Dein Herz hinter den Wolken

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Aus der Reihe: Verliebt in Hamburg #4
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Dein Herz hinter den Wolken
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DEIN HERZ HINTER DEN WOLKEN

INHALT

Dein Herz hinter den Wolken

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Über den Autor

OBO e-Books

IMPRESSUM

Nachdruck, Vervielfältigung und Veröffentlichung - auch auszugsweise - nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages!

Im Buch vorkommende Personen und Handlung dieser Geschichte sind frei erfunden und jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist zufällig und nicht beabsichtigt.

Copyright © 2018 dieser Ausgabe Obo e-Books Verlag,

alle Rechte vorbehalten.

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M. Kluger

Fort Chambray

Apartment 20c

Gozo, Mgarr

GSM 2290

Coverdesign: Wolkenart - Marie-Katharina Wölk, www.wolkenart.com

DEIN HERZ HINTER DEN WOLKEN

1
CHAMPAGNER

Verträumt lächelnd beobachte ich einen Schmetterling, der in dem kleinen Park, in dem ich meine Mittagspause verbringe, herumfliegt. Es ist ein Kohlweisling, das habe ich auf den ersten Blick erkannt. Zufrieden lehne ich mich gegen die Rückenlehne der Parkbank und lasse das Tierchen dabei nicht aus den Augen. Ich liebe es, Schmetterlinge zu beobachten, das war schon immer so. Ich erinnere mich an unzählige Sommertage, an denen ich im Garten meiner Eltern auf dem Rasen gelegen habe. Die verschiedensten Schmetterlingsarten tanzten durch unseren Garten und ich konnte mich gar nicht an ihrem Spiel sattsehen. Nicht selten kam es vor, dass sie sich direkt neben mir im Gras niederließen oder sogar auf meiner Hand landeten. Mit der Zeit habe ich gelernt, die verschiedenen Sorten zu unterscheiden. Während meine Freunde es nie schafften, einen Kohlweisling und einen Zitronenfalter auseinanderzuhalten, wunderte ich mich darüber, wie man die beiden verwechseln konnte. In meinen Augen sahen die zwei sich nicht mal im Ansatz ähnlich. Aber vielleicht war ich da einfach ein wenig anders als andere Kinder meines Alters. Mein Bruder hat immer gesagt, ich sei ein Schmetterlings-Nerd, und wahrscheinlich hatte er damit nicht ganz unrecht.

Damals war ich eine Träumerin, romantisch verklärt. Wenn ich nicht gerade Schmetterlinge beobachtete, verbrachte ich meine Zeit mit Lesen. Als Jugendliche habe ich Liebesromane verschlungen. Ich schaute mit einer rosaroten Brille auf die Ehe meiner Eltern und wünschte mir nichts sehnlicher, als irgendwann einmal eine solche Liebe zu finden. Auch wenn die zwei schon seit dreißig Jahren verheiratet sind, spürt man in jedem Blick, in jeder Geste, wie sehr sie sich noch immer lieben und dass sie alles für den anderen geben würden. Das war es, was ich als Kind wollte, diese unendliche Liebe. Mittlerweile sehe ich es anders, die Realität hat mich erwachsen und pragmatisch werden lassen. Die große Liebe ist nicht mehr das, wonach ich strebe, ich habe andere Ziele, die ich verwirklichen will. Aus dem kleinen verträumten Mädchen ist eine Frau geworden, die weiß, was sie im Leben erreichen möchte, und alles dafür gibt.

Das Einzige, was noch immer unverändert ist, ist, Schmetterlinge zu beobachten, in diesem Moment ein wenig zu träumen und die Realität auszublenden. Die Schmetterlinge sind es auch, die mir wohl am meisten fehlen, seit ich vor anderthalb Jahren von unserer Kleinstadt nach Hamburg gezogen bin. Hier gibt es nicht so viele wie auf dem Land. Umso mehr freue ich mich, wenn ich einen entdecke. Dieser Kohlweisling hier war der erste, den ich in diesem Frühjahr zu Gesicht bekommen habe, und ich hoffe, über den Sommer würden noch viele weitere folgen.

Der kleine Kohlweisling verschwindet aus meiner Sichtweite und seufzend schaue ich auf die Uhr. Meine Pause ist gleich vorbei, ich sollte mich allmählich auf den Weg machen. Zurück in mein Büro, wo auf meinem Schreibtisch mehr als genug Arbeit auf mich wartet. Schon bevor ich gegangen bin, lagen dort diverse Zettel und Notizen von meinem Chef, und wie ich ihn kenne, sind in der letzten Stunde noch einige weitere hinzugekommen.

„Ich versteh echt nicht, wie du das Zeug trinken kannst. Ich kriege das nicht mal runter, wenn ich krank bin!“ Die Stimme meiner Kollegin Cookie erklingt, als ich in der kleinen Küche des Büros gerade meinen Kamillentee aufgieße. Grinsend wende ich mich zu ihr um.

„Genauso geht es mir, wenn du dir diese schwarze Plörre einschenkst. Wie kann man nur Kaffee trinken?“ Gespielt angeekelt schüttele ich mich und werfe einen Blick auf den Becher in ihrer Hand, aus dem der leicht bittere Geruch von Kaffee aufsteigt. Nie im Leben würde ich das Zeug hinunterbekommen, das Cookie und so ziemlich der komplette Kollegenkreis literweise jeden Tag in sich hineinkippen. Aber über Geschmack lässt sich ja bekanntlich nicht streiten.

So unterschiedlich wie unser Getränkegeschmack sind Cookie und ich auch in vielen anderen Dingen. Allein optisch ist sie schon genau das Gegenteil von mir. Kurze, etwas strubblige, rote Haare, wenn überhaupt, dann nur dezent geschminkt, und ihre Klamotten wirken immer ein wenig spießig. Mir hingegen ist mein Äußeres sehr wichtig. Das muss es auch sein, wenn ich meinen Plan verwirklichen möchte. Als graues Mäuschen habe ich keine Chance, zu erreichen, was ich erreichen möchte. Das einzig Außergewöhnliche an Cookie ist ihr Spitzname. Eigentlich heißt sie Tanja, doch so nennt sie wirklich niemand, nicht einmal der Chef. Bereits als Kind wurde sie so genannt. Sie hat mir mal erzählt, dass das Wort Cookie das Erste war, was sie als Kleinkind gesprochen hat. Ihre amerikanische Großmutter hatte immer einen Porzellantopf mit Schokocookies im Wohnzimmer stehen, und kaum dass sie herausgefunden hatte, was da drin war, hat sie nach diesen Keksen verlangt. Mittlerweile hat sie das Rezept dafür von ihrer Oma geerbt und backt sie selbst. Ein Vorrat der Kekse ist immer in ihrer Schreibtischschublade zu finden. Ich liebe diese Schokocookies ebenso wie sie. Obwohl wir sonst so verschieden sind, bei Keksen haben wir denselben Geschmack. Doch trotz all unserer Unterschiede ist Cookie nicht nur meine Kollegin, sondern auch meine beste Freundin geworden. Sie ist einfach eine Seele von Mensch und hat immer ein offenes Ohr für andere. Aber nicht nur das liebe ich an ihr, nein, auch wenn ihr Äußeres eher spießig wirkt, habe ich selten einen so humorvollen, lebensfrohen Menschen erlebt wie sie.

Als ich hier ankam und den ersten Tag in meinem neuen Job in dieser Bank hatte, war sie es, die mich sofort unter ihre Fittiche genommen hat. Oder, wie ich es augenzwinkernd gern nenne, Cookie hat mich adoptiert.

„War irgendwas Dringendes, als ich weg war?“, frage ich Cookie und befreie meinen Teebeutel aus seinem heißen Wasserbad.

„Nur ein paar typische cholerische Anfälle vom Sahrmann. Er hat die Angebote für Herrn Karlsen gesucht. Der kommt ja gleich zum Beratungsgespräch.“

„Für Herrn Karlsen? Die hab ich ihm doch schon heute Morgen auf den Schreibtisch gelegt. Hat er sie wieder untergebuddelt oder wie?“ Kopfschüttelnd verlasse ich die Küche und mache mich auf den Weg zu meinem Platz. Dort angekommen stelle ich den Teebecher ab und drehe mich dann zu Cookie um, die mir gefolgt ist.

„Meinst du, er hat sie mittlerweile gefunden? Oder soll ich ihm suchen helfen?“ Grinsend mustere ich meine Freundin, die entspannt hinter ihrem Schreibtisch Platz nimmt und einen Schluck ihres Kaffees trinkt, bevor sie mir ebenso grinsend antwortet.

„Du kennst ihn doch! Ohne dich ist er aufgeschmissen.“

 

Als hätte mein Chef auf sein Stichwort gewartet, geht in diesem Moment die Tür zu seinem Büro auf. Mit hochrotem Kopf und leicht schnaufend kommt Herr Sahrmann heraus, die Stirn in Falten gelegt und sichtlich verzweifelt. Erst als er mich erblickt, entspannt sich seine Mimik.

„Ah, Frau Floris, da sind Sie ja endlich wieder. Sie haben mir die Unterlagen für Herrn Karlsen nicht gegeben und er müsste jeden Moment hier sein. Also, sofort auf meinen Schreibtisch damit!“, befiehlt er.

Ich muss ein Schmunzeln unterdrücken. So ist mein Chef. Er kann seine Sachen nicht finden, und dann war ich es, die sie ihm nicht gegeben hat. Zum Glück kenne ich ihn mittlerweile gut genug, um das nicht mehr persönlich zu nehmen. Am Anfang bin ich jedes Mal panisch geworden, wenn er mich so angeherrscht hat, doch jetzt bleibe ich ruhig. Entspannt lächele ich ihn an.

„Herr Sahrmann, die Angebote liegen bereits seit heute Morgen auf Ihrem Tisch. Lassen Sie mich mal machen.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, gehe ich an ihm vorbei in sein Büro. Wie vermutet, Herr Sahrmann hat ein paar Ausdrucke, die er in der Zwischenzeit gemacht hat, auf die Unterlagen gelegt. Mit einem einzigen zielsicheren Griff ziehe ich sie unter dem Stapel hervor, drehe mich zu ihm um und drücke sie ihm in die Hand.

„Hier sind sie doch“, sage ich freundlich.

Mit zusammengezogenen Augenbrauen starrt mein Chef auf die Papiere in seiner Hand. „Aber eben waren sie …“, murmelt er und schüttelt leicht den Kopf, als könnte er das Ganze nicht verstehen.

„Noch einen Kaffee, Herr Sahrmann?“, biete ich an und er schaut auf.

„Ähm, ja, bereiten Sie doch bitte ein Tablett vor und stellen Sie es mir schon her. Danke, Frau Floris, ich weiß nicht, was ich ohne Sie machen würde!“

„Das weiß ich auch nicht“, murmele ich leise, als ich das Büro verlasse und die Tür hinter mir schließe.

„Na, wo waren die Unterlagen?“, fragt Cookie lachend und lehnt sich auf ihrem Schreibtischstuhl zurück.

„Wo wohl? Da, wo ich sie ihm heute früh hingelegt habe. Er hat nur diversen anderen Kram draufgepackt und sie dann in seinem Chaos nicht wiedergefunden“, erkläre ich und nehme im Stehen neben meinem Tisch einen Schluck von meinem Kamillentee. Ich habe nicht die Zeit, mich hinzusetzen, immerhin soll ich ein Tablett für Herrn Sahrmann und seinen Kunden vorbereiten.

„Ohne dich wäre er echt aufgeschmissen. Du bist nicht nur seine Sekretärin, du bist sein Gehirn! Wie kann jemand wie er nur einen solchen Posten hier bekleiden?“ Ungläubig schüttelt Cookie den Kopf und ich zucke mit den Schultern.

„Na ja, immerhin hat er mit Abstand die höchsten Verkaufszahlen. Und nur das ist es doch, was für den Vorstand zählt. Und dafür, sein Chaos zu sortieren, hat er ja mich.“

„Ja, das stimmt. Also mich dürftest du nicht zu seiner Sekretärin machen. Ich würde durchdrehen bei dem Typen! Echt jetzt, deine Arbeit ist hier nicht mit Gold aufzuwiegen, das merke ich jedes Mal, wenn ich deine Urlaubsvertretung machen muss. Da würde ich am liebsten schon nach zwei Tagen hinschmeißen.“

Lachend wende ich mich ab und gehe in die Küche. Wenn ich es richtig im Kopf habe, ist der Termin von Herrn Karlsen heute um 14:30 Uhr, das heißt, ich habe noch 15 Minuten.

Pünktlich, kurz vor halb drei, ist alles fertig. Der Kaffee ist durchgelaufen, steht in einer Thermoskanne bereit, und ein paar Kekse liegen dekorativ auf einem Tellerchen. Zusätzlich habe ich auch noch Kaltgetränke und natürlich das Geschirr auf einem Servierwagen in der Ecke des Büros angerichtet.

Herr Sahrmann betreut nur die besonderen Kunden, da muss schon immer ein wenig aufgefahren werden, wenn diese zur Beratung kommen. Besondere Kunden bedeutet in diesem Fall reiche Kunden. Solche, die mehr Geld auf ihren Konten haben, als sie ausgeben können. Nachdem ich alles bereitgestellt habe und an meinen Schreibtisch zurückkehren will, hält Herr Sahrmann mich noch einmal auf.

„Ach, Frau Floris. Das hier muss bitte heute unbedingt noch erledigt werden.“ Mit diesen Worten drückt er mir zwei DIN-A4-Zettel in die Hand, die von oben bis unten in seiner krakeligen Handschrift beschrieben sind.

„Das bekommen Sie hin, oder?“, fragt er, doch eigentlich ist es keine Frage, sondern eher eine Anweisung.

„Selbstverständlich!“, antworte ich freundlich lächelnd und schaue kurz auf die Liste. Okay, auf den ersten Blick sind diesmal wenigstens nicht solche Sachen wie „seinen Anzug aus der Reinigung holen“ oder so was dabei. Na immerhin! Herr Sahrmann gibt mir oft genug Aufgaben, die eigentlich nicht in meinen Tätigkeitsbereich gehören. Er weiß das, ich weiß das, und trotzdem tun wir beide so, als wäre es Bestandteil meines Jobs. Er, weil es so für ihn einfach praktisch ist, ich, weil ich meine Vergünstigungen, die dieser Job mit sich bringt, nicht verlieren möchte.

Nicht selten kommt es vor, dass mein Chef Einladungen für gesellschaftliche Events bekommt. Auf so etwas hat er nur, im Gegensatz zu mir, so gar keine Lust. Daher darf ich meistens für ihn zu diesen Veranstaltungen gehen.

So wie auch morgen Abend. Eine Ausstellung eines bekannten Malers wird eröffnet und auf dieser Vernissage wird die High Society von ganz Hamburg vertreten sein. Die Reichen und Schönen, die bessere Gesellschaft, die Crème de la Crème.

Natürlich ist so eine Veranstaltung immer ein Sehen und Gesehen-Werden, aber genau das ist es, was mein Plan ist – ich möchte gesehen werden. Mein Plan ist es sicher nicht, mein Leben lang das Mädchen für alles in der Bank zu spielen. Nein, so habe ich mir mein Leben nicht vorgestellt. Mein Ziel ist es, mir irgendwann – natürlich möglichst bald – einen der 42.000 Millionäre, die hier in Hamburg ansässig sind, zu angeln. Schließlich gehört Hamburg zusammen mit Düsseldorf, München, Stuttgart und Frankfurt zu den Städten mit der höchsten Millionärsdichte. Was auch einer der Gründe war, weshalb ich ausgerechnet nach Hamburg gezogen bin.

Na gut, ein weiterer und nicht zu unterschätzender Grund ist, dass meine Familie nur eine Autostunde entfernt wohnt. Somit kann ich immer mal für einen Nachmittag dort hinfahren und meine Eltern und meinen Bruder besuchen.

Ich brauche tatsächlich bis zum Feierabend, um die Liste, die Herr Sahrmann mir gegeben hat, abzuarbeiten. Als ich endlich meinen PC herunterfahre, habe ich neben diversen Kundentelefonaten und ausgearbeiteten Angeboten auch noch einen Maniküre-Termin für meinen Chef vereinbart, seinen Golfpartner angerufen, um das morgige Spiel um eine Stunde zu verschieben, und per Blumenlieferservice einen Strauß Rosen für seine Frau verschickt. Der Text, der auf die Karte geschrieben werden sollte, lässt vermuten, dass der Haussegen mächtig schief hängt im Hause Sahrmann und dass er einiges gutzumachen hat. Außerdem gehörte zu meinen Aufgaben des heutigen Nachmittags auch, einen Tisch in einem teuren Nobelrestaurant zu reservieren. Zum Glück ist mein Chef in diesem Restaurant Stammgast, ansonsten hätte er es natürlich vergessen können, gleich heute Abend noch einen Tisch zu bekommen. Dieses Restaurant ist nicht nur schwer angesagt, der Inhaber ist auch ein bekannter Fernsehkoch und hat einen der begehrten Michelin-Sterne.

Nur zu gern würde ich selbst einmal in diesem Restaurant mit Blick auf den Hamburger Hafen speisen, doch leider fehlt mir dafür das nötige Kleingeld. Aber gut, was nicht ist, kann ja noch werden. Wenn mein Plan erst mal Wirklichkeit ist …

Vor meinem inneren Auge sehe ich mich schon an einem dieser Tische sitzen, das glänzende Silberbesteck vor mir auf dem schneeweißen, gestärkten Tischtuch. Sanftes Kerzenlicht lässt den Raum schimmern und vor mir stehen die köstlichsten Gerichte, wunderschön angerichtet und dekoriert.

„Lilly? Hallo? Jemand zu Hause? Wovon träumst du denn?“ Cookies Stimme reißt mich aus meinen Gedanken.

„Ähm … Ich … Nichts“, antworte ich stotternd und Cookie grinst nur süffisant.

„Ja, ist klar. Deshalb reagierst du auch nicht. Ich hab dich gefragt, ob du jetzt Feierabend machst. Kommst du mit zur S-Bahn?“

Meine Kollegin holt ihre Handtasche aus der Schreibtischschublade und schließt diese mit einem Knall.

„Wochenende!“, trällert sie und hängt sich die Tasche mit so viel Schwung über die Schulter, dass sie beinahe ihren Locher vom Schreibtisch gefegt hätte. „Was ist jetzt? Kommst du?“, fragt sie noch einmal nach.

„Ich bin heute mit dem Auto da. Aber wenn du willst, kann ich dich mitnehmen.“ Auf meinem Heimweg nach Fuhlsbüttel, wo ich wohne, fahre ich zwar nicht direkt bei Cookie vorbei, es ist jedoch auch kein großer Umweg für mich. Außerdem mag ich es, sie als Gesellschaft dabeizuhaben und nicht ganz allein im Auto zu sitzen – erst recht, wenn die Stadt in der Rushhour mal wieder so voll ist, dass man zwangsläufig im Stau steht.

„Und, was bringt dir das Wochenende?“, fragt Cookie, als wir durch Hamburgs Straßen fahren, die ausnahmsweise nicht so überfüllt sind, wie ich erwartet hatte. „Wieder irgendeine supercoole Veranstaltung?“

„Ja, morgen gehe ich zu einer Vernissage. Der Künstler heißt Mark Garmont und kommt aus den USA. Dort ist er schon seit Ewigkeiten berühmt und vor ein paar Monaten ist er nach Hamburg gezogen. Jetzt schwappt seine Bekanntheit so allmählich hier herüber. Du glaubst gar nicht, was die Leute bereit sind, für eins seiner Bilder zu zahlen! Unglaublich!“ Ja, ich hatte meine Hausaufgaben gemacht und mich, nachdem ich von Herrn Sahrmann die Einladung erhalten habe, im Internet über ihn schlaugemacht. Schließlich muss ich mitreden können, wenn ich mir seine Bilder anschaue.

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Cookie ihr Handy aus der Handtasche kramt und wie wild anfängt, darauf herumzutippen. Ein leiser Pfiff, der über ihre Lippen kommt, lässt mich grinsen. Anscheinend hat meine Freundin Mark Garmont gerade gegoogelt.

„Woah, Lilly! Der Typ ist ja … Puh, da wird mir ja schon vom Anschauen ganz warm. Den würde ich definitiv auch nicht von der Bettkante stoßen!“

Als ich an einer roten Ampel halten muss, drehe ich mich zu ihr herum.

„Ein Augenschmaus, was?“, frage ich grinsend und zwinkere ihr zu. Cookie scrollt noch immer durch die Bilder, die von Mark Garmont im Internet zu finden sind, und wirft mir nur einen kurzen Seitenblick zu.

„O ja! Definitiv! So wie der ausschaut und wenn er dazu noch nett ist, würde ich ihn an deiner Stelle auch nehmen, wenn er ein armer Schlucker wäre! Zumindest für eine heiße kleine Affäre.“

Ich lache auf und fahre weiter, als die Ampel auf Grün springt.

„Erst einmal müsste ich es schaffen, auf dieser Vernissage überhaupt an ihn heranzukommen. Ich bin bestimmt nicht die einzige Frau, die ihn kennenlernen will. Mal abgesehen von den ganzen Kunstliebhabern und Mäzenen, die ihn sicherlich vereinnahmen werden. Er ist schließlich der Künstler, du glaubst gar nicht, wie die Leute ihn umschwärmen! Das ist wie mit Teenies bei einem Konzert – nur dass die Schönen und Reichen keine Selfies mit ihrem Star machen wollen.“

Cookie lacht auf bei meinem Vergleich. „Na, da läuft sicher das Hamburger Who-is-who herum. Wenn du es nicht schaffst, ihn dir zu angeln, findet sich vielleicht ein anderer. Das ist doch genau das Richtige für dich. Obwohl ich ja noch immer nicht so recht verstehe, warum du dir das alles antust. Ich meine, nur für die Kohle setzt du alles daran, dir einen Millionär zu angeln? Was ist mit der Liebe?“

Ich weiß nicht mehr, wie oft wir diese Diskussion schon geführt haben. Auf jeden Fall kommen wir immer wieder an denselben Punkt. Ich habe meinen Plan für mein Leben, der für Cookie absolut nicht nachvollziehbar ist, obwohl sie meine Gründe für diesen Plan kennt. Wir würden uns in diesem Punkt niemals einig werden.

„Ach Cookie, so schlimm ist es doch gar nicht!“, betone ich. „Mir machen diese Veranstaltungen ja auch Spaß. Ich meine, welche Frau möchte sich nicht mal wie eine Prinzessin fühlen? Welche Frau macht sich nicht gern schick. So richtig schick meine ich, mit Cocktailkleid und tollen Schuhen und allem. Wer mag das nicht?“

„Ich!“ Vollkommen trocken gibt Cookie mir diese Antwort und ich pruste los.

„Okay, da bist du aber auch echt eine Rarität!“

„Warum? Weil ich mir aus dieser Schickeria nichts mache? Ja, vielleicht bin ich da wirklich anders. Ich mag es viel lieber, abends mit meinem Mann auf der Couch zu sitzen, Händchen zu halten oder zum Italiener um die Ecke zu gehen und eine Pizza zu essen. Ich brauche das alles nicht. Aber wenn es dir Spaß macht – genieß es!“

Ich halte in der Einfahrt von Cookies Wohnblock und drehe mich zu ihr.

 

„O ja, das werde ich! Und wenn ich ein Glas Champagner trinke, werde ich an dich denken!“ Grinsend zwinkere ich ihr zu und Cookie schüttelt den Kopf.

„Na gut, der Champagner reizt mich wirklich. Das gebe ich zu! Ich wünsche dir ein tolles Wochenende und ganz viel Spaß auf der Vernissage“, sagt sie und nimmt mich zum Abschied kurz in den Arm. „Und Montag im Büro möchte ich einen detaillierten Bericht hören!“ Dann steigt sie aus und winkt mir im Weggehen noch einmal zu.

Lächelnd setze ich den Wagen zurück auf die Straße. Ja, so ganz gefeit vor den Verlockungen des Luxuslebens, wie Cookie immer tut, ist sie doch nicht. Auch wenn sie zu gern das Gegenteil behauptet. Zumindest mit dem Champagner würde man sie kriegen, denn den liebt sie!