walpurgisnacht zur Aufführung kommen würde.

Und so war es! Vielleicht war die Idee mit dem Spukhaus doch nicht so schlecht gewesen. Um die zahlreichen Besucher, auch aus den Nachbarorten waren Kulturbeflissene gekommen, nicht zu vergrämen, hatte man das Haus einer oberflächlichen Kosmetik unterzogen.

Der hintere Teil des großen Vorraums war durch die geöffnete Küche erweitert worden. Der eigentliche Blickfang waren aber die vor dem Eingang zur Küche agierenden Hexen, die allesamt jung und nur mit fleischfarbenen Trikots bekleidet waren und damit das Entzücken der männlichen Besucher erregten.

Die schummrige Beleuchtung tat ein Übriges und verlieh ihnen ein Bild völliger Nacktheit. Um diese Illusion aufrecht zu erhalten, war ein Abstand zur eigentlichen Bühne gewahrt worden, der etwa der Entfernung durch einen Orchestergraben entsprach. Da die obere Etage über eine umlaufende Galerie verfügte, konnte man auf diesem Rang sich drängende Zuschauer mit und ohne Operngläsern sehen.

Die widersprüchlichsten Empfindungen gingen Erich während der Aufführung durch den Kopf. Gleich zu Beginn hatte der Regisseur und Erwerber von Onkels Refugium einführende Worte gesprochen und um Nachsicht für noch vorhandene Unzulänglichkeiten gebeten. Erich war als eine Art Mäzen herausgestrichen worden, was ihm wieder einmal das Gefühl vermittelte, als bohre jemand in seinem hohlen Zahn. Die zahlreichen jungen Hexen, Erich hatte die meisten Mitglieder des Ensembles kennen gelernt und kannte den Altersdurchschnitt, waren offensichtlich Töchter der Stadt und ihre Beteiligung würde für Aufruhr sorgen. Nein, es war besser, wenn die Truppe nach ihrem Debüt erst einmal auf Wanderschaft ging.

Am Applaus gemessen war der Abend ein voller Erfolg. Erich wollte gerade nach Abebben des Beifalls seinen Platz im Parkett verlassen, als ihn der Leiter der Truppe auf die Bühne, sprich: in den Kücheneingang, holte. Hier ließ man ihn als eigentlichen Gönner, der das Spektakel ermöglicht hatte, hochleben. Und jedes Mal meldeten sich bei dem bescheidenen Buchhändler die bereits beschriebenen Gefühle. Wenn sich Monika, die auch der Aufführung beiwohnte, in ihrer Glaskugel oder im Kaffeesatz die Wahrheit offenbart hätte, so wäre am andern Tag in der Zeitung etwa Folgendes zu lesen gewesen: Misstrauen Sie spontanen Gunstbezeigungen. Dunkle Wolken brauen sich über Ihrem Himmel zusammen!

Aber noch war der Abend nicht vorüber; der Regisseur bestand darauf, für Erich und seinen Freund eine Führung durch die neugestalteten Räumlichkeiten zu machen. In jedem Zimmer, dessen Flügeltür er öffnete, wies er daraufhin, dass die vorgenommenen Veränderungen wegen der Kürze der Zeit noch etwas provisorisch seien, was eine grundlegende Verschönerung in naher Zukunft verheißen sollte. Aber die Stalaktiten aus Staub und die Hinterlassenschaften der Kleinlebewesen waren verschwunden, und es sah aus, als hätte der weibliche Teil des Ensembles bei den Reinigungsarbeiten ordentlich mit Hand angelegt.

Dass das Gebäude nicht nur für Aufführungen, sondern auch als Herberge, um nicht Gemeinschaftsunterkunft zu sagen, diente, erwies sich, als Frieder während der Besichtigung mit der ihm eigenen Selbstverständlichkeit eine Tür öffnete und dem erstaunten Theaterleiter mitteilte, dies sei der Schlafraum des Erblassers gewesen. Bett, Schrank und Nachttisch, natürlich auch die persönlichen Gegenstände des Verstorbenen waren verschwunden. Stattdessen fanden sich auf der Erde vier Schütten Stroh, welche verrieten, dass einige Mitglieder des Ensembles die Nacht hier nach Tiroler Art verbrachten.

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