Das Öl, die Macht und Zeichen der Hoffnung

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Die Geschehnisse im Block 5A genannten Konzessionsgebiet in Unity State sind umfassend aufgearbeitet worden. Um den freien Zugang zu den dortigen Ölfeldern von Thar Jath57 zu deren Ausbeutung zu ermöglichen, wurden Tausende Menschen getötet und Zehntausende vertrieben. Eine groß angelegte Untersuchung erhärtet später den Verdacht, dass ausländische Investoren wie die schwedische Lundin Oil, der malaysische Staatskonzern Petronas und die österreichische Ölfirma OMV die Vertreibungen nicht nur billigend in Kauf nahmen, sondern bei der nordsudanesischen Regierung aktiv betrieben.58 Unmittelbare Nutznießer der Verbrannte-Erde-Politik des Nordsudan gegenüber den Vertriebenen im Süden waren sie allemal.59 Die besonders gute Zusammenarbeit zwischen Khartum und dem malaysischen Staatskonzern hat wohl auch damit zu tun, dass beide Regierungen islamisch sind.60 Petronas betätigt sich im Sudan nicht nur bei der Ölförderung in verschiedenen Konsortien, sondern unterhält Tankstellen und ist Hauptlieferant für Flugbenzin im zivilen Bereich der Luftfahrt, aber auch für das sudanesische Militär61 und investiert eine Milliarde Dollar in den Bau einer Raffinerie.62 Für den aufstrebenden malaysischen Konzern wird der Sudan zum größten Auslandspartner.63

*

In dem Jahrzehnte dauernden Konflikt kommen mehr als zwei Millionen Menschen ums Leben. Seit 1983 sind vier Millionen Menschen geflüchtet.64 Das Land ist verwüstet und selbst die überaus fruchtbaren Gegenden, deren Bewirtschaftung die gesamte Bevölkerung versorgen könnte, liegen brach. Millionen Flüchtlinge hausen in Lagern, in denen sie unter teilweise unwürdigen Bedingungen leben müssen, auf die Hilfe internationaler Hilfsorganisationen angewiesen.

*

Für die in den Sudan gekommenen Hilfsorganisationen sind die Comboni-Brüder mit ihrer nun 150 Jahre dauernden Präsenz in dem afrikanischen Land wichtige Mittler, Ratgeber und Kooperationspartner. Wesentlicher Bezugspunkt ist dabei das vom Gründer der Bruderschaft entwickelte Menschenbild, das auch als Leitbild für Hilfsorganisationen ohne religiösen Bezug trägt. Zu den Helfern aus dem Ausland zählt auch Hoffnungszeichen | Sign of Hope. Die in Konstanz am Bodensee ansässige deutsche Nichtregierungsorganisation ist eine überkonfessionelle Menschenrechts- und Hilfsorganisation.

*

Anfang Juni 1994 reiste Reimund Reubelt, Mitarbeiter von Hoffnungszeichen, in den südlichen Sudan. Im bürgerkriegsgeschundenen Land landete er mit einem kleinen Flugzeug voller Hilfsgüter, die er vorher in Kenia organisiert hatte. Der Pilot war unsicher gewesen, ob die Landepiste, die er ansteuerte, in Rebellenhand oder von Regierungstruppen gehalten wurde: »Wenn die Leute auf uns zu rennen, dann ist das ein schlechtes Zeichen, und wir müssen sofort wieder starten.« Die großgewachsenen und hageren Gestalten schritten langsam, fast feierlich auf die Buschpiste zu.

Diese Reise war der Beginn der seit zwanzig Jahren andauernden Arbeit in dem Land mit einer Analphabetenrate von mehr als 75%, in dem über die Hälfte der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebt. Hoffnungszeichen organisierte nun regelmäßige Hilfstransporte in die gefährliche Krisenregion und begann, insbesondere mit kirchlichen Partnern vor Ort zusammenzuarbeiten.

Reimund Reubelts Kollege Klaus Stieglitz erinnert sich noch genau an die Begegnung mit einem älteren Herrn bei einem der regelmäßigen Besuche im südlichen Sudan ein paar Jahre später: »Die einfache Kleidung des Mannes mit schohweißen Haaren wirkte fast schäbig. Der alte Mann, ein ehemaliger Lehrer, erzählte uns aus seinem Leben, und wir hörten gespannt zu. Nach einer Weile fragte er uns, woher wir kämen. Deutschland kenne er gut, meinte er – aus dem Radio. Jahrelang hatte er sich durch den Kurzwellensender der ›BBC‹ auf dem Laufenden gehalten. Besonders traurig gestimmt habe ihn, dass 1961 eine Mauer quer durch Deutschland gebaut worden sei, die die Menschen trennte. Bis 1989 habe er täglich für den Fall dieser Mauer gebetet, die er nie gesehen hat. Dieser Mann im hintersten Winkel des heutigen Südsudans hat uns gezeigt, dass ihm das Unrecht, dessen Symbol diese Mauer war, nicht gleichgültig ist. Und er hat getan, was er konnte, um seinen Mitmenschen im reichen Europa beizustehen: Er hat gebetet. Wir fühlten uns in diesem Moment von dem alten Mann auf eine tiefe Art geliebt. Es war ein eindrücklicher Moment, der uns unser persönliches Credo vor Augen führte: den Menschen helfen, mit ihnen arbeiten und ihre Rechte schützen.«

Zu humanitärer Hilfe für den Südsudan kamen im Laufe der folgenden Jahrzehnte Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit sowie der Einsatz für Menschenrechte hinzu. Aus der Kombination zwischen humanitärer Hilfe, Entwicklungsund Menschenrechtsarbeit in Krisenregionen entsteht eine Spannung: Sich für die Rechte von Menschen einzusetzen, bedeutet, die Stimme gegenüber den Mächtigen zu erheben. Gleichzeitig sind es in Afrika wie in anderen von Potentaten geführten Ländern gerade die Machthaber, die darüber entscheiden, ob man überhaupt mit ihren Bürgern sprechen darf. Dennoch ist es für Hoffnungszeichen wichtig, den Menschen nicht nur mit Nahrung, Wasser, Medizin oder dem Bau von Schulen zu helfen, sondern auch zu versuchen, das Übel – die Verletzung von Menschenrechten –, an der Wurzel zu packen. Reimund Reubelt und Klaus Stieglitz sind deshalb überzeugt: »Wenn wir mit den einfachen Leuten vor Ort zusammenarbeiten wollen, wenn wir auf Augenhöhe eine Entwicklung benachteiligter Personengruppen erreichen möchten, müssen wir uns auch um deren Rechte kümmern. Es gilt, die Würde der Menschen zu schützen.«

*

2006 erhält Hoffnungszeichen Beraterstatus im Wirtschaftsund Sozialrat der Vereinten Nationen und macht auf Menschenrechtsverletzungen im Südsudan aufmerksam.

*

Ende 2007 wurde Hoffnungszeichen auf Probleme mit dem Trinkwasser in einigen Regionen des südlichen Sudan hingewiesen. Erste Tests bestätigten die Vermutung, dass die Verunreinigungen im Zusammenhang mit der Ölförderung stehen. Hoffnungszeichen gab eine umfassende Studie in Auftrag, die diesen Zusammenhang wissenschaftlich bestätigte.

Die Geschichte, die dieses Buch erzählt, ist die Chronik der Bemühungen von Hoffnungszeichen, die Verantwortlichen in den Ölfirmen zu bewegen, sich an international geltende Standards zu halten. Es geht darum, 180 000 betroffenen Menschen zu ihrem Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser zu verhelfen. Es geht auch darum, eines der größten Feuchtgebiete der Erde mit einem einzigartigen Artenreichtum zu erhalten. Und es geht darum, Herrschaftsmechanismen eines jungen Staats zu zeigen, die die Ölvorkommen zum Fluch für die Bevölkerung werden ließen. Was diese Chronik aber auch zeigt: Es gibt Hebel, um von außen Einfluss auf Entscheidungen der Schädiger zu nehmen. Sie müssten nur konsequent angewendet werden.


2008

Ein Verdacht

Der heutige Südsudan bildet seit über 20 Jahren den Schwerpunkt der Arbeit von Hoffnungszeichen. Hilfe vor Ort in einem derart krisengeschüttelten Gebiet zu leisten erfordert eine sorgfältige Auswahl der Partner, die auch in schwierigen Zeiten noch in der Lage sind, Projekte zu betreuen. Als eines der ärmsten Länder der Welt benötigt der Südsudan (vormals Teil des Sudans) unsere Hilfe in vielen Bereichen: bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln und Trinkwasser, beim Aufbau medizinischer Infrastruktur wie Buschkliniken und Unterstützung in Bildungsprojekten. Um langfristig eine nachhaltige Struktur aufbauen zu können, muss man eigene Mitarbeiter vor Ort einsetzen, die mit lokalen Akteuren zusammenarbeiten. Bis zu 80 Mitarbeiter von Hoffnungszeichen sind im Einsatz: Sie unterstützen Mutter-Kind-Projekte, helfen bei der Errichtung von Dorf-Kindergärten sowie beim Betrieb zweier Buschkliniken.

*

Ende 2007 erhält Hoffnungszeichen einen Brandbrief aus dem Südsudan. Einem lokalen Vertrauensmann wurde in den vergangenen Wochen und Monaten immer häufiger und in alarmierender Weise berichtet, dass das Trinkwasser in der Umgebung der Ölförderanlagen um Thar Jath nicht mehr in Ordnung sei. Besorgte Mütter beklagten bitteren Geschmack, teilweise sei das Wasser wohl auch so salzig, dass Kinder sich sofort übergäben. Magen- und Durchfallerkrankungen hätten insgesamt sehr zugenommen. Außer den Kindern seien alte oder geschwächte Personen betroffen. Und auch ungewöhnliche größere Viehsterben würden von den Hirten auf schlechtes Wasser zurückgeführt. Als Grund vermuteten die Menschen Abfälle aus der Ölindustrie. Dort würden Chemikalien zum Einsatz kommen und wohl einfach in die Umwelt entsorgt. Genaues wisse man aber nicht. Die Kontaktleute richten einen fast verzweifelten Appell an uns. Sie hätten weder Mittel noch Möglichkeiten, Untersuchungen anzustellen und Beweise zu erbringen. Aber Hoffnungszeichen müsse doch von Deutschland aus etwas ausrichten können?

*

Bei Hoffnungszeichen sind die Mitarbeiter des Sudan-Projekts genauso alarmiert. Wasser ist das große und übergreifende Thema vieler Menschenrechtler in dieser Zeit. Am 23. Dezember 2003 hat die 58. Generalversammlung der Vereinten Nationen die zehn Jahre dauernde Internationale Aktionsdekade »Wasser für das Leben« ausgerufen.1 Sie begann am Weltwassertag, dem 22. März 2005, und endete am 22. März 2015.2 In diesem Zeitraum sollen weltweit Entscheidungsträger und die breite Öffentlichkeit für Wasserthemen sensibilisiert und darauf hingewirkt werden, dass bereits eingegangene Verpflichtungen umgesetzt werden.3 Bis 2015 soll die Anzahl der Menschen, die keinen Zugang zu sicherem Trinkwasser und zu angemessener sanitärer Versorgung haben, halbiert werden.4 Nicht nachhaltige Wassernutzungsformen sollen beendet werden.5

 

Noch ist das Recht auf sauberes Trinkwasser nicht verbrieftes Recht. Die Weltgemeinschaft arbeitet allerdings mit zunehmender Kenntnis der bestehenden Notlagen und der immer absehbareren dramatischen Folgen daran. Für Menschenrechtsaktivisten wie Hoffnungszeichen steht außer Frage, dass es ein Menschenrecht auf sauberes Wasser gibt.

Was wir von Hoffnungszeichen im Sudan vorfinden werden ist ungewiss. Vielleicht sind es nur Gerüchte, das kam schon vor. Allerdings bewertet unser Kontaktmann, dessen Urteil unser volles Vertrauen genießt, die Situation als sehr ernst. Deshalb gibt es nur eine richtige Entscheidung: Wir müssen den Befürchtungen auf den Grund gehen. Aber wie? Man könnte nach den möglichen Quellen von Verunreinigungen suchen und Proben nehmen. Unsere nächste Menschenrechtserkundungsreise in den Sudan ist schon in Vorbereitung, die Ölfördergebiete stehen nun auch auf dem Reiseplan. Die Entnahme von Wasserproben ist Neuland für Hoffnungszeichen, aber auch hier gilt: Was sich praktisch umsetzen lässt, wird gemacht.

Der erste Schritt erfordert keinen großen Aufwand: Klaus Stieglitz ist mit dem Mitarbeiter eines Wasserlabors in der Nähe des Bodensee befreundet. Von seinem Freund lässt er sich zeigen, wie Wasserproben zu nehmen, Schnelltests durchzuführen und die Proben für eine Laboruntersuchung zu präparieren sind. In einem anderen Labor am Bodensee sollen auch die notwendigen weiteren Analysen durchgeführt werden. Probenbehälter werden zur Verfügung gestellt, Formulare für die anstehenden Probennahmen entworfen.

→ Exkurs: Der Süden lernt,

seine Interessen wahrzunehmen

Anders als der chaotische Gesamteindruck des zerrissenen Landes mit all seinen widerstreitenden Kräften und Interessen vermuten lässt, gibt es auch im Sudan klar definierte Leitsätze für den Umgang mit den Ölvorkommen und ihrer sozial- und umweltverträglichen Nutzung. Von mangelnder Kenntnis des Gefährdungspotenzials kann keine Rede sein.

Die streitenden Parteien des Bürgerkriegs hatten im Verlauf der Friedensverhandlungen bereits im Januar 2004 bei ihrem Treffen in Kenia festgelegt, dass bei der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen Nachhaltigkeitsstandards zu beachten seien. Das am 7. Januar 2004 im kenianischen Navaisha unterzeichnete Grundsatzprotokoll wurde als Kapitel III Bestandteil des Umfassenden Friedensabkommens von 2005.6 Konkret formulierten die Parteien unter Punkt III. 1.10 des Protokolls über die Teilung des Wohlstands als Leitprinzip für den verantwortungsvollen Umgang mit vorhandenen Ressourcen, »… dass die am besten bekannten Methoden bei der nachhaltigen Nutzung und der Kontrolle der natürlichen Ressourcen befolgt werden sollen«.7 Das heißt nichts anderes, als dass bei der Ausbeute der natürlichen Ressourcen des Landes internationale Standards eingehalten werden sollen.

Die Grundsätze für die Nutzung der Ölvorkommen werden in Unterpunkt 3 dieses Protokolls gesondert ausgeführt. In Bezug auf die Umwelt- und soziale Verträglichkeit der Ölförderung werden klare Vorgaben gemacht. Vertreter von Regierung und Rebellen waren sich demnach zu diesem Zeitpunkt voll bewusst, dass die Ölförderung mit besonderen Eingriffen in Natur, Umwelt und Lebensraum von Mensch und Tier verbunden ist, die es zu gewärtigen gilt. Nationales Interesse und öffentliches Wohl werden zwar als erstes der zu beachtenden Interessen bei der Erschließung und Förderung von Öl benannt,8 gleichrangig danebengestellt werden aber die Interessen der betroffenen Regionen9 und die Interessen der lokalen Bevölkerung.10 Abschließend enthält die Aufzählung der für alle weiteren Entscheidungen maßgeblichen Voraussetzungen die Einhaltung der nationalen Umweltvorschriften, der Richtlinien für die Erhaltung der Biodiversität und der Prinzipien für den Schutz des kulturellen Erbes.11 Zugleich wird eine paritätisch besetzte National Petroleum Commission (NPC) ins Leben gerufen, die unter anderem beauftragt ist, ein an den oben genannten Punkten ausgerichtetes Regelwerk für die Ölindustrie zu erschaffen.12 Ausschließlich diese NPC soll in Zukunft Verträge mit Ölförderern aushandeln.

Zumindest auf dem Papier endet damit die Zeit, in der die Bewohner des Südsudan Verfügungsmasse des Nordens waren, die nach Bedarf benutzt, vertrieben oder ausgemerzt wurde. Noch bis ins Jahr 2003 hinein kam es trotz diverser Waffenstillstandsabkommen immer wieder zu Kampfhandlungen zwischen Regierungstruppen und Rebellen sowie massiven Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung. Grund war zum einen die Absicht, die Kontrolle über die Ölquellen zu behalten beziehungsweise zu erlangen, maßgeblich auf Regierungsseite war jedoch, ihren vor Ort aktiven Vertragspartnern ungestörtes Arbeiten zu ermöglichen. Bereits seit 1999 berichteten Menschenrechtsorganisationen immer wieder von Angriffen auf die Zivilbevölkerung, um sie aus dem Einzugsbereich der Ölquellen zu vertreiben.13 Mit Unterbrechungen gelang es den Ölsuchern mit dieser Art von Unterstützung, trotz des Bürgerkriegs ihre Probebohrungen fortzusetzen und Ölquellen zu erschließen.

Das Comprehensive Peace Agreement (CPA) macht nun erstmals die Südsudanesen zu gleichberechtigten Partnern. Vertreter der Rebellenpartei erhalten volle Einsicht in die bestehenden Verträge mit Ölförderfirmen und werden mandatiert, zur Beurteilung der Auswirkungen dieser Verträge technische Experten zu beauftragen.14 Besonders hervorgehoben wird dabei die Evaluierung der bereits vorhandenen Auswirkungen. Die Vereinbarungen bleiben auch nicht Tinte auf geduldigem Papier: Im Jahr 2006 überträgt die Sudan People’s Liberation Army (SPLA) norwegischen Experten die Erstellung eines Gutachtens über die bisherigen Auswirkungen der Ölförderung im Südsudan und die sich daraus ergebenden Folgerungen für den zu erwartenden weiteren Ausbau der Ölindustrie.15

In den Jahren 2007 und 2008 bereist ein Team des Norwegian Directorate for Nature Management den Sudan. Nach Gesprächen mit Regierungsvertretern und Offiziellen in Khartum und Juba besuchen die Experten vorhandene Industrieanlagen und Entsorgungsanlagen, um sich vor Ort ein Bild von den Auswirkungen und Herausforderungen der Erschließung und Förderung von Öl im Südsudan zu machen. Maßstab für die Evaluation sind die geltenden internationalen Standards, die Erfahrung im Umgang mit den bekannten Risiken in anderen Ländern mit vergleichbarer On-shore-Ölförderung und die besonderen Bedingungen vor Ort. Probenentnahmen von Wasser, Boden oder lebenden Organismen aus dem Umfeld der Ölbohr- und Förderanlagen finden kaum statt. Das Verfahren ist üblich: Das Ergebnis der Evaluation zielt zunächst darauf ab, den Rahmen aufzuzeigen, aus dem dann die weiteren, konkreten Maßnahmen abzuleiten sind: ein Anfang, mitten in der schon fortgeschrittenen Erschließung des Öls im Südsudan.

*

Am 6. Februar 2008 brechen zwei Mitarbeiter von Hoffnungszeichen zu einer 10-tägigen Reise in den Südsudan auf. Begleitet werden wir von zwei einflussreichen Journalisten. Einer ist Kenianer und arbeitet für die Nachrichtenagentur »AFP« (Agence France Presse). Er stößt in Nairobi zu unserer Reisegruppe. Das »AFP«-Büro in Nairobi ist gut besetzt und interessiert sich sehr für den Südsudan. Der »AFP«-Mitarbeiter wird nach dieser Reise eine Reihe von Berichten absetzen, die Themen laufen über die Ticker einer der weltgrößten Nachrichtenagenturen. Der Deutsche ist Redakteur der »Schwäbischen Zeitung«, einer Tageszeitung im Südwesten Deutschlands. Auch er wird nach der Reise seine Eindrücke veröffentlichen.

Nach Zwischenstopps in Nairobi und Juba erreichen wir am 8. Februar in einem kleinen gecharterten Flugzeug Raga. Der Flug hat fünf Stunden Verspätung, weil der schon in die Jahre gekommene Buschflieger nicht startklar war. Der Flughafen von Raga besteht aus einer langen sandigen Piste, das Flughafengebäude ist ein Container. Die Kleinstadt, mit etwa 20 000 Bewohnern eine der größeren Ansiedlungen im Südsudan, befindet sich nahe der noch virtuellen Grenze zum nördlichen Sudan in Western Bahr el Ghazal.16 Der Ort ist zugleich Sitz des Bezirk-Commissioners für das County Raga.

In Raga schlagen wir unser Basislager auf. Es ist ein kleiner Zeltplatz, der innerhalb eines umfriedeten Areals ganz in der Nähe traditioneller Tukuls aufgebaut wird. Geschlafen wird auf Isomatten am Boden, gekocht mit Camping-Kartuschen. Besonders abends kann es vorkommen, dass sich irgendwelches Getier aus der Umgebung zu uns verirrt. Eine handtellergroße Spinne muss im aufgekrempelten Hosenbein mitgereist sein. Anders ist nicht zu erklären, dass sie nachts plötzlich im Zelt deutlich vernehmbar die Innenwand erklimmt. Ein instinktiv über sie gestülpter Kaffeebecher reicht gerade, um das Riesenvieh nach draußen zu befördern. Von nun an werden Hosenaufschläge verstärkt kontrolliert. Manchmal hören wir aufgeregtes Geschrei der Anwohner und wissen dann, dass eine giftige Schlange gesichtet wurde. Keinerlei Reaktionen ruft ein Waran hervor, eine 1,5 Meter lange Echse, die gemächlich durch die kleine Ansiedlung schleicht. Der Waran bedeutet keine Gefahr. Ganz nah und ohne Anzeichen von Angst geht er an uns vorbei und streift uns mit keinem Blick.

Seit 2007 liegt eines der Hilfsprojekte von Hoffnungszeichen in Raga. Ein Pater von den Comboni-Missionaren leitet hier ein Schulprojekt. 2001 mussten die Brüder vor dem Krieg fliehen. Nach Ende der Kampfhandlungen kehrten sie an ihren alten Wirkungsort zurück und bauten die stark beschädigten Lernorte wieder auf. 1200 Kinder werden an zwei nach Geschlechtern getrennten Grundschulen und einer weiterführenden Schule unterrichtet. Die meisten Kinder stammen aus großen und sehr armen Bauernfamilien. Mit jährlich 20 000 Euro werden Nahrungsmittel für die tägliche Schulspeisung und Lehrmittel der Kinder finanziert, in diesem Jahr auch kleinere Reparaturen. Neben den Schulen unterhalten die Combonis in Raga County auch zahlreiche Kindergärten.

Am nächsten Tag fahren wir nach Boro Medina, 100 Kilometer westlich von Raga. Die Fahrt dauert fünf Stunden. Im Flüchtlingslager von Boro Medina hat 2007 unser Engagement in dieser Region begonnen. Im Lager leben sowohl Kriegsflüchtlings- als auch Rückkehrerfamilien, aber auch Überschwemmungsopfer. Beim ersten Besuch übergaben wir 200 Hilfspakete. Bis heute sind insgesamt 1500 Hilfssäcke und rund 75 Tonnen Hilfsgüter verteilt worden. Diesmal haben wir 125 Hilfssäcke dabei, jeder 50 Kilo schwer. Neben nahrhaften Grundnahrungsmitteln erhalten die Familien Decken, Plastikplanen, Kochgeschirr, Moskitonetze, Seife und Hacken. Seit dem vergangenen Jahr haben sich die Lebensbedingungen im Lager nicht verbessert. Die Zahl der Schutzsuchenden ist von damals 1000 auf 2100 gestiegen.

Eine 40-jährige Frau der Volksgruppe der Borge weiter im Norden floh im April letzten Jahres vor den Kampfhandlungen in ihrer Heimatregion hierher. Fünfzehn Tage lang war sie zu Fuß unterwegs. »Angst hatte ich, Angst«, erzählt sie. »Aus der Luft bombardierte uns ein Flugzeug, und am Boden begannen sie zu schießen.«

Unterstützung erhalten die Menschen hier kaum. Es gibt keine sanitären Anlagen und keine wetterfesten Behausungen, von medizinischer Grundversorgung ganz zu schweigen. Das größte Problem aber sind Hunger und Durst. Viele unserer Gesprächspartner klagen, dass sie nichts oder zu wenig zu essen haben. In der Nähe des Lagers gibt es zudem kein Wasser, insbesondere kein sauberes Trinkwasser. Deshalb holen die meisten Frauen Wasser aus dem Fluss Boro, der 40 Laufminuten entfernt liegt. Inzwischen haben sich erst kürzlich vertriebene Familien in den Dörfern Minamba und Deim Jalab niedergelassen. Wir verteilen deshalb 45 Hilfssäcke dort, die anderen im Lager von Boro Medina. Für diese Lieferung stellte Hoffnungszeichen 20 000 Euro zur Verfügung. Ein weiterer Hilfstransport im Wert von 40 000 Euro ist in Planung.

 

Am 11. Februar 2008 fahren wir zurück nach Raga und treffen uns mit vor Ort stationierten Militärs und paramilitärischen Kämpfern. In dieser Gegend kam es während der Bürgerkriege immer wieder zu Kampfhandlungen und massiven Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung, insbesondere auch durch die für den Nordsudan kämpfenden Milizen. Das CPA von 2005 sieht die Entwaffnung aller Milizen vor. Neben der Khartumer Armee und den Rebellen der SPLA gab es eine Vielzahl von paramilitärischen Milizen, die entweder Khartum oder der SPLA nahestanden. Einige der Milizkommandeure, die man guten Gewissens auch als Warlords bezeichnen kann, wechselten jedoch regelmäßig die Seiten. Dadurch wurde die Sicherheitslage in den betroffenen Landstrichen praktisch undurchschaubar, ein legitimes staatliches Gewaltmonopol gab es nicht. De facto herrschte das Recht des Stärkeren: Wer eine Waffe besitzt, kann seine Interessen durchsetzen. So ist es eines der wichtigsten Ziele des CPA, diese sogenannten OAGs (Other Armed Groups) aufzulösen oder formal in die SPLA oder die Regierungsarmee zu integrieren. Um dies durchzusetzen, gibt es ein Beobachtungsteam, das unter Führung von US-Militärs den Schutz von Zivilisten sicherstellen soll. Als NGO können wir unsere Beobachtungen diesem Team melden. Tatsächlich erhalten wir von unseren Kontaktpersonen vor Ort immer wieder Hinweise auf das Vorhandensein weiterhin bewaffneter Banden und auch auf bewaffnete Zwischenfälle in Süd-Darfur und weit in südsudanesisches Gebiet hinein.

*

Bei unserer Erkundungsreise 2007 erbrachten wir den Nachweis, dass in Raga trotz der Sicherheitsabsprachen des CPA zwei Jahre nach Ratifizierung des Abkommens unrechtmäßig weiterhin zwei Milizen stationiert waren. Mit den beiden Kommandeuren konnten wir damals sprechen. Die Quot-al-Salam-Miliz unter Major Hassan Mohammed Abo war mit 3750 Kämpfern im Ort stationiert, die Fursan-Miliz unter Major Hamdan Ahmed al-Momin mit insgesamt 1320 Kämpfern.

Von Kontaktpersonen erfuhren wir 2008 vor Antritt der neuen Erkundungsreise, dass die Quot-al-Salam-Miliz in Umsetzung des CPA abgezogen sei. Die Fursan-Miliz soll sich, inzwischen drei Jahre nach Inkrafttreten des CPA, immer noch voll bewaffnet im Ort aufhalten. Nur der ursprüngliche Anführer sei nicht mehr da. Diesen Angaben wollen wir jetzt auf den Grund gehen.

Die Kaserne, in der im vergangenen Jahr die Quot-al-Salam-Miliz lag, ist verlassen. Außer leeren Patronenhülsen, die überall auf dem sandigen Boden des Kasernengeländes herumliegen, haben die Kämpfer keine sichtbaren Spuren auf dem Gelände hinterlassen. Auch bei Fahrten durch den Ort sehen wir keine Angehörigen dieser Miliz mehr. Die Fursan sind jedoch weiterhin präsent. Im selben Befehlsstand, in dem wir uns im vergangenen Jahr mit dem damaligen Kommandeur trafen, sprechen wir nun mit den nach eigenem Bekunden gegenwärtigen Anführern. Ihr Feldzeichen, ein Blechschild, befindet sich immer noch am Eingang des Gebäudes. Ihre Truppe besteht nach eigenen Angaben derzeit aus 1623 Mann, von denen sich 500 bis 600 Kämpfer hier vor Ort aufhalten und aktuell als Händler auf dem Markt oder auch als Hirten arbeiten. Alle sind noch voll bewaffnet, ausgerüstet nach eigenen Angaben mit G3-Gewehren und Kalaschnikows, die ihnen die Regierung in Khartum bezahlt habe, von der sie auch weiterhin bezahlt würden und der ihre Loyalität gelte. Deshalb würden sie die Waffen nur an Vertreter der Regierung in Khartum herausgeben, allerdings auch nur gegen Bezahlung. Zeigen wollen sie uns die Waffen nicht. Das hätten sie schon bei UNMIS (United Nations Mission in Sudan)getan, deren Vertreter zudem Fotos gemacht hätten.

Von den beiden »Amir«, wie sich die Befehlshaber bezeichnen, erfahren wir, ihnen sei zu Ohren gekommen, dass eine größere SPLA-Einheit von Wau aus auf dem Weg nach Raga sei, um die Fursan zu entwaffnen. Das würden sie aber nicht akzeptieren. »Wir werden ihnen unsere Waffen nicht geben. Wenn sie reden wollen, sagen wir nichts. Wenn sie kämpfen wollen, werden wir kämpfen.« Es ist eine gefährliche Gemengelage. Sollte die SPLA sich tatsächlich in Kampfhandlungen mit der Miliz verwickeln lassen, würde wieder neues Leid über die Zivilbevölkerung gebracht.

Neben der Fursan-Miliz gibt es in Raga noch weitere Soldaten. Zwei reguläre Bataillone sind hier stationiert, je 350 Mann der Streitkräfte der Khartumer Regierung Sudan Armed Forces (SAF) und der ehemaligen Rebellenarmee SPLA. Diese Joint Integrated Unit (JIU) scheint zu funktionieren. Wir treffen uns mit dem Kommandeur des SAF-Teils. Er erzählt uns, dass das Verhältnis zwischen den beiden Einheiten gut sei, auch wenn man bis zum 9. Januar 2005 verfeindet war. Manchmal würden die Kommandeure sogar gemeinsam essen. »Spannungen zwischen den Soldaten der JIU gibt es nicht«, sagt er, »allenfalls, wenn sie betrunken sind.« Eine aus Spielern beider Bataillone zusammengesetzte Fußballmannschaft trete gelegentlich gegen andere Mannschaften aus Raga-Stadt an, erzählt er uns weiter, als wolle er illustrieren, wie normal der Alltag nach dem jahrzehntelangen Bürgerkrieg schon ist. Das Fursan-Problem beschäftigt auch ihn, ebenso der Umstand, dass ihre Anwesenheit und ihre Finanzierung durch Khartum gleichermaßen eklatante Verstöße gegen das Friedensabkommen sind. Allerdings haben die JIUs kein Mandat, Milizen zu entwaffnen.

Die erfolgreiche Weigerung der Fursan-Miliz, sich entwaffnen zu lassen, ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Staatsgewalt in diesem Teil des Sudan mit ihrem legitimen Gewaltmonopol nicht wirkt. Der friedliche Abzug der Miliz würde einen Beitrag zur Stabilisierung der Region leisten. Dramatisch aber sind die immer noch aktiv kämpfenden Dschandschawid-Reitermilizen in Darfur. Die Regierung in Khartum hat die arabischen Nomadenstämme mit modernen Waffen ausgerüstet und ausgebildet und sie zu Mitkämpfern auch gegen die rebellischen schwarzafrikanischen Stämme, die – aus Sicht des Nordens – unbotmäßigerweise Teilhabe und eigene Rechte im und am Land einfordern. Die Dschandschawid kämpfen nicht nur gegen bewaffnete Rebellen, sondern gegen die gesamte Bevölkerung. Massenmord, Plünderung und Vergewaltigungen sind die Regel.17

In Khartum werden bei unzähligen Menschenrechtsverletzungen, die an missliebigen Volksgruppen begangen werden, beide Augen zugedrückt. Man kennt dort die traditionelle Verachtung der arabischen Nomadenstämme für die andersgläubigen und andersfarbigen Ackerbauern im Süden und nutzt sie rücksichtslos für die eigenen Interessen. Nun soll offenbar das traditionell sowohl von arabischen als auch schwarzafrikanischen, christlich-animistischen Volksgruppen bewohnte Darfur von den Missliebigen »gesäubert« werden. Die Rückendeckung durch den Staat setzte alte Konfliktlösungsmuster der verschiedenen Ethnien aus der vornationalstaatlichen18 Zeit außer Kraft. Im Norden konnte man ruhig die Hände in den Schoß legen, während im Süden nur dem Anschein nach unkontrollierbare Gewalt gegen die Zivilbevölkerung entfesselt wurde. Kurz gefasst: Die Regierung gab Menschen zum Abschuss frei.19

Bei unseren Gesprächen im Flüchtlingslager in Boro treffen wir auf zahlreiche Augenzeugen von anhaltenden Übergriffen sowohl der regulären sudanesischen Armee als auch von deren paramilitärischen Verbündeten. Mehrere Frauen berichten, dass sie am 12. Mai 2007 in der Ortschaft Dafak aus der Luft von sudanesischer Luftwaffe bombardiert worden seien und deshalb flohen.

Eine 25-Jährige ist mit ihren vier Kindern hierher geflohen und erst seit 25 Tagen im Camp. Sie gehört der Ethnie der Meziriyah an und lebte in einem Dorf im Bezirk Buram. Ihr Dorf Jokan habe sie in einer Montagnacht in der ersten Januarwoche verlassen. In dieser Nacht sei das Dorf angegriffen worden. »Sie kamen in den späten Abendstunden zu Fuß und in Autos. Sie töteten die meisten Bewohner des Dorfs mit ihren Gewehren und steckten das Dorf in Brand. Wir waren alle auf uns allein gestellt. Ich nahm meine Kinder und lief weg. Die Angreifer schossen auch auf mich.« Als wir fragen, ob sie die Angreifer näher beschreiben könne, erzählt sie, dass sie eine schwarze Hautfarbe gehabt hätten, grüne Uniformen mit Rangabzeichen und dunkelblaue Mützen getragen hätten. Abgesehen hätten sie es besonders auf Angehörige der schwarzafrikanischen Ethnie der Zaghawa. Bei dem Überfall seien ihr 30 Stück Vieh und sämtliche Getreidevorräte geraubt worden.