Buch lesen: «Frevlersbrut», Seite 3

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»Mama«, wimmerte ich, aber es hörte niemand über dem Getöse der Menge. Unirdisch gellte der Schrei in den Himmel, und auch den hörte niemand. Die Drachenkämpferin war tot, und die Menge jubelte. Und der Drache stand stolz auf seiner Bühne mit ernster Miene, die ein Grinsen verbarg. Aber dann sah ich, wie ihm für einen Moment das Gesicht entglitt, als sich ein rhythmisches Singen durch den Jubel zu schieben begann, ein Singen aus wehmütigen weiblichen Kehlen, ein Lied an die Mutter Lchnaachdra, die ihr Kind heimholt in ihren Schoß. Es war ein Trauerlied, aber es war auch ein Lied über die sanfte Siegerin Tod, und es lag über dem Großen Platz an jenem Tag wie der rote Mantel der Allbezwingerin und schwoll immer mehr an, bis es die Jubelschreie derer zu ersticken drohte, die die Vernichtung der Baummörderin feierten. Ich weiß, ich sang es auch durch meine Tränen, und Vairrynn sang es, mein kleiner Bruder, meine Muttersmutter und die Frauen in der Menge, die geweint hatten, als sie meine Mutter gesehen hatten, und die Männer in der Menge, die jene Frauen in ihre Arme genommen hatten, und vielleicht sangen es ja die Neolys auch. Es brandete gegen die Masse von Nembdr-Hassern und ließ den Drachen auf der Bühne mit den Zähnen knirschen. Mit harscher Geste befahl er die Entzündung des Scheiterhaufens.

Das Lied gefror in meiner Kehle, als der getrocknete, ölgetränkte Kness aufflammte wie ein Strohfeuer, um zu verschlingen, was von meiner Mutter noch geblieben war, die Arme, die mich so fest gehalten hatten, die ruhigen Hände und die starken Augen, der ungebeugte Rücken und das störrisch liebende Herz. All die Wärme und Kälte, zu der meine Mutter fähig gewesen war, ging vor meinen Augen in Flammen auf, und in diesem Moment zählte es nicht, dass sie das Feuer nicht mehr spürte, denn ich fühlte es in meiner Seele, und es verzehrte mich. Der beißende Rauch des Kness-Feuers waberte über den Platz, vermischt mit verbranntem Fleisch und Haar. Ich würgte, aber es half nichts. Mir war, als würde der Qualm durch Mund und Nase in den tiefsten Kern meines Ichs dringen. Das Geräusch der Menge, ihr Johlen und ihr Singen, war nichts mehr als ein leises Summen, und die Hände meiner Muttersmutter waren Lichtjahre entfernt. Es gab nichts mehr als die lodernden Flammen und den zuckenden Schemen in ihrer Mitte, der sich wand und krümmte, bis aus etwas vage Weiblichem ein riesiges Katzentier geworden war aus Feuer und aus Dunkelheit. Es öffnete sein Maul zu einem herausfordernden Gebrüll, doch heraus kaum nur der Schrei, schrill und grell und nicht von dieser Welt, und dann setzte das flammende Katzentier an zum Todessprung, die langen Glieder gestreckt und die Fänge gebleckt. Mitten hinein flog es in mein kleines, feiges Herz. Und ich brannte.


Túnn Sar hatte seinem Sohn rundheraus verboten, nach Murraptaam zu gehen.

»Kein Sohn von mir sollte auch nur in die Nähe einer solchen Abscheulichkeit kommen«, hatte er gesagt.

»Ich bin der einzige deiner Söhne, von dem ich weiß«, hatte Ftonim geantwortet, mit seinem üblichen Witz, aber ohne sein übliches Funkeln.

»Umso ernster ist es mir, Liebling«, lautete die Entgegnung. Ftonim hatte noch das halbherzige Argument angebracht, dass viele der weiblichen Bekannten seines Vaters nach Murraptaam gingen, um ein letztes Zeichen des Respekts für Lys Neoly zu setzen (als er im Nachhinein von dem Lied der Sanften Siegerin hörte, das an jenem Tag ergreifend nutzlos in den Straßen der Hauptstadt erklang, erahnte er zum ersten Mal das ganze Ausmaß der hilflosen Tapferkeit der Töchter der Lchnadra). Doch Túnn Sar hatte noch einmal bestimmt mit dem Kopf geschüttelt.

»Was glaubst du, wie nützlich du deinen Freunden sein kannst, wenn du selbst völlig traumatisiert bist?«, meinte er, und das hatte es entschieden: Ftonim sah Lys Neoly nicht brennen. Zwei Nächte später dankte er im Stillen der Göttlichen Einheit und seinem Vater dafür, als er in Pektays Bett die ganze grauenvolle Angelegenheit aus erster Hand erzählt bekam und vergebens versuchte, die Tränen seiner Augenweide mit Küssen zu trocknen. Doch in jenen Mnegau hasste es der junge Sar, unnütz im Haus seines Vaters herumzusitzen, während er an nichts anderes denken konnte als an Vairrynn und Myn und Lys und Vairrynn.

Schließlich, nachdem er seine Skenty fast vor Frustration am Stamm seines Unheiligen Baumes zerschmettert hätte, schnappte er sich einen dichtgewebten Umhang und marschierte hinunter an den Strand. Es war erst Anfang der Sturmzeit, doch der Wind fegte schon beißend über das Meer und besprühte ihn mit Gischt. Ftonim empfand die zornige Kälte als belebend und konnte zum ersten Mal an diesem Tag frei durchatmen. Die Kargheit von weißem Sand, schwarzem Stein und grauem Meer-Himmel beruhigte seine Sinne, und eine willkommene Leere breitete sich in seinem Geist aus. Angesichts des Knirschens des Sandes unter seinen Stiefeln und des Dröhnens der Brandung in seinen Ohren erschien das, was gerade in Murraptaam passieren musste, ganz und gar unwirklich und der Flug der Seevögel über dem Wasser als das Wichtigste auf der Welt.

Ftonim sang leise vor sich hin, während er über den Sand stapfte, leichtherzig-schwermütigen Unsinn ohne Zweck und Ziel. Er machte sich nie die Mühe, die Lieder niederzuschreiben, die zu solchen Stunden aus seiner Seele tropften. Sie waren wie der Wind und die Wellen: ewig und augenblickshaft zugleich. Außerdem war er nicht verblendet genug, um zu glauben, dass sie irgendetwas wert seien.

Wie von selbst lenkten ihn seine Schritte zum Küstenhaus Eftnek Neolys. Fest in seinen Umhang gewickelt, stand Ftonim am Fuße der schwarzen Klippe und starrte hinauf zu der beigefarbenen Villa, deren Ostfront gerade so vom Strand aus zu erkennen war. Er mochte dieses Haus, seinen pompösen Dimensionen zum Trotz, denn es zeugte vom erlesenen Geschmack seiner Bewohner. Einst hatte es auch von Wärme und Liebe gezeugt, aber das war lange vorbei und vielleicht immer nur eine Lüge gewesen. Ftonim hatte nichts anderes, um dies zu beurteilen, als die Ansichten seines Vaters über Lys und Eftnek Neoly, und ihm war klar, dass diese alles andere als neutral waren. Ausgerechnet in diesem Moment stellte sich ihm die Frage, ob die Beziehung seines Vaters zu dem Holzsteinschnitzer und dessen Frau eigentlich über die unvermeidliche Verbundenheit der Reichen und Schönen hinausging und ob Túnn Sar wohl Nohaín und Sannáh Sxarram gekannt hatte.

Ftonim runzelte die Stirn ob seiner eigenen verworrenen Gedankengänge und vergaß sie gleich wieder, als er eine wohlvertraute Gestalt die zahllosen Stufen hinunterhetzen sah, die vom Anwesen des Holzsteinschnitzers die Klippe hinunter an den Strand führten. Also waren die Neolys schon wieder zurück. Es war vorbei.

Regungslos beobachtete Ftonim den Klippenläufer und fühlte sich mit einem Mal so leer, dass es schmerzte. Vairrynn bemerkte Ftonim nicht, selbst als er am Fuß der Klippe angekommen war, hetzte nur weiter über den Strand, als wären alle Dämonen des Nichtseins hinter ihm her, bis er die Brandung erreichte und auf Knie und Hände fiel. Selbst von dort, wo er stand, konnte Ftonim sehen, dass Vairrynns Körper von Krämpfen geschüttelt wurde, während das Meer um seine Hände und Knie schäumte und die Gischt ihn von oben bis unten durchnässte. Der junge Sar rannte genau in dem Moment los, da sein Freund sich, Gesicht zuerst, fallen ließ. Der nächste Brecher schlug rollend über Vairrynns Kopf zusammen, und Ftonim lief schneller. Das rückläufige Wasser ging ihm bis an die Hüfte, als er meinen Himmelsreiter aus dem Wasser zog, der nicht einmal sonderlich nach Atem rang, während Ftonim ihn ein Stück den Strand hinaufschleppte. Er ließ Vairrynn in den Sand fallen, nur um ihn dann sofort wieder in seine Arme zu ziehen.

»Großer Wy, was machst du denn, Errodd?« Panik und Unglauben verflochten sich in seiner Stimme. Die Hände meines Himmelsreiters krallten sich in Ftonims Oberschenkel, während sich sein Körper aufbäumte. Ftonim biss die Zähne zusammen und hielt Vairrynn so fest, wie er nur konnte. Er hatte mehr Angst als jemals zuvor in seinem Leben. Hilflos strich er seinem Freund das patschnasse Haar aus den Augen und erstarrte. Unnatürlich geweiteten Pupillen und dieser süßlicher Geruch, der in der Nase stach …

Lauthals fluchend zog Ftonim Vairrynn auf die Füße und in Richtung des Wassers, aus dem er ihn gerade erst gerettet hatte. Es war alles andere als einfach, Vairrynn – größer und schwerer als Ftonim und völlig unkoordiniert – wieder ins Wasser zu ziehen, aber Ftonim war nichts, wenn nicht entschlossen. Er schaffte es, dass sie beide in den eisigen Wellen landeten, und dann tauchte er Vairrynns Kopf ein ums andere Mal unter, bis mein Himmelsreiter schließlich zu husten und zu spucken anfing und sich an Ftonim festklammerte wie ein Frn-Baby an seiner Mutter. Der junge Sar selbst fluchte die ganze Zeit über wie ein Weltraumtrödler. Er hatte keine Ahnung, wie und warum – irgendwie hatte er Schwierigkeiten, zu glauben, dass Vairrynn seiner Mutter beim Sterben zusehen würde und hinterher nichts anderes zu tun hatte, als eine Nase voll frischem Kness-Rauch zu nehmen – aber sein Errodd war vollkommen zugedröhnt. Und deswegen hielt Ftonim jetzt ein zitterndes und bebendes und, nicht zu vergessen, patschnasses Bündel im Arm, das entweder versuchte, die Tränen zurückzuwürgen, die ihm nichtsdestotrotz übers Gesicht liefen, oder ernsthaft in Erwägung zog, seinen Mageninhalt loszuwerden.

»Untersteh dich, Vairrynn Sxarram Neoly!«, keuchte Ftonim, als er auf dem ansatzweise trockenen Sand zusammenbrach, Vairrynn halb über ihm liegend. Er schüttelte seinen Freund ein wenig wie die Katze ihr Junges, erstarrte jedoch, als Vairrynn sein viel zu heißes Gesicht in seiner Brust vergrub.

»Mach, dass es aufhört, Ftom«, murmelte er, und es schnürte Ftonim die Kehle zu. »Sag ihnen, sie sollen aufhören!«

Ftonim schloss die Arme wieder um Vairrynns bebenden Körper und begann, sich und meinen Himmelsreiter hin und her zu wiegen. »Schhh, Errodd, ist ja gut, ist ja gut, schhh.«

Vairrynn schüttelte wild den Kopf in seinen Armen. »Sie sind in meinem Kopf, Ftom, alle, alle, alle! Jeder einzelne … Oh Wy, Ftom, es sind so viele. Mach, dass es aufhört! Geht raus, geht raus, geht raus, geht raus …«

»Schhhh, schhhh, sie sind weg, Errodd. Sie sind jetzt alle weg.«

Doch Vairrynn schüttelte weiter den Kopf, und Ftonim konnte nichts anderes tun als seinen Freund festhalten, während dessen Körper von etwas gebeutelt wurde, von dem Ftonim hoffte, dass es Kness-induzierte Halluzinationen waren. Im Grunde jedoch wusste er es besser. Es drückte Ftonim das Herz ab in der Brust, während unzusammenhängende Worte aus dem Mund meines Himmelsreiters stürzten über die Menge in seinem Kopf, stampfend und dröhnend, und über Wut, Wut, Wut, Wut, Wut, und all der Schmerz, zornig und rot, und qualvolle Freude, unerträglich, und Abgründe, so tief, und Schatten, Schatten, nichts als Schatten, und dann war da Nichts und nein, bitte, bitte, zu viel, zu viel, ich hab nicht genug Platz in mir, ich bin nicht viele, zu weit gespannt, viel zu weit, bitte nicht, nicht mehr, mehr nicht, mehr nicht, mehr nicht, mehr nicht, mehr nicht … An diesem Punkt löste Ftonim mit all der sanften Gewalt, die er aufbringen konnte, Vairrynns Arme von seinem Nacken, umschloss sein Gesicht mit den Händen und blickte ihm fest in die Augen. Vairrynns Pupillen waren immer noch viel zu weit.

»Sie sind weg, Errodd! Sieh mich an, komm schon! Mich! Ich bin hier, niemand sonst. Sieh mich an!«

Ein paar qualvolle Atemzüge lang blieb Vairrynns Blick noch völlig unfokussiert. Dann jedoch, als sei plötzlich ein Schloss eingeschnappt, verschränkten sich die hellen grauen Augen mit denen Ftonims. Vairrynns Finger schlossen sich um die Unterarme seines Freundes, und gleichzeitig war Ftonim, als würde jemand seine Seele in die Hände nehmen. Er musste jede Unze an Selbstbeherrschung aufbringen, um nicht zurückzuzucken. Etwas, nein, jemand, tastete federleicht über seine Angst. Wie aus der Ferne hörte er ein vielstimmiges Schreien und Lachen und Weinen, und er kämpfte seine Panik zurück. Wieder spürte er das federleichte Tasten, und diesmal ging es tiefer. Es war wie eine Frage, und Ftonim nickte, mit allem, was er war. Behutsam nahm das Tasten einen winzigen Bruchteil von dem an sich, was es in ihm fand. Es war der erste Kuss mit der Bäckerstochter Gyllta, die so weich und leicht war wie das Brot, das sie buk, und vielleicht eines jener unzähligen tiefen Gespräche mit seinem Vater. Ftonim war es egal. In diesem Moment hätte er noch mehr gegeben.

Mit einem tiefen Seufzen sackte Vairrynn neben ihm auf dem kühlen Sand zusammen, und Ftonim kehrte blinzelnd in die äußere Welt von Wind und Wellen zurück. Sein Selbst so unsicher wie ein neugeborenes Fohlen nach allem, was gerade passiert war, berührte Ftonim vorsichtig das in sich zusammengesunkene Häuflein, das sein bester Freund war. Vairrynn rollte sich schwach zur Seite und blinzelte zu Ftonim hinauf, sein Blick bewusst, wenn auch noch etwas Kness-vernebelt.

»Danke«, sagte er einfach, doch sein Griff um Ftonims Hand war so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. Ftonim wiederum blickte ihn an, als hätte er ihn noch nie zuvor gesehen.

»Gern geschehen«, sagte er nach einem Moment mit einem leichten Lächeln, das er Vairrynn zuliebe auf seine Lippen zwang. In Wahrheit jedoch war ihm alles andere als zum Lächeln zumute: Ftonim Sar hatte ein riesengroßes Problem. Und jetzt, da er die Hand seines besten Freundes hielt, der bis auf die Knochen durchnässt im weißen naharmbranischen Sand lag, wusste er das auch.


Die Oase nistete zwischen den riesigen Dünen, ein kleiner Fleck von Leben in einer Unendlichkeit aus rollendem, weißgoldenem Nichts. Die Luft war trocken und so rein, wie sie es nur auf Yallchá sein konnte. Sie mochte der Grund dafür sein, dass es den Yallchanern so schwerfiel, auf anderen Planeten frei zu atmen. Hinter einem Haus am Rand der Oase, im Schatten eines breitblättrigen Gewächses, saßen zwei junge Frauen, eine an einem Webstuhl, die andere vor einer Leinwand, auf der ihr Pinsel weiße, schwarze und graue Wirbel zog, deren Augen in der Mitte des Gemäldes zusammenliefen.

»Herzerwärmend, Ahn«, meinte die Rothaarige am Webstuhl mit einem Blick auf das halbfertige Werk ihrer Freundin. Die Schwarzhaarige legte daraufhin den Kopf schief in einer seltsam vogelartigen Bewegung und antwortete mit einem unbestimmten »Hmmm«. Lys Pánn schüttelte lächelnd den Kopf und wandte sich wieder ihrem eigenen glanzvogelbunten Teppich zu. Die Zeiten, da die Gemälde ihrer Freundin sie beunruhigt hatten, waren längst vorbei.

Eine Weile saßen die beiden jungen Frauen schweigend nebeneinander und arbeiteten versunken an ihren jeweiligen Schöpfungen. Plötzlich schwang die Hintertür des Hauses auf, und Synnda Pánn trat in die heimelige Hitze des späten Nachmittags hinaus. Lys blickte von ihrer Arbeit auf und ihrer Mutter begierig entgegen. Die Witwe erwiderte die Erwartung in den Augen ihrer Tochter mit unbewegter Miene.

»Gerade war ein junger Mann bei mir, um mit mir zu sprechen«, sagte sie nach einem Moment. Lys’ Gesicht leuchtete wie eine Kerze, doch die Miene ihrer Mutter veränderte sich nicht, und das Strahlen verdunkelte sich.

»Was hast du zu ihm gesagt?«

»Ich habe ihm noch keine konkrete Antwort gegeben.« Synnda Pánn konnte sehen, wie ihre Tochter regelrecht in sich zusammenfiel, und seufzte. »Lys, Liebling, bist du dir sicher, dass es das ist, was du willst?«

Das eifrige Nicken ihrer Tochter brach der Töpferin fast das Herz.

»Mama, ich liebe Eftnek Neoly!«

Wieder seufzte Synnda Pánn. »Das mag ja sein, Kind, aber du weißt nicht, worauf du dich da einlässt. Er ist der Erste Sohn einer Großen Alten Familie. Er stammt aus dem Zentrum des Reiches! Du hast keine Ahnung, was das bedeutet.«

»Mama, du weißt doch selbst, dass Eftnek nicht so ist wie die anderen Murrapynnai!«

Die Nordlerin an Lys’ Seite lachte tirilierend. »Hast du gerade wirklich deinen Herzallerliebsten einen ›Reichling‹ genannt? Du verbringst eindeutig zu viel Zeit mit Nohaín und mir, Lys Feuerstein.«

Lys funkelte ihre Freundin an. »Nicht jetzt, Ahn! – Mama, schon allein, dass Eftnek genug über die Bräuche auf Yallchá wusste, um dich um meine Hand zu fragen, zeigt doch, wie aufgeschlossen er ist. Und er hat mir meine Freiheit versprochen!«

»Und was hast du ihm als Gegenleistung versprochen?«

»Respekt«, antwortete sie und schob das Kinn vor. Wenn ihre Mutter auf einen Kampf bestand, dann sollte sie ihn haben. Lys Pánn hatte schon ihr ganzes Leben genau gewusst, wenn sie etwas wollte, und jetzt war das Eftnek Neoly.

Die Töpferin stieß ihren dritten Seufzer aus. »Liebling, ich will ja gar nicht an ihm zweifeln – oder an dir. Aber du wirst nicht nur Eftnek heiraten, sondern auch seine Familie. Eine der Großen Alten! Dafür habe ich dich nicht erzogen, Lys.«

»Hier sitz’ ich, forme Menschen Nach meinem Bilde«, sagte die Nordlerin in ihrem Singsangton, und kleckste einen schwarzen Punkt auf ihre Leinwand. »Sei vorsichtig, Töpferin.«

Synnda Pánn blickte die Malerin mit sanftem Tadel an. »Sannáh, Schatz: Lys und ich führen gerade ein sehr wichtiges Gespräch. Und ich werde dich jetzt sicher nicht fragen, wie du auf die Idee kommst, ich würde Terraner töpfern wollen.«

Sannáh summte ein wenig, ohne auf die Rüge einzugehen. »Der Holzsteinschnitzer liebt Lys wie verrückt.«

»Ja«, entgegnete die Töpferin trocken. »Das habe ich inzwischen begriffen.«

Lys dagegen betrachtete ihre Freundin mit verengten Augen. »Willst du mir irgendetwas sagen, Ahn?«

Sannáh ließ nachdenklich ihren Pinsel sinken. »Er ist tief wie ein Urwald, der Holzsteinschnitzer. Aber er hat dunkle Wurzeln.«

Lys sackte der Unterkiefer herunter. »Ich dachte, du wärst auf meiner Seite!«

»Wer hat gesagt, dass ich das nicht bin?«

»Und was soll das dann mit den ›dunklen Wurzeln‹? Das klingt, als hätte er irgendein düsteres Geheimnis oder als würde er von innen heraus vergiftet!«

»Das habe ich nie gesagt«, entgegnete Sannáh sanft. »Wieso hörst du mir nicht zu?«

»Meine Tochter ist verliebt, Sannáh«, meinte Synnda Pánn. Die Trockenheit war noch in ihrer Stimme, aber die Härte war aus ihrem Gesicht gewichen. Sie seufzte ein letztes Mal. »Wir können heute Abend mehr darüber reden, Lys. Aber ich möchte, dass du eines gleich weißt: Wenn du ihn wirklich willst, dann werde ich dir nicht im Weg stehen. Natürlich werde ich das nicht. Doch du musst dir darüber im Klaren sein, worauf du dich einlässt.«

Mit diesen Worten wandte sich Synnda Pánn ab und ging zurück ins Haus. Sie hätte es besser wissen sollen, als ein solches Gespräch in Sannáhs Gegenwart zu beginnen. Manchmal fragte sie sich, wie Tante und Onkel Kenntemp mit dem Mädchen überhaupt zurechtkamen, bodenständige Leute, die sie waren. Besagtes Mädchen blickte Synnda Pánn nach und klopfte gedankenverloren mit ihrem Pinsel gegen ihr Knie, der unbekümmert schwarze Farbspritzer auf ihrem hellen Kleid verteilte.

»Wähntest du etwa, Ich sollte das Leben hassen, In Wüsten fliehn, Weil nicht alle Knabenmorgen-Blütenträume reiften?«, sagte sie, wieder in ihrem Singsangton, und Lys rollte die Augen.

»Ahn, du liest eindeutig zu viel terranisches Zeugs. Und glaub ja nicht, dass ich so schnell vergesse, was du über Eftnek gesagt hast. ›Dunkle Wurzeln‹, also wirklich! Und ich mag es nicht, wenn du ihn ›der Holzsteinschnitzer‹ nennst. Er hat einen Namen, weißt du!«

Sannáh wandte ihren ruhigen Blick ihrer Freundin zu. »Du hörst eine Beleidigung, wo es keine gibt, Lys Feuerstein.«

Diese schmollte immer noch ein bisschen, auch wenn sie sich in Wahrheit über ihre Mutter ärgerte, die sie eben wie ein kleines Kind behandelt hatte, und nicht über Sannáh.

»Ich habe dich nie etwas Ähnliches über Nohaín sagen hören – irgendein ominöses Gerede über seine Dunkelheit.«

»Weil er keine hat, Lys. Glaub mir, Nohaín ist nicht das Problem.«

»Aber Eftnek schon, ja?«

»Vielleicht nicht«, entgegnete Sannáh und strich abwesend einen weiteren schwarzen Wirbel in ihr Bild. »Aber ich ganz bestimmt.«

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382 S. 5 Illustrationen
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9783753198965
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Zweite Buch in der Serie "Die Erste Tochter"
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