Buch lesen: «Mindful Parenting»
Susan Bögels & Kathleen Restifo
Mindful Parenting
Achtsamkeit und Selbstfürsorge für Eltern
Das Manual für ein 8-Wochen-Programm
Aus dem Englischen von Dörte Fuchs
Arbor Verlag
Freiburg im Breisgau
© 2014 Susan Bögels und Kathleen Restifo
© 2014 der deutschen Ausgabe: Arbor Verlag GmbH Freiburg
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel:
Mindful Parenting. A Guide for Mental Health Practitioners
by Susan Bögels and Kathleen Restifo
Copyright © Springer Science+Business Media New York 2014
All Rights Reserved
Alle Rechte vorbehalten
E-Book 2018
Titelfoto: © 2014 Barcin/Getty Images International
Lektorat: Georg Hehn
Hergestellt von mediengenossen.de
E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de
www.arbor-verlag.de
ISBN E-Book: 978–3-86781–219-1
Vorwort
TEIL 1 Theoretische und empirische Grundlagen
1 Mindful Parenting – eine Einführung
1.1 Warum Elternsein mit Stress verbunden sein kann
1.2 Wie Mindful Parenting helfen kann
1.3 Die Entstehung des Mindful-Parenting-Programms
1.4 Zum Aufbau des Buches
1.5 Anmerkung zu den Praxisbeispielen
2 Elternverhalten und elterlicher Stress aus evolutionsgeschichtlicher Perspektive
2.1 Einleitung: Warum ein evolutionsgeschichtlicher Blick auf Elternschaft und Achtsamkeit lohnt
2.2 Die Quellen elterlicher Stressbelastung
3 Wirkungen des Mindful-Parenting-Kurses
3.1 Studie 1: Effekte in den ersten zehn Gruppen
3.2 Studie 2: Effekte in den folgenden zehn Gruppen
3.3 Studie 3: Effekte des aktuellen Mindful-Parenting-Programms in der zuletzt durchgeführten Gruppe
3.4 Schlussfolgerungen und Ausblicke auf die zukünftige Forschung
TEIL 2 Mindful Parenting: Der Acht-Wochen-Kurs
4 Überblick über das Mindful-Parenting-Programm
4.1 Ziele des Kurses
4.2 Überblick über die Themen und Übungen des Kurses
4.3 Neuere Programmelemente
4.4 Qualifikation der Kursleiterinnen und -leiter
4.5 Achtsamkeit in die familiäre Routine bringen
4.6 Sollten Eltern ihre Kinder mit der Achtsamkeitspraxis vertraut machen?
4.7 Für wen ist das Mindful-Parenting-Programm gedacht?
4.8 Vorbereitung der Teilnehmerinnen und -teilnehmer: Erstgespräch mit der Familie
4.9 Größe und Zusammensetzung der Gruppen
4.10 Vorbereitung der Gruppensitzung
4.11 Leiten der Gruppensitzungen: ein Lernprozess
4.12 Anleiten der Meditations- und Yogaübungen
4.13 Mindful Parenting und Buddhismus
4.14 Zum Aufbau dieses Manuals
4.15 Anleitung und Spielraum
Arbeitsblatt 4.1 Erstgespräch mit der Familie: Aufnahmebogen
5 Erste Sitzung: Erziehen im Autopilot-Modus
Der Seins-Modus und der Aktions-Modus
Was geschieht, wenn wir Achtsamkeit im Kontext der Familie lehren?
Leitfaden für die erste Sitzung
1. Anfangen: Die erste Meditation
2. Vorstellungsrunde
3. Praktische Fragen
4. Den Autopiloten ausschalten: Achtsam eine Rosine essen
5. Übung „Stress am Morgen“
6. Pause
7. Der Body-Scan
8. Besprechung der Hausaufgaben
9. Schlussmeditation
Arbeitsblatt 5.1 Hausaufgaben für die erste Woche
Arbeitsblatt 5.2 Mindful Parenting
Arbeitsblatt 5.3 Was versteht man unter Mindful Parenting?
Arbeitsblatt 5.4 Die Body-Scan-Meditation
Arbeitsblatt 5.5 Übungsblatt für Woche 1
Arbeitsblatt 5.6 Notizblatt für die informelle Praxis und die Mindful-Parenting-Praxis, Woche 1
6 Zweite Sitzung: Erziehen mit dem Geist des Anfängers
Voreingenommenheit
Wie kann uns die Achtsamkeitspraxis davor schützen, unsere Kinder „abzustempeln“?
Die Perspektive erweitern: Erziehen mit dem Anfängergeist
Wie kann Achtsamkeit dazu beitragen, den Blickwinkel zu erweitern?
Leitfaden für die zweite Sitzung
1. Body-Scan und Gesprächsrunde
2. Übung: Das eigene Kind beobachten wie die Rosine bei der Rosinenübung
3. Die Übung „Stress am Morgen“ aus der Perspektive einer Freundin oder eines Freundes
4. Tee- und Kaffeepause
5. Achtsames Sehen
6. … und mittendrin ein Gorilla
7. Dankbarkeitspraxis
8. Atemmeditation
9. Besprechung der Hausaufgaben für die nächste Woche
10. Schlussmeditation: Sich bei der Rückkehr in den Alltag mit Freundlichkeit begegnen
Arbeitsblatt 6.1 Hausaufgaben für die zweite Woche
Arbeitsblatt 6.2 Erziehen mit dem Geist des Anfängers
Arbeitsblatt 6.3 Die Faktoren der Achtsamkeitspraxis
Arbeitsblatt 6.4 Achtsames Atmen im Sitzen
Arbeitsblatt 6.5 Tagebuch angenehmer Erfahrungen
Arbeitsblatt 6.6 Übungsblatt für Woche 2
Arbeitsblatt 6.7 Notizblatt für die informelle Praxis und die Mindful-Parenting-Praxis, Woche 2
7 Dritte Sitzung: Sich wieder mit dem Körper verbinden
Verkörperte Emotionen
Sich mit dem Körper und dem Kind verbinden
Selbstmitgefühl
Leitfaden für die dritte Sitzung
1. Sitzmeditation: Atem und Körperempfindungen
2. Besprechung der Hausaufgaben: Tagebuch angenehmer Erfahrungen
3. Der Drei-Minuten-Atemraum
4. Besprechung der restlichen Hausaufgaben
5. Pause
6. Yoga (im Liegen)
7. Beobachten des Körpers in einer Stresssituation des Elternalltags
8. Stress im Elternalltag: Sich selbst mit Freundlichkeit begegnen
Arbeitsblatt 7.1 Hausaufgaben für die dritte Woche
Arbeitsblatt 7.2 Den Körper in einer Stresssituation des Erziehungsalltags beobachten
Arbeitsblatt 7.3 Sich als Mutter oder Vater Selbstmitgefühl entgegenbringen
Arbeitsblatt 7.4 Sitzmeditation mit dem Atem und mit Körperempfindungen
Arbeitsblatt 7.5 Der Drei-Minuten-Atemraum
Arbeitsblatt 7.6 Hinweise zum achtsamen Yoga
Arbeitsblatt 7.7 Yogahaltungen im Liegen
Arbeitsblatt 7.8 Tagebuch stressbelasteter Momente
Arbeitsblatt 7.9 Übungsblatt für Woche 3
Arbeitsblatt 7.10 Notizblatt für die informelle Praxis und die Mindful-Parenting-Praxis, Woche 3
8 Vierte Sitzung: Auf elterlichen Stress antworten, statt automatisch zu reagieren
Gedanken
Innehalten
Leitfaden für die vierte Sitzung
1. Sitzmeditation: Achtsamkeit auf Geräusche und Gedanken
2. Lesen eines Koans
3. Tagebuch stressbelasteter Momente: Gespräch in Zweiergruppen
4. Greifen und Zurückweisen
5. Demonstration: Kampf, Flucht, Erstarren – und Tanz
6. Gruppengespräch über die übrigen Hausaufgaben
7. Drei-Minuten-Atemraum bei Stress
8. Pause
9. Vorstellungsübung: Stress wahrnehmen und akzeptieren
10. Zwischenevaluation
11. Yoga (im Stehen)
12. Besprechung der Hausaufgaben für die nächste Woche
Arbeitsblatt 8.1 Hausaufgaben für die vierte Woche
Arbeitsblatt 8.2 Greifen
Arbeitsblatt 8.3 In Stresssituationen des Elternalltags präsent bleiben
Arbeitsblatt 8.4 Ein Zen-Koan für Eltern
Arbeitsblatt 8.5 Achtsamkeit auf das Hören und Denken
Arbeitsblatt 8.6 Yogahaltungen im Stehen
Arbeitsblatt 8.7 Tagebuch „Stressmomente im Elternalltag: Atemraum“
Arbeitsblatt 8.8 Übungsblatt für Woche 4
Arbeitsblatt 8.9 Notizblatt für die informelle Praxis und die Mindful-Parenting-Praxis, Woche 4
9 Fünfte Sitzung: Muster und Schemata in der Erziehung
Wie sich eigene Kindheitsmuster auf die Erziehungspraxis auswirken
Schemata
Schemamodi
Wie hilft Achtsamkeit beim Erkennen von Schemamodi?
Leitfaden für die fünfte Sitzung
1. Sitzmeditation unter Einbeziehung der Gefühle
2. Besprechung der Hausaufgaben
3. Reaktive Erziehungsmuster und Schemamodi
4. Drei-Minuten-Atemraum
5. Pause
6. Gehmeditation im Raum
7. Gefühle halten
8. Besprechung der Hausaufgaben
Arbeitsblatt 9.1 Hausaufgaben für die fünfte Woche
Arbeitsblatt 9.2 Reaktive Erziehungsmuster und Schemamodi
Arbeitsblatt 9.3 Sitzmeditation unter Einbeziehung von Gefühlen
Arbeitsblatt 9.4 Die Wut halten wie ein Baby
Arbeitsblatt 9.5 Achtsames Gehen
Arbeitsblatt 9.6 Tagebuch „Stressmomente im Elternalltag: Erkennen von Schemamodi“
Arbeitsblatt 9.7 Übungsblatt für Woche 5
Arbeitsblatt 9.8 Notizblatt für die informelle Praxis und die Mindful-Parenting-Praxis, Woche 5
10 Sechste Sitzung: Konflikte
Leitfaden für die sechste Sitzung
1. Sitzmeditation: Offenes Gewahrsein
2. Besprechung der Hausaufgaben
3. Gruppengespräch über die Hausaufgaben
4. Gehmeditation im Freien
5. Pause
6. Perspektivenübernahme, Reparatur
7. Besprechung der Hausaufgaben für die nächste Woche
8. Vorlesen des Gedichts „Autobiographie in fünf Kapiteln“
Arbeitsblatt 10.1 Hausaufgaben für die sechste Woche
Arbeitsblatt 10.2 Stress und Perspektivenübernahme
Arbeitsblatt 10.3 Bruch und Reparatur
Arbeitsblatt 10.4 Ein „Tag der Achtsamkeit“ zu Hause
Arbeitsblatt 10.5 Übungsblatt für Woche 6
Arbeitsblatt 10.6 Notizblatt für die informelle Praxis und die Mindful-Parenting-Praxis, Woche 6
11 Siebte Sitzung: Liebe und Grenzen
Achtsamkeit: Weisheit und Mitgefühl Was ist Mitgefühl?
Liebende-Güte- oder Metta-Meditation
Akzeptanz
Grenzen setzen
Gewahrsein der eigenen Grenzen
Unser familiäres Erbe erkennen
Hier-und-Jetzt-Gewahrsein beim Setzen von Grenzen
Unsere Erfahrung und die Erfahrung unseres Kindes
Gefühle versus Verhalten
Leitfaden für die siebte Sitzung
1. Liebende-Güte-Meditation
2. Besprechung der Hausaufgaben (paarweise)
3. Besprechung der „Bruch-und-Reparatur“-Hausaufgabe
4. Austausch über den „Tag der Achtsamkeit“
5. „Was brauche ich?“
6. Pause
7. Grenzen
8. Rollenspiel: Grenzen
9. Besprechung der Hausaufgaben für die nächste Woche
10. Die Geschichte von den beiden Wölfen
Arbeitsblatt 11.1 Hausaufgaben für die siebte Woche
Arbeitsblatt 11.2 Liebende-Güte-Meditation: Basisanleitung
Arbeitsblatt 11.3 Variationen der Liebende-Güte-Meditation
Arbeitsblatt 11.4 Der Geist der Liebe
Arbeitsblatt 11.5 Was brauche ich?
Arbeitsblatt 11.6 Akzeptanz und Grenzen
Arbeitsblatt 11.7 Die beiden Wölfe
Arbeitsblatt 11.8 Mein persönlicher Lernprozess
Arbeitsblatt 11.9 Übungsblatt für Woche 7
Arbeitsblatt 11.10 Notizblatt für die informelle Praxis und die Mindful-Parenting-Praxis, Woche 7
12 Achte Sitzung: Wann sind wir endlich dort? Ein achtsamer Weg durch die Elternschaft
Leitfaden für die achte Sitzung
1. Body-Scan und Gesprächsrunde
2. Besprechung der Hausaufgaben
3. Dankbarkeitspraxis
4. Meditation über das, was wir gelernt haben
5. Meditationsplan für die kommenden acht Wochen
6. Pause (mit Buch- und Webseitentipps)
7. „Mein Weg“: Eltern schildern ihren Lernprozess
8. Vorlesen der Vorschläge für mehr Achtsamkeit
9. Ankündigungen
10. Schlussmeditation
Arbeitsblatt 12.1 Vorschläge für mehr Achtsamkeit im Erziehungsalltag
Arbeitsblatt 12.2 Persönlicher Meditationsplan
Arbeitsblatt 12.3 Evaluation des Mindful-Parenting-Kurses
13 Follow-up-Sitzung: Immer wieder neu beginnen
Leitfaden für die Follow-up-Sitzung
1. Sitzmeditation
2. Austausch über die Erfahrungen der vergangenen acht Wochen
3. Gruppengespräch über die Erfahrungen
4. Berg-Meditation für Eltern
5. Stein-Meditation
6. Einander Gutes wünschen
7. Einzelevaluation
14 Elternstimmen: Nach dem Mindful-Parenting-Kurs
Literaturverzeichnis
Dank
Über die Autorinnen
Vorwort
Dieses Buch ist eine Pionierleistung. Das hier vorgestellte Programm bringt das Konzept und die Praxis der Achtsamkeit in den Bereich Erziehung und Elternsein und in die therapeutische Begleitung belasteter Familien ein und hilft damit sowohl Kindern als auch Eltern.
Als wir 1997 unser Buch Everyday blessings (dt. 1998, Mit Kindern wachsen) publizierten, enthielt es weder ein formales Programm für Eltern noch ein Curriculum für die Ausbildung von in der Elternarbeit tätigen Fachleuten. Doch ein solches Curriculum ist seit Langem überfällig. Wir sind den Autorinnen dankbar dafür, dass sie es in dieser Form ins Leben gerufen haben. Ihr Programm ist nicht nur zutiefst praxisorientiert, es birgt auch ein großes Potenzial für Veränderungs- und Heilungsprozesse. Eine seiner größten Stärken besteht darin, dass es zwei unterschiedliche Arten des Wissens nutzt und miteinander vereint: die empirisch-wissenschaftliche Perspektive, in diesem Fall die klinische und verhaltenspsychologische Forschung, und die Perspektive der kontemplativen, achtsamkeitsbasierten Programme und Praktiken, die sich auf ein immer solideres wissenschaftliches Fundament stützen können. Zugleich stehen diese achtsamkeitsbasierten Programme in einer mehrere tausend Jahre alten Tradition der Weisheit und des Mitgefühls, die sich vor allem aus den universellen Grundlagen der buddhistischen Meditation speist, deren Herz, so heißt es oft, die Achtsamkeit bildet.
Die Autorinnen und ihre Kolleginnen und Kollegen haben eine Reihe von wissenschaftlichen Studien zu Stress und Elternschaft durchgeführt, um ihr klinisches Mindful-Parenting-Programm zu validieren. In diesem Buch präsentieren sie ihr Curriculum in sehr verständlicher, klarer und detaillierter Form. Es basiert auf verwandten klinischen Ansätzen wie MBSR (Mindfulness-based Stress Reduction) und MBCT (Mindfulness-based Cognitive Therapy) und erweitert das Anwendungsspektrum dieser achtsamkeitsbasierten Konzepte um den komplexen Bereich der familiären Interaktionen und der besonderen Herausforderungen, denen sich Eltern von Kindern mit psychiatrischen Diagnosen gegenübersehen. Mindful Parenting enthält sowohl die formalen als auch die informellen Achtsamkeitsübungen aus den MBSR- und MBCT-Programmen, auf phantasievolle Weise ergänzt und auf die Anforderungen der Erziehung und der Elternschaft zugeschnitten.
Diese Arbeit ruht auf einem machtvollen Fundament von Freundlichkeit und Mitgefühl für Eltern und Kinder, was angesichts des auch in Familien unvermeidlichen Leids von größter Bedeutung ist. Diese Qualitäten des Herzens sind keineswegs Dekor oder Fassade, sondern bilden in Wirklichkeit die Grundlage aller Achtsamkeitspraktiken und ihrer klinischen Anwendungen, denn der Begriff „Achtsamkeit“ (mindfulness) impliziert immer eine „Achtsamkeit des Herzens“ (heartfulness). Ohne dieses intuitive Verständnis, diese tiefe Verkörperung von Achtsamkeit verlöre dieser Ansatz seine Kraft. Erfreulicherweise betonen die Autorinnen diesen entscheidenden Punkt immer wieder, ebenso wie die Tatsache, dass man Achtsamkeit, um sie wirklich zu begreifen und zum Nutzen anderer kreativ einsetzen zu können, wirklich als Seinsweise im eigenen Leben kultivieren muss. Im Hinblick auf diese beiden so überaus wichtigen Aspekte wird die gelebte Erfahrung und Weisheit der Autorinnen immer wieder sichtbar und spürbar. Ihre Darstellung dieser Seinsweise, die achtsames Elternsein heißt, wird für all jene Menschen eine Inspiration sein, die dieses Curriculum für ihren eigenen Kontext und ihr eigenes Leben zu übernehmen beabsichtigen.
Es freut uns sehr, dass Susan Bögels und Kathleen Restifo ihr ebenso profundes wie differenziertes Curriculum in dieser Form zur Verfügung stellen. Zugegebenermaßen fordert es eine ganze Menge von allen Beteiligten. Das tut Achtsamkeit immer. Doch wer das hier vorgestellte Programm in die Praxis umsetzt, wird finden, dass Mindful Parenting nicht mehr von Eltern verlangt, als sie zu geben in der Lage sind – um ihrer Kinder und ihrer selbst willen.
Wir hoffen, dass die ausgereifte Perspektive und die kompetente Anleitung, die dieses Buch bietet, möglichst vielen Familien zugutekommen.
JON UND MYLA KABAT-ZINN
Lexington, Massachusetts, im Oktober 2012
TEIL 1
Theoretische und empirische Grundlagen
KAPITEL 1
Mindful Parenting – eine Einführung
Ich könnte jedes Baby als einen kleinen Buddha oder als einen Zen-Meister ansehen, als persönlichen Achtsamkeitslehrer.
JON KABAT-ZINN ÜBER DAS ELTERNWERDEN (1994/DT. 2007, S. 204)
1.1 Warum Elternsein mit Stress verbunden sein kann
Kinder großzuziehen ist für viele Mütter und Väter eine der kraftraubendsten und verantwortungsvollsten Aufgaben im Leben, und doch gehen Eltern dieser Aufgabe mit Liebe, Freude, Stolz und einem Gefühl der Erfüllung nach. Kinder oder Enkel auf ihrem Weg zum Erwachsensein zu begleiten, ist vielleicht tatsächlich der erfüllendste „Job“ überhaupt, und ein guter Vater oder eine gute Mutter zu sein, unser höchstes Lebensziel. Auf die Frage, was wir bei unserer eigenen Beerdigung am liebsten über uns hören würden, kommt den meisten von uns, die wir das Glück haben, Eltern oder Großeltern zu sein, wohl als Erstes der Satz in den Sinn: „Sie/er ist eine gute Mutter / ein guter Vater gewesen.“ Bereits der Wunsch, es so gut zu machen – die bestmögliche Mutter oder der bestmögliche Vater zu sein –, kann Stress erzeugen. Hinzu kommen viele weitere Herausforderungen und Hindernisse auf unserem Weg als Eltern. Das beginnt mit dem Übergang ins Erwachsenenleben, wenn wir die Verantwortung für unser eigenes Leben übernehmen, dann Kinder zur Welt bringen und nun auch für ihr Leben verantwortlich sind – all dies verlangt von uns einen völlig neuen Umgang mit unserer Zeit, unserer Aufmerksamkeit, unserer Energie und unseren Ressourcen (z. B. Bardacke 2012). Nie wieder wird unser Leben so sein wie vor der Geburt eines Kindes. Und während wir uns um unsere Kinder kümmern, unser Familienleben organisieren und all das mit unseren beruflichen Interessen und Verpflichtungen zu vereinbaren versuchen, vergessen wir leicht, für uns selbst zu sorgen. Wenn die inneren Speicher sich dann mehr und mehr leeren, kann das zu Reizbarkeit, depressiven Verstimmungen, Müdigkeit, körperlichen Beschwerden und schließlich zu psychischen oder physischen Erkrankungen führen, die auch das Elternsein beeinträchtigen.
Verhaltensschwierigkeiten oder psychopathologische Symptome bei Kindern wie bei Eltern stellen besondere Herausforderungen dar, die das Elternsein belasten. Für die von solchen Problemen betroffenen Familien wurde das in diesem Buch beschriebene Mindful-Parenting-Programm entwickelt. Ein Kind, das z. B. mit starkem Stress oder Widerstand auf alles Neue reagiert, sich nicht selbst beschäftigen oder seinen Schulalltag nicht bewältigen kann, wegen seines aggressiven Verhaltens nicht mit Geschwistern allein bleiben darf oder unter Schlafstörungen leidet, kann den Erziehungsalltag belasten. Das Gleiche gilt für psychische Erkrankungen eines Elternteils. So kann etwa ein Vater, der an Depressionen leidet, seine elterlichen Aufgaben als Überforderung erleben und sich für einen schlechten Vater halten, eine Mutter mit einer Angststörung ist möglicherweise übermäßig besorgt und geht über-fürsorglich mit ihrem Kind um, ein an einer Zwangsstörung erkrankter Vater sieht sich vielleicht außerstande, elterliche Aufgaben abzugeben oder zu teilen, und eine Mutter, deren exekutive Funktionen gestört sind, könnte zu impulsiven und widersprüchlichen Reaktionen auf ihr Kind neigen.
Doch auch wenn weder Kind noch Eltern unter psychischen Störungen leiden, sind Eltern immer wieder mit Stressoren konfrontiert. Kinder entwickeln und verändern sich ständig, was Eltern vor die Herausforderung stellt, sich immer wieder neu an diese Veränderungen anzupassen: Ein Krabbelkind lernt laufen, ein Jugendlicher hält sich nicht mehr an die Familienregeln, eine Volljährige zieht aus. Selbst wenn Kinder schon lange erwachsen sind, fühlen sich Eltern weiter für deren Sicherheit und Wohlergehen verantwortlich und machen sich oft Sorgen, wenn ihre Kinder neue Herausforderungen selbstständig meistern müssen.
Stress kann auch aus unerwarteten familiären Ereignissen wie einer Trennung oder Scheidung resultieren. Die Mehrzahl der Kinder lebt heute mit Stiefeltern und oft auch mit Stiefgeschwistern zusammen, was häufig zu Abgrenzungs- und Loyalitätskonflikten führt. Stiefeltern bzw. -kinder können eine Quelle der Unterstützung und der Freude sein, aber auch für Stress sorgen. Für Alleinerziehende wiederum wird der Mangel an Unterstützung und Mitverantwortung des anderen Elternteiles sehr oft zur Belastung.
Partnerschaftsprobleme und Schwierigkeiten, bei der Erziehung miteinander zu kooperieren, sind weitere mögliche Stressquellen für Eltern. Während wir uns in unseren individualistischen westlichen Gesellschaften immer weniger auf soziale Gemeinschaften verlassen, ist die Partnerschaft als Quelle von Verbundenheit und Unterstützung immer wichtiger geworden – entsprechend groß sind die Erwartungen an partnerschaftliche Beziehungen (Johnson 2008). Ein Ergebnis dieser Entwicklung ist, dass der durch Probleme in der Partnerschaft verursachte Stress das Elternsein nachweislich negativ beeinflusst. Bei Vätern ist dieser Effekt sogar noch größer als bei Müttern (Bögels et al. 2010).
1.2 Wie Mindful Parenting helfen kann
Stress kann zum Zusammenbruch elterlicher Kompetenzen führen (z. B. Belsky 1984; Webster-Stratton 1990a). Zwar bereiten sich viele Mütter und Väter heute mit Hilfe von Elternkursen, -ratgebern und TV-Sendungen auf ihre Aufgaben vor, doch wenn sie unter Stress oder unter dem Einfluss starker Emotionen stehen, neigen Eltern aus allen sozioökonomischen Schichten dazu, ihre Kinder anzuschreien, ihnen zu drohen oder sie sogar zu schlagen. Elternkurse und das Wissen, wie ein guter Vater oder eine gute Mutter mit Schwierigkeiten umgehen sollte, können sogar bewirken, dass Eltern mit sich selbst noch strenger ins Gericht gehen, wenn sie die Nerven verloren haben.
Nicht nur wird die Anwendung der in Kursen erworbenen Fähigkeiten unter Stress häufig vergessen, auch psychische Erkrankungen der Eltern können verhindern, dass eine Familie von solchen Kursen profitiert. Um einige Beispiele zu geben: Parent Management Training ist ein wirksames Trainingsprogramm für Eltern von Kindern mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) und vermindert die Verhaltensprobleme der Kinder. Doch Kinder von Eltern, die selbst unter ADHS leiden, profitieren deutlich weniger davon (z. B. Sonuga-Barke et al. 2002). Kinder aus Familien, in denen sowohl das Kind als auch Mutter oder Vater Symptome wie unaufmerksames oder unkontrolliert-impulsives Verhalten zeigen, haben sogar das höchste Risiko, eine psychische Störung wie ADHS zu entwickeln (Sonuga-Barke 2010). Ebenso hat sich gezeigt, dass Kinder depressiver Mütter weniger von Elterntrainings profitieren (Forehand et al. 1984; Owens et al. 2003; Reyno & McGrath 2006; Webster-Stratton 1990b). Auch bei Eltern mit Partnerschaftsproblemen zeigte sich in einigen Untersuchungen eine geringere Wirksamkeit von Elterntrainings (Reisinger et al. 1976; Webster-Stratton 1985), wenngleich andere Studien keinen Zusammenhang zwischen Problemen/ Unzufriedenheit in der Partnerschaft und der Wirksamkeit von Elterntrainings feststellen konnten (Brody & Forehand 1985; Firestone & Witt 1982). Aus diesen Gründen besteht Bedarf an einem Elterntraining, das dem Stress, den die Eltern selbst erleben, ihrem Leid und ihren psychischen Symptomen einen hohen Stellenwert einräumt.
Mindful Parenting eröffnet einen anderen Zugang für Eltern, die unter starkem Stress stehen oder selbst unter einer psychischen Störung leiden. In diesem Programm stehen das Stresserleben der Eltern, ihr Leiden und gegebenenfalls ihre eigene psychische Symptomatik im Mittelpunkt und nicht das Problemverhalten des Kindes. Natürlich kann das Problemverhalten des Kindes durchaus die Hauptstressquelle in der betroffenen Familie sein, doch unser „Arbeitsmaterial“ ist der aus diesem Verhalten resultierende Stress der Mutter und/oder des Vaters. Ein anderer Umgang mit Stress ist das Herzstück von MBSR (Mindfulness-based Stress Reduction), dem von Jon Kabat-Zinn entwickelten Programm zur Stressreduktion.
Achtsamkeitsmeditation ist eine Meditationsform, die auf der buddhistischen Tradition basiert. Achtsamkeit zu praktizieren bedeutet, im gegenwärtigen Moment präsent zu sein, sich auf die Realität zu fokussieren und sie so zu akzeptieren, wie sie ist. Jon Kabat-Zinn entwickelte das MBSR-Programm, um chronisch kranken Menschen den Umgang mit ihrer Erkrankung und Gesunden den Umgang mit dem Stress, den das Leben mit sich bringt, zu erleichtern. Auf der Grundlage des MBSR-Programms entwickelten Zindel Segal, Mark Williams und John Teasdale die Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie (Mindfulness-based Cognitive Therapy; MBCT), die für Menschen gedacht ist, die an Depression erkrankt sind. In den letzten zwei Jahrzehnten sind achtsamkeitsbasierte Interventionen bei einer Vielzahl von physischen, stressbedingten und psychischen Problemen erfolgreich eingesetzt worden. Die Anwendung der Achtsamkeitspraxis auf den Bereich Elternschaft, Kindeserziehung und Familienleben (Mindful Parenting) gehört zu den neueren Entwicklungen.
In diesem Buch geht es um Mindful Parenting im Kontext der psychologischen und psychotherapeutischen Beratung und Begleitung von Eltern, die Hilfe bei der Erziehung ihrer Kinder suchen, oder denen geraten wurde, solche Hilfe in Anspruch zu nehmen, weil ihr Kind oder sie selbst unter psychischen Problemen leiden. Im Folgenden schildern wir die Entwicklung des Mindful-Parenting-Programms von seinen mehr als zehn Jahre zurückliegenden Anfängen bis heute.
1.3 Die Entstehung des Mindful-Parenting-Programms
1.3.1 Die ersten Schritte: Mindful Parenting für die Eltern jugendlicher Teilnehmer eines Achtsamkeitskurses – Susans Geschichte
Als Aufmerksamkeitsforscherin hatte ich Interesse an einem Aufgabenkonzentrationstraining für Menschen entwickelt, die an sozialer Phobie, insbesondere Errötungsangst, leiden. Wissenschaftliche Untersuchungen hatten gezeigt, dass an einer sozialen Phobie Erkrankte in sozialen Situationen zu erhöhter Selbstaufmerksamkeit neigen und entsprechend wenig Aufmerksamkeit für ihre Umgebung und andere Menschen aufbringen (Bögels & Mansell 2006). Dies hat, wie sich zeigte, zahlreiche negative Folgen für ihr Sozialverhalten und ihre Wirkung auf andere und führt zu mehr negativen Emotionen und Gedanken und einer Steigerung der körperlichen Erregung. Das Trainingsprogramm basierte auf der Vermutung, dass die soziale Ängstlichkeit abnimmt, wenn Menschen lernen, sich in Momenten sozialer Angst, in denen ihre Aufmerksamkeit sich normalerweise der eigenen Person zuwendet, auf äußere Dinge, auf eine zu lösende Aufgabe zu konzentrieren. Als wir 1997 unseren ersten Beitrag zum Aufgabenkonzentrationstraining publizierten (Bögels et al. 1997; spätere Veröffentlichungen: Bögels 2006; Mulkens et al. 2001), schrieb mir Isaac Marks, ein bekannter Angstforscher: „Ist dies nicht dasselbe wie Achtsamkeit?“ Nein, es war nicht dasselbe, doch wir beobachteten die positiven Wirkungen, die Übungen wie das Gehen im Wald unter Einbeziehung aller Sinne hatten, indem sie die Aufmerksamkeit der Übenden aus ihrem (mit Angstempfindungen beschäftigten) Kopf und in die Erfahrung des Lebens von Moment zu Moment holten und ihnen halfen, in Gegenwart anderer Menschen präsent zu sein, statt absorbiert von sich selbst und ihren Ängsten – und das ist nichts anderes als Achtsamkeit. Der Same der Achtsamkeit war also gesät, wenigstens in meinem Forscherinnengehirn.