Angst im Systemwechsel - Die Psychologie der Coronazeit

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1. Die Zeit der Angst

„Politik machen: Den Leuten so viel Angst einjagen,

dass ihnen die Lösung recht ist.“

Wolfram Weidner, Journalist (*1925).

„Das Leben wartet immer darauf, dass eine Krise eintritt,

bevor es sich von seiner glänzendsten Seite zeigt.“

Paulo Coelho, brasilianischer Schriftsteller und Philosoph (*1947).

Anfang April 2020 hatten wir bei Facebook noch gepostet: „Der größte Fake der Weltgeschichte. Und die Masse schnallt’s nicht. Das schnalle ich nicht.“ Es gab viele Likes und selbst hochgebildeten Menschen ging es nicht anders. Dr. Matthias Burchardt fragte, ob wir ein gigantisches Umerziehungsprogramm zu einem Homo hygienicus erleben.4 Wie ist „es möglich, daß sich eine Gesellschaft so rasch und bereitwillig widerstandslos in die Geiselhaft einer von der WHO ausgerufenen Pandemie und ihrer Zwangsmaßnahmen nehmen und manipulieren läßt.“5 Dr. Wolfgang Wodarg schrieb entsprechend: „Ich verstehe nicht, dass die Menschen so blöd sind“6 und Professor Max Otte meinte zu den Coronamaßnahmen: „Völlig irre, aber die Mehrheit schluckt es“.7 Erst mit der Zeit wurde es immer deutlicher. In der Coronazeit geht es hauptsächlich um Angst. Angst vor dem Virus, Angst vor den Regierungen, Angst vor dem Verlust des Jobs, Angst vor der Insolvenz, Angst vor Isolation. Dazu Ängste, die man manchmal gar nicht näher erklären kann. Angst ist die Schlüsselemotion zum Verständnis der Coronazeit. Hinsichtlich der Dummheit politischen Handelns schrieb Thilo Sarrazin völlig zu Recht: „Das Problem liegt eben nicht auf der Ebene des Verstandes …, sondern auf der Ebene der Gefühle“.8 Und der bekannte Münchner Facharzt Dr. Martin Marianowicz erklärte, dass unser Hauptproblem nicht das Virus ist, sondern die Angst.9 Der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, Wolfgang Kubicki, sagte schon im Mai 2020: „Ich verstehe nicht, warum den Menschen Angst gemacht wird“.10 Eine Frau äußerte im WDR: „Da passiert durch die Angst, dass die Eltern sich nicht mehr trauen, die Kinder vor die Tür zu lassen. Es ist Wahnsinn, was in diesem Land abgeht, aber auch weltweit. Wie kann denn eine ganze Welt in sechs Monaten so lahmgelegt werden. Was passiert hier?“11

Dabei ist Angst in den deutschsprachigen Ländern gar kein so neues Phänomen. Bereits in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts entstand der Begriff der „German Angst“ aus der für „internationale Beobachter rational wenig nachvollziehbaren Art, wie Politik und Medien … in Deutschland auf die sich verstärkt stellende Umweltproblematik im Kontext des Waldsterbens und des Atom-GAUs in Tschernobyl reagierten“.12 Das Thema Angst gewann unter den Menschen immer größere Bedeutung13 und die German Angst fand viele neue Themen. Immer mehr wurde plötzlich als Bedrohung angesehen, Dinge, über die man sich vorher kaum Gedanken gemacht hatte. Aber nun tauchten sie auf.

Nach der Atomkraft ergänzte eine Angst nach der nächsten unseren Panikvorrat. Angst vor dem Ozonloch, ungesunde Nahrung von unseren Äckern, Angst vor Alkohol, Zucker und Fett, Angst vor der Zerstörung unserer Umwelt, vor Waldsterben, der Verschmutzung der Meere, dem Bevölkerungsanstieg, Angst vor den Nebenwirkungen von Medikamenten, Genmanipulation, der Rentenlücke, einer Unterbrechung der Kühlkette, Arbeitslosigkeit und Klimawandel. Ebenso vor Nikotin, Feinstaub, islamischem Terror, Drogen, Überwachungskameras, den Rechten, den Linken, der AfD, den Russen, den Amerikanern, dem Meeresanstieg, Ausländern, Nazis, Aliens, der Gletscherschmelze auf Grönland, den Reichsbürgern, den Kommunisten, Nitrosamin in Bratwürsten, Glutamat in der Fertigpizza, Darmkrebs, Glyphosat auf dem Acker, Angst vor Salmonellen in Eiern und im Pudding von Altenheimen, Angst vor Elektrosmog, Ölunfällen, Autounfällen, Flugzeugabstürzen, Asteroideneinschlägen und vor Ferienwohnungen ohne Rauchmelder. Manche dieser Ängste verschwanden wieder, wie die vor dem Ozonloch, andere hielten sich oder wurden immer weiter verstärkt. In einer Schule in Osthessen verbot ein Schulleiter den Kindern sogar, Schnee anzufassen, denn dann könne kein Kind mit Schnee werfen und niemanden verletzen. Die Eltern der Kinder reagierten entsprechend: „Wie krank muss ein Schulleiter eigentlich sein?“14 Angst hat er, der Verantwortliche für was auch immer zu sein.

Nun könnte man „sehr einfach“ sagen: „Die heutige Gesellschaft hat Angst vor dem Leben. Sie zeigt Furcht, das zu verlieren, was sie ausmacht“15, und Professor Dr. Meinhard Miegel meinte schon 2016: „Die deutsche Bevölkerung ist heute eine fragile, ängstliche und weitgehend erstarrte Bevölkerung.“16 „Dabei ist gerade diese Angst, betrachten wir sie als gesellschaftliches Phänomen, ein Gradmesser dafür, dass wir uns möglicherweise als Gesellschaft in eine falsche Richtung bewegen. Weg von humanitären Werten oder von dem, was menschlich ist.“17

In der Vergangenheit wurde versucht, die Dinge, vor denen Ängste bestanden, in der Sache zu ändern. So folgten eine Flut von Vorschriften darüber, was nicht in unser Essen gehört, welche Abgaswerte an Autos und Industrieanlagen einzuhalten sind, wie weit Gentechnik genutzt werden darf, wie stark Äcker mit welchen Mitteln besprüht werden dürfen, wie häufig Kontrollen in Lebensmittelbetrieben, Chemieanlagen und Bratwürstchenbuden zu erfolgen haben. Technische DIN-Regeln18 wurden immer mehr erweitert und Reichsbürger werden überwacht. Aber hat das alles unsere Angst genommen? Noch nicht? O. k., dann stellen wir noch mehr Verkehrsschilder auf, damit nichts passieren kann, verringern noch mehr die Geschwindigkeiten auf unseren Straßen. Wo früher 70 km/h erlaubt waren, ist nun eine Tempo-30-Zone und auf Autobahnen kommt man kaum noch über 130. Am besten, wir senken die Geschwindigkeit auf null, dann kann bald nichts mehr geschehen.

Wo früher eine Baustelle mit dünnen Dreizackstangen und rotweißem Flatterband gesichert war, da sind es heute schwere und große Absperrbaken zu Dutzenden und die sind manchmal für Autofahrer so aufgestellt, dass sie gefährlicher als die eigentliche Gefahrenstelle sind. Aber wenigstens hat man etwas getan. Ach, wäre ich doch noch einmal zwanzig Jahre alt, dann würde ich im Jahr 1982 eine Firma für solche Absperrbaken und Straßenschilder aufmachen; ich wäre heute mehrfacher Millionär bei solch einem Umsatz. Aber nicht nur dieses Gewerbe hat profitiert. Auch die Hersteller von Alarmanlagen, Tür- und Fenstersicherungen, Überwachungskameras und Sicherheitsdienste sind aufstrebende Branchen.

Angst war es, die das Vorsorgeprinzip immer mehr zur Vormacht brachte. Und diese Angst beschränkte sich bald nicht mehr auf die deutschen Staaten allein. Frank Furedi sprach schon 2002 von einer Angst- und Vorsorgekultur in den westlichen Gesellschaften19 und 2007 wies der amerikanische Rechtsphilosoph Cass Sunstein auf die Überbetonung des Vorsorgeprinzips in den westlichen Gesellschaften hin.20 Doch all das führte nicht dazu, dass die Angst weniger wurde. Denn Angst lässt sich nicht einfach dadurch abbauen, dass wir die Situation ändern. Angst ist in uns.

Das lässt sich sehr schön an der 2018 aufgekommenen Angst vor Feinstaub in der Luft erkennen. Wann war denn die Luft dreckig und wann sauber? Fakt ist, in meinem Leben seit 1962 war die Luft noch nie so sauber wie heute. Als Kind forderte die SPD auf Wahlplakaten den blauen Himmel über der Ruhr. Und tatsächlich war es dort eher grau und braun und dreckig und stinkend. Das ist aber durch viele Umweltmaßnahmen vorbei. Der blaue Himmel ist da. Als ich 1989 nach der Grenzöffnung Eisenach besuchte, qualmte über jedem Haus ein Schornstein Braunkohlenasche in die Luft, die Industrieanlagen bliesen Schadstoffe hinaus, wie wir es uns heute kaum noch vorstellen können. Sie wurden ebenso erneuert wie die stinkenden Trabbis, und ebenso verschwanden Blei und Schwefel aus dem Benzin. Das Immissionsschutzrecht wurde weiter verschärft, Heizungen saniert, Motoren und Verbrennungsanlagen optimiert und mit Filtern und Katalisatoren ausgestattet. Alles das war richtig und half unserer Umwelt und unserer Gesundheit. Nun ist die Luft in Mitteleuropa so sauber wie wohl seit hundert Jahren nicht mehr. Das zeigen sogar einige Flechten und Moose an den Rinden von Straßenbäumen, die teilweise ganz verschwunden waren, da sie verschiedenste Schadstoffe nicht ertragen können. Nun kehren sie zurück. Unsere Luft wird besser und besser. Das heißt nicht, dass wir sie nicht noch sauberer bekommen können. Wir sollten weiter daran arbeiten; Verunreinigungen sollten so weit wie eben möglich minimiert werden. Aber dass jetzt eine Angst vor Feinstaub aufkommt, ist völlig irre. Hätten die Menschen im Ruhrgebiet oder in der DDR damals Angst gehabt, und es gab ja tatsächlich heftige Atemwegserkrankungen durch Schadstoffe, dann wäre das erklärbar gewesen. Aber jetzt, wo alles schon relativ gut geworden ist, noch eine Panikwelle? Das hat mit den Luftwerten nichts mehr zu tun. Da steckt etwas anderes, Psychologisches, hinter.

„Da Angst ansteckend ist, kann sie zum vorherrschenden sozialen Trend werden.“21 Hendrik Streeck, Chefvirologe der Universitätsklinik Bonn, betonte zu Recht, dass es „zu viel Angst“ gebe, und sieht „das Problem in den Köpfen der Menschen“.22 „Zwei von fünf Menschen in Deutschland leiden heute unter einer leichten Angst, jeder 10. wird von seiner Angst im Alltag stark behindert.“23 „Laut einer DAK-Studie zeigt jedes vierte Schulkind in Deutschland psychische Auffälligkeiten. Mit Corona hat sich ihre Belastung noch verschärft. Viele Kinder leiden still.“24 Stäheli schrieb schon 2013: „Das ‚fear marketing‘ gedeiht in einer ‚Angstkultur‘ besonders gut, ist die Angst doch die Kehrseite einer Kultur, die Sicherheit dadurch steigert, dass immer neue Quellen der Unsicherheit geschaffen werden.“25 Die Coronaangst ist somit nicht unbedingt etwas Neues. Die Angst hat nur ein neues Objekt gefunden, ein Virus.

 

„Angst regiert überall in der angeblich freien westlichen Welt und hat mit der Angst vor Corona die Macht ergriffen.“26 Selbst Markus Lanz stellte im ZDF klar: „Ich erlebe das auch selber so in meinem Umfeld teilweise. Da ist richtig Panik teilweise. Immer noch. Da gibt es Leute, die haben richtig Angst!“27 Viele Menschen sagen: „Ich habe bloß noch Angst!“ Die Folge ist, dass die Psychotherapeuten derzeit völlig überlastet sind. Probst Gerald Goesche aus Berlin berichtete: „Ganz viele Menschen sind tot in ihren Wohnungen aufgefunden worden mit Abschiedsbriefen: ‚Ich halte es nicht mehr aus‘.“28 So heftig war es mit der Angst noch nie. Warum immer wieder Angst? Und warum wird sie so extrem schlimmer und findet immer neue Anlässe?

Dr. Peer Eifler sagte: „Da das ja mein Hauptmetier jetzt hier in Österreich ist, ich bin ja fast ausschließlich als ärztlicher Psychotherapeut tätig, d. h. ich habe ganz viele posttraumatische Störungen mit Menschen, die ganz viel Angst haben, mit Menschen, die Angst verdrängt haben, die ganz fürchterliche Dinge passiert haben, was manchmal Jahre, Jahrzehnte im tiefsten Inneren schlummert. Und dann kommt was und drückt sie über die Klippe und nimmt ihre letzten Chancen, damit irgendwie zu funktionieren. Genau das ist eigentlich passiert auf einer kollektiven Ebene.“29 Verfassungsrichterin Juli Zeh stellte ebenfalls fest, dass Corona „konkurrierende Fundamentalängste auslöst, die aufeinanderprallen“.30 Vor einem Virus, vor Existenzverlust, vor dem Regierungshandeln und mehr. „Hier wird eine Ur-Angst geweckt, die Ur-Angst vor Krankheit, Siechtum und Tod“, sagte Friedrich Pürner, Epidemiologe und Leiter des bayerischen Gesundheitsamtes.31 Der weitdenkende Hirnforscher Gerald Hüther sieht eine „zunehmende Verunsicherung“ in der Gesellschaft, in der die Menschen nach „Halt und Orientierung“ suchen. „Solche Phasen allgemeiner Verunsicherung sind Umbruchphasen einer Gesellschaft.“32 Wir sind ebenfalls der Überzeugung, dass wir es mit einer historisch bedeutsamen Umbruchphase des politischen, ökonomischen, finanzwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systems auf unseren Planeten insgesamt zu tun haben; darauf werden wir in Kapitel 11 näher eingehen. Ebenso stimmen wir Hüther völlig zu, wenn er schreibt: „Erst wenn wir verstehen, weshalb und wovor Menschen Angst haben und was mit ihnen dann passiert, können wir nach geeigneten Auswegen suchen.“

Im Folgenden werfen wir daher einen ersten Blick auf das Phänomen der Angst. Dabei gehen wir davon aus, dass die Angst nicht durch noch mehr Sicherungssysteme und Vorsorge überwunden werden kann, sondern nur durch das Verständnis, was unterbewusst in unseren Köpfen geschieht. Schauen wir nicht auf die angeblichen Gefahrenstellen, sondern auf unser Inneres, unsere persönlichen Schwächen und unsere inneren Stärken. Dieser Weg kann uns tatsächlich dazu führen, dass wir unsere Ängste schließlich abbauen und minimieren und vielleicht einmal ganz verlieren. Und dann haben wir nicht nur persönlich einen riesigen Wachstumsschub gemacht, dann verändern wir damit auch die Welt.

4 BURCHARDT 2020.

5 OLLES 2020a.

6 WODARG 2020.

7 OTTE 2020.

8 SARRAZIN 2016: 16.

9 A. A. 2020zl.

10 KUBICKI 2020a.

11 WESTDEUTSCHER RUNDFUNK 2020.

12 KOCH 2013: 1. Zur German Angst siehe auch BODE 2016.

13 Vgl. BENESCH 1994: 227.

14 A. A. 2020zzzzd.

15 A. A. 2020zzl.

16 MIEGEL 2016.

17 HAGEN 2020: 17–18.

18 Deutsche Industrienorm.

19 FUREDI 2002.

20 SUNSTEIN 2007.

21 HAWKINS 2013: 117.

22 ALTHOFF 2020a.

23 WOLF 2018: 7.

24 GROMES 2020.

25 STÄHELI 2013: 94.

26 STRAUB 2020b.

27 LANZ 2020.

28 A. A. 2020zzzf.

29 EIFLER 2020a.

30 ZEH 2020.

31 KATTENBECK 2020.

32 HÜTHER 2019: 13.

2. Der Sinn der Angst und ihre drei Überlebensstrategien

„Der Grad der Furchtsamkeit ist ein Gradmesser der Intelligenz.“

Friedrich Nietzsche, Philosoph (1844–1900).33

„Ich glaube, dass die Erkenntnis der Wahrheit nicht in erster Linie

eine Sache der Intelligenz, sondern des Charakters ist.

Dabei ist das Wichtigste, dass man den Mut hat, nein zu sagen.“

Erich Fromm, Psychoanalytiker (1900–1980).34

Angst ist eine der zentralen Emotionen des Menschen. Daher ist auch die Psychologische Wissenschaft schon seit früher Zeit bemüht, eine Definition und eine Erklärung für ihr Auftreten zu finden. Viele dieser Bemühungen schlugen jedoch fehl und führen nicht weiter, u. a. die Versuche einer Abgrenzung zwischen den Begriffen Furcht und Angst, die Frage, ob Angst eines Objektes bedürfe, dem gegenüber die Angst entstehe, die Ableitungen von Geburts- und Todesangst oder gar Sigmund Freuds Verbindung mit sexuellen Aspekten, wie seiner Theorie vom Ödipuskomplex.35 Die Psychotherapie hat sich lange auf die krankhaften Formen der Angst konzentriert, die „normale“ Angst hat auch sie vernachlässigt.36

Die Zahl der Dinge, Ereignisse und Gedanken, vor denen wir Angst haben können, ist nahezu endlos. Wir alle kennen die Angst vor dem Tode, vor Höhe, dem Alleinsein, vor Alter, Krankheiten, Geräuschen in der Nacht, Tunneln, Fahrstühlen, Dunkelheit, Spinnen, Mäusen, Hunden, großen Plätzen, Enge, dem Zahnarzt mit seinem Bohrer. Dazu kommt Angst vor Enttäuschung, Prüfungsangst, die Angst, missverstanden oder nicht geliebt zu werden, nicht anerkannt oder verlassen zu werden, die Angst vor Ablehnung, Autorität und Arbeitslosigkeit, die Angst vor Kritik, allgemeine Zukunftsangst, die Angst vor Entscheidungen, vor Veränderung, die Angst, nicht zu genügen, etwas zu verpassen, zu scheitern oder von der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden. Skurril fanden wir es, als wir hörten, dass jemand Angst vor Müllcontainern hatte, aber das ist seit dem Frühjahr 2020 vorbei. Wir hätten uns schließlich auch nie vorstellen können, dass es eine Angst geben könnte, nicht genügend Toilettenpapier zu besitzen. Alles ist möglich.

Auch die körperlichen und emotionalen Reaktionen auf Angst sind vielfältig. Was geschieht nicht alles in uns, wenn wir Angst haben. Der Herzschlag wird schneller, der Blutdruck steigt, unsere Atmung verändert sich, die Muskeln verspannen sich, wir bekommen Mundtrockenheit oder Übelkeit mit Druck in der Magengegend bis hin zum Erbrechen, wir zittern, wir schwitzen und bekommen Schweißausbrüche, unsere Nerven kribbeln. Weiterhin verengen sich unsere Pupillen, unser Blick wird enger, die Stimme zittriger, wir weinen und müssen ständig zur Toilette bis hin zum quälenden Durchfall. Uns kann schwindelig und schwarz vor den Augen werden und manche fallen gar in Ohnmacht. Auch unser Denken ändert sich unter Angst und in unserem Kopf wird es völlig verrückt. Unsere Gedanken kreisen um das Problem, wiederholen es wieder und wieder, grübeln, unsere Kreativität und logisches Denken verschwinden, unser sexuelles Interesse erlahmt gedanklich und körperlich, ein Gefühl der Ausweglosigkeit und Entsetzen macht sich breit, wir sind angespannt und reizbar. Auch hektische Betriebsamkeit und Ruhelosigkeit helfen uns nicht, und wenn dies alles zu lange anhält, können wir irgendwann nicht mehr. Es kommt zu Einschlaf- und Durchschlafstörungen, zu völliger Erschöpfung, wir ziehen uns aus der Umwelt zurück, ziehen die Bettdecke über den Kopf, essen zu viel oder zu wenig, trinken Alkohol oder greifen zu Psychopharmaka. Eventuell erfolgt eine Depression. Warum das nur alles? Das sind doch Reaktionen, die wir gar nicht wollen, die uns nicht guttun. Was soll das, warum reagieren wir so?

Da die Evolution selten auf Dauer Unsinniges bestehen lässt, muss diese Vielfalt an Reaktionen irgendeinen Sinn haben. Versuchen wir einmal, tiefer hinter das Geheimnis der Angst zu schauen.

Um die Vielfalt zu verstehen und den Sinn hinter all dem zu erkennen, müssen wir erst einmal klären, wie die Angst im Laufe der Evolution entstanden ist und wofür sie eigentlich da ist. Damit können wir dann im Umkehrschluss auch analysieren, wann Angst kein guter Ratgeber ist. Und all das führt uns dabei immer wieder zu den vielen Merkwürdigkeiten der Coronazeit. Dazu werden wir die Vielfalt der Angstformen und unsere Reaktionen zu einem kohärenten System zuordnen, das es uns ermöglichen kann, Ängste verstehen und überwinden zu lernen. Und so können wir schließlich die Coronazeit überstehen und Lösungen dafür finden, wie wir aus diesem ganzen Angstgeschehen herauskommen und es erreichen können, dass so etwas nie wieder geschehen kann.

Gehen wir einmal ganz weit zurück. Unsere Vorfahren lebten über Jahrmillionen in einer nicht ungefährlichen Umwelt. Mit einer Körpergröße von nur etwas über einem Meter waren unsere Ahnen in Afrika vor drei Millionen Jahren, wir nennen sie Australopithecus, eine beliebte Beute von Löwen, Leoparden und anderen Raubtieren. In der Psychologie wird oft das Beispiel des Säbelzahntigers bemüht, der war aber gar nicht so relevant und wurde wohl sogar vom Menschen später ausgerottet. Es gab viele andere Raubtiere, die dem Menschen gefährlicher waren. Selbst als Homo habilis und Homo erectus, unsere nachfolgenden Vorfahren, an Gehirn- und Körpergröße zunahmen und das Feuer zu beherrschen gelernt hatten, war das Leben risikohaft. Mit einfachen Lanzen auf Jagd zu gehen, konnte leicht eigene Verletzungen mit sich bringen. Noch im Mittelalter kamen viele Jäger zu Tode oder zu schweren Unfällen, die versuchten, mit einem Sauspieß ein Wildschwein zu erlegen. In südlicheren Ländern kamen Gefahren durch giftige Tiere hinzu, Skorpione, Spinnen und Schlagen etwa. Das Herunterfallen von einem Baum oder Felsen mit Knochenbrüchen konnte ebenfalls den Tod bedeuten. Da machte es in der langen Evolutionsgeschichte Sinn, eine angeborene Empfindung zu besitzen, die vor solchen Gefahren warnte. Die Angst.

Ebenso machte es Sinn, angeborene Lösungsmöglichkeiten zu besitzen, um diesen Gefahren zu entkommen. Natürlich geht das durch den Verstand, doch unser Denken ist verhältnismäßig langsam. Viel schneller arbeiten unser Unterbewusstsein und unsere Reaktionen. Und Schnelligkeit kann Leben retten. Wenn wir etwa stolpern und hinfallen, liegen wir schon auf der Nase, bevor wir bewusst nachdenken können, was eigentlich geschehen ist. Glücklicherweise hat unser Körper automatisch reagiert und uns so hinfallen lassen, dass uns meist nichts passiert ist. „Fall nicht hin“, sagen wir häufig sorgenvoll zu kleinen Kindern. Aber sie fallen dennoch immer wieder und meist geschieht ihnen nichts. So üben sie diese automatischen Körperreaktionen bis zur Perfektion. Erst im Alter, wenn unsere Muskeln und Gelenke nicht mehr so beweglich sind, können sie nicht mehr so flink die automatischen Befehle des Unterbewusstseins ausführen. Dann kommt die Zeit der Knochenbrüche, insbesondere der Oberschenkelhalsbrüche. Grundsätzlich sind unsere angeborenen und automatischen Reaktionsweisen in Gefahrensituationen jedoch eine gute Sache für unser Leben und unsere Gesundheit bis ins hohe Alter.

 

Begeben wir uns zurück in eine Zeit, in der unsere Vorfahren noch als Steinzeitmenschen in den Savannen Afrikas lebten. Oder noch weiter zurück, als wir als kleine mäuseartige Säugetiere in einer von Dinosauriern beherrschten Welt überleben wollten. Vielleicht noch weiter zurück als kleines Tier, das einmal der Vorfahr aller Wirbeltiere werden würde. Was hatten diese Wesen nun für ein Rüstzeug, um aus Gefahrensituationen lebend davonzukommen? Was konnten sie tun? Nun, die Evolution hat uns gleich mit drei Strategien ausgestattet. Dreifach hält halt besser. Es sind Flucht, Angriff und Erstarrung.

2.1 Flucht

Wir sind ein Steinzeitmensch, vielleicht ein kleiner Homo habilis, der vor eineinhalb Millionen Jahren in der ostafrikanischen Serengeti lebte.37 Mit einem Stock und einem Faustkeil bewaffnet, ziehen wir durch die Savanne, um kleine Tiere zu erbeuten, vielleicht ein Erdferkel oder ein langsames Stachelschwein. Nebenbei sammeln wir und unsere Familienangehörigen Pflanzen und Früchte und suchen nach Aas. Da! Hinter dem Felsen bewegt sich etwas, vielleicht ein kleiner Klippschliefer, eine leckere Beute. Doch nein. Schrecken. Plötzlich und unverhofft starrt uns ein Leopard ins Gesicht, nur zwei Meter vor uns. Seine großen stechenden Augen fixieren uns. Seine starken Muskeln sind zum Sprung bereit, seine weißen großen Reißzähne leuchten uns entgegen. Höchste Gefahr. Lebensgefahr, wir sind dem Tode nahe. Jetzt muss alles ganz schnell gehen; sonst werden wir gefressen.

Was geschieht nun in uns? Angst. Panische Angst. Es gibt nichts anderes mehr als Angst. Denn nur sie kann nun unser Leben retten. Wir denken nicht, das macht unser Unterbewusstsein nun allein. Es checkt ab, ob wir die Gefahrensituation meistern können. Nein, können wir nicht, ist die Entscheidung in Bruchteilen einer Sekunde. Der Leopard ist stärker als wir. Also läuft automatisch unsere erste Bewältigungsstrategie für Angst an, die Flucht.

In Mikrosekundenschnelle drehen wir Steinzeitmensch uns um und laufen mit aller zur Verfügung stehender Kraft von dem Leoparden davon. Wir laufen schneller als jemals zuvor in unserem Leben. Denn die Angst schaltet unseren ganzen Körper auf dieses einzige Ziel der Flucht. Alle Energiereserven werden freigeschaltet. Adrenalin strömt in unsere Muskeln, sodass wir noch schneller werden. Je leichter wir sind, desto mehr Geschwindigkeit bekommen wir. Also alles raus. Heute würden wir uns in die Hose machen, aber damals liefen wir nackt umher. Das kennen wir heute noch, etwa wenn wir vor einer Prüfung noch schnell zur Toilette müssen, obwohl wir kaum etwas getrunken haben. Oder wenn sich dann plötzlich noch Durchfall einstellt. So blöd das für uns heute ist, für uns als Steinzeitmensch damals erhöhte es die Überlebenswahrscheinlichkeit. Wenn der Magen noch gefüllt ist, kann auch ein Erbrechen Sinn haben. Schlussverkauf, alles muss raus, oben und unten. Leichter werden, schneller werden.

Wer schnell läuft, darf nicht überhitzen, benötigt Kühlung. Also beginnen wir zu schwitzen, Schweiß läuft über den ganzen Körper und kühlt uns. Der Blutdruck muss steigen, ebenso der Puls, um die Muskeln mit genügend Sauerstoff versorgen zu können, den wir durch heftiges Atmen hereinhecheln. Denken hilft bei der panischen Flucht nicht, einfach weg, ist die Devise. Ach, wenn uns dies heute nur nicht bei Prüfungen geschehen würde. Angst in der Prüfung und schon kommt der Blackout und wir wissen nichts mehr von dem, was wir so intensiv gelernt hatten und genau wussten. Hier kommt es her. Denn als die Angst entstand, hatte sie den Sinn, das Überleben zu sichern, von Prüfungssituationen wusste sie noch nichts. Aber da holt sie uns dann heute leider manchmal ein.

Als Steinzeitmensch durften wir nicht eingeholt werden. Wir rennen und rennen, so schnell wie nie, so lange wie nie. Irgendwann sagte uns dann etwas im Inneren, wir sind entkommen. Der Leopard ist weg. Wir haben es geschafft, wir leben. Boah, geschafft. Er ist weg, er ist weg. ‚Ist er wirklich weg?‘, taucht als erster Gedanke des nun wieder einsetzenden Denkens auf. Ja, er ist weg. Wir sind sicher. Alles ist gut. Unser Körper entspannt, das Herz pocht noch heftig, aber nach und nach gehen Puls und Blutdruck zurück, die Muskeln erschlaffen, ein Zittern beruhigt die Nerven und wir sind völlig erschöpft und müde. Ausruhen, hinlegen, schlafen, ist unser Wunsch. Einfach erholen jetzt. Ruhe. Nach ein paar Stunden im Schatten einer Akazie kommen wir wieder auf die Beine. Wir gehen zurück zum Lager und stolz erzählen wir den Familienmitgliedern immer wieder, wie wir es geschafft haben, dieser Bestie heil zu entkommen. Nächstes Mal sind wir vorsichtiger, wenn wir etwas hinter einem Felsen rascheln hören.

Flucht kann also das Leben retten. Und diese Methode wenden wir auch heute gern an. Oft auch in Situationen, die eigentlich gar nicht so gefährlich sind. Bei Prüfungen oder Vorstellungsgesprächen ist es zum Beispiel gar nicht selten, dass manche Personen nicht erscheinen. Sie haben Angst vor der Situation bekommen und so flüchten sie vor ihr. Andere verlassen das Haus, wenn die Schwiegermutter zu Besuch kommt, oder Kinder schwänzen die Schule, weil heute der eine Lehrer oder das schlimmste Fach auf dem Stundenplan stehen. All das sind Formen des Fluchtverhaltens. Halten wir durch und stellen wir uns den Situationen, können trotzdem die körperlichen Reaktionen einsetzen. Wer kennt es nicht! Panik, innere Unruhe, Schweißausbrüche im Wartezimmer des Zahnarztes, vor der Prüfung oder neben Hooligans vor dem Fußballstadion.

Nun gibt es auch viele Menschen, die Angst vor Krankheiten haben, vor Krebs, Demenz oder ansteckenden Krankheiten, Viren und Bakterien. Bloß nicht eine Türklinke anfassen, da kann man sich ja wer weiß was holen. Und wenn doch, schnell die Hände waschen. Überall lauert Gefahr für die Gesundheit. Es kann sein, dass solche Menschen Arzt nach Arzt aufsuchen. Und obwohl die unisono beteuern, dass keine Krankheit festzustellen ist und die Patienten kerngesund sind, glauben diese es nicht. Krank sind sie tatsächlich. Nicht der Körper ist krank, sondern die Psyche. Angsterkrankung. Das ist aber nur die Steigerungsform der Angst vor Krankheit, die wir in normaler Form alle in uns haben. Diese hilft uns, vorsichtig zu sein und gesund zu leben, macht also Sinn und hilft uns beim Überleben. Leider kann man diese normale Angst manipulieren und anheizen. Verbreiten sich etwa Behauptungen über die Gefährlichkeit eines Virus oder Bakteriums und wird dies immerfort wiederholt, so steigt bei fast allen Menschen der Angstpegel. Das merken wir ganz besonders in der Coronazeit. Ein ziemlich normales Grippevirus mit dem wir schon lange Zeit leben, wird plötzlich zum Killervirus erklärt. Dabei war die Grippe 2018 viel schlimmer und hatte hohe Todesraten; in Österreich starben 2.900 und in Deutschland 25.000 Menschen daran.38 Doch da machte niemand Angst. Damals war es eine normale Wintererscheinung, die mit Bettruhe und Vitaminen und einem guten Abwehrsystem von den allermeisten Menschen bewältigt wurde, ohne dass die Angst um sich griff. Das jetzige Virus ist harmloser, es sterben weniger Menschen, aber medial wird Angst verbreitet, und die wirkt bei den meisten Menschen. So wurde die Angst vor einer Coronaerkrankung geschürt.

Schlimm ist, dass das durch die Regierungen erfolgt, weiß doch jeder, dass das Immunsystem gerade durch Angst geschwächt wird. In der kurzen Angst des Steinzeitmenschen konnte der Körper darauf verzichten, aber bei der heutigen Dauerangst hat das verheerende Folgen. Angstschüren führt dazu, dass mehr Menschen erkranken, der Krankheitsverlauf heftiger wird und mehr Menschen sterben. Und es zeigt auch, dass es bei dem ganzen Coronatheater nicht um die Gesundheit der Menschen geht. Helfen würde es, Angst zu nehmen, an eine gesunde Lebensweise mit viel Obst, Gemüse, Vitaminen und frischer Luft zu appellieren. Aber nichts von dem. Die Menschen sollen ja gerade ihre Angst behalten. Dann kann man sie besser beherrschen. Und genau das funktioniert. Angst geht um in Europa und der Welt.

Und natürlich versuchen da Menschen, der vermeintlichen Gefahr durch Flucht zu entkommen. Eine Frau, die ohne Maske einkaufen ging, schrieb: „Soeben im Supermarkt. Eine Frau sprang an der Kasse zur Seite, als ich mich ihr näherte, die pure Angst!“39

Sogar im Freien sind solche Fluchtreaktionen zu erleben: „Gerade gehe ich im Park. Da ist eine alte Frau mit Rollator und etwa fünfzehn Meter entfernt hustet einer lautstark. Da sagte sie zu ihrem Mann: ‚Nicht einatmen!‘. Im Ernst. Die machen die alten Leute völlig kirre.“40

Eine Geschichte trug sich in Mitteldeutschland zu: „Margot war immer schon unsere recht merkwürdige Helferin hier bei uns im Baugeschäft. Seit Jahren liegt sie mit allen im Streit. Nicht fortwährend. Sie braucht nämlich eigentlich Menschen, die sie zuquasseln kann. Hat sie ein Opfer gefunden, erfolgt ein ununterbrochener Monolog. Ahnungslos ging ich das Treppenhaus hinunter, da kommt Margot mir entgegen. ‚Jetzt bloß nicht zu freundlich sein‘, denke ich und befürchte sonst ihr nächstes Opfer zu sein. Aber meine Angst ist völlig unnötig. Sie blickt auf. Sieht mich ohne Maske. Erstarrt in ihrer Mimik, um dann in ein Panikgesicht zu wechseln. Dann dreht sie sich zum Treppengeländer und wendet sich von mir ab, mir ihren Rücken zeigend. ‚Margot, hast du ein Problem? Kann ich dir irgendwie helfen?‘, frage ich in aufrichtigem Ton. ‚Nein, Corooona. Steck mich nicht an‘, stürzt es aus ihr heraus und sie versteckt ihren Kopf dabei noch in ihrer Jacke, schnell die Treppe hochstolpernd. Ich bin also ein potenzieller Infektionsherd. Eine Gefahr. Klasse, die nervt mich wohl nicht weiter. Wie es der Deibel will, kommt sie mir ein paar Tage später erneut auf der Treppe zur Verladerampe entgegen. ‚Hallo Margot, schaust du mich denn heute mal freundlich an?‘, necke ich sie. Natürlich geschieht das nicht. Wieder wendet sie sich ab, steckt ihren Kopf in die Jacke und schreit: ‚Ich bin nicht unfreundlich!‘. ‚Das kommt mir aber so vor, ich finde es sehr unfreundlich, wie du dich zeigst!‘, antworte ich. Darauf schreit sie dann noch irgendwas von der Verladerampe zu mir herauf, was ich leider nicht verstehen kann, da einige Kollegen von der Warenausgabe lachend die Szene beobachtet hatten. Jetzt bin ich mir sicher. Margot wird mich wohl nicht mehr nerven. Danke Coroni.“