Bodos zornige Seele

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Bodos zornige Seele
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Kurt Pachl

Bodos zornige Seele

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Impressum neobooks

Kapitel 1

Kurt Pachl

Bodos zornige Seele

Umwelt Thriller

Unsere Zivilisation wird aufgrund des Klimawandels des

Ressourcenverbrauchs und des Bevölkerungswachstums

nicht überleben.

Das Ende der Ära Mensch ist unausweichlich.

Bevölkerungswachstum, Klimawandel, Wasserversorgung,

Landwirtschaftsentwicklung und Energieverbrauch

sind fünf Entwicklungen,

welche zum Kollaps unserer Gesellschaft führen können.

Sobald nur zwei Entwicklungen einsetzen,

die diese Faktoren maßgeblich beeinflussen,

ist der Untergang der Menschheit nicht mehr aufzuhalten.

Und eben das sei bereits passiert.

Dies geht aus einer Studie von Mathematikern,

Politikwissenschaftlern und Biologen

unter Zugrundelegung einer

NASA-Studie hervor.

Jetzt war es nicht mehr zu ändern. Die sieben Männer bereiteten sich auf ihre Aktion vor. Bodos Freunde empfanden Stolz, ihm diesen Dienst zu erweisen. Er hatte entschieden, alle sieben seelenlosen Robbenschlächter, die für Ewalds Tod verantwortlich waren, in die Hölle zu schicken.

Ole bestand darauf, den Fischkutter bereits am späten Nachmittag im Schutze einer kleinen, felsigen Insel mit windzerzausten Kiefern vor Anker zur bringen. Dieses Idyll lag nur dreihundert Meter vom Festland entfernt, inmitten der riesigen Hare Bay, im Norden von Neufundland.

Mitte April waren hier oben die Nächte noch empfindlich kalt. Eingerahmt von steil aufragenden, noch mit schneebedeckten Bergen, bildete sich in der Bucht über Nacht eine dünne Eisschicht. Diese Eisschicht musste am folgenden Morgen Jungfräulichkeit ausstrahlen. Nichts durfte auf die Anwesenheit der sieben Männer hinweisen.

Obwohl die Aktivisten in den letzten Jahren unter den widrigsten Umständen übernachtet hatten, empfanden sie die beiden Kajüten unter Deck als äußerst beengt. Mit Ausnahme von Marco und Ole waren es allesamt hünenhafte Naturburschen. Marco, der IT-Experte, wechselte in der Nacht zu Amaro Nguyen in den Führerstand.

Der Indianermischling hatte den alten Kut­ter zwei Wochen zuvor in Channel-Port aux Basques für neuntausend kanadi­sche Dollar erstanden. Seit im Sommer 1992 das kanadische Fischereiminis­terium ein Fangverbot für Kabeljau verhängte und die Hoheitsgewässer auf 200 Seemeilen erweitert hatte, dümpelten tausende große und kleine Kutter unge­nutzt in den Häfen. Für Bodo, der die Aktion leitete, hatte es oberste Priorität, dass der Motor des Kutters die Crew nicht im Stich ließ. Amaro war mit Fischer­booten aufgewachsen. Er hatte fast eine Woche benötigt, um einen gebrauchten, jedoch noch sehr gut erhaltenen und stärkeren Motor, einzubauen. Die Gruppe würde den kleinen Hafen in der Seal Bay reibungslos und noch schneller als ursprünglich geplant erreichen. Die Entscheidung des Leiters dieser Aktion, den Kutter kurz nach der Ankunft im Hafen auf Grund zu setzen, musste respektiert werden.

Kurz vor sechs Uhr früh räkelte sich Bodo aus dem Schlafsack und schlüpfte in den wattierten Schnee-Overall mit angenähter weißer Fellmütze. Anschlie­ßend stieg er in die ebenfalls weißen Fellstiefel. Bevor er die schmale Holz­treppe nach oben stapfte, kontrollierte er den kleinen Schwedenofen. Es war keine Glut mehr zu sehen. In den nächsten Stunden durfte kein Rauch aufstei­gen. Nicht die Spur eines verräterischen Geruches durfte in der klaren und küh­len Morgenluft liegen.

Der Führerstand war bereits leer. Bodo öffnete die Schiebetüre und betrat den schmalen Gangbord. Ein kalter Windhauch ließ ihn zusammenzucken. Fast automatisch zog er die Fellmütze über. Der Kutter ankerte dicht an einem Fel­sen, der wie ein riesiger Quader fast senkrecht ins Wasser ragte. Es genügte ein kleiner Schritt, um vom Gangbord an Land zu gelangen. Bradly wollte ges­tern den Kutter zwanzig Meter weiter vor Anker bringen, da von dieser Stelle aus ein ungehinderter Blick zum Buchteingang möglich gewesen wäre. Doch Amaro hatte darauf aufmerksam gemacht, dass die Morgensonne sich im Glas des Führerstandes widerspiegeln könnte; zumindest war dies nicht gänzlich aus­zu­schließen.

Bodo blickte sich suchend um. Eingerahmt von zwei uralten Kiefern befand sich einige Meter oberhalb des Bootsaustieges ein großer, flach geschliffener Fel­sen. Unter einem weit herausragenden Ast der linken Kiefer sah er die Silhouette eines Mannes. Dieser stand bewegungslos und breitbeinig, wie eine Statue, und blickte in Richtung Osten.

Amaro begrüßte Bodo mit einem Kopfnicken und deutete mit dem Kinn zum Eingang der Bucht. Der Himmel färbte sich gerade von einem dunklen Rot in ein sattes Dunkelorange; darin feine weiße und schwarze horizontale Streifen. Langsam betupfte das Licht auch die rechte und linke Bergflanke am Bucht­eingang. Das Farbenspiel kroch nun langsam die hohen Bergketten hinauf. Jetzt begann sich das Feuerwerk, auf der dünnen Eisschicht der Hare Bay widerzu­spiegeln.

Während Bodo das Farbspektakel in sich aufsog, war Amaro unbemerkt ver­schwunden. Als er lautlos seinen ursprünglichen Platz einnahm, hatte er zwei große Henkeltassen in den Händen. Wortlos streckte er Bodo eine davon entge­gen. Schweigend standen die beiden Hünen nebeneinander. Der Kaffee dampfte in der kalten Luft, und die Männer wärmten sich die Hände an den Tassen. Das dunkle Schwarz über ihnen wich langsam einem Dunkelblau, und am Horizont schob sich die fahlgelbe Sonne wie ein gleißendes Halbrund in das Meer aus Orange. Amaro hatte ebenfalls die weiße Tarnkleidung angezogen. Für ihn war diese Temperatur wie ein Frühlingslüftchen. Er brauchte keine Fellmütze. Sein langes, tiefschwarzes Haar kontrastierte zum weißen Overall. Die Farben des jungen Tages verstärkten seine vom Wind und Wetter gegerbten Gesichtszüge. Wie Bodo war er knapp zwei Meter groß, breitschultrig und trotz des Overalls erkennbar muskulös.

 

Den Körperbau hatte Amaro von seinem Vater geerbt. Damit erschöpften sich allerdings die Gene der weißen Rasse. Amaros Mutter war die Tochter eines Häuptlings aus dem Stamm der Eyak. Dieser Tatsache verdankte der Vater den reibungslosen Aufbau eines ansehnlichen Fischunternehmens im Südwesten von Alaska. Bis zu seinem zwanzigsten Lebensjahr schuftete der Mischling im Familienunternehmen. Als der mittlerweile hünenhafte Natur­bursche seine Mutter eines Tages blutüberströmt am Boden liegend vorfand, entschied das Blut der Eyak innerhalb weniger Sekunden über Amaros künf­tiges Leben. Sein Vater musste sechs Wochen im Krankenhaus verbringen, und der mit einem Schlag erwachsen gewordene Eyak versprach seinem Erzeuger, ihn in kleine Stücke zu schneiden, und an die Lachse zu verfüttern, sollte er noch einmal Hand an seine Mutter legen. Danach nahm er sich seinen Verdienst, den ihm sein Vater bislang vorenthalten hatte, aus der Kasse. Seine Mutter gab ihm wortlos einen Kuss auf die Stirn, ehe er mit einer guten Ausrüstung in die Wildnis Alaskas verschwand. Im Laufe der Jahre häuften sich unaufgeklärte Todesfälle von betrunkenen und bestialischen Robbenjägern, gierigen Ölsuchern und Trupps von Jägern, die ihren Spaß daran hatten, wie eine wilde Horde durch die herrlichen Weiten Alaskas zu ziehen.

Die Eyak verstanden sich als Teil der Schöpfung. Sie entnahmen der Natur immer nur so viel, wie sie zum Leben brauchten. Und sie entschuldigten sich bei den erlegten Tieren und bedankten sich beim Schöpfer. Amaro verstand sich als Beschützer seiner Heimat. Als ihm eine Sondereinheit zu dicht auf den Pelz rückte, setzte er sich in die Staaten ab und schloss sich den Eco Warriors an.

Zusammen mit Bodo und Marco wurde er einige Zeit später in Little Guantanamo inhaftiert. Sein kanadischer Freund, Vincent Decoux, konnte damals durch die Maschen des FBI schlüpfen. Er half Amaro später wieder auf die Beine zu kommen, und stellte den Kontakt zu Bodo her. Als Amaro von Bodos Plan hörte, weinte er vor Glück. Ohne Bodos

Hilfe hätte er das Little Guantanamo wahrscheinlich nicht lebend verlassen.

Nun standen sie mit ihren Henkeltassen nebeneinander und begrüßten schwei­gend den Tag. Amaro erinnerte Bodo an Ewald. Auch bei diesem Indianermischling brauchte es keine Worte. Es war, als sprächen auch ihre Seelen miteinander.

»Sie haben soeben den Hafen verlassen.« Mit diesen Worten näherte sich Marco den beiden Männern. Bodos langjähriger Wegbegleiter hatte die Aufgabe, den Funkverkehr zu verfolgen. Er wandte den Kopf zu Amaro.

»Wann werden sie hier sein?«

»Schätze in einer halben Stunde«, antwortete dieser knapp. In Little Guantanamo teilten sie sich eine Zeitlang gemeinsam eine Zelle. Marco nickte kurz und verzog sein Gesicht zu einem leichten, dankenden Lächeln. Wortlos legte Bodo seine Arme über die Schultern seiner beiden Wegbegleiter. Vor allem für Marco bedeutete diese Geste Freundschaft, Dank, Wärme, Kraft und Zusammengehörigkeit.

Der eher schmächtige Mann unterstützte Bodo bereits als Jugendlicher beim Kampf gegen Tier­versuche. Als IT-Experte war es damals seine Aufgabe gewesen, alle Aktionen akribisch vorzubereiten. Gemeinsam litten sie später fast fünfzehn Monate in Little Guantanamo. Bodo hatte zuvor erkannt, dass in Marco ein riesiges IT-Genie schlummerte. Bodo war fortan Marcos Mentor geworden. Für ihn war es nicht nur ein Zeichen der Freundschaft, wenn er jeden noch so ausgefallenen Wunsch des Algorithmen-Fetischisten finanzierte. Er wusste und ahnte, dass dieses Geschenk Gottes, wie er es manchmal scherzhaft nannte, gehoben werden musste, und noch große Dienste leisten würde. Für Marco ging diese Symbiose weit über eine Freundschaft hinaus. Ein Leben ohne Bodo war für ihn nicht mehr vorstellbar.

Er stand plötzlich neben den drei Männern. Sie hatten ihn nicht kommen hören.

Während Marco sich im Laufe der Jahre zu Bodos linker Hand ent­wickelte, war Ole zu seiner unverzichtbaren Rechten erwachsen. Dieser Bur­sche dachte und bewegte sich nicht nur wie ein Luchs; er hatte den Instinkt und so­gar die Augen dieser Tiergattung.

Über Nils Ruffuß, der sich als Jugendlicher Bodos Feldzug gegen Tier­ver­suche angeschlossen hatte, lernte Bodo Ole kennen. Dessen Vater hatte auf­grund eines Unfalles den Hof und die Fischerei in Norwegen aufgegeben. Ole war in Hamburg geboren. Seine Mutter, eine Köchin, hatte sich des Norwegers mit einem Bein erbarmt, und ihn geheiratet. Irgendwann zogen sie in die Einöde Norwegens, wo der Vater schließlich dem Suff erlag. Zuvor hatte er sei­nen Sohn wie einen Hund geschlagen.

Ole, nur 175cm groß, verbrachte die meiste Zeit in den Fjorden und den riesigen Wäldern Norwegens. Er wurde muskulös, zäh, ausdauernd – und jähzornig. Nach einigen Jobs auf Ölplattformen in Norwegen und in Nigeria gelangte er schließlich zur norwegischen Armee. Dort erhielt er eine Spezialausbildung bei einer Sondereinheit und wurde als Waffenspezialist sowie Sprengstoff- und Nahkampfexperte ausgebildet. Nachdem der Jähzornige einen Vorgesetzten übel zugerichtet hatte, verbrachte er ein halbes Jahr im Gefängnis. Danach zog es den Norweger wieder nach Hamburg, wo er sich bei einer Wach- und Schließgesellschaft sowie bei einem Werttransportunterneh­men über Wasser halten konnte.

Heute standen sie in der Einsamkeit von Labrador. Bodo, ein muskulöser Hüne, zog Ole näher heran, so dass sein rechter Arm sowohl über Marcos und zum Teil auch über Oles Schulter reichte.

»Ich danke euch für eure Freundschaft. Auch in Ewalds Namen.«

Die Männer wussten, dass Bodo keine Antwort erwartete. Sie blickten schweigend in Richtung Osten. Dort stand die Sonne inzwischen wie ein Feuerball am Horizont. Es war Ewalds Art zu beten, wenn er solche Herrlich­keiten mit der Kamera einfing, und dabei oft, wie ein kleiner, begeisterter Junge wirkte. »Ach Ewald, ich wünschte, du wärst heute bei uns«, flüsterte Bodo leise.

»Er ist bei uns. Freundschaft geht über den Tod hinaus.«

Es war Cristostomo Campbell, der dicht hinter den vier Männern stand, und nun den Reißverschluss seines Overalls zuzog.

»Ich bin stolz darauf, solche Freunde zu haben. Heute ist ein schöner Tag zum Sterben, sagen wir Indianer. An wichtigen und guten Entscheidungen darf man nicht zweifeln.« Mit diesen Worten klopfte er Bodo freundschaftlich auf die Schulter. Cristostomo und Bodo kannten sich seit vielen Jahren. Der kana­dische Indianer war 190 cm groß, hatte pechschwarze, kurze Haare, die nun in der frühen Morgensonne glänzten.

Dass er Halbindianer war, unterschlug Cristostomo gerne. Sein Vater war ein Weißer aus Ontario und hatte mit einer Indianerin eine Ranch in Manitoba auf­gebaut. Zum Leidwesen des Vaters war Cristostomo bereits als Jugendlicher tagelang in den Wäldern verschwunden. Um nichts auf der Welt wollte er später die Ranch der Eltern übernehmen. Mit Rinderzucht konnte sich Cristos­tomo nicht identifizieren. Stattdessen studierte er Biologie. Während des Studi­ums lernte er die Indianerin Awanasa Archambeau kennen. Awanasa wurde Biologie-Lehrerin und Cristostomo führte Naturbegeisterte durch die schöne, fast unberührte Wildnis von Quebec.

»Luft, Luft, aahhh.« Es war Bradly Bryant, der sich mit einer Tasse dampfen­dem Kaffee in der Hand zum Ausblickfelsen arbeitete. »Nie wieder übernachte ich mit euch in einer Kajüte. Das halten doch nur Murmeltiere aus.« Er schlürfte genüsslich an seiner Tasse.

»Wenn es da unten streng riecht, dann kann dies nur von dir kommen«, sag­te Marco lachend. »Von dieser Nacht hast du doch überhaupt nichts mit­bekommen. Du hast geschnarcht, dass das ganze Boot vibriert hat. Ich bin des­halb zu Amaro geflüchtet.«

Die Männer lachten. Während Bodo, Marco, die beiden Indianer und Vincent es gestern Abend bei einer Flasche Bier belassen hatten, brauchte Bradly seine Flasche Whiskey. Nur Ole hielt sich an seine Cola. Da unten im Süden der Staaten degeneriert man schneller, hatte gestern Bodo zu Marco gesagt. Bradlys Heimat war die Stadt Biloxi, im äußersten Süden von Mississippi, am Golf von Mexiko.

Als Letzter tauchte Vincent Decoux auf. Er, der für die Planung dieser Aktion zuständig war, wohnte an der Grenze zwischen Kanada und Alaska.

Vincent, Cristostomo, Amaro, Ole und Bradly hatten eines gemeinsam. Sie waren raue Gesellen, Kämpfernaturen - und vor allem Scharfschützen mit Spezialausbildungen. Sie hatten sich Gedanken um Bodo gemacht.

Bradly hatte sechs Barrett M82 besorgt, und diese an Vincent zum Versand gebracht. Amaro grinste vor wenigen Tagen geringschätzig über die relativ kur­zen Gewehre. Doch als sie vor zwei Tagen in die Wälder fuhren, um Schießübungen zu machen, pfiff er beeindruckt durch die Zähne. Nach einer Weiterentwicklung wog die M82 aufgrund des Einsatzes von Titan nur knapp über zehn Kilogramm. Hinzu kam ein Zeiss-Zielfernrohr mit sechs-­ bis vier­undzwanzigfacher Vergrößerung. Entgegen einem Jagdgewehr konnte dieses Spezialgewehr mit einer weitaus effektiveren Munition geladen werden. Ganz wichtig war, dass der bewegliche Lauf geflutet wurde und Kühlrippen besaß. Zusätzlich war eine Mündungsbremse eingebaut.

Diese garantierte, dass der Rück­stoß um siebzig Prozent verringert wurde. Das war ganz entscheidend für die zweiten und nachfolgenden Schüsse.

Den Scharfschützen war der Mund offen stehengeblieben, als Bodo nach bereits zehn Minuten drei kleine Münzen hintereinander aus einer Entfernung von dreihundert Metern zerkleinerte. Sie konnten nicht ahnen, dass er durch Oles Schule gelaufen war. Und dieser grinste anerkennend.

Bradly hatte unter­schiedliche Munition mitgeliefert. Das Magazin fasste zehn Schuss 12,7x99 mm. Sie entschieden sich für die Weichkernmunition. Diese eigneten sich für Kopfschüsse. Der Austritt am Hinterkopf war bis zu zehn Mal größer als das Ein­schussloch. Ole riet von Stahlmantelgeschossen ab. Reste dieser Munition, die Rückschlüsse auf den Gewehrtyp hätten geben können, wären später von Experten leichter zu finden gewesen. Zur Sicherheit hatte jeder Schütze ein Ersatzmagazin.

»Lasst uns hinuntergehen«, mahnte Amaro, nachdem er in die Richtung des herrlichen Sonnenaufganges geblickt hatte.

Marco und Ole reichten den Männern jeweils ein mit weißem Stoff bespanntes Futteral durch die Tür des Führerstandes. Danach trat Ole mit seinem Futteral nach draußen.

»Sie müssen in ein paar Minuten am Buchteingang auftauchen«, sagte Marco im Türeingang. Danach gab er den sechs Männern ein kleines Päckchen. In jedem Päckchen befand sich ein kleines Fernsprechgerät. Bei der gestrigen Besprechung waren sie jedes Detail noch einmal durchgegangen. Als Einsatz­leiter hatten sie sich dabei auf Amaro geeinigt. Er wusste genau, in welcher Sekunde die Schüsse abgegeben werden mussten. Alle Ziele mussten aufrecht stehen. Der jeweils erste Schuss war im Bruchteil einer Sekunde abzugeben; gleich­zeitig. Nicht das kleinste Risiko durfte eingegangen werden.

Die sechs Schützen verließen den Kutter. Marco blieb an Bord. Amaro hatte gestern Abend eine gut begehbare Strecke zum Kamm der kleinen Insel aus­findig gemacht. Der Aufstieg würde nur zehn Minuten in Anspruch nehmen. Schweigend stapften die Männer Amaro hinterher; in kleinen und sicheren Schritten. Ihre Fellmützen mussten sie erst überziehen, sobald sie die Anhöhe erreicht hatten. Die Mannschaft musste in der Landschaft zerfließen; sie durfte nicht vorhanden sein.

Das kleine, flache Plateau hatte ausreichend Platz für die Scharfschützen. Von hier aus hatten sie einen herrlichen Weitblick. Am Eingang der Bucht war ein kleiner Kutter zu sehen, eingerahmt vom großen Sonnenball. Ewald hätte dieses fast kitschige Bild in vielen Aufnahmen festgehalten, dachte Bodo. Von jetzt an mussten sich die Männer vorsichtig bewegen. Sie streiften ihre Fell­mützen über und gingen unwillkürlich in die Hocke. Der Wind hatte den neuen, leichten Schnee der letzten Nacht verweht. Die verbliebene Schneedecke war nur knapp fünf Zentimeter hoch und angefroren. Trotzdem glätteten die Aktivisten den vorderen Bereich mit ihren Händen. Die Zweibeine der Gewehre mussten einen absolut festen Stand haben. Darüber hinaus hatte Bodo darauf bestanden, anschließend alle ausgeworfenen Hülsen einzusammeln. Keine durfte zurückbleiben.

 

Die Schützen zogen die Gewehre aus den Futteralen, klappten die Zweibeine auf und brachten die Gewehre in Stellung. Aus einer Seitentasche des Futte­rals entnahmen sie ein volles Ersatzmagazin und legten dieses neben das Gewehr. Kniend kramten sie nach den kleinen Päckchen, welche Marco ihnen übergeben hatte. Das Sprechfunkkästchen in der Größe eines Handys steckten sie in die linke Brusttasche des Overalls, nachdem sie den Schalter auf „ON“ umgelegt hatten. Sie zogen das dünne Kabel nach oben, legten den Kopfhörer an, und steckten das Empfangsteil in das linke Ohr. Sofort begann es leise zu rauschen.

Amaro vergewisserte sich, dass alle Empfang hatten.

»Sprechprobe«, zischte er leise.

Bodo, der am linken Rand kniete, antwortete leise: »Eins«.

Ole neben ihm sagte: »Zwei.«

Danach kamen Amaro, Bradly, Vincent und rechts außen befand sich Cristos­tomo. Unabhängig davon, wie immer sich die Robbenschlächter bewe­gen würden; »ansprechen« mussten jeweils die Schützen von links nach rechts ent­sprechend den Männern am Strand gegenüber - von links nach rechts.

Aus der rechten Brusttasche des Overalls zogen nun die Männer weiße Gesichtsmasken und weiße Gummihandschuhe. Bodo hatte ursprünglich darauf bestanden, auch enganliegende Brillen zu tragen. Er war ein Sicher­heitsfanatiker. Für den Extremfall, dass einer der Schützen gefangen genommen würde, wollte er sicherstellen, dass ihnen nicht der leiseste Hauch von Schmauchspuren anhaftete; zum Beispiel an den Wimpern. Anhand der Schmauchspuren ließe sich weitestgehend ermitteln, mit welchem Waffentyp und mit welcher Munition geschossen worden war. Die Klei­dung, die Gesichtsmasken und die Handschuhe mussten unmittelbar nach der Aktion vernichtet werden. Vor allem Amaro konnte Bodo überzeugen, dass eine Brille bei einem noch so geringen Rückschlag des Gewehres ein Sicher­heitsrisiko darstellte. So einigten sie sich darauf, später auf dem Boot die Körperteile hinter den Öffnungen der Gesichtsmasken mit einer Speziallösung sorg­fältig zu reinigen.

Als sie das Tuckern des Kutters hörten, legten sie sich aus Sicherheitsgründen flach auf den Bauch. Durch einen Zufall könnte einer der Robbenjäger mit dem Fernglas das Gebiet absuchen. Das war zwar äußerst unwahrscheinlich, jedoch nicht gänzlich auszuschließen. Amaro hatte ausgerechnet, dass die Robbenjäger frühestens in zwanzig Minuten nach dem ersten Stopp des Kutters am festgelegten Aktionspunkt angelangt sein würden.

Auf der gegenüberliegenden Festlandseite, am Fuße der Bergkette, hatten Wind und Wellen zwanzig bis dreißig Meter breite Schotterbänke ausge­waschen. Auf diesen Schotterinseln, die teilweise noch mit einer leichten Schneedecke bedeckt waren, hatten sich unterschiedlich große Robbenkolonien versammelt. Zu dieser Jahreszeit waren die meisten Robbenjungen vier bis sechs Wochen alt. Das Spektakel der Jungen war aufgrund der dünnen Luft und der Entfernung von dreihundert bis vierhundert Metern so laut zu vernehmen, als wären diese nur wenige Meter entfernt. Direkt gegenüber, auf der dritten Schotterbank von rechts, lagen fünf Robbenmütter, Sattelrobben und fünf Jungrobben. Zwei davon trugen noch ein weißes Fell und waren demnach noch keine vier Wochen alt. Die übrigen Jungrobben hatten ein Alter von sechs bis maximal sieben Wochen.

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