Giordano Bruno - Märtyrer der Gedankenfreiheit

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Giordano Bruno - Märtyrer der Gedankenfreiheit
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Giordano Bruno –

Märtyrer der Gedankenfreiheit

Eine Einführung in sein Denken

von Klaus Scherzinger

Impressum

Diese Veröffentlichung erfolgte mit freundlicher Unterstüzung durch den Kulturverein „roccafé e. V. Kultur in Denzlingen“


Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN: 978-3-86408-241-2

© Copyright: Vergangenheitsverlag, Berlin / 2017

© Copyright Coverfoto: Alexander Mors

Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.

Der Naturphilosoph kümmert sich nicht um Wunder.

Motto Alberts des Großen

Eines ist notwendig.

Meister Eckhart, Predigt 86, DW III

Ja! Ich weiß woher ich stamme!

Ungesättigt gleich der Flamme

Glühe und verzehr ich mich. …

Friedrich Nietzsche, Ecce Homo

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Wiedergeburt der Philosophie im Denken Giordano Brunos

1.1. Die Schlacht um die Gedankenfreiheit auf dem „Kampfplatz“ der Metaphysik

1.2. Theologie versus Philosophie

1.3. Beginnende Naturwissenschaft

1.4. Humanismus und die Anfänge subjektivistischer Philosophie

1.5. Akademisches Wanderleben

1.6. Die beiden Hauptschriften

1.7. Oxford: Bruno als Kopernikus-Überbieter und Nestbeschmutzer

1.8. Aristotelisch geprägte Wissenschaftlichkeit: Bruno betreibt Metaphysik als Ontologie

2. Ursache und Geheimnis der Welt:*Brunos Schrift „Über die Ursache, das Prinzip und das Eine“

2.1. Substanzen und substanzielle Formen

2.2. Die aristotelische Ursachenlehre und orthodoxer bzw. heterodoxer Aristotelismus

2.3. Von der Unmöglichkeit das Weltganze zu überblicken

2.4. Inneres Prinzip und innere bzw. *äußere Ursache

2.5. Die Weltseele: Das Ganze lebt

2.6. Monaden: Die Einzelteile leben

2.7. Monaden: Lebendige Spiegel des Göttlichen

2.8. Die ewige Materie

2.9. Die Materie als Schoss und Quelle*der Formen

2.10. Die gütigste Urmutter als erstes und göttliches Prinzip

2.11. Das Ganze ist der Substanz nach Eines

2.12. Von Unterschieden ohne Unterschied und von der Coincidentia oppositorum

3. Vom freudvollen Leid der Wahrheitssuche: Brunos Schrift „Von den heroischen Leidenschaften“

3.1. Was sind Gefühle und was verraten sie uns über uns selbst? Mit einem kleinen Exkurs zu modernen Emotionstheorien.

3.2. Das Grundgeschehen der Natur- und das Grundgefühl der Bewusstseinsprozesse

3.3. „Das Hohelied“ Brunos

3.4. Schattenparadiese und was uns hindert!

3.5. Brunos Nähe zu Nietzsche

3.6. So ist die Lieb! So ist die Lieb!

3.7. Bruno und Goethe, zwei Augentiere

3.8. Diana und Aktaion

3.9. Laster haben, wie Gott Laster hat: Brunos Tugendlehre

4. Durch Deutschland und nach Italien in den Tod

5. Zur Rezeptionsgeschichte

Literaturverzeichnis

Anmerkungen

Vorwort

8 spiralförmig um eine Säule sich windende, mit Buntglas zum Betrachter hin verschlossene und von innen beleuchtete Holzschaukästchen sind das augenfälligste Element einer über Jahre hinweg entstanden Installation im restaurierten und zum Gastraum der Kulturkneipe roccafé umgestalteten Maschinenraum einer alten Fabrik im Ortskern der nur wenige Kilometer nördlich von Freiburg im Breisgau gelegen Gemeinde Denzlingen.

Die Gläser der Holzschaukästchen zeigen lodernde Flammenzungen. Wer die Säule umrundet und mit Blicken die Schaukästchen vom Sockel Richtung Kapitell abwandert, kann erkennen, dass ihre Flammenzungen jeweils einen Buchstaben formen. Als wären es auch Münder schreien sie gemeinsam den Namen G i o r d a n o. Gemeint ist Giordano Bruno, Philosoph der Renaissance, unstrittig einer der Könige des freien Denkens und das nicht nur, weil er für seine Lehren den Flammentod sterben musste. Die Giordano Bruno-Säule will an ihn und mit ihm an die vielen Freidenker und Freidenkerinnen vor und nach ihm erinnern.

Der nachfolgenden Text ist der Versuch, den vielen Nachfragen zur Giordano Bruno-Säule, zum Leben und Wirken ihres Namengebers und auch zur Bedeutung des Bruno-Zitates1

, das die Säule dem Betrachter achtfach präsentiert, mit einer verständlichen Einführung in sein Denken zu antworten und zu zeigen, wohin Bruno von den freien Schwingen seines Denkens getragen wurde: einerseits zu einem für die damalige Zeit revolutionären und noch heute von der Kirche bekämpften Gottes- bzw. Naturverständnis und andererseits zu einem Menschenbild, das sehr modern ist, nicht nur weil es zeigt, wie man sich das Eingebettet-Sein des Menschen in Brunos Gottes- bzw. Naturverständnis vorzustellen hat, sondern weil es auch nach dem Selbstverständnis fragt, das sich aus diesem Eingebettet-Sein heraus entwickelt, also danach fragt, wie es für den Menschen ist, wie es sich anfühlt, Teil des Ganzen von Gott und Natur zu sein. Bruno wird deutlich machen: Im Vollzug menschlicher Existenz transformiert sich die unbewusste Dynamik seines kosmo-ontologischen Gottes- und Naturverständnisses zur erlebten Dynamik konkret gelebten Lebens. Der Mensch hat keine Wahl, er muss die kosmo-ontologischen Verhältnisse, in die er ganz und gar hineingehört und deren bewusstseinsfähiger Spiegel er ist, in leidenschaftlich brennender Vergeblichkeit durchleben.

Brunos Philosophie von Gott und Natur übergipfelt vormalige Gottes- und Naturphilosophien, ist ihnen aber in Anwendung der überkommenen aristotelisch-scholastischen Methodik verpflichtet. Gleichzeitig aber schlägt sein Denken eine moderne Richtung ein und eröffnet den Denkraum, mit dem und in dem philosophische Anthropologie und Existenzphilosophie entstehen konnten.2

Bruno gelingt es zu beschreiben, wie sich die Strukturen der einzigen und alles umfassenden Wirklichkeit im menschlichen Leben „verexistenzialisieren“, d.h. zu etwas werden, was uns nicht egal sein kann, weil es Leid und Freud unseres Lebens ausmacht.

Die vorliegende Einführung lässt vieles beiseite, was sich zu Brunos Denken noch sagen ließe, konzentriert sich auf die Darstellung zentraler Positionen seiner Naturphilosophie und Anthropologie und auf den Aufweis ihrer Modernität. Die erste Absicht setzt voraus, dass aufgezeigt wird, vor welchem wissenschafts- und methodengeschichtlichen Hintergrund Brunos eigene Philosophie entstehen und Kontur annehmen konnte, die zweite Absicht verlangt Ausblicke auf neuere philosophische, psychologische und naturwissenschaftliche Erkenntnisse. Biographische Episoden, Anmerkungen zum Inquisitionsprozess, der gegen Bruno geführt wurde, und ausführlichere Einlassungen zur Rezeptionsgeschichte werden den naturphilosophischen und anthropologischen Themenschwerpunkten an die Seite gestellt und komplettieren diese Einführung. Sie wurde verfasst, um die Kühnheit seiner Philosophie und die Faszination, die noch heute von seinem Denken ausgeht, auch für Nicht-Philosophen greifbar werden zu lassen.

 

1. Wiedergeburt der Philosophie im Denken Giordano Brunos

Was meinen wir, wenn wir vom Menschen in der Epoche sprechen, vom griechischen Menschen oder vom Menschen der Neuzeit? Wir anerkennen, dass es kulturellen Wandel gibt und dass dieser sich im Denken und Wirken der Menschen auf lebendige und individuelle Weise spiegelt. Giordano Bruno war ein Mensch der Renaissance. Als „lebendiger Spiegel“ dieser bewegten Zeit wurde er zerbrochen, am 17. Februar 1600 auf dem Platz der Blumen (Campo de` Fiori), in Rom. Ob er auch gebrochen war, als er nackt, wie es heißt, und auf der Grundlage einer Verurteilung als Ketzer durch das Heilige Offizium „an einen Pfahl gebunden und bei lebendigem Leib verbrannt wurde“3, lässt sich wohl nicht mehr in Erfahrung bringen.

Nun sind alle Menschen Kinder und damit lebendige Spiegel ihrer Zeit. Manche aber gibt es, auf die zeigt man noch nach Jahrzehnten und Jahrhunderten, weil sie sichtbar geblieben sind durch ihre Werke und Taten und weil das, was noch heute von ihrem Schaffen kündet, den Anschein vermittelt, als hätten sie das Charakteristische ihrer Zeit nahezu idealtypisch verkörpert, weil ihr Leben und Wirken die typischen Konflikte ihrer Zeit besonders deutlich hervortreten ließen, weil sie vor den großen Herausforderungen ihrer Zeit bravourös bestanden oder tragisch daran scheiterten. In der Rückschau werden sie so zu Vorzeigefällen, zu Exempla, zu Fall- und Lehrbeispielen für das Besondere ihrer Zeit, sei es im Guten wie im Schlechten, im Hohen wie im Gemeinen, in Siegen oder in Niederlagen. Bruno ist ein solches Exemplum. Das erschließt sich aus den Quellen, die uns vorliegen, etwa aus den Akten und Berichten zu den Inquisitionsprozessen, die in Venedig und Rom gegen ihn geführt wurden, aber auch aus seinen Schriften, die neben seinen wissenschaftlich-philosophischen Lehren vielzählige Hinweise enthalten auf die Lebensumstände, denen er sich stellen musste. So tritt uns aus den Quellen ein Gelehrter entgegen, der eine der wichtigsten Kennzeichnungen des Renaissancezeitalters auf eigenwillige, individuelle Weise durchlebte, durchlitt und mit seinem Denken exemplarisch vorführte: Die Befreiung der Philosophie aus einer jahrhundertelang währenden Indienstnahme durch die Theologie.

1.1. Die Schlacht um die Gedankenfreiheit auf dem „Kampfplatz“ der Metaphysik

Mit und als Philosophie hat abendländische Wissenschaft begonnen. Wissenschaft meint hier nicht schon moderne Naturwissenschaft, Wissenschaft ist viel älter und umfassender. Wissenschaft lässt nur eine bestimmte Art von Aussagen als wissenschaftliches Wissen, als wissenschaftlich wahre Aussagen über die Wirklichkeit und ihre Teilbereiche gelten, nämlich solche, die nicht mehr in esoterischen Zirkeln und mit Hilfe des „mystisch-magischen“4 Erkenntnisweges gewonnen wurden, sondern öffentlich und unter Einsatz der Vernunft. Wissenschaftliches Wissen liegt nicht mehr bildhaft erzählerisch vor, sondern streng begrifflich, es liegt auch nicht mehr zusammenhangslos nebeneinander, sondern Wissenschaft versucht die Aussagen, die sie für wahr hält, aufeinander zu beziehen und zu einem Systemganzen zu verknüpfen.

Das Menschheitsprojekt Wissenschaft konnte starten, als Philosophie begann, als der Zweifel an den mythischen Welt- bzw. Wirklichkeitserklärungen wuchs, als mit dem Zweifel zugleich das Ideal der Wahrheit, bzw. der Wahrheitssuche erwachte und als man sich einig wurde, dass die menschliche Vernunft, das also, was die Griechen den „logos“ nannten, zum Einsatz kommen müsse, um mit der Wahrheitssuche ans Ziel kommen zu können. Erkenntnis, wenn sie Wahrheit beanspruchen wollte, durfte nicht länger naiv den Göttergeschichten der Priester, Magier und Wahrsager entnommen werden, sondern musste begründet werden, mithilfe von Argumenten und Schlussfolgerungen und idealerweise auch in der Auseinandersetzung mit den Aussagen und Argumenten anderer Wahrheitssucher. Philosophie bzw. die philosophische Wissenschaft ist Vernunftwissenschaft, sie hat „den Anspruch, dass alle ihre Aussagen vernünftig sind, dass also jedes Vernunftvermögen (jeder Mensch) einsehen müsste, dass und warum diese Aussagen Stringenz beanspruchen“.5

Nun gibt es eine Besonderheit mit der menschlichen Vernunft, eine Problematik, so könnte man auch sagen, auf die Kant hingewiesen hat: Sie hat nämlich „das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: dass sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann; denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann, denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft“6. Wir können diesen plagenden Fragen nicht ausweichen, doch eine Chance, sie objektiv gültig zu beantworten, gibt es auch nicht. Dennoch wäre es falsch und zudem unmenschlich, sie nicht zu stellen. Die Fragen, von denen Kant spricht und die – wie er sagt – zu „endlosen Streitigkeiten“ unter den Menschen führen, sind metaphysische Fragen.

Metaphysik ist Philosophie der „letzte Fragen“, sie ist, wie es in einem philosophischen Wörterbuch heißt, „die philosophische Grundwissenschaft, in der alle philosophischen Disziplinen wurzeln.“7 Wenn hier vom „Grund“ und vom „Wurzeln“ die Rede ist, dann ist das nicht nur historisch gemeint, weil schon die platonische und die aristotelische Philosophie in weiten Teilen Metaphysik war, sondern es meint auch, dass Metaphysik mit ihren Fragen in Bereiche vorzudringen versucht, von woher sich alles Erfahrbare letztgültig und letztbegründend verstehen lässt. Metaphysik – so hat es Martin Heidegger einmal formuliert – stellt die Grundfrage: „Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?“8 Sie ist Philosophie, die nach „den letzten, den nicht-empirischen Gründen“9, Wurzeln und Voraussetzungen alles Empirischen fragt. So gesehen ist sie philosophische Universal- und Fundamentalwissenschaft.

Der Metaphysikbegriff ist nicht so alt, wie die Sache, die er bezeichnet. Einer oft vertretenen Auffassung nach haben Peripatetiker des ersten vorchristlichen Jahrhunderts den Titel „Metaphysik“ (von griech. meta ta physika, „nach, bzw. hinter dem Physischen“) ausgewählt, um damit jene aristotelischen Schriften zu bezeichnen, mit denen Aristoteles die philosophische Grundwissenschaft erstmals systematisch und für die nachfolgende Philosophiegeschichte Beispiel gebend ausgearbeitet hatte und die man seinen Schriften zur Philosophie der Naturdinge (im Regal) nachfolgen ließ, weil Aristoteles darin „das für uns erst nach den konkreten Naturdingen Erkennbare, diesen Zugrundeliegende und somit an sich erste behandelte.“10 Weil sie das „Zugrundeliegende“ und das „an sich erste“ thematisiert, hat man die Metaphysik auch „Erste Philosophie“ genannt. Ab der Spätantike und im Mittelalter ist dann der Schriftentitel „Metaphysik“ zum Titel der entsprechenden Disziplin überhaupt geworden.

Die Auseinandersetzung mit Brunos Philosophie wird zeigen: Ihre Befreiung aus der Indienstnahme durch die Theologie musste sich die Philosophie erkämpfen, genauer gesagt, zurückerkämpfen auf ihrem ureigensten Feld der Metaphysik, auf dem sie selbst einst zu Größe und Ruhm gekommen war. Hier herrschte seit Jahrhunderten das christlich-theologische Denken und Philosophie war an die Kette theologischer Vorgaben gelegt.

Kant sagt über die Metaphysik, sie sei ein „unhintertreibliches“11 Anhängsel der menschlichen Vernunft, denn diese „geht unaufhaltsam, ohne dass bloße Eitelkeit des Vielwissens sie dazu bewegt, durch eigenes Bedürfnis getrieben bis zu solchen Fragen fort, die durch keinen Erfahrungsgebrauch der Vernunft und daher entlehnte Prinzipien beantwortet werden können, und so ist wirklich in allen Menschen, sobald Vernunft sich in ihnen zur Spekulation erweitert, irgendeine Metaphysik zu aller Zeit gewesen, und wird auch immer darin bleiben“12.

Wenn das geschieht, wenn die Vernunft Metaphysik treibt und über letzte Fragen spekuliert, dann sind ihre Einsichten wohl eher „vernünftelnde“ Schlüsse als „Vernunftschlüsse“, wie Kant es ausdrückt, „wiewohl sie, ihrer Veranlassung wegen, wohl den letzteren Namen führen können, weil sie doch nicht erdichtet, oder zufällig entstanden, sondern aus der Natur der Vernunft entsprungen sind. Es sind Sophistikationen, nicht der Menschen, sondern der reinen Vernunft selbst, von denen selbst der Weiseste unter allen Menschen sich nicht losmachen … kann“13.

Kant forderte kein Ende der Metaphysik und das wird es, solange es Menschen gibt, auch nicht geben, das war ihm bewusst. Kant wollte, dass uns bewusst ist, was wir tun, wenn wir Metaphysik treiben. Es ging ihm um Selbstdurchsichtigkeit hinsichtlich unseres Erkenntnisvermögens, um eine Selbstkritik der Vernunft mit Blick auf die Grenzen ihres sinnvollen, weil echte Erkenntnis gewinnenden Gebrauchs und auch um eine davon sich ableitende Entspanntheit im Umgang mit metaphysischen Dingen, bei denen sich objektive Wahrheit nicht erlangen lässt.

Von Metaphysik-, bzw. Vernunftkritik und von einer Entspanntheit im Umgang mit metaphysischen Dingen war man zu Zeiten Brunos noch weit entfernt, letzteres wird er leidvoll zu spüren bekommen, durch die Lebensumstände, die man ihm aufzwingt und den Tod, den man ihm bereitet. Die Zumutungen, die seine Antworten auf zentrale metaphysische Fragen den theologischen Dogmenhütern bereiteten, waren erheblich. Bruno entwickelt diese Antworten im Rahmen und im Zuge seines Nachdenkens über Natur und Gott. Seine Schrift „Über die Ursache, das Prinzip und das Eine“ (im Folgenden mit „UPE-Schrift“ abgekürzt), die die Ergebnisse seiner Natur- und Gottesphilosophie in konzentrierter Form zusammengefasst enthält, ist Metaphysik, wie überhaupt die ganze theoretische Philosophie vor Kant Metaphysik war. Die UPE-Schrift ist also – um es mit Kant zu sagen – ein Beispiel frühneuzeitlicher Spekulation und vernünftelnder Sophistikation, aber – und das wird Bruno zum Problem werden – sie ist keine Philosophie mehr im Dienste der Theologie.

1.2. Theologie versus Philosophie

Menschen existieren in einer Erfahrungswirklichkeit. Die Erfahrungswirklichkeit wird eröffnet, wird erfahrbar, ist „da“, sobald wir wach, sobald wir bei Bewusstsein sind (von der Möglichkeit des Traumerlebens sei an dieser Stelle abgesehen). Die Erfahrungswirklichkeit ist ein in sich strukturiertes Ganzes, eine Strukturganzheit.

Eine befriedigende naturwissenschaftliche, die biologischen und neuronalen Voraussetzungen und Bedingungen dieser Strukturganzheit bedenkende Erklärung ihrer Emergenz, bzw. ihres „Sich-Eröffnens“, steht noch aus und manche Denker vermuten, aus grundsätzlichen Erwägungen heraus, dass dies so bleiben und es niemals gelingen wird, eine naturalistische bzw. materialistische Geisttheorie zu finden, die den Geist als Naturphänomen, als Kind der Natur zu erklären vermag.

Wollte man versuchen, die Ganzheitlichkeit der Strukturganzheit der Erfahrungswirklichkeit sprachlich zum Ausdruck zu bringen, so wäre Heideggers Begriff des „In-der-Welt-seins“ nicht schlecht gewählt. „Das In-der-Welt-sein, dieses ‚Apriori‘ der Daseinsauslegung ist keine zusammengestückte Bestimmtheit, sondern eine ursprüngliche und ständig ganze Struktur. Sie gewährt aber verschiedene Hinblicke auf die sie konstituierenden Momente. Bei einem ständigen Im-Blick-behalten des je vorgängigen Ganzen dieser Struktur sind die Momente phänomenal abzuheben.“14 Die phänomenologischen Analysen, die Heidegger unternimmt, um diese Momente „phänomenal abzuheben“ bzw. aufzuweisen, können wir hier nicht weiter verfolgen, nur so viel sei gesagt: Die Erfahrungswirklichkeit ist ein Ganzes, in dem das „Selbst“ als derjenige Teil „vorkommt“, der sich auf den Teil, der es nicht selbst ist und den wir „Welt“ nennen dürfen, bezieht. Das Selbst existiert in vielerlei Bezügen zur Welt. Im Vollzug seines Sich-Beziehens erfährt und versteht es nicht nur die Welt, das „Worauf seines Bezogen-Seins“, sondern auch sich selbst in seinem Bezogen-Sein und als dieses Bezogen-Sein. Sören Kierkegaard wird diesen formalen existenzialontologischen Sachverhalt zur Art unserer Selbst-Gegebenheit im 19. Jahrhundert wie folgt ausdrücken: „Das Selbst ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, oder ist das an dem Verhältnis, dass das Verhältnis sich zu sich selbst verhält.“15 Selbst- und Welterfahrung jedenfalls gehören zusammen, sind notwendig miteinander verbunden, sie hängen voneinander ab und beide verändern sich und werden auf eine nicht mehr alltägliche Weise erfahren, wenn Menschen ins Fragen kommen, d.h. eine Fragehaltung einzunehmen beginnen.

 

Ins Fragen kommen Menschen immer dann, wenn sie ihre alltägliche und „zunächst und zumeist“ gegebene Vertrautheit im besorgenden Umgang mit der Welt und mit sich selbst verlieren, wenn „defiziente Modi des Besorgens“16 auftreten, wie Heidegger es nennt. Diese „defizienten Modi“ machen Teile oder das Ganze der Erfahrungswirklichkeit fragwürdig, man erfährt sich selbst in eine Fragehaltung versetzt, spürt das Erwachen von Erkenntnisinteresse und beginnt Fragen zu stellen, an die Welt und auch an sich selbst, das können kleine, lebenspraktische Fragen sein, aber eben auch jene großen Fragen, die die philosophische Metaphysik auf vernunftwissenschaftliche Art zu klären versucht.

In Zeiten vor dem Epoche machenden Schritt vom Mythos zum Logos erzählte man Mythen, um sich diese großen Fragen zu beantworten. Mythen sind Geschichten von dunkeln und hellen Mächten, von Göttern und ihrem Eingreifen in die Belange der Welt, es sind nicht-wissenschaftliche Universal- und Fundamentalerzählungen, Philosophie dagegen – wir hörten davon – ist Universal- und Fundamentalwissenschaft, sie ist um wissenschaftliche, d.h. vernunftwissenschaftliche Antworten bemüht.

Und was im Vergleich zur Philosophie ist die Theologie, die christliche zumal? Auch die Theologie fragt nach dem Universalen, d.h. nach der Erfahrungswirklichkeit im Ganzen und nach dem Fundamentalen, d.h. nach den letzten Wirklichkeitsursachen und Wirklichkeitsgründen und auch sie gibt nicht-empirische Antworten auf diese Fragen und dennoch ist Theologie keine Universal- und Fundamentalwissenschaft wie die Philosophie, vielmehr ist sie eine auf das Universale und Fundamentale abzielende Pseudowissenschaft.

Die Entstehung der abendländischen christlichen Theologie konnte beginnen, als man anfing, priesterliche Gotteserzählungen im Schein von Wissenschaftlichkeit abzuhandeln. Durch einen langen Prozess der Verwissenschaftlichung der christlichen Lehre, man könnte auch sagen, einen Prozess der Anpassung und damit Nutzbarmachung der griechischen Philosophie für die Sache der christlichen Kirche, reifte die Theologie zu der alleinigen, allmächtigen, keine Frage unbeantwortet lassenden Erklärungsinstanz des Spätmittelalters heran. An diesem Adaptationsvorgang arbeitete ein Heer von philosophisch geschulten Männern des Glaubens – an erster Stelle zu nennen sind Augustinus, Albertus Magnus und Thomas von Aquin.

Wir wollen versuchen, den Unterschied zwischen Philosophie und Theologie noch etwas deutlicher zu fassen und stellen deshalb mit Arno Anzenbacher die Frage: „Warum ist aber die Theologie nicht in gleicher Weise Vernunftwissenschaft wie Philosophie?“17 Seine Antwort lautet: Weil Theologie Aussagen kennt, „die nicht aus bloßer Vernunft aufgewiesen werden“, Aussagen, die sich „unverfügbar“ von einem „Sinn-Grund“ herschreiben, der sich nur Auserwählten offenbart. Philosophische Metaphysik dagegen bleibt jederzeit, auch dann, wenn man mit Kant einräumen muss, dass sie nur „vernünftelt“, in Reichweite der Vernunftkritik, Aussagen der theologischen Metaphysik hingegen sind „übervernünftig“ und somit dem Vernunftdiskurs entzogen.

Philosophie ist keine Theologie, genau darauf wollten sich Renaissance-Philosophen vom Schlage Brunos wieder besinnen. Zwar stellen beide Disziplinen, anders etwa als die Kunst, ihre „Wahrheit nicht in sinnfälligen Symbolen und konkreten Gestaltungen dar, sondern in Begriffen“18 und beide bemühen sich, aus ihren Begriffen und ersten Sätzen „deduktiv-dogmatisch“, wie die Wissenschaftstheorie es nennen würde, Theorien abzuleiten, doch die Theorien und zentralen Inhalte der christlichen Theologie stehen schon fest, ihre Begriffe und Sätze müssen sich diesem Feststehenden fügen, sind also letztlich aus einer ganz anderen Erkenntnisquelle geschöpft als diejenigen der Philosophie.

Philosophie ist Selbsterhellung und keine durch Gnade oder Offenbarung gewährte Erhellung, sie „begibt sich“ – so hat es Heidegger einmal ausgedrückt – „der Möglichkeit des sich Haltens an Offenbarung“19. Theologie aber tut genau das. Theologie will Offenbarungswissenschaft sein und will nicht gelten lassen, dass darin ein Widerspruch liegt. Philosophisches Fragen, auch wo es nur spekulierend voranschreitet, „vollzieht sich ausschließlich als Anstrengung der menschlichen Vernunft. Demnach schließt die Philosophie alle jene Aussagen aus, die nicht aus bloßer Vernunft allein aufgewiesen werden“20. Im Gegensatz dazu ist offenbartes Wissen unangreifbar, liegt außerhalb des von der Vernunft selbst zu verantwortenden Denkbereiches. Letzte Instanz der Theologie ist immer Gott, bzw. eine vermeintlich göttliche Vernunft, „letzte Instanz der Philosophie ist die menschliche je eigene Vernunft.“21

Ein weiteres Kennzeichen philosophischer Vernunft ist ihre Entwurfsfreiheit, man könnte auch sagen Verspieltheit. Philosophie ist unvoreingenommen vernünftig, ihre Neugier nimmt sich die Freiheit, auf der Grundlage neuer Prämissen zu denken und auf diese Weise neue Möglichkeiten des Verstehens auszuloten. Theologie dagegen legt sich fest, ihre Grundsätze und ihre Wahrheit sind in Stein gemeißelt und sie verbittet sich jegliche Kritik daran. Philosophie hingegen fordert Kritik an ihren Theorien ein, sie sucht den Dialog, die Disputation und bleibt so stets dem Risiko ausgesetzt, dass ihre Theorien durch bessere Argumente widerlegt und von neuen Theorien abgelöst werden.

Philosophie ist Ideologiekritik, sie bleibt kritisch und streitbar gegenüber dem vermeintlich Unumstrittenen. Sie ist immer bereit zu zweifeln, das macht sie so ruhelos. Ihr Zweifel will nicht zerstören, aber er stört und wird so zum Motor eines nicht endenden Weiterfragens. Dadurch hält sich eine Dynamik des unablässigen Wechsels von Erkenntniszuversicht und Erkenntnisfrust in Gang. Schon Platon wusste davon und auch Bruno wird den epistemischen und emotionalen Schaukelgang des Philosophietreibens in seinem Werk „Von den heroischen Leidenschaften“ (im Folgenden mit „HL-Schrift“ abgekürzt) thematisieren. Beide Denker beschreiben die Weisheitsliebe als unentwegten Weg, als chronischen Prozess des Suchens, Findens und wieder Verlierens philosophischer Wahrheit. Im platonischen „Gastmahl“ heißt es über den Dämon Eros, die personifizierte Philosophie: „Einerseits ist er stets arm, gar nicht zart und schön, wie man allgemein glaubt, sondern hart und struppig, barfuß und unbehaust; er schläft stets auf der Erde ohne Decke, übernachtet vor der Tür und auf der Straße im Freien; darin ist er wie seine Mutter, und die Not wohnt immer bei ihm. Aber vom Vater hat er, dass er immer dem Schönen und Guten auflauert, mannhaft, verwegen und beharrlich, als großer Jäger, immerfort Listen spinnend, ein Erkenntnis-Sucher und Weg-Finder, Weisheit liebend sein Leben lang, ein mächtiger Zauberer, Hexenmeister und Sophist. Er ist nicht wie ein Unsterblicher und nicht wie ein Sterblicher: Bald blüht er und lebt, sobald er seinen Weg findet, nach der Weise seines Vaters aber stets verliert er wieder die Bahn. So ist Eros nie arm und nie reich, auch zwischen Weisheit und Torheit steht er in der Mitte.“22

Bruno hat den Unterschied zwischen der philosophischen, den Zweifel und die Verunsicherung nie ganz ablegenden Wahrheitssuche und der theologischen Wahrheitsverwaltung, die Zweifel und Verunsicherung nicht zulässt, mit seinem Leben und Wirken bezeugt und sichtbar gemacht und ist zum Märtyrer des freien Denkens geworden. Er wollte sich das unabhängige, nur der Vernunft verpflichtete Nachdenken über Natur, Mensch, Gott nicht verbieten lassen und das zu einer Zeit und in einer Gelehrtenwelt, in der die Kirche und ihre Theologen das letzte Wort hatten und sich nicht scheuten, diesem Wort mit Gewalt Geltung zu verschaffen.

Bruno, aber auch andere Denker trotzten der kirchlichen Drohkulisse. Ihnen ist die Wiederbelebung echter Philosophie zu verdanken, ohne diese Wiederbelebung wäre der Aufbruch in die Neuzeit, wenn es ihn überhaupt gegeben hätte, anders ausgefallen. Mutigen Denkern wie Bruno ist zu verdanken, dass philosophische Wissenschaft wieder blühen konnte, wie sie schon einmal blühte in vorchristlicher Zeit, bevor sie zur vielzitierten „ancilla theologiae“ des christlichen Mittelalters wurde, weil man sie von der Verpflichtung zur je eigenen Vernunft zwangsentbunden hatte, weil man ihre Kritikbereitschaft nicht duldete und weil man ihr den Zweifel austrieb, so dass sie gefügig gemacht wurde und am Gängelband theologisch-christlicher Dogmen gehalten werden konnte.