Kostenlos

Waldröschen I. Die Tochter des Granden

Text
Autor:
0
Kritiken
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Ein fürchterlicher Hustenanfall ergriff den Alten, nachdem er seine Erzählung beendet hatte. Da hörte man plötzlich, als derselbe ausgetobt hatte, leise Schritte sich der Zelle nähern. Mariano trat sofort in den vorderen dunklen Winkel des Raumes, während der Pater sich so stellte, das ihn das Licht der Lampe nicht bescheinen konnte.

Nun wurde die Tür geöffnet und – der Hauptmann stand vor derselben.

»Was geht hier vor?« fragte er. – »Tritt nicht ein, Capitano«, bat der Pater. »Du unterbrichst die Beichte dieses sterbenden Mannes!« – »Ach so!« entgegnete der Hauptmann, indem er, der Weisung des Paters folgend, vor der Tür stehenblieb. »Doch warum blieb der Alte nicht in der Zelle, die ich ihm durch Mariano anweisen ließ?« – »Darf die Beichte eines Sterbenden von Unberufenen gehört werden, Hauptmann? Hier sichert die Tür davor, daß wir belauscht werden.« – »Ihr seid sehr vorsichtig, Pater! Ich hoffe aber, daß die Beichte nichts enthält, was unserer Gesellschaft Schaden bringt.« – »Die Beichte eines Bettlers? Geh, Capitano, ich glaube, du treibst mit dem Sakrament Scherz!«

Der Hauptmann entfernte sich auch jetzt gehorsam, ohne Mariano bemerkt zu haben. So war eine große Gefahr glücklich vorübergegangen. Dennoch horchte der Pater sorgfältig, bis die Schritte des Capitano vollständig verklungen waren, ehe er fortfuhr:

»Mein Sohn, du hast eine sehr große Sünde begangen. Du hast ein Kind seinen Eltern geraubt und bist schuld daran, daß es ein Räuber geworden ist. Diese Sünde ist viel größer, als du denkst, aber noch größer ist Gottes Gnade; er wird dir verzeihen, wenn dir derjenige vergibt an dem du gesündigt hast«

Da erhob der Kranke die Hände und richtete einen bittenden Blick auf Mariano, der nun näher trat und, ihm die Hand entgegenstreckend, sagte:

»Manuel Sertano, ich vergebe dir. Ich ersehe die ganze Größe deines Vergehens, aber auch ich bin ein Sünder, und Gott mag mir vergeben, wie ich dir vergeben habe.«

Der Bettler ließ darauf sein Haupt nach rückwärts sinken, seine Augen schlossen sich, und über seine Züge breitete sich der Ausdruck eines tiefen Friedens.

»Oh, wie leicht und wohl wird es mir!« flüsterte er. »Mein Gott ich danke dir, denn nun kann ich ruhig sterben!« – »Ja«, sagte der Pater. »Ich entbinde dich kraft meines Amtes nochmals von deinen Sünden. Du hast sie bereut und sie sind dir vergeben!« – »Doch nun laßt mich auch noch das tun, was notwendig ist, um das von mir gestörte Glück einer vornehmen Familie wiederherzustellen«, bat der Sterbende. »Ich sehe, daß Ihr Papier und Feder bei Euch führt, frommer Vater. Schreibt alles auf, und ich will Euch meine Unterschrift geben, um diesen Jüngling als denjenigen anzuerkennen, der geraubt wurde.« – »Ja, das wollen wir tun«, entgegnete der Pater, indem er die Schreibutensilien hervorzog. »Zwar ist das, was wir von dir erfahren haben, noch nicht ausreichend, aber Gott wird erforschen, wo jener fremde Mann ist, der Señor Gasparino genannt wurde, und diejenigen Leute, denen ihr Kind vertauscht wurde.« – »Der Capitano weiß sicherlich alles«, meinte Mariano. »Ich werde ihn zwingen, es mir zu sagen.« – »Um Gottes willen, tue das nicht«, warnte der Pater. »Er wird sich niemals zwingen lassen, sondern dich ganz sicher töten, sobald er sein Geheimnis in Gefahr sieht. Wir müssen ohne Falsch sein wie die Tauben, aber auch klug wie die Schlangen, mein Sohn. Die List wird uns viel leichter zum Ziel führen als die Gewalt. Wie hieß das Gasthaus, in dem die Verwechslung geschah?« – »Es war der Gasthof ›L‘Hombre grand‹«, antwortete der Bettler. – »Und in welchem Zimmer war es?« – »Ich holte den Knaben aus dem hintersten eine Treppe hoch gelegenen Gemach. Wir aber befanden uns von der Treppe an gerechnet im zweiten Zimmer.« – »Haben die Fremden von der Verwechslung etwas gemerkt?« – »Ich weiß es nicht, denn wir verließen das Haus noch vor Anbruch des Morgens, während man noch schlief.«

Jetzt begann der Pater die Anfertigung des Dokuments, das alles enthielt, was wichtig war. Als er es beendet hatte, wurde es von dem Bettler unterzeichnet, und dann setzte der Dominikaner zur Beglaubigung seine Signatur darunter.

»So«, sagte er, »diese Schrift werde ich auf das sorgfältigste aufbewahren, denn bei mir ist sie sicherer als an jedem anderen Ort. Wir gehen jetzt; ich aber werde gleich wieder zurückkehren, um dich zu pflegen und dir in deinen schweren Anfällen beizustehen. Das ist die Pflicht eines Mannes, der der Religion angehört.«

Nachdem der Pater sich verabschiedet hatte, kehrte Mariano zwar in seine Zelle zurück, aber er fand während der ganzen Nacht keine Ruhe. Was er erfahren hatte, war so unendlich wichtig für ihn und war gerade in der Hauptsache noch in ein so geheimnisvolles Dunkel gehüllt, daß es sein ganzes Nachdenken in Anspruch nahm.

Er hatte bisher den Hauptmann als seinen Wohltäter betrachtet, nun aber hatte er ihn als den Urheber eines Verbrechens kennengelernt, das ihn, den unschuldigen Knaben, aus den Armen liebevoller und vornehmer Eltern gerissen und unter eine Bande geächteter Menschen gebracht hatte. Die Zuneigung für den Capitano verwandelte sich in einem Augenblick in Haß; auf ihn fiel der ganze Zorn des Mannes, denn der Bettler war ja nur ein Werkzeug gewesen, er hatte gehorchen müssen und dann gebüßt; er stand außerdem am Rand des Grabes, und dies machte auf den weichherzigen Mariano einen solchen Eindruck, daß er dem alten Mann nicht zu zürnen vermochte. Er beschloß, seine Abneigung den Hauptmann nicht merken zu lassen, im stillen sich aber alle Mühe zu geben, das Geheimnis seiner Geburt und Abstammung aufzuklären.

Es gab in der Brigantenhöhle noch einen, der erst spät zur Ruhe kam, und das war der Hauptmann.

Er saß in seiner Zelle, deren Wände von kostbaren Waffen behangen waren, hatte den Kopf schwer in die Hand gestützt und war in ein tiefes, grübelndes Nachdenken versunken, aus dem er zuweilen auffuhr, um einige halblaute Worte zu murmeln.

»Dieser Gasparino Cortejo ist ein großer Schurke, viel schlimmer als der schlechteste Brigant!« sagte er leise vor sich hin. »Warum will er diesen Doktor töten lassen? Hm, ich habe eigentlich gar nichts danach zu fragen; aber ich möchte es doch wissen. Er zahlt gut, ein Dummkopf ist, wer eine Zitrone nicht so sehr ausquetscht, daß auch der letzte Safttropfen herauskommt.«

Wieder sann er nach. Sein Gedankengang schien, wie aus dem Spiel seiner Mienen zu ersehen war, ein sehr unruhiger zu sein. Er erhob sich sogar, ging einige Schritte auf und ab, blieb wieder stehen, wiegte seinen Kopf hin und her, dann nickte er langsam und murmelte weiten

»Auch die Geschichte mit dem Mariano soll mir noch manches Sümmchen einbringen. Ich sollte den Jungen töten, aber ich wäre doch ganz ohne Verstand gewesen, wenn ich es getan hätte. Ist er mir doch dem Advokaten gegenüber für immer eine Geisel. Jetzt habe ich den Jungen sogar liebgewonnen, und es sollte mir leid tun, wenn ich noch gezwungen würde, ihn ganz verschwinden zu lassen. Vielleicht brächte ich das gar nicht mehr fertig!«

Der Hauptmann schritt abermals eine kleine Weile in dem engen Raum auf und ab. Dann stieß er ein kurzes, höhnisches Lachen aus, trat an die Felsenwand seines Gemaches, und als er an einer Stelle derselben drückte, gab ein kleines, viereckiges Stück des Steins nach, und es kam ein Raum zum Vorschein, in den der Hauptmann hineingelangte, um ein sichtlich sehr altes und zusammengelegtes Papier daraus hervorzubringen.

»Wie sich der Elende weigerte, wie er sich wand und krümmte, als ich diesen Schein von ihm verlangte«, murmelte er vergnügt. »Aber er mußte, denn ich hatte ihn in der Hand! Und ich durfte nicht genannt werden, denn da dieser Schurke Manuel den Jungen geholt hatte, war er es, dessen Name niedergeschrieben wurde.«

Er schlug das Papier auseinander, trat näher an das Licht der Lampe heran und las:

»Ich erkläre hiermit der Wahrheit gemäß, daß der Fischer Manuel Sertano aus Mataro am ersten Oktober 18** in dem Gasthof ›L‘Hombre grand‹ in Barcelona auf meine Veranlassung und gegen Bezahlung von tausend Silberpiastern einen Knaben gegen einen anderen umgetauscht hat. Der umgetauschte Knabe lebt unter dem Namen Mariano unter sicherem Schutz in einer Höhle des Gebirges.

Manresa, Notar.«

Gasparino Cortejo, den 15. November 18**

Der Capitano faltete das Papier wieder zusammen, legte es in das Versteck zurück, strich sich mit sehr zufriedener Miene den Bart und sagte:

»So habe ich den Alten fest in der Hand, und sein Beutel wird bluten müssen. Schade nur, daß er sich so hartnäckig weigert, mir zu sagen, wer die beiden umgetauschten Knaben gewesen sind. Allerdings, eine schwache Vermutung habe ich ja. Er ist Geschäftsführer des Grafen Emanuel de Rodriganda. Ich werde nachforschen! Der junge Graf soll zurückkehren oder ist vielleicht sogar schon da. Soll ich ihn beobachten? Soll ich die Familienverhältnisse des Grafen ausforschen lassen? Ja, das wäre das sicherste Mittel. Aber durch wen?«

Seine nachdenkliche Miene erheiterte sich plötzlich, und er stieß ein kurzes Lachen aus, um darauf in seinem Selbstgespräch fortzufahren:

»Das ist allerdings ein lustiger Gedanke! Schicke ich vielleicht Mariano, um das Nötige zu erfahren? Ja, er ist der einzige, der dazu fähig ist. Er ist der einzige von uns, der sich unter solchen Leuten fehlerlos bewegen kann. Ich habe ihm ja alles lehren lassen, was ein vornehmer Señor wissen muß; er reitet wie ein Kavalier, kann fechten, schießen, schwimmen, ist stark und tapfer, treu und anhänglich, dabei klug und listig – ja, ich werde es tun! Der Notar hat ihn nie gesehen; er wird ihn also nicht erkennen, er wird gar nicht ahnen, daß dieser junge, liebenswürdige und gewandte Mann der Knabe ist, den er einst töten lassen wollte. Per Dios, das ist ein wirkliches Abenteuer! Das ist ein Coup, der meinem Kopf die größte Ehre macht!«

Er schritt noch einige Zeit in der Zelle auf und ab und begab sich dann in den Nebenraum, um sich schlafen zu legen.

 

Als er am Morgen erwacht war, trat der Pater Dominikaner bei ihm ein und meldete:

»Capitano, der fremde Mann, dessen Beichte ich heute nacht hörte, ist soeben gestorben.« – »Gut, so sind wir ihn los. Man werfe ihn in die Schlucht!« – »Das werde ich nicht zugeben, Capitano! Er ist als ein reuiger Christ gestorben und soll als ein solcher auch begraben werden.« – »Mir gleich. Tut, was Ihr wollt, nur laßt mich dabei aus dem Spiel! Ist Mariano schon wach?« – »Ja.« – »Er soll gleich zu mir kommen!«

Der Pater entfernte sich, und kurze Zeit später trat Mariano ein. Er grüßte freundlich, und zwar mit der vertraulichen Untertänigkeit, die er sich für den Umgang mit dem Hauptmann angeeignet hatte, und ließ sich nichts von der Gesinnung merken, die zu verbergen er sich vorgenommen.

Der Capitano bot ihm einen Sitz an und begann:

»Mariano, wie befindet sich dein Rapphengst?«

In den Zügen des Jünglings ward es hell, und in sein Gesicht stieg eine leise Röte. Es war augenscheinlich, daß die Erwähnung des Pferdes ihm angenehm war.

»Er wird kaum zu bändigen sein«, antwortete er. »Er steht nun über einen Monat drüben in der Pferdehöhle, und ich habe ihn von den anderen Tieren fortnehmen müssen, weil er sie sonst zu Schanden schlägt.« – »So nimm dich heute in acht, daß es kein Unglück gibt. Wenn so ein edles und mutiges Pferd vier Wochen lang den Reiter nicht getragen hat, so ist es schwer zu bändigen.« – »Ah! Soll ich ausreiten, Capitano?« – »Ja.« – »Wohin?« – »Nach Manresa und Schloß Rodriganda.« – »Das ist sehr weit, Hauptmann!« – »Du hast viel Zeit zu diesem Ausflug. Es ist möglich, daß du wochenlang dort verweilen wirst.«

Das Gesicht des Jünglings hellte sich immer mehr auf. Der Gedanke, auf eine lange Zeit von der jetzigen düsteren Umgebung erlöst zu sein, war ihm der angenehmste, den er haben konnte.

»In einem Auftrag?« fragte er. – »Ja, und noch dazu in einem sehr schwierigen«, antwortete der Capitano. »Ist deine Garderobe instand?« – »Vollständig.« – »Auch die Uniformen?« – »Ja. Soll ich mich als Offizier verkleiden?« – »Als französischer Offizier. Du bist ja des Französischen vollständig mächtig. Ich werde dir einen Urlaubspaß geben, der auf den Husarenleutnant Alfred de Lautreville lautet.« – »Und was ist meine Aufgabe, Capitano?« – »Du hast auf irgendeine Weise auf Schloß Rodriganda Zutritt zu suchen und dich dabei so zu verhalten, daß man dich veranlaßt, längere Zeit als Gast zu bleiben. Während dieser Zeit studierst du die Verhältnisse der Bewohnerschaft auf das sorgfältigste und speziellste. Ich werde dir darüber einen eingehenden Bericht abverlangen. Du bist klug genug zur Lösung einer solchen Aufgabe.« – »Willst du mir vielleicht einzelne Anhaltspunkte mitteilen, Hauptmann? Es wäre mir das lieb.« – »Ich kann dir nicht viel sagen. Aber da ist besonders ein Notar, ein gewisser Cortejo, der der Geschäftsführer des Grafen ist, und den du am aufmerksamsten beobachten sollst. Ich möchte gern genau wissen, wie er zu den Gliedern der gräflichen Familie steht. Dann ist da der junge Graf Alfonzo, der in Mexiko gewesen ist. Sieh einmal zu, wie er sich gegen den Grafen und dessen Geschäftsführer verhält. Es liegt mir besonders daran, zu wissen, ob er diesem letzteren vielleicht ähnlich sieht. Gehe und mache dich fertig. Das Geld, welches du brauchst, werde ich dir mit dem Paß aushändigen. Du mußt fein auftreten und als ein wohlhabender Offizier gelten; darum wird die Summe nicht unbedeutend sein. Ich werde dafür sorgen, daß du einen tüchtigen Mann als Diener erhältst, den du als Bote verwendest, wenn du mir etwas mitzuteilen hast.«

Mariano ging. Es war ihm noch niemals ein Auftrag so willkommen gewesen, wie der gegenwärtige, und er hatte ganz das Gefühl, als ob er kurz vor dem Beginn neuer und wichtiger Ereignisse stünde.

5. Kapitel

An dem Ort, von dem hier die Rede war, nämlich in Schloß Rodriganda, herrschte heute eine tiefe Stille. Der Graf hatte befohlen, daß sich jedermann der möglichsten Ruhe befleißigen sollte, da er sich sehr angegriffen fühle.

Niemand befolgte diesen Befehl so genau wie der alte Kastellan Juan Alimpo. Er schlich auf den Fußzehen wie eine Katze die Treppen auf und ab, er huschte unhörbar wie ein Schatten über die Korridore, und selbst in seiner Wohnung, die von der des Grafen so entfernt lag, daß selbst der größte Lärm nicht zu dem Gebieter hätte dringen können, schwebte er so lautlos hin und her, als verstehe er die Kunst, den Boden nicht zu berühren.

Dieser großen Kunst befleißigte sich auch seine Gattin Elvira, aber mit nicht so großem Erfolg. Denn während der Kastellan ein sehr kleines und dürres Männlein war, besaß Frau Elvira eine geradezu erstaunliche Körperfülle. Ihr Umfang war wohl ebenso groß wie ihre Höhe, und sie, allein auf einer Waagschale, hätte sicher fünf Alimpos emporgeschnellt. Ihr Vollmondgesicht glänzte vor Zufriedenheit; ihr Auge lachte vor Güte; ihr Mund war stets zu einem guten Wort bereit, und da ihr teurer Juan trotz aller körperlichen Verschiedenheit ganz dieselben seelischen Eigenschaften besaß wie sie, so lebten sie wie Tauber und Täubchen, und es hatte noch kein Mensch ein einziges schroffes Wort gehört, das zwischen ihnen gefallen wäre.

Jetzt aber war der Kastellan mit der Zusammensetzung eines kostbaren Schreibzeugs beschäftigt, und seine Ehefrau besserte die aufgedrehte Troddel eines prächtigen Teppichs aus. Dabei unterhielten sie sich so leise, als ob der kranke Graf sich in ihrer unmittelbaren Nähe befinde.

»Meinst du wohl, Elvira, daß dieses Schreibzeug ihm gefallen wird?« fragte der Kastellan. – »Sehr gut! Und was, Alimpo, glaubst du, daß er zu diesem Teppich sagt?« – »Sehr schön, wird er sagen!« – »Ja, wir suchen für ihn das Beste hervor!« – »Er ist‘s auch wert, Elvira!« – »Natürlich! Er ist so gut!« – »So bescheiden!« – »So klug und gelehrt!« – »Und so schön, Alimpo!« – »Das mag wohl sein. Euch Frauen fällt das gleich auf, ich aber verstehe mich darauf nicht. Aber das weiß ich, daß ich ihn lieb habe und doch zugleich einen gewaltigen Respekt vor ihm empfinde. Nicht, Elvira?« – »Ja. Mir geht es ebenso. Ich möchte ihm alles an den Augen absehen, und doch kommt er mir so hoch, so stolz und vornehm vor, als ob er ein Graf, ein Prinz oder gar ein Herzog sei.« – »Der gnädige Herr hat ihn auch gar lieb.« – »Ebenso die gnädige Condesa. Aber diese anderen, die Ärzte, oh, Alimpo, die gefallen mir gar nicht.« – »Mir noch weniger. Ich wünsche keinem Menschen, daß ihn der Teufel holen möge, diese drei Kerle aber könnte er immer einmal holen. Meinst du nicht auch, Elvira?« – »Ja, gewiß bin ich deiner Ansicht Sie hätten den gnädigen Herrn totgemacht, wenn unser Señor nicht dazugekommen wäre; darauf kannst du dich verlassen, Alimpo!« – »Und was sagst du zu dem jungen Herrn, Elvira?« – »Hm, da muß man vorsichtig sein! Welche Meinung hast denn du?« – »Ja, da muß man sehr vorsichtig sein. Ich meine – hm, ich meine – daß ihn der Teufel – hm ja, daß ihn der Teufel auch so einmal holen könne, gerade wie die Ärzte!« – »Ei, ei, Alimpo!« drohte die Kastellanin. »So darf man nicht von dem jungen Herrn Grafen sprechen! Das ist sehr respektlos, obgleich auch ich nicht das mindeste dagegen hätte. Dieser junge Graf Alfonzo gefällt mir ganz und gar nicht Er sieht gar nicht aus wie ein richtiger Graf!« – »Nein. Er sieht seinem Vater, unserem gnädigen Herrn, nicht ähnlich. Hast du das nicht auch bereits bemerkt?« – »O ja! Und weißt du, wem er ähnlich sieht?« – »Nun?« – »Diesem alten Señor Cortejo, dem Notar.« – »Ich dachte, du würdest sagen, daß er der Schwester Clarissa ähnlich sieht«

Die gute Elvira machte zuerst ein sehr erstauntes Gesicht; dann sann sie ein wenig nach und entgegnete:

»Wahrhaftig, du hast recht, Alimpo! Auch dieser frommen Schwester Clarissa sieht er ähnlich. Es ist gerade, als wenn der Notar und die Schwester seine Eltern wären! Ist das nicht sehr merkwürdig, mein lieber Alimpo?« – »Ja, allerdings«, stimmte er bei. »Aber ich bin mit meinem Schreibzeug nun fertig geworden.« – »Und ich mit dem Teppich auch. Wollen wir die Sachen jetzt in das Zimmer unseres Doktors tragen?« – »Ich denke, ja.« – »Nun, so komm!«

Sie traten hinaus auf den Korridor und kamen gerade zur rechten Zeit, um die drei spanischen Ärzte zu sehen, die den Weg nach den Gemächern des Grafen Emanuel eingeschlagen hatten.

Diese drei Herren zeigten sehr ernste, feierliche Mienen. Als sie das Vorzimmer erreichten, fragte Doktor Francas den daselbst anwesenden Diener:

»Wir hören, daß Seine Erlaucht, der gnädige Graf, unwohl sind?« – »Allerdings«, antwortete der Gefragte. – »Wir wünschen ihn zu sprechen.« – »Der gnädige Herr haben jeden Besuch streng untersagt.« – »Auch den unsrigen?« – »Es ist ein Name überhaupt nicht genannt worden.« – »Nun, so melden Sie uns.« – »Ich möchte es nicht wagen.« – »Warum nicht? Wenn Seine Erlaucht krank sind, so sind wir als Ärzte doch da, ihm unsere Hilfe zu bringen.« – »Ich möchte dennoch von einer Meldung absehen«, versetzte der Diener mit höflichem Ton. »Ich habe den Befehl des gnädigen Herrn zu respektieren.« – »Und den unsrigen auch!« bemerkte der Arzt in strengem Ton. »Wo es einen Kranken gibt, da ist stets der Arzt der Befehlende.« – »Das habe ich auch geglaubt, Señor; aber ich bin eines Besseren belehrt.« – »Wie denn? Durch wen?« – »Zunächst durch Herrn Doktor Sternau und dann durch den gnädigen Herrn selbst. Sie gaben mir, als Sie die Operation vornehmen wollten, den Befehl, keinen Menschen und auch die gnädige Condesa nicht einzulassen, ich gehorchte Ihnen und habe einen Verweis erhalten, wie er mir noch niemals gegeben wurde.« – »Daran sind Sie selbst schuld; hätten Sie die Condesa und diesen brutalen Fremden mit Gewalt abgewehrt, so wäre der ganze unangenehme Fall nicht passiert. Also, melden Sie uns oder nicht?«

Der Diener zögerte einige Sekunden, dann antwortete er: »Nun wohl, ich will es wagen!«

Er trat in das Gemach nebenan und kehrte bald darauf mit dem Bescheid zurück, daß die Señores eintreten dürften.

»Sehen Sie!« meinte Francas triumphierend, »Ich ersuche Sie also, in Zukunft höflicher mit uns zu sein!«

Der Diener öffnete ihnen die Tür und machte, als sie eingetreten waren, hinter ihnen eine Pantomime, die nichts weniger als Achtung und Höflichkeit ausdrückte.

Der Graf befand sich in demselben Zimmer, in dem einige Tage vorher die Operation hatte vorgenommen werden sollen. Er lag in einem mit Samt gepolsterten Ruhestuhl und trug ein bequemes Morgenhabit. Sein Aussehen war allerdings ein angegriffenes, keineswegs aber ein leidendes zu nennen.

Die drei Herren verbeugten sich tief vor ihm, obgleich er von dieser Verbeugung nichts sehen konnte. Der Graf winkte ihnen leicht zu, deutete ihnen durch eine Handbewegung an, sich zu setzen, und begann:

»Señores, Ihr habt wohl gehört, daß ich Ruhe begehre. Wenn ich Euch trotzdem hier empfange, so mag Euch das ein Beweis meiner freundschaftlichen Gesinnung sein. Was wünscht Ihr, mir zu sagen?«

Francas erhob sich von seinem Sitz und entgegnete:

»Erlauchtester Graf, es treibt uns nichts als die Sorge um Ihr Wohlbefinden zu Ihnen. Wir hörten allerdings, daß Sie die äußerste Stille anbefohlen hätten, und da wir daraus auf eine Verschlimmerung Ihres so besorgniserregenden Zustands schließen mußten, so eilten wir herbei, um, wie es uns die Pflicht gebietet Ihnen mit unserem ärztlichen Rat zur Seite zu stehen.« – »Ich danke Euch!« erwiderte der Graf in seinem höflichsten Ton. »Ich fühle mich zwar matt, sonst aber scheint mir ein Grund zu wirklicher Besorgnis nicht vorhanden zu sein.« – »Gnädigster Herr«, fiel da Doktor Milanos aus Cordova ein, »oft hält der Leidende seinen Zustand für ungefährlich, während doch gerade das Gegenteil davon der Fall ist. Nur der Arzt erkennt, welcher Art das Befinden seines Patienten ist« – »Ihr mögt recht haben«, antwortete der Graf mit einem leisen Lächeln. »Auch ich enthalte mich aller eigenmächtigen Beurteilung meines Zustands und akzeptiere nur die ärztliche Ansicht. Señor Doktor Sternau aber hat mir versichert, daß ich nichts zu befürchten habe, und nach Eurer eigenen Meinung muß ich ihm als Arzt doch Glauben schenken.«

Die drei Herren wechselten miteinander einen Blick, der die allergrößte Indignation ausdrückte, und Francas sagte mit finsterem Stirnrunzeln:

»Dieser fremde Señor Sternau? Erlaucht, mein werter Kollege, Señor Cielli hier, hat die Ehre gehabt, viele Jahre lang Ihr Hausarzt zu sein und während dieser Zeit Ihr vollständiges Vertrauen zu genießen. Auch wir beiden anderen sind Ihrem ebenso ehren- wie vertrauensvollen Ruf gefolgt, um Sie von einem Leiden zu befreien, das Ihnen den sicheren Tod bringt, wenn es nicht durch schnellste Anwendung energischer Maßregeln gehoben wird. Wir vertreten die ärztliche Kunst und Geschicklichkeit unseres Vaterlands; wir sind bereit, Ihnen das Leben zu retten, und wenn ein vollständig fremder, obskurer Medikaster zu Ihnen kommt, vertrauen Sie ihm mehr als uns und beachten es nicht, daß Sie dieses Verhalten mit Ihrem kostbaren Leben bezahlen werden. Bedenken Sie, Erlaucht, daß in uns alle Vertreter der ärztlichen Wissenschaft in Spanien beleidigt werden!« – »Señores«, erklärte der Graf, »Ihr geht zu weit! Doktor Sternau ist hier allerdings ein Fremder, doch einen obskuren Medikaster darf ihn niemand nennen. Er ist einer der hervorragendsten Jünger seiner Kunst, wie ich mich vollständig überzeugt habe. Er hat die berühmtesten Universitäten seines Vaterlands mit Ehren absolviert und bei den geachtetsten Ärzten assistiert. Dann hat er mehrere Erdteile bereist, um die Schätze seines Wissens zu vermehren, und ist nach seiner Rückkehr bei Professor Letourbier in Paris, den alle Welt als den bedeutendsten Chirurgen Frankreichs anerkennt, eingetreten, um seine Anschauungen und Erfahrungen zu verwerten.« – »Das hat er wohl selbst erzählt?« meinte Cielli in wegwerfendem Ton. – »Ihr irrt Euch! Señor Sternau besitzt zu viel wahre Bildung, als daß er von sich redet. Meine Tochter hat in der ärztlichen Abteilung Bücher gefunden, die er geschrieben hat, und eine ganze Reihe von ärztlichen Zeitschriften, in denen von seinen Kenntnissen und Erfolgen in der lobendsten Weise die Rede ist. Ein jeder Arzt, der sich bemüht, der Entwicklung seiner Wissenschaft zu folgen, muß den Namen Sternau kennen. Wer allerdings bequem und gegen seine Patienten gewissenlos genug ist, auf dem alten, fehlervollen Standpunkt zu beharren, wer sich für so untrüglich hält, daß er es verschmäht, die Literatur zu studieren, in der die segensreichen und oft staunenswerten Erfolge der neueren Forschung niedergelegt sind, der wird die Namen wissenschaftlicher Kapazitäten und Heroen niemals kennenlernen.«

 

Bei diesen Worten konnte keiner der drei Ärzte eine Bewegung des Zornes unterdrücken, und Doktor Francas fragte:

»Erlaucht, haben wir die Worte ›bequem‹ und ›gewissenlos‹ vielleicht auf uns zu beziehen?« – »Nein«, antwortete der Graf mit höflicher Gelassenheit. »Ich spreche im allgemeinen und hielt allerdings Euch gegenüber es für meine Pflicht, den Ausdruck ›obskurer Medikaster‹ zu berichtigen, da Señor Sternau nicht anwesend ist und sich also nicht selbst verteidigen kann.« – »So stellen wir uns mit dieser Erklärung zufrieden, Don Emanuel«, bemerkte Milanos. »Wir wissen sehr genau, daß nicht ein jeder, der ein ärztliches Buch verfaßt, ein ärztlicher Heros sein muß, und beziehen dies gerade ganz strikt auf diesen Doktor Sternau. Wir dürfen uns rühmen, durch ganz Spanien einen Ruf zu besitzen, an dem niemand, am allerwenigsten ein Fremder, zu rütteln vermag. Wenn wir uns demnach herabgelassen haben, die fehlerhafte Prognose des Señor Sternau zu kritisieren, so geschah dies aus Teilnahme für Eure Erlaucht, nicht aber etwa, weil wir meinen, daß er auf derselben wissenschaftlichen Stufe stehe wie wir. Wir erklären nochmals mit aller Überzeugung und Entschiedenheit, daß Ihr Leben nur durch einen schleunigen Schnitt gerettet werden kann, daß aber die Operation mittels des Zangenbohrers Ihren augenblicklichen Tod zur Folge haben muß.« – »Ist das Eure feste Überzeugung, Señores?« fragte der Graf sehr ernst. – »Ja«, antworteten alle drei.

Da tastete er nach einem kleinen Schächtelchen, das neben ihm auf dem Tisch lag, öffnete es und reichte es ihnen hin.

»Dann, bitte, nehmen Sie einen Einblick in den Inhalt dieses Etuis«, sagte er lächelnd.

Francas griff darnach, unterwarf den Gegenstand einer kurzen, oberflächlichen Untersuchung und gab das Etui an Cielli weiten

»Ein Pulver«, sagte er wegwerfend. »Wenn Señor Sternau glaubt, Ihr Leiden durch eine innerliche Behandlung mit Pulvern und Tinkturen zu heben, so hat er sich damit selbst sein Urteil gesprochen.« – »Ihr irrt! Dieses Pulver soll nicht in das Innere meines Körpers kommen, sondern es ist aus demselben herausgenommen worden.« – »Ah!« rief Francas. – »Ja, Señores! Heute in der Frühe hat Doktor Sternau mit der Zermalmung des Steins begonnen, und dieses Pulver ist der sichtbare Erfolg seiner Bemühung. Ihr seht übrigens, daß ich nicht tot bin.«

Die drei Männer machten verlegene Gesichter, was der Graf aber infolge seiner Blindheit nicht bemerken konnte. Francas faßte sich schnell und fragte:

»Sind Eure Erlaucht auch wirklich überzeugt, daß dieses Pulver einen zermalmten Stein darstellt?«

Da machte der Graf eine Bewegung größten Unmuts und rief: »Señor, glaubt Ihr etwa, Doktor Sternau sei ein Betrüger, ein Escamoteur? Das wäre ein unwürdiges Verhalten, mit dem Ihr nur Euch selbst schaden würdet! Ich habe gefühlt, wie er den Stein packte. Ich habe das Knirschen desselben gehört, als der Bohrer sich zu drehen begann, und ich fühle selbst jetzt die Reste des Pulvers von mir weichen.« – »Aber die Schmerzen, die Eure Durchlaucht auszustehen haben!« lenkte Francas ein. – »Schmerzen? Sie sind nicht von Bedeutung! Die Applikation des Bohrers war bereits vorbereitet und hat mir nur das Gefühl einer nicht angenehmen Ausdehnung verursacht; die Anbohrung des Steins war sehr wenig schmerzhaft, und die einzigen, wirklichen Schmerzen, die ich erst jetzt empfinde, bestehen nur in jenem einfachen Weg, das man bei jeder Affektion der Wasserwege empfindet!« – »Aber die anhaltende Dauer dieser Schmerzen!« – »Ich fühle und bin überzeugt, daß ich sie ertragen werde. Señor Sternau besitzt mein vollständiges Vertrauen! Er hat mir heute bewiesen, daß seine Art zu operieren bei weitem nicht die Gefahr in sich schließt, wie diejenige, die mir von Euch vorgeschlagen wurde. Ich glaube nun auch seiner Versicherung, daß die Blindheit meiner Augen heilbar sei. Señores, laßt Euch ein Wort sagen! Doktor Sternau hatte die Absicht, nur unter Eurem Beirat zu handeln, ist aber durch Eure Schroffheit zurückgestoßen worden. Er ist trotz seiner Jugend der Mann, von dem selbst erfahrene Männer lernen können. Schließt ihm Euch an, und dann soll es mir lieb sein, auf Euren Rat hören und ihn berücksichtigen zu können.«

Da streckte Francas beide Hände wie zur Abwehr aus und sagte:

»Ich danke, Erlaucht! Es kann nicht meine Absicht sein, zu einem Mann in die Schule zu gehen, der selbst der Schule noch nicht entwachsen ist. Schenken Sie ihm mehr Vertrauen als uns, so können wir ja nichts dagegen tun, aber entgehen wenigstens können wir der Zumutung, uns als Schüler betrachten zu lassen. Ich bitte um die Erlaubnis, nach Madrid zurückkehren zu können.« – »Auch ich werde noch heute wieder nach Cordova gehen, wo man mich kennt und mir vertraut«, bemerkte Milanos in stolzem, selbstbewußtem Ton. – »Und ich«, fügte Cielli bei, »bitte Eure Erlaucht, mich von meiner Stellung als Hausarzt zu entheben. Vielleicht ist Señor Sternau bereit, die dadurch entstehende Lücke auszufüllen.« – »Das ist ja eine Attacke, der ich als einzelner, so überlegenen Kräften gegenüber, gar nicht widerstehen kann«, meinte der Graf mit seinem ruhigen Lächeln. »Schloß Rodriganda steht Euch jederzeit gastlich offen; wenn Ihr aber so stürmisch fort verlangt, so darf ich Euch allerdings denen nicht entziehen, die Euren Rat und Eure Hilfe nicht entbehren können. Legt meinem Rentmeister Eure Rechnungen vor und nehmt meinen herzlichsten Dank für das Wohlwollen, mit dem Ihr Euch meiner Krankheit angenommen habt« – »Den Dank haben wir bereits erhalten, Don Emanuel«, sagte Francas scharf. »Werden Sie die Güte haben, diesen Besuch gleich auch als Abschiedsvisite gelten zu lassen?« – »Dieser Wunsch ist auch mir genehm«, antwortete der Graf.»Reist mit Gott, Señores!«