Die Engel der Madame Chantal

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Die Engel der Madame Chantal
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Kurt Pachl



Die Engel der Madame Chantal





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Inhaltsverzeichnis





Titel







Kapitel 1







Kapitel 2







Kapitel 3







Kapitel 4







Kapitel 5







Kapitel 6







Kapitel 7







Kapitel 8







Kapitel 9







Kapitel 10







Kapitel 11







Kapitel 12







Kapitel 13







Kapitel 14







Kapitel 15







Kapitel 16







Kapitel 17







Kapitel 18







Kapitel 19







Kapitel 20







Kapitel 21







Kapitel 22







Kapitel 23







Kapitel 24







Kapitel 25







Kapitel 26







Kapitel 27







Kapitel 28







Kapitel 29







Kapitel 30







Kapitel 31







Kapitel 32







Kapitel 33







Kapitel 34







Kapitel 35







Kapitel 36







Kapitel 37







Kapitel 38







Kapitel 39







Impressum neobooks







Kapitel 1










Kurt Pachl







Die Engel der



Madame Chantal







Erotik-Roman













































Ihr Name waberte als Inbegriff für eine atemberaubende Nacht oder als verschwiegenes Synonym für eine himmlische Auszeit über den Großraum Frankfurt. Tausend Euro für ein paar Stunden. Fünftausend oder gar zehntausend für ein Wochenende. Das zahlten sie gerne; die gutbetuchten Männer aus den oberen Zehntausend.



Chantal gelang es immer, sie glücklich zu machen. In ein paar Stunden oder Tagen tankten sie Kraft bei ihr auf – um sich später wieder in den Kampf zu stürzen.



Für Männer aus Wirtschaft, Kultur, Politik und dem Klerus war Chantal ein Engel auf Zeit. Sie hatten sich schon Tage zuvor auf diese Stunden oder gar Tage mit ihr gefreut. Sie reden zu lassen, und ihnen interessiert und glaubhaft zuzuhören – das war eines der vielen Geheimnisse ihres Erfolges.



Den meisten ihrer Kunden und Kundinnen war es ein Anliegen, zunächst ihre Probleme, Nöte und ihren Frust von der Seele sprudeln zu lassen. Manche sackten gar nach fünfzehn Minuten in sich zusammen - und weinten. Ja, bei ihr durften sie unendlich Vieles, was sie sich bei ihren Partnern, in ihren Unternehmen oder auch selbst innerhalb ihres engsten Freundeskreises niemals erlaubt hätten; was nicht als schicklich galt, oder was man sogar als Schwäche ausgelegt hätte. In den oberen Rängen durfte es keine Schwächen geben – niemals.



Ja, bei ihr durften sie weinen. Bei ihr durften sie sich anlehnen, wohltuend schweigen oder nach Herzenslust stöhnen. Mit einigen armen Seelen ging sie an einen leeren Strand. Gemeinsam schrien sie dort aus Leibeskräften gegen den Wind an, bis nur noch ein Krächzen aus ihren Kehlen drang. Und danach lagen sie lachend nebeneinander im Sand. In ihrem Job musste man kreativ sein. Weinen, Schreien, Singen, mit einer kleinen Peitsche auf unsichtbare Gestalten einschlagen, Streicheleinheiten für Körper und Seele – und natürlich Sex; guter und ideenreicher Sex. Ihr Repertoire war unerschöpflich.



Ein wilder Bursche hatte sich ein Spiegelzimmer basteln lassen. In der Mitte stand ein riesiges Bett. Er schrie vor Glück, wenn er sich dabei betrachten durfte, ganz Mann zu sein; wenn sie dabei ihre schlanken Beine fest um seinen Hals schlang. Wieder andere, jüngere, vögelten sich in Rage; konnten nicht genug von ihrem Körper bekommen. Sie entschuldigten sich anschließend für ihre verbalen Entgleisungen.



Chantal gab ihnen dann lächelnd und verzeihend einen liebevollen Kuss. Die meisten von ihnen bedankten sich doppelt; finanziell versteht sich.



Bei ihr brauchten sie sich nicht zu schämen, wenn es am Anfang nicht so recht klappte. Mit viel Liebe und Fantasie brachte sie die Burschen in den meisten Fällen wieder auf Trab. Alternativ erhielten sie unendlich viele Streicheleinheiten. Mit den reiferen Semestern lauschte sie bis tief in die Nacht hinein klassische Musik. Und sie, die Edelhure, bat diese gestressten Seelen darum, die Augen zu schließen. Dann malte sie ihnen herrliche Bilder vor ihrem geistigen Auge: Angefangen von den Wassertropfen, die von den bemoosten Felsen der zwei Moldauquellen tropften; mit den unterschiedlichsten Tönen und Oktaven; gespielt von zwei unterschiedlichen Querflöten. Oder sie beschrieb den Morgennebel, welcher in der Peer-Gynt-Suite über dem Wasser waberte, und sich von den ersten Sonnenstrahlen küssen ließ. Sie kuschelte sich an diese Personen oder Persönlichkeiten wie ein kleines, sanftes Mädchen. Sie gab ihnen das Gefühl, das begehrenswerteste und liebevollste Wesen auf dieser Erde zu sein.



Für sie, Chantal, flossen Wahrheiten, Fantasien und schauspielerischen Leistungen ineinander. Sie war einfach nur da, um ihnen zuzuhören, sie liebevoll anzulächeln, zu schnurren wie ein Kätzchen, um sie auf andere Gedanken zu bringen. Geistreiche Gespräche beim erlesenen Dinner hatte am Anfang niemand von einer Edel-Hure erwartet. Aber auch das war zunehmend ein äußerst wichtiger Bestandteil ihres fantasiereichen Arrangements geworden.



In den Jahren vor diesem großen Desaster, das ihr Leben gänzlich auf den Kopf gestellt hatte, präparierte sie sich vor jedem Date. Schlecht gerüstet in den liebevollen Kampf zu ziehen, hätte sie sich niemals verziehen. Möglichst alles wollte sie über ihre Kunden wissen: Unter welchen Umständen waren sie aufgewachsen. Das herauszufinden gestaltete sich mitunter weitaus schwieriger, als gut gehütete Firmengeheimnisse zu erlangen. Waren es Mama-Papa-Söhnchen oder mussten sie sich aus Schlamm und Morast nach oben strampeln. Waren sie gezeichnet von dominanten oder gar übermächtigen Vätern oder seelenlosen Müttern. Hatte dieser Mann oder diese Frau in ihrer Kindheit Schlimmes erlebt; kam es gar zu Übergriffen; mussten sich diese oder andere Geschehnisse tief in deren Seele eingebrannt haben. Danach richtete sie ihre Strategie aus. Es galt keine Fehler zu machen. Welche Schulen hatten sie durchlaufen. Welche Knüppel hatte man ihnen auf den Weg nach oben zwischen die Beine oder ins Genick geworfen. Wurden sie hintergangen oder ausgenutzt. Standen sie unter der Knute einer starken Frau oder eines gewalttätigen Mannes. Jede noch so kleine Information über ihr Unternehmen und deren Wettbewerber konnte hilfreich sein.



Es war immer eine lange Liste, die Sven Schneeweis, er war ihr Fotograf und darüber hinaus ein IT-Genie, für sie zusammentrug. Dafür liebte sie diesen Wuschelkopf. Ein lebens- und liebeshungriger Privatdetektiv, er hieß Ferdinand Papenburg, brachte Chantal vor einigen Jahren auf die Idee, zusätzlich Informationen über die Ehepartner ihrer Stammkunden in Erfahrung zu bringen. Für seine wertvolle Arbeit durfte er kostenlos die Dienste ihrer früheren Kolleginnen in Anspruch nehmen.

 



In den letzten Jahren kamen nur wenige Männer mit ausgefallenen sexuellen Fantasien zu ihr. Frauen mit extremen Wünschen gab es ohnehin selten. Wer glaubte, mit Geld alles kaufen zu können, und dabei die rote Linie überschreiten wollte, musste erfahren, dass sie sich dies nicht mehr antun musste. Sie wusste solche Situationen stilvoll zu umschiffen. Danach gab sie diesen Klienten keine zweite Chance; selbst wenn sie bereit gewesen wären, Unsummen zu zahlen.



Chantal kannte hunderte Ehegeschichten und Ehekriege. Bücher hätte sie darüberschreiben können. Aber Stil und Diskretion waren die Voraussetzungen ihres Erfolges. Ihre Geheimnummer stand inzwischen in vielen der kleinen schmalen Notizbüchlein wohlhabender Manager, Inhaber von Unternehmen und anderen spendablen Zeitgenossen. Selbst hochgestellte Geistliche brauchten hin und wieder eine Auszeit für ihre Seele. Frauen waren oft dankbarer, und natürlich spendabler als die Herren der Schöpfung.



Manche Ehen wären ohne sie, ohne „Madame Chantal“, schon längst in die Brüche gegangen. Die meisten ihrer Kunden waren Pragmatiker. Sie konnten gut rechnen. Ehescheidungen hätten sich finanziell ungleich verheerender niedergeschlagen können, als sich ab und zu eine Atempause mit einer niveauvollen Begleiterin zu gönnen; selbst dann, wenn diese fürstliche „Honorare“ erbat. Dass ihr Mann die Dienste einer „Edelhure“ in Anspruch nahm, galt für einige Frauen, die sich ohnehin einen Liebhaber hielten, stilvoll und weitaus verzeihlicher, als sich in irgendwelchen obskuren Spelunken herumzudrücken.



Ein Status quo bei ihren Stammkunden konnte unter Umständen hilfreicher sein, als eine Wiederverheiratung mit ungeahnten Folgen. Deshalb erhielten einige Kunden dezente und kostenlose Eheberatungen; Vorschläge, die selbstverständlich ganz und gar nicht uneigennützig waren.



In den letzten Jahren gelang es ihr sogar einige Männer oder Frauen davor zu bewahren, einen gutbezahlten Job einfach hinzuwerfen. Treue, liebenswerte und spendable Kunden erhielten einen höchst außergewöhnlichen Service. Ferdinand, der kreative Privatdetektiv, bekam dann den Auftrag, das wirtschaftliche Umfeld des unschlüssigen Kunden oder der eingeschüchterten Klientin zu durchleuchten. In einigen Fällen hatte sie diesen armen Seelen zum Abschied ein Kuvert mit sensiblen Daten in die Hand gedrückt, und ihnen ins Ohr geflüstert: »Mach‘ was Gescheites daraus!« Tage oder Wochen später warfen sich die Dankbaren an ihren Busen. Sie bedankten sich fürstlich. Noch nie waren diese absolut nicht alltäglichen Vorgehensweisen ein Minusgeschäft gewesen.



Der Geschäftsführer der Escort Agentur akzeptierte, dass dessen Mitarbeiterinnen keine verbindlichen Termine für Chantal vereinbaren durften.



Sie, Chantal, bestand darauf, mit den Interessierten selbst ein Telefonat zu führen, und einen Termin zu vereinbaren – oder auch nicht.



Im Laufe der vielen Jahre hatte sie ein fast untrügerisches Gespür entwickelt, welches Wesen sich hinter einer Stimme am Telefon verbarg. Bereits der erste Satz war in den allermeisten Fällen ausschlaggebend gewesen, ein Treffen zu vereinbaren – oder auch nicht. Allein die Stimme, die Lautstärke, die erste Wortwahl projizierten ein Bild vor ihrem inneren Auge. Sie fühlte es förmlich, als stünde einer der vielen Fieslinge neben ihr; einer, der es liebte, seine Sekretärin in einer Pause auf den Schreibtisch zu pressen – und von hinten zu vögeln. Oder war es ein seelenloser Despot, der stolz darauf war, seine Untergebenen zu knechten. Vielleicht hatte er ihren Namen aufgeschnappt, und war felsenfest davon überzeugt, auch dieses rassige Weib in seine Sammlung einreihen zu können; gleichsam der Trophäensammlung eines Großwildjägers. Er hatte schließlich Geld; viel Geld. Und er war davon überzeugt, für Geld alles kaufen zu können – auch Seelen. Edelnutten hatten aus der Sicht von so manchen reichen Spinnern ohnehin keine Seele.



Ihr Repertoire war dann unerschöpflich. Niemals wäre sie verletzend gewesen – auch dann nicht, wenn eine Stimme in ihr schrie, diesen Mann wissen zu lassen, dass er ein Schwein sei. Mit flötender Stimme bat sie glaubhaft um Verständnis, in den nächsten Wochen keinen Termin unterbringen zu können. Gerne würde sie ihm jedoch die Telefonnummer einer Kollegin geben. Dass diese Typen eine Absage von einer Nutte bekamen, war Strafe genug.



Natürlich hatte es in der Vergangenheit viele andere Telefonate gegeben. Bereits nach ein paar Sekunden sprang der Funke über; knisterte oder vibrierte es. Dann freute sie sich auf dieses Treffen. Aber selbst auch dann wäre sie nie auf die Idee gekommen, einem kurzfristigen Date zuzustimmen. Auch sie konnte sich schließlich irren. Sie wollte und musste sich auf dieses Treffen vorbereiten. Und hierfür brauchte sie Informationen.



Vor wenigen Wochen hatte Chantal zufällig einem Gespräch zwischen Sven und dem Detektiv gelauscht.



»Ich bin immer wieder beeindruckt, was Madame Chantal alles über ihre Kunden in Erfahrung bringen will«, brummt Ferdinand, und Sven antwortete lachend:



»Vielleicht liebe ich sie gerade deshalb. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass sie sich an alle ihre Kunden und Liebhaber erinnern kann.«




Wenige Wochen zuvor hatte Chantal zum ersten Mal in ihrem Leben darüber nachgedacht, wie viele Männer sie in ihrem Leben glücklich machen durfte.



In ihren jungen und wilden Jahren sahen die Kerle sie eher als attraktives Lustobjekt. Nur am Anfang glaubten einige, sich kurz an ihrem schönen Körper abreagieren zu dürfen. Dann rächte sie sich auf ihre Weise. Zunächst fragte sie die Burschen, ob sie Männer seien; so richtige Männer.



Was blieb den armen Kerlen dann übrig, als dies unter Beweis zu stellen. Stunden später genoss sie es zu beobachten, wie die Ausgepumpten zu ihrem Fahrzeug schlurften, und mit zittrigen Fingern versuchten, den Schlüssel in das Wagenschloss zu bugsieren.



Waren es Hunderte? In den Anfangsjahren, in Freiburg, Baden-Baden, Stuttgart oder Frankfurt, waren es mit Sicherheit mehr als über tausend heißblütige Männer - pro Jahr. In den letzten Jahren „begleitete“ sie zwei bis vier Männer in der Woche. Das Schicksal wollte es, dass auch Frauen ihre Dienste in Anspruch nehmen wollten.



Inzwischen war sie wohlhabend geworden; sehr wohlhabend sogar. Den größten Teil ihres Vermögens hatte sie jedoch nur indirekt mit ihrem Körper „erarbeitet“.






Kapitel 2




Chantal Mauriac wurde 1963 in einem kleinen Städtchen im Elsass geboren.



Ihr Vater, ein Weinbauer, starb früh, und ihre Mutter Jaqueline konnte das Weingut nicht mehr halten. Sie heiratete Hannes Vögele, den Inhaber einer weithin bekannten Gastwirtschaft in Freiburg.



Die quirlige, und bereits schon in jungen Jahren gutaussehende Tochter, besuchte das Gymnasium und schloss das Abitur mit der Note 1,2 ab. Mama Jaqueline schäumte vor Wut, als ihre intelligente Tochter unbedingt Sängerin werden wollte.



Stiefvater Hannes entpuppte sich jedoch als egoistischer Pragmatiker.



In seiner Gastwirtschaft wurden vornehmlich wertvolle Weine kredenzt. Seine attraktive Stieftochter sollte die Gäste bedienen, und sie zwischendurch mit lustigen Weinliedern unterhalten. Dafür griff er sogar tief in die Tasche.



Die heißblütige und extravertierte Chantal schlug ein wie eine Bombe. Seitdem strömten unzählige Gäste zur Weinwirtschaft am Schlehbusch.



Es blieb nicht aus, dass diese lebenslustige Schönheit umschwärmt wurde. Als ein verheirateter Gast aus Baden-Baden seine Stieftochter schwängerte, war das Wohlwollen des Stiefvaters allerdings jäh aufgebraucht. Mama Jaqueline gelang es mit allergrößter Mühe, ihren Mann umzustimmen, „das arme Mädchen“ nicht auf die Straße zu setzen.



Nach vielen Monaten der strengen Disharmonie entpuppte sich Opa Hannes sogar als der größte Fan des kleinen, schreienden Gerard.



Doch dann, ein Jahr später, ereignete sich dieses Unglück. Ohne jegliche Vorwarnung starb der kleine Schreihals.



Es folgten Monate der Hölle auf Erden. Hannes Vögele war der schlimmste Teufel in dieser Hölle.



Er steigerte sich in den Vorwurf hinein, dass dieser Schicksalsschlag eine Quittung für das Lotterleben seiner Stieftochter war. Gott habe sie dafür bestraft.



Mama Jaqueline, die einstmals wunderschöne Frau, verhüllte ihren Körper fortan in schwarzer Kleidung. Sie flüchtete in Gebete und Kirchenbesuche. Täglich wanderte sie zum Grab des kleinen Gerard. Niemals, auch in den vielen Jahren zuvor, hatte sie Chantal in die Arme genommen; niemals hatte sie offensichtlich darüber nachgedacht, wie es wohl in der Seele ihrer Tochter aussehen möge.



Dass ihre Mutter sie in dieser schlimmen Phase allein ließ, fraß sich tief in Chantals Seele; war unzweifelhaft ausschlaggebend für ihr weiteres Leben geworden.



Nach Wochen des Haderns, nach einer Phase der Entscheidung für oder gegen das Leben, entschied sich die damals Einundzwanzigjährige für das Vergessen und für das Leben. Dieses kleine Zimmerchen des kleinen Gerard, diese vielen liebgewordenen Utensilien und das Bewusstsein um das Grab des Kleinen, nur einen Kilometer vom Gasthaus und den angrenzenden Wohnräumen entfernt, waren unerträglich geworden.



In Baden-Baden schlug sich Chantal zunächst als attraktive Bedienung, Sängerin und Unterhalterin durchs Leben. Sie genoss es, wieder umschwärmt und geliebt zu werden. Das Leben musste weitergehen. Irgendwie. Viele Liebschaften, die atemlosen Fluchten glichen, gingen nahtlos in ein Leben als Hure über; in einem vornehmen Etablissement.



Nein, als Hure oder gar Nutte hatte sich Chantal zu keinem Zeitpunkt in ihrem Leben gesehen. Sie fühlte sich allenfalls als „Liebesdienerin“. So lange sie unliebsame Freier notfalls ablehnen durfte, und für angenehme Stunden Geld bekam, empfand sie es als eine gutgemeinte Fügung des Schicksals, Freude an sexuellen Erlebnissen zu haben.



Sehr früh entwickelte sie ein Gespür, welcher Mann ganz normalen Sex haben wollte, welcher Bursche auf Brutalität stand, oder welchen Kerl sie als Abschaum einstufen musste.



Was um alles in der Welt war falsch daran, dass sie ihren Körper liebte; mit dieser göttlichen Gabe zu spielen verstand, und obendrein Geld dafür bekam; zunehmend mehr Geld? Sie liebte guten oder gar hemmungslosen Sex.



Der Liebespfad führte Chantal über eine Edelsauna in Stuttgart zu einem bekannten Sauna-Club und später einem Escort-Club in Frankfurt. Sie wusste damals, dass noch viele weitere Städte auf ihrer Lebensliste stehen würden.



Ihr prickelnder Weg zog sie nach Paris. Es folgten zwei berauschende Jahre in London. An diese Jahre erinnerte sie sich später noch gerne.



Chantal konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, warum sie damals nach Hamburg wollte.



Diese zwei Jahre in der Hansestadt verflogen wie im Rausch.



Ja, für diese Jahre in Hamburg war der Begriff „Rausch“ mehr als zutreffend.



Es fing mit einigen Joints an. Danach wollte sie mehr; brauchte sie immer mehr. Zusätzlich begann sie zu trinken und stark zu rauchen.



Von einem Tag auf den anderen, Chantal war 32 Jahre alt, überfiel sie eine unendliche Leere und Sinnlosigkeit. An einem schönen Frühlingstag erwachte sie in einer Hamburger Klinik. Sie hatte versucht, sich mit einer Überdosis Rauschgift das Leben zu nehmen. Drei Monate verbrachte sie in der psychiatrischen Abteilung dieser Klinik.



War es Schicksal oder Vorhersehung? Wollte eine höhere Macht sie aufrütteln?



Während des Aufenthaltes in der Klinik fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sie hatte bislang wie ein schillernder Vogel das Leben genossen; ließ sich einfach treiben. Sie hatte das Geld mit vollen Händen ausgegeben, und keine Sekunde darüber nachgedacht, Rücklagen zu bilden oder über ihre Altersvorsorge nachzudenken.



Lediglich in eine private Krankenversicherung hatte sie einbezahlt. Doch auch diese zeigte ihr nun die rote Karte.



Sie hatte extrem gut verdient. Für damalige Verhältnisse waren siebentausend Euro pro Monat viel Geld gewesen; nach Steuern versteht sich.



Mit den letzten fünfhundert Euro in der Tasche fuhr sie nach Frankfurt.



Die Betreiber einer Edelsauna, unweit des Bahnhofsviertels, freuten sich, sie wieder begrüßen zu dürfen. In der Szene sprach es sich rasch herum: „Chantal ist zurück.“



Doch sie war inzwischen verwöhnt. In Paris und London hatte man sie liebevoller für ihre Dienste entlohnt. Jetzt brauchte sie viele Freier. Sie brauchte Geld, viel Geld. Unabhängig davon wollte sie sich in Arbeit ersäufen; diese Schande in Hamburg ausradieren. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie Pläne; große Pläne.

 



Neun Monate später gründete sie zusammen mit ihren Freundinnen Iris und Manuela eine Escortagentur für gehobenere Ansprüche. Sie wurden von Nachfragen regelrecht überrollt.



Das war 1996. Der Großraum Frankfurt explodierte wirtschaftlich gesehen. Allein der Bankensektor beschäftigte mit einem Umsatz von über 2,2 Billionen Euro 80 000 Seelen. Die Kommunikationswirtschaft, viele Versicherungen und Kanzleien, Universitäten, der Handel, verarbeitendes Gewerbe, das Baugewerbe und viele Dienstleistungsunternehmen wollten ihren Repräsentationswillen zeigen. Dies schlug sich in einer eindrucksvollen Hochhaussilhouette nieder. Unzählige

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