Von Mursuk bis Kairwan

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KARL MAY
VON MURSUK BIS KAÏRWAN

REISEERZÄHLUNG

Aus

KARL MAYS

GESAMMELTE WERKE

BAND 38

„HALBBLUT“

© Karl-May-Verlag

eISBN 978-3-7802-1321-1

Die Erzählung spielt Ende der 70er-Jahre des 19. Jahrhunderts.

KARL-MAY-VERLAG

BAMBERG • RADEBEUL

Inhalt

VON MURSUK BIS KAÏRWAN

1. Der Tedetu

2. „Ich bin der Beschützte“

3. Der Mann aus Bilâd Amirika

4. Manasse Ben Aharabs Tod

5. Kaïrwan, die heilige Stadt

Nachwort

VON MURSUK BIS KAÏRWAN
1. Der Tedetu

Ich war von Tripolis nach Mursuk, der Hauptstadt der Provinz Fezzan, gekommen und bei dem reichen, jüdischen Handelsherrn Manasse Ben Aharab, an welchen ich gute Empfehlungen hatte, abgestiegen. Er nahm mich mit großer Gastfreundlichkeit auf und tat es nicht anders, ich musste in seinem Haus wohnen und wurde dort geradezu wie ein Sohn gehalten. Das bedeutete einen außerordentlichen Vorzug, denn er war nicht nur reich, sondern auch sehr stolz und lebte außerordentlich zurückgezogen, vielleicht auch aus dem Grund, weil die Bevölkerung von Mursuk meist aus Mohammedanern besteht, die den Juden noch geringer als den Christen achten. Der Islam erklärt Christus bekanntlich für den größten Propheten nach Mohammed und kann es dem Juden nicht vergessen, dass seine Vorfahren Isa Ben Marryam, also Jesus, den Sohn Mariens, gekreuzigt haben.

Manasse war Witwer und hatte ein Kind, eine Tochter, die Rahel hieß. Sie mochte, als ich mich bei ihm befand, fünfzehn Jahre zählen, war aber, dem südlichen Klima angemessen, körperlich und geistig nicht nur vollständig entwickelt, sondern sogar vielleicht das schönste Mädchen, das ich jemals gesehen habe. Ihre Schönheit war weit und breit berühmt, und da sie eigentlich aus Sokna stammte, woher ihr Vater vor einigen Jahren nach Mursuk gezogen war, so wurde sie allgemein die ‚Rose von Sokna‘ genannt.

Ich hatte schon unterwegs, als ich in Sokna einen Tag ruhte, von ihr gehört und will aufrichtig gestehen, dass ich neugierig war, zu sehen, ob sie diesen Namen wirklich verdiene. Und ja, sie trug ihn mit vollem Recht. Als ihr Vater mich zu ihr führte, fanden wir sie auf einem rotsamtenen Polster liegen, das sich rundum an die vier Wände des Gemachs schmiegte. Sie trug eine weite, weißseidene Frauenhose, die mit goldenen Spangen an die feinen Knöchel befestigt war und um die Hüften von einem blassblauen, reich in Gold gestickten Gürteltuch festgehalten wurde. Die nackten, rosig schimmernden Füße steckten in niedlichen, violettseidenen Pantoffeln. Um den Oberkörper schloss sich eine eng anliegende dunkelblauseidene Jacke, die anstatt der Knöpfe von schwergoldenen Ketten zusammengehalten wurde. Das blauschwarze, dichte Haar hing in langen, schweren Zöpfen weit herab; Nadeln mit großen, silbernen Knöpfen glänzten in ihm und über die Stirn breitete sich ein loses Diadem von Goldstücken verschiedener Größe. An den kleinen Händen funkelten Ringe von gewiss sehr hohem Wert.

Das aber war es nicht, was mir imponieren konnte. Es gibt verschiedene Arten von Reichtum. Man kann reich sein an Erfahrung, an Ehren, an Bildung – auch an Geld, und dieser letztere Reichtum hat an sich keinen Wert für mich. Aber dieses Gesicht! Auf den prächtig gezeichneten Lippen lag der Ausdruck stolzer Reinheit und weiblicher Güte und aus den mandelförmig geschnittenen, großen, dunklen Augen leuchtete ein ruhiger, offener, selbstbewusster Blick, der erkennen ließ, dass die ‚Rose von Sokna‘ auch in Beziehung auf ihren Geist und ihr Gemüt mehr als ein gewöhnliches Mädchen sei.

Sie erhob sich bei unserem Eintritt und sah mich forschend an. Vor diesem Auge, wie sie es so auf mich richtete, konnte sich gewiss kein unedler Charakter verbergen.

„Das ist der deutsche Effendi, dessen Ankunft mein Geschäftsfreund mir in Tripolis gemeldet hat“, sagte ihr der Vater.

Sie reichte mir die Hand und sprach: „Du bist uns sehr willkommen, Effendi. Der Brief, den wir erhielten, hat uns viel von dir erzählt. Wir erfuhren, dass du weit über die Erde gewandert bist und mehr erlebt und erfahren hast als viele andere Menschen. Ich habe mich auf dein Kommen gefreut, denn wir leben hier sehr einsam, weil wir niemanden haben, dem wir Freund sein möchten. Bleib recht lange in unserem Haus, dessen Wirtin ich bin! Ich werde mich bemühen, dass es dir bei uns gefallen möge.“

Ich wurde ‚du‘ genannt, weil wir Arabisch sprachen.

Ihr Wunsch ging in Erfüllung: Es gefiel mir außerordentlich bei Manasse Ben Aharab und seiner Tochter. Er tat alles Mögliche, mich zu halten, und sie war trotz ihrer Jugend eine vortreffliche Wirtin, wie ich sie hier in der afrikanischen Oase nicht gesucht hätte.

Ich kam aus der Heimat, war vorher in Nordamerika gewesen und wollte nun tief in die Sahara hinein. Das durfte nicht plötzlich geschehen, wenn ich nicht meine Gesundheit schädigen wollte. Ich musste erst kurze und dann immer weitere Ausflüge unternehmen, um mich wieder an das Wüstenklima zu gewöhnen. Jedem dieser Ausflüge ging ein besorgter Abschied voran, besorgt, weil man wohl glaubte, dass ich nicht zurückkehren würde, und kam ich dann wieder, so sah ich, dass die Freude darüber ebenso groß wie aufrichtig war. Wie wurde ich gebeten, mich zu schonen, mich ja nicht in Gefahr zu begeben! Ich habe auf meinen Reisen viel Güte, viel Liebe gefunden und kann wohl sagen, dass die Erinnerung an dieses gastliche Haus in Mursuk mit zu meinen schönsten gehört.

Natürlich brauchte ich bei meinen Ausflügen einen Begleiter, wobei mir Manasse Ben Aharab einen seiner Diener, namens Ali, empfohlen hatte. Dieser war noch jung, vielleicht 23 Jahre alt und ein sehr brauchbarer Mensch. Er sprach mehrere arabische Dialekte und hatte keinen Familienanhang, der ihn örtlich binden konnte; er war treu, ergeben und, was die Hauptsache ist, ehrlich. Nur einen Fehler besaß er, der mir aber mehr Spaß als Verdruss bereitete: Er hatte einige Bücher gelesen und glaubte infolgedessen, ein sehr gelehrter Mensch zu sein. Auch für einen großen Helden hielt er sich, wozu ich freilich der Wahrheit gemäß bemerken muss, dass er allerdings Mut besaß. Infolge dieses seines Selbstbewusstseins war er mit dem einfachen Namen Ali nicht zufrieden und kam, wie dies dort im Süden so Sitte ist, bei jeder halbwegs passenden Gelegenheit auf seine Vorfahren zu sprechen, indem er seinem Namen diejenigen seiner nächsten Ahnen anhängte. Dann hieß er nicht bloß Ali, sondern Ali el Hakemi Ibn Abbas er Rumi Ben Hafis Omar en Nasafi Ibn Sadek Kamil el Batal. Je länger solch ein arabischer Name ist, desto größer ist die Ehre für den Betreffenden; wer aber die Namen seiner Vorfahren nicht kennt, wird nicht geachtet. Dazu kam, dass Batal so viel wie ‚Held‘ bedeutet; man kann sich also denken, welch gewichtigen Nachdruck er auf dieses Schlusswort legte.

Was mich betrifft, so wurde ich hier, wie schon auf meinen früheren Reisen, Kara Ben Nemsi genannt. Kara klang an meinen Vornamen an und bedeutet ‚schwarz‘, und Ben Nemsi heißt ‚Sohn der Deutschen‘. Ich trug einen dunklen Bart und war ein Deutscher, daher dieser Name.

Den letzten Ausflug vor meiner endgültigen Weiterreise wollte ich nach dem Wadi Kouhr machen; ein ziemlich weiter Ritt, der über eine Woche in Anspruch nahm. Wadi heißt Tal und auch Fluss. Meist sind damit diejenigen Wasserläufe gemeint, die sich zur Regenzeit bilden und dann wieder versiegen. Diese Flüsse sind zuweilen gefährlich. Der Regen in den Tropen ist ein ganz anderer als bei uns. Er gießt nicht nur, sondern er fällt wie eine geschlossene Masse vom Himmel herab; im Nu bildet sich der Fluss und stürzt sich gleich einer vorwärtsschießenden Mauer ins Tal hernieder. Befindet sich darin ein Zeltlager, so ist alles verloren, was nicht augenblicklich fliehen kann. Wir standen jetzt kurz vor Beginn der Regenzeit.

Man darf sich die Sahara nicht als ein ununterbrochenes ödes Sandmeer denken. Ja, es gibt da schier endlose Sandflächen; aber es erheben sich auch einzelne Berge oder steinige Höhenzüge. Und Wasser ist auch vorhanden. Wo ein Quell zu Tage tritt, da bildet sich eine Oase mit dem üppigsten Pflanzenwuchs. Oft braucht man nur einige Meter tief graben, um auf Wasser zu treffen, das freilich meist nicht von guter Beschaffenheit ist; doch wird es umso besser, je tiefer man gräbt; das haben die Franzosen durch ihre artesischen Brunnen bewiesen. Vor Jahrhunderten war die Sahara weit mehr bevölkert und bebaut als jetzt. Noch heute trifft man in der trostlosen Öde auf Römerbauten, die der wandernde Sand aber leider immer mehr verschüttet.

Eigenartig sind die Bijara mektumin, die ‚geheimen‘ Brunnen, an denen man vorüber, ja über die man sogar hinwegreiten kann, ohne zu ahnen, dass man sich in so großer Nähe des ersehnten Elements befindet. Ein weitab von der Karawanenstraße streifender Beduine entdeckt durch Zufall einen wasserhaltigen Ort, gräbt den Sand auf, füllt seinen Schlauch, tränkt sein Kamel, breitet seine Decke über das schmale Loch und wirft den Sand wieder darauf. Von nun an besitzt er einen Punkt, wo er rasten und sich erholen kann, und hält ihn geheim. Er verrät ihn nur dann, wenn er Nutzen davon haben kann. Diese heimlichen Brunnen befinden sich meist im Besitz von Räubern oder auch ganzen Raubkarawanen, denen ein solcher Bir[1] große Sicherheit bietet, weil sie es dann nicht nötig haben, die an den Karawanenwegen liegenden Brunnen aufzusuchen und sich dabei in Gefahr zu begeben.

 

Meine freundliche Wirtin hatte mich vor unserem Aufbruch mit allem Nötigen versehen, ohne dass es mich etwas kostete. Beritten waren wir leidlich, denn ich hatte zwei gute Reitkamele gekauft, sogenannte Hedschân, während das Lastkamel Dschemel genannt wird. Freilich mussten sie außer uns auch noch die Wasserschläuche tragen, weil ich angewiesen war, sparsam zu sein, und also kein Dschemel kaufen wollte. Es gab, wie gewöhnlich, einen längeren Abschied mit herzlich gemeinten Bitten und Ermahnungen.

„Effendi“, sagte Rahel, „sei nur ja vorsichtig und nimm dich in Acht, denn dein jetziges Ziel liegt nahe der Gegend, wo das Gebiet der räuberischen Tibbu beginnt. Wenn du mit ihnen zusammenträfest, wärest du verloren.“

„Lass dein Herz keine Sorge um mich tragen, o Blume der Oase! Ich fürchte mich nicht.“

„Ja, ich weiß gar wohl, dass du dich nicht fürchtest“, meinte sie eifrig, „du hast den Löwen und sogar den schwarzen Panther geschossen, der noch weit gefährlicher ist; du hast mit vielen Feinden gekämpft und bist stets Sieger gewesen; aber dein Körper zeigt noch heute die Narben der Wunden, die du bekommen hast, und wie leicht kann ein Messer oder gar eine Kugel tiefer gehen als bisher. Versprich mir, dass du vorsichtig sein willst; gib mir deine Hand darauf!“

„Hier ist die Hand; ich verspreche es.“

Sie nahm meine Hand in ihre beiden kleinen Hände, sah mir mit feuchten Augen in das Gesicht und fuhr fort: „Du weißt, dass wir dich lieb haben und sehr, sehr traurig sein würden, wenn dir ein Unglück geschähe. Denke ja daran, Effendi!“

„Sei gewiss, dass ich dies keinen Augenblick vergessen werde, o schönste der Rosen von Sokna!“

„Nicht dieses Wort! Du weißt, dass du mich nicht so nennen sollst. Du sollst nur denken, dass ich gut und deine Freundin bin. Allah jabarik fik; Allah jesellimak – Gott segne dich; Gott erhalte dich!“

Nach diesen Worten wandte sie sich ab und entfernte sich. Ihr Vater entließ mich in gleich freundlicher Weise; dann ritten wir an den Palmen-, Granaten-, Oliven-, Feigen-, Pfirsich- und Aprikosengärten der Stadt vorüber und zum Tor hinaus. Zwischen Wassermelonenfeldern ging es dann ostwärts weiter, wo bald der Pflanzenwuchs verschwand und unsere Kamele im Sand zu waten begannen.

Was unsere Kleidung und Waffen anbelangt, so trug ich Hose und Jacke von einem leichten, dunkelgrauen Stoff und darüber den mantelartigen weißen Haik mit Kapuze. An dem Turban hatte ich zum Schutz der Augen vorn einen blauen Schleier befestigt. Ali war ähnlich gekleidet; er besaß außer einem Messer und seinen zwei Pistolen eine lange, einläufige arabische Flinte. Ich hatte meine lange und oft bewährten Waffen bei mir: das Bowiemesser, zwei Revolver, den schweren Bärentöter, aus dem eine gut gezielte Kugel genügte, um einen Löwen niederzustrecken, und endlich meinen Henrystutzen, mit dem ich fünfundzwanzig Schüsse abgeben kann. Der Erfinder dieses Gewehrs hat nur zwölf Stück davon angefertigt; elf sind mit ihren Besitzern in den nordamerikanischen Prärien verloren gegangen; mein Exemplar ist das letzte und einzige, das es noch gibt.

Für unsere Anzüge hatte ich dunkelgrau gewählt, weil diese Farbe das Anschleichen am besten gestattet, das unbemerkte Herankommen an den Feind. Dieses Anschleichen ist eine gar nicht so leichte Kunst, wie man vielleicht denken mag; ich habe ihr viele Male mein Leben und auch das meiner Gefährten zu verdanken gehabt und war überzeugt, dass sie mir auch während meiner jetzigen Reise Nutzen bringen werde; die Farbe des Anzugs musste mich dabei unterstützen.

Die ersten drei Tage unseres Ritts verliefen ohne jede Störung. Das Wadi Kouhr liegt in der Libyschen Wüste, südöstlich von Mursuk und südwestlich von der Oase Kufarah. Die Libysche Wüste ist jener Teil der Sahara, der als der unwegsamste und gefährlichste bekannt ist. Uns machte sie zwar ein tiefernstes, aber doch kein feindseliges Gesicht.

Wir hatten seit Mursuk keinen Menschen zu sehen bekommen und wünschten auch nicht, jemandem im Wadi Kouhr zu begegnen. In jenen Gegenden gewöhnt man sich daran, in jedem Menschen, den man trifft, einen Feind zu erblicken. Nach dem Wadi aber mussten wir, denn dort gab es Wasser, unsere Schläuche, die leer geworden waren, wieder zu füllen. Übrigens kannte ich das Wadi nicht und auch Ali war noch niemals dort gewesen.

Der dritte Tag neigte sich zur Dämmerung; wir waren so schnell geritten, dass wir nach meiner Berechnung das Ziel unbedingt vor Nacht erreichen mussten, wenn wir keine falsche Strecke eingeschlagen hatten, und doch ließ sich nichts sehen, was auf die Nähe des Wadi hätte schließen lassen können. Schon wollte Ali bedenklich werden; er sagte:

„Effendi, wir hätten doch einen Führer mitnehmen sollen. Wenn wir heute das Ziel verfehlen, wissen wir nicht, nach welcher Richtung es zu finden ist, und stehen vor dem Tod des Verdurstens.“

„Hab keine Sorge“, antwortete ich ihm. „Da, schau hinauf gen Himmel, gerade vor uns! Da gibt es ein Zeichen, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden. Kennst du die beiden Vögel, die da ihre Kreise ziehen?“

„Ja, es ist ein Schahin[2] mit seiner Frau. Sollte der wirklich die Nähe des Wadi bedeuten?“

„Gewiss, leider auch die Nähe von Menschen. Der Schahin folgt gern den Karawanen und aus der Richtung, in der er oben fliegt, kann man folgern, wohin sich unten die Karawane bewegt, obgleich man sie noch nicht zu sehen vermag. Diese beiden Falken schweben langsam im Kreis, sie bewegen sich nicht fort; folglich sind die Menschen unter ihnen nicht im Reiten begriffen, sondern sie lagern.“

„Allah! Wie du das so sicher sagen kannst! Du bist wirklich kein ungeschickter Mensch, Effendi, dieses Lob muss ich dir geben. Was das zu bedeuten hat, wirst du wohl wissen?“

„Ja, nämlich nicht viel.“

„Ajjuha – oho! Ich bin ein Mann, der alles kennt, was es auf Erden gibt; ein solches Lob aus meinem Mund ist also ein Vorzug, der nicht jedem zuteil wird. Ich hoffe jedoch, dass du nicht darüber stolz wirst und dich überhebst, denn die Bescheidenheit ist die größte Zierde wahrhaft großer und gebildeter Männlichkeit. Auch der Prophet ist, was du als Christ nicht wissen kannst, niemals stolz gewesen.“

„Meinst du nicht, dass die Bescheidenheit auch dir zur Zierde gereichen würde?“

„Allerdings“, nickte er. „Besitze ich sie etwa nicht?“

„Ist es bescheiden, wenn du behauptest, alles zu kennen, was es auf Erden gibt?“

„Ja, denn ich habe mich nicht überhoben, sondern die Wahrheit gesagt. Bring mir doch einmal etwas, was ich nicht kenne!“

„Hast du unseren Weg nach dem Wadi gekannt? Kannst du sagen, wer da vor uns lagert?“

Da fuhr er sich mit der Hand hinter das Ohr, kratzte sich dort verlegen und antwortete: „Du verlangst zu viel von mir, Effendi. Wie kann ich alle Menschen, die Väter ihrer Ahnen und die Urahnen ihrer Großväter kennen! Ich habe gesagt, dass ich alles kenne, aber nicht, dass ich allwissend bin. Doch schau, kommt dort nicht ein Reiter geritten?“

Wir hatten das Wadi vor uns zu suchen; er deutete aber nach rechts, nach Süden, woher ein Reiter nahte. Dieser wollte jedenfalls auch nach dem Wadi; aber als er uns sah, hielt er sein Kamel für einen Augenblick an und verließ dann seine bisherige Richtung, um auf uns zuzulenken.

Als er uns so nahe gekommen war, dass wir ihn und sein Tier deutlich erkennen konnten, sah ich, dass er ein vornehmer und reicher Mann sein musste, denn er ritt ein graues Bischarinhedschîn, eines jener kostbaren Reitkamele, die kaum zu kaufen sind. So ein Hedschîn kann, wenn es eine Stute ist und überhaupt veräußert wird, nach deutschem Geld dreißigtausend Mark und noch mehr kosten. Ich hatte früher ein solches Tier geritten und mit ihm an einem Tag zwischen neunzig und hundert Kilometer zurückgelegt.

Ihren Namen haben diese Hedschân von den Bischarînnomaden, die am oberen Nil wohnen. In der Sahara werden sie meist von den Tibbu gezüchtet, die dafür bekannt sind, dass sie die schönsten Reitkamele besitzen. Und zu diesem Volk der Tibbu schien der Reiter zu gehören, der jetzt auf uns zukam. Seine Hautfarbe war fast so dunkel wie die eines Negers; man hätte ihn leicht für einen solchen halten können, wenn er nicht eine gerade Nase und schmale Lippen gehabt hätte. Seine Gestalt schien, soweit der weiße, faltige Burnus dies erkennen ließ, lang und schlank, aber sehr kräftig zu sein; sein Haar hing ihm in langen Zöpfen auf den Rücken herab. Anstatt des Turbans trug er ein rotes Kiffije[3]; eine lange, einläufige Flinte lag quer vor ihm auf dem Sattel. Zehn Schritte vor uns hielt er sein Hedschîn an, machte eine leichte Handbewegung nach der Brust und grüßte: „Sallam! Wohin geht euer Weg?“

Sein Blick ruhte finster und forschend auf uns. Der Mann gefiel mir nicht. Wenn der Beduine so kurz grüßt, ist das stets ein sicheres Zeichen, dass er keine freundliche Absicht hegt.

„Sallam“, antwortete ich ebenso kurz. „Wir wollen nach Wadi Kouhr.“

„Kennt ihr es?“

„Nein, wir waren noch niemals dort.“

„Maschallâh – Wunder Gottes! – Wie habt ihr euch zurechtfinden können?“

„Allah ist der Führer der Seinen. Wer ihm vertraut, geht niemals irr.“

Er machte eine verächtliche Armbewegung und bemerkte: „Allah wohnt im Himmel. Er wird nicht vor dir hergeritten sein, um dir den Weg zu zeigen. Woher kommt ihr?“

„Von Mursuk.“

Es ging, als ich diesen Ort nannte, ein schnelles Leuchten über sein Gesicht; dann fragte er: „Wohnst du dort?“

„Nein. Ich habe nur längere Zeit dort gerastet.“

„So wirst du dennoch die Stadt und ihre Bewohner kennengelernt haben. Hast du vielleicht einen jüdischen Tagir[4] gesehen, der Manasse Ben Aharab heißt?“

„Ja. Ich war sein Gast und habe bei ihm gewohnt.“

Wieder bemerkte ich jenes blitzartige Leuchten, das über sein Gesicht zuckte. Dann erhellten sich seine bisher finsteren Züge und er sagte in viel freundlicherem Ton: „Danke Allah, dass dem so ist; Manasse ist mein Freund, und da du der seinige bist, heiße ich dich willkommen. Folge mir!“

Er hatte nur zu mir gesprochen, wohl weil er erriet, in welcher Stellung sich Ali zu mir befand. Diesen schien das zu ärgern, denn als der Fremde jetzt sein Kamel wendete, ergriff er schnell das Wort.

„Halt, warte noch! So rasch, wie du meinst, geht das nicht. Wir müssen wissen, wer du bist.“

Da drehte sich der Angeredete wieder nach uns um, betrachtete ihn mit zusammengezogenen Brauen und fragte: „Wer bist denn du, dass du so zu mir sprechen wagst?“

„Wagst? Ist es ein Wagnis, mit dir zu reden? Ich kenne keinen Menschen, vor dem ich mich zu fürchten hätte, denn ich bin Ali el Hakemi Ibn Abbas er Rumi Ben Hafis Omar en Nasafi Ibn Sadek Kamil el Batal! Verstanden? El Batal!“

Er wiederholte diesen Beinamen und betonte ihn stark, weil das Wort, wie bereits bemerkt, ‚der Held‘ bedeutet. Der Fremde ließ ein leises Lächeln über seine Mundwinkel gleiten und antwortete:

„Ja, el Batal, ich höre es; du bist der Nachkomme dieses Mannes; aber der Enkel oder Urenkel eines Helden kann ein großer Feigling sein. Was bist du denn?“

„Ich? Ich bin ein großer Krieger und ein großer Alim[5]. Es gibt auf Erden keine Wissenschaft, die meinem Auge verborgen wäre. Wie ist dein Name und zu welchem Stamm gehörst du?“

Das Lächeln des anderen wurde stärker und, wie mir es schien, zugleich spöttischer; er antwortete ihm nicht, sondern wandte sich zu mir: „Ist dieser Mann mit dem langen Namen dein Freund oder dein Diener?“

„Das Letztere“, antwortete ich der Wahrheit gemäß und innerlich erstaunt über den Scharfblick, den er durch diese Frage verriet.

„So sag ihm, dass ein freier Mann sich nicht von einem Menschen, der bezahlt wird, ausfragen lässt. Du bist der Herr und dir will ich Auskunft geben: Ich bin ein Tedetu und werde Tahaf genannt. Und nun komm, ich werde dich zu meinen Leuten führen.“

Er wendete abermals um und ritt davon. Während wir ihm folgten, drängte Ali sein Kamel nahe an das meinige und raunte mir zu:

 

„Was hast du getan, Effendi! Du hast mein Angesicht schamrot gemacht. Musstest du ihm sagen, dass ich dein Diener bin?“

„Ja“, antwortete ich.

„Warum?“

„Weil es dir nichts schaden kann, wenn du einmal an die Wahrheit erinnert wirst, Prahlhans.“

„So gibst du also nicht zu, dass ich ein Gelehrter bin?“

„Nein.“

Um weiteren Vorwürfen zu entgehen, lenkte ich mein Kamel von ihm weg und an die Seite des Tedetu. Tedetu ist die Einzahl von Tibbu; ein einzelner Mann vom Tibbuvolk wird also nicht Tibbu, sondern Tedetu genannt. Er beobachtete mich, als ich nun neben ihm ritt, scharf von der Seite her. Ich sah, dass sein Blick besonders an meinen beiden Gewehren hing; solche Waffen waren ihm natürlich unbekannt. Er redete nichts und auch ich hielt es nicht für nötig, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen.

Erst nach längerer Zeit sagte er: „Du wirst unser Gast sein und kennst meinen Namen. Willst du mir nicht den deinigen nennen?“

„Ich heiße Kara Ben Nemsi.“

„Ben Nemsi? So bist du wohl aus einem fremden Land?“

„Ja, aus dem Bilâd el Almân.“[6]

„Also kein Fransâwi?“[7]

„Nein.“

„Ich habe von dem Bilâd el Almân gehört. Es regiert da ein großer Sultan, der Wi-hel[8] heißt und die Fransâwi besiegt hat. Diese sind unsere Feinde; darum ist jeder Almâni unser Freund und meine Leute werden sich freuen, dich zu sehen. Natürlich bist auch du ein Krieger?“

„Eigentlich nicht.“

„Was denn? Ich sehe doch, dass du viele Waffen trägst.“

„Ich habe sie nur, um mich zu verteidigen, wenn ich angegriffen werde. Ich bin ein Musannif[9], also ein Mann des Friedens.“

Da maß er mich mit einem halb verächtlichen, halb mitleidigen Blick und rief aus: „Allah erhalte dir den Verstand! Du trinkst daheim schwarze Tinte und trägst hier zwei Flinten auf dem Rücken? Hat dir die Glut der Sonne das Gehirn verbrannt? Wer kein Krieger ist, ist auch kein Mann. Ein Musannif muss bei den alten Weibern sitzen. Du bist doch stark und kräftig; der Prophet muss dich schlecht erleuchtet haben!“

Das war grob. Ich antwortete: „Ich verlange kein Licht von ihm, denn ich bin kein Muslim, sondern ein Christ.“

Ich wusste recht gut, was ich tat, als ich ihm das so offen sagte. Dieser Mann mit dem stolzen Auge und dem verächtlichen Lächeln irrte sich in mir. Ich ritt mit so bescheidener Miene neben ihm her; wahrscheinlich lernte er mich recht bald ganz anders kennen. Er drängte sein Hedschîn ein Stück von mir weg und rief aus: „Allah bewahre mich! Ein Christ bist du, ein verdammter Giaur, den der Teufel...“

„Uskut – schweig!“, unterbrach ich ihn, während ich mich im Sattel aufrichtete. „Du hältst deinen Glauben für den richtigen und ich den meinigen. Wenn du mich ungläubig nennst, kann ich dich mit demselben Recht ebenso heißen. Ich tue es nicht, weil wir Christen gewohnt sind, höflich zu sein. Einen Giaur lasse ich mich nicht nennen, das merke dir ja!“

Er sah ganz erstaunt zu mir herüber, ein solches Auftreten hatte er mir nicht zugetraut! Er fragte: „Was wolltest du dagegen tun? Etwa mich erschießen?“

„Nein. Eine Kugel ist ein Beleidiger nicht wert. Ich würde dich einfach mit dieser meiner Faust vom Kamel schlagen.“

Das war nach den Gebräuchen der Tibbu eine todeswürdige Beleidigung. Ein Schlag mit der Hand oder mit einem Gegenstand, der keine Waffe ist, und auch die bloße Androhung eines solchen Hiebes ist eine Kränkung, die nur mit Blut abgewaschen werden kann. Er fuhr auch sofort mit der Hand unter den Burnus und riss seine Pistole hervor: „Mich schlagen? Das muss...“

Aber noch schneller als er hatte ich den Revolver in der Hand, zielte auf seinen Kopf und fiel ihm in die Rede: „Weg mit der Pistole! Sobald du sie auf mich richtest, fährt dir meine Kugel in den Kopf! Ich werde dir beweisen, dass ein Musannif nicht bei den alten Weibern zu sitzen braucht, sondern auch ein tapferer Mann sein kann. Ich habe dich beleidigt, weil du vorher mich beleidigt hast: Wir sind also quitt. Ist dir das nicht recht, so bin ich sofort bereit, vom Kamel zu steigen und mit dir zu kämpfen, wie es sich unter Kriegern ziemt.“

Es ging eine ganz eigentümliche Bewegung über seine erregten Züge, dann steckte er die Pistole zurück und sagte in erzwungen ruhigem Ton: „Wohlan, du hast Recht. Wir haben uns gegenseitig beleidigt und sind nun quitt, weil du mein Gast sein sollst. Reiten wir weiter!“

Diese schnelle Beruhigung war nur scheinbar; ich ließ mich durch sie nicht täuschen und wusste genau, dass ich, selbst wenn er mir vorher freundlich gesinnt gewesen wäre, nun in ihm einen unversöhnlichen Feind erworben hatte. Am liebsten hätte ich mich von ihm getrennt; das ging aber nicht an, denn er ritt nach dem Wadi, wo wahrscheinlich seine Tibbu lagerten, und ich musste auch hin, weil wir Wasser brauchten, das mehrere Tagesreisen weit an keinem anderen Ort zu finden war. Ich hegte die Überzeugung, dass wir einer großen Gefahr entgegengingen, doch hatte ich ganz und gar keine Lust, mich davor zu fürchten.

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