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Buch lesen: «Winnetou 3», Seite 13

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»Halt, sonst sind alle Söhne der Comanchen verloren!«

Sie prallten wirklich zurück. Sie kannten wohl diese Art von Instrument noch gar nicht; hatten sie aber wirklich schon eines gesehen, so konnten sie ja gar nicht wissen, was für unheilvolle Wirkungen außerdem mit seinem Gebrauche verbunden waren.

»Was will der weiße Mann tun?« fragte To-kei-chun. »Warum bleibt er nicht in seinem Wigwam?«

»Old Shatterhand ist ein großer Medizinmann unter den Bleichgesichtern,« antwortete ich; »er wird den roten Männern zeigen, daß er alle Seelen der Comanchen töten kann.«

Ich steckte das Fernrohr wieder zu mir und nahm den Henrystutzen vor.

»Die roten Männer mögen sehen den Pfahl dort vor dem Zelte!«

Ich deutete auf eine Stange, welche vor einem der entfernteren Zelte stand. Dann erhob ich das Gewehr und schoß. Der Pfahl war oben an seiner Spitze durchlöchert, und ein Gemurmel des Beifalls ließ sich hören. Der Wilde erkennt Mut und Geschicklichkeit selbst bei seinen ärgsten Feinden an. Beim zweiten Schusse drang die Kugel einen halben Zoll unter der ersten ein; beim nächsten Schusse schlug die dritte in gleicher Entfernung unter der zweiten ein; aber Beifall ließ sich nicht hören, denn die Indsmen wußten nur von Doppelgewehren und hatten keine Ahnung von der Beschaffenheit eines Henrystutzens. Beim vierten Schusse stand die ganze Menge regungslos; beim sechsten und siebenten wurde das Erstaunen noch größer, dann ging dieses Erstaunen in eine Bestürzung über, die sich in den Gesichtern Aller malte. So versandte ich zwanzig Kugeln, eine jede einen halben Zoll unter der vorherigen, dann aber hörte ich auf. Ich hing das Gewehr mit ruhiger Miene über die Schulter und sagte gelassen:

»Sehen nun die roten Männer, daß Old Shatterhand ein großer Medizinmann ist? Wer ihm ein Leid tun will, der muß sterben. Howgh!«

Jetzt schritt ich durch die Menge hindurch, ohne daß nur Einer den Versuch gewagt hätte, mich anzuhalten. Zu beiden Seiten der Zeltgasse standen die Frauen und Mädchen vor den Türen und staunten mich an, wie ein höheres Wesen; ich konnte sehr zufrieden sein mit dem Eindruck, den meine kleine Spiegelfechterei hervorgebracht hatte.

Vor einem der nächsten Zelte stand eine Wache. Drinnen befand sich jedenfalls ein Gefangener, Wer konnte es sein? Ich ging noch mit mir zu Rate, ob ich den Posten fragen solle oder nicht, als ich aus der Türlücke eine wohlbekannte Stimme vernahm:

»Massa, oh, oh, lassen heraus Nigger Bob! Indian‘ haben fangen Bob und werden schlachten und fressen Bob.«

Ich trat hinzu, öffnete die Tür und ließ ihn heraus. Die Wache war so eingeschüchtert, daß sie keinen Widerstand leistete, und auch unter den Wilden, welche mir folgten, erhob sich kein Einspruch.

»Bist du gleich hier hereingesteckt worden, als wir in das Dorf kamen?« fragte ich den Schwarzen.

»Ja, Massa. Indian‘ nehmen Bob von Pferd und führen ihn in Hütte; dort stecken bis jetzt.«

»So hast du keine Ahnung, wo dein Massa Bernard sein mag?«

»Von Massa Bern‘ nichts sehen, nichts hören Bob!«

»Komm, und halte dich eng hinter mir!«

Wir waren nur um einige Zelte weitergegangen, so kamen uns schon die vier Häuptlinge mit einer zahlreichen Begleitung entgegen. Die vorsichtigen Leute waren uns hinter den Zelten vorausgeeilt, um mich in meinem Spaziergange zu unterbrechen. Ich legte die Hand an den Kolben meines Stutzens, doch To-kei-chun gab mir schon von weitem durch einen Wink zu verstehen, daß er in keiner feindseligen Absicht komme. Ich blieb stehen und erwartete ihn.

»Wohin will mein weißer Bruder gehen? Er komme mit zum Platze der Beratung, wo die Häuptlinge der Comanchen mit ihm sprechen werden!«

Vorher war ich der ›weiße Mann‹ oder das ›Bleichgesicht‹; jetzt nannte er mich seinen ›weißen Bruder‹, ich mußte mich also doch bei diesen Leuten einigermaßen in Respekt gesetzt haben.

»Werden meine roten Brüder das Calumet mit mir rauchen?«

»Sie werden mit ihm reden, und wenn seine Worte gut sind, wird er sein, wie ein Sohn der Comanchen.«

»So mögen meine Brüder gehen; Old Shatterhand wird ihnen folgen!«

Es ging wieder rückwärts, an meinem Zelte vorüber. Etwas weiter oben, ja wirklich, da sah ich Sams alte Tony angehängt stehen und daneben Winnetous und Bernards Pferd. Die drei Gefangenen selbst aber befanden sich nicht in der Nähe, sonst hätte ich ihre Wache bemerken müssen.

Endlich kamen wir an eine Stelle, an welcher sich die Zeltreihe erweiterte und einen beinahe kreisförmigen Platz bildete, der von mehreren Reihen von Indianern eingefaßt war. Dies war sicherlich der Ort der Beratung.

Die Häuptlinge schritten auf die Mitte desselben zu und ließen sich nieder; eine Anzahl Wilder, gewiß aus irgend einem Grunde Bevorzugte, näherte sich und setzte sich den Häuptlingen gegenüber in einem Halbkreise zur Erde. Ich machte wenig Federlesens, setzte mich auch und gab sogar Bob einen Wink, hinter mir Platz zu nehmen. Dies schienen die Häuptlinge sehr mißfällig zu bemerken.

»Warum setzt sich der weiße Mann, da doch Gericht über ihn gehalten werden soll?« fragte To-kei-chun.

Ich machte eine Bewegung der Geringschätzung.

»Warum setzen sich die roten Männer, da doch Old Shatterhand über sie Gericht halten wird?«

Trotz der Regungslosigkeit ihrer Mienen bemerkte ich doch, daß diese Art der Antwort sie überraschte.

»Der weiße Mann hat eine scherzhafte Zunge, doch er mag sitzen bleiben. Aber warum befreit er den schwarzen Mann und bringt ihn mit in die Versammlung? Weiß er nicht, daß der Nigger nie sitzen darf, wenn der rote Mann dabei ist?«

»Der schwarze Mann ist mein Diener; wenn ich es ihm gebiete, so setzt er sich, und wenn viele Tausend Häuptlinge dabei stehen. Ich bin bereit, man beginne die Beratung!«

Ich wußte sehr genau, daß nur in dieser unverfrorenen Weise ein Heil für mich zu finden sei. Je schroffer ich auftrat, natürlich ohne sie direkt zu beleidigen, desto mehr imponierte ich ihnen; ein passiver Gehorsam wäre mein sicheres Verderben gewesen.

To-kei-chun brannte das Calumet an und gab es herum; mir wurde es nicht gereicht. Als diese einleitende Zeremonie beendet war, erhob er sich und begann seine Rede. Gegen Fremde sind die Indianer außerordentlich schweigsam; wo es aber gilt, da entwickeln sie eine Redseligkeit, die derjenigen einer deutschen Versammlung keineswegs nachsteht. Es gibt unter ihnen Häuptlinge, die wegen ihrer Rednertalente weithin berühmt sind und mit ganz derselben rhetorischen Geschicklichkeit zu Werke gehen, wie die großen Redner der zivilisierten Völker alter und neuer Zeit. Ihre blumenreiche Sprache erinnert sehr an die Ausdrucksweise der orientalischen Völkerschaften. Der Häuptling begann mit der gewöhnlichen Einleitung, wenn es gilt, gegen einen Weißen zu sprechen, nämlich mit einer Anklage gegen die ganze Rasse der Bleichgesichter:

»Der weiße Mann möge hören, denn To-kei-chun, der Häuptling der Comanchen, wird sprechen! Es sind nun viele Sonnen her, da wohnten die roten Männer ganz allein auf der Erde zwischen den beiden großen Wassern. Sie bauten Städte, sie pflanzten Bäume, sie jagten den Bison. Ihnen gehörte der Sonnenschein und der Regen; ihnen gehörten die Flüsse und Seen; ihnen gehörte der Wald, das Gebirge und alle Savannen des weiten Landes. Sie hatten ihre Frauen und Töchter, ihre Brüder und Söhne und waren glücklich. Da kamen die Bleichgesichter, deren Farbe ist wie der Schnee, deren Herz aber ist wie der Ruß des Rauches. Es waren ihrer nur wenige, und die roten Männer nahmen sie auf in ihre Wigwams. Doch sie brachten mit die Feuerwaffen und das Feuerwasser; sie brachten mit andere Götter und andere Priester; sie brachten mit den Verrat, viele Krankheiten und den Tod. Es kamen immer mehr von ihnen über das große Wasser; ihre Zungen waren falsch und ihre Messer spitz; die roten Männer glaubten ihnen und wurden betrogen. Sie mußten das Land hergeben, wo die Gräber ihrer Väter lagen; sie wurden aus ihren Wigwams und ihren Jagdgebieten verdrängt, und wenn sie sich wehrten, so tötete man sie. Um sie zu besiegen, säten die Bleichgesichter Zwietracht unter die Stämme der roten Männer, die nun getötet werden und sterben müssen, wie Coyoten in der Wüste. Fluch ihnen, so viel Sterne am Himmel sind und Blätter auf den Bäumen des Waldes!«

Ein lauter Beifallruf belohnte diese Interjektion des Häuptlings, der so laut sprach, daß er rundum deutlich gehört werden konnte. Er fuhr fort:

»Eines von diesen Bleichgesichtern ist in die Wigwams der Comanchen gekommen. Dieser Weiße hat die Farbe der Lügner und die Sprache der Verräter. Die roten Krieger werden aber seine Worte hören und mit Gerechtigkeit über ihn richten. Er mag sprechen!«

Er setzte sich wieder nieder, und nun erhoben sich die andern drei Häuptlinge, einer nach dem andern. Jeder hielt eine Rede in demselben Sinne und schloß daran die Forderung an mich, zu sprechen. Ich hatte während dieser Vorträge mein kleines Skizzenbuch hervorgezogen und bemühte mich, die vor mir sitzenden Häuptlinge mit dem Hintergrunde der Krieger und der Zelte zu skizzieren.

Als die vierte Rede unter Beifall vollendet war, winkte To-kei-chun mit der Hand zu mir herüber:

»Was tut der weiße Mann, während die Häuptlinge der Comanchen sprechen?«

Ich riß das Blatt aus dem Buche, erhob mich und gab es ihm.

Der große Häuptling der Racurroh mag selbst sehen, was ich tue!«

»Uff!« rief er beinahe überlaut, als er einen Blick auf das Blatt warf.

»Uff! Uff! Uff!« klang es noch dreimal, als die drei andern Häuptlinge das Blatt ergriffen, und To-kei-chun fügte hinzu:

»Das ist eine große Medizin! Der weiße Mann zaubert die Seelen der Comanchen auf dieses weiße Fell. Hier sitzt To-kei-chun, hier sind seine drei Brüder und dort stehen ihre Krieger und Zelte! Was will das Bleichgesicht damit tun?«

»Das soll der rote Mann gleich sehen!«

Ich nahm ihm das Blatt aus der Hand und ließ auch die hinter mir sitzenden Krieger einen Blick auf dasselbe werfen, die ebenso erstaunt waren, wie die Häuptlinge selbst. Dann knitterte ich es zusammen, rollte es zwischen den Händen zu einer Kugel und steckte diese in den Lauf meiner Büchse.

»To-kei-chun, du selbst hast gesagt, daß ich eure Seelen auf dieses Papier gezaubert habe; jetzt stecken diese Seelen in dem Laufe meines Gewehres. Soll ich sie hinausschießen in die Luft, daß sie von den Winden zerrissen werden und niemals in die ewigen Jagdgründe gelangen?«

Der Eindruck dieses Streiches war drastischer, als ich erwartet hatte. Alle vier Häuptlinge sprangen empor, und ringsumher ertönte ein einziger Schrei des Entsetzens. Ich beeilte mich, sie zu beruhigen:

»Die roten Männer mögen sich setzen und das Calumet mit mir rauchen; wenn sie meine Brüder sind, werde ich ihnen ihre Seele zurückgeben!«

Sie nahmen sehr schnell wieder Platz, und To-kei-chun griff zur Pfeife. Es kam mir ein lustiger Einfall, durch den ich diese Leute vielleicht noch willfähriger machen konnte. Einer der drei Häuptlinge hatte nämlich auf seinem büffelledernen Jagdrocke als besondere Zierde zwei talergroße Messingknöpfe. Ich trat nahe zu ihm heran.

»Mein roter Bruder, leihe mir einmal diesen Schmuck; er wird ihn gleich wieder bekommen!«

Ehe er sich weigern konnte, hatte ich ihm beide Knöpfe abgedreht und trat um einige Schritte zurück, ohne mich um seine Bestürzung zu bekümmern.

»Meine roten Brüder sehen hier diese Knöpfe zwischen meinen Fingern, einen in jeder Hand; sie mögen genau aufmerken!«

Ich tat, als schleuderte ich die Knöpfe in die Luft, und hielt ihnen dann die leeren Hände entgegen.

»Meine Brüder mögen herschauen! Wo sind die Knöpfe?«

»Fort!« rief ihr Besitzer mit aufsteigendem Zorne.

»Ja; sie sind fort, weit hinauf gegen die Sonne. Mein roter Bruder mag sie herunterschießen!«

»Das kann kein roter und kein weißer Mann, auch kein Zauberer!«

»So werde ich es tun! Meine roten Brüder mögen aufmerken, wenn die Knöpfe herabkommen!«

Ich nahm nicht meine Büchse, weil in derselben die Skizze stak, sondern das alte, geladene Doppelgewehr, welches neben To-kei-chun lag, richtete den Lauf desselben kerzengerade empor und drückte ab. Einige Sekunden später schlug etwas hart neben uns in den Boden. Der Besitzer des kostbaren Knopfes fuhr hinzu und grub ihn mit Hilfe seines Messers aus der Erde.

»Uff, er ist‘s!«

Während alle den wunderbaren Gegenstand betrachteten, legte ich den zweiten Knopf auf die Mündung des zweiten Laufes und richtete das Gewehr empor. Der Schuß krachte und jedermann blickte in die Höhe. Da stieß Bob einen lauten Schrei aus, sprang vom Boden auf und rieb sich, auf einem Beine umherspringend, die Achsel.

»Oh, ah, Massa mich treffen, Nigger Bob auf Achsel schießen!«

Der Knopf war ihm wirklich auf die Schulter gefallen und lag neben ihm am Boden. Der Häuptling hob ihn auf und steckte die beiden wiedererlangten Wertobjekte mit einer Miene zu sich, in welcher der feste Entschluß lag, sie nicht wieder in die Sonne werfen zu lassen. Dieses kleine Taschenspielerstückchen machte, so leicht es ist, einen außerordentlichen Eindruck. Ich hatte zwei Knöpfe in die Sonne geworfen und sie wieder heruntergeschossen; sie waren wirklich oben gewesen, sonst hätte der eine nicht so tief in die Erde geschlagen und der andere dem Schwarzen, der vor Schmerzen die fürchterlichsten Gesichter schnitt, eine so respektable Beule verursacht. Die Häuptlinge saßen still am Boden, sichtlich nicht wissend, wie sie sich jetzt zu benehmen hätten, und ihre Umgebung wartete mit Spannung der Dinge, die nun kommen würden. Ich versuchte, die Spannung in einer allerdings etwas gewagten Weise zu lösen. Neben To-kei-chun lag noch die Pfeife nebst dem Opossumbeutel, in dem sich der nach indianischer Sitte mit Hanfblättern vermischte Tabak befand. Ich ergriff das Calumet, stopfte es, nahm meine stolzeste Haltung an und begann:

»Meine roten Brüder glauben an einen großen Geist, und sie haben recht, denn ihr Manitou ist auch mein Manitou; er ist der Herr des Himmels und der Erde, der Vater aller Völker und will, daß alle Menschen in Frieden und Eintracht bei einander wohnen. Die roten Männer sind wie das Gras zwischen diesen Zelten; die Bleichgesichter aber haben eine Zahl wie die Halme aller Prairien und Savannen. Sie sind herübergekommen über das große Wasser und haben vertrieben die roten Männer von ihren Jagdgründen; das ist nicht gut von ihnen. Aber warum hegen da die roten Männer Feindschaft gegen alle Bleichgesichter? Wissen die roten Männer nicht, daß sehr viele Nationen der Bleichgesichter auf Erden wohnen und daß es nur drei von ihren Stämmen sind, welche die roten Krieger vertrieben haben? Wollen die Krieger der Comanchen ungerecht sein und den Unschuldigen mit dem Schuldigen hassen? Old Shatterhand gehört zu dem mächtigen und weisen Stamme der Germani; hat dieser Stamm den roten Männern jemals ein Leid getan? Die großen Häuptlinge der Germani zürnen den Häuptlingen der drei bösen Stämme, also sind die Krieger der Germani Freunde und Brüder der roten Männer. Meine roten Brüder mögen anblicken Old Shatterhand, der vor ihnen steht! Sehen sie in seinem Gürtel den Skalp eines roten Mannes? Finden sie an seiner Lanze, seinen Leggins und Mokassins die Haare eines ihrer Brüder? Wer kann sagen, daß er seine Hand tauche in das Blut der roten Männer? Er hat mit seinen Freunden im Walde gelegen, als die Krieger der Racurroh mit seinen beiden Feinden das Calumet rauchten, und keinem ein Haar gekrümmt. Er hat Ma-ram, den Sohn des großen Häuptlings To-kei-chun, gefangen genommen; aber er hat ihn nicht getötet, sondern ihm seine Waffen gegeben und ihn in das Wigwam seines Vaters geführt. Hat er nicht sechs Krieger der Racurroh töten können und ihnen nichts getan, sondern nur den Einen gebunden, damit ihn seine Brüder finden und losbinden können? Konnte er nicht folgen den Kriegern, welche in die Berge gezogen sind, viele von ihnen töten und das Grabmal des toten Häuptlings entweihen? Hat er nicht mit seiner Büchse geschossen auf die beiden Bleichgesichter, welche die Wache der Comanchen töteten und dann mit dem Golde entflohen? Hat er nicht die Seelen der Comanchen in seinem Rohre und will sie dennoch nicht verderben? Kann er nicht alle Medizinen der Racurroh in die Sonne werfen, ohne daß er sie wieder herunterschießt, und dennoch begehrt er, der Bruder der Comanchen zu sein und das Calumet mit ihnen zu rauchen? Die Häuptlinge der Comanchen sind tapfer, weise und gerecht; wer das nicht glaubt, den wird Old Shatterhand töten mit dem Rohre, aus welchem tausend Kugeln kommen, und darum wird er jetzt mit ihnen den Rauch des Friedens essen!«

Ich steckte den Tabak in Brand, tat zwei Züge nach dem Himmel und der Erde, vier nach den Weltgegenden und gab dann To-kei-chun die Pfeife. Es gelang mir wirklich, ihn zu überrumpeln; er nahm das Calumet, tat seine sechs Züge und gab es dann weiter; der letzte Häuptling gab es mir zurück, und jetzt erst setzte ich mich, und zwar mitten unter sie hinein.

»Wird mein weißer Bruder uns nun unsere Seelen wiedergeben?« fragte einer der Häuptlinge besorgt.

Ich mußte sehr vorsichtig antworten:

»Bin ich nun unter den roten Männern wie ein Sohn der Comanchen?«

»Old Shatterhand ist unser Bruder; er ist frei. Er wird eine Hütte erhalten und kann tun, was er will.«

»Welche Hütte werde ich bekommen?«

»Old Shatterhand ist ein großer Krieger; er wird das Zelt erhalten, welches er sich wählt.«

»So mögen meine roten Brüder mit ihm kommen, damit er wählen kann!«

Sie erhoben sich, um mir zu folgen. Ich schritt die Zeltreihe noch weiter aufwärts, bis ich eine Hütte bemerkte, vor welcher vier Männer Wache hielten. Ich legte die Hände an den Mund und stieß das Geheul des Coyoten aus, und sofort wurde mir aus dem Innern des Zeltes die erwartete Antwort. Ich tat einen Sprung bis an die Tür und rief:

»Hier ist die Wohnung von Old Shatterhand!«

Die Häuptlinge sahen einander höchst verblüfft an, denn diesen so leicht denkbaren Fall hatten sie gar nicht vorgesehen.

»Dieses Zelt kann mein weißer Bruder nicht bekommen!«

»Warum?«

»Es gehört den Feinden der Comanchen.«

»Wer sind diese Feinde?«

»Zwei Bleichgesichter und ein roter Mann.«

»Wie sind die Namen dieser Männer?«

»Der rote Mann ist Winnetou, der Häuptling der Apachen, und einer der Weißen ist Sans-ear, der Indianertöter.«

Wußten sie noch gar nicht, daß ich der Gefährte der Gefangenen gewesen war? Ich hatte allerdings zu Ma-ram kein Wort darüber gesprochen, aber es mußte doch durch Patrik zur Sprache gekommen sein.

»Old Shatterhand will diese Männer sehen!«

Mit diesem Worte trat ich ein; sie folgten augenblicklich.

Die Gefangenen lagen, an Händen und Füßen gebunden, an der Erde und waren außerdem noch an die Zeltstangen gefesselt. Sie hatten jedenfalls bereits meine Stimme erkannt, aber keiner von ihnen sprach ein Wort, keiner verriet durch eine Miene die frohe Empfindung, welche meine Anwesenheit hervorrufen mußte.

»Was hatten diese Männer getan?« fragte ich.

»Sie haben getötet die Krieger der Comanchen.«

»Hat mein roter Bruder dies gesehen?«

»Die Krieger der Racurroh wissen es.«

»Die Krieger der Racurroh werden es beweisen müssen! Dieses Zelt ist mein, und diese drei Männer sind meine Gäste!«

Ich zog das Messer, um die Bande der Gefangenen zu lösen; da ergriff einer der Häuptlinge meinen Arm.

»Diese Männer müssen sterben. Mein weißer Bruder wird sie nicht zu seinen Gästen machen!«

»Wer kann mir das verbieten?«

»Die vier Häuptlinge der Racurroh!«

»Sie mögen es wagen!«

Ich stellte mich zwischen sie und die Gefangenen. Außer ihnen war nur Bob eingetreten.

»Bob, schneide die Stricke entzwei; zuerst bei Winnetou!«

Der Neger hatte sich bereits zu seinem Herrn geschlichen; doch folgte er meinem Befehle, da auch er den Gedanken haben mochte, daß Winnetou uns mehr nutzen könne, als Bernard.

»Der schwarze Mann mag sein Messer einstecken!« gebot derselbe Häuptling, aber bereits war Winnetou frei von seinen Fesseln.

»Uff!« rief der Häuptling, als er seinen Befehl mißachtet sah, und wollte sich auf Bob werfen, der bereits über Sam kniete, um ihn zu befreien.

Ich trat ihm entgegen; er zuckte das Messer auf mich und traf mich, da ich mich schnell zur Seite wandte, in den Oberarm. Er hatte nicht Zeit, das Messer aus der Wunde zu ziehen; ein Faustschlag von mir streckte ihn zu Boden; ein zweiter traf mit derselben Wucht seinen Nebenmann; dann faßte ich den Dritten bei der Kehle, während Winnetou trotz seiner geschwollenen Handgelenke seine Finger bereits um den Hals To-kei-chuns gelegt hatte.

Nur das einzige »Uff!« war erschollen; draußen standen die Wächter, dennoch waren wir in zwei kurzen Minuten Herren der Hütte, und die Häuptlinge lagen gebunden und geknebelt am Boden.

»Heavens, war das Hilfe in der Not!« meinte Sam, indem er sich die vor Schmerz und der Stockung des Blutes beinahe bewegungslosen Glieder rieb. »Charley, wie hast du das nur zum Beispiel fertig gebracht?«

»Später erkläre ich euch das, jetzt aber bewaffnet euch vor allen Dingen; diese vier Männer tragen genug Waffen bei sich!«

Auch ich öffnete, um allen Eventualitäten begegnen zu können, den an meinem Gürtel hängenden Munitionsbeutel und lud meinen Stutzen wieder. Während dieser kurzen Arbeit gab ich ihnen meine Verhaltungsmaßregeln, welche darauf hinausliefen, die vier Häuptlinge augenblicklich zu töten, wenn man einen Angriff auf uns unternehmen sollte. Dann trat ich aus der Hütte. Die Wachen hatten sich aus Respekt vor den Häuptlingen etwas von derselben zurückgezogen, und weiterhin stand eine bedeutende Anzahl von Comanchen, welche uns gefolgt waren, neugierig auf den Verlauf des gegenwärtigen Abenteuers. Ich ging zunächst zu den Wachen.

»Meine Brüder haben vernommen, daß Old Shatterhand ein Häuptling der Comanchen geworden ist?«

Das Senken ihrer Augen bedeutete eine bejahende Antwort.

»Die roten Krieger werden die Hütte gut bewachen und Keinen hineinlassen, bis die Häuptlinge anders befehlen!«

Nun trat ich zu den Anderen.

»Meine Brüder mögen gehen und alle Krieger nach dem Ort der Beratung rufen!«

Sie zerstreuten sich, und ich schritt allein der angegebenen Stelle zu. Wer mit den Gebräuchen der Wilden nicht vertraut ist, wird in meinem Verhalten eine fürchterliche Waghalsigkeit suchen, doch mit Unrecht. Der Indianer ist keineswegs der ›Wilde‹, für den er ausgegeben wird. Er hat seine unumstößlichen Gesetze und Gebräuche. Wer sich dieselben nutzbar zu machen versteht, läuft wenig Gefahr. Übrigens handelte es sich hier ja gleich von vornherein um Leben oder Tod, und mehr als das Leben konnte ich also durch kein Wagnis auf das Spiel setzen.

Es gelang mir unterwegs, die Spuren des unbedeutenden Stiches zu verwischen; dann setzte ich mich da nieder, wo ich vorhin gesessen hatte, In zehn Minuten war der ganze Platz von Kriegern angefüllt. in der Mitte blieb ein freier Raum, in welchem sich jene Bevorzugten niedergelassen hatten, die bereits vorhin gegenwärtig gewesen waren. An andern Orten geht eine Versammlung nie ohne Lärm ab; hier aber unter diesen sogenannten Wilden wurde kein einziges Wort gesprochen. Jeder kam ernst und still, suchte sich seinen Platz und stand dann bewegungslos wie eine Statue, um das Kommende zu erwarten.

Ich winkte die vorhin erwähnten Ausgezeichneten zu mir heran; sie nahmen vor mir in einem Halbkreise Platz und ich begann:

»Old Shatterhand ist Häuptling der Comanchen geworden. Meine Brüder haben es gehört?«

»Wir wissen es,« antwortete Einer für sie Alle.

»Er sollte sich eine Hütte auslesen und wählte das Zelt der Gefangenen. War es nun sein Eigentum?«

»Es gehörte ihm!«

»Und dennoch wurde es ihm verweigert. Sind die Häuptlinge der Comanchen Lügner? Die Gefangenen begehrten den Schutz von Old Shatterhand. Durfte er ihnen denselben verweigern?«

»Nein.«

»Er nahm sie in seinen Schutz und sagte, sie seien seine Gäste. Durfte er das tun?«

»Er hatte das Recht und die Pflicht dazu. Aber er darf sie dem Gerichte nicht entziehen; er darf nur sie beschützen und mit ihnen sterben.«

»Und er darf ihre Fesseln lösen, wenn er sich für sie verbürgt?«

»Das darf er.«

»So hat er nur getan, wozu er das Recht hatte; dennoch wollte ihn einer der Häuptlinge töten. Das Messer traf nur seinen Arm. Was darf ein Comanche tun, wenn ein anderer Mann ihn in seinem eigenen Zelte töten will?«

»Er darf ihn töten.«

»Und Alle, die dem Mörder helfen wollen?«

»Alle!«

»Meine Brüder sind weise und gerecht. Die vier Häuptlinge der Racurroh wollten mich ermorden; ich tötete sie aber nicht, sondern meine Hand schmetterte sie zu Boden; sie liegen gebunden in meiner Hütte und werden von meinen Gästen bewacht. Blut um Blut, Gnade um Gnade. Ich verlange die Freiheit meiner Gäste gegen die Freiheit meiner Mörder! Meine Brüder mögen sich beraten, und ich werde warten; aber sie mögen meine Gäste nicht beunruhigen, denn diese werden die Häuptlinge töten, wenn ein Anderer als Old Shatterhand in die Hütte tritt!«

Kein Zug ihres Gesichtes verriet den gewaltigen Eindruck, den diese Rede auf sie machen mußte. Ich zog mich soweit von ihnen zurück, daß ich ihre Worte nicht hören konnte. Sie bildeten, wie ich mir gleich beim ersten Zusammentreffen mit ihnen gedacht hatte, sozusagen ein unter den Häuptlingen stehendes Ratskollegium. Auf ihre Winke kamen von jeder Seite des Platzes einige Männer herbei, denen sie den Sachverhalt zur Weiterbeförderung an die Umstehenden mitzuteilen schienen. Diese Maßregel brachte einige Bewegung in der Versammlung hervor, aber ohne daß mir irgend welche Belästigung daraus erwuchs. Dann wurde lange, sehr lange beraten, bis sich drei von ihnen erhoben und zu mir traten. Einer nahm das Wort:

»Unser weißer Bruder hält die Häuptlinge der Racurroh gefangen in seiner Hütte?«

»So ist es.«

»Er wird sie den Kriegern der Comanchen ausliefern, damit diese über sie Gericht halten.«

»Meine Brüder vergessen, daß die Krieger nie über ihren Häuptling Gericht halten können, außer wenn er im Kampfe feig ist. Die Häuptlinge der Racurroh wollten Old Shatterhand töten; sie sind in seinem Wigwam, und er allein kann sie bestrafen.«

»Und was wird er mit ihnen tun?«

»Er wird sie töten, wenn er nicht die Freiheit seiner Gäste bekommt!«

»Kennt er diese Gäste?«

»Ja.«

»Es ist Sans-ear, der Indianertöter.«

»Haben meine Brüder gesehen, daß er einen Comanchen getötet hat?«

»Nein. Und Winnetou, der Pimo, der Hunderte von Comanchen tötete!«

»Hat er einen Racurroh getötet?«

»Nein. Wer ist der Dritte?«

»Ein Mann aus dem Norden, der noch niemals den Sohn einer roten Mutter tötete.«

»Wenn unser Bruder die Häuptlinge tötet, so wird auch er mit seinen Gästen erschlagen!«

»Meine Brüder treiben Scherz! Wer will Old Shatterhand töten? Hat er nicht die Seelen der Comanchen in dem Laufe seines Gewehres?«

Sie befanden sich in Verlegenheit und besannen sich. Unmöglich konnten sie ihre Häuptlinge preisgeben.

»Mein Bruder möge warten, bis wir wiederkehren!«

Sie entfernten sich, und die Beratung begann von neuem. Soweit ich blicken konnte, verriet kein Angesicht eine Spur von Haß oder Wut gegen mich. Ich wehrte mich mutig und vertraute ihnen; es war also keine Schande für sie, mit mir zu unterhandeln. Nach beinahe einer halben Stunde kehrten die drei Abgesandten wieder zu mir zurück.

»Old Shatterhand soll haben seine Freiheit und die Freiheit seiner Gäste den vierten Teil einer Sonne lang!«

Ah, also gerieten sie auf das alte Indianervergnügen, ihre Gefangenen freizulassen, um eine interessante Jagd abhalten zu können, und verbanden damit den Vorteil, alle Gefahr von ihren Häuptlingen abzuwenden. Sechs Stunden gaben sie uns Vorsprung; das war wenig; aber wenn wir grad sechs Stunden vor abends aufbrachen, so dehnte sich diese Frist zugleich über die ganze Nacht aus, während welcher sie uns doch nicht folgen konnten. Ich wäre unter den gegenwärtigen Verhältnissen ein Tor gewesen, wenn ich nicht zugegriffen hätte; doch mußte das allerdings mit der nötigen Zurückhaltung geschehen.

»Old Shatterhand sagt ja, wenn seine Gäste die Waffen zurückerhalten, die man ihnen abgenommen hat.«

»Sie werden sie bekommen.«

»Auch alles Andere, was ihnen gehörte?«

Ich zielte damit besonders auf die Wertsachen, welche Bernard bei sich getragen hatte, und von denen ich nicht wußte, ob er ihrer beraubt worden sei.

»Alles!«

»Meine weißen Gäste sind gefangen worden, obgleich sie den Racurroh nichts Böses getan hatten; die Häuptlinge aber sollen freigelassen werden, trotzdem sie mich töten wollten; der Tausch ist nicht gleich!«

»Was verlangt mein Bruder noch?«

»Dieser Stich im Arme soll kosten den Häuptlingen drei Pferde, die ich mir unter ihren Tieren auswähle; ich gebe ihnen dafür drei von den unsrigen.«

»Mein Bruder ist klug wie der Fuchs; er weiß, daß seine Tiere müde sind. Aber er soll haben, was er begehrt. Wann wird er die Häuptlinge gehen lassen aus seinem Wigwam?«

»Wenn er fortreitet von seinen roten Brüdern.«

»Und wird er geben die Seelen aus dem Laufe seiner Büchse?«

»Er wird sie nicht in die Winde schießen.«

»So möge er ziehen, wohin er will. Er ist ein großer Krieger und listiger Schakal; die Sinne der Häuptlinge der Comanchen sind verdunkelt gewesen, daß sie mit ihm geraucht haben das Calumet des Friedens. Howgh!«

Der Handel war gemacht, und ich konnte gehen. Die Umstehenden ließen mich unbehelligt durch, und langsam, ohne mich zu beeilen, schritt ich meinem Wigwam zu. Ich war natürlich mit der außerordentlichsten Spannung erwartet worden, und als ich allein eintrat, war dies ihnen ein Zeichen, daß die Sache nicht sehr schlimm abgelaufen sein könne.

»Nun?« fragte Bernard, den die Wißbegierde keinen Augenblick warten ließ.

»Wurden Euch Eure Diamanten oder Papiere abgenommen?«

»Nein. Warum?«

»Weil Ihr sie sonst wieder erhalten müßtet. Wir sind auf sechs Stunden frei!«

»Frei, Massa?« rief Bob. »Oh, ah, frei sein Bob und Massa Bern‘. Aber bloß sechs Stunden, dann wieder fangen Indian‘ Massa Bern‘ und Bob!«

»Well,« meinte Sam, »das ist Alles, was wir nur wünschen können. Das war ja eine ganz verteufelte Patsche, in die wir da zum Beispiel hineingeraten sind! Aber, wie steht es mit der Tony?«

»Die bekommst du, und dazu Alles, was dir gehört. Auch Winnetou erhält sein Pferd. Die andern Tiere aber sind zu angegriffen, und obgleich ich meinen braven Mustang nicht gern fortgebe, habe ich mir doch ausbedungen, unter den Pferden der Häuptlinge drei für uns auswählen zu dürfen.«