Das Öl, die Macht und Zeichen der Hoffnung

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Kurz nach dem Interview mit der Mutter können wir auch mit ihrer etwa achtjährigen Tochter sprechen. Das Kind erinnert sich, dass es nachts an der Hand seiner Mutter weggelaufen sei und Schüsse gefallen seien.

Einige Tage später, am 18. Januar 2008, sei das Dorf Malaaka in der Nähe von Rudom überfallen worden, erfahren wir von einer anderen jungen Mutter, die mit ihren drei Kindern ins Lager floh. In den frühen Morgenstunden hätten Dschandschawid das Dorf überfallen und in Brand gesetzt: »Sie kamen um drei Uhr morgens. Ich hörte sie schießen. Da nahm ich eines meiner Kinder auf den Rücken, das zweite vor die Brust, das dritte nahm ich an die Hand und rannte davon.« Später erfuhr die 22-Jährige, dass ihr Bruder bei dem Überfall durch einen Schuss in den Oberkörper verletzt wurde.

In unserem Bericht für den Human Rights Council der Vereinten Nationen über andauernde Menschenrechtsverletzungen durch die Milizen und das reguläre Militär werden die Augenzeugenberichte wichtige Beweismittel sein.

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Was macht das Salz im Trinkwasser? Erste Spurensuche im Ölfeld Thar Jath: Am 12. Februar 2008 fliegen wir von Raga aus nach Leer, wo wir unser neues Basislager einrichten. Von hier aus beginnen wir unsere Recherche über die Wasserverschmutzung. Noch am Ankunftstag fahren wir von Leer aus in den Nilhafen Adok, der die Erdölfelder verkehrstechnisch an den Wasserweg nach Norden anbindet. Von Adok aus gibt es eine wetterfeste Schotterstraße in ausgezeichnetem Zustand mindestens bis nach Bentiu, der Hauptstadt des Teilstaats Unity. Für den Bau dieser Straße, die die Ölfelder zugänglich macht, mussten die früheren Bewohner der Gegend einen hohen Preis zahlen. Im Jahr 2000 hatte die mit Probebohrungen beschäftigte schwedische Firma Lundin Oil sich bei der Regierung in Khartum darüber beschwert, dass es wegen der schlechten Straßenverhältnisse in ihrem Konzessionsgebiet zu Arbeitsverzögerungen komme. Die nächsten militärischen Aktionen der Regierungstruppen in der Trockenzeit richteten sich gegen die Bevölkerung vor Ort, deren Ansiedlungen einen Straßenbau behinderten. Ganz gezielt wurde für den Straßenbau die Gegend »gesäubert«. Zehntausende Menschen wurden getötet oder zur Flucht gezwungen, ihre Dörfer zerstört20 Bereits im Jahr 2003 legte Human Rights Watch einen fast 600-seitigen Report über diese Zusammenhänge und Hintergründe des Bürgerkriegs im Sudan vor.21 Es hat einen seltsamen Beigeschmack, dass wir es nun auf dieser Straße nach all den holprigen Pisten geradezu genießen, gut und schnell voranzukommen.

Am nächsten Morgen machen wir uns auf den Weg in das Ölfeld von Thar Jath, in dessen Umgebung die Umweltverschmutzungen vorkommen sollen. Wir fahren auf der breiten Straße nach Norden und lassen uns vom Anblick der absolut unberührt wirkenden Natur überwältigen. Das Gebiet, an dessen Rand wir nun unterwegs sind, ist eines der größten zusammenhängenden tropischen Feuchtgebiete der Erde. Der Nil verzweigt sich hier in kaum wahrnehmbarer Fließgeschwindigkeit in ein riesiges Delta. Je nach Niederschlagsmengen und Zufluss durch die Quellseen des Flusses nimmt der Sudd eine Fläche von bis zu 5,7 Millionen Hektar ein, was der Größe Belgiens entspricht. Während der Trockenzeiten weiden Hirten ihre großen Rinder- und Ziegenherden auf dem fruchtbaren Grasland, das hier entsteht. Meterhoch steht dann das Gras. Der natürliche Tierreichtum des riesigen Sumpf- und Überschwemmungsgebiets hat Experten zu einem Vergleich mit der Serengeti veranlasst.22 Vögel in buntesten Farben begleiten uns, ein Weißkopf-Seeadler sitzt direkt an der Straße.

Uns unbekannte Vogelarten – eine farbenprächtiger als die andere – vermitteln einen ebenso interessanten Einblick in die Artenvielfalt wie eine etwa einen Meter lange Echse, die gelangweilt in der gleißenden Sonne liegt.

Am Weltumwelttag 2006 wurde der Sudd in Khartum in einer feierlichen Zeremonie als zweite sudanesische Landschaft im Rahmen der internationalen Ramsar Convention23 in die Liste der Feuchtgebiete von weltweiter Bedeutung aufgenommen.24 Damit wurde die außerordentliche Bedeutung dieses viertgrößten Sumpfgebietes der Erde manifestiert. Der Sudd erfüllt alle Kriterien, die für eine Klassifizierung nach der Ramsar Convention vorgesehen sind.25 Einen Schutzgebietsstatus im engeren Sinn bedeutet die Aufnahme jedoch nicht. Für den Schutz ist der Sudan zuständig, der nun gehalten ist, entsprechende Regelwerke und Kontrollmechanismen zu schaffen.26

Ökologisch besteht das riesige Feuchtgebiet aus zahlreichen verschiedenen Ökosystemen, von offenem Wasser mit Unterwasservegetation, schwimmender Randvegetation, klassischen Sumpfgebieten bis hin zu saisonal überfluteten Wäldern, von Regen- und Flusswasser genährten Grasniederungen, Auen und Buschland. Hier überwintern Vögel, die nicht nur für den regionalen, sondern auch den internationalen Naturschutz von Bedeutung sind, darunter der Rosapelikan, der eine Flügelspannweite von 3,60 Meter erreichen kann, Weißstörche, Kronenkraniche und Seeschwalben. Hinzu kommen nur hier vorkommende Fischarten, Vögel, Säuger und Pflanzenarten, die gefährdete Mongalla-Gazelle, Elen-Antilopen, Afrikanische Elefanten und Schuhschnabel-Störche. Riesige durchziehende Säugetierherden sind vom Grasangebot der Feuchtgebiete während der Trockenzeit abhängig.27

Um eine Vorstellung von dem Artenreichtum in diesem Gebiet entwickeln zu können, kann man aktuelle wissenschaftliche Befunde heranziehen. Als 2007 in New York die südsudanesische Teilregierung und die amerikanische Umweltorganisation Wildlife Conservation Society gemeinsam das Ergebnis der ersten Bestandsaufnahme der südsudanesischen Tierwelt seit 25 Jahren veröffentlichten, erzählte einer der beteiligten US-Forscher, er habe beim Anblick des Tierreichtums seinen Augen nicht getraut.28 »Ich dachte, ich halluziniere«, erzählte er der »New York Times«.29 Bei der Zählung sei man auf hochgerechnet fast anderthalb Millionen Gazellen und Antilopen gekommen, darunter gesunde Populationen der nur hier und in Uganda vorkommenden Weißohr-Moorantilopen. Die Forscher beobachteten aus der Luft Tierherden, die dicht an dicht eine Kolonne von etwa 80 Kilometern Länge und 50 Kilometern Breite bildeten.30 Sogar die hier schon als ausgerottet geltenden Oryx-Antilopen wurden gesichtet, dazu Elefantenherden, Giraffen, Löwen, Leoparden.31 In Lagunen und Seen tummeln sich Krokodile und Flusspferde.32

Nach den Erfahrungen aus den Bürgerkriegen in Mozambique und Angola, wo Wilderer die Tierpopulationen so gut wie vernichtet hatten, war man mit schlimmsten Ahnungen in den Südsudan gereist.33 Auch im Nordwesten des Südsudan wurde die Tierwelt durch Wilderer extrem in Mitleidenschaft gezogen, ebenso wie im südöstlichen Boma-Nationalpark. Einstmals hier vorkommende riesige Büffel- und Zebraherden wurden ausgelöscht.34 Immer wieder werden auch Berichte bekannt von Dschandschawid, die bis in die Nachbarländer eindringen und dort wegen des Elfenbeins ganze Elefantenherden abschlachten.35 Die Undurchdringlichkeit des Sudd verhinderte offenbar das weitere Vordringen der Wilderer. So wurde der Sumpf zum Schutzschild der Fauna des Südsudans.36

Die Straßen, die zu den Ölquellen gebaut wurden, durchschneiden die traditionellen Wanderwege der Tiere, geben die Naturschützer 2007 zu bedenken. Was vor den Zerstörungen durch den Krieg wie durch ein Wunder gerettet wurde, droht nun doch noch Opfer zu werden. Dabei hat der Sudd noch eine ganz andere Funktion, die ihn so unersetzlich macht: Hydrologisch ist der Sudd ein riesiger Filter, der die Wasserqualität kontrolliert und normalisiert und wie ein riesiger Schwamm die Strömung des Wassers stabilisiert. Er ist die Hauptwasserquelle für Menschen und Tiere und zudem ein reicher Fischgrund. Die Bewohner des Sudd oder seines Einzugsgebiets gehören vorwiegend zu den Ethnien Dinka, Nuer und Shilluk. Ihre sozioökonomischen und kulturellen Aktivitäten sind völlig abhängig vom typischen Wechsel der Trocken- und Regenzeit im Sudd, durch den die Wiesen für ihre Rinderherden regeneriert werden. Sie kommen zu Beginn der Trockenzeit aus ihren festen Wohnsitzen im Hochland in die Niederungen, um ihr Vieh dort zu weiden und kehren mit Beginn der Regenzeit im Mai oder Juni in ihre Dörfer zurück.37 Einer der Gründe für den erneuten Ausbruch des Bürgerkriegs zwischen Norden und Süden war auch die Absicht, den Sudd durch einen Kanal trockenzulegen, um die Wassermassen des Nil in die nördlichen Regionen fließen zu lassen.38 Damit wären die Menschen im Süden von ihrer Lebensader getrennt worden. Schon 2006 wurde die Erschließung der Ölvorkommen als Bedrohung dieses einzigartigen Ökosystems benannt. Im selben Jahr wurde erstmals Öl industriell gefördert. Hat sich die Gefahr so schnell verwirklicht? Wir werden dem auf den Grund gehen.

 

Zunächst tauchen am Straßenrand verrostete Hinweisschilder auf die Ölfelder auf, dann völlig unvermittelt Hochspannungsleitungen. Immer öfter passieren wir mit Stacheldraht umzäunte Ölpumpen. Wir sind mitten in den Ölfeldern von Thar Jath. Und ganz plötzlich, wie aus dem Nichts, erheben sich vor uns sechs rot-weiß geringelte Schlote in den Himmel.


Sie gehören zu der Raffinerie, die vor ein paar Monaten errichtet wurde und erst vor wenigen Wochen in Betrieb ging. Aus zweien der Schlote steigen dunkle Abgaswolken auf. Blanke Metallflächen an Rohren, Tanks und Gebäuden spiegeln das gleißende Sonnenlicht. Die Anlage ist umzäunt, die Wachtürme an den Ecken wirken einschüchternd.

Wir fahren an der Anlage vorbei sechseinhalb Kilometer weiter nach Rier. Dort protokollieren wir die mit vielen Bewohnern geführten Gespräche. Dieses Rier ist das neue Rier. Dort, wo das alte lag, befindet sich nun eine Rohölförderanlage. Die 3500 Einwohner wurden 2005 von der nordsudanesischen Regierung gezwungen, von einem Tag auf den anderen ihr Dorf zu verlassen. Nach Angaben der Dorfbewohner kontrollierte der Nordsudan die Gegend bis Anfang des Jahres. Es gab weder Entschädigungen noch Hilfen beim Aufbau des neuen Dorfs.

Der neue Wohnort mutet eher wie ein Flüchtlingslager an, kaum wie eine gewachsene Heimat. Es wurden hier nicht – wie sonst in dieser Gegend üblich – zuerst die Tukul-Lehmhütten gebaut und dann die Verbindungswege zwischen den verstreuten Behausungen. Hier wurden mit Lineal und rechtem Winkel erst die Straßen gezogen und dann die Verschläge für Menschen entlang dieser Pisten gebaut. Die Vertreibung dieser Menschen ist eine weitere eklatante Missachtung grundlegender Menschenrechte.

Besonderen Grund zur Klage gibt es wegen der Trinkwasserqualität. Eine Handpumpe soll frisches Grundwasser aus dem Boden fördern. Doch nutzen die Einwohner von Rier dieses Wasser nicht mehr. Sie vermuten, dass das Wasser von den Ölfirmen mit Chemikalien verunreinigt ist. Ein junges Mädchen berichtet: »Das Wasser schmeckt bitter. Wir waschen damit nicht einmal mehr unsere Kleidung, weil es die Farben angreift und die Stoffe zerstört.« Sie bestätigt damit die zahlreichen Aussagen, die unseren Kontaktmann derart beunruhigt haben, dass er sich an uns wandte.

Am 13. Februar nehmen wir in Rier an dieser Handwasserpumpe unsere erste Wasserprobe. Anschließend fahren wir weiter in das 23 Kilometer von der Raffinerie entfernte Koch. Das Thema Umweltverschmutzung scheint allgegenwärtig. Viele unserer Gesprächspartner, die von Viehsterben und schlechtem Wasser berichten, wollen aus Angst vor Repressalien ihre Namen nicht nennen. »Uns sind alle möglichen Versprechen gemacht worden, Schulen, Straßen, Versorgung. Aber was haben wir davon? Sehen Sie hier irgendwo Schulen? Was wir brauchen, ist gesundes Land und sauberes Wasser, damit wir unsere Herden grasen lassen können«, sagt ein junger Mann.

Später treffen wir auf den amtierenden Commissioner des Landkreises Koch, Oberst Peter Bol Ruot, der in einem schön ausgebauten Tukul seltsam altmodisch Hof hält. Es ist sehr sauber, aufgeräumt. In der Mitte des Hofes steht ein schattenspendender Akazienbaum. In von der Sonne ausgebleichten Plastikstühlen dürfen wir Platz nehmen. Hinter einem kleinen Tisch steht der Stuhl des Hausherrn. Auf dem Tischchen liegt sein Satellitentelefon – das Statussymbol schlechthin in diesem abgelegen Landstrich. Es ist fast, als erhielten wir eine Audienz.

Freundlich beantwortet der Commissioner unsere Fragen. Was wir erfahren ist alarmierend. Im Jahr 2006, so erzählt er, seien 27 Erwachsene und drei Kinder gestorben, weil sie mit Chemikalien verseuchtes Wasser getrunken hätten. Derzeit seien bis zu 1000 Menschen krank davon. Zahlreiches Vieh sei verendet, nachdem es verseuchtes Wasser getrunken hätte. Er habe die Klagen aus der Bevölkerung zusammengetragen und sich an das Ölkonsortium gewandt, das Lizenznehmer in diesem Block 5A genannten Fördergebiet sei. In drei Fällen seien Entschädigungen geleistet worden, »ohne Anerkennung eines Verschuldens seitens des Betreibers«, wie ein anderer Behördenvertreter »AFP« gegenüber später anmerkt. Weiter sei nichts geschehen, trotz der vielen Fälle.

Kurz nach dem Gespräch mit dem Commissioner treffen wir einen Mann,39 der für eine der Ölfirmen arbeitet. Er erzählt freimütig, dass Männer mit Handschuhen und Atemschutzmasken in zuvor ausgehobene Gruben Chemikalienabfälle werfen. Jetzt sei Trockenzeit, aber in der Regenzeit würden diese Gruben geflutet. Wir nehmen sowohl Proben aus dem Brunnen von Koch als auch aus den Sümpfen entlang der Straße von Koch nach Thar Jath um die Raffinerie und weiter südlich aus dem Brunnen der Ortschaft Mirmir und dort aus dem Sumpf. Der geringste Abstand zur vermuteten Quelle der Verunreinigungen – der Raffinerie – sind 600 Meter, der größte 32,7 Kilometer.

Mit den Proben im Gepäck reisen wir zurück nach Leer und sprechen mit dem dortigen Commissioner. Kurz danach begegnen wir zufällig dem schillernden40 Vizepräsidenten des seit 2005 autonomen Südsudans, Dr. Riek Machar Teny, und seiner Frau Angelina Teny, die seit 2005 in der gemeinsamen Übergangsregierung von Nord und Süd Energieministerin in Khartum ist. Ein merkwürdiges Zusammentreffen. Machar plaudert freundlich ein paar Worte mit uns, fragt auch nach unseren aktuellen Erkundungen. Trotzdem haben wir den Eindruck, gegen eine Wand zu reden. Was wir sagen, interessiert ihn nicht wirklich, hat es den Anschein. Vielleicht denken wir beim Anblick seiner ostentativ zur Schau gestellten Macht auch zu sehr an das Leid der Menschen im Südsudan.

Seine Frau, die hoch angesehene südsudanesische Politikerin, lässt er nicht zu Wort kommen. 2006 sagte sie auf einer Konferenz in Juba, dass es Probleme mit dem Prozesswasser gebe, das bei der Ölförderung anfällt. Diese seien bei den älteren Bohrstellen im Norden besonders problematisch, die Firmen, die im Süden gerade beginnen, seien hingegen auf einem guten Kurs.41 Möglicherweise schweigt sie auch deshalb, als wir von unserem Verdacht erzählen.

Am nächsten Tag fliegen wir zurück nach Nairobi. Am Tag darauf halten wir eine Pressekonferenz ab, in der wir den Medien die vorläufigen Ergebnisse unserer Erkundungsreise vorstellen. Dabei fordern wir nachdrücklich die Regierung Sudans zum Handeln auf. Schon allein die von uns gesammelten Zeugenaussagen belegen massive Gesundheitsbeeinträchtigungen und schwerwiegende Auswirkungen auf die Umwelt.

Zurück in Deutschland, übergeben wir am 18. Februar die Wasserproben zur wissenschaftlichen Analyse an ein renommiertes Labor. Das Ergebnis bestätigt die Vermutungen: Das Wasser aus dem Brunnen von Rier erweist sich als stark kontaminiert. Die Analyse ergab einen Gesamtsalzgehalt von 6600,50 Milligramm pro Liter Wasser (mg/l) und eine Belastung mit Strontium in Höhe von 6,7 mg/l. Zudem weist das Wasser dieser Probe einen Nitratgehalt in Höhe von 81,6 mg/l auf. Der von der US-Umweltbehörde EPA empfohlene Grenzwert42 für den Gesamtsalzgehalt von Trinkwasser liegt bei 500 mg/l. Dieser Wert wird bei der untersuchten Probe um das mehr als 13-Fache überschritten. Der Grenzwert für Nitrat liegt bei 10 mg/l und ist damit um das 8-Fache überschritten. Eine Nitratkonzentration in dieser Höhe kann bei Säuglingen schwere Erkrankungen hervorrufen, die bei Nichtbehandlung zum Tode führen können. Die Befunde aus den weiter entfernten Entnahmestellen sind unauffällig.

Das Ergebnis ist erschütternd. Die kommerzielle Ölförderung in diesem Gebiet hat ja gerade erst begonnen und läuft noch gar nicht mit voller Kraft.43 Hier bahnt sich eine furchtbare Umweltkatastrophe an, wenn nicht gegengesteuert wird. Der Befund der Wasserproben wird mit einer Pressemitteilung an die Öffentlichkeit gegeben. Zahlreiche Medien im In- und Ausland berichten.

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→ Exkurs: Woher kommen die

Verunreinigungen?

In der Bohrtechnologie ist Wasser als Grundstoff für Spüllösungen von elementarer Bedeutung.44 Die generelle Bedeutung von Bohrspülungen in der Bohrtechnik liegt in der Stabilisierung eines reibungslosen Ablaufs des Bohrprozesses. Bohrspülungen sind während des Bohrvorgangs im Bohrloch umlaufende Flüssigkeiten, die das sogenannte Bohrklein nach oben befördern, den Meißel und das Bohrgestänge kühlen sowie die Bohrlochwand gegen Einsturz absichern. In nicht verfestigten Sedimenten, wie sie in dem betroffenen Gebiet vorkommen,45 werden der Spülung Stoffe zugesetzt, die eine Filterkruste bilden und damit die durchlässigen Schichten des Gebirges46 verschließen, um einen Kollaps des Bohrlochs zu verhindern. Eine gering zu haltende Menge Spülung tritt bis zur Krustenbildung in die durchlässigen Schichten ein und verschließt diese. Die Bohrspülung soll andererseits ebenso ein unkontrolliertes Eindringen von Fluiden oder Gasen aus dem Gebirge ins Bohrloch verhindern. Auch aus Kostengründen ist die Zusammensetzung der Spülung an die jeweiligen geologischen Bedingungen anzupassen.

Um die Korrosion des Bohrgestänges zu verhindern, wird stets auf ein sauerstoffreduziertes Milieu geachtet. Bei pH-Werten zwischen 10 und 12,5 ist die Korrosionsgefahr für Stahl vernachlässigbar gering. Um den pH-Wert zu erhöhen, werden Natrium, Calcium und Kalium-Alkalien zugesetzt. Bei niedrigeren pH-Werten in der Spülung müssen zum Korrosionsschutz Phosphate, Borate, Chromate oder spezielle Tenside eingesetzt werden. Zu den Alkalien zählen unter anderem KCI (tonstabilisierend) und Pottasche (K2CO3).

Viele Spülungszusätze haben mehrere Aufgaben zu erfüllen. Dementsprechend ist für Festgestein, Lockergestein, Sedimente oder Sedimentgestein die Bohrspülung jeweils unterschiedlich zusammengesetzt. In Ton und Tonsteinen, wie sie in und um Thar Jath vorkommen, werden z.B. die Bohrlöcher mithilfe von Zugabe von Kaliumchlorid, Kalziumchlorid oder Kaliumsulfat stabilisiert. Dabei werden die in den Tonen vorkommenden Natrium-Ionen durch Kalium oder Kalzium ersetzt, und der Ton nimmt dadurch weniger Wasser auf. Insbesondere Kaliumspülungen haben eine große Bedeutung bei Bohrungen in Ton und Tonsteinen, da sie vor allem in unbekannten Formationen durch die antiosmotischen Eigenschaften des Kalium-Ions die Aufnahme von Wasser optimal verhindern.

Die Verwendung von Chemikalien in Bohrspülungen unterliegt wegen ihres extrem hohen Gefährdungspotenzials strengen international gültigen Richtlinien. Zudem werden bei der Förderung von Öl konzentrierte salzhaltige Lösungen in die Öl-Lagerstätten injiziert, um so den Druck in der Lagerstätte zu erhöhen. Rohöl wird zusammen mit den vorher injizierten Salzlösungen an die Oberfläche gepumpt. Dort wird das Rohöl vom sogenannten Prozesswasser getrennt. 3 bis mehr als 9,5 Liter Prozesswasser fallen bei jedem geförderten Liter Rohöl47 an, eine unglaubliche Menge. Oftmals salzhaltiger als Meerwasser, kann dieses Prozesswasser auch giftige Metalle und radioaktives Material enthalten.48 Üblicherweise wird das Prozesswasser über ein weiteres Bohrloch in trinkwasserferne Schichten in großen Tiefen zurückgepumpt.49 Wird es über das Oberflächenwasser abgeführt oder mit zu seichten Bohrungen in grundwasserführende Schichten injiziert, besteht das Risiko, dass dieses verseuchte Wasser über Brunnen in den Nahrungskreislauf des Menschen gelangt.

Im Sudan ist dieses Problem bekannt: Es war bereits im Jahr 2006 Thema einer Konferenz in Juba, in der es um die Neuausrichtung der Ölförderung nach dem Friedensabkommen und der nun möglichen Beteiligung des Südsudans ging.50 Bei dieser Konferenz wurde darauf hingewiesen, dass der US-Multi Chevron, der bis 1983 die ersten Ölquellen erschloss, das erprobte, aber teure Verfahren zur sicheren Entsorgung des Prozesswassers anwendete: Chevron injizierte das verseuchte Abwasser zurück in tiefe Bodenschichten. Erst die Nachfolger entwickelten die Methoden, die die ersten für alle sichtbaren Folgen für die Umwelt zeigten.51 Die Ölreserven im Ölfeld von Thar Jath werden auf 149,1 Millionen Barrel geschätzt.52 Ein Barrel Öl sind 159 Liter. Überschlägig mit einem Mittelwert von sieben Litern Prozesswasser pro Liter Öl hochgerechnet bedeutet das, das 1 659 483,3 Millionen Liter Abwasser zu entsorgen sein werden.

 

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Am 18. März 2008 bittet Hoffnungszeichen in einem Brief an den Betreiber der Raffinerie in Thar Jath um eine Stellungnahme zu den Testergebnissen. Das in Khartum ansässige Betreiberkonsortium White Nile Petroleum Operating Company Ltd. (WNPOC) gehört zu 67,875% der zum malaysischen Staatskonzern Petronas gehörenden Gesellschaft Petronas Caligari Overseas, zu 24,125% der indischen Oil and Natural Gas Corporation (ONGC) Videsh Ltd. und zu 8% der staatlichen sudanesischen Sudapet (Sudan National Petroleum Corporation).53 Die Zweidrittelmehrheit in dem Konsortium entstand, als Petronas im Jahr 2003 die Anteile der schwedischen Firma Lundin übernahm, die die Quellen erschlossen hatte.54 Als wichtigster Partner der sudanesischen Regierung bei der Ölförderung und -aufbereitung in allen Lizenzgebieten ist Petronas der einflussreichste Stakeholder in Sachen Öl im Sudan.55

Hoffnungszeichen fordert in diesem Schreiben die Betreiber höflich auf, die Ergebnisse der Wasserproben zu kommentieren und zu erläutern, wie die Abfälle des Produktionsprozesses entsorgt werden und welche Maßnahmen sie planen, um die Bewohner von Rier mit genießbarem Trinkwasser zu versorgen. Eine Antwort kommt nicht.

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Am 28. März veröffentlicht der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen eine auf Betreiben Spaniens und Deutschlands entstandene Entschließung zur weiteren Diskussion über das in den Katalog der Menschenrechte zu integrierende Recht auf sauberes Trinkwasser und sanitäre Versorgung. Die Entschließung erfolgt als Reaktion auf einen Bericht des UN-Hochkommissars, aus dem hervorgeht, dass weltweit mehr als einer Milliarde Menschen der Zugang zu sauberem Wasser verwehrt ist und 2,6 Milliarden Menschen ohne Sanitäreinrichtungen auskommen müssen. Der UN-Hochkommissar hatte dringend nahegelegt, das Recht auf sauberes Wasser als Menschenrecht anzuerkennen.

Für drei Jahre wird ein unabhängiger Experte eingesetzt, der im umfassenden Dialog auf allen beteiligten politischen und gesellschaftlichen Ebenen von den Regierungen über die UN bis hin zu akademischen Institutionen und Nichtregierungsorganisationen die »best practices« zur Versorgung mit sicherem Trinkwasser und Sanitäreinrichtungen erarbeiten soll. Insbesondere die vor Ort agierenden NGOs werden in den Prozess eingebunden.

Wasser-Experten, die seit Jahrzehnten für die Anerkennung des Menschenrechts auf sauberes Wasser kämpfen, sehen in dieser Entschließung einen der wichtigsten Schritte hin zur Anerkennung dieses Menschenrechts.56 Am Ende des endlich eingeleiteten Rechtsfindungsprozesses soll ein einklagbares Recht auf sauberes Trinkwasser für jeden Menschen auf dieser Erde stehen.

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Im Juli 2008 beauftragt Hoffnungszeichen die Hydrogeologin Hella Rüskamp mit einer Studie zur Ursachenforschung der Trinkwasserverunreinigungen in den Erdölexplorationsgebieten Thar Jath und Mala. Ziel der Studie soll sein, den vermuteten direkten Zusammenhang zwischen den Aktivitäten der erdölexplorierenden Firmen (Explorationsbohrungen, Prozesswasseraufbereitung und -entsorgung) und der Kontamination des Grundwassers vor allem durch Salze und Schwermetalle zu belegen oder zu widerlegen.

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Beim letzten Rennen der diesjährigen Grand-Prix-Saison am 2. November in Sao Paulo hat niemand Zweifel daran, dass Lewis Hamilton Weltmeister wird. Der McLaren-Mercedes-Pilot liegt zwar nur auf Platz fünf, doch reicht das aus, um in der Gesamtwertung der Formel 1 den in diesem Rennen führenden Ferrari-Piloten Felipe Massa auf die Plätze zu verweisen. Bis zur vorletzten Runde herrscht fast Langeweile. Doch dann nimmt das Rennen eine unerwartete Wendung. Nachdem Regen eingesetzt und die meisten Fahrer die Reifen gewechselt haben, zieht Sebastian Vettel mit seinem Toro Rosso völlig überraschend an Hamilton vorbei. Aus der Traum von der Weltmeisterschaft! Hamilton kann nur noch auf dieselbe Punktzahl wie Massa kommen. Und da der brasilianische Ferrari-Pilot mehr Siege in dieser Saison erzielt hat, fährt nun er dem Weltmeistertitel entgegen. Hamilton heftet sich zwar an die Fersen von Vettel, hat aber keine Chance, den unglaublich stark fahrenden Deutschen erneut zu überholen. Aus der Traum? In der Ferrari-Box fallen sich die Mitarbeiter schon in die Arme. 100 000 Zuschauer jubeln ihrem Landsmann zu. Doch dann, im beinahe allerletzten Moment des Rennens, rasen Jäger und Gejagter auf Position fünf und sechs an dem auf Platz vier liegenden Toyota von Timo Glock vorbei. Hamilton fährt doch als Weltmeister durch das Ziel. Der Brite ist mit seinen 23 Jahren der jüngste Weltmeister der Formel-1-Geschichte. Und erstmals seit 1999 gewinnt wieder ein Auto mit einem Motor von Mercedes.57

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Bei Hoffungszeichen arbeiten wir nun mit Hochdruck an der Vorbereitung der weiteren wissenschaftlichen Absicherung der vorgefundenen Kontaminationen und ihrer Ursachen. Bei der Internet-Recherche stoßen wir auf die Facebook-Seite eines Mitarbeiters der Central Processing Facility (CPF) in Thar Jath. Jetzt sehen wir, dass es sich bei der riesigen Anlage, die wir für eine Raffinerie hielten, um eine Aufbereitungsanlage für Rohöl handelt. Hier wird das Rohöl vom Prozesswasser und sandigen Bestandteilen getrennt und von hier aus durch eine Pipeline zur weiteren Verarbeitung in die Raffinerien im Norden gepumpt. Bei der Auswertung von Satellitenaufnahmen ist zu erkennen, dass in dem Ölfeld von etwa 70 Bohrstellen aus Öl für die CPF gefördert wird. Zudem erkennt man verlassene Bohrlöcher, neben denen sich ebenfalls die Gruben mit den gefährlichen Bohrspülungen befanden.

Hoffnungszeichen tauscht sich mit einer Mitarbeiterin von Hella Rüskamp aus. Diese Mitarbeiterin und Klaus Stieglitz müssen möglichst bald nach Thar Jath reisen. Die Proben müssen jetzt von einem Experten genommen werden, damit keine Zweifel an der Beweiskraft der Wasserproben aufkommen. Akribisch werden Formulare für Entnahmeprotokolle vorbereitet.

Mithilfe der GPS-Daten der Probennahmen vom Februar legen wir fest, wo wir nun Proben sammeln wollen: Wir möchten weitere Trinkwasserbrunnen, Sumpfwasser und Prozesswasser in oder an der CPF beproben. Zusätzlich begeben wir uns auf die Suche nach den Abfallgruben, die uns ein Ölarbeiter im Februar beschrieben hatte.

Am 12. November landen wir wieder auf einer holprigen Buschpiste im Südsudan. Dieses Mal begleitet uns eine Korrespondentin der Deutschen Presse Agentur (»dpa«). Unser Arbeitsgebiet befindet sich nördlich der Stadt Leer und erstreckt sich etwa 75 Kilometer nach Norden. Der Weiße Nil ist die geografische und hydrogeologische Grenze des Arbeitsgebiets im Osten. Die erste Probe wird etwa 55 Kilometer vom Nil entfernt genommen. Insgesamt werden Proben aus zwölf Brunnen und sieben Proben aus Oberflächengewässern entnommen, wobei bei einigen Oberflächengewässern nur vermutet werden kann, dass sie Altlasten enthalten. Vier der Oberflächengewässer liegen in unmittelbarer Nähe der CPF von Thar Jath.58 Bei einigen Brunnen werden Klagen von Anwohnern über das Wasser zum Anlass für die Beprobung genommen. Die Handpumpen selbst werden auch einer Begutachtung unterzogen, wobei sich herausstellt, dass sie alle indischer Bauart sind, gegen Einträge von außen abgedichtet und von einem Betonsockel eingefasst. Eine direkte Kontamination von oben am Brunnen selbst scheint so ausgeschlossen. Die Ergebnisse zeigen eine ansteigende Versalzung der Brunnen in ausgeprägter Ost-West-Richtung.

Die Analyse der an den beiden Trinkwasserpumpen in Rier am 14. November 2008 genommenen Proben ergibt einen Gesamtsalzgehalt von 6420 bzw. 6170 Milligramm pro Liter Wasser (mg/l). Die US-Umweltschutzbehörde EPA setzt 500 mg/l als Grenzwert an. Diese Proben überschreiten den EPA-Grenzwert somit um das 12-Fache. Ein Salzgehalt dieses Maßstabs entzieht dem Körper Wasser. Diese Dehydration kann zu einer tödlichen Gefahr werden. Um bei einer Dehydration zu überleben, muss dem Körper unverzüglich sauberes Wasser zugeführt werden. Die Wasserproben in Rier enthielten auch Strontium-Anteile und in einer Probe Blei sowie Spuren von Cadmium.

Aber woher soll dieses saubere Wasser kommen? Viele Einwohner von Rier, insgesamt rund 5000 Menschen, gehen in den Sumpf und trinken die modrig stinkende Brühe. Diese sei besser als das Salzwasser aus dem Brunnen, meinen sie. »Das Wasser schmeckt salzig, und der Hals schmerzt davon«, sagt eine Einwohnerin in Rier. »Man bekommt Hautausschläge davon und Durchfall«, berichtet die Mutter dreier Kinder weiter.

Manchmal kommt auch ein Wasser-Tanklastwagen vorbei – von den Ölfirmen bezahlt. Der Lkw kann 20 000 Liter Wasser laden. 20 000 Liter für 5000 Menschen, oft seltener als einmal pro Woche. 4 Liter für einen Menschen in einer Woche, und das bei vierzig Grad im Schatten. Wenn der Tanklaster kommt, bricht deshalb unter den Menschen Streit aus. Eine Frau zeigt auf eine Narbe auf ihrem Unterkiefer und erzählt: »Hier hab ich einen Schlag abbekommen, als ich am Tanklaster Wasser haben wollte. Da wird richtig gekämpft.« Jeder will für seine Familie, für sich etwas von dem kostbaren Nass bekommen. Da wird gerauft, getreten und geschlagen – ein Schreckensbild, von der Ölindustrie in Szene gesetzt.