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Buch lesen: «Old Surehand I», Seite 8

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»Sind noch mehr Weiße da?«

»Nein.«

»So denkt nicht an ihn! Ich kenne den Alten; der hat seine eigene Art und Weise.«

»Aber er ist verloren!«

»Denkt das nicht, Sir! Den bringt kein Satan um; er befindet sich in größerer Sicherheit als wir. Laßt ihn, und kommt fort! Die Roten sind alle, alle im Wasser; die ersten sind beinahe da. Vorwärts, schnell, schnell!«

Er ergriff meinen Arm und zog mich fort. Vom Rande der Insel aus konnte ich mir seine Eile erklären. Das Wasser zwischen ihr und dem Lagerplatze wimmelte förmlich von roten Köpfen, deren Mäuler brüllend offen standen. Einer der Schwimmer, der allen voran war, hatte nur noch zehn oder zwölf Stöße zu thun, um die Insel zu erreichen. Ich durfte nicht an Old Wabble, sondern ich mußte an mich selbst und Old Surehand denken.

»Ja, fort ins Wasser,« antwortete ich darum. »Folgt mir, so schnell Ihr könnt!«

Wir sprangen hinein und griffen langsam aber kräftig aus, wie ein guter Schwimmer thut, der nicht ermüden will. Das Geheul der Indianer verdoppelte sich, es war ganz entsetzlich. Sie hatten uns gesehen und strengten sich an, uns einzuholen.

Um mich hatte ich keine Sorge; mich erwischte gewiß keiner; aber Old Surehand! So ein Westmann wie er, schwamm gewiß vortrefflich; aber die Gefangenschaft hatte ihn angegriffen, und wie indianische Fesseln die Hände und Füße für größere Anstrengungen untauglich machen, das wußte ich am besten. Indem ich neben ihm herschwamm, beobachtete ich ihn. Er schwamm kaltblütig und mit jenem Doppelstoße, der die Arbeit gleichmäßig auf Arme und Beine verteilt. Das beruhigte mich anfänglich. Bald aber bemerkte ich, daß seine Bewegungen an Stetigkeit verloren.

»Greift es Euch an, Sir?« fragte ich.

»Nein,« antwortete er; »aber ich habe kein Gefühl in den Händen und Füßen; sie sind wie taub.«

»Daran sind die Fesseln schuld. Werdet Ihr es aushalten bis an das jenseitige Ufer?«

»Ich hoffe es. Unter gewöhnlichen Verhältnissen würde mich kein Indsman einholen; aber wenn man so lange Zeit mit zusammengeschnürten Gliedern, daß das Blut stehen bleibt, gelegen hat, dann läßt sich nichts mehr behaupten.«

Nach einiger Zeit fühlte er ein Zerren in den Armmuskeln. Ich kannte dieses für einen Menschen, der um sein Leben zu schwimmen hat, höchst gefährliche Symptom und forderte ihn auf-

»Legt Euch auf den Rücken und schwimmt nur mit den Füßen; da ruhen die Arme aus!«

Er folgte diesem Rate, und unsre bisherige Schnelligkeit verminderte sich bedeutend. Ich schwamm nun auch auf dem Rücken, um unsre Verfolger zu sehen. Sie waren noch alle, doch in den verschiedensten Abständen, hinter uns. Der ganze rückwärts liegende Teil des Sees war so von schwimmenden Indianern belebt, daß höchst wahrscheinlich alle Comantschen in das Wasser gegangen waren; viele waren auf keinen Fall zurückgeblieben. Einer war uns auf ungefähr hundert Schritte nahe. Old Surehand sah ihn auch und sagte:

»Wir müssen schneller machen; so geht es zu langsam; ich werde es wieder von vorn versuchen.«

Er that es, machte mir aber bald das Geständnis:

»Mir schlafen die Arme ein, Sir. Macht weiter fort, und laßt mich zurück!«

»Old Surehand verlassen? Fällt mir nicht ein! Legt Euch quer über mich; ich trage Euch!«

»Ich bin zu schwer!«

»Für mich nicht.«

»Aber dann geht es zu langsam, und die Roten holen Euch ein!«

»Wollen es abwarten. Also bitte!«

Er folgte meinem Wunsche nur nach mehrmaliger Wiederholung desselben. Er war freilich nicht leicht; aber es ging. Dennoch kam uns der eine Indianer immer näher. Er schien bisher nur gespielt zu haben und stieß sich jetzt mit einer Kraft, Geschmeidigkeit und Ausdauer vorwärts, daß ich einsah, er werde uns einholen. Er war aber der einzige; die andern blieben immer weiter zurück. Bei dem Dunkel des Abends wäre er nur schwer zu sehen gewesen, wenn die Lagerfeuer drüben nicht gebrannt hätten, Zwar konnte ihr Schein weder ihn noch uns erreichen, aber sie bildeten in dieser Entfernung Lichter, welche er von Zeit zu Zeit verdeckte. Er mußte ausgezeichnete Augen haben, daß er uns auf der weiten Fläche nicht verlor.

Als wir ungefähr drei Viertel des Weges hinter uns hatten, war er höchstens noch dreißig Schritte von uns entfernt und stieß einen schrillen Schlachtruf aus.

»Er holt uns ein!« sprach Old Surehand. »Daran bin ich schuld. Ihr seid ein Schwimmer, wie ich noch keinen gesehen habe, aber im Wasser ein Gewicht von zwei Zentnern zu tragen, das hält den stärksten Riesen auf.«

»Pshaw! Das Wasser trägt Euch doch mit, und den einen Roten da fürchte ich nicht.«

»Ich auch nicht. Wenn er herankommt, ist er verloren; ich habe ein Messer, und in meinen Armen ist wieder Gefühl.«

»Ueberlaßt ihn mir! Ich bin nicht gefesselt gewesen.«

»Wollt Ihr ihn erstechen? Ich liebe es nämlich nicht, Blut zu vergießen, wenn es nicht absolut nötig ist.«

»Ganz meine Meinung. Ich gebe ihm einen Hieb vor den Kopf und nehme ihn mit an das Ufer.«

»Sir, das bringt nur ein Jäger fertig, welcher Old Shatterhand heißt. Ich habe doch gewiß auch Muskeln und Sehnen, aber ich muß mehrmals schlagen, wenn ich jemand betäuben will.«

»Die Kraft thut es nicht allein; es ist ein Vorteil dabei. Werdet Ihr wieder schwimmen können?«

»Ja; laßt mich herab; es geht wahrscheinlich wieder.«

»Wahrscheinlich! Und da wollt Ihr mit diesem Indsman kämpfen? Das kann sich nur ein Old Surehand zutrauen.«

»Mein Name scheint Euch sehr geläufig zu sein. Darf ich den Eurigen erfahren?«

»Ich werde Euch gleich zeigen, wie ich heiße. Versucht nur erst, ob Ihr allein weiter könnt!«

Der Versuch gelang; seine Arme weigerten sich nicht mehr, ihre Dienste zu leisten. Es war gewiß eine ganz eigene Lage. Zwei Weiße, auf einem See schwimmend und von einer Indianerschar verfolgt, sprachen mit einander, als ob sie sich in einem New-Yorker Parlour auf Schaukelstühlen wiegten! Das konnten auch nur Westmänner thun!

Wir waren, während Old Surehand seine Kräfte neu versuchte, nicht vorwärts gekommen; der Rote schwamm schnell heran und stieß einen zweiten Siegesruf aus.

»Ueberlaßt ihn also mir, und seht zu, wenn Ihr wollt,« bat ich meinen Gefährten; dann wendete ich mich zurück.

Der Feind sah, daß ich ihm standhalten wollte, und hielt an. Die Hand mit dem Messer hoch emporhebend, rief er aus:

»Hier ist Vupa-Umugi, der Häuptling der Comantschen. Sein Messer wird die weißen Hunde beide fressen!«

Ah, also der! Das war mir lieb. Es war bisher unmöglich gewesen, seine Züge zu erkennen.

»Und hier ist Old Shatterhand, von dem du meinst, daß er dir nicht entkommen kann,« antwortete ich. »Versuche, ob du recht hast!«

»Old Shatterhand! Old Shatterhand!« riefen Old Surehand und der Rote zu gleicher Zeit, und der letztere fügte hinzu: »Bist du dieser räudige Coyote, so sollst du augenblicklich sterben!«

Nach diesen Worten tauchte er schnell unter. Also ein Kampf auf Leben und Tod, des Nachts auf dem Wasser! Der Häuptling wollte bei mir auftauchen und nach mir stechen; dies abzuwarten, fiel mir gar nicht ein. Ich tauchte ebenso unter, doch tiefer als voraussichtlich er. Das Wasser hält, grad wie der Diamant, das tagesüber eingesogene Licht noch lange fest; darum kann ein guter Taucher an dunklen Abenden unter Wasser wenigstens ebenso gut oder gar noch besser sehen als über demselben. In einer Tiefe von vielleicht fünf Metern schwebend, sah ich empor. Ja, da war der Häuptling, seitwärts über mir! Er streckte die Hände aus zum Schlage, der ihn an die Oberfläche treiben sollte. Ich that diesen Schlag zugleich mit ihm und kam hinter ihm über Wasser. Er bekam meinen Jagdhieb an den Kopf, und dann faßte ich ihn beim Schopfe, um zu verhüten, daß er unterging.

»Old Shatterhand, wahrhaftig Old Shatterhand! Da ist‘s ja gleich bewiesen!« rief Old Surehand.

»Ja, Sir, ich habe mich Euch in nicht ganz salonartiger Weise vorgestellt. Ihr müßt mir das verzeihen!«

»Dieser Fehler ist auf beiden Seiten geschehen,« lachte er. »Aber, Sir, Ihr glaubt es nicht, wie ich mich freue – — —«

»Und so weiter, und so weiter!« fiel ich ihm in die Rede. »Davon später, vielleicht erst morgen früh! Jetzt dürfen wir nicht an Komplimente denken. Es würde mir lieb sein, wenn die Parästhesie Eurer Arme vorüber wäre.«

»Sie ist‘s, wie es scheint.«

»Versucht es wenigstens! Ich habe den Roten zu tragen. Schwimmen wir weiter!«

Und siehe da, es ging! Die Bewegung und Anstrengung des Schwimmens war zu schnell auf die vorherige, gezwungene Lage der Glieder gefolgt. Das schien nun vorüber zu sein. Wir schwammen langsam, damit er sich schonte, und erreichten das Ufer, ohne daß die Schwäche sich wiederholte. Dort wurde der Häuptling, dem eben das Bewußtsein wiederkehrte, gefesselt.

Unser Unternehmen war glücklich, aber auch unglücklich verlaufen. Ich hatte Old Surehand befreit und dazu den Anführer der Comantschen gefangen genommen, dafür aber Old Wabble verloren. Was war aus diesem geworden? Old Surehand glaubte nicht an seinen Tod. Er behauptete:

»Lernt diesen alten Boy erst richtig kennen, Mesch‘schurs! Er ist ein Original ersten Ranges und durch nichts umzubringen. Ich wette, er sitzt irgendwo an einem sichern Orte und lacht sich in das Fäustchen. So einen Pfiffikus muß man studiert haben, um ihn richtig zu beurteilen. Er weiß aus dem größten Unglücke ein noch viel größeres Glück zu machen, und es sollte mich gar nicht wundern, wenn er jetzt plötzlich käme und auch einen oder gar mehrere Gefangene brächte.«

»Wenn er nicht selbst gefangen ist,« warf ich ein.

»In diesem Falle kann ihm geholfen werden. Wir wechseln ihn gegen den Häuptling aus.«

»So wollt Ihr diesem nicht ans Leben?«

»Behüte! Es ist nicht meine Mode, mich als Mörder aufzuspielen. An mir hat er‘s freilich nicht verdient, aber wenn es auf mich ankommt und dem alten Wabble nichts geschehen ist, lassen wir den Roten laufen.«

»Bin ganz einverstanden, Sir. Aber schaut, da sehe ich Köpfe auf dem Wasser!«

Es war so, wie ich sagte. Die meisten Comantschen hatten von der Verfolgung abgelassen; andre hatten sie fortgesetzt und kamen nun angeschwommen. Sie wurden durch drohende Zurufe und einige Schüsse zurückgetrieben, Dann mußte ich den Gefährten erzählen, wie wir auf die Insel gelangt und dann zu zweien herübergeschwommen waren.

Ich hatte diesen Bericht noch nicht vollendet, als wir ein Geräusch drin in den Büschen hörten. Wir lauschten. Die Zweige raschelten und knackten wie von großen Tieren, vielleicht Pferden; dann erklang eine befehlende Stimme:

»Bücke dich hübsch aufs Pferd nieder, Rothaut, sonst rennst du dir die Nase ein; th‘is clear!«

»Old Wabble!« sagte Old Surehand. »Ihr werdet sehen, Mesch‘ schurs, daß er meine Prophezeiung ganz wörtlich erfüllt.«

Und wirklich, da kam er aus dem Gebüsch heraus, hinter sich her ein Pferd ziehend, auf welchem ein Indianer festgebunden war. An diesem Pferde hingen hintereinander noch zwei, welche beladene Packsättel trugen.

»Da bin ich auch wieder,« sagte er lachend. »Habe Euch was mitgebracht, was sehr gut zu gebrauchen ist. Ah, good evening, Mr. Surehand! Auch schon da? Habe es mir doch gedacht, daß ich nicht dabei zu sein brauchte. Euch frei zu machen, dazu war Mr. Shatterhand Mann genug.«

»Wo habt Ihr denn gesteckt, Mr. Cutter?« fragte ich. »Wir haben Sorge um Euch gehabt.«

»Sorge? Möchte wissen, weshalb und was mir geschehen sollte! Ich sorge schon für mich selbst, auch noch für andre mit, wie Ihr gleich sehen werdet.«

»Ihr kamt doch nicht auf die Insel!«

»Fällt mir gar nicht ein!«

»Warum denn nicht?«

»Weil ich ein großer Esel gewesen bin; th‘is clear. Ich habe wunder gedacht, wie gut ich schwimmen und tauchen kann, mit Euch aber kam ich nicht fort. Das Schwimmen hatte ich glücklich überstanden, freilich nur hinüber; wieder herüber, und dabei die Leggins abermals verlieren, das war nicht mein Fall. Und nun gar tauchen! Wenn man nun nicht wieder heraufkommt! Man kann da ganz gut bei lebendigem Leibe ersaufen. Ich blieb also unter dem Floße hängen und ließ die Sache laufen, wie sie wollte. Da plötzlich erhob sich ein Gebrüll, daß mein Dampfer nur so wackelte, und die Roten sprangen in das Wasser; kein einziger blieb am Lande. Sogar die Pferdewächter kamen gerannt und machten sich hinter Euch her. Einer von ihnen mußte bleiben, und den wollte ich mir holen. Ich segelte also ans Land, kroch unter meinem Baldachin heraus, sprang auf ihn zu und gab ihm einen Klapps, daß er sich niedersetzte, ohne mich vorher uni Erlaubnis zu fragen. Ich band ihn mit einem der Riemen, an denen das Fleisch aufgehängt worden war. Dabei kam mir der Gedanke, daß wir auch Proviant brauchen, wenn wir – — ah, will nicht sagen, wohin, wollen. Ich lief also nach dem Weideplatze und holte drei Pferde, eins für den roten Boy und zwei für das Fleisch; Sättel lagen da. Ich habe mich etwas beeilen müssen, um rechtzeitig fertig zu werden; aber es ging alles genau so, wie ich wünschte, und eben als die ersten Indsmen unverrichteter Sache zurückgeschwommen kamen, trollte ich mich mit Boy und Fleisch von dannen. Da habt Ihr mich! Was mit dem Fleische geschehen wird, das kann ich mir denken; aber was wir mit dem Boy machen sollen, darüber mögen andre sich den Kopf zerbrechen.«

»Wir lassen ihn morgen laufen,« meinte Old Surehand.

»Habe nichts dagegen. Ist er herzu geritten, mag er hinzu laufen! Aber sein Häuptling, wie ist denn der in Eure Hände geraten?«

»Mr. Shatterhand hat ihn gefangen genommen.«

»Etwa auf der Insel?«

»Nein, sondern bei der Verfolgung auf dem See.«

»Also eine Seeschlacht. Müßt mir nachher erzählen, wie das zugegangen ist. Laßt Ihr den auch laufen?«

»Ja.«

»Schade! Er paßt besser zum Hängen als zum Laufen. Aber gebt ihn ja nicht eher frei, als bis Eure Waffen und alles, was die Indsmen Euch abgenommen haben, Euch wieder ausgeliefert worden ist. Ich bin nie ein Indianerfreund gewesen; sie taugen alle nichts und halten es für Schwäche, wenn man nachsichtig mit ihnen ist. Wenn er vorhin samt seinen hundertfünfzig Comantschen da im See ertrunken wäre, so hätte die übrige Menschheit nichts verloren; th‘is clear!«

Zweites Kapitel: In der Oase

Zwischen Texas, Arizona, Neu-Mexiko und dem Indianer-Territorium, oder noch anders ausgedrückt, zwischen den Ausläufern des Ozarkgebirges, der untern und der obern Sierra Guadelupe und den Gualpabergen, rings eingefaßt von den Höhen, welche den obern Lauf des Rio Pecos und die Quellen des Red River, Sabine, Trinidad, Brazos und Colorado umgrenzen, liegt eine weite, furchtbare Strecke Landes, welche die »Sahara der Vereinigten Staaten« genannt werden könnte.

Wüste Strecken dürren, glühenden Sandes wechseln mit nackten, brennend heißen Felslagerungen, die nicht imstande sind, auch nur der allerdürftigsten Vegetation die kärgsten Bedingungen des kürzesten Daseins zu erfüllen. Schroff und unvermittelt folgt die kalte Nacht auf die Hitze des Tages; kein einsamer Dschebel20, kein grünendes Wadi21 unterbricht wie in der Sahara die tote, einförmige Wüste; kein stiller Bir22 lockt mit der belebenden Feuchtigkeit eine kleine Oase hervor; sogar der durch den Steppencharakter vermittelte Uebergang von den reich bewaldeten Berggebieten zum leblosen, sterilen Sandmeere fehlt gänzlich, und der Tod tritt dem Auge überall unverhüllt in seiner fürchterlichsten Gestalt entgegen. Nur hier und da steht – man weiß nicht, durch welche Kraft hervorgerufen und erhalten – ein einsamer, lederartiger Mezquitestrauch, gleichsam zum Hohne für den nach einem grünen Punkte sich sehnenden Blick, und ebenso erstaunt trifft man zuweilen auf eine wilde Kaktusart, die entweder nur in einzelnen Exemplaren steht oder Gruppen bildet oder auch weite, ausgedehnte Flächen eng bestandet, ohne daß man sich ihr Dasein enträtseln und erklären kann. Aber weder der Mezquite, noch der Kaktus gewährt einen erfreulichen, wohlthuenden Anblick; graubraun ist ihre Farbe und unschön ihre Gestalt; sie werden von dickem Sandstaube bedeckt, und wehe dem Pferde, dessen Reiter so unvorsichtig ist, es in eine solche Kaktuswildnis zu lenken! Es wird von den spitzen, haarscharfen und stahlharten Stacheln so an den Füßen verwundet, daß es nie wieder richtig laufen lernt; der Reiter muß das arme Tier sofort aufgeben, und wenn er es nicht tötet, so verfällt es dem elenden Schicksale, langsam umzukommen.

Trotz aller Schrecken, welche diese Wüste bietet, hat es doch der Mensch gewagt, sie zu betreten. Es führen Straßen durch sie, hinauf nach Santa Fé und Fort Union, hinüber nach dem Paso del Norte und hinunter in die grünenden Prairien und wohlbewässerten Wälder von Texas. Aber bei diesem Worte »Straße« darf man nicht an die Art von Wegebau denken, welche in civilisierten Ländern diese Bezeichnung trägt. Wohl reitet ein einsamer Jäger oder Rastreador23, eine Gesellschaft kühner Wagehälse oder ein zweideutiger Pulk Indianer durch die Wüste, wohl knarrt auch ein schneckengleich langsamer Ochsenkarrenzug durch die Einöde, aber das, was wir einen Weg nennen, das giebt es nicht, nicht einmal jene viertelstundenbreit auseinander gehenden Geleise, wie man sie in den Pampas Südamerikas oder in der Lüneburger Heide und dem Sande Brandenburgs findet. Jeder reitet oder fährt seine eigene Bahn, so lange ihm der Boden noch einige wenige Merkmale bietet, an denen er erkennen kann, daß er überhaupt noch in der richtigen Richtung ist. Aber diese Merkmale hören nach und nach selbst für das geübteste Auge auf, und von da an hat man die Maßregel getroffen, diese Richtung vermittelst Pfählen zu bezeichnen, welche in gewissen Entfernungen in den Boden gesteckt werden.

Dennoch aber fordert diese Wüste ihre Opfer, welche, die Größenverhältnisse in Betracht gezogen, viel zahlreicher und auch schrecklicher sind als diejenigen, welche die Sahara Afrikas und die Schamo oder Gobi Hochasiens als furchtbaren Tribut fordern. Menschengerippe, Tierkadaver, Sattelfragmente, Wagenreste und andere schauerliche Ueberbleibsel liegen am und im Wege und erzählen stumme Geschichten, die zwar das Ohr nicht hören, aber das Auge desto deutlicher sehen und die Phantasie vollends ergänzen kann. Und darüber schweben hoch in den Lüften die Aasgeier, die jeder lebenden Bewegung, welche sich unten zu erkennen giebt, mit beängstigender Ausdauer folgen, als ob sie ganz genau wüßten, daß ihnen ihre sichere Beute nicht entgehen kann.

Und wie heißt diese Wüste? Die Bewohner der umliegenden Territorien geben ihr verschiedene, bald englische, bald französische oder spanische Namen; weithin aber ist sie wegen der eingerammten Pfähle, welche den Weg bezeichnen sollen, entweder als »Llano estacado« oder als »Staked-Plain« bekannt. – — —

So ungefähr schrieb ich in einem früheren Bande24 dieser Werke, in welchem die Grauenhaftigkeit des fürchterlichen Llano estacado geschildert wird. Wenn ich da sagte, daß kein Brunnen eine einsame Oase hervorrufe, so wußte ich bei meinem damaligen Ritte durch die Staked Plains von der Ausnahme nichts, die ich dann später kennen lernte. Es gab mitten in dieser Wüste doch eine Oase, und sie war der Aufenthalt derjenigen Person, von welcher mir Winnetou auf seinem Zettel mitgeteilt hatte, daß sie von den Comantschen überfallen werden solle, nämlich des Bloody-Fox.

Der »blutige Fuchs«. Schon dieser Name deutet auf einen ungewöhnlichen Lebenslauf. Sein jetziger Träger hatte als Kind zu einer Auswanderer-Karawane gehört, welche im Hano estacado von einer Bande von »Stakemen« überfallen und ermordet worden war. Ein Farmer, Namens Helmers, fand die ausgeraubten Leichen und entdeckte noch Leben in dem Knaben, in dessen Schädel eine große Hiebwunde klaffte; er verband ihn und nahm ihn mit sich nach Helmers Home, seiner Farm. Das sorgfältig gepflegte Kind überstand die gefährliche Verletzung und wurde wieder gesund, hatte aber alles, was vor dem Ueberfalle geschehen war, also auch seinen Namen, vollständig vergessen. Einen Namen mußte es aber haben, und da es, als es gefunden wurde, von Blut überströmt war und dann im Wundfieber sehr oft den Namen Fox genannt hatte, so nahm Helmers an, sein Vater habe so geheißen, und entschloß sich, ihn Bloody-Fox zu nennen.

Der Knabe gedieh vortrefflich, körperlich und auch geistig, konnte aber sein Gedächtnis nie zwingen, bis vor den Ueberfall zurückzugehen. Er wußte ganz genau, wie der Mann, von dem er den Hieb erhalten hatte, ausgesehen hatte; er konnte sich das Gesicht desselben deutlich vergegenwärtigen; weiter aber wußte er nichts, auch das nicht, warum er so sehr oft den Namen Fox genannt hatte. Helmers freute sich über die ungewöhnliche Entwickelung seines Pfleglings und war nur in einer Beziehung nicht mit ihm zufrieden; er konnte ihn nämlich nicht an das Haus gewöhnen. Seine Besitzung lag am nördlichen Rande des Llano estacado, und kaum war der Knabe so weit, ein Pferd regieren zu können, so schweifte er reitend in der Wüste umher, anstatt sich auf den Feldern seines Pflegevaters nützlich zu machen. Daran war trotz aller Mühe und aller Ermahnungen nichts zu ändern. Als Helmers einmal ungewöhnlich zornig darüber wurde, erklärte Bloody-Fox:

»Die Meinigen sind von den »Geiern des Llano« ermordet worden, und ich habe mir vorgenommen, diese Geier bis auf den letzten auszurotten. Dazu ist es notwendig, daß ich den Llano so kennen lerne, wie ich meine Taschen kenne. Soll ich das nicht dürfen, so will ich lieber nicht leben.«

Er sagte dies mit solcher Entschlossenheit, daß Helmers es für geraten hielt, nachzugeben; ja, er nahm sich ferner vor, den Knaben zu einem Manne auszubilden, der imstande sein werde, den »Geiern« Respekt einzuflößen. Infolgedessen wuchs Bloody-Fox in vollständiger Freiheit auf, konnte gehen und kommen, wann und wie er wollte, und wurde ein so kühner Reiter und waffengewandter Schütze, daß selbst Winnetou, als er ihn später kennen lernte, ihm seine Bewunderung nicht versagen konnte. Helmers war von Geburt ein Deutscher, und die Eltern von Bloody-Fox schienen auch Deutsche gewesen zu sein, denn obwohl ihm alles Frühere aus dem Gedächtnisse entschwunden war, das Englische lernte er nicht schneller als jedes andre Kind, das Deutsche aber wurde ihm so außerordentlich leicht, daß man unbedingt annehmen mußte, er habe es schon früher gesprochen.

Fragt man, was es mit den »Stakemen« oder den »Geiern des Llano estacado« für eine Bewandtnis habe, so ist die Antwort folgende: Es wurde bereits gesagt, daß die sogenannten Wege, welche durch die Wüste führen, von da an, wo die natürlichen Merkmale aufhören, mit Pfählen bezeichnet zu werden pflegen. Neben den ehrlichen Menschen, welche diese Wege benutzen, giebt es noch andre Leute, die moralisch Bankerott gemacht haben und die Arbeit hassen, heruntergekommene Subjekte, welche den bewohnten Osten fliehen mußten, weil sie sich fürchteten, mit dem Strafrichter in Berührung zu kommen, gewissenlose Schurken, die nichts mehr zu verlieren haben und, weil ihr eigenes Leben keinen Wert besitzt, auch das andrer Menschen für nichts achten. Sie leben von nichts als nur vom Raube, und dazu bietet ihnen der Llano, wenn nicht das ergiebigste, so doch das verschwiegenste Terrain. Sie haben ihre Schlupfwinkel am Rande der Wüste und lauern in der Nähe der Wege auf Reisende, welche durch den Llano wollen. Diesen schließen sie sich entweder als bloße Begleiter oder als Führer an und schicken ihre Verbündeten voraus, um die Pfähle entfernen und in falscher Richtung wieder einstecken zu lassen; daher der Ausdruck Stakemen25. Wer dann diesen Pfählen folgt, wird vom richtigen Wege ab und in das sichere Verderben geführt; er stirbt den elenden Tod des Verschmachtens, wenn er nicht vorher schon ermordet wird, und sein Eigentum fällt den menschlichen oder vielmehr entmenschten »Geiern des Llano« anheim. So kommt es, daß die Gebeine von Hunderten und Aberhunderten in der tiefsten Einsamkeit im Sonnenbrande bleichen und niemand weiß, wohin diese Unglücklichen gekommen sind.

Einer Bande solcher Stakemen war auch die Karawane, zu welcher Bloody-Fox gehört hatte, zum Opfer gefallen. Die entsetzliche Scene des Ermordens war ihm im Gedächtnis geblieben; daher der heiße Wunsch in ihm, diese Geier bis auf den letzten auszurotten, und so kühn und schwer diese Aufgabe war, er besaß alle zu ihrer Ausführung nötigen Eigenschaften.

Er durchkreuzte den Llano nach und nach in allen Richtungen; er lernte jeden Schrittbreit der Wüste kennen; er wurde mit allen ihren Gefahren vertraut und hatte, was die Aufgabe seines Vorhabens unendlich erleichterte, das Glück, tief im Innern der Einöde eine grünende Oase mit Wasser zu entdecken. Das war so viel und noch mehr wert, als ob er hundert Verbündete gewonnen hätte.

Diesen Ort hielt er geheim. Kein Mensch, selbst Helmers nicht, obgleich er diesem das Leben verdankte, erfuhr etwas davon. Er baute sich im Laufe der Zeit ein Häuschen an das Wasser und bepflanzte die Wände desselben mit dicht wuchernden Passionsblumen. Er fing wilde Mustangs und brachte sie heimlich hin, um stets frische Pferde zu haben, wenn eins müde geritten war. Das gab seinen Bewegungen eine Schnelligkeit, die er sonst nicht hätte entwickeln können; es war ihm dadurch ermöglicht, jetzt an der einen und bald darauf an der entgegengesetzten Grenze des Llano zu sein. Er schaffte Proviant und Munition nach dem Häuschen. Aber um diese Oase und die dort befindlichen Pferde während seiner Abwesenheit zu pflegen, brauchte er eine Person, der er sein Vertrauen schenken, von der er annehmen konnte, daß sie sein Geheimnis nicht verraten werde. Es gab eine alte Negerin, Namens Sanna, die ihn sehr liebte und auf seinen Vorschlag einging. Sie wohnte eine ganze Reihe von Jahren in dieser tiefen Einsamkeit, ohne sich von dem Häuschen fortzusehnen, und wurde für diese Treue auf eine Weise belohnt, die über ihre alten Tage den hellsten Sonnenschein ergoß. Sie war nämlich in Tennessee Sklavin eines Pflanzers gewesen, der ihr einziges Kind, einen Knaben, von ihr gerissen und verkauft hatte. Auch sie war später verschachert und durch verschiedene Schicksale bis an die Staked-Plains verschlagen worden; nie hatte sie ihren Sohn, ihren Bob, vergessen können; er war ihr Gedanke bei Tag und bei Nacht, und sie schwor darauf, daß sie nicht sterben werde, ohne ihn wieder gesehen zu haben. Da kamen wir an den Llano und lernten Bloody-Fox kennen. Bei uns befand sich ein Westmann, dessen unzertrennlicher Begleiter ein Neger, sein früherer Diener war. Der Schwarze hieß Bob, und es stellte sich zu unsrer freudigen Verwunderung und zum Entzücken der alten Sanna heraus, daß er der verkaufte Negerknabe aus Tennessee war. Sie blieben von da an zusammen, um sich erst mit dem Tode zu trennen.

Von dem Augenblicke an, der Sanna in sein Häuschen gebracht hatte, konnte Bloody-Fox so, wie er es wünschte, an die Verwirklichung seiner Pläne gehen. Er erschien immer seltener bei seinem Pflegevater; aber wenn er einmal kam, hatte dieser ihm stets etwas Neues zu erzählen, und dieses Neue betraf fast immer den Tod eines Stakeman. Man fand bald hier und bald dort die Leiche eines Menschen, der genau durch die Mitte der Stirn geschossen war, und wenn man den Inhalt seiner Taschen untersuchte, so entdeckte man gewiß Gegenstände, welche von einem Raube stammten und also bewiesen, daß der Tote zu den Pfahlmännern gehört habe. Solche Fälle wiederholten sich je länger desto häufiger, und das Loch in der Stirn galt bald als untrüglicher Beweis, daß man den Getroffenen für einen bestraften Pfahlmänner Geier zu halten habe. Wer aber war der geheimnisvolle Rächer? Niemand wußte es, und selbst Helmers ahnte es nicht.

Es war kein Wunder, daß bald Sage auf Sage über diesen Rächer entstand. Es gab Leute, die ihn gesehen haben wollten, pfeilschnell in der Ferne vorüberreitend, nie so nahe, daß sie ihn deutlich erkennen konnten. Heute sah ihn ein Händler am südlichsten Punkte des Llano und fand eine Stunde später einen durch die Stirn geschossenen Toten; morgen hörte ein Trupp Reisender am östlichen Rande der Plains einen Büchsenknall; ein Reiter verschwand gedankenschnell am Horizonte, und als sie an die betreffende Stelle kamen, lag ein Mensch da, tot ausgestreckt und in die Stirn getroffen. Einen Tag später kehrten bei Helmers Leute ein, welche im Llano gelagert und beim hellen Mondenschein denselben Reiter gesehen haben wollten, wie er hüben auftauchte, an ihnen vorübergaloppierte und drüben wieder verschwand. Schließlich bemächtigte sich gar der Aberglaube dieser unbegreiflichen Persönlichkeit; dieser Reiter war kein Mensch, sondern ein überirdisches Wesen, welches mit der Schnelligkeit des Blitzes von einem Ende des Llano nach dem andern flog. Wie hätte ein Sterblicher solche Schnelligkeit entwickeln und mit solcher Sicherheit den Räuber von dem ehrlichen Manne unterscheiden können! »Der Geist des Llano estacado fuhr über die Plains,« erzählte man; »der Avenging-Ghost26 hat wieder einen Stakeman geholt.«

Die ehrlichen Leute atmeten auf; die Stakemen hielten sich enger zusammen; sie wagten sich nicht mehr einzeln oder in kleinen Trupps in die Wüste, sondern sie führten ihre verbrecherischen Unternehmungen in größerer Gemeinschaft aus. Aber auch das bot ihnen keine Sicherheit. Sie lagerten zu zwanzig und noch mehr Personen bei einander; da fiel ein Schuß, noch einer, und zwei von ihnen waren durch die Stirn getroffen; unweit von ihnen aber erklang der Hufschlag eines davoneilenden Pferdes.

Um diese Zeit war es, daß ich, wie oben erwähnt, mit mehreren Westmännern zu Helmers kam, um durch den Estacado zu reiten und jenseits desselben mit Winnetou zusammenzutreffen. Wir erfuhren da, daß eine Auswandererkarawane vor uns sei, die auch durch die Plains wolle. Einige Personen, die wir bei Helmers sahen, erregten meinen Verdacht; ich folgte, als sie sich entfernt hatten, ihren Spuren und gewann die Ueberzeugung, daß die Auswanderer in die Irre geführt werden sollten. Der Scout, dem sie sich anvertrauten, war ein Pfahlmann, und seine Genossen warteten auf ihre Opfer. Wir machten uns natürlich schleunigst auf den Weg, um den Bedrohten Hilfe zu bringen.

Zu derselben Zeit traf Winnetou, der mich erwartete, auf einen Trupp Comantschen, die er damals nicht zu meiden brauchte, weil grad Friede zwischen ihnen und den Apatschen war. Von ihnen erfuhr er, daß sie ihrem Häuptlinge in den Llano entgegenritten, der durch die Plains kommen werde, aber sich in großer Gefahr befinde, weil sich eine bedeutende Anzahl von Stakemen zusammengefunden habe, die irgend einen Ueberfall im Sinne zu haben schienen. Das waren dieselben »Geier«, die ich entdeckt hatte. Da Winnetou wußte, daß ich mich unsrer Verabredung gemäß auch schon in der Nähe befinden müsse, wurde er besorgt um mich und beschloß, nicht auf mich zu warten, sondern mir auch entgegenzureiten. Er bot also den Comantschen seine Begleitung an, und sie gingen sehr gern auf seinen Vorschlag ein, weil es ihnen und ihrem gefährdeten Häuptlinge nur nützlich sein konnte, wenn sie einen Mann wie Winnetou bei sich hatten.

20.arabisch: Berg.
21.arabisch: Thal, Regenbett.
22.Brunnen.
23.Pfad- oder Goldsucher.
24.Siehe Band IX, Seite 79.
25.Pfahlmänner.
26.Rächende Geist.