Im Zeichen des Drachen

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Der Ehri schien sich um mein Gefühlsleben nicht zu kümmern. Er warf von Zeit zu Zeit einen Fisch aus und forschte dann immer nach der Richtung, aus der die Hochzeitsflotte mit dem Brautpaar kommen musste. Mir war es nicht ganz wahrscheinlich, dass die Trauung nach dem durch uns verursachten Auftritt noch vollzogen worden sei. Er jedoch schien seiner Sache sicher zu sein und stand, als sich am Himmel ein nebliger Lichtschein bemerken ließ, im Boot auf, um besser Ausguck halten zu können.

Der Schein wurde mit jeder Sekunde heller. Bald erkannte ich, dass er wirklich von der Flotte herrührte, da jeder Kahn an seinem Bug mit einer Fackel ausgerüstet war.

„Sie kommen“, bemerkte Potomba kaltblütig, „und jetzt wird Pareyma wieder mein.“

Er warf die rot und weiß gestreifte Tebuta von den Schultern und griff mit der Rechten nach dem Kris, während er mit der Linken wieder einen Fisch auswarf.

„Diene mir nur zwei Minuten, Sahib, so will ich dir gehorchen, solange du willst!“

Ich griff zum Ruder.

Er tat dasselbe und auf seine Anweisung hin beschrirben wir einen Bogen, den Kommenden entgegen, lenkten dann auf sie zu und schossen zuletzt, nun mit ihnen in gleicher Höhe, auf das erste Boot der Flotte zu. Darin saßen drei Personen, die ich deutlich erkennen konnte: Matemba, Anoui und Pareyma. Mit gewaltigem Ruderdruck an der rechten Seite des Zugs hinstreichend, erreichten wir das Boot, sodass unser linker Bord hart mit seinem Ausleger zusammentraf. Die Haie waren uns bis hierher gefolgt. Ich saß an den Rudern und Potomba stand jetzt wieder aufrecht im Boot, den Kris in der Faust.

„Pareyma, herüber!“, rief er.

Die Gerufene erhob sich und schnellte über den Ausleger zu uns ins Boot. Der Ehri empfing sie mit dem linken Arm und ließ sie niedergleiten, dann bog er sich über Bord und zerschnitt mit zwei raschen Zügen die Baststricke, die den Ausleger des Hochzeitsbootes mit den Querstangen verbanden.

Ein fürchterlicher Doppelschrei erscholl. Das Boot kenterte, Matemba und der Priester stürzten ins Wasser und wurden augenblicklich von den Haien verschlungen.

Pareyma schlug die Hände vors Gesicht, Potomba aber ergriff das andere Ruderpaar und legte sich ein. Wir flogen wie vom Bogen geschnellt davon, während die Flotte einen wirren Knäuel bildete, aus dem sich nur ein einziges Boot löste, um uns zu folgen. Ich griff zur Büchse und sagte:

„Ich werde dem Mann eine Kugel geben.“

„Halt, Sahib! Es ist kein Feind, der uns folgt, sondern ein Freund. So rudert nur Ombi, der Diener meines Weibes. Ihm und Potomba, dem Ehri, kommt keiner gleich. Lass ihn herbei; er wird mit uns gehen!“

Hinter uns heulten jetzt die wütenden Insassen der Prauen und versuchten uns einzuholen. Es gelang ihnen nicht. In fünf Minuten hatten wir den ,Wind‘ erreicht, der sein Fallreep niederließ.

Jetzt erst nahm Pareyma die Hände vom Angesicht.

„Potomba, du hast den Vater getötet!“, stöhnte sie.

Ombi, der alte Graukopf, sprang aus seinem Boot in das unsrige herüber.

„Sag deinem Herzen, dass es ruhig sei, Pareyma“, bat er. „Dein Leid ist mein Leid, und dein Glück auch mein Glück! Die Götzen sind heute gefallen und nun wird bei uns sein der gute Bapa des Himmels mit seinem Sohn, der auf die Erde kam, um alles Unglück in Freude zu verkehren.“

Wir stiegen hinauf.

„Schnell, Charley!“, rief der Kapitän. „Dort kommen die Kerls mit ihren Fackelbooten, um euch zu suchen. Herauf, herauf! Löscht die Lichter aus, Jungens!“, gebot er seinen Leuten, „und holt rasch die beiden Boote an Deck, dass die Schlingels dort nichts merken! Sie müssen denken, dass auf unserem guten ,Wind‘ alles im Schlaf liegt. So, so, die Taue nieder! Zieht, Jungens, zieht! Stopp! Herein mit den Nussschalen! Prächtig, so ist’s gut! Nun nehmt die Handspeichen, und wenn es jemand wagen sollte, die Nase heraufzustecken, dem gebt einen tüchtigen Klaps!“

Eine solche Maßregel war nicht notwendig. Die Verfolger schienen anzunehmen, dass wir auf das Land zugehalten hätten, und ruderten der Küste entgegen, wo noch lange Zeit der Schein ihrer Fackeln zu bemerken war.

Potai empfing seinen Bruder und die Schwägerin mit Jubel. Dem Kapitän musste, als wir in der Kajüte versammelt waren, alles ausführlich erzählt werden. Als ich damit zu Ende war, reichte mir Pareyma ihr zartes, braunes Händchen entgegen.

„Ich danke dir, Sahib! Du hast mich vom Tod errettet, denn ich wäre an meinem Messer gestorben, bevor ich mit Matemba das Boot verlassen hätte.“ – –

Am Morgen stachen wir in See. Fünf Tage später befand sich Kapitän Roberts mit seinen Marsgasten und allem geretteten Gut bei uns an Bord, dann segelte der ,Wind‘ nach Nord bei West, um die Samoa-Inseln zu erreichen.

Dort, auf der Insel Upolu, und zwar in Saluafata, wohnt noch heute ein reicher, polynesischer Handelsmann, der sich Potomba nennt.

Zuweilen, wenn die Sonne ihr glühendes Gewand in die Fluten senkt, um zur Ruhe zu gehen, rudert der Greis Ombi ein Ausleger-Kanu hinaus auf die Höhe. Darin sitzt Potomba mit Pareyma, und wenn Ombi lauschen möchte, so würde er hören, wie der dunkelfarbige Mann seinem Weib zuflüstert: „Mata ori, du Auge des Tages, du Licht meines Lebens!“

Vielleicht, dass in solchen einsamen Stunden das schöne Paar auch der Vergangenheit gedenkt, des Glücks und der darauf folgenden Trübsal auf Tahiti, des Hochzeitstags auf Eimeo, der Fahrt nach den Pomatu- und Samoa-Inseln, des alten, braven Master Frick Turnerstick und – vielleicht auch des Germani mit den großen Seemannsstiefeln, dem heute, da er dieses niederschreibt, noch die klagenden Worte im Ohr nachtönen:

„Te uwa to te malema,

te uwa to hinarro…“

3. Im Taifun

China!

Wunderbarstes Land des Ostens, riesiger Erdendrache, der seinen Zackenschwanz im tiefen Weltmeer badet, der einen Flügel in die Eisfelder Sibiriens und den anderen in die dampfenden Dschungel Indiens schlägt, und der, vom rasenden Taifun an das Gestade getrieben, über rauschende Flüsse, weite Seen, über Berge und Täler auf nach Westen steigt, um seinen Kopf über die höchsten Riesen der Gebirge zu heben, die schreckliche Wjuga17 der Gobi zu atmen und aus den Wassern des Manasarowar18 zu trinken, werde ich es wagen dürfen, dir zu nahen, und werde in deinen feindseligen Basiliskenblick mit meinem Barbarenauge ertragen können?

Größtes Volk der Erde, das die ,Tschung-hoa‘19 sein Eigen nennt, darf ich nichtiges Würmchen auf einem Blatt dieser Blume ruhen, um die – Seligkeiten ihres Duftes zu erforschen? Heiliger und allmächtiger ,Tien-dse‘20, zu dessen Füßen mehr als vierhundert Millionen Menschen anbetend im Staub liegen, gestattest du mir, meinen schmutzigen Fuß auf die Ecke deines Teppichs zu setzen? Ich bin nicht aus dem Land der Franka und Ingli, die mit Schwert und Pulver zu dir kommen, um deinen Kindern das Gift des Opiums aufzuzwingen, deine Städte zu verheeren und deinen Pings21 zu sagen, dass sie Memmen sind. Ich stamme vielmehr aus dem Land der Tao-dse22, die deine Herrlichkeit bewundern, deine Größe preisen und nichts anderes wünschen, als dass der Glanz deiner Weisheit in Frieden strahle auch über ihrem Haupt. – –

Nachdem wir Potomba, den Ehri von Tahiti, seine liebliche Pareyma, seinen Bruder Potai und den Diener Ombi auf der Samoa-Insel Upolu abgesetzt und den Kapitän Roberts vom ,Poseidon‘ mit seinen Marsgasten da gelandet hatten, waren wir einige Tage vor Anker geblieben und dann über die Ellice-, Tarawa-, Radack- und Ralick-Gruppe nach den Marianen gegangen, von wo aus wir nach den Bonin-Inseln segelten.

Kennt der freundliche Leser aus Reisebeschreibungen oder auch nur aus der Karte diese liebliche Inselgruppe, der aus dem Seeverkehr zwischen Kalifornien und China eine bedeutende Zukunft erblühen wird? Die einsame, verborgen im großen Weltmeer gelegene Wasserfee wird berührt werden von einer der großen See- und Handelsstraßen und von ihr Bevölkerung, Reichtum und Berühmtheit erlangen, dafür aber auch leider den köstlichen Zauber ihrer einsamen Ruhe verlieren, der einen Anziehungspunkt für manchen Schiffer bildete, der den Wal im hohen Norden jagte und sich nach dem gesunden Grün eines festen Landes sehnte.

Wer den weiten Ozean durchschifft hat, der seine Fluten zwischen Amerika und Asien wogen lässt, wer die Beschwerlichkeiten, Anstrengungen und Entbehrungen einer solchen Reise aus eigener Erfahrung kennengelernt hat und sich – ringsum nichts als Wasser – Tag für Tag sehnte nach einem Fleckchen Grün, wo das müde Auge sich ausruhen und der an den bekannten Schaukelschritt der Seefahrt gewöhnte Fuß eine feste Stütze finden könnte, der wird die Freude ermessen, die der russische Weltumsegler Lütke mit seinen Mannen empfand, als er am 1. Mai 1828 die Bonin-Inseln erblickte, deren nähere geografische Bestimmung mit zu den Aufgaben der Forschungsreise gehörte.

Er sah vier aus steilen Gebirgsmassen bestehende Gruppen, deren einzelne Inseln so nahe beieinander lagen, dass man sie von weitem schwer zu zählen vermochte. Man steuerte auf die nächste zu, die mit Ausnahme der nackten Felsen des Ufers überall schön bewaldet erschien. Da bemerkte man eine dünne Rauchsäule, die aus den Laubmassen eines nahen Vorgebirges emporstieg, das von den dahinter liegenden Höhen weit überragt wurde.

Lütke wusste, dass diese Inseln bisher unbewohnt gewesen waren; es konnten daher nur Schiffbrüchige sein, von deren Feuer dieser Rauch stammte. Da wurde neben dem Feuer eine kleine englische Flagge aufgehisst und Lütke sandte ein Boot mit Lebensmitteln ab, um die jedenfalls halb Verschmachteten sofort erquicken zu können.

 

Den Leuten im Boot zeigte sich ein reizendes Landschaftsgemälde. Steile, wild zerklüftete Felsen, in seltsame Gebilde zerrissen und oft von natürlichen Stollen durchbrochen, sprangen kühn ins Meer hinaus, und weiter hinein bedeckte eine prachtvolle Palmenwaldung die schroff aufsteigenden Höhen.

Das Boot wurde nach der Rauchsäule hingesteuert, und als es dem Ufer so nahe gekommen war, dass die Felswände den Leuten die Aussicht auf den Hintergrund benahmen, zeigte sich der Eingang zu einer schmalen, tiefen Bucht, ganz umschlossen von senkrechten Basaltmauern, reich an Höhlen und Riffen, von Farbe teils gelblichgrau, teils braunschwarz, doch oben auf allen Vorsprüngen mild und heiter verziert und behangen von grünendem Strauchwerk und schönblumigen Rankengewächsen. Bei einer aus riesigen rundlichen Blöcken zusammengesetzten Felswand krümmte sich die Durchfahrt nach Norden hin und bald darauf zeigte sich eine schmale Bucht mit sandigen Ufern, deren Hintergrund dicht mit Wald bewachsen war.

Hier warteten am Strand bereits zwei Männer in englischen Matrosenkleidern, aber sie waren barfuß. Sie hatten bei der Annäherung des Bootes die Höhe verlassen und bezeichneten durch Winke den Ort, an dem man landen sollte. Wie staunten die Insassen des Fahrzeugs, als sie von dem älteren der beiden Männer in deutscher Sprache angeredet wurden! Ein langer blonder Bart gab ihm ein stattliches und ernstes Aussehen. Er empfing die Landenden nicht mit der Miene eines Notleidenden, sondern mit der eines Mannes, der von keinem Menschen etwas zu erbitten braucht. Er war ein deutscher Landmann aus Pillau, der schon seit dreißig Jahren als Seemann das Meer unter englischer Flagge befahren hatte. Dieser, wie man wohl sagen darf, weit verschlagene Mann und sein Begleiter, ein junger Norweger, hatten zur Mannschaft des Walfängers ,Willimas‘ gehört, der vor zwei Jahren in dieser Bucht während eines fürchterlichen Orkans von seinen Ankern gerissen wurde und an den benachbarten Felswänden im Innern der Bai gescheitert war. Damals rettete sich die Mannschaft an Land, ward aber bald darauf von einem für das nämliche Haus fahrenden Walfänger an Bord genommen, wobei Wittrin und Petersen (so hießen die beiden) sich die Erlaubnis erwirkten, auf dem romantischen Eiland zu bleiben und bis zur Ankunft eines anderen Schiffs eine gemütliche Robinsonade ins Werk zu setzen.

Das ungefähr war der Inhalt des ersten lebhaften Gesprächs der Einsiedler mit den fremden Ankömmlingen, und die Robinsons führten dann die Besucher nach ihrer Wohnung, um sie dort zu bewirten.

Unter prachtvoll aufstrebenden Bäumen, deren Kronen einander erst in beträchtlicher Höhe berührten, während weiter unten der völlige Mangel an größeren Ästen einen ziemlich freien Durchblick ermöglichte, sodass das Ganze einer riesigen, mit herrlichen Laubgewinden gezierten Säulenhalle glich, lag sehr anmutig das kleine, aus den Trümmern des ,Williams‘ gezimmerte Haus, vor dem ein artig angelegter Ziehbrunnen, aus einer eingegrabenen Tonne bestehend, viel zu dem wohnlichen Aussehen der kleinen Ansiedlung beitrug.

Die Schiffer hatten in menschenfreundlicher Absicht Lebensmittel mitgebracht, um vermeintlich Notleidenden beizustehen, doch sie waren selbst in das Märchenreich des Überflusses geraten, und statt mit mittelmäßiger Schiffskost Hungrigen beizuspringen, wurden sie nun mit dem ausgesuchtesten Abendessen bewirtet. Von den mehr oder weniger zahmen Schweinen, die die ländliche Szene belebten, ward von den freundlichen Wirten sogleich eines der fettesten geschossen. Man lichtete den wohl versorgten Taubenschlag und als Zuspeise gab es mehlige Kartoffeln, erfrischende Wassermelonen, Holundersuppe, frische Feigen und Maulbeeren, Pfannkuchen, Schildkröteneier und verschieden hergerichtete Fische. Den Beschluss machte ein würziger Tee, der aus den Blättern des hier wild wachsenden Sassafras (Laurus Sassafras) bereitet worden war. Die beiden Einsiedler hatten sich sehr an ihn gewöhnt und auch von den Gästen wurde er als köstlich befunden.

Die Sorgfalt der Gastgeber ging so weit, dass sie, weil ihr Tischgerät nicht für alle ausreichte, schnell einige Löffel anfertigten. Das waren Muschelhälften, die man an Stielen von Fächerpalmen befestigte. So schön weiß ein Robinsonleben den Erfindungsgeist zu wecken. Auch die innere Einrichtung der Hütte machte einen wohltuenden Eindruck und zeugte von dem Ordnungssinn und den günstigen Verhältnissen ihrer Bewohner. Das Hausgerät, das hauptsächlich aus Schiffskisten und den beiden Hängematten bestand, nahm sich artig aus; auch bemerkte man einige vom Schiff gerettete Bücher, die namentlich in langen Winterabenden die Abgeschiedenheit versüßt hatten. Für die notwendige Beleuchtung war gesorgt, denn es fehlte nicht an Walrat, womit das verunglückte Schiff hauptsächlich beladen gewesen war.

Den größten Teil der nächsten Nacht brachte die heitere Gesellschaft unter den herrlichen Bäumen vor der Klause zu. Bald gesellte sich zur Lieblichkeit des Ortes und des Klimas bei völlig heiterem Himmel der Vollmondglanz in seiner ganzen stillen Pracht. Solche Stunden sind unvergesslich und werfen einen Lichtschein durch das ganze Leben.

Man benützte diese zauberhafte Beleuchtung, um nach dem sandigen Ufer zu wandern, wo man eierlegende Schildkröten in Mengen fand, denn es war gerade die günstige Jahreszeit, in der diese Tiere von einem wunderbaren Trieb geleitet werden, die sandigen Ufer der abgelegensten Inseln zum Eierlegen aufzusuchen. Sie verweilen dann an diesen Stellen den ganzen Sommer, um das Ausschlüpfen der Jungen abzuwarten und mit ihnen im Herbst das offene Meer zu suchen.

Der Umfang der Löcher, die diese Tiere in den Sand graben, ist staunenswert. Ein solches unterirdisches Nest nimmt eine beträchtliche Menge von Eiern auf, die rasch nacheinander hineingelegt und dann sorgfältig mit Sand bedeckt werden, bis der ebene Boden wieder vollständig hergestellt ist. Hierdurch werden die Eier gegen die Angriffe der lüsternen Raben geschützt, nicht aber gegen die wühlenden Schweine, die nicht minder auf solch ein leckeres Mahl erpicht sind. Vor ihren Rüsseln ist kein Nest sicher, und obgleich sie erst mit dem ,Williams‘ auf das Eiland gekommen waren, drohte durch ihre Vermehrung der ganzen Schildkrötensiedlung der Untergang.

Es ist unberechenbar, welche Störungen und Umwälzung die Einführung eines neuen Tieres in der ursprünglichen Tierwelt eines Ortes hervorbringen kann. So hat z. B. in Neuseeland der flügellose Kiwi der Übersiedlung des europäischen Hundes nicht widerstehen können, und ebenso droht die dort eingeführt Katze dem Kakapo, einem dortigen Kuckuck, der auf niederen Zweigen zu nisten pflegt, mit dem vollständigen Untergang. Nicht allein die wilden Völkerstämme sind es, die bei der Ankunft des weißen Mannes ihr Todesurteil empfangen, auch die Haustiere, die den Fremdling begleiten, bringen den freien tierischen Bewohnern der Wildnis Verderben und Vernichtung.

Merkwürdig ist die Wehrlosigkeit jener großen Schildkröten, deren durchschnittliche Körperlänge wenig unter fünf Fuß beträgt, und die bei der Langsamkeit ihrer Bewegungen am Land ihren Verfolgern leicht zur Beute werden, obgleich sie im Wasser überaus behänd sind und schwimmend leicht zu fliehen vermögen. Zwei Menschen müssen gewöhnlich ihre Kräfte vereinigen, um ein so schweres, im Sand fortkriechendes Tier umzuwälzen; einmal auf dem Rücken liegend, kann es sich nicht wieder umwenden, und nichts ist dann leichter, als es durch einen starken Hieb in die Kehle zu töten. Seine ganze Verteidigung besteht nur in einem kraftlosen, unbeholfenen Umherschlagen mit den flossenartigen Ruderfüßen; die scharfen Kinnladen, sein natürliches Gebiss, versteht es nicht zu gebrauchen.

Die beiden Ansiedler hatten den Platz Port Lloyd genannt, und da Lütke hier alles vereinigt fand, was er brauchte, so beschloss er, einige Zeit zur Ausbesserung seines Schiffs hier zu verweilen. Währenddessen hatte er volle Zeit, sich mit der belebten Welt der romantischen Insel bekannt zu machen.

Außer den mannigfaltigen Vögeln, vom Falken des Gebirges bis zum Pelikan des Strandfelsens, beschäftigte ihn besonders die Tierwelt der unterseeischen Gefilde. Reizend waren namentlich die Uferstellen, von denen man auf die seichten Korallenbänke hinabschauen konnte, deren weißgelber Sand durch den flüssigen Kristall des Seewassers emporschimmerte. Zwischen den einzelnen mit lebenden Polypen versehenen Korallenstämmen sah man in buntem Gemisch Seesterne, Holothurien und Seeigel von wunderbarer Größe und Schönheit sich am Boden bewegen, während das beinahe zwanzig Fuß tiefe Küstenwasser, vollkommen durchsichtig wie Glas, in allen seinen Schichten von den prachtvollen Fischen und Doriden durchkreuzt wurde, deren schönes Scharlachkleid mit einem glänzend weißen Mantelsaum verbrämt war.

Das fortwährende Kommen und Gehen, das ewig wechselnde Bild dieser unterseeischen, in allen Regenbogenfarben glänzenden, metallisch schimmernden Lebensformen, das unermüdliche Auf- und Abfluten dieser sich stets neu gestaltenden Wasserwelt gab ein Schauspiel, wie es nur der Küstenbewohner der Tropen zu sehen bekommt. Die meisten der Fische wurden als höchst schmackhaft befunden und ebenso die Krebse und Krabben der mannigfaltigsten Arten, die nicht allein in den unterseeischen Klüften der Felsenufer sich versteckten oder auf Korallenbänken auf Raub ausgingen, sondern auch alle durch die Waldtäler rieselnden Bäche belebten.

Die Formen der Eidechsen und Schlangen fehlten dagegen gänzlich, und auch die Säugetiere waren nur widerwärtig oder unheimlich durch die Ratte und einen ziemlich großen Flatterer vertreten, der wegen seiner Gestalt der fliegende Bär (Pteropus ursinus) genannt wurde. Das Klima war vortrefflich und die beiden Einsiedler erzählten, dass sie selbst im Winter nie das Bedürfnis nach einer Fußbekleidung empfunden hätten. Die Hitze des Sommers aber wurde durch die frische Seeluft gemildert.

Die Natur hätte hier also alles vereinigt, um diesen Ort zu einem wünschenswerten Aufenthalt für den Menschen zu machen, wenn sie ihn nicht bisweilen durch Erdbeben und furchtbare Stürme erschreckte. Die Orkane entfalten bekanntlich in den chinesischen und japanischen Meeren eine furchtbare Wut und rasen in ihrer ganzen entsetzlichen Stärke auch über die nahe liegenden Bonin-Inseln. Sogar im Innern der Bai geraten dann die Gewässer in einen so furchtbaren Aufruhr, dass sie den Anblick einer einzigen weißen Schaummasse darbieten. Und findet eins der hier nicht seltenen Erdbeben statt, so wird das Land bis in seine tiefsten Grundfesten erschüttert. Die Sturmflut steigt dabei zu einer solchen Höhe, dass sie alle Flächen und Täler weithin unter Wasser setzt.

Wittrin und Petersen verließen mit dem russischen Schiff ihre Einsiedelei und Bonin blieb auf kurze Zeit den verwilderten Schweinen und fliegenden Bären überlassen. Dann gründeten zwei unternehmende Männer, Richard Millichamp aus Devonshire in England und Mateo Mozaro aus Ragusa, mit einem Dänen, zwei Amerikanern und einer Anzahl Sandwich-Insulanern (fünf Männern und zehn Frauen) hier eine Ansiedlung, die sich bald durch Matrosen, die von ihren Schiffen ausrissen, weiter vermehrte. Die Leute bauten süße Kartoffeln, Mais, Kürbisse, Tarowurzeln, Bananen, Ananas und eine Menge anderer Früchte so reichlich an, dass sie die hier nun oft anlegenden Schiffe vollauf damit zu versorgen vermochten. Auch der Tabak war von außergewöhnlicher Güte und erreichte oft eine Höhe von über fünf Fuß. Später gab sich die einstweilen selbständig regierte Ansiedlung eine Verfassung. Die Regierung liegt in den Händen eines Chefs und zweier Ratsherren, die auf zwei Jahre gewählt werden. – –

Also diese Inselgruppe wollten wir ansegeln, hatten sie aber noch nicht erreicht, als der Kapitän plötzlich einige Striche mehr nach Südwest abfallen ließ, eine Maßregel, die meine Verwunderung erregte.

„Wollt Ihr an den Bonin-Islands vorbei, Käpt’n?“, fragte ich ihn.

Er sog die Luft mit der Bedachtsamkeit eines nach Champignons suchenden Wachtelhundes ein und machte ein sehr bedenkliches Gesicht.

„Vorbeigehen? Hm, fällt mir nicht ein! Aber Ihr gebt doch zu, dass es gut sein wird, uns für jetzt ein wenig seewärts vom Land zu halten.“

„Warum?“

„Riecht Euch doch einmal diese Luft an! Merkt Ihr etwas?“

Ich konnte trotz aller Aufmerksamkeit weder einen Veilchen- noch einen anderen Duft, sondern nur den gewöhnlichen Seegeruch wahrnehmen und verneinte darum.

 

„Ich merke nichts.“

„Und seht auch nichts?“

Ich musterte den ganzen Gesichtskreis. Im Nordosten war es, als sei der Himmel da, wo er den Horizont berührte, mit glänzenden und maschenartig gekreuzten Spätsommerfäden überzogen, an deren oberem Rand sich eine kleine, helle und scheinbar kaum einen Fuß im Durchmesser haltende Öffnung befand. Das alles war so seidenartig, so zart und weich gezeichnet, als hätte der Mundhauch einer Fee den sonst so freundlichen und lichten Meeressaum berührt, und ich konnte mir nicht denken, dass diese kaum bemerkbaren Linien in einem Zusammenhang mit der plötzlichen Veränderung unserer Richtung stehen könnten.

„Ich sehe nur jene unverfänglichen Striche dort zwischen Ost und Mitternacht.“

„Unverfänglich? Ja, so kann bloß einer sprechen, der kein Seemann ist, oder vielmehr, ich glaube sogar, dass es auch ein sonst wohlbefahrener Wasserbär meinen könnte, falls er zum ersten Mal in diese Meere kommt. Aber traut nur diesem Himmel nicht; er macht ein verführerisches Gesicht, und was darauf folgt, werden wir bald merken.“

„Sturm?“

„Sturm? Pah! Wollt Ihr einen Bären mit einer Spitzmaus vergleichen? Beide Tiere gehören, wie ich mir einmal habe sagen lassen, zu derselben Klasse von Raubtieren, aber ich glaube doch nicht, dass Ihr Meister Petz in einer Mausefalle fangen werdet. So ist es auch hier. Der Sturm und das, was wir zu erwarten haben, gehört beides zu derselben Sorte von Lufterscheinungen, aber zwischen einem regelrechten Sturm und dem Taifun ist derselbe Unterschied wie zwischen der Maus und dem Bären.“

„Einen Taifun erwartet Ihr?“, fragte ich, halb erschrocken und halb befriedigt, dass es mir vergönnt sein sollte, diese fürchterliche Lufterscheinung kennenzulernen.

„Ja, einen Taifun. In zehn Minuten haben wir ihn. Es wird der elfte oder zwölfte sein, den ich in diesen Gewässern erlebe; ich kenne also die Art von Mailüftchen recht gut. Es gibt verschiedene Anzeichen dafür, keins von ihnen aber ist so gefährlich wie dieses verteufelte Netz dahinten. Ich sage Euch, Charley, in fünf Minuten werden die Fäden den ganzen Himmel umsponnen und sich zu einer pechschwarzen Wolkenmasse ausgebildet haben. Die weiße Öffnung dort wird bleiben, denn der Taifun muss doch eine Tür haben, durch die er herunterblasen kann. Es ist ein Sturmloch. Macht, dass Ihr in Eure Kajüte kommt, und guckt nicht eher wieder heraus, als bis ich Euch entweder rufe oder unser guter ,Wind‘ unten auf dem Meeresgrund für immer vor Anker geht!“

„Passt mir schlecht, Käpt’n! Darf ich nicht an Deck bleiben?“

„Es ist meine Pflicht, jeden Fahrgast bei drohender Gefahr hinabzuschaffen, und doch würde ich bei Euch eine Ausnahme machen, aber ich gebe Euch mein Wort, dass Euch schon die erste oder zweite See über Bord nehmen würde.“

„Möchte es nicht glauben. Ich bin nicht zum ersten Mal auf See, und wenn Ihr wirklich Sorge habt, so nehmt ein Tau und sorrt mich fest, an den Mast oder sonst irgendwo!“

„Unter dieser Bedingung mag es gehen; aber wenn der Mast über Bord geht, so seid auch Ihr verloren!“

„Wahrscheinlich! Aber dann wird ja überhaupt von dem Schiff nicht viel übrig bleiben.“

„Well! Wenn Ihr es einmal auf den Mast abgesehen habt, so kommt her; ich selber werde Euch mit ihm zusammensplissen.“

Er nahm ein starkes Tau zur Hand und band mich fest.

Unterdessen herrschte eine fieberhafte Geschäftigkeit an Deck. Die Gallantmasten und Rahen wurden heruntergenommen und alles Bewegliche soviel wie möglich befestigt oder durch die Luke in den Raum geschafft. Jedes Stück Leinwand wurde gerefft und nur oben am Spenker blieb ein Sturmtopsegel, um dem Steuer soviel wie möglich zu Hilfe zu kommen. Auch an die Radspeichen des Steuers wurden Taue befestigt, für den Fall, dass bloße Armeskraft nicht mehr zulangte, das von den Wogen ergriffene Ruder zu beherrschen. Schließlich wurde jede in den Raum führende Luke oder Öffnung so fest wie möglich verschlossen, damit das Wasser keinen Zutritt finden konnte.

Und nun, als das alles mit der angestrengtesten Tätigkeit beendet war, brach, genau nach zehn Minuten, wie der Kapitän vorhergesagt hatte, das Wetter los. Der Himmel hatte sich mit einer schwarzen Decke umzogen und die Wogen besaßen jetzt eine tiefdunkle, fast möchte ich sagen höllisch drohende Farbe. Sie hatten keine raschere Bewegung als bisher, aber jede einzelne der Wellen glich einem schwarzen Panther oder einem zottigen Bison, der ruhig hält, um seine Kraft zu einem plötzlichen Sprung oder Stoß zu sammeln.

Das Sturmloch hatte sich erweitert. Es besaß das Aussehen eines runden Fensters, durch das ein feiner, rötlichgelber Rauch hineingetrieben wird. Da strich ein leises Säuseln über die Wasser und aus weiter Ferne her ließ sich ein Ton vernehmen, ähnlich dem einer überblasenen Bassposaune.

„Aufgepasst, Boys, er kommt!“, ließ sich die Stimme des Kapitäns hören. „Steht nicht frei, sondern nehmt das stehende Tau in die Hand!“

Der Posaunenton ertönte stärker und näher, und – da kam es heran, eine schwarze, hohe, beinahe senkrecht aufsteigende Wogenmauer, und hinter ihr der Orkan, der sie emporgerissen hatte und vor sich hertrieb. Im nächsten Augenblick wäre selbst der Schuss eines Kruppschen Belagerungsgeschützes nicht zu hören gewesen; die Mauer hatte uns erreicht, stürzte über uns her und begrub uns unter ihrer bergeschweren Flut.

„Halt aus, mein guter ,Wind‘, halt aus!“, waren meine Gedanken und das brave Schiff gehorchte diesem Wunsch. Es erhob den vorn tief niedergestoßenen Bug und stieg aus der schwarzen, brüllenden Tiefe empor. Aber dieser eine Augenblick hatte der See ein vollständig verändertes Aussehen gegeben. Die Wogen wälzten sich scheinbar berghoch und von allen Seiten auf uns zu und schlugen haushoch über das Deck. Noch rollte der Schwanz der einen über mich hinweg, so hatte mich bereits der Rachen der anderen erreicht, und kaum blieb mir Zeit, den nötigen Atem zu schöpfen. Das brüllte und heulte, das rauschte und sprudelte, das gurgelte und schäumte, das gellte und pfiff, das ächzte und stöhnte, das knarrte und prasselte rund um mich her, über mir, unter mir und – in mir, denn es war mir ganz so, als hätte der fürchterliche Taifun auch mich selber, meine Knochen und Muskeln, meine Sehnen und Flechsen und jede Faser und Fiber meines Innern gepackt.

Der Kapitän hielt sich an einem der laufenden Taue fest und hatte die Seetrompete ergriffen. Nur ihr scharfer, schneidig-schriller Ton vermochte es, das entsetzliche Chaos des ringsum tobenden Stimmengewirrs zu durchdringen. Seine Befehle wurden verstanden und trotz der übermenschlichen Anstrengung, die dabei erforderlich war, schnell vollzogen. Eine Hand voll braver Topgasten oder Vorkastellmänner warf sich immer auf einen der bedrohten Punkte, und man muss in solchen Augenblicken die starken todesmutigen Leute beobachtet haben, um zu begreifen, welchen Wert ein jeder einziger von ihnen besitzt. Drei Männer standen am Steuer und vermochten trotz aller ihrer Anstrengung nicht, es zu lenken; sie mussten die Taue zu Hilfe nehmen.

Die Wogen gingen so schwer, dass sie unter ihrer Wucht das Schiff zu zermalmen drohten. Von Minute zu Minute brach eine hohe See über uns her und der Hauptmast, an dem ich befestigt war, bog sich wie eine Weidengerte. Das Sturmloch hatte sich geschlossen und wir befanden uns in vollständiger Nacht, durch deren Finsternis nur der sprühende Schaum der Wogenkämme gespenstisch leuchtete. So wütete der Orkan zwei, drei, vier Stunden lang. Ich hatte mich bisher keinem noch so fürchterlichen Präriebrand, keinem noch so gefährlichen Tier der Wildnis, keiner noch so drohenden Naturerscheinung gegenüber hilflos gefühlt; jetzt aber durchbebte mich die ganze Erkenntnis menschlicher Schwäche, die uns zu den Füßen des Allmächtigen in den Staub niederwirft. Ich dachte an jenen Sturm auf dem See Genezareth und an den Hilferuf des jäh verzagenden Jüngers: „Herr hilf uns, wir verderben!“ Und ist das Schiff noch so fest und sicher gebaut, klopft in der Brust des Kapitäns ein noch so mutiges und erfahrenes Herz, und tun die Mannen noch so brav ihre Schuldigkeit, es bleibt doch jedem Augenblick die Macht vorbehalten, das Fahrzeug mit allem darauf wohnenden Leben zu verderben. Und dann...

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