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Waldröschen IX. Erkämpftes Glück. Teil 2

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6. Kapitel

Während Cortejo und Landola sich auf diese Weise unterhielten, lehnte Peters in der Nähe des Schornsteins und blickte zu den Sternen. Er wußte nicht, ob er seine Gedanken dem Kapitän mitteilen solle. Da hörte er nahende Schritte und drehte sich um. Es war der Genannte, der seine gewöhnliche Runde machte. Das nahm Peters als ein Zeichen der Bejahung; er trat vor, legte die Hand an den Hut und sagte:

»Kapitän.« – »Was willst du, mein Sohn?« – »Darf ich fragen, was die beiden Passagiere sind?« – »Diese Frage solltest du eher an den Steuermann richten.« – »Weiß das wohl, Kapitän, aber mit den beiden ist es nicht richtig.« – »Warum? Der eine ist ein Advokat und der andere sein Sekretär.« – »Glaube ich nicht!« – »Weshalb?« – »Der Advokat mag immerhin ein Advokat sein, aber der Sekretär ist ein Seemann.« – »Ah! Woraus schließt du das?« – »Er fand im Dunkeln Ihre Kajüte, ohne mich nach ihr zu fragen.« – »So«, sagte der Kapitän. »Man sieht, daß dir die beiden allerdings nicht gefallen.« – »Nein, ganz und gar nicht, Kapitän.« – »So will ich dir sagen, daß es sehr gelehrte und ehrenwerte Herren sind. Deine Verdächtigungen sind grundlos, und du wirst mich nicht ähnliches wieder hören lassen.« – »Schön, Kapitän, werde gehorchen.«

Peters drehte sich unwillig ab und begab sich nach seiner Hängematte. Er hielt Wort und gehorchte, behielt aber die beiden scharf im Auge, bis der Dampfer an dem befestigten Felsen von San Juan d‘Ulloa vorüberrauschte und dann vor Verakruz Anker warf.

Die beiden Passagiere standen mit ihrem Gepäck zum Landen bereit, der Kapitän neben ihnen.

»Also Sie gehen direkt nach Mexiko?« fragte er den Advokaten. – »Ja«, antwortete dieser. – »Um zu sehen, ob Graf Ferdinando schon da ist?« – »Ja; ist er noch nicht da, so reiten wir nach der Hazienda.« – »Das ist der Weg, den auch mein Bote machen wird. Wie schade, daß er sich Ihnen nicht anschließen kann! Ich lasse ihn morgen abgehen.«

Sie wurden an das Land gerudert, ließen ihr Gepäck nach dem Zollhaus schaffen und begaben sich zu Fuß zu dem Agenten Gonsalvo Verdillo, dessen Wohnung beide kannten. Sie wurden von ihm, dem sie einfach als Fremde angemeldet worden waren, nicht mit großer Aufmerksamkeit empfangen.

»Was steht zu Diensten, Señores?« fragte er. – »Wir möchten eine kleine Erkundigung einziehen«, entgegnete Landola. – »Über wen?« – »Über einen gewissen Henrico Landola, Seeräuberkapitän.«

Der Agent wurde bleich, starrte ihn an und antwortete stockend:

»Ich verstehe Euch nicht, Señor.« – »Wirklich nicht?« – »Nein, nicht im geringsten.« – »Oh, du verstehst uns dennoch sehr gut, alter Schurke!«

Dem Agenten trat der Angstschweiß auf die Stirn.

»Señor, ich versichere Euch, daß ich ganz gewiß nicht weiß, was oder wen Ihr meint!« rief er. – »Wen ich meine? Nun, mich selbst!« – »Wie? Euch selbst?« – »Natürlich! Sage einmal, ist meine Verkleidung denn wirklich so gut, daß du mich nicht erkennst?«

Landola hatte vorher seine Stimme verstellt, nun gab er ihr den gewöhnlichen Klang. Da kehrte das Blut in die Wangen des Agenten zurück; er rief sichtlich erfreut:

»Höre ich recht? Diese Stimme!« – »Natürlich hörst du recht; ich bin es selbst!« – »Kapitän, willkommen! Verzeihung, daß ich Euch nicht gleich erkannte!«

Er streckte ihm die Hände entgegen. Landola schlug ein und meinte:

»Diese Gesichtsschmiere muß ausgezeichnet sein, da ein Mann, der zwölf Jahre mit mir gefahren ist, seinen alten Kapitän nicht erkennt.« – »Señor Capitano, Euer eigener Bruder würde Euch nicht erkannt haben«, versicherte der Mann. – »Nun, so erkennst du wohl auch diesen Señor nicht?«

Verdillo suchte vergebens, teils in seinem Gedächtnis und teils in Cortejos Zügen. Er schüttelte schließlich den Kopf und meinte:

»Habe ihn niemals gesehen.« – »Oh, hundertmal, alter Lügner«, behauptete Landola. – »Wo?« – »In Barcelona.« – »Könnte mich nicht besinnen.« – »Unser Reeder.«

Da schlug der Mann die Hände zusammen.

»Señor Cortejo? Wirklich? Nein, welch ein Gesicht! So eine Veränderung ist ein großes Meisterstück!« – »Allerdings«, meinte Landola, »wir haben es auch nötig. Aber sage, kannst du uns Auskunft über Señor Pablo geben?« – »Nein.« – »Über Señorita Josefa?« – »Nein.« – »Alle Teufel! Warum nicht?« – »Señorita sandte mir ein Schreiben, das ich an Señor Gasparino Cortejo abgehen lassen sollte. Ich habe es zur Auszeichnung mit der Ziffer 87 versehen. Ist es angekommen?« – »Ja«, antwortete Cortejo. »Zwei Tage vor unserer Abreise.« – »Seit dieser Zeit habe ich keine Nachricht.« – »Auch nicht von der Hazienda?« – »Nein.« – »Wie steht es in der Hauptstadt?« fragte Cortejo. – »Sie steckt voller Franzosen.« – »Verdammt! Da ist man seines Lebens nicht sicher.« – »Oh, sie führen keine üble Manneszucht.« – »So meinst du, daß man sich hinwagen könnte?« – »Ja, aber den Namen Cortejo dürftet Ihr nicht hören lassen.« – »Fällt mir nicht ein. Ich bin Don Antonio Veridante, Rechtsanwalt des Grafen Alfonzo de Rodriganda. Und dieser hier ist mein Sekretär. Notiere dir das zum eventuellen Gebrauch.«

Der Agent notierte sich die Namen wirklich und meinte:

»Ihr müßt entschuldigen, Señores, daß ich erschrak, als der Name Landola genannt wurde. Es befindet sich hier ein Mensch, der seit fünf Wochen täglich anfragt, ob Kapitän Landola noch nicht angekommen sei.« – »Ein Mensch, der fünf Wochen lang täglich nach mir fragt?« – »Ja.« – »Wie heißt er?« – »Er sagt es nicht.« – »Was will er?« – »Er entdeckt mir es nicht.« – »Woher ist er?« – »Das verrät er nicht.« – »Also ein höchst geheimnisvoller Mensch?« – »Ganz und gar. Ich habe ihn vergeblich abgewiesen, er kommt immer wieder.« – »Eine solche Beharrlichkeit ist unbedingt nicht ohne Grund. Zu welcher Stunde pflegt er zu kommen?« – »Er kommt außerordentlich pünktlich, um …« der Agent blickte nach der Uhr und fügte hinzu: »Es ist die Zeit. In einer Minute wird er klopfen.« – »So bin ich wirklich neugierig«, meinte Landola. – »Soll ich ihn hereinlassen?« – »Ja.« – »Und was ihm antworten?« – »Das übernehme ich.«

Landola hatte diese Worte kaum gesagt, so ertönte ein kurzes, kräftiges Klopfen, und auf das »Herein« des Agenten trat eine lange, sehnige Gestalt ein. Es war Grandeprise, unser alter Bekannter.

»Darf ich fragen, ob Señor Landola noch nicht angekommen ist?« erkundigte er sich in höflichem Ton.

Landola hielt beide Fäuste geballt; er hatte den Stiefbruder gleich erkannt und ahnte es, daß diesen nur die Rache herbeigetrieben hatte. Er bemeisterte jedoch seinen Grimm und fragte Grandeprise mit ein wenig verstellter Stimme:

»Was wollt Ihr von ihm, Señor?« – »Eine Kleinigkeit«, antwortete der Jäger. – »Worin besteht diese Kleinigkeit?« – »Das darf nur er erfahren.« – »Wer hat Euch gesagt, daß Ihr Euch hier nach ihm erkundigen könnt?« – »Das verrate ich nicht.« – »Ihr seid ein wunderbarer Kauz. Wie ist Euer Name?« – »Er gehört nur mir, nicht Euch.« – »Donnerwetter, das war grob.« – »Meinetwegen.« – »Nun, auf diese Weise kommt Ihr nicht zum Ziel.« – »Wieso?« – »Ist es denn etwas Wichtiges, was Ihr ihm mitzuteilen habt?« – »Ja, für ihn und für mich.« – »Ihr werdet ihn nicht eher treffen, als bis Ihr mir wenigstens die eine meiner Fragen beantwortet habt.« – »Welche?« – »Wer Euch hergewiesen hat.« – »Dann erfahre ich, wo er ist?« – »Ja.« – »Ganz gewiß. Ich stehe eben im Begriff, ihn aufzusuchen.« – »Ihr wißt also, wo er sich befindet?« – »Ja.«

Die Augen des Jägers leuchteten vor grimmiger Freude.

»So sollt Ihr es erfahren«, sagte er. – »Nun, wer hat Euch hergewiesen?« – »Pater Hilario im Kloster della Barbara zu Santa Jaga.«

Der Kapitän machte eine Bewegung des Erstaunens und sagte:

»Ich kenne den Pater nicht. Wer muß ihm diese Adresse verraten haben?« – »Wenn ich sicher wäre, Landola zu treffen, so würde ich Euch auch dies noch sagen«, meinte der Jäger. – »Ich gebe Euch mein Wort darauf«, erwiderte Landola. – »Nun gut! Der Pater hat die Adresse jedenfalls von Señor Pablo Cortejo erfahren.«

Dieser Name brachte eine kleine Aufregung unter den drei anderen Anwesenden hervor.

»Pablo Cortejo?« fragten alle drei zu gleicher Zeit. – »Ja.« – »Kennt Ihr ihn?« fragte Landola. – »Ja.« – »Ihr gehört wohl zu seinen Anhängern?« – »Nein.« – »Zu seinen Gegnern?« – »Nein.« – »Donnerwetter, wozu denn?« – »Zu nichts und niemand, ich treibe keine Politik.« – »Aber wie kommt Ihr da zu dem Prätendenten Cortejo?« – »Ich fand ihn verwundet am Fluß liegen und heilte ihn.« – »Alle Wetter! Wo war das denn?« – »Droben am Rio Grande del Norte.« – »Was wollte er dort?« – »Ein Engländer brachte Geld und Waffen für Juarez; Señor Cortejo wollte ihm dies wegnehmen, kam aber dabei mit Indianern in Streit. Er wurde an beiden Augen verwundet, so daß er im Schilf lag und nicht sehen konnte. Er getraute sich nicht vor. Da fand ich ihn.« – »Mein Gott«, rief Cortejo. »Er ist also blind?«

»Nicht ganz.« – »Was heißt das?« – »Das eine Auge ist ihm allerdings verloren gegangen; das andere jedoch haben wir mit Hilfe des Wunderkrautes geheilt.« – »Der Unvorsichtige! Wo befand sich denn zu jener Zeit Juarez?« – »Bereits in Coahuila.« – »Und mein – ah! Und Cortejo wagte sich bis zum Rio Grande?« – »Ja.« – »So hat er geradezu Gott versucht! Wohin ist er denn?« – »Er litt fürchterliche Schmerzen. Ich nahm ihn auf eins meiner Pferde und versuchte, ihn nach der Hacienda del Erina zu bringen.« – »Was wollte er dort?« – »Er sagte, daß seine Verwandten dort wohnten. Er hatte mir nämlich noch nicht gestanden, daß er Cortejo sei.« – »Ach so! Kam ihr durch?« – »Mit Mühe, denn die Scharen von Juarez waren nahe, und einige Truppen der Vereinigten Staaten lagen uns auch bereits im Weg. Aber mit Hilfe eines Umweges gelang es uns doch.« – »Wo war da Señorita Josefa?« – »Auf der Hazienda.« – »Ihr fandet sie dort?« – »Hm! In der Nähe, und wie! Denn die Hazienda war unterdessen erobert worden.« – »Von wem?« – »Von den Mixtekas, die sich erhoben hatten.« – »Für wen?« – »Für Juarez und gegen Cortejo.« – »Das ist Pech! Erzählt!« – »Wir langten des Nachts in der Hazienda an. Dort stießen wir auf Flüchtlinge von Cortejos Leuten, die dem Kampf entronnen waren. Die Hazienda war verloren und Señorita Josefa gefangen.« – »Und mein – ah! Und Cortejo blind!« – »Nur auf einem Auge. Das andere war bis dahin ziemlich heil geworden. Er zog die paar Flüchtlinge an sich, wobei ich erst bemerkte, wer er sei, und dann begaben wir uns des Morgens nach dem Berg El Reparo, auf dessen Höhe wir uns ausruhen und das weitere beschließen wollten. Kennen die Señores den Berg El Reparo?« – »Wir haben von ihm gehört.« – »Den Teich der Krokodile oben?« – »Ja.«

 

Cortejo dachte dabei mit Grauen an Alfonzo, der da oben an dem Baum gehangen hatte.

»Wir erreichten die Höhe«, fuhr der Jäger fort. »Als wir durch die Büsche brechen wollten, bemerkten wir einige Reiter, die am Teich abgestiegen waren. Es waren Mixtekas. Unter ihnen ihr Häuptling Büffelstirn und noch ein weißer Jäger, den sie Donnerpfeil nennen.« – »Ah, es ist ein Deutscher?« fragte Cortejo. – »Ja.« – »Er heißt Helmers?« – »So habe ich gehört.« – »Ich habt diese Kerle doch überfallen?« – »Das versteht sich, denn sie hatten die Absicht, Señorita Josefa den Krokodilen zu fressen zu geben.« – »Donnerwetter!« – »Ja, sie hing bereits an einem Lasso über dem Teich, und die Bestien schnappten nach ihr.« – »Gelang der Überfall?« – »Ja. Wir töteten die Mixtekas und retteten die Señorita.« – »Wurden auch der Häuptling und der Weiße getötet?« – »Nein. Sie hatten sich entfernt.« – »Jammerschade! Was tatet Ihr dann?« – »Cortejo wußte weder aus noch ein. Er durfte nicht zu den Franzosen, nicht zu den Deutschen, nicht zu den Indianern, und auch die Mexikaner waren ihm nicht freundlich gesinnt. Da schlug einer seiner Leute, der bei uns war, ihm vor, nach dem Kloster della Barbara zu gehen, wo er bei dessen Oheim ein Asyl finden werde.« – »Folgte er diesem Rat?« – »Ja.« – »So ist er noch dort?« – »Ja.« – »Warum habt Ihr ihn verlassen?« – »Um Señor Landola zu suchen.« – »Was wollt Ihr denn von ihm?« – »Ich habe Euch bereits gesagt, daß er allein das erfahren wird.« – »Es kann nichts Gutes sein, da Ihr so zurückhaltend seid.«

Grandeprise zuckte die Achseln und meinte:

»Ihr werdet nun Euer Wort halten, Señor. Ich habe Euch die geforderte Antwort gegeben und auch noch verschiedenes mehr dazu erzählt« – »Ich knüpfe eine Bedingung daran.« – »Welche?« – »Daß Ihr uns nach dem Kloster della Barbara geleitet.« – »Das geht nicht. Ich muß hierbleiben.« – »Wozu?« – »Um Landola zu sehen.« – »Ihr werdet ihn hier nicht sehen.« – »Ah! Wißt Ihr das so genau?« – »Ganz genau. Ich habe mich mit ihm bestellt. Er wird an demselben Tag im Kloster eintreffen, an dem auch wir ankommen.« – »Wirklich?« – »Wirklich.« – »Könnt Ihr das beschwören?« – »Bei allen Heiligen.« – »Gut, so werde ich Euch führen.« – »Vorher aber müssen wir einen Abstecher nach Mexiko machen.« – »Dazu habe ich keine Zeit.« – »So werdet Ihr Landola nicht treffen.«

Der Jäger betrachtete sich die beiden Fremden aufmerksam. Dann sagte er, mit dem Kolben seiner Büchse den Boden stampfend:

»Es ist möglich, daß die Señores mich hintergehen wollen; aber ich sage Ihnen, daß dies sehr zu Ihrem Schaden sein würde. Ich gehe mit nach Mexiko. Wann geht es fort?« – »In kürzester Zeit. Haben die Franzosen eine Eisenbahn in unserer Richtung gebaut?« – »Ja, um ihre Soldaten rasch aus Verakruz fortzubringen, wo stets das gelbe Fieber wütet. Gebaut eigentlich nicht, sondern mehr improvisiert.« – »Wohin geht sie?« – »Sie hat eine Fahrzeit von nur zwei Stunden und geht über La Soleda bis nach Lomalto.« – »Lomalto ist keine Fiebergegend mehr?« – »Nein, es ist dort gemäßigte Zone.« – »Gut; wir werden mit dem nächsten Zug fahren, nachdem wir unser Gepäck bei dem Zollamt versorgt haben.« – »Soll ich Euch helfen?« – »Nein. Erwartet uns am Bahnhof.« – »Ihr werdet kommen, ich traue Eurem Wort.«

Mit diesen Worten drehte Grandeprise sich um und schritt hinaus.

»Nicht wahr, Señores, ein sonderbarer Kerl?« fragte der Agent. – »Ja«, antwortete Cortejo. »Was mag er von Euch wollen, Landola?« – »Oh, ich weiß es genau.« – »Warum gabt Ihr Euch da nicht zu erkennen?« – »Pah! Ich habe wenig Lust, eine Büchsenkugel oder Messerklinge im Leib zu tragen!« – »Alle Wetter! Ist der Kerl so gefährlich?« – »Ja.« – »Ihr kennt ihn?« – »Sehr genau.« – »Wer ist es?« – »Mein Bruder.«

Cortejo öffnete vor Staunen den Mund, so weit er konnte.

»Euer Bruder?« fragte er. – »Ja.« – »Und er will Euch erschießen?« – »Ja. Er trachtet seit zwanzig Jahren danach, mich zu finden, um sich zu rächen.« – »Wofür?« – »Hm. Das gehört nicht hierher.« – »Auf wessen Seite ist denn eigentlich das Recht?« – »Auf der seinigen; das könnt Ihr Euch doch denken!« – »Jagt ihm eine Kugel durch den Kopf, so seid Ihr ihn mit einem Male los!« – »Das fällt mir nicht ein.« – »So wollt also Ihr Euch erschießen lassen?« – »Fällt mir gar nicht ein. Ich versuche nur das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Ich werde meinen geliebten Stiefbruder bei mir haben, der mir außerordentlich nützlich sein wird.« – »Stiefbruder also nur?« – Ja.« – »Na, da braucht Ihr doch keine Rücksicht zu nehmen. Kommt nach dem Zollamt, damit wir aus der Fieberluft dieses verteufelten Nestes fortkommen!«

Sie erteilten dem Agenten noch die nötigen Instruktionen und gingen dann, ihre Effekten zu versorgen. Als sie am Bahnhof ankamen, fanden sie den Jäger ihrer wartend. Es paßte mit den Zügen so gut, daß sie in kurzer Zeit bergaufwärts dampften.

7. Kapitel

Kurz nach dem Steamer des Kapitän Wagner war ein anderer Dampfer im Hafen erschienen, der aber in einiger Entfernung von dem ersteren Anker warf.

Wagner hatte seine Formalitäten jetzt erledigt und seine Befehle erteilt; er beabsichtigte an das Land zu gehen, um sich trotz des dort herrschenden Fiebers die Stadt zu besehen. Er befahl das kleine Gig, und als dasselbe klar war, begab er sich nach dem Fallreep. Es traf sich, daß er an Peters vorüber mußte. Er blieb, fast unwillkürlich, einen Augenblick bei dem Matrosen stehen und fragte:

»Nicht wahr, du hattest dich geirrt?« – »Nein, Kapt‘n.« – »In den beiden Fremden?« – »Nein.«

Das frappierte den Kapitän.

»Nicht?« fragte er, ein wenig überrascht. – »Ich hatte recht, Kapt‘n. Der eine war ein Seemann, und sie beide waren Schwindler.« – »Das würdest du schwerlich beweisen können.« – »Ich kann es beweisen,« meinte Peters phlegmatisch. – »Wieso?« – »Wer einen falschen Namen trägt, ist der nicht ein Schwindler?« – »Allerdings. Aber war denn das hier der Fall?« – »Ja.« – »Ihre Pässe waren in Ordnung.« – »Das mag sein. Aber wenn sie glaubten allein zu sein, so nannten sie sich bei ganz anderen Namen.« – »Hast du diese gehört?« – »Mehrere Male und ganz deutlich.« – »Wie hießen sie?« – »Der Advokat wurde von dem anderen Señor Cortejo genannt, und er selbst nannte den, der seinen Sekretär vorstellen sollte, entweder Kapitän oder Señor Landola.«

Wagner fuhr zurück, als hätte er einen Faustschlag vor die Brust erhalten.

»Ist das wahr?« fragte er fast schreiend. – »Ja, Kapt‘n!« – »Du hast es deutlich gehört?« – »So deutlich, als ob Sie es selbst jetzt vor meinen Ohren sagten.« – »Kerl, warum hast du mir es nicht sofort gemeldet?« – »Ich habe diese Menschen zweimal gemeldet, Kapt‘n, aber dann verboten Sie mir, wieder von ihnen zu sprechen. Ich kenne meine Pflicht.« – »Verdammt!«

Der Kapitän bog deckwärts um und ging einige Male mit großen Schritten auf und ab.

»Ah! Jetzt wird mir vieles klar!« brummte er. »Darum wußten sie so viel von Rodriganda. Ich habe mich da fürchterlich tölpelhaft benommen und mich von ihnen ausholen lassen wie ein Schuljunge. Das muß ausgebessert werden. Peters!«

Der Gerufene eilte schnell herbei.

»Kapt‘n!« sagte er, an den Hut greifend. – »Leg rasch die gute Jacke an, du gehst mit mir ans Land. Würdest du diese beiden sofort wiedererkennen?« – »Ja.« – »Auch von weitem?« – »Zehn Meilen weit, wenn nämlich keine Mauer dazwischen ist.« – »So eile! Wir müssen sie wiederfinden, und zwar um jeden Preis.«

Peters, ganz entzückt über die außerordentliche Ehre, mit dem Kapitän gehen zu können, sprang in höchster Eile davon und kehrte bereits nach wenigen Augenblicken im feinsten Putz zurück.

Sie stiegen in das Gig und gingen an das Land. Beim Landen fiel der Blick des Kapitäns auf eine große, weite Einfriedung, innerhalb welcher Grab an Grab sich aneinanderreihte.

»Das ist der Kirchhof der Franzosen«, sagte er, »welche unter dem hiesigen Gluthimmel dem fürchterlichen Fieber erliegen. Diese leichtsinnigen Kerle nennen ihn nichts anders als ›jardin d‘acclimatation‹, den Akklimatisierungsgarten.« – »Wer da liegt, der ist akklimatisiert«, brummte Peters.

Jetzt hielten die beiden nun eine Suche durch die Stadt. Alle Straßen wurden mehrere Male durchlaufen, und in jedem öffentlichen Haus kehrten sie ein. Am Zollamt hörten sie, daß ein Don Antonio Veridante hier gewesen sei, um sein Gepäck visitieren zu lassen.

So traten sie bereits zum zweiten Male in eine Restauration ein, wo sie vorher, ohne sich niederzulassen, nur die Gäste gemustert hatten. Jetzt war der Kapitän einigermaßen müde.

»Hier ruhen wir uns ein Weilchen aus«, sagte er und steuerte dabei mit breiten Schritten auf das einzige Tischchen zu, das noch leer stand.

Dort angekommen, wäre er beinahe erschrocken zurückgefahren. An dem Nachbartischchen saßen zwei Männer, ein jüngerer, der ein hochelegantes und männliches Aussehen hatte, und ein älterer, vor dem Wagner ebenso – sehr erschrocken war. Dieser Mann trug die gewöhnliche Tracht eines Jägers, hatte aber eine Nase von solchen Dimensionen, daß man ganz wohl erschrecken konnte, wenn man ihm unvorbereitet zu nahe kam.

Dieser Mann hatte gesehen, daß Wagner sich frappiert gefühlt hatte. Er spitzte den Mund, spuckte einen dicken Strahl braunen Tabaksaftes aus, nahm einen riesenhaften Schluck aus seinem Glas und sagte dann:

»Fürchtet euch nicht, Señor, sie tut Euch nichts. Das ist eine wahre Seele von einer Nase.«

Wagner lachte und antwortete:

»So darf ich also ohne Besorgnis hier Platz nehmen?« – »In Gottes Namen. Ansteckend ist sie nicht«

Das Äußere des jungen Mannes war so vornehm, daß Wagner sich unwillkürlich verbeugte und kurz sagte:

»Seekapitän Wagner.«

Der andere erwiderte die Verbeugung und sagte:

»Premierleutnant Helmers.«

Da verbeugte sich auch sein Nachbar und sagte:

»Dragonerkapitän Geierschnabel.«

Wagner wußte nicht, ob das Ernst oder Scherz sein sollte, er hatte auch nicht Zeit, darüber nachzudenken; sein Blick war auf den Oberleutnant gerichtet. Diesem mußte das auffallen, und darum fragte er mit einem höflichen Lächeln:

»Wir haben uns wohl bereits einmal gesehen?« – »Wohl schwerlich, Señor. Es beschäftigt mich aber eine außerordentliche Ähnlichkeit, die Sie mit einem Kameraden von mir haben.« – »Also auch einem Seemann.« – »Ja. Vater und Sohn können sich nicht ähnlicher sehen. Und eigentümlicherweise führt mein Freund auch Ihren Namen.« – »Helmers?« – »Ja.«

Kurts Gesicht nahm sofort den Ausdruck der größten Spannung an.

»Woher ist er?« – »Aus Rheinswalden bei Mainz.«

Bis hierher war die Unterhaltung in spanischer Sprache geführt worden, aber die Freude ebensowohl wie der Schmerz bedienen sich nur der Muttersprache. Kurt sprang empor und rief deutsch:

»Mein Vater, das ist mein Vater! Gott, welch ein Glück!« – »Sie sind ein Deutscher?« fragte Wagner, nun seinerseits erstaunt, indem er sich augenblicklich auch der deutschen Sprache bediente. – »Ja, freilich bin ich ein Deutscher. Oh, Kapitän, Sie nannten meinen Vater Ihren Kameraden. Wo haben Sie ihn gesehen, wo verließen Sie ihn, wo befindet er sich?« – »Erlauben Sie vorher eine Frage, Herr Leutnant.« – »Gewiß, ich stehe zu Ihrer Verfügung.« – »Seit wann ist Ihr Herr Vater abwesend?« – »Oh, er war verschollen, wohl an die zwanzig Jahre.« – »So ist es wahr, Sie sind sein Sohn.« – »Sie wissen, daß er noch lebt?« – »Ja, sehr genau.« – »Wo?« – »Hier in Mexiko. Ich traf vorhin mit meinem Dampfer ein, um ihn und seine Gefährten nach der Heimat zu bringen.« – »Seine Gefährten? Wer ist das?« – »Oh, ich weiß gar nicht, wie viele mit hinübergehen werden, wenn auch nicht für immer, aber doch zu einem Besuch.«

Geierschnabel rieb sich seine Nase mit solcher Vehemenz, daß es schien, als ob er sie sich mit aller Gewalt abbrechen wolle. Kurts Gesicht glänzte vor Entzücken. Er streckte dem Kapitän beide Hände entgegen und sagte:

»Herr Kapitän, ich hielt meinen Vater seit einer so langen Reihe von Jahren für verloren. Ich zog jetzt aus, ihn zu suchen. Vor einer Stunde warfen wir hier Anker, und nun sagen Sie mir, daß der Vater lebt. Hier meine Hände! Ich bitte, lassen Sie sich umarmen, als ob Sie der wiedergefundene Vater seien. Ich kann meinem Herzen jetzt unmöglich Gewalt antun.«

 

Er hatte die Augen voller Tränen; dem Kapitän ging es ebenso. Diese beiden Männer hatten sich nie gesehen, aber sie lagen Brust an Brust und umarmten sich mit einer solchen Herzlichkeit, die nur ein Ausfluß des innigsten Verwandtschaftsgefühls zu sein pflegt.

Auch Geierschnabel schob seine Flasche und sein Glas beiseite, streckte die Arme aus, spuckte sein Primchen fort und rief:

»Heißgeliebter Seekapitän, sinken Sie auch an diese meine Brust! Meine Freude ist so groß, daß ich sie nur in glühenden Küssen auszudrücken vermag. Worte kann mein Schnabel nicht mehr finden.«

Der brave Jäger hatte das allerdings in seiner Freude sehr ernsthaft gemeint, aber Wagner fuhr doch schnell zurück.

»Danke, danke«, sagte er eilig. »Bin unendlich verbunden.« – »So mag wenigstens Ihr hochgeehrter Matrose den Ausdruck meiner überströmenden Gefühle entgegennehmen.«

Peters streckte erschrocken alle zehn Finger von sich und rief:

»Danke ebenfalls. Sehr viel Ehre! Nehmen Sie es als geschehen an. Ich schmatze nie!« – »Verdammt!« zürnte der Jäger. »Daran ist nur diese meine Nase schuld! Ich werde sie kupieren lassen!«

Trotz der soeben zum Ausdruck gekommenen Gemütserregung ertönte doch ein herzliches Gelächter, in welches die anderen Gäste, mochten sie nun die Worte verstanden haben oder nicht, im Chor mit einstimmten. Die Gestikulationen wenigstens waren verstanden oder begriffen worden.

Als die Helden dieses kleinen Intermezzos wieder Platz genommen hatten, bat Kurt:

»Herr Kapitän, bitte um Auskunft, um recht schnelle und ausführliche Auskunft über meinen Vater.« – »Die sollen Sie haben, mein Liebster, nur ersuche ich um ein wenig Geduld.« – »Geduld? Geduld, in einer solchen Angelegenheit? Wollen Sie wirklich so grausam sein?« – »Verzeihung! Ich trat hier herein, nur um einen einzigen Schluck zu trinken und dann meine Jagd fortzusetzen. Ich suche nämlich zwei Verbrecher, um sie auf der Stelle arretieren zu lassen …« – »Verbrecher? Was haben sie getan?« – »Sie haben … ah, Sie sind ja der Sohn eines der Beteiligten. Sie müssen diese Halunken auch kennen, wenigstens von ihnen gehört haben. Wissen Sie, wen ich suche und verfolge?« – »Ihre letzte Bemerkung macht mich ganz begierig, es zu hören.« – »Die beiden Kerle heißen nämlich Landola und Gasparino Cortejo.«

Kurt erbleichte, aber nicht vor Schreck, sondern vor freudiger Überraschung.

»Landola und Gasparino Cortejo! Diese Männer suchen Sie?« – »Ja.« – »Hier drüben, hier in Mexiko, hier in Verakruz?« – »Ja.« – »Befinden sie sich denn hier?« – »Ja. Ich weiß es ganz genau. Herr Leutnant, Sie haben den größten Dummkopf vor sich, den die Erde trägt. Seit Rio de Janeiro habe ich diese beiden Schurken bei mir an Deck gehabt, ohne es zu ahnen. Dieser einfache Matrose hatte Verdacht und machte mich aufmerksam auf sie, ich aber schenkte ihm keinen Glauben. Erst als sie mein Schiff verlassen hatten, erfuhr ihr ihre Namen. Nun renne ich durch alle Kneipen und Straßen, ohne sie zu finden.«

Kurt hatte ihm mit allergrößter Spannung zugehört. Jetzt fiel er ein:

»Sie sind überzeugt, daß es die beiden wirklich sind?« – »Ja. Sie sind es. Ich will es mit tausend Eiden besiegeln!« – »So sind sie herübergekommen, um einen für uns fürchterlichen Schaden anzurichten, um einen Streich auszuführen, den wir mit Todesverachtung unmöglich zu machen suchen müssen. – Sie haben recht, da ist es nicht Zeit, zu berichten und zu erzählen. Diese beiden Kerle müssen unser werden. Wie waren sie gekleidet?«

Der Kapitän gab eine genaue Beschreibung ihrer äußeren Erscheinung.

»Dies genügt einstweilen«, meinte Kurt. »Alles andere für später. Sie haben die ganze Stadt durchsucht?« – »Ja, aber nichts gefunden.« – »Auch auf dem Bahnhof?«

Der gute Kapitän machte ein etwas verlegenes Gesicht und antwortete:

»Auf dem Bahnhof? Sakkerment, an den habe ich gar nicht gedacht.« – »Nicht?« fragte Kurt erstaunt. »Ich meine, daß der Bahnhof doch der erste Ort gewesen wäre, wo man sich erkundigen mußte.«

Um seinen offenbaren Fehler einigermaßen zu entschuldigen, meinte Wagner:

»Zunächst habe ich, wie ich bereits sagte, an den Bahnhof gar nicht gedacht. Wer erinnert sich gleich daran, daß es hier eine Eisenbahn gibt, also ein Verkehrsmittel, von dem sonst in derartigen tropischen Landstrichen gar keine Rede ist. Und sodann ist doch auch schwerlich anzunehmen, daß zwei Reisende einige Viertelstunden, nachdem sie das Schiff verlassen haben, bereits ihren Weg in das Innere des Landes fortsetzen.«

Kurt schüttelte bedenklich den Kopf.

»Gründe dazu hatten die beiden genug«, meinte er. »Zunächst liegt einem jeden Fremden daran, die tiefliegende und gefährliche Fiebergegend zu verlassen, und sodann hatten Sie ja mit ihnen über alle Verhältnisse der Familie Rodriganda gesprochen. Nicht?« – »Allerdings, Herr Leutnant.« – »Sie haben gesagt, daß die von der Insel Zurückgekehrten nach Mexiko gekommen seien, um ihre Feinde aufzusuchen und der gerechten Bestrafung zu überliefern?« – »Ja.« – »Auch daß die Genannten sich bereits monatelang in Mexiko befinden?« – »Auch das habe ich gesagt.« – »Nun, ist das nicht genug, um Cortejo und Landola zur allergrößten Eile zu bewegen?«

Der Kapitän konnte nicht anders, er mußte dies zugeben.

»Und wer solche Eile hat, bedient sich natürlich nicht eines Reitpferdes oder der Diligence«, fuhrt Kurt fort, »sondern der Eisenbahn, nämlich falls eine solche vorhanden ist. Das werden Sie einsehen, Herr Kapitän!« – »Donnerwetter!« meinte dieser. »Da habe ich einen derben Pudel geschossen.« – »Möglich, sogar wahrscheinlich. Aber wir dürfen unsere Zeit nicht mit unnützen Reden versäumen, sondern wir haben es jedenfalls noch eiliger als die beiden Männer, die wir suchen. Lassen Sie uns also sofort nach dem Bahnhof aufbrechen. Die notwendigen Mitteilungen können wir uns ja später immer noch machen.«

Sie bezahlten, was sie genossen hatten, und brachen auf.