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Old Surehand I

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Der Erzähler schwieg, und starrte trüben Blickes nach der angedeuteten Stelle hinüber. Wir ehrten dieses Schweigen, indem auch wir nichts sagten. Erst nach einer längeren Weile fuhr er fort:

»So wurde ihm das Gold, welches er uns schenkte, durch eine Kugel vergolten. Wir haben die Schlucht den MistakeCafion genannt, und dieser Name ist ihr bis auf den heutigen Tag geblieben. Man hat die Geschichte oft in meiner Gegenwart erzählt; nie aber ist es mir eingefallen, zu sagen, daß ich selbst der unglückliche Held derselben bin. Ich habe das im stillen mit mir abzumachen versucht. Heute jedoch, da wir uns an derselben Stelle befinden, soll es einmal vom Herzen herunter, und ihr mögt mir nun sagen, ob man mich einen Mörder nennen kann.«

»Nein, nein!« rief es rundum. »Du bist vollständig unschuldig. Aber wie ist‘s mit dem Comantschen? Er entkam?«

»Nein. Wir fanden ihn gar nicht weit von hier im Steingeröll, wo das Pferd gestrauchelt war und ihn abgeworfen hatte. Ihr könnt Euch denken, daß es da anstatt einer Leiche zwei gegeben hat. Das ist das Gesetz des wilden Westens; sprechen wir nicht darüber!«

»Und das Gold, die Nuggets! Wir wollen natürlich wissen, welche Schätze Ihr damals aus dem Cañon mitgenommen habt!«

»Weit weniger als der vortreffliche Anfang vermuten ließ. Es war, als habe ein Racheengel das Gold tief ins Erdinnere verschwinden lassen. Seit meine Kugel den Apatschen traf, wurde die Ausbeute von Tag zu Tag geringer, bis sie endlich ganz aufhörte. Wir gruben und arbeiteten noch wochenlang, doch vergeblich. Und was wir mitnahmen, das hat nicht lange vorgehalten; es ist bald alle geworden – beim Wein und beim Spiel. Nur eins ist mir geblieben und wird mich bis an mein Ende nicht verlassen, nämlich die Erinnerung an den Augenblick, da mein Blei den Roten vom Pferde riß. Dieses Bild schwebt mir immer und immer vor, und dazu gellt mir im Ohr der Todesschrei. Es schüttelt mich. Kommt, wir wollen fort! Ich mag den Ort nicht länger sehen!«

Er stand langsam und schwer auf und schüttelte sich, als ob er der bisher auf ihm gelegenen seelischen Last ledig werden wolle. Als er dann mit der Hand nach dem Zügel griff, um aufzusteigen, hielt ich ihn zurück und sagte:

»Eure Kameraden haben schon ihre Meinung ausgesprochen, daß Ihr unschuldig seid; nun hört auch, was ich sage, Mr. Hawley.«

»Nun?« fragte er in einem Tone, als ob er auch von mir nicht die geringste Erleichterung erwarte.

»Ich will Euch eine Geschichte, eine wahre Geschichte erzählen, die sich drüben in Deutschland, meiner Heimat, zugetragen hat.«

»Was kann mir Eure deutsche Geschichte nützen?«

»Vielleicht doch etwas; hört sie nur an! Zwei Schieferdecker hatten auf der Spitze eines sehr hohen Kirchturmes eine neue Wetterfahne anzubringen; die dazu nötigen Leitern waren Tags vorher angelegt worden, ehe man die alte Fahne abgenommen hatte. Der eine Schieferdecker war ein alter, erfahrener Meister, der andre sein Sohn, der eine Frau und vier Kinder hatte. Sie stiegen höher und höher, von Sprosse zu Sprosse, der Alte voran, der Sohn hinterdrein, beide mit einer Hand sich festhaltend und mit der andern die schwere Wetterfahne tragend. Unten stand eine Menschenmenge, um lautlos, mit stockenden Pulsen und selbst fast schwindelig, der waghalsigen Arbeit zuzuschauen. Da hört man oben einen Schreckensruf erschallen; der Sohn hat ihn ausgestoßen; der Vater antwortet ruhig und ermahnend; der Sohn ruft wieder, und gleich darauf stößt die Menge einen einzigen, vielstimmigen Schrei des Entsetzens aus, denn der Alte hat den Sohn, der ihn am Fuße faßte, mit einem kräftigen Tritte von der Leiter geschleudert, so daß er in die grausige Tiefe stürzt und dort zu einem wirren Haufen von Fleisch und Knochen zerschellt.«

»Ist so etwas möglich! Der Mörder seines eignen Sohnes!« rief Hawley aus.

»Nicht vorschnell, Sir; hört weiter! Unten am Turme giebt es natürlich Scenen einer Aufregung, welche nicht beschrieben werden können; oben aber steigt der Alte weiter in die Höhe, die Fahne nun allein tragend. Bei der Spitze angekommen, stellt er sich auf den Knopf und steckt die Fahne mit einer unglaublichen, wahrhaft riesigen Anstrengung aller seiner Kräfte auf die Spindel. Dann kommt er so ruhig und kaltblütig, als ob nichts geschehen sei, langsam und sicher wieder herabgestiegen, Leiter um Leiter über sich von den Haken lösend und in die Dachfenster des Turmes schiebend, bis er im Schallloche der Glockenstube verschwindet. Vor der Turmthür wartet die wütende Menge, bereit, ihn zu lynchen; er kommt aber nicht. Man dringt in den Turm und findet ihn oben in der Glockenstube, wo er in dem Augenblicke, in dem er den festen Boden unter sich gefühlt hat, besinnungslos zusammengebrochen ist. Er wird nach Hause gebracht und erwacht nur, um im hitzigen Fieber monatelang von dem entsetzlichen Momente zu phantasieren, wo er gezwungen gewesen ist, seinen Sohn in den entsetzlichen Tod zu stürzen. Die Kunst der Aerzte und seine trotz des Alters kräftige Natur retten ihn; aber sobald die Beine noch kaum imstande sind, ihn zu tragen, geht er auf das Gericht, um sich dem Staatsanwalte zu überliefern. Was glaubt Ihr wohl, wie das Urteil gelautet hat, Mr. Hawley?«

»Wie soll es gelautet haben! Es giebt hier nur eine Strafe: für Sohnesmord den Tod,« antwortete der Gefragte.

»Ist das wirklich Eure Meinung, Sir?«

»Natürlich. Man kann ja gar keine andre haben.«

»O doch!«

»Nein. Er hat seinen Sohn mit voller Absicht in den Tod gestoßen.«

»Nicht etwa in der Aufregung?«

»Schließt das die Absicht aus?«

»In diesem Falle wohl nicht. Aber der Fall läßt sich noch ganz anders beurteilen.«

»Möchte doch wissen, wie!«

»Er erregte natürlich ungeheures Aufsehen und wurde überall besprochen, mündlich und auch in den Zeitungen. In juristischen Kreisen war man der Ansicht, daß die Anklage wegen Mordes unbedingt aufrecht zu erhalten und der Alte unbedingt zu verurteilen, dann aber der Gnade des Monarchen zu empfehlen sei. Das Publikum verweigerte dem Thäter zunächst jede Entschuldigung, lernte aber gar bald, als es die Gründe seines Handelns erfuhr, anders denken. Ja, er hatte die That mit Ueberlegung begangen, aber was hatte ihn dazu veranlaßt? Der Sohn hatte ihm plötzlich zugerufen, er sei vom Schwindel ergriffen worden, so daß sich alles um ihn zu drehen scheine. »Mach die Augen zu, und halte dich fest, bis es vorüber ist; ich warte!« mahnte ihn der Alte, der an einen kurz vorübergehenden Anfall dachte. Ach kann nichts festhalten; ich fühle nichts,« schrie der Sohn, indem er die Fahne fahren ließ und den Fuß des Alten ergriff. Dieser erkannte mit Schaudern, daß es kein Warten und kein Vorübergehen gab; es war einer jener Anfälle, die den Betreffenden vollständig entmannen, in denen Hilfe unmöglich ist; der Helfer wird nur selbst mit ins Verderben gezogen. In einem einzigen kurzen Augenblicke vergegenwärtigte er sich seine fürchterliche Lage. Die schwere Wetterfahne in der Linken, mußte er sich mit der Rechten festhalten; am Fuße hatte er den Sohn hängen; er fühlte die zentnerschwere Last, die ihn von der Leiter weg und in die Tiefe ziehen wollte; er wußte, daß er dies nur wenige Augenblicke aushalten könne und dann mit hinab müsse. Ja, hätte er unter dem Sohne gestanden, so hätte er ihn stützen und vielleicht, vielleicht doch retten können, so aber war dieser unbedingt verloren. Sollte der verhängnisvolle Schwindel zwei Menschenleben kosten anstatt nur eines? Sollte die arme Familie außer dem einen Ernährer auch noch den zweiten verlieren? War es nicht Selbstmord, sich mit hinabreißen zu lassen, wo er sich doch, freilich nur sich allein, halten konnte? Da rief der Sohn: »Herrgott, ich fühle die Leiter nicht mehr; ich stürze, ich falle!« Er hing nur noch am Fuße des Vaters. Da erkannte dieser, daß das Gräßliche nicht zu umgehen sei, daß es geschehen müsse; er stieß den Sohn mit einem kräftigen Tritte von sich ab und von der Leiter. Er hörte den vielstimmigen Schrei der Zuhörer; er sah nicht hinab; es flimmerte ihm vor den Augen; sein Herz wollte stillstehen; aber er mußte stark bleiben und raffte sich mit Aufbietung aller seiner Kräfte zusammen. Wie im Traume, in einem Zustande seelischer Stumpfheit stieg er empor und vollendete seine Aufgabe. So stieg er dann auch wieder herab und barg die Leitern, eine nach der andern; aber sobald er sich dann in der Glockenstube befand, verließen ihn die Kräfte, und er brach besinnungslos zusammen. Habt Ihr nun über seine That noch dieselbe Ansicht wie vorhin, Mr. Hawley?«

»Hm! Wie Ihr es erzählt, klingt es nun freilich anders.«

»Das fühlten bald auch alle, die ihn vorher verurteilt hatten. Er bekam einen ausgezeichneten Verteidiger, und dieser that seine Pflicht. Gelehrte, Sachverständige, Universitätslehrer, mußten ihre Ansichten über den Schwindel und seine Wirkungen einreichen; eine ganze Anzahl von Dachdeckern, Zimmerleuten und andern Bauhandwerkern wurde vernommen. Essenkehrer, sogar ein Seilkünstler, meldeten sich freiwillig, um ihr Urteil zu Gunsten des Angeschuldigten abzugeben. Sie alle, ohne eine einzige Ausnahme, behaupteten, daß er nicht anders habe handeln können, daß sein Sohn unbedingt verloren gewesen sei. Kurz, er wurde freigesprochen und aus der Untersuchungshaft entlassen. Diejenigen, welche ihn im Augenblicke der Aufregung hatten lynchen wollen, empfingen ihn jubelnd am Thore des Gerichtsgebäudes. Er lebte noch eine Reihe von Jahren, geachtet von allen, die ihn kannten; man sagt, er habe nie wieder lachen oder auch nur lächeln können; es war ihm unmöglich, die That, zu der er sich gezwungen gesehen hatte, zu verwinden, aber es hat keinen einzigen Menschen gegeben, dem es in den Sinn gekommen wäre, sie ihm vorzuwerfen. Was sagt Ihr nun, Sir?«

»Daß es ganz richtig gewesen ist, ihn freizusprechen,« antwortete Jos. »Aber was hat mein damaliger Unglücksschuß mit diesem Dachdecker zu thun?«

»Das merkt Ihr nicht?«

 

»Nein.«

»Und doch liegt es so nahe. Dieser Mann hat seinen Sohn, wie Ihr selbst vorhin sagtet, mit Bedacht getötet, während Ihr den Apatschen aus Versehen erschossen habt. Der Dachdecker wurde freigesprochen; wie würde eine Jury wohl über Euern Fall urteilen?«

Er blickte nachdenklich zu Boden. Es war, als ob ein heller, froher Zug über sein melancholisches Gesicht gleiten wolle; dann reichte er mir die Hand und sagte:

»Jetzt weiß ich, wie Ihr es meint, Mr. Charley. Es hat mir so lange, lange Zeit auf der Seele gelegen, daß es nicht so schnell, wie Ihr wohl denkt, abzuwerfen ist; aber ich danke Euch! Werde über Eure Erzählung nachdenken; vielleicht thut sie das, was Ihr beabsichtigt habt. Von hier aber treibt es mich dennoch fort, ich mag den Ort nicht länger sehen. Wollen machen, daß wir aus dem Unglückscañon kommen!«

Ja, ich hatte es gut mit ihr gemeint und sollte später erfahren, welchen Nutzen sie ihm und infolgedessen auch – mir brachte. Ich hatte einen dankbaren Freund gewonnen.

Wir stiegen zu Pferde und ritten weiter. Der Cañon war so lang, daß wir erst nach einer Stunde den Ausgang erreichten. Dort standen wieder mehrere Exemplare des säulenartigen Riesenkaktus, welche Früchte trugen. Als Sam Parker dies sah, hielt er sein Pferd an und sagte den andern, indem er auf mich deutete:

»Ihr werdet zugeben, Mesch‘schurs, daß es immer gut ist, zu wissen, wie weit man auf einen Mann, mit dem man reitet, rechnen kann. Dieser Mr. Charley hat sich zu uns gesellt und wird uns wahrscheinlich nicht so bald verlassen. Wir können in jedem Augenblicke eine Begegnung mit den Comantschen haben und gezwungen sein, nach unsern Gewehren zu greifen. Meint Ihr nicht, daß es da richtig ist, von ihm einige Probeschüsse zu verlangen?«

»Ja, ja, er mag schießen; er mag zeigen, was er kann!« wurde ihm beigestimmt. Nur Jos Hawley schwieg.

»Ihr habt es gehört, Sir,« fuhr Parker fort, sich nun zu mir wendend. »Hoffentlich weigert Ihr Euch nicht, uns eine Probe von Eurer Kunstfertigkeit zu geben?«

»Nein,« antwortete ich. »Doch setze ich voraus, daß ich nicht allein es bin, der sein Examen abzulegen hat.«

»Wer denn noch?«

»Natürlich Ihr.«

»Ich – — —?« fragte er gedehnt.

»Ihr und die andern Gentlemen auch, wie sich doch ganz von selbst versteht.«

»Von selbst versteht? Ich wüßte nicht, warum dies so selbstverständlich sein könnte. Wahrscheinlich könnt Ihr nicht besser schießen wie ich damals, als ich zu Old Wabble kam. Ich hätte schon gestern im Lager gern einige Probeschüsse von Euch gesehen, wollte Euch aber nicht vor den Truppen blamieren. Jetzt sind wir allein und haben keine Zeugen, die gern lachen.«

»Well! Nach welchem Ziele soll geschossen werden?«

»Dort stehen Kaktuspflanzen, vielleicht hundertfünfzig Schritte weit. Sie tragen Früchte. Möchte doch wissen, ob Ihr von hier aus einen solchen Kaktusapfel treffen könnt.«

»Könnt Ihr das denn, Mr. Parker?«

»Wetter! Welch eine Frage! Zweifelt Ihr etwa daran?«

»Ob ich zweifle oder nicht, das ist sehr gleichgültig.«

»Oho! Ihr seid kein Westmann, sonst müßtet Ihr wissen, daß ein solcher Zweifel eine Beleidigung ist.«

Die Sache machte mir natürlich Spaß. Old Shatterhand sollte zeigen, daß er schießen könne. Ich antwortete lächelnd und in ruhigem Tone:

»So scheint Ihr also auch kein Westmann zu sein.«

»Ich? Kein Westmann! All devils! Sam Parker soll kein Westmann sein! Wie kommt Ihr auf diese so ganz außerordentliche Idee?«

»Weil Ihr auch nicht zu wissen scheint, daß ein solcher Zweifel beleidigend ist. Würdet Ihr sonst eine Probe von mir fordern?«

»Pshaw! Das ist etwas ganz andres. Ihr reitet hier auf Euerm Kutschpferde herum, um nach Altertümern zu suchen; wir aber sind Westmänner.«

»Ob Ihr das wirklich seid, weiß ich noch nicht. Ihr verlangt eine Schießprobe von mir, weil Ihr mich nicht kennt; ich kenne Euch ebenso wenig wie Ihr mich und habe also genau dasselbe Recht, zu erfahren, wie Ihr mit Euern Gewehren umzugehen versteht. Ich werde schießen, ja, aber nur dann, wenn auch Ihr mir zeigt, was Ihr gelernt habt.«

Er sah mir eine Weile ganz erstaunt in das Gesicht, brach dann in ein Gelächter aus, in welches die andern sehr laut einstimmten, und rief dann aus:

»Was wir gelernt haben! Das ist köstlich! Nicht wahr, Mesch‘schurs? Sam Parker soll zeigen, was er gelernt hat! Das ist ihm noch nie widerfahren, niemals in seinem ganzen Leben!«

»Oho!« widersprach ich ihm. »Ihr habt ja gestern erzählt, daß Ihr vor Old Wabble eine Probe ablegen mußtet, damals, als Ihr auf dreißig Schritte wohl einen Kirchthurm, aber keinen Geier treffen konntet.«

»Ja, dazumal! Aber jetzt ist es anders. Jetzt hat Sam Parker es nicht nötig, sich wie einen Schulbuben examinieren zu lassen. Doch, vielleicht habt Ihr einmal gehört, daß kein Westmann sich die Gelegenheit entgehen läßt, einen guten Probeschuß zu thun, und so wollen wir auf Euer Verlangen eingehen, so sonderbar es immer ist. Seid Ihr einverstanden, Mesch‘schurs?«

Die andern neun Männer gaben ihre Zustimmung, und so stiegen wir von den Pferden. Ich nahm mir vor, recht schlecht zu schießen und mich tüchtig auslachen zu lassen. Später konnte dann ich über sie lachen. Wenn sie mich infolge meines Vorgebens wirklich für einen sonderbaren Kauz hielten, der nach »alten Gräbern« suchte, so mußten sie als Westmänner doch Augen dafür haben, daß mein Rapphengst kein Kutschengaul« war.

Die Pulververschwendung begann. Parker und Hawley schossen zwar nicht meisterhaft, aber doch gut, die andern leidlich. Meine drei Kugeln gingen fehl; sie trafen so weit vom Ziele auf den Felsen, daß ich allerdings ein überlautes Gelächter erntete und Parker in verweisendem Tone zu mir sagte:

»Habe es mir gedacht! Wer seine Kugeln über zwanzig Schritte zu weit seitwärts fliegen läßt, der sollte nicht ein solches Bigmouth[7] sein, Sam Parker Probe schießen zu lassen! Nehmt mir dieses Wort nicht übel, Sir, aber blamiert seid Ihr im höchsten Grade! Ihr werdet weder ein Wild noch einen Indianer treffen und könnt froh sein, daß Ihr uns getroffen habt, Ihr gefallt mir trotz alledem, und wir haben nichts dagegen, daß Ihr bei uns bleibt, bis wir in eine Gegend kommen, wo Ihr Euern Weg ohne Gefahr allein fortsetzen könnt.«

Wir stiegen auf und ritten weiter. Es fiel mir nicht ein, ihm das »Bigmouth« und die Ermahnung übel zu nehmen; seine Ausdrucksweise war eben keine übermäßig feine, und ich hatte es ja nicht anders gewollt.

Es waren zunächst einige durch Schluchten getrennte Hochplateaus zu durchqueren, und dann ging unser Weg nach dem Gebiete des Rio Pecos hinab, den wir, falls wir die gleiche Schnelligkeit beibehielten, morgen gegen Abend erreichen konnten. Bald gab es hier und da eine grasige Stelle, dann Laubgrün, welches aus Beerenranken und dergleichen bestand, und am Nachmittage trafen wir auf ein Wasser, an welchem erst vereinzelte Büsche und dann dichter stehende Sträucher Nahrung fanden. Grad als die Sonne untergehen wollte, führte dieses Wasser durch ein Thal, welches unsern Pferden fette Weide bot und mehrere zum Nachtlager gut geeignete Stellen zeigte. Es standen sogar Bäume hier.

Parker, der unter stillem Einvernehmen als unser Anführer galt, wählte einen Platz, der fast rundum von Büschen umgeben war und da, wo das Strauchwerk die einzige Oeffnung hatte, von dem Bache abgeschlossen wurde. Diese Wahl war gar nicht übel getroffen, besonders da die Größe dieser Lagerstelle auch unsern Pferden Raum bot, die wir also während der ganzen Nacht bei uns haben konnten und nicht besonders zu bewachen brauchten. Als wir abgestiegen waren und wir andern es uns bequem gemacht hatten, ging Parker mit Hawley fort, um zu versuchen, frisches Fleisch zu schießen. Als sie kurz nach Sonnenuntergang zurückkamen, sahen wir, daß sie Glück gehabt und mehrere Hühner geschossen hatten, die nun gebraten wurden. Dürres Gezweig zum Feuer gab es zur Genüge. Ich bekam meinen Anteil und zog mich dann, als ich ihn verzehrt hatte, vom Feuer weg an den Buschrand zurück, wo ich mein Pferd anpflockte und mich in der Nähe desselben niederlegte.

Die andern unterhielten sich in der gewöhnlichen Weise der Westmänner, und da ihr Gespräch mir nichts Neues bot, so zog ich es vor, allein zu sein. Ich hatte mich seit der Schießprobe meist allein gehalten, und nur Jos hatte einigemale sein Pferd neben das meinige gelenkt, um einige Worte an mich zu richten, welche freundlicher waren, als es sonst seine Art und Weise zu sein schien. Er saß jetzt still bei seinen Kameraden und warf nur zuweilen eine kurze Bemerkung in ihr Gespräch. Man sah ihm an, daß er sich mit einem Gedanken beschäftigte, den ich leicht erraten konnte. Dann stand er dort auf, kam langsam zu mir herbei, setzte sich neben mich und sagte:

»Darf ich zu Euch kommen, Sir, oder ist es Euch lieber, allein zu sein?«

»Bleibt hier, Mr. Hawley! Ihr seid mir recht.«

»Das freut mich. Ihr scheint ein schweigsamer Mann zu sein, und ich werde Euch nicht mit Worten belästigen; bin auch lieber still als laut; aber Dank sagen muß ich Euch doch.«

»Wofür?«

»Für Eure heutige Geschichte. Habe während des ganzen Rittes an sie denken müssen. Bin auch jetzt noch nicht ganz über sie hinweg, aber ich fühle doch schon, daß sie mir Erleichterung verschaffen wird. Es ist ein verdammt miserables Gefühl, der Mörder eines Freundes zu sein!«

»Daß Ihr das nicht seid, habe ich Euch schon vorher gesagt, und das hat Euch dann auch noch meine Geschichte sagen und beweisen sollen.«

»Well! Ich bin Euch Dank schuldig, und es ist mir, als ob ich Euch lieb gewinnen sollte. Ihr seid zwar kein großes Licht im Westen, aber Ihr habt so etwas an Euch, was mich zu Euch zieht, so – — so – — – na, grad so als wie wenn man rechten Durst hat und ein helles Wasser blinken sieht; so klar und hell ist Euer Gesicht. Man schaut gern hinein. Darum habe ich mich über Eure Schießprobe geärgert, um Euertwillen natürlich nur. Es wäre mir lieb gewesen, wenn sie besser ausgefallen wäre und Ihr Euch nicht gar so lächerlich gemacht hättet. Wurmt Euch das nicht auch?«

»Nein.«

»Nicht? Hm, sonderbar! Es ist doch keine Ehre, so gar weit seitwärts zu schießen.«

»Aber auch keine Schande.«

»Doch, und zwar keine kleine.«

»Die Gaben sind nicht gleich verteilt. Wer kein guter Schütze ist, der leistet wahrscheinlich in etwas anderem mehr.«

»Mag sein; nur fragt es sich, ob dieses andre hier im wilden Westen von Nutzen ist. Doch ich will Euch nicht wehe thun, indem ich von etwas spreche, was Ihr nicht könnt; ich wünsche Euch vielmehr alles Gute und wollte, ich dürfte Euch von Nutzen sein. Doch schweigen wir; ich bin kein Freund von schönen Redensarten.«

Er legte sich nieder und streckte sich aus.

Die am Feuer unterhielten sich so laut, wie ich es sonst nicht geduldet hätte; aber da sie nicht wußten, wer ich war, hätten sie keine Weisungen oder gar Befehle von mir angenommen. Die Nähe von Comantschen war gar nicht ausgeschlossen; das wußten sie recht gut. Und ich, der ich den Zettel Winnetous gelesen hatte, wußte das noch besser. Ihr lautes Gespräch war eine noch größere Unvorsichtigkeit als die, daß sie ein Feuer angezündet hatten. Der Schein desselben konnte durch das Gebüsch dringen und uns verraten. Und wenn dies nicht der Fall war, so mußte eine geübte Indianernase den Geruch des Rauches mehrere hundert Schritte weit bemerken. Ich nahm mir daher vor, Augen und Ohren offen zu halten, bis das Feuer niedergebrannt sein würde.

So lag ich lange da, mit dem einen Ohre, um in die Ferne hören zu können, dicht an der Erde und den Blick unausgesetzt an den Büschen hin spazieren führend. Da sah ich, daß mein Pferd im Grasen innehielt und den Kopf in bezeichnender, mir wohlbekannter Weise nach der Seite hielt. Es sog die Luft ein, schnaufte leise und drehte sich dann nach mir um. Es näherte sich jemand von der angegebenen Seite, und dieser jemand war ein Weißer. Wäre er ein Indianer gewesen, so hätte der Rappe nicht geschnaubt. Das gehörte zu der indianischen Dressur, die er erhalten hatte.

»Isch hosch!« sagte ich halblaut.

Das Pferd verstand den Befehl und legte sich nieder; es hatte mich gewarnt und gab nun sicher kein Zeichen der Unruhe mehr. Der, welcher sich uns näherte, sollte dem Hengste nicht ansehen, daß sein Kommen verraten war.

Höchst wahrscheinlich war es ein einzelner Mann. Er mußte unser Feuer gerochen haben und hatte jedenfalls sein Pferd zurückgelassen, um uns zu beschleichen. Zu befürchten war nichts von ihm, sondern es mußte im Gegenteile unter den jetzigen Verhältnissen einem jeden Bleichgesichte lieb sein, auf Weiße zu treffen. Es war also anzunehmen, daß er uns belauschen und dann sein Pferd holen werde, um sich uns anzuschließen.

 

Die Richtung, in welcher er sich befand, wußte ich also. Ich wendete mich derselben zu und schloß die Augen halb, um zwischen den fast geschlossenen Lidern hindurch die betreffende Stelle des Gesträuches zu beobachten. Er sollte nicht sehen, daß mein Blick auf ihn gerichtet war.

Der Schein des Feuers drang zwischen den Blättern hindurch, deren Schatten er hell umsäumte. Ich sah eine leise, leise Bewegung der Zweige. Der Mann kam langsam und höchst vorsichtig durch das Gebüsch gekrochen. Zu hören war nichts, gar nichts, zumal meine Begleiter noch immer laut sprachen. Jetzt hatte er den Rand des Gesträuches erreicht; es war schwer für ihn, hindurchzusehen, weil grad diese Stelle dicht belaubt war. Er mußte etwas davon entfernen, wenigstens einen Ast oder Zweig. Abbrechen durfte er ihn nicht, weil wir das dadurch entstehende Geräusch hätten hören können; ich nahm also an, daß er ihn abschneiden würde. Und richtig, schon nach kaum einer halben Minute sah ich einen, freilich sehr geringen Teil des Blattwerkes verschwinden.

Als ich nun den Blick mit doppelter Schärfe nach der Stelle richtete, sah ich zwei wie phosphorescierende Punkte; das waren seine Augen, die allerdings nur ein Westmann erkennen konnte, dessen Gesicht durch lange Uebung geschärft worden war. Es giebt im Westen hunderte von Jägern, die es niemals fertig bringen, des Nachts die Augen eines Spähers zu entdecken. Die Uebung thut es nicht allein; sie ist zwar sehr notwendig dazu, aber es muß das auch eine Gabe, also angeboren sein. Ueber seinen Augen lag es wie ein hellerer Streifen, wie ein Schein von einem weißen Schleier. Der Mann mußte alt sein und schneeweißes Haar haben. Da plötzlich stieß er einen lauten Ruf aus, sprang im Gebüsch auf und that einen Sprung aus demselben hervor.

»Parker, Sam Parker ist da!« rief er aus. »Das ist ein alter Bekannter, und da brauche ich mich ja nicht zu verstecken.«

Die Männer am Feuer schnellten erschrocken empor; auch Jos sprang neben mir auf; ich blieb liegen.

»Old Wabble, Old Wabble!« schrie Parker. Aber gleich einsehend, daß er den Spitznamen dieses Mannes genannt hatte, fügte er, sich verbessernd, hinzu: »Fred Cutter! Verzeihung, daß mir dieses Wort entfuhr, Mr. Cutter! Die Ueberraschung ist daran schuld.«

Also Old Wabble, den ich so gern einmal hatte sehen wollen und von dem wir gestern noch gesprochen hatten! Ja, da stand er im Scheine des Feuers, grad so, wie er mir beschrieben worden war. Seine Gestalt war lang und außerordentlich schmal. An den Füßen trug er Sporen, deren Räder von außerordentlicher Größe waren; die dürren Beine steckten in Leggins, die wenigstens ein Jahrhundert alt zu sein schienen; das überaus schmutzige Hemde ließ Hals und Brust unbedeckt, und darüber hing in weiten Falten eine Jacke, deren Farbe kaum mehr zu erkennen war. Sein alter Hut hatte eine unendlich breite Krempe und saß ihm tief im Genick; darunter trug er ein Tuch, dessen Zipfel hinten bis auf die Schultern niederhingen. An den Ohrläppchen sah ich große, schwere Silberringe. In dem Gürtel steckte ein alter, langer Bowiekneif, und mit der knochigen, rechten Hand hielt er ein Gewehr umfaßt, dessen Konstruktion ich jetzt nicht erkennen konnte. Das Gesicht war genau so, wie es Parker uns gestern in Worten gezeichnet hatte. Am meisten fiel an diesem frühern »Könige der Cowboys« das weiße Haar ins Auge, welches wie eine silberne Mähne unter dem Hute und dem Tuche hervorquoll und ihm fast bis zum Gürtel herabreichte.

Er warf einen schnellen, scharf musternden Blick umher, wabbelte mit einer überlegenen Bewegung seine Glieder durcheinander und antwortete auf die entschuldigenden Worte Parkers:

»Pshaw! Ich weiß, daß man mich so nennt, und habe nichts dagegen, daß Ihr dies auch thut. Ihr seid verdammt unvorsichtige Kerls, ihr. Brennt ein Feuer, welches man zwanzig Meilen weit riecht, und schreit, daß man es noch zehn Meilen weiter hört! Wenn ein halbes Dutzend Rote an meiner Stelle gewesen wären, so hätten sie euch in weniger als einer Minute auslöschen können; th‘is clear. Es giebt Menschen, die im Leben nie klug werden. Wo kommt ihr denn eigentlich her, Boys?«

»Vom Gila herüber,« antwortete Parker.

»Und wo wollt ihr hin?«

»Nach dem Pecos hinab.«

»Das trifft sich gut. Kann euch dort brauchen. Habt ihr vielleicht das Truppenlager berührt, welches da oben einige Reitstunden hinter dem Mistake-Cañon liegt?«

»Wir haben dort eine Nacht gelagert.«

»Sind die Uniformleute noch dort?«

»Ja.«

»Gut, sehr gut! Ich muß nämlich wieder hinauf zu ihnen. War schon einmal dort.«

»Das hörten wir.«

»Well, habe eine dringende Bitte an sie; brauche ihre Hilfe. Ich werde euch das erzählen, will aber erst mein Pferd holen, welches ich weiter unten, als ich euer Feuer roch, angepflockt habe, um euch zu beschleichen. Bin in kurzem wieder da.«

Er sprang über den Bach hinüber und verschwand. Die zehn Männer standen noch da, fast starr vor Ueberraschung. Nun, da er fort war, ergingen sie sich in Ausdrücken der Verwunderung; ich schwieg wie bisher. Mein Pferd lag noch an der Erde. Da es so nicht fressen konnte, rief ich ihm zu »Schischi!« Es sprang sofort auf und begann wieder zu weiden.

Nach einiger Zeit kam Old Wabble wieder, sein Pferd am Zügel führend. Als er mit ihm den Bach übersprungen hatte, ließ er es laufen, setzte sich an das Feuer und sagte:

»Diese Flamme ist eigentlich viel zu groß; th‘is clear; da ich aber erst jetzt gekommen bin und also weiß, daß die Gegend sicher ist, so können wir es brennen lassen. Wie lange wollt ihr hier liegen bleiben?«

»Nur diese Nacht.«

»Werdet auch morgen und die nächste Nacht hier liegen.«

»Schwerlich!«

»Sicher! Sollt gleich erfahren, warum. Möchte nur vorher wissen, wer ihr alle seid. Sam Parker kenne ich, der damals seinen ersten Elk bei mir geschossen hat. Wer sind die andern?«

Parker nannte ihre Namen, deutete dann auf mich und fuhr in leichtem Tone fort:

»Und der dort ist Mr. Charley, ein deutscher Gelehrter, der nach alten Indianergräbern sucht.«

Old Wabble richtete sein Auge auf mich, da ich ruhig liegen blieb, und meinte:

»Nach Indianergräbern? Sonderbare Beschäftigung! Aber doch auch Westmann?«

»Nein,« fuhr Parker fort. »Er mußte heut drei Probeschüsse thun und hat über zwanzig Schritte weit gefehlt.«

»Hm, kenne das, habe solche Forscher gesehen, die in die Savanne kamen, um Bücher zu machen, Bücher über die Sprache und Abstammung der einzelnen roten Stämme. Bin ihr Führer gewesen und habe mich krank geärgert. Keiner von ihnen konnte das Messer oder das Gewehr richtig in die Hand nehmen. Die Gelehrsamkeit verdirbt den Menschen; th‘is clear. Aber jetzt eine wichtige Frage an Euch. Möchtet Ihr einige Dutzend Indianerskalps haben?«

»Warum nicht! Von welchem Stamme?«

»Comantschen.«

»Soll mir recht sein, Mr. Cutter. Ist es leicht?«

»Nicht allzu sehr. Man kann dabei leicht seine eigene Haut riskieren. Fürchtet Ihr Euch?«

»Das nicht; aber ich pflege erst dann zu spielen, wenn ich die Karten kenne. Ich halte es also für richtig, daß Ihr uns vorher sagt, um was es sich handelt.«

»Habt Ihr den Namen Old Surehand[8] gehört?«

Bei diesem Namen ergriff alle eine Bewegung der Ueberraschung, und Parker fragte schnell:

»Old Surehand? Handelt es sich um den?«

»Yes. Ihr kennt ihn also?«

»Natürlich, alle, wenn wir ihn auch nicht gesehen haben. Er ist der beste Schütze im ganzen wilden Westen.«

»Da ist vielleicht zuviel behauptet. Seine Kugel geht zwar niemals fehl, daher sein Name; aber Winnetou und Old Shatterhand schießen wenigstens ebenso sicher. Ich habe Old Surehand vor einiger Zeit kennen gelernt und allen Respekt für ihn gewonnen. Wir trennten uns vor kurzer Zeit, denn ich mußte in die Gegend von Fort Stanton hinauf und er wollte nach dem Rio Pecos zu den Mescalerosapatschen, um dort nach Winnetou zu fragen und ihn und Old Shatterhand kennen zu lernen. Kurz nach unsrer Trennung erfuhr ich, daß die Comantschen die Kriegsbeile ausgegraben haben; er wußte das nicht, und da sein Weg ihn über ihre Route führte, befand er sich in großer Gefahr; ich lenkte also schnell zurück, um ihn zu warnen, was nicht schwer war, denn ich kannte seinen Weg. Ich holte ihn auch richtig ein; aber der Satan hatte sein Spiel: Wir waren noch keine Viertelstunde bei einander, so wurden wir von einem Comantschenhaufen überrumpelt und überfallen.«

7Großmaul.
8Old Schuhrhännd ausgesprochen (= Sicherhand).