Der Geldmarder

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Der Geldmarder
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KARL MAY
DER GELDMARDER

ERZGEBIRGISCHE

DORFGESCHICHTE

Aus

KARL MAYS

GESAMMELTE WERKE

BAND 43

„AUS DUNKLEM TANN“

© Karl-May-Verlag

eISBN 978-3-7802-1335-8

KARL-MAY-VERLAG

BAMBERG • RADEBEUL

Inhalt

Der Geldmarder

Der Geldmarder

„Horch, wie die Tannen rauschen und das Strauchwerk so lind und heimlich flüstert! Da unten im Grund hör’ ich auch den Bach vom Fels springen; er kennt noch immer das alte Lied, das er mir so oft vorgesungen hat. Der Specht klopft an die hohen Stämme, um sich sein Frühstück zu suchen, und der Fink schlägt in den Wipfeln. Da drüben vom Schlag her ertönt die Axt der Abholzer, und in der Tiefe knarrt der Wagen, der Moos und Streu nach Haus bringt. Das sind Stimmen und Töne, die man nimmer vergisst im fremden Land und die alles Heimweh heilen, sobald man sie wieder vernimmt. Wie freundlich fließt und klettert das Licht um die Zweige, und wie wohlig dringt der Atem in die Brust! Daheim ist’s doch am schönsten; ich geh’ nie wieder fort!“

Der Sprecher, der, mit glücklichem Ausdruck im Gesicht, diese Worte vor sich hin sagte, war ein junger Mann, dem der umfangreiche Ranzen auf dem Rücken und der derbe Knotenstock in der Hand nicht schwer zu fallen schienen. Er strich langsam den schmalen Waldweg dahin, der hinunter zu den Mühlen und von da weiter nach dem Dorf führte, und schien wenig Eile zu haben, denn er hemmte sehr oft den zögernden Schritt, um jeden neuen Ausblick, den eine Krümmung des Pfades ihm bot, bedachtsam zu genießen. Unten am Wasser angekommen, bog er sich nieder, schöpfte mit der Hand von dem klaren, kühlen Nass, und schlürfte es langsam.

„Ja, das ist ein Trunk, wie man ihn nur auf den Bergen haben kann; er gibt Gesundheit und Kraft und macht so froh und munter, wie der Quell ist, der ihn spendet. Ich bin fast träg geworden von dem schweren Wasser, das sich trübselig und langsam durch das Unterland schleicht. Hier hüpft und springt und schießt es vorwärts, als ob es gar nicht viel zu tun und zu schaffen hätt’, und ich will nun auch besser ausschreiten, damit ich bald meine Heimstätte seh!“

Er folgte dem Lauf des Baches, bis dieser sich in einen Teich ergoss, der fast die ganze Breite des Tals einnahm. Am jenseitigen Ende wurde er von einem hohen Damm gehalten, der die wanderlustigen Wellen zu einem kurzen Aufenthalt zwang. Dichtes Gesträuch wuchs darauf, und wer zu der Teichmühle, die dahinter lag, gelangen wollte, der musste eine steile Böschung überwinden, die so unzugänglich wie möglich gehalten war. Der eigentliche Weg begann erst von der Mühle talabwärts, und Klaus, der Teichmüller, duldete es nicht gern, dass Unberechtigte den zu seiner Besitzung gehörigen oberen Teil des Tales betraten.

Er saß eben jetzt vor dem Haus und beaufsichtigte den alten, schwerhörigen Knecht, der mit dem Mähen des hohen Grases beschäftigt war. Seine Beine waren dick mit Watte umwunden; der Unterleib, der vielleicht nur infolge des immer währenden Sitzens einen bedeutenden Umfang angenommen hatte, wurde von einer Decke sorgfältig eingehüllt, und das Gesicht zeigte den Ausdruck stillduldender Ergebung, die das Ergebnis eines langwierigen und schmerzhaften Leidens zu sein pflegt. Die Gicht lähmte schon seit einer Reihe von Jahren seine Glieder, machte ihm fast jede Bewegung zur Unmöglichkeit und war auch der Grund, dass man ihn kaum anders als nur den ‚Gichtmüller‘ nannte. Er schien die unangenehme Lage in den harten Strohpolstern eines alten Räderstuhls übel zu empfinden und rief stöhnend:

„Hans, leg doch die Sense weg und komm einmal her. Ich kann es in den Füßen nicht länger aushalten.“

Hans mähte ruhig weiter.

„Hans!“, tönte es laut und voll Ungeduld. „Hörst du oder hörst du nicht?“ Der krankhafte Ausdruck des leidenden Gesichts war für einen Augenblick völlig verschwunden; aus dem scharfen Auge, das jetzt nichts Mattes mehr zeigte, zuckte ein rasches, zorniges Leuchten, kehrte aber schnell und vorsichtig wieder unter die schlaff sich senkenden Lider zurück. Der Knecht drehte sich langsam um.

„Habt Ihr gerufen, Müller?“, fragte er.

Der Gefragte nickte und warf den müden Blick seufzend auf seine eingehüllten Gliedmaßen.

„Ja, wenn Euch die armen Beine so aus der Lage fallen“, meinte Hans mitleidig, „da müssen sie natürlich wehtun. Kommt, ich will sie wieder zurechtheben!“

Er kniete vor dem kranken Mann nieder und verfuhr mit einer Sorgfalt und Behutsamkeit, als fühle er dessen Schmerzen in den eigenen Gliedern.

„So, jetzt wird’s besser sein. Ich bin gleich fertig mit dem Grummet. Nachher lass ich das Rad gehn und schütte den neuen Weizen auf.“

Der Müller schüttelte langsam mit dem Kopf; er musste selbst unter dieser unbedeutenden Bewegung leiden.

„Nicht?“, fragte der Knecht. „Gibt’s denn etwas andres zu tun?“

Der Müller nickte und schloss dann die Augen. Es war dies das bekannte Zeichen, dass er zu angegriffen sei, um sprechen zu können. Hans griff schweigend wieder zur Sense, während Klaus regungslos in seiner jetzigen Stellung verharrte.

Da vernahm er rasche, leichte Schritte, die sich ihm näherten. Mit sichtbarer Mühe brachte er die zuckenden Wimpern empor, um einen matten, glanzlosen Blick auf den Kommenden zu richten. Sein Auge weitete sich. Er fuhr vom Stuhl auf, dass dieser um mehrere Schritte davonrollte und die schützende Decke zur Erde fiel.

„Ferdinand!“, rief er fast ebenso bestürzt wie überrascht. „Ich glaub’ gar, du bist’s wirklich! Was hast du hier daheim jetzt zu schaffen?“ Dann aber sich seiner Krankheit erinnernd, stieß er einen lauten Weheruf aus und taumelte wimmernd in den Stuhl zurück.

„Freilich bin ich’s. Grüß Gott, Vater! Ich mocht’ es in der Fremd’ gar nimmer aushalten und kehr’ darum zurück, um nun dauernd bei dir zu sein.“

„Aber ich hab dir doch befohlen, dass du fortbleiben sollst, bis ich selbst dich wieder heimbegehr’! Ich brauch’ dich jetzt noch nicht; du kannst gleich wieder fort und wirst schon hören, wann ich deiner bedarf.“

Das Wiedersehen schien ihn ungewöhnlich zu erregen. Die gerade, kräftige Haltung, die er auf dem Sitz einnahm, musste ihn sehr schmerzen, denn er kniff die zitternden Lippen zusammen und legte die kahle Stirn in tiefe, schwere Falten.

„Gleich wieder fort?“, entfuhr es Ferdinand. „Das kann dein Ernst nicht sein! Ich wollte gar nicht hinaus auf die Wanderschaft damals, denn ich hatte die Trude lieb, und du warst kurz vorher krank geworden; es lag dir in den Füßen, sodass du in der Mühle nicht gut vorwärts konntest. Du aber triebst mich fort, und wenn ich einmal nach Hause sehnte, so schriebst du mir, dass ich bleiben sollte. Jetzt seh’ ich, dass es schlimmer geworden ist mit dir, viel schlimmer; du kannst gar nicht mehr auf, und da sollte ich doch meinen, dass ich dir willkommen bin!“

„Das bist du auch, aber nur nicht jetzt, nur nicht gleich heut. Du wirst schon noch vernehmen, warum. Tu mir daher den Gefallen und bleib noch eine Woche, nur noch ein paar Tage weg von hier! Du wirst dann etwas erfahren, was dir große Freude bereiten wird. Geh“, rief er fast ängstlich, indem sein Auge forschend nach dem Dorfweg blickte, „geh gleich, geh auf der Stelle; du bist mir jetzt im Weg!“

Der Sohn war dem Blick des Vaters gefolgt. Ein Mann kam langsam und in gebeugter Haltung bergauf gestiegen. Das konnte doch unmöglich der Grundmüller sein?!

„Du jagst mich ja gradzu fort, Vater! Wenn du mich wirklich nicht daheim leiden magst, so will ich wieder gehn; aber etwas Ruh und Essen wirst du mir doch nicht versagen!“

„So geh schnell hinauf in deine Kammer, und komm nicht eher wieder herab, als bis ich dich ruf’. Der Hans wird dir schon bringen, was du brauchst. Mach fort, sonst ist’s zu spät!“

Ferdinand folgte dem Gebot und trat in das Haus. Er fühlte sich tief verletzt von dem so unerwarteten Empfang, der ihm ebenso wie das veränderte und merkwürdige Wesen des Vaters ein Rätsel war. Der Gichtmüller war wieder in sich zusammengesunken und lag so hinfällig auf dem Stuhl, als sei er nah daran, seinen Qualen zu erliegen. Der Knecht war jetzt mit der Arbeit fertig; er hatte weder das Kommen des jungen Mannes, noch dessen Unterredung mit dem Müller bemerkt. Nun trat er herbei und fragte besorgt:

„Ist’s wieder schlimmer geworden? Da unten kommt der Grundmüller. Wollt Ihr hier vor dem Haus mit ihm reden, oder soll ich Euch in die Stube fahren?“

„In die Stube!“, antwortete der Gefragte mit Anstrengung. „Der Ferdinand ist da. Geh nachher hinauf zu ihm und lass ihn nicht herunter!“

Kaum befand er sich in der Stube, die Hans gleich wieder verlassen hatte, so trat Horn, der Grundmüller ein. Er grüßte freundschaftlich und reichte dem Kranken die Hand.

„Da bin ich schon wieder. Wie geht es mit der Gesundheit?“

„Wie immer; es will nicht besser werden.“

„So gebrauch doch endlich einmal die Einhüllung in nasse Birkenblätter, die ich dir schon tausendmal geraten hab. Sie treiben den Schweiß gewaltig, und mit ihm geht die Gicht aus dem Leib.“

„Hilft auch nichts! Ich weiß schon, was ich tun werd. Ich hab geträumt, dass ich beim wundertätigen Marienbild ganz Besserung find, und übermorgen geht es fort.“

„Weißt, was sie im Dorf von deiner Wallfahrt denken?“

„Das ist mir gleich! Sie sind mir alle zu dumm und auch zu klein.“

Der Grundmüller warf einen raschen fragenden Blick auf den Sprecher.

„So bist du wohl gescheiter und größer als sie?“, fragte er und ließ sein Auge unwillkürlich über die ärmliche Einrichtung der niedrigen und verräucherten Stube gleiten.

 

„Möglich! Wer es nicht glaubt, wird’s vielleicht bald erfahren!“ Unter den halbgeöffneten Lidern funkelte es so lebendig und schlau, und die leidenden Züge nahmen einen so selbstbewussten Ausdruck an, wie sie Horn noch nie an ihm beobachtet hatte.

„Dann ist es wohl nicht Zufall, sondern Klugheit gewesen, dass du in der fremden Lotterie gewonnen hast? Wenn du so reich bist, warum hast du mir nicht eher geholfen als heut, wo es die allerhöchste Zeit für mich ist?“

„Weil du auch einer von den Dummen bist, vielleicht der Dümmste von allen, und weil ich auf diese Zeit und auf dich gewartet hab’ wie das Kind auf den heil’gen Christ oder wie — wie der Teufel auf die Seel, die ihm verschrieben ist!“

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