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Waldröschen I. Die Tochter des Granden

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7. Kapitel

Es geschah ganz so, wie Señor Gasparino Cortejo zu seiner Verbündeten gesagt hatte. Während die drei Leichen im Park unter Bewachung liegenblieben, wurde der Gefangene in das Schloß geschafft. Es war derselbe, dem der Notar seine Verhaltungsmaßregeln erteilt hatte. Sie begegneten einander kurz vor dem Schloß. Es gelang Cortejo, unbeobachtet von anderen, seine Finger auf den Mund zu legen, so daß der Brigant es bemerkte. Dieser nickte als Antwort leicht vor sich hin, während ein Lächeln der Freude über sein finsteres Gesicht huschte. Dieser Mann konnte es sich denken, daß Cortejo ihn nicht verlassen werde, wenn nur er selbst sich der Hilfe würdig erweise.

Der Graf geriet bei der Kunde, daß sein Gast und Arzt hatte ermordet werden sollen, in eine ganz ungewöhnliche Aufregung, und es gelang Rosa nur schwer, ihn zu beruhigen, doch befahl er, daß die Untersuchung mit aller Strenge geführt werden solle.

Die drei Ärzte reisten noch am Abend ab. Sie ahnten, wer der Auftraggeber der Mörder sei, und glaubten nach dem Mißerfolg nun für die erste Zeit keine Chancen mehr zu haben.

Sternau hatte seine Vermutung, daß seine Wunde nicht bedeutend sei, bestätigt gefunden. Er sah sich von ihr nicht im mindesten behindert und konnte sich also ohne Unterbrechung dem Grafen widmen. Er war bei allen Bediensteten des Grafen trotz der Kürze seiner Anwesenheit im Schloß bereits außerordentlich beliebt, und darum war man gespannt, zu hören, wer ihm nach dem Leben getrachtet habe. Leider verweigerte der Gefangene jedwede Auskunft. Er verschwieg hartnäckig, wer er sei und wer ihn veranlaßt habe, Sternau zu überfallen. Man mußte sich also auf den späteren Verlauf der Untersuchung vertrösten.

Am eingehendsten wurde das Ereignis in der Wohnung des Kastellans besprochen. Es dürfte gewiß ein ungewöhnlicher Genuß sein, den beiden braven Eheleuten zuzuhören.

»Also, liebe Elvira, ich werde dir es genau erklären«, sagte Alimpo. – »Ja bitte, sehr genau, lieber Alimpo«, erwiderte Elvira.

Der Kastellan nahm einen Borstenbesen in die Hand, blickte sich ernsthaft und forschend in der Stube um und meinte dann:

»Also fünf werden es gewesen sein. Denke dir, der erste sei dort der Uhrkasten, der zweite der Kleiderschrank, der dritte der Blumentisch, der vierte die Astrallampe hier und der fünfte der Koffer dort in der Ecke. Verstanden?« – »Sehr gut, lieber Alimpo.« – »Schön! Also die fünf Mörder haben wir. Wir brauchen also nur noch den Doktor Sternau, den sie ermorden wollen, und die gnädige Condesa. Señor Sternau bin ich, und Condesa Rosa bist du, meine gute Elvira. Verstanden?« – »Gut! Die gnädige Condesa Rosa bin ich!«

Bei diesen Worten richtete sich die dicke Kastellanin möglichst empor und gab sich Mühe, sich in eine gräfliche Positur zu werfen.

»Nun gehe ich, Doktor Sternau, auf die Jagd«, fuhr der Kastellan fort, »und komme jetzt wieder zurück, indem ich die Doppelbüchse auf der Schulter habe.«

Bei diesen Worten legte er den Borstenbesen über die Schulter und erklärte weiten

»Da treffe ich im Park dich, meine liebe Elvira, nämlich unsere gnädige Gräfin Rosa. Ich mache ihr natürlich eine Verbeugung und sie mir auch.«

Bei dieser Erklärung machte er seiner Frau ein sehr tiefes und ehrfurchtsvolles Kompliment, und sie versuchte, ihren starken Körper ebenfalls zu einer Verneigung zu zwingen. Dann fuhr er fort:

»Indem wir uns verneigen, werde ich von fünf Mördern angefallen. Der erste, also der Uhrkasten, kommt auf mich zugesprungen, ich aber reiße mein Gewehr von der Schulter und schieße ihn mit dem einen Lauf tot – puff!«

Bei diesen Worten nahm er den Besen von der Schulter, legte ihn an, zielte und schoß mit dem Mund. Darauf erklärte er weiter:

»Jetzt kommt der zweite, also der Kleiderschrank, mit dem Messer auf mich zu. Ich aber schieße ihn nieder – puff. Nun kommt der dritte, der Blumentisch, auf mich zu. Ich habe keinen Schuß mehr und muß ihn also mit dem Kolben erschlagen.«

Er drehte den Besen um und versetzte dem Tisch einen Hieb.

»Jetzt kommt der vierte, nämlich die Astrallampe. Ich habe keinen Schuß mehr, und die Lampe ist mir bereits so nahe, daß ich mit dem Kolben gar nicht ausholen kann, ich muß ihr also mit der Faust so eins versetzen, daß sie in Ohnmacht fällt, ungefähr so…«

Alimpo faßte die Lampe mit der Linken, holte mit der Rechten aus und schlug zu – klirr prasselten die Scherben zur Erde nieder. Der gute Kastellan war durch seine Phantasie verleitet worden, aus dem Gebiet des Figürlichen auf dasjenige des Wirklichen überzugehen.

»Aber, lieber Alimpo«, meinte die Kastellanin, »was machst du denn da für Dummheiten?« – »Sei still, meine gute Elvira«, antwortete er. »Du bist jetzt die gnädige Condesa Rosa, und die hat über diese Lampe gar nichts zu sagen. Ich mußte ja den vierten erschlagen, weil er mich mit dem Messer in den Arm gestochen hat.« – »Recht hast du eigentlich«, gab sie zu, »aber schade ist es dennoch um die schöne Lampe. Und weil du sie für unseren lieben Señor Sternau erschlagen hast, so mag es für dieses Mal hingehen.« – »Ja, Elvira, nur für ihn habe ich sie erschlagen. Und für ihn würde ich noch ganz andere Dinge erschlagen. Ich hatte ja im Park mich bereits mit vier Messern bewaffnet, um die Kerle zu erstechen.« – »Du?« fragte sie ganz erstaunt. – »Ja, ich, dein Alimpo!« antwortete er stolz. – »Heilige Madonna! Vier Messer! Wen wolltest du denn erstechen?« – »Die entflohenen Mörder, wenn sie zurückgekommen wären.« – »Mein Gott!« rief sie, die Hände zusammenschlagend. »Mensch! Mann! Alimpo! Du bist ja der reine Wüterich. Du dürstest nach Blut! Höre, ich darf dich nicht mehr aus den Augen lassen, denn dein Temperament wird mir zu tapfer und verwegen.« – »Ja, das braucht man auch!« antwortete er, indem er sich mit einer sehr martialischen Gebärde die beiden Bartflocken strich, die gerade unter der Nase über seinen Mund herabhingen. Die Spitzen des Schnurrbarts trug er abrasiert. »Gehe einmal hinauf in die Rüstkammer, liebe Elvira, und hole mir das Schwert des alten Ritters Arbicault de Rodriganda herunter.« – »Das Schwert? Das große, ungeheure Schwert?« fragte sie erstaunt. »Warum denn?« – »Weil ich heute nacht den Gefangenen zu bewachen habe.« – »Bist du toll?« rief sie. »Den Gefangenen willst du bewachen? An seine Tür willst du dich stellen, mit dem Schwert in der Hand? Wenn er nun ausbricht! Willst du denn geradezu in den Tod gehen? Willst du dich denn mit aller Gewalt für die anderen aufopfern, mein guter Alimpo?« – »Nein, das fällt mir nicht ein. Aber hole nur das Schwert herab! Ich werde den Gefangenen unten im Gewölbe mit dem Schwert hier in meiner Stube bewachen. Bricht er ja aus, so sieht er mich nicht Und kommt er ja in die Stube, so wird er das Schwert erblicken und entfliehen, wenn er nicht ganz und gar blutdürstig ist. Übrigens werde ich jetzt in Begleitung der Knechte einmal hinabgehen, um nachzusehen, ob die Riegel fest vorgeschoben sind.«

Alimpo ging und ahnte nicht daß es Leute gab, vor denen diese Riegel nicht sicher waren.

Um dieselbe Stunde kam Condesa Rosa ganz atemlos vor freudiger Überraschung zum Grafen, bei dem sich Sternau befand.

»Mein Vater, ich habe dir eine rechte frohe Kunde zu bringen«, sagte sie. »Soeben empfing ich einen Brief, den ich dir vorlesen muß.« – »So lies, wenn es Señor Sternau erlaubt«, sagte er freundlich lächelnd. »Oh, Señor erlaubt es. Höre also!« antwortete sie und las folgende Zeilen:

»Meine teure Rosita!

Gleich nach meinem gestrigen Brief muß ich dir diese Zeilen senden. Vater ist als Konsul nach Mexiko designiert. Er muß schleunigst hinüber, und ich begleite ihn natürlich. Vorher aber muß ich dich noch einmal sehen. Ich komme nach Rodriganda und werde übermorgen da eintreffen. Kannst du, so hole mich in Pons ab, wo ich eine halbe Stunde ruhen werde. Vermelde dem gnädigen Grafen meinen Respekt und sei herzlich gegrüßt von deiner Amy Lindsay.

Ist das nicht eine große und angenehme Überraschung, mein Vater?« fragte die Vorleserin. – »Allerdings, mein Kind«, antwortete er. Und sich an den Arzt wendend, sagte en »Miß Amy Lindsay ist nämlich die Tochter von Sir Henry Lindsay, Graf von Nothingwell, der längere Jahre in Madrid lebte, wo sich die Damen kennenlernten.« – »Erlaubst du, daß ich morgen früh nach Pons fahre, um sie abzuholen?« fragte Rosa den Grafen. – »Gern!« antwortete dieser. »Habe ich recht gehört, so ist morgen Jahrmarkt in Pons. Es wird gut sein, den Kastellan mitzunehmen, mein Kind.« – »Das wird ein sehr mutiger Kavalier und Beschützer sein«, lachte sie.

Gern hätte Sternau seine Begleitung angeboten, doch einesteils hätte das nicht mit dem gesellschaftlichen Verhältnis im Einklang gestanden, und andernteils konnte er seinen Patienten nicht verlassen; darum blieben seine Worte, die ihm bereits auf den Lippen schwebten, unausgesprochen.

* * *

Kurze Zeit später, als alles sich zur Ruhe begeben hatte, schlichen sich zwei Männer hinab nach dem Gewölbe, in das man den Gefangenen eingesperrt hatte. Es waren der Graf Alfonzo und der Notar Cortejo. Vor der Tür des Gewölbes standen zwei Diener, denen die Aufgabe zugefallen war, den Räuber zu bewachen. Unten angekommen, blieb der Notar zurück, während der Graf einen lauten Schritt annahm, so daß die Wächter sein Kommen hörten. Sie saßen mürrisch am Boden und hatten eine Laterne brennen. Als sie ihren jungen Herrn erkannten, erhoben sie sich ehrfurchtsvoll.

»Hier hinter dieser Tür steckt der Kerl?« fragte Alfonzo. – »Ja«, antwortete der eine. – »Ich hoffe, daß ihr gute Wache haltet! Laßt ihr ihn entkommen, so dürft ihr auf keine Nachsicht rechnen! Gebt einmal die Laterne her!«

Er tat, als ob er sich seine verlöschte Zigarette anbrennen wolle, griff jedoch absichtlich nicht richtig zu und stieß dem Diener die Laterne aus der Hand, so daß diese zur Erde fiel und zerbrach.

 

»Ungeschickter!« zürnte er. »Hebe die Laterne auf, ich werde Licht machen.«

Dabei aber bückte er sich schnell zu Boden und hob die Laterne unbemerkt auf. Während die Diener nun vergeblich umhertasteten und er laut mit ihnen zankte, schlich der Notar herbei, öffnete geräuschlos die Tür des Gewölbes und trat hinein. Graf Alfonzo stellte sich so, daß die Diener nichts bemerken konnten, und als er einige Augenblicke später die Hand des Notars auf seiner Schulter fühlte, zum Zeichen, daß ihr Vorhaben gelungen sei, setzte er die Laterne leise auf den Boden nieder und trat zurück.

»Nun, soll ich vielleicht selbst mit suchen helfen?« zürnte er. – »Hier ist sie, Don Alfonzo«, meinte da der eine der Leute. »Aber das Öl ist verschüttet.« – »So holt anderes. Bis dahin brennt der Docht wohl noch.«

Alfonzo zog ein Zündholz hervor und steckte das Lämpchen in Brand. Dann öffnete er die Tür des Gewölbes, deren Riegel der Notar leise wieder vorgeschoben hatte, und leuchtete hinein. Das geschah jedoch in der Weise, daß die Diener keinen Blick in das Innere werfen konnten.

»Der Mensch schläft, oder er stellt sich nur so!« sagte er, die Tür wieder schließend. »Es ist am besten, man stört ihn nicht.«

Mit diesen Worten drehte er sich langsam um und stieg die Treppe empor.

Unterdessen hatte sich der Notar mit dem Gefangenen fortgeschlichen. Sie gelangten unbemerkt aus dem Schloß und schritten leise und wortlos in das Dunkel der Nacht hinein. Endlich, als sie keine Überraschung mehr zu befürchten hatten, blieb der Advokat stehen und sagte mit harter Stimme:

»Du hast deinen Auftrag ausgezeichnet ausgeführt mein Bursche. Soll ich dir den Preis auszahlen?« – »Verzeihung, Señor!« antwortete der andere. »Man kann auch einmal unglücklich sein in einem Unternehmen.« – »Aber in keinem so wichtigen. Der Capitano scheint mir lauter Feiglinge geschickt zu haben.«

Da trat der Brigant um einen Schritt näher heran und sagte mit flüsternder, aber dennoch sehr scharfer Stimme:

»Wollt Ihr mich beleidigen, Herr?« – »Bah! Wenn so viele gegen einen stehen und ihn doch nicht niedermachen, so sind sie Feiglinge!« – »Oho, Señor! So schlagt ihn doch selbst nieder! Wenn einer mit einem anderen den ganzen Tag zusammenlebt und täglich zehnmal Gelegenheit hat, sich seiner zu entledigen, und sich dennoch an andere wendet, so ist er ein Feigling. Merkt Euch das, Señor! Dir seid weder ein Capitano noch sonst ein Mann, von dem ich ein Wort, das mir nicht paßt, anhören muß. Ihr seid nichts Besseres als ich; wenn ich Euch verrate, so seid Dir verloren, und darum solltet Ihr vorsichtig sein, mich zu beleidigen. Es gibt nicht einen einzigen Feigling unter meinen Kameraden.« – »Warum habt ihr diesen Menschen dann nicht überwältigt?« – »Wer konnte es ahnen, daß er eine solche Stärke besitzt und ein solcher Teufel ist, Señor!« – »Ihr waret ja in der Mehrzahl.« – »Aber wir sollten ihn nur mit dem Messer angreifen, so hattet Ihr uns geboten. Ein guter Schuß war das sicherste, das aber habt Dir nicht gewollt, und so tragt nur Ihr allein die Schuld an dem Mißlingen des Unternehmens.« – »Ach so!« lachte der Notar. »Du wirst mir wohl gar die Bezahlung abverlangen, gerade so, als ob ihr eure Schuldigkeit getan hättet.« – »Allerdings tue ich das! Ihr tragt allein die Schuld, und meine Kameraden sind getötet. Ihr werdet zahlen müssen.« – »Nicht eher, als bis dieser deutsche Doktor tot ist!« – »So versucht es selbst, ihn zu töten – wenn es Euch gelingt!« – »Dazu seid ihr da!« zürnte der Notar. – »Jetzt nicht mehr, Señor! Wir haben nach Eurer Anweisung gehandelt. Daß diese Anweisung schlecht war und uns die Sache verdarb, dafür können wir nicht. Ich fordere das Geld. Gebt Ihr es nicht, so werdet Ihr noch viel mehr bezahlen müssen, denn der Hauptmann wird dann für unsere Toten eine Entschädigung verlangen.« – »Geht zum Teufel, ihr Schurken!« – »Gut, ich gehorche und gehe!« lachte der Räuber höhnisch und war im nächsten Augenblick im Dunkel der Nacht verschwunden.

Das hatte der Advokat nicht erwartet. Er rief so laut, als es die Vorsicht ihm gestattete, erhielt aber keine Antwort. Dies brachte ihn in die größte Verlegenheit. Wie nun, wenn er von den Briganten verraten wurde? Dann war mit ihm selbst auch sein groß angelegter Plan verloren, an dem er seit so vielen Jahren mit allen Kräften gearbeitet hatte.

Er kehrte mit sorgenvollem Herzen nach dem Schloß zurück, wo er sich schlafen legte, aber keine Ruhe fand. Es war nicht das böse Gewissen, das ihn peinigte, denn ein Gewissen hatte dieser Mann nicht, sondern er schlug sich mit wirren Gedanken, wie er jedem ihm drohenden Unheil begegnen könne.

So hatte er noch kein Auge geschlossen, als am anderen Morgen sich im Schloß ein unruhiges Hin- und Herlaufen bemerkbar machte. Cortejo vernahm untermischte Ausrufe, die darauf schließen ließen, daß etwas Ungewöhnliches geschehen sei, und erhob sich. Das war kaum geschehen, so klopfte es an die Tür seines Schlafzimmers, und der Domestike, der ihn zu bedienen hatte, fragte von außen:

»Ruht Ihr noch, Señor Cortejo?« – »Ja«, antwortete er aus Vorsicht. – »So erhebt Euch schnell. Don Emanuel verlangt, mit Euch zu sprechen.« – »So früh? Weshalb?« – »Es ist etwas Unangenehmes geschehen. Der Räuber ist während der Nacht entflohen.« – »Nicht möglich!« rief der Advokat mit künstlichem Staunen in seinem Ton. »Ich werde sogleich kommen.«

Kaum zwei Minuten später verließ er sein Zimmer und begab sich zum Grafen. Er fand bei demselben die Gräfin Rosa, die fromme Schwester Clarissa und den jungen Grafen Alfonzo.

»Señor, habt Ihr bereits gehört, um was es sich handelt?« wurde er von Don Emanuel gefragt. – »Ja«, antwortete er. »Aber ich halte die Sache für einen Irrtum!« – »Es ist kein Irrtum; der Brigant ist wirklich entkommen!« – »Das ist ja gar nicht möglich! Er wurde ja von zwei Männern scharf bewacht.« – »Dennoch ist er entkommen, oder vielmehr, er ist spurlos verschwunden, auf eine so unbegreifliche Weise, daß wir uns den Fall nicht erklären können.« – »Hm!« brummte der Notar mit einer Miene des allerhöchsten Erstaunens. »Hat Ihnen Don Alfonzo gesagt daß er selbst sich noch während der Nacht von der Sicherheit des Gefängnisses überzeugt hat?« – »Allerdings. Mein Sohn hat das Gefängnis inspiziert und dabei bemerkt daß der Gefangene schlafend am Boden lag. – »So müssen die Diener ihm zur Freiheit verholten haben. Es ist kein anderer Fall denkbar.« – »Das bezweifle ich. Diese beiden Männer waren so ganz außerordentlich bestürzt, daß ich an ihrer Unschuld gar nicht zweifeln kann.« – »Auch ich bin überzeugt, daß nicht die mindeste Schuld sie trifft«, bemerkte Rosa mit warmem Nachdruck. »Diese Leute sind treu, das kann ich behaupten!« – »Aber, meine gnädigste Condesa, wie hat dann der Räuber ohne ihr Wissen oder gar ohne ihre Hilfe das Gefängnis verlassen können?« fragte der Advokat. – »Das wird wohl die Untersuchung ergeben. Der Vater hat Euch rufen lassen, um Euch an derselben zu beteiligen.« – »So wollen wir hoffen, daß sie nicht erfolglos ist. Ich werde mich sofort an Ort und Stelle begeben.«

Was sich voraussehen ließ, geschah. Die Nachforschung hatte nicht das mindeste Ergebnis.

Auch Sternau wurde durch die im Schloß herrschende Unruhe aus dem Schlaf geweckt. Als er später den Korridor betrat, stieß er auf den kleinen Kastellan, dessen Gesicht ein einziger Ausdruck der höchsten Bestürzung war.

»Señor, wißt Ihr es schon«, fragte er hastig, »daß dieser Spitzbube, dieser Mörder, ausgerissen ist?« – »Unmöglich!« rief der Arzt erschrocken. – »Oh, sehr möglich, Señor!« antwortete der Kastellan. »Er ist fort, über alle Berge; das sagt meine Elvira auch!« – »Aber wie denn? Wie konnte es ihm gelingen, zu entkommen?« – »Das weiß kein Mensch, sogar meine Elvira nicht Señor!« – »Ist er denn nicht bewacht worden?« – »Sogar sehr! Ich habe ja zwei Knechte an seine Tür gestellt. Auch der gnädige Graf Alfonzo ist bei ihnen gewesen, um sich von ihrer Wachsamkeit zu überzeugen. Er hat gesehen, daß der Gefangene sich in dem Gefängnis befand. Heute früh aber, als die Knechte öffneten, um dem Menschen Wasser zu geben, war er fort.« – »Das ist ja erstaunlich! Das muß untersucht werden! Ist der Mann entwischt, so ist mit ihm auch die Hoffnung verschwunden, über den gestrigen Mordanfall eine Aufklärung zu erlangen!« – »Leider, Señor! Nun werden die Gerichte kommen, um die Untersuchung zu beginnen, und die Hauptperson, der Mörder, ist fort. Das ist fatal; das ist sogar blamierend für uns; das sagt meine Elvira auch. Aber ich stehe hier und habe doch zu tun! Ich muß mich sputen, denn der Wagen wird angespannt, und ich habe die gute Condesa Rosa nach Pons zu begleiten.«

Alimpo eilte weiter, denn er hatte jetzt vor allen Dingen eine sehr ehrenvolle Pflicht zu erfüllen, er mußte seine junge Herrin unter seinen starken Schutz nehmen, damit ihr unterwegs kein Leid widerfahre. Das machte ihn stolz; das schwellte die Muskeln seines kleinen Körpers und gab ihm den Mut eines Löwen. Und wenn er auch nicht gerade das Schwert des alten Urahn-Ritters umschnallte, so fühlte er sich doch ganz und gar als der treueste und tapferste Ritter der schönsten Doña im schönen Spanien. Übrigens, was das Schwert betrifft, so wäre es ihm gar nicht gut möglich gewesen, seine Hüften damit zu umgürten, da es sonst ebensolang war wie er selbst.

8. Kapitel

»Ich suche dich, o Vaterhaus,

Von dem mich finstere Mächte trennen.

Ich kämpfte gern manch‘ heißen Strauß,

Zu finden dich und zu erkennen!

Ich suche dich, o Mutterherz,

Und hör‘ kein Echo meiner Klagen.

Ich trüge gern den größten Schmerz,

Um dir mein Leid und Weh zu sagen!

Ich suche dich, o Vaterhand,

Der man mich mit Gewalt entrissen,

Und werde wohl von Land zu Land

Fremd und erfolglos wandern müssen!«


In Pons war heute Jahrmarkt, und darum durfte man sich nicht wundern, daß auf den Straßen und Wegen, durch die dieser Ort mit der Umgegend verbunden war, bereits am frühen Morgen ein reges Leben herrschte. Der Spanier ist ernst, doch wenn sich ihm Gelegenheit bietet, das Leben von der heiteren Seite zu nehmen, so gibt er sich dem Genuß um so nachdrücklicher hin.

Zwei Männer schritten von Osten her der Stadt entgegen. Sie hielten sich der Straße fern und benutzten nur Wege, auf denen sie keine häufigen Begegnungen zu erwarten hatten. Sie trugen lange Pyrenäenbüchsen auf der Schulter und Messer und Pistolen im Gürtel und hatten auch sonst nicht das Aussehen friedlich gesinnter Leute. An einer Schnur hing jedem von ihnen eine schwarze Tuchrolle von der Schulter hernieder. Hätte man dieselbe aufgerollt, so hätte man sie als eine schwarze Kapuze erkannt, die vorn wie eine Maske mit ausgeschnittenen Augenlöchern gebaut war. Solche Kapuzen hatten die Briganten bei dem Überfall im Park von Rodriganda getragen, darum war es nicht schwer, diese Männer mit ihnen in Verbindung zu bringen.

Und in der Tat, der eine war jener Räuber, den der Notar hatte entkommen lassen, und der andere war derjenige, der bei dem Angriff auf den Doktor in die Büsche entsprungen war. Als der erstere sein Gespräch mit dem Notar so schnell abgebrochen hatte, war er weiter in das Feld gegangen, hatte Rodriganda, das Dorf, zur Seite liegen lassen und war in den nach Pons führenden Weg eingebogen. Dies war nicht die Richtung, in die das Gebirge führte, und so war er hier wohl sicher, da die Verfolgung, wenn sie ja unternommen wurde, sich jedenfalls hinauf nach den Bergen zog.

So schritt er denn ziemlich unbesorgt weiter, als sich plötzlich vor ihm die Gestalt eines Mannes in der Dunkelheit der Nacht erhob.

»Halt!« rief ihm eine Stimme entgegen, indem zugleich der Hahn eines Gewehrs knackte. »Bleib stehen und lege deine Waffen ab!«

Der Brigant war im ersten Augenblick überrascht, im nächsten aber erkannte er die Stimme. Es war diejenige seines Gefährten, der vor den Hieben Sternaus geflohen war. Darum antwortete er:

»Mach keinen Spaß, Juanito! Bei mir findest du weder Gold noch Silber, ja nicht einmal den zehnten Teil eines armen Maravedi, denn diese Schufte da drüben auf dem Schloß haben mir alles abgenommen.« – »Henrico, du bist es?« rief der andere, und man hörte es dem Ton seiner Stimme an, daß er freudig überrascht war. »Alle Teufel, wie kommst du denn hierher an diesen Ort?« – »Auf meinen Beinen, denke ich!« – »Ja, sie werden dich nicht mit einem Sechsgespann herbeigefahren haben!« lachte Juanito. »Aber ich denke, du steckst im Loch und sollst morgen transportiert werden?« – »Sie hatten es allerdings so vor, aber ich habe ihnen das Spiel verdorben.« – »Du bist entflohen?« – »Natürlich! Oder meinst du vielleicht, daß sie mich freiwillig entlassen haben, he?« – »So dumm bin ich nicht ganz. Aber erzähle, wie es gekommen ist!«

 

Henrico erzählte, was er von seiner Gefangennahme an bis jetzt erlebt hatte, und fragte sodann:

»Aber nun sage auch du, wie du hierherkommst! Was tust du hier?« – »Das hast du ja gesehen! Ich lauere auf einen kleinen Fang.« – »Unvorsichtiger! Warum bist du nicht zum Capitano zurückgekehrt?« – »Warum? Und das fragst du? Meinst du, daß ich dich verlassen sollte?« – »Ach, wirklich? Du bist bloß meinetwegen zurückgeblieben?« – »Ja; bei San Jago, es ist wahr! Als dieser deutsche Elefant so unsinnig auf uns losstampfte und ihr wie Grashalme von ihm niedergetreten wurdet, da machte ich mich in die Büsche und suchte zunächst den Ort auf, an dem wir unsere Büchsen und die übriggebliebenen Kapuzen versteckt hatten. Dann raffte ich das Zeug zusammen und floh weiter. Später ging ich lauschen. Da erfuhr ich, daß man dich gefangengenommen habe und daß die anderen tot seien; morgen würde man dich weitertransportieren. Deshalb nahm ich mir vor, dich zu befreien. Ich wollte mich in den Hinterhalt stellen. Ich habe ja unsere fünf Büchsen und kann also zehn Schüsse abgeben. Für die Nacht hatte ich mich hier am Weg schlafen gelegt, als ich dich plötzlich kommen hörte und dachte, es sei irgendeiner von den reichen Bauern in Rodriganda, dem ich die Goldstücke aus der Tasche heben und die silbernen Knöpfe von der Weste und Jacke schneiden könne. Na, ich hatte mich verrechnet, aber es ist mir so doch noch lieber. Was gedenkst du nun zu tun?« – »Ich kehre zum Capitano zurück.« – »Das fällt mir nicht ein!« meinte Juanito. »Er wird ohne mich auch auskommen.« – »Ja, aber du gehörst doch zu ihm.« – »Jetzt nicht mehr. Ich habe keine Lust, mich wegen des Mißlingens unseres Auftrags bestrafen zu lassen. Er entzieht uns wenigstens zehnmal unseren Beuteanteil.« – »Hm, wenn er es nicht gar noch anders macht!« brummte Henrico. »Recht hast du, Juanito; aber wir müssen gehorchen.« – »Ich sehe keinen Grund dazu.« – »Wir haben ihm Treue geschworen.« – »Bah! Einem Räuberhauptmann braucht man keinen Schwur zu halten. Ich tue das, was die Kaufleute sagen: ich separiere mich.« – »Das heißt, du willst unser Geschäft von jetzt an auf eigene Faust betreiben?« – »Ja. Ganz allein! Außer, du machst mit!« – »Ich? Hm!« – »Überlege es dir, Henrico! Der Capitano nimmt von allem, was wir bringen, den Löwenanteil; er behält alle Geheimnisse, alle Schliche und Kniffe für sich; wir plagen uns; wir riskieren das Zuchthaus und den Galgen, er aber bleibt daheim und spielt den Gebieter. Du weißt, wieviel er für den Tod dieses Deutschen erhalten hat. Wieviel wird er wohl uns davon geben?« – »Einige lumpige Dukaten. Ja, das ist wahr!« – »Sind wir nicht die Kerle dazu, die Summe uns ganz allein zu verdienen? Können wir zum Beispiel uns nicht auch einen reichen Edelmann fangen, der uns ein so großes Lösegeld geben muß, daß wir die Herren spielen können?« – »Alle Teufel, du hast recht, Juanito! Aber dann müssen wir diese Gegend verlassen. Wenn uns der Capitano erwischt, ist es um uns geschehen.« – »Wir gehen über den Ebro. Vorher aber müssen wir uns Reisegeld holen. Da ist heute in Pons Jahrmarkt, und wir werden manchen sehen, dessen Tasche für uns besser paßt als für ihn. Gehst du mit?« – »Ja, es mag so beschlossen sein! Also Gewehre hast du?« – »Die Gewehre und Pistolen, die wir ablegen mußten, da wir den Deutschen nur mit den Messern angreifen durften. Zufälligerweise habe ich zwei Messer bei mir; du kannst eins davon bekommen.« – »Aber mit all den Büchsen und Pistolen sehen wir zu auffällig aus!« – »Narr! Was wir nicht brauchen, das wird versteckt bis zu einer gelegeneren Zeit. Jetzt aber wollen wir uns zunächst selbst in Sicherheit bringen und einen Ort suchen, wo wir die Nacht ungestört verschlafen können.«

Auf diese Weise hatten sich die beiden zusammengefunden. Sie schliefen während der Nacht im Wald, vergruben am Morgen alles Überflüssige und machten sich dann auf den Weg nach Pons.

Sie hatten nicht die Absicht, in die Stadt zu gehen, denn das war zu gefährlich für sie; sondern sie wollten sich vor dem Ort in den Hinterhalt legen, um irgend jemandem eine genügende Summe Geldes abzunehmen, mit der sie eine Zeitlang zu leben vermochten.

So lagen sie hinter einigen Sträuchern verborgen und sahen manchen vorübergehen, ohne daß sie sich von der Stelle bewegt hätten, denn die Passierenden machten nicht den Eindruck, als ob sie größere Summen bei sich führten.

Da vernahmen sie nahenden Hufschlag und das weiche Rollen von Wagenrädern; Henrico lugte mit vorgestrecktem Hals durch die Büsche und zog sich augenblicklich mit einer Bewegung des Schrecks wieder zurück.

»Was hast du? Wer ist es?« fragte Juanito. – »Alle Wetter, bin ich erschrocken!« antwortete der Gefragte. »Das ist die Señorita!« – »Welche Señorita?« – »Aus Rodriganda. Die, welche bei dem Deutschen war, als wir ihn überfielen.« – »Wirklich? Alle Teufel, die müssen wir haben!«

Juanito hob die Büchse und blickte nun seinerseits auch durch die Büsche, zog sich aber mit einer Miene der Enttäuschung augenblicklich wieder zurück.

»Ja, sie war es!« meinte er. »Aber das ging ja so schnell vorbei, daß man gar nicht zum Schuß kommen konnte.« – »Zum Schuß, Juanito?« fragte Henrico. »Du wolltest sie doch nicht etwa erschießen?« – »Narr! Die Pferde wollte ich erschießen. Dann mußten sie halten und waren in unsere Hand gegeben.« – »Das lasse ich mir eher gefallen! Bei der heiligen Madonna, es ist etwas verdammt Armseliges, ein so schönes, wehrloses Frauenzimmer zu erschießen! Wir wären mit diesen paar Leuten schnell fertig geworden. Der Kutscher sah nicht aus wie ein Held, und der andere, den hörte ich gestern Señor Kastellan nennen. Er ist ein Kerl, den eine Mücke in die Flucht treibt. Die Señorita hat sicherlich mehr Geld bei sich, als jeder andere, der hier vorüberkommt. Wollen wir hier auf ihre Rückkehr warten?« – »Ja«, nickte Juanito zustimmend. »Einen besseren Fang können wir ja gar nicht machen. Wir schießen die Pferde nieder, du das Hand- und ich das Sattelpferd. Das Weitere wird der Augenblick ergeben.«

Während dieser Plan hier besprochen wurde, rollte die Equipage der Gräfin Rodriganda der Stadt im Galopp entgegen. Rosa wußte, daß die Freundin mit der Post kommen werde, und da die Zeit der Ankunft derselben noch nicht gekommen war, so gab sie dem Kutscher Befehl, nach der Locanda zu fahren, die sie als das anständigste Gasthaus des Städtchens kannte.

Dort angekommen, überließ sie dem Kastellan und dem Kutscher die Sorge für die Pferde und begab sich in das Zimmer, in dem sie bei ihrer jedesmaligen Anwesenheit in Pons abzusteigen pflegte. Es war heute zwar bereits besetzt, aber der Wirt machte es der Gräfin möglich, es für die kurze Zeit des Wartens zu erhalten.

Als nach einer halben Stunde die mit sechs Maultieren bespannte Post-Diligence in das Städtchen rollte, stand der Kastellan mit dem Kutscher in der Posthalterei bereit, den Gast zu empfangen und seiner Herrin zuzuführen.

Der große Kasten der Post-Arche entleerte sich nach und nach seines Inhaltes, und ganz zuletzt entstieg ihm auch eine Dame, die so in Schleier und Reisemantel eingehüllt war, daß man von ihr nur erkennen konnte, daß sie von mittelgroßer Figur und gewandtem, selbstbewußtem Benehmen sei. Der Kastellan hatte alle Aussteigenden vergeblich gemustert, jetzt aber trat er mit seiner tiefsten Verbeugung zu der Dame heran und sagte:

»Guten Tag – willkommen! Nicht wahr, Ihr seid Miß Amy, Señorita Lady Lindsay?«

Ein ganz kurzes, aber goldig helles Lachen drang durch den Schleier, gerade, als ob ein Rotkehlchen einen abgerissenen Jubelton getrillert hätte, und dann erklang die Antwort auf die seltsame Frage des Kastellans: