Das Öl, die Macht und Zeichen der Hoffnung

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Doch die beiden Brunnen in Rier sind nicht die einzigen Problemfälle. Alle zwölf Brunnen, die wir beprobt haben, sind belastet, fünf davon so schwer, dass sie geschlossen oder saniert werden müssen. Es handelt sich dabei um die beiden Brunnen in Rier, den Brunnen bei Mar und die Brunnen in Bouw und Duar.


2009

Fragen an ein Ölkonsortium

Im Januar 2009 übergibt das Norwegian Directorate for Nature Management seinen Report »Environmental and Social Impacts of Petroleum Industry in Southern Sudan«1 an die südsudanesischen Auftraggeber. Die Experten appellieren angesichts des von ihnen Vorgefundenen, so schnell wie möglich eine vollständige strategische Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen.2 In ihrer Bestandsaufnahme stellen sie besonders den Umgang mit dem Prozesswasser als äußerst bedenklich heraus: »Unsere Untersuchungsergebnisse stimmen im Allgemeinen mit Erfahrungen in Gegenden mit vergleichbaren Umweltbedingungen überein, abgesehen von der Tatsache, dass Umfang, Durchführbarkeit und Nachhaltigkeit der Methoden zur Prozesswasser-Entsorgung zweifelhaft sind.3 Die Biodiversität des südlichen Sudans ist gleichermaßen vielfältig und unzureichend dokumentiert. Die Auswirkungen der Ölförderung auf unberührte Landschaften (Feuchtgebiete) und auf Pflanzen- und Tierarten sind von größter Bedeutung.«

Deshalb sei neben einer Bestandsaufnahme der sozialen Folgen auch eine umfassende Bestandsaufnahme der Pflanzen- und Tierwelt notwendig. Prozesswasser, das vergiftete Produkt der Ölförderung, sei eine Gefahr für Menschen und Tiere, in einiger Hinsicht offensichtlich, in anderer, zum Beispiel artenspezifisch oder bezüglich der Nahrungskette, noch unbekannt beziehungsweise wenig erforscht. Die im Sudan bevorzugte Methode, die in der Ölproduktion anfallenden Abwässer zu entsorgen, seien biologische Kläranlagen. Die Bioremediationstechniken blieben allerdings ungeprüft auf dem Stand, auf dem sie eingeführt wurden, monieren die Experten.4 Die im Sudan verwendeten biologischen Abbauverfahren durch Phytotechnologie seien zwar theoretisch umfassend erforscht und in kleineren Modellversuchen auch erfolgreich.5 Die seit 2003 im Sudan errichteten Anlagen sind die größten der Welt.6 Mit größeren Anlagen im Originalmaßstab gibt es noch keine Erfahrungen.7

Darüber, warum man in dem Entwicklungsland entschied, ein noch unerprobtes Verfahren zu wählen, sind nur Vermutungen möglich. Das britische Unternehmen Oceans, das für die Planung der Bioremediation-Anlagen im Sudan verantwortlich zeichnet, hebt in seinen Werbebroschüren die langfristig günstigen Kosten hervor.8 In einem Nachhaltigkeitsreport von Petronas (Petroliam Nasional Berhad) erscheint die Technologie 2007 als Bestandteil des weltweiten Engagements für den Umweltschutz neben Investments zur Schildkrötenrettung und zum Mangrovenschutz.9 »Bioremediation ist ein biodiversitäts-freundlicher Prozess, bei dem durch die Nutzung natürlicher Mikroben, die in Böden und Grundwasser leben, schädigende chemische Abwässer gereinigt werden.«10

Die norwegischen Experten ließen sich von den Werbeaussagen nicht überzeugen. Sie heben in ihrer Analyse hervor, dass zum einen die Veränderungen des Ökosystems durch die riesigen künstlichen Feuchtgebiete gar nicht hinreichend erforscht seien. Zum anderen gebe es keine schlüssigen Antworten auf Fragen nach der Effizienz des Systems beim Abbau von toxischen Bestandteilen des Prozesswassers und bezüglich der Auswirkungen einer möglichen Akkumulation nicht abbaubarer Bestandteile.11 Als Schlussfolgerung fordern die Experten ein Gutachten ausgewiesener, unabhängiger Fachleute. Damit legen sie den Finger in die Wunde, denn die fehlende Transparenz ist ein weiterer wichtiger Kritikpunkt der Experten. Wo Transparenz fehlt, ist kaum wirksame Kontrolle möglich. Hinzu kommt, dass den Menschen vor Ort vielfach noch das Bewusstsein für die Gefahren fehlt, die von den Abwässern ausgehen.12 Ihnen sei schlichtweg nicht klar, dass von den Rückständen des Prozesswassers auch nach mehreren Reinigungsvorgängen noch Bedrohungen für die Gesundheit von Mensch und Tier ausginge.13

Diesbezüglich machen die Norweger weitreichende Feststellungen: Bessere Kommunikation und Transparenz hinsichtlich der umweltbezogenen Auswirkungen von Aktivitäten der Ölindustrie könnten die Beziehungen zwischen lokalen Gemeinden und den Ölfirmen verbessern. Die ölbezogenen Aktivitäten müssten in Übereinstimmung mit den sudanesischen Entsorgungsgenehmigungen stehen und sollten die Standards der »best international oilfield practise« einhalten. Um dies zu sichern, sollte die Behörde Prüfungsaktivitäten verbessern und die Anzahl noch erhöhen.14 Im Umkehrschluss lassen diese Hinweise nur eine Interpretation zu: Das Verhalten der Ölfirmen und auch der örtlichen Administration entspricht diesen Maßstäben nicht. Für die örtliche Administration ist das nicht weiter verwunderlich angesichts der Vorgeschichte. Die Ölfirmen aber sind sämtlich international aktive und erfahrene Unternehmen, denen die für sie geltenden Standards einschließlich der Dokumentations- und Offenlegungspflichten bekannt sind.

Wie es in der Realität aussieht, belegt ein Bericht des United Nations Environment Programme, dessen Experten im gesamten Sudan nach Abschluss des Friedensabkommens von 2005 ein umfassendes Umwelt-Assessment durchführten.15 Auch dort wird der Umgang mit dem Prozesswasser als eine der problematischsten Herausforderungen für die Umwelt beschrieben. Im März 2006 inspizierte man die schon in Betrieb befindliche Ölaufbereitungsanlage von Heglig. Die Inspektoren notierten sich das Vorhandensein einer Schilfbett-Biokläranlage zur Behandlung des Prozesswassers.16 Im November desselben Jahres allerdings erfuhren sie vom zuständigen Ministerium, dass dort auch Prozesswasser in unbekannten Mengen ungeklärt abgeleitet würde.17 Personal vor Ort bestätigte die Vorgehensweise.18 Als Grund wurde den UN-Experten angegeben, die vorhandenen Kläranlagen seien zu klein für die anfallenden Mengen an Prozesswasser.19 Betreiber der Anlage von Heglig ist bis heute ein Konsortium unter Beteiligung des Mehrheitsanteilseigners von White Nile Petroleum Operating Company (WNPOC), des malaysischen Staatskonzerns Petronas, der sich mit der Kläranlage von Heglig selbst für seine Umweltschutzmaßnahmen lobt.20

Bei dem Konsortium, das auf die Anfragen Hoffnungszeichens über die Prozesswasser-Entsorgung in Thar Jath noch immer nicht reagiert hat, fiel den UN-Experten eine Besonderheit auf. WNPOC steht nicht wie die anderen Ölkonsortien im Sudan unter der Aufsicht des in Khartum ansässigen Ministry of Energy and Minerals (MEM) des Government of National Unity (GONU) und den von diesen erlassenen Regularien.21 WNPOC untersteht dem Ministry of Energy and Mining des Government of Southern Sudan.22 Die Regierung des Südsudans wiederum ist über die staatliche Ölgesellschaft Sudapet (Sudan National Petroleum Corporation) Minderheitsanteilseigner des Konsortiums. Die Bewertung der Unternehmungen des Konsortiums und der Leistungsfähigkeit des Ministeriums durch die Experten des United Nations Environment Programme (UNEP) ergab, dass das Konsortium sich faktisch selbst reguliert.23

Der gemeinsamen Regierung empfehlen die UNEP-Experten dringend, sie oder eine andere unabhängige Institution mit einem Umwelt-Assessment über die Ölförderung zu beauftragen.24 Die Ergebnisse sollten unbedingt öffentlich gemacht werden.25

Auch die Experten aus Trondheim legen in ihren Vorschlägen den Auftraggebern der ehemaligen südsudanesischen Rebellenorganisation nahe, den Report der Öffentlichkeit vorzulegen.26 Das geschieht aber nicht. Nur über Umwege ist es Fachleuten möglich, die Studie des Norwegian Directorate for Nature Management einzusehen.

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Am 20. Februar wendet sich Hoffnungszeichen erneut an WNPOC. Auf mehreren Seiten wird ausführlich die Analyse der gezogenen Wasserproben erläutert und welche konkreten gesundheitlichen Gefahren mit den Expositionen zahlreicher vorgefundener Schadstoffe verbunden sind. Insbesondere wird verdeutlicht, dass die bei der wissenschaftlichen Untersuchung festgestellte extreme Versalzung zunimmt, je näher man an die Ölquellen herankomme. Dies lasse ebenso wie das Vorhandensein von Strontium, Schwermetallen und PAHs in einigen Proben den Schluss zu, dass das Wasser aus den Proben mit Prozesswasser oder Bohrspülungen kontaminiert wurde. Hoffnungszeichen beschuldigt WNPOC des unsachgemäßen Umgangs mit den Abwässern. Das Konsortium wird zugleich darauf aufmerksam gemacht, dass dies nicht nur eine gefährliche Bedrohung für die lokale Bevölkerung ist, sondern dass sich eine Umweltkatastrophe im Sudd abzeichnet.

 

»In diesem Zusammenhang möchten wir Sie höflich bitten, vollständig und uneingeschränkt die Umwelt, insbesondere das Oberflächen- und das Grundwasser, vor der Verseuchung mit giftigen Chemikalien zu bewahren. Wir wären Ihnen sehr verbunden, wenn Sie sich in Bezug auf Gesundheit, Sicherheit und Umweltstandards an die international gültigen Regeln für die Ölförderung halten würden. Bohrflüssigkeiten dürfen nicht in Gewässer, Sümpfe oder Böden entsorgt werden. Wir möchten auch darauf hinweisen, dass Ihr Unternehmen sich dramatisch für die Verbesserung der Trinkwasserqualität verantwortlich fühlen müsste.«27

Ebenso freundlich wird das Konsortium gebeten, den zwangsumgesiedelten Bewohnern des alten Rier Entschädigungen zu zahlen. Auch wird angeregt, dass sich WNPOC an Wasser-Sanierungsprojekten beteiligt. Erneut wird der Ölfirma angeboten, gemeinsam zu erörtern, wie der lokalen Bevölkerung Zugang zu sauberem Trinkwasser verschafft werden kann. Nachdem WNPOC aufgefordert wird, sich an die im Sudan geltenden Wasserverordnungen zu halten, fordert Hoffnungszeichen am Schluss Informationen darüber, wie das Unternehmen bei der Entsorgung von Prozesswasser und anderen chemischen Giftstoffen verfährt. Zudem wolle man wissen, was seitens des Konsortiums getan werde, um die Bevölkerung in Rier und den anderen betroffenen Ortschaften mit genießbarem Wasser zu versorgen. Eine Reaktion erfolgt nicht.

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Im April reist wieder ein Erkundungsteam von Hoffnungszeichen in den Südsudan. Bei dieser Reise geht es ausschließlich um das Wasserproblem. Unter den Reiseteilnehmern befindet sich auch die Hydrogeologin Hella Rüskamp, die für die zweite Phase ihrer Studie weitere Probenentnahmen benötigt. Es soll der natürliche Wasserchemismus von dem kontaminierten Wasser unterschieden und geologische Ursachen für die Auffälligkeiten ausgeschlossen werden. Der Wasserchemismus der natürlichen Gewässer unterscheidet sich in der mineralischen Zusammensetzung von dem des Wassers aus mit Salzen kontaminierten Brunnen. Auch im natürlich vorkommenden Wasser gibt es je nach geologischen Gegebenheiten unterschiedliche Zusammensetzungen. Gegenstand der weiteren wissenschaftlichen Untersuchung ist die Reduzierung des Hydrogenkarbonatgehalts zugunsten von Chloriden, die durch die Zugabe von Kaliumchlorid in Bohr- und Prozesswässern in die oberen Trinkwasserleiter geraten können.

*

→ Exkurs: Geologische, tektonische und

klimatische Bedingungen

Für die wissenschaftliche Einordnung hat die Hydrogeologin die geologischen Gegebenheiten des zu untersuchenden Gebiets ermittelt. Der afrikanische Kontinent hat ein präkambrisches Basement, sprich Grundgebirge. Dieses erdgeschichtlich älteste Grundgebirge ist zu großen Teilen von jüngeren Sedimenten überdeckt. Das überlagernde Deckgebirge mit einer Mächtigkeit von bis zu 13 Kilometern besteht im Sudan aus Kreidesedimenten, wie zum Beispiel der nubische Sandstein, und aus Ablagerungen des Tertiär und Quartär.

Das zu bearbeitende Gebiet befindet sich im Südsudan, im Unity State, in den Regionen Guit, Koch und Leer. Laut geologischer Karte kommen hier zwei Formationen vor. Das eine ist die sogenannte Umm Rawaba Formation, die im späten Tertiär und Pleistozän (älteres Quartär) entstanden ist. Diese Formation setzt sich zusammen aus unverfestigten Sanden mit Anteilen von Kies, Ton (Lehm) und Schiefern. Die Umm Rawaba kann bis zu 3000 Fuß mächtig sein. Die Korrelation der lateralen Verbreitung dieser Formation wird durch häufige Fazieswechsel erschwert.

Die zweite Formation ist laut geologischer Karte das Alluvium. Dies ist eine alte Bezeichnung für das Holozän und beschreibt das jüngste, heutige Erdzeitalter (Quartär). Im Sudan setzt sich das Holozän aus Wadi-Verfüllungen, Terrassen, Flussdelta- und Sumpfablagerungen zusammen. Wadi bezeichnet ein Trockental, das nur nach starken Regenfällen vorübergehend Wasser führt. Terrassen werden an Flüssen gebildet und bestehen wie auch die Wadis vorwiegend aus Sedimenten wie Sand und Kies. Flussdelta- und Sumpf-Ablagerungen setzen sich zu größten Teilen aus feineren Sedimenten zusammen. Die Ablagerungen des Holozäns sind unverfestigt.

Zwischen dem präkambrischen Basement und der Umm Rawaba Formation befinden sich kontinentale klastische Sedimente der Kreide. Diese entstehen durch Verwitterung und Erosion von Gesteinen28 und bestehen aus Sandstein, Siltstein, Tonstein und Konglomeraten. Der bis zu 1550 Meter mächtige Bentiu-Sandstein (auch nubischer Sandstein genannt) des Cenoman29 ist ein Erdölmuttergestein.

Aus tektonischer Sicht befindet sich das Arbeitsgebiet in einem Binnenland-Graben-Becken. Dieses Becken öffnete sich vom oberen Jura bis zur unteren Kreide und ist Teil des Zentralafrikanischen Becken-Systems. Mit der Öffnung des Beckens begann die Schüttung der kontinentalen Kreidesedimente. Mit Zunahme des Süßwasserzuflusses bildeten sich die Wadi-, Sumpf-, Seeund Flussablagerungen des Tertiärs und Quartärs. Die vorherrschenden Kluft- und Strömungsrichtungen streichen NW-SE und untergeordnet auch NE-SW. Im Arbeitsgebiet fließt das Grundwasser in Richtung Nordosten.

Aus den allgemeinen geologischen und tektonischen Erkenntnissen lässt sich ein generalisiertes Schichtenprofil für das Arbeitsgebiet ableiten. Die Mächtigkeiten können jedoch davon abweichen, und es ist auch vorstellbar, dass es Schichtlücken gibt, das heißt, einzelne Schichten des generalisierten Profils können im Arbeitsgebiet fehlen. Ein genaueres Schichtenprofil der oberen 500 Meter, die für die Grundwassergewinnung von Interesse sind, liegt noch nicht vor. Diese Bohrtiefe ist zunächst bestimmt worden, weil davon auszugehen ist, dass alle im Arbeitsgebiet vorhandenen Brunnen eine Tiefe von 500 Metern weit unterschreiten. Nach dem generalisierten Schichtprofil sind die oberen 500 Meter vor Ort dem Quartär zuzuordnen. Die Schichten bestehen aus unverfestigten, klastischen Sedimenten aller Korngrößen, mit Sand als Hauptgemengteil. Diese quartären Sedimente und die des jüngsten Tertiärs sind entsprechend ihrer Funktion als Grundwasserleiter zu untersuchen. Tiefere Grundwasserleiter befinden sich innerhalb der Umm Rawaba Formation und als fossiles Wasser auch im Nubischen Sandstein, können allerdings ausschließlich durch tiefere Bohrungen erschlossen werden.

Für hydrogeologische Bewertungen sind auch klimatische Daten heranzuziehen. So weist das Arbeitsgebiet eine mittlere jährliche Temperatur von 26 bis 28 Grad Celsius auf. Aus dieser Temperaturangabe lässt sich erschließen, dass es eine hohe Verdunstungsrate gibt. Dies wird weiterhin durch die Tatsache belegt, dass das Gebiet geprägt ist von Regenwald, Feuchtsavanne und Sumpf. Unterstrichen wird dieses tropische Klima von einem mittleren jährlichen Niederschlag von 600 mm bis 800 mm, wobei während der Regenzeit bis zu 1600 mm niedergehen. Da die Regenzeit aber nur sehr kurz ist und im übrigen Jahr nur unregelmäßig und wenig Regen fällt, ist die natürliche Ressource Grundwasser gefährdet, weil eine Grundwasserneubildung eher reduziert stattfindet. Oberflächennahes Grundwasser entsteht daher im Arbeitsgebiet aus dem Wasser des Nil und seinen Überschwemmungsgebieten.

*

Was jetzt beginnt, ist auch für die Hoffnungszeichen-Mitarbeiter Neuland. Wir werden uns auf die Suche nach den Quellen der Verseuchung begeben. Wie das aussieht, was wir suchen, wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht. Da es vom Boden aus so gut wie unmöglich ist, in den weiten Flächen verdächtige Stellen zu finden, chartern wir ein Flugzeug. Die Maschine hat ihre besten Jahre schon lang hinter sich, der aus England stammende Pilot ist ein alter Haudegen. Wir kennen ihn schon lange. Das Setting, wie man im Film sagt, hat durchaus etwas von den Flugszenen in »Jenseits von Afrika«. In vielen Stunden vor dem Bildschirm und an Landkarten haben wir in Deutschland eine Flugroute ausgeklügelt. Die GPS-Punkte mehrerer Navigationsziele haben wir notiert und in eine Karte gezeichnet. Die Central Processing Facility (CPF) wollen wir von oben in Augenschein nehmen, wir wollen sehen, ob wir eine Stelle ausfindig machen können, an der wir Abwässer aus der CPF beproben können. Wir wollen sehen, ob wir aus der Vogelperspektive irgendwelche Auffälligkeiten in der Nähe der Dörfer um die CPF herum finden können. Und wir suchen immer noch nach der Nadel im Heuhaufen, wir suchen immer noch nach einer Grube mit Chemieabfällen.

Aus geringer Flughöhe halten wir Ausschau nach verlassenen Bohrlöchern und Abfallgruben. Mit an Bord ist diesmal ein Team der Nachrichtenagentur Reuters. In etwa 200 Metern Flughöhe ist es in der unklimatisierten Dornier 228 drückend heiß. Der Erdboden draußen ist aufgeheizt, immer wieder gibt es thermische Ablösungen, also Heißluftblasen, die unsichtbar nach oben steigen und den Flieger durchschütteln. Enger Kurvenflug in Bodennähe, Hitze im Flugzeug, thermische Ablösungen und dazwischen immer wieder auf die Landkarte Schauen, Fotografieren und elektronische Geräte Bedienen – den meisten Mägen an Bord ist das schnell zu viel. Und trotzdem gewinnen wir durch die Aufklärungsflüge viele relevante Erkenntnisse; wenn man mit dem Auto durch den Sudd fährt, sieht man nicht viel. Das hohe Schilfgras rechts und links der Schotterstraße versperrt die Sicht wie eine Wand. Um ein wenig Überblick zu haben, muss man auf das Dach eines Autos klettern – oder in einen Flieger.

Wir bitten den Piloten, möglichst nah an die CPF heranzufliegen. Uns gelingen atemberaubende Fotos: Wir sehen das komplexe Abwassersystem der CPF aus nächster Nähe und aus der Vogelperspektive. Die CPF dient dazu, jeden Liter Rohöl von rund 8 Litern Beistoffen – Wasser, Chemikalien und Sand – zu trennen. Das Rohöl kann dann in die Pipeline nach Norden geschickt werden, das Prozesswasser muss man entsorgen. Die erste Klärstufe außerhalb der CPF sind die sogenannten »retention ponds« (Rückhaltbecken). In dieser ersten Klärstufe ist noch so viel Öl vorhanden, dass sich auf der Oberfläche des Beckens (Öl schwimmt oben) ein dicker, durchgehender Ölfilm bildet. Dieses Öl wird von Arbeitern über einen Saugschlauch in den Trennungsprozess innerhalb der CPF zurückgeführt; man will dieses Öl nicht verschwenden. Das Prozesswasser der »retention ponds« wird sodann in die »evaporation ponds« (Verdunstungsbecken) geleitet. Dort soll das Wasser verdunsten; da Salze und Schwermetalle nicht verdunsten können, bleiben diese im Becken. Das Becken ist nach unseren Erkenntnissen nicht gegen den anstehenden Boden abgedichtet. Deshalb halten wir diese »evaporation ponds« für nichts anderes als gigantische Sickergruben, von denen aus schädliche Bestandteile des Prozesswassers in den obersten Trinkwasserleiter gelangen.

Nach dem Aufklärungsflug der CPF überfliegt die Maschine zwei Stunden lang nach der von uns vorbereiteten Route mehrfach in verschiedenen Korridoren unser Arbeitsgebiet. So fliegen wir an von oben gut erkennbaren Wasserläufen in Sümpfen entlang, an denen Einleitstellen von Abwässern sichtbar sein könnten. Aus der Luft lassen sich auch von Menschen ausgehobene Gruben sehr gut erkennen. Einer von uns sitzt neben dem Piloten im Cockpit, die Umgebungskarte auf den Knien und das GPS-Gerät in der Hand. Alle Auffälligkeiten werden mit den GPS-Daten kartiert, um die markierten Stellen dann vom Boden aus wiederzufinden.

Immer noch suchen wir die Nadel im Heuhaufen: die Abfallgrube, von der uns der Ölarbeiter bei unserer letzten Reise berichtet hat. Gibt es diese Deponie überhaupt? Der Flug nähert sich seinem Ende, wir sitzen schweißgebadet in der engen Dornier. Nördlich der Ortschaft Koch bereiten wir uns schon innerlich auf den Landeanflug vor. Können wir unseren Passagieren noch eine enge Kurve zumuten? Wir bitten den Piloten um einen Überflug in niedriger Höhe über Koch. Da plötzlich taucht im rechten Seitenfenster ein giftgrüner Tümpel auf, die Farbe dieses Wassers ist ganz anders als die der anderen Tümpel. Schnell realisieren wir, dass dies eine verlassene, aufgegebene Bohrstelle sein muss. Instinktiv erfolgt der Griff zur Spiegelreflexkamera. Sie klickt schnell 20 Bilder durch. Jetzt nur die GPS-Daten nicht vergessen. Flugs ist ein Wegpunkt gesetzt. Wir wollen unbedingt diese verlassene Bohrstelle am Boden besuchen. Es ist die große Chance für uns, erstmals an eine Vergleichsprobe von einer Bohrspülgrube zu kommen. Auf den Fotos sehen wir später, dass die Bohrstelle weder bewacht noch umzäunt ist. Es ist die Bohrspülgrube von Koch, die noch erhebliche Bedeutung erlangen wird.

 

Als wir später über Land fahren, um die in der Karte markierten möglichen Schadstoffquellen zu untersuchen, stellt sich heraus, dass manche Grube neben Straßen, die wir von oben als Spülgrube von Bohrungen annahmen, mit Wasser gefüllte Gruben von Aushub für den Straßenbau sind. Es ist ein mühseliges Unterfangen, die Quellen der Kontamination des Wassers zu finden. Manches Wasserloch schimmert aus der Luft giftig grün und entpuppt sich später als unbelastet. In dieser zweiten Phase der Studie geht es um mehrere Fragen: Erstens soll die Ursache der Versalzung von Brunnen in einer ausgeprägten Ost-West-Richtung zwischen Bow, Duar, Rier und der CPF festgestellt werden. Ist das Phänomen geogen oder anthropogen? Zweitens wollen wir herausfinden, ob es einen naturwissenschaftlich belegbaren Zusammenhang zwischen den Abwässern der Ölindustrie und der Kontamination von Trinkwasser gibt. Dazu soll die spezifische mineralische Zusammensetzung unterschiedlicher Wassertypen miteinander verglichen werden. Im Zuge unserer Arbeit im Feld werden wir feststellen, dass wir sechs verschiedene Wassertypen miteinander zu vergleichen haben. Das sind die salzbelasteten Brunnenwässer aus dem oberen Wasserleiter, Wässer aus unbelasteten Brunnen des oberen Trinkwasserleiters, Wässer aus dem tiefen Grundwasserleiter, Wässer aus natürlichen Oberflächengewässern (Regen- und Sumpfwasserbecken), Wässer aus den Prozesswasserbecken in der Umgebung der CPF und Wässer aus Bohrspülgruben. Drittens möchten wir die aktuelle Gefährdung der Bevölkerung beurteilen. Und viertens haben wir uns entschieden, anhand einer Aufschlussbohrung ein geologisches Profil zu erstellen, um neue Trinkwasserbrunnen planen und bohren zu können.

Insgesamt nehmen wir auf dieser Reise 19 Proben. Die Beprobung erfolgt beginnend in der Ortschaft Bouw über Pakur, Rier, die CPF, Koch und die Explorationsbohrstelle. Das Untersuchungsgebiet befindet sich nördlich der Stadt Leer und erstreckt sich im Norden bis zu den Ortschaften Bouw und Kilo 50. Da das Gebiet in einem großen Sumpf- und Überschwemmungsgebiet liegt und jahreszeitlich stark schwankenden Niederschlagsmengen unterliegt, sollte insbesondere die Konzentration diverser grenzüberschreitender Parameter, wie z.B. Salze und Nitrat, unter dem Gesichtspunkt der Trocken- und Regenzeiten verglichen werden. Im November 2008 erfolgte die Probenentnahme im Anschluss an die Regenzeit, die Probenentnahme jetzt am Ende der Trockenzeit. Als Hauptursache des Nitrateintrags sind fehlende Kanalisation und sanitäre Anlagen anzusehen. Wir weisen die Bevölkerung nochmals darauf hin, die Brunnen einzuzäunen und das Vieh fernzuhalten, um zu vermeiden, dass Fäkalien in unmittelbarer Nähe des Brunnens ihren Weg in das unterirdische Brunnenbauwerk und damit in das Trinkwasser finden.


Es ist noch früh an diesem 24. April, doch die Sonne zeigt schon ihre Kraft. Wir sind gerade von einem Rundgang im Dorf Rier zu unseren Zelten zurückgekehrt.

»Schnell, jetzt geht es los«, ruft uns unser Übersetzer zu. Ganz außer Atem kommt der schlaksige junge Mann aus der Volksgruppe der Nuer auf uns zugelaufen: »Der Commissioner gibt uns Polizeischutz. Wir können jetzt zur Raffinerie.«

Das lassen wir uns nicht zweimal sagen. Unsere Ausrüstung liegt bereit. Ein schneller Griff zu Rucksack, Fototasche und den Wasser-Probengefäßen, und schon sitzen wir in dem klapprigen Auto. Holprig geht es über eine staubige Piste, die den Namen Straße nicht verdient. Unser Ziel ist heute die Raffinerie von Thar Jath, und den Polizeischutz brauchen wir wirklich: Wir wollen Wasserproben direkt an der Raffinerie nehmen. Wir glauben, dass die Abfälle aus der Raffinerie ins Grundwasser sickern und so das Brunnenwasser in Dörfern wie Rier verseuchen. Dabei ist es gut möglich, dass die Sicherheitskräfte der Raffinerie etwas dagegen haben, wenn wir Proben an den sensiblen Anlagen nehmen. Die »Polizisten«, die uns im Auto begleiten, sind zwei Burschen, gerade mal zwanzig Jahre alt, in bunten Hemden. Jeder hat eine AK-47 Kalaschnikow über die Schulter gehängt, ein Schnellfeuergewehr russischer Bauart. Lange haben wir im Sudan die Abwesenheit ziviler Strukturen nach dem Ende des blutigen Bürgerkrieges kritisiert. Heute werden wir von Polizisten begleitet, die das legitime Gewaltmonopol des Staates vertreten – auch das ist für uns zumindest ein kleines Hoffnungszeichen, ein erster Ansatz.

Wir verlassen das Auto und gehen nun mit voller Ausrüstung zu Fuß weiter. Wichtig war für uns, aus der Luft genau die Lage der Teiche mit dem Prozesswasser zu bestimmen. So können wir uns jetzt den Weg durch Gestrüpp und hohes Gras zielgerichtet zu einem der großen Verdunstungsbecken bahnen. Nach 20 Minuten Fußweg erreichen wir einen stacheldrahtbewehrten Zaun, hinter dem zwei der großen »evaporation ponds« liegen.

Es ist kurz vor Mittag. Unsere Begleiter führen uns zu einem Tor, an dem ein paar Bauarbeiter Schweißarbeiten durchführen. Ein schneller Wortwechsel zwischen den Polizisten und den Arbeitern, und schon stehen wir auf dem Gelände der Ölfirma. Jetzt geht alles ganz schnell. In Teamarbeit drehen wir Flaschen auf, füllen sie am Teichufer mit Wasser, verschließen die Behältnisse wieder, protokollieren kurz Entnahmedatum und -zeit, nehmen die GPS-Daten auf, verstauen das Ganze und sind schon wieder weg. Für den trainierten Ablauf brauchen wir für ein Probenset mit jeweils acht zu befüllenden Flaschen drei Minuten.

Einmal die Polizei als Türöffner dabeizuhaben ist eine Gelegenheit, die vielleicht nicht wiederkommt. Wir wollen die Gunst der Stunde nutzen und noch einige Proben von einem der Rückhaltebecken nehmen, in unmittelbarer Nähe zur CPF. Die Navigation klappt perfekt. In wenigen Minuten haben wir das Becken erreicht. Die Vorbereitung durch die Luftaufklärung erwies sich als ausgesprochen hilfreich. Doch nun trennt uns ein Zaun von der ersehnten Probennahme. Niemand ist da, der uns aufschließen könnte. »Zutritt nur für autorisiertes Personal« ist auf einem Schild zu lesen. Wir sind in Eile. Einer der jungen Männer aus dem Dorf Rier, die uns begleitet haben, sieht wohl die Gelegenheit, selbst einmal eine Wasserprobe zu nehmen. Kurzerhand schnappt sich der klapperdürre junge Mann unter den Augen der Polizisten ein Probenset, rollt sich unter dem Einfahrtstor durch und schlendert seelenruhig zu dem Tümpel, wo er eine weitere komplette Wasserprobe für uns nimmt. Damit haben wir insgesamt drei Probensets an den Prozesswasserbecken der CPF genommen, das sollte zunächst eine gute Datengrundlage ergeben.

Mit der Analyse der Wasserproben haben wir ein zertifiziertes wissenschaftliches Labor in Kenia beauftragt. Aus der Analyse dieser Wasserproben geht deutlich hervor, dass ein direkter Zusammenhang zwischen den Abwässern aus der Raffinerie und den von uns in den Brunnenwässern nachgewiesenen Schadstoffen besteht: Die Raffinerie ist nur eine Verschmutzungsquelle, auch die 97 Ölbrunnen von Thar Jath vergiften höchstwahrscheinlich das Grundwasser.

Am Morgen unserer Abreise aus Rier am 25. April sind wir dabei, als im Rahmen des Trinkwasserprogramms der Ölindustrie in Thar Jath durch Tankwagen Kunststofftonnen befüllt werden. Wir nehmen auch hier eine Probe. Das Wasser kommt aus einer Anlage, in der Nilwasser durch Chlorung zu Trinkwasser aufbereitet wird. Wir besuchten die Verantwortlichen der Anlage, die uns versicherten, dass das Trinkwasser nach »anerkannten Richtlinien« hergestellt wird. Unsere Frage, ob es sich dabei um eine Filteranlage, Umkehrosmose oder Ähnliches handle, wurde verneint. Das Wasser wird ausschließlich chloriert. Die Ergebnisse der Proben zeigen erhebliche Restmengen an Chlorverbindungen im sogenannten Trinkwasser.

Wir machen uns auf den Weg nach Koch, um die giftgrüne Grube (Bilder S. 77) zu finden. Zwar haben wir vom Flieger aus die GPS-Daten genommen, doch waren wir bei der Aufnahme dieser Daten nicht senkrecht über der Grube. Können wir die Bohrspülgrube trotzdem finden?

Von der Straße nach Koch zweigt eine kleine Nebenstraße ab. Das GPS-Gerät sagt uns, dass der Wegpunkt, den wir im Flugzeug gesetzt hatten, nur noch wenige hundert Meter entfernt ist. Es herrscht so etwas wie »Jagdfieber«, im Auto wird es leiser, als wir in die Nebenstraße einbiegen. Der Spannung folgt bald eine jähe Enttäuschung. Die Straße endet nach 100 Metern scheinbar im Nichts. Wir bereiten schon die Umkehr vor, als wir plötzlich erkennen, dass wir uns auf einer Lichtung im dichten Buschwerk befinden. Doch ist hier der Tümpel? Wir sehen nur einen Erdwall. Schnell springen wir aus dem Auto und klettern vorsichtig auf die etwa zwei Meter hohe Aufschüttung – der eine Bohrspülgrube umgibt. Mit großem Hallo stellen wir fest, dass wir unser Ziel erreicht haben. Die Koordinaten lauten N 8°38'8" und E 29°58'49,9". Noch bevor wir ihm verbieten können, die steile Wand ungesichert Richtung Wasseroberfläche hinunterzuklettern, schnappt sich unser junger Übersetzer ein paar Wasserprobenflaschen und füllt sie mit dem in der Grube noch vorhandenen Bohrspülwasser. Als er mit Müh und Not und nach einigen Ausrutschern, die uns den Atem stocken lassen, mit den gefüllten Flaschen vor uns steht, wollen wir ihn eigentlich ob seines jugendlichen Leichtsinns ausschimpfen. Das gelingt uns aber nicht so recht.

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