Dein Herz hinter den Wolken

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Aus der Reihe: Verliebt in Hamburg #4
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„Wie geht es denn Paps?“, frage ich und wechsele schnell das Thema, damit Lars nicht weiter nachhakt. Einen Moment lang herrscht Stille in der Leitung, bevor mein Bruder antwortet.

„Heute ist ein guter Tag, aber gestern …“ Lars klingt so ernst, dass ich mich alarmiert aufrichte.

„Was war gestern?“

Als Lars berichtet, höre ich an seiner Stimme, wie sehr er mit den Tränen kämpft.

„Es ging ihm nicht gut. Er war schlecht gelaunt und genervt. Ach Mucki, es tut so weh, ihn jeden Tag so zu sehen und ihm nicht helfen zu können. Und Mama … Sie macht und tut und schuftet sich halb zu Tode, aber es hilft einfach nichts. Sie kann es nicht mehr lange. Das Restaurant, die Pflege … Ich versuche zu helfen, wo ich kann, doch wenn es so weitergeht … Mama ist am Ende ihrer Kraft. Sie gibt es nicht zu, aber ich sehe es ihr an.“

Schweigend nicke ich, obwohl mir klar ist, dass Lars es nicht sehen kann. Doch Sprechen geht im Moment nicht. Der Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hat, verhindert, dass Worte meinen Mund verlassen können.

Diese Hilflosigkeit, die ich durch meine Suche nach einem reichen Kerl versuche, in den Griff zu bekommen, kehrt auf einen Schlag zurück. Seit mein Vater vor knapp zwei Jahren einen schweren Schlaganfall erlitten hat, hat sich mein Leben von Grund auf geändert. Seitdem mache ich alles, um ihn und meine Mutter irgendwie zu unterstützen. Bei Lars sieht es ebenso aus. Er hat seinen Job gekündigt und arbeitet nun im Restaurant meiner Eltern. Bis zu diesem Tag, der alles veränderte, haben meine Eltern das Restaurant gemeinsam geführt. Mein Vater hat die Büroarbeit, die Buchhaltung und den Einkauf gemacht, während meine Mutter im Service tätig war. Ein Koch und ein paar Kellner hatten sie als Angestellte und es lief wirklich gut. Doch seit dem Schlaganfall ist mein Vater ein Pflegefall.

Den Moment, als die Ärzte uns mitteilten, dass er nie wieder gesund werden würde, habe ich bis heute vor Augen. Meine Mutter ist zusammengebrochen, während mein Bruder und ich wie erstarrt waren und nicht begreifen konnten, was die Ärzte uns erzählten. Monatelang war mein Vater in der Reha, doch es brachte nur minimale Verbesserungen seines Zustands. Er kann kaum reden, nicht laufen, nicht allein essen und muss rund um die Uhr gepflegt werden.

Mein Bruder hat das Restaurant übernommen, während ich meine Mutter bei der Pflege meines Vaters unterstützt habe. Doch das Geld reichte hinten und vorn nicht. Obwohl unser Restaurant noch immer jeden Abend gut besucht wird, ist nie genug Geld da. Das Haus, in dem meine Eltern leben, müsste rollstuhlgerecht umgebaut werden, meine Mutter bräuchte dringend professionelle Hilfe bei der Pflege, die wir uns allerdings nicht leisten können. Zwar kommt jeden Tag ein Pflegedienst, aber die Entlastung dadurch reicht einfach nicht aus. Monatelang habe ich darüber nachgedacht, was ich machen könnte, um das fehlende Geld aufzutreiben. Klar, ich hätte Lotto spielen können oder in einem Kasino mein Glück versuchen, doch da hätte ich vermutlich mehr verloren als gewonnen. Irgendwann kam mir die Idee, mir einen reichen Kerl zu angeln. Genau genommen war es Lars, der das unbedacht daher gesagt hat. Seine Idee ließ mich nicht mehr los, und so beschloss ich, es einfach zu versuchen. So bin ich nach Hamburg gekommen.

„Bist du noch dran?“ Die Stimme meines Bruders reißt mich aus meinen Erinnerungen.

„Ja, klar. Entschuldige, ich hab gerade überlegt, ob es nicht noch eine Möglichkeit gibt, aber mir fällt nichts ein.“

„Ich hab leider auch keine Idee mehr. Eine Pflegekraft, die rund um die Uhr hier wäre, das wäre es. So könnte Mama mal wieder durchatmen, einfach mal für eine Stunde raus und den Kopf frei kriegen. Sie hätte die ganze Last nicht mehr allein zu tragen, aber wie sollen wir das bezahlen?“

„Ja, das ist es halt. Ich spare bereits, wo ich nur kann, aber so eine Pflegekraft kostet über zweitausend Euro im Monat.“

„Ach Mucki! Das ist doch nicht deine Aufgabe. Du zahlst schon so viel! Du kannst auch nicht auf alles verzichten.“

Ich weiß, dass mein Bruder recht hat, aber in solchen Momenten denke ich darüber nach, ob es richtig ist, was ich hier mache. Ich kaufe mir teure Klamotten und Schuhe, um mir einen reichen Mann zu angeln. Die Sachen sind Mittel zum Zweck, damit ich hoffentlich irgendwann ein wenig mehr dazu beitragen kann, dass mein Vater die Pflege bekommt, die er braucht.

Dafür spare ich an so ziemlich allem anderen. Ich kaufe meine Lebensmittel nur beim Discounter, fahre einen uralten, klapprigen Wagen, bei dem fraglich ist, ob er den nächsten TÜV überlebt, und wohne in einer günstigen Einzimmerwohnung. Alles, was am Ende des Monats übrig bleibt, geht an meine Eltern. Um sie zu unterstützen, um ihnen das Leben ein wenig leichter zu machen. Aber ist das richtig? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich so ziemlich alles dafür tun würde, wenn ich meinen Eltern und besonders meinem Vater helfen könnte. Ich würde mich selbst aufgeben – und irgendwie mache ich das ja auch durch meinen Plan, mir einen Millionär zu angeln.

„Ich weiß, dass es nicht meine Aufgabe ist, Lars. Aber irgendwas muss ich machen. Ich kann nicht dabei zusehen, wie Mama zugrunde geht und Paps vor sich hinvegetiert.“ Schniefend wische ich mir über die Augen, als Tränen meine Sicht verschleiern.

„Vielleicht sollten wir doch darüber nachdenken, ob ein Pflegeheim …“

„Nein! Hör auf, Lars! Darüber haben wir schon gesprochen!“, unterbreche ich meinen Bruder sofort. „Paps wird nicht in ein Heim kommen! Das würde er nicht überleben und Mama wahrscheinlich auch nicht. Wir können die beiden nicht trennen und Mama würde dem auch nicht zustimmen. Überleg doch mal, das nächste Heim ist beinahe dreißig Kilometer entfernt und hat einen ganz miesen Ruf. Alle anderen sind noch weiter weg, und wenn du ein wirklich gutes Pflegeheim möchtest, musst du dafür entsprechend zahlen. Mama würde jeden Tag hinfahren wollen und mit den Benzinkosten wären wir dann finanziell auch nicht besser aufgestellt als mit einer Pflegekraft. Mal abgesehen von der Zeit, die Mama täglich unterwegs wäre. Sie möchte das nicht, das hat sie ganz klar gesagt!“

„Ist ja gut! Du hast ja recht. Ich weiß halt einfach so langsam nicht mehr weiter.“ Die letzten Worte sind kaum noch mehr als ein Flüstern. Ein Flüstern, das mir deutlich zeigt, wie verzweifelt Lars ist. Auch er hat nicht mehr lange die Kraft, alles allein zu schaffen. Er kann es nicht mit ansehen, wie unsere Eltern unter der Situation leiden.

„Lass uns am Wochenende noch mal in Ruhe reden. Vielleicht finden wir ja eine Möglichkeit“, sage ich sanft.

„Ja, das machen wir. Mama freut sich übrigens schon sehr auf deinen Besuch.“ Lars’ Stimme klingt wieder fester, sicherer.

„Hey, das hört sich ja an, als würde ich nur alle Jubeljahre mal bei euch auftauchen. Ich war letztes Wochenende erst da!“, beschwere ich mich scherzhaft.

„Ach komm, Mucki. Du weißt doch, wie sie ist. Ihr kleines Mädchen allein in der großen Stadt. Sie macht sich halt Sorgen.“

Gespielt genervt seufze ich auf. „Ob ihr wohl irgendwann mal lernen werdet, dass ich schon groß bin und auf mich aufpassen kann?“ Ein leises Lachen klingt durch das Telefon und ich stimme mit ein. Meine Beschwerde ist nicht wirklich ernst gemeint, ich weiß ja, sie meinen es nur gut mit mir.

„Ist Mama denn da?“, frage ich.

„Ja, klar. Warte, ich gebe sie dir.“ Ich höre, wie Lars nach unserer Mutter ruft.

„Ich freue mich auf Samstag!“, sage ich noch und verabschiede mich dann von meinem Bruder, bevor er das Telefon an meine Mutter übergibt.

5
FOTOS

Mein Kamillentee dampft schon in seinem Becher auf meinem Schreibtisch vor sich hin, und mein PC fährt gerade hoch, als Cookie ins Büro gestürmt kommt.

„Und? Wie war es Samstag? Ich möchte alles wissen!“, verkündet sie, ohne mich wirklich zu begrüßen.

Grinsend lehne ich mich auf meinem Schreibtischstuhl zurück und verschränke die Arme vor der Brust.

„Ich wünsche dir auch einen wunderschönen guten Morgen, meine Liebe!“, antworte ich, und Cookie rollt gut sichtbar mit den Augen, während sie sich aus ihrem Mantel schält.

„Was auch immer an diesem Morgen wunderschön sein soll. Es ist Montag und es regnet! Außerdem war die Nacht irgendwie zu kurz. Ich brauche erst mal einen Kaffee – am besten intravenös.“ Mit dem Mantel über dem Arm verschwindet sie in Richtung der kleinen Teeküche, wo sich auch unsere Garderobe befindet.

Da ich meine Freundin nur zu gut kenne, habe ich bereits eine Kanne ihres schwarzen Lieblingsgesöffs gekocht, als ich angekommen bin, und so kehrt Cookie nur eine Minute später strahlend und mit einem Becher bewaffnet zurück.

„Hab ich dir schon mal gesagt, dass du ein Schatz bist?“, fragt sie und hockt sich mit ihrem Becher in der Hand auf die Ecke meines Schreibtisches.

„Weil ich dir Kaffee koche? Ach, ich kenne dich einfach. Ich weiß, dass du den Montag nicht ohne ausreichende Koffeinversorgung überlebst. Oder irgendeinen anderen Tag …“

Cookie lacht auf. „Hey, das klingt ja, als wäre ich kaffeesüchtig. Na ja, bin ich vielleicht auch ein bisschen. Aber jetzt erzähl, bevor der Sahrmann kommt.“ Während sie einen Schluck aus ihrem Kaffeebecher nimmt, wirft sie einen Blick auf die offene Tür des Büros meines Chefs. Einzig der PC, den ich für ihn bereits hochgefahren habe, verbreitet in dem Raum ein bläuliches Licht.

„Hast du Mark Garmont kennengelernt? Ist er in natura ebenso heiß wie auf den Bildern im Internet?“ Neugierig schaut Cookie auf mich herab und ich erwidere ihren Blick mit einem breiten Grinsen.

„Ja, ich hab ihn kennengelernt und ja, in natura ist er sogar noch heißer. Viel heißer …“ Ich zwinkere Cookie zu und greife nun auch nach meinem Becher. Gespielt entspannt nippe ich an dem heißen Tee, während ich Cookie nicht aus den Augen lasse. Einen Moment lang schaut sie mich nur irritiert an, dann sehe ich, wie die Erkenntnis in ihr Hirn sickert. Ihre Augen werden groß und mit einem leisen Knallen stellt sie ihren Kaffeebecher auf meinem Schreibtisch ab. Ich versuche mein Kichern zu verbergen, indem ich noch einen Schluck trinke.

 

„Ist nicht wahr! Das hast du nicht getan?!“, fragt Cookie ungläubig und eine Spur zu laut. Zum Glück sind wir gerade allein im Vorzimmer. Unsere Chefs sind beide noch nicht in ihren Büros.

Diesmal kann ich ein leises Lachen nicht unterdrücken. „Ich weiß gar nicht, was du meinst!“ So leicht will ich es ihr nicht machen, ich möchte die Spannung noch ein wenig hinauszögern und ihre Neugierde anheizen.

Zur Strafe gibt Cookie mir einen Klaps gegen die Schulter. „Jetzt erzähl schon! Hast du echt mit Mark Garmont geschlafen? Ehrlich?“

Ich komme nur dazu, zu nicken, da spricht sie bereits weiter: „Und wie war es?“ Cookie beugt sich zu mir herunter, ich sehe, sie giert förmlich nach Details meiner Nacht mit Mark.

„Es war super! Bereits kurz nachdem ich angekommen bin, scheine ich ihm aufgefallen zu sein. Jedenfalls hat er mich angesprochen und dann …“ Ich mache eine Pause, um meine Freundin noch ein wenig länger auf die Folter zu spannen. Schnaubend richtet Cookie sich wieder auf.

„Los jetzt! Raus mit der Sprache!“, fordert sie und ich gebe endlich nach. Erzähle ihr, wie Mark und ich uns gegenseitig den Abend über heiß gemacht haben, wie wir uns im Gang vor den Toiletten geküsst haben und letztlich in seiner Suite im Hotel gelandet sind.

„Und nun?“, fragt sie, kaum dass ich geendet habe. „Hat er sich seitdem noch mal gemeldet?“

„Nein, hat er nicht. Aber das wird er, da bin ich mir ganz sicher. Es war ja erst gestern Morgen, dass er mich nach Hause gebracht hat.“

Was das angeht, bin ich völlig entspannt, ich glaube wirklich, dass Mark sich bei mir melden wird – zu schön war unsere gemeinsame Nacht.

„Wow! Das hätte ich echt nicht gedacht. Ich meine, du weißt ja, was ich von deinem Plan mit dem Millionär halte, aber anscheinend hast du es tatsächlich geschafft, dir einen zu angeln.“ Cookie steht auf und kehrt an ihren Schreibtisch zurück.

„Na, so schnell geht es ja nicht! Bisher war es nur eine Nacht. Wir sind deshalb kein Paar oder so.“ Ich versuche, das Ganze ein wenig zu relativieren.

„Nein, noch nicht! Aber was nicht ist, kann ja noch werden!“

Ich komme nicht mehr dazu, zu antworten, da in diesem Moment Herr Sahrmann um die Ecke kommt.

„Guten Morgen, die Damen! Wie ich sehe, hatten Sie ein aufregendes Wochenende, Frau Floris.“ Im Vorbeigehen grinst er mir zu, bevor er auf sein Büro zusteuert.

„Ja, das hatte ich. Aber woher …?“ Ich bin irritiert. Was will er mir mit seinen Worten sagen? In der Tür zum Büro bleibt Herr Sahrmann stehen, dann kehrt er zurück und lässt eine Zeitung auf meinen Schreibtisch fallen.

„Lesen Sie selbst. Und in fünf Minuten möchte ich Sie in meinem Büro sprechen!“ Damit geht mein Chef endgültig in sein Zimmer und schließt die Tür hinter sich.

Ich verstehe nicht, was hier gerade vor sich geht, und greife nach der Zeitung. Ein mulmiges Gefühl macht sich in meinem Magen breit, als ich sie auseinanderfalte und durchblättere.

Es dauert nicht lange, und ich habe gefunden, worauf mein Chef angespielt hat.

Zwei Fotos sind es, mit einer Überschrift, die mir einen unangenehmen Schauer über den Rücken jagt.

„Wer ist die Neue an Mark Garmonts Seite?“ steht in fetten Lettern über einem unscharfen Bild, das uns beide knutschend im Gang vor den Toiletten zeigt. Das andere Foto wurde später am Abend vor der Galerie aufgenommen, als wir in das Taxi steigen.

„O nein, bitte nicht!“ Ich schlage die Hände vors Gesicht und stütze mich mit den Ellenbogen auf die Tischplatte vor mir, als mir klar wird, was mein Chef jetzt über mich denken wird. Natürlich sind seine Gedanken die richtigen, doch das hier ist ein Moment, an dem ich am liebsten im Boden versinken würde. Es ist nicht das erste Mal, dass ich auf einem der High-Society-Events fotografiert wurde und in der Zeitung gelandet bin. Aber das waren Bilder, die auf den Veranstaltungen direkt gemacht wurden – nicht, wenn ich allein mit einer bekannten Persönlichkeit in einem Gang abseits der Menge knutsche oder mit jemandem in ein Taxi steige. Die Überschrift, die dieses Klatschblatt den Bildern gegeben hat, sagt ihr Übriges, und als ich den Artikel lese, wird mir schlecht. Auch hier dreht es sich nur darum, wer ich bin und was Mark und ich in dieser Nacht wohl noch getrieben haben. Alles reine Spekulation, aber dennoch könnte mein Chef es als Schaden für die Bank ansehen, sollte herauskommen, wer ich bin.

„Was ist denn los, Süße?“ Als ich aufschaue, hockt Cookie neben mir und streicht mir sanft über den Rücken. Ich war so in meinen Gedanken versunken, dass ich nicht mitbekommen habe, wie sie zu mir herübergekommen ist.

Schweigend schiebe ich ihr die aufgeschlagene Zeitung rüber, damit sie selbst sehen kann, was passiert ist.

„O Scheiße! Und nun? Meinst du, der Sahrmann will dich deshalb sprechen?“, fragt sie und sieht zerknirscht zu mir auf.

„Ja, was denkst du denn? Warum sollte er mir die Zeitung sonst so hinknallen und mich zu sich einbestellen?“

Cookie zuckt mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Vielleicht geht es ja um was ganz anderes.“

Ein wenig bitter lache ich auf. „Ja, genau. Es geht nicht darum, dass ich den Ruf der Bank gefährdet habe. Dass ich in der Zeitung zu sehen bin, wie ich knutschend vor einer Toilette stehe – mit einem stadtbekannten Künstler. Er wird mich lang machen!“ Verzweifelt schaue ich Cookie an und sie greift seufzend nach meiner Hand.

„Vielleicht wird es ja gar nicht so schlimm.“ Ihre Worte sind lieb gemeint, aber ich habe Angst. Angst, wie mein Chef reagieren würde. Natürlich weiß ich, dass ich in meiner Freizeit machen kann, was ich möchte, dennoch hinterlässt es keinen guten Eindruck bei ihm. Und abgesehen davon ist es Herr Sahrmann, dem ich es zu verdanken habe, an solchen Events teilnehmen zu dürfen. Er ist es, der mir seine Einladungen abtritt, der sich durch mich vertreten lässt. Im Zweifel fällt es auf ihn zurück, wenn ich mich nicht benehmen kann, und dann wird es für mich keine weiteren Möglichkeiten geben, zu solchen Veranstaltungen zu gehen.

„Ich bringe es mal hinter mich“, sage ich seufzend und stehe auf. Mit wild pochendem Herzen und schweißnassen Händen klopfe ich an die Bürotür meines Chefs und warte, dass er mich hereinbittet.

„Ah, Frau Floris. Nehmen Sie Platz.“ Herr Sahrmann deutet auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch und schweigend hocke ich mich auf die vorderste Kante. Die Hände im Schoß ineinander verkrallt, sehe ich auf die Tischplatte vor mir. Dann fasse ich all meinen Mut zusammen und setze zu einer Erklärung an.

„Herr Sahrmann, es tut mir leid.“ Vorsichtig schaue ich auf, wie meine Entschuldigung ankommt, doch mein Chef sieht mich nur irritiert an.

„Was genau, Frau Floris? Helfen Sie mir bitte auf die Sprünge, ich versteh gerade nicht …“ Verwirrt kratzt Herr Sahrmann sich am Kopf, als hätte er wirklich keine Ahnung, wovon ich spreche.

„Die Zeitung, der Artikel. Also … die Fotos von Mark Garmont und mir …“, stottere ich und bin nun meinerseits irritiert über die Reaktion meines Chefs.

„Ach so … Ja, darüber wollte ich eigentlich gar nicht mit Ihnen sprechen, aber wenn Sie das Thema schon anschneiden.“

„Wollten Sie nicht?“, rutscht es mir heraus, bevor ich mich bremsen kann.

„Nein, wollte ich nicht“, bestätigt Herr Sahrmann. Dann beugt er sich über den Schreibtisch zu mir herüber, stützt die Unterarme auf die Schreibtischplatte und sieht mir fest in die Augen. Ernst ist sein Blick, durchdringend, und ich kann nicht anders, als ihm direkt in die Augen zu sehen.

„Ich glaube, Sie wissen selbst sehr gut, dass diese Bilder nicht unbedingt ein gutes Licht auf Sie und auch auf mich und die Bank werfen. Das muss ich Ihnen wohl nicht erklären. Aber dennoch geht es mich nichts an, was Sie in Ihrer Freizeit anstellen. Solange Sie nicht dabei erwischt werden, wie Sie auf dem Strich gehen oder einen Raub begehen. Oder natürlich sonstige illegale Dinge machen. Alles andere geht mich nichts an. Es ist Ihr Leben, nicht meins. Ich habe nur während Ihrer Arbeitszeiten das Sagen.“ Herr Sahrmann richtet sich auf und verschränkt die Arme vor der Brust, ohne mich aus den Augen zu lassen.

„Trotzdem würde ich mir wünschen, dass das hier ein Einzelfall bleibt. Es sei denn natürlich, Sie führen eine Beziehung mit Mr. Garmont. Das wäre selbstverständlich etwas völlig anderes. Oder ist es etwa so?“

Ich spüre, wie mir bei dieser direkten Frage die Röte ins Gesicht schießt.

„Ähm … nein. So ist es nicht“, stottere ich und schaue verlegen auf den Tisch vor mir.

„Dachte ich mir. Aber gut, es ist ja nichts weiter passiert. Zwei Fotos in einer Zeitung, die für ihre Fantasie bekannt ist. Es steht weder Ihr Name noch meiner noch der der Bank dabei. Wollen wir also davon ausgehen, dass alles gut gegangen ist. So, und jetzt Schluss mit dem Thema, wir haben ein ganz anderes Problem. Bei Herrn Wagners Kreditvertrag stimmt etwas nicht. Irgendwo ist da ein Fehler in der Berechnung. Können Sie bitte mal schauen, was da schiefgelaufen ist?“

Herr Sahrmann schiebt mir eine Kundenakte rüber und schlägt sie auf, damit ich hineinsehen kann.

„Sehen Sie? Hier, das war das Angebot und das hier …“ Er blättert zwischen den Seiten, bevor er weiterspricht. „Das hier ist der Vertrag. Irgendwo habe ich da wohl einen Fehler eingebaut. Prüfen Sie das bitte, und setzen Sie dann die neuen Verträge auf, bevor wir den Termin zur Unterschrift machen.“ Mein Chef schließt die Akte und drückt sie mir in die Hand. Damit bin ich entlassen.

Als ich an der Tür ankomme, spricht Herr Sahrmann mich noch einmal an, wie er es so oft tut. Fast jedes Mal, wenn ich hier rausgehe, fällt ihm im letzten Moment noch etwas ein. Ich unterdrücke ein Lächeln, als ich mich zu ihm herumdrehe.

„Meine Frau hat sich übrigens sehr über die Blumen gefreut. Vielen Dank!“

Lächelnd nicke ich, dann verlasse ich das Büro und schließe die Tür hinter mir. Ich kann noch nicht so recht fassen, dass Herr Sahrmann mich nicht wegen des Artikels in der Zeitung zu sich zitiert hat, und auch seine Worte sind bisher nicht so ganz in meinen Verstand vorgedrungen.

Besorgt schaut Cookie mich an, als ich mich auf meinen Schreibtischstuhl fallen lasse.

„Und? War es sehr schlimm?“, fragt sie mitfühlend, als ich nichts sage.

„Ja … Nein. Also …“ Ich atme tief durch, als ich endlich begreife, dass diese Fotos keine Konsequenzen für mich haben werden.

„Es ging eigentlich gar nicht um den Artikel.“ Schnell erzähle ich Cookie von dem Gespräch mit meinem Chef. Dass er zwar nicht sonderlich begeistert ist, seine Assistentin in einer eindeutigen Pose in der Zeitung zu sehen, aber mir auch nicht in mein Privatleben reinreden möchte.

„Hey, das ist doch super! Warum siehst du dann noch immer so aus, als würde die Welt gleich untergehen?“, fragt sie ein wenig verständnislos.

„Ich weiß nicht … Irgendwie hatte ich das nicht erwartet. Ich dachte echt, er macht mich dafür lang. Aber das hat er nicht und daher … Keine Ahnung.“ Langsam weicht auch der Rest der Anspannung von mir und ich grinse meine Freundin an. „Du hast recht! Ich sollte mich freuen – und beim nächsten Mal wohl besser aufpassen, ob nicht irgendwo Paparazzi lauern. Ich hab diesen Fotografen echt überhaupt nicht bemerkt.“

Cookie lacht auf. „Na ja, dem Foto nach warst du auch gerade mit anderen Sachen beschäftigt. Klar, dass du deine Umgebung da ausblendest. Wenn er nur halb so gut küsst, wie er aussieht, da kann man schon mal alles um sich herum vergessen.“

Ich stimme in Cookies Lachen ein. Dann widme ich mich wieder meiner Arbeit und dem falsch erstellten Kreditvertrag von Herrn Wagner.

Obwohl ich mehr als genug zu tun habe, lassen mir diese Fotos in der Zeitung keine Ruhe. Immer wieder überlege ich, wer mich wohl noch alles auf den Bildern erkannt haben könnte. Ob es nicht im Nachhinein doch Konsequenzen haben wird, dass ich mit Mark in einer derart intimen Situation fotografiert worden bin. Auch, was geschieht, wenn Mark diese Fotos sieht, macht mir ein wenig Sorgen. Ist es ihm peinlich? Wird er womöglich darauf angesprochen? Nur zu gern würde ich mit ihm darüber sprechen, seine Reaktion dazu sehen, doch ich habe seine Nummer nicht und er hat sich noch immer nicht gemeldet.

 

Als bis zum Nachmittag weiterhin keine Nachricht von Mark kommt, werde ich unruhig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er den Artikel nicht gelesen hat. Es war seine Ausstellungseröffnung, jede Zeitung der Stadt und auch einige überregionale haben darüber berichtet. Wäre ich er, würde ich mir jeden einzelnen Artikel anschauen – und dadurch über diesen einen in der Klatschpresse stolpern. Hätte er nicht in irgendeiner Form darauf reagieren müssen? Hätte er mich nicht anschreiben oder anrufen müssen und mir davon erzählen?

Je weiter der Nachmittag voranschreitet, desto mehr Gedanken mache ich mir. Leider hauptsächlich nicht so schöne … Bis zu dem Zeitungsartikel war ich vollkommen entspannt gewesen. Ich war mir sicher, er würde sich bei mir melden, weil ich Eindruck bei ihm hinterlassen habe, doch jetzt … Hat sich dieser Eindruck ins Negative gewendet? Meldet er sich deshalb nicht bei mir, weil es ihm peinlich ist, mit mir fotografiert worden zu sein? Oder meldet er sich nicht, weil es ihm egal ist? Oder weil er denkt, es wäre alles von mir so geplant gewesen, um an seiner Seite gesehen zu werden? Glaubt er, ich hätte ihn für meine Zwecke ausgenutzt? Oder habe ich unsere Nacht vielleicht doch vollkommen falsch eingeschätzt und ich war nur etwas Nettes für zwischendurch? Ein One-Night-Stand ohne Bedeutung?

All diese Fragen schießen mir immer wieder durch den Kopf und hinterlassen ein mulmiges Gefühl in meiner Magengegend. Ich wundere mich selbst darüber, was zwei Fotos in einer Klatschzeitung so alles in mir auslösen. So kenne ich mich gar nicht – allerdings war ich vorher auch noch nie in einer solchen Situation.

Als ich Feierabend mache, habe ich einen Entschluss gefasst. Ich habe zwar Marks Telefonnummer nicht, aber ich weiß, wo er gerade wohnt, daher beschließe ich, ihn in seinem Hotel aufzusuchen.

Deutlich besser gelaunt, als ich es den Tag über war, mache ich mich auf den Weg zu meinem Auto, das in einer Seitenstraße geparkt ist. Ich habe einen Plan und das beruhigt mich sehr. Ich werde mit Mark reden und herausfinden, wie er auf die Fotos reagiert. Werde versuchen, die Fragen, die ich mir den ganzen Tag über schon stelle, zu klären. Falls er die Bilder noch nicht gesehen haben sollte, habe ich zur Sicherheit die Zeitung meines Chefs eingepackt, um ihm den Artikel zeigen zu können.

Ohne einen Abstecher über die Rezeption zu machen, gehe ich direkt zum Lift des Hotels und fahre hinauf zu Marks Suite. Dort angekommen klopfe ich an die Tür. Ich höre leises Stimmengemurmel aus dem Zimmer, doch er öffnet nicht. Noch einmal poche ich gegen die Zimmertür und warte. Da endlich geht sie auf. Lächelnd lasse ich meinen Blick über Mark gleiten. Nur mit engen Boxershorts bekleidet, die Haare zerzaust, steht er vor mir. Ein Bild von einem Mann mit dieser breiten, trainierten Brust und den schmalen Hüften. Ein Anblick, der mir vertraut ist und die Bilder unserer Nacht vor meinen Augen aufsteigen lässt. Ich weiß, wie seine Haut sich an meiner anfühlt, wie sie schmeckt, wenn ich sie küsse und mit der Zunge darüberfahre. Nur zu gern würde ich diese Nacht wiederholen. Ihn am liebsten hier und jetzt in sein Hotelbett zerren, ihn küssen und noch viel mehr.

„Oh, hi! Was machst du denn hier?“ Marks erstaunte Frage reißt mich aus meinem Kopfkino von uns beiden, wie wir uns in den Laken wälzen.

„Ich wollte mit dir reden. Es war ein Artikel in der Zeitung mit Fotos von uns und …“ Mark unterbricht mich, bevor ich weiterreden und ihm mein unverhofftes Auftauchen erklären kann.

„Du, im Moment ist es ganz schlecht.“ Er wirft einen schnellen Blick über die Schulter ins Zimmer. „Ich muss gleich weg und wie du siehst … Ich bin noch nicht fertig.“ Mark deutet mit der Hand auf seinen fast nackten Körper und zwinkert mir zu. „Aber ich rufe dich an, ja? Ich melde mich bei dir! Ich muss mich jetzt wirklich sputen. Bis dann!“

Ohne auf meine Antwort zu warten, schließt Mark die Tür vor meiner Nase. Kurz bevor sie ins Schloss fällt, höre ich noch eine Stimme im Hintergrund der Suite.

„War das der Zimmerservice? Komm doch zurück ins Bett!“

Vollkommen verdattert stehe ich auf dem Flur des Hotels und starre auf die geschlossene Tür. Ich brauche einen Moment, um zu begreifen, was da gerade geschehen ist. Diese Stimme, die ich gehört habe, war eindeutig weiblich, und sie hat nach dem Zimmerservice gefragt. Was das bedeutet, ist mir sofort klar.

Mark muss gar nicht weg, er hat eine Frau bei sich und daher keine Zeit und Lust gehabt, mit mir zu reden. Er hat mich abserviert. Ausgetauscht gegen die nächste. Für ihn war ich nur ein One-Night-Stand und jetzt hat er den nächsten.

Ich fühle mich ein wenig betäubt, als ich langsam zum Lift zurückkehre und das Hotel verlasse.

Es ist nicht so, dass ich mich in Mark verliebt hätte und mich sein Verhalten daher verletzt, dennoch kratzt sein Verhalten ein wenig an meinem Ego. Ich habe mich in ihm getäuscht. Ich habe nicht erwartet, dass er die Art von Mann ist, die ihre Frauen wie die Unterwäsche wechseln und nur auf Sex aus sind. Und warum habe ich das nicht erwartet? Weil meine Internetrecherche über ihn nichts dergleichen hergegeben hat. Die Fotos, die im Internet kursieren, zeigen ihn immer allein. Die Bilder mit mir waren die Ausnahme. Anscheinend achtet er darauf, nicht mit Frauen gesehen und fotografiert zu werden. Doch dieses Mal war er unvorsichtig.

Oder ist es vielleicht ganz anders? Täusche ich mich schon wieder, wenn ich ihm unterstelle, ein Playboy zu sein? Ich weiß es nicht, aber ich habe bereits eine Idee, wie ich es herausfinde.

Ich Idiot habe mir nur die deutschsprachigen Seiten über ihn angesehen. Na klar, er ist erst wenige Monate hier. Natürlich gibt es da noch nicht sonderlich viele Informationen über ihn im Netz. Daher beschließe ich, mir die englischsprachigen Klatsch- und Tratschseiten näher anzuschauen.

Ich möchte einfach wissen, woran ich bei ihm bin. Und das am besten, bevor er mich anruft. Wenn er mich denn anruft …

Als ich an meinem Parkplatz ankomme, schaue ich mich verwundert um. Wo ist mein Auto? Ich hatte es genau hier geparkt, nur ein paar Straßen vom Hotel entfernt. Jetzt steht an der Stelle ein neu aussehender Passat. Doch wo ist mein Wagen?

Suchend laufe ich die Straße auf und ab. Er kann ja nicht weg sein! Ich bin mir ganz sicher, dass ich ihn da geparkt habe, wo der Passat nun steht. Mein Parkschein war auch noch nicht abgelaufen, und selbst wenn, er hat auf einem regulären Parkstreifen gestanden – dort darf nicht abgeschleppt werden. Aber mein Wagen ist weg. Wieder sehe ich auf das Straßenschild – bin ich in der falschen Straße? Nein, bin ich nicht. Ich hatte genau hier geparkt. Das kann doch nicht sein! Ein Auto verschwindet nicht so einfach.

„So eine verfickte Scheiße!“, fluche ich lautstark und sehr undamenhaft. Ein Passant, der gerade vorbeigeht, dreht sich erschrocken zu mir um, aber ich beachte ihn nicht weiter.

„Wo ist dieses verdammte Auto?“ Genervt trete ich gegen einen Pfosten am Straßenrand.

„Vielleicht ist es ja geklaut worden!“, ruft der Passant, den ich eben mit meinem Ausbruch so erschreckt habe.

Mit offenem Mund starre ich ihm hinterher, als er weitergeht. Nein! Nein, das kann nicht sein! O bitte nicht!

Mir wird übel, als die Worte des Passanten in meinem Kopf wie ein Echo widerhallen. Vielleicht ist es ja geklaut worden! Nein, so ein Quatsch! Niemand würde ein fast schrottreifes Auto klauen.

Erneut laufe ich die komplette Straße ab, aber es ändert nichts. Mein Auto bleibt verschwunden. Hatte der Mann doch recht? Zumindest ist das die einzige Erklärung, die mir noch einfällt. Ich bin den Tränen nahe, als ich mich gegen eine Hauswand lehne und mein Handy aus der Tasche ziehe. Schnell gehe ich ins Internet und suche die Anschrift der nächsten Polizeiwache heraus, dann mache ich mich zu Fuß auf den Weg dorthin, um mein Auto als gestohlen zu melden und Anzeige zu erstatten.

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