Der Kaperkapitän

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Der Kaperkapitän
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KARL MAY
DER KAPERKAPITÄN

HISTORISCHE ERZÄHLUNG

Aus

KARL MAYS

GESAMMELTE WERKE

BAND 38

„HALBBLUT“

© Karl-May-Verlag

eISBN 978-3-7802-1319-8

Die Erzählung spielt Ende des 18. / Anfang des 19. Jahrhunderts.

KARL-MAY-VERLAG

BAMBERG • RADEBEUL

Inhalt

DER KAPERKAPITÄN

1. Vor Toulon

2. Der Blockadebrecher

3. Der Flug des Falken

4. Falke und Adler

5. In Paris

DER KAPERKAPITÄN
1. Vor Toulon

Es war am Maternustag des Jahres 1793. Wochenlang hatte man auf die gesegneten Fluren der Provence das Bibelwort anwenden können: „Der Himmel über dir soll sein wie brennendes Erz und die Erde unter dir wie glühendes Eisen“. Heute früh aber hatte sich der Horizont mit dichten, kumulierenden Wolken umlagert, deren Säume sekundenlang von zuckenden Blitzen illuminiert wurden, während die krachenden Schläge des Donners die Felsen der Küste erschütterten und an den gischtumspritzten Wogenkämmen ihre Echos zu vertausendfachen schienen.

Der prasselnde Regen goss so dicht herab, dass ihm keine Kleidung zu widerstehen vermochte und wohl jedes lebende Wesen sich schon längst unter ein schützendes Obdach zurückgezogen hatte. Ein Einziger nur befand sich im freien Felde. Er schritt die Straße dahin, die durch Wein- und Olivenpflanzungen nach dem Städtchen Beausset führt. Sein Gewand war, leicht und sommerlich gearbeitet, vom Regen vollständig durchdrungen, legte sich eng wie eine Haut an seine schlanke, kräftige Gestalt; aber das schien ihn nicht im Mindesten zu stören. Sein jugendliches Gesicht lächelte vergnügt in den Gewitterguss hinein und seine federnden Schritte waren ganz diejenigen eines Spaziergängers, der nicht die geringste Veranlassung hat, sich zu beeilen.

Da tauchte vor ihm, an der Seite der Straße, ein kleines Häuschen auf. Zu beiden Seiten der Tür waren je zwei ineinandergesteckte Dreiecke angebracht, und darüber stand in halb verwaschenen Lettern zu lesen: ‚Cabaret du roussillon‘.

Er blieb trotz des strömenden Regens ganz gemütlich davor stehen, schob die Mütze ins Gesicht, stemmte die Fäuste in die Hüften und betrachtete die Inschrift genau. „Cabaret du roussillon! Ob dieser Roussillon wohl echt sein wird? Das Haus sieht nicht danach aus. Nasser werde ich nicht, wenn ich weitergehe, und ich weiß dann ganz genau, dass ich es mit reinem Gotteswasser zu tun habe. Wasser ist die herrlichste Gabe des Himmels, aber im Wein soll man es nicht finden. Ich werde also weitersegeln und erst in Beausset vor Anker gehen.“

Schon wandte er sich, um seinen Weg fortzusetzen, als die Tür sich öffnete und eine Person erschien, in der man sofort den Wirt erkannte.

„Eh, mon cher, wohin wollen Sie?“, erklang eine schrille, fette Weinstimme unter der blauen Nase hervor. „Ist es vielleicht Ihre Absicht, in diesem Wolkenbruch ertrinken zu wollen?“

„Das weniger“, antwortete der Wandersmann. „Vor diesem Wetter fürchte ich mich nicht, wohl aber vor einem Wolkenbruch aus Ihren Fässern.“

„Dann kommen Sie getrost herein, denn wir haben ganz denselben Geschmack und ich bin nicht der Mann, der einen guten Bürger mit einem schlechten Wein vergiftet.“

„So will ich Ihrem Wort glauben und auf fünf Minuten beidrehen. Holla, ein neuer Mann an Bord!“

Die letzten Worte sprach er, bereits in die Stube tretend, wo er sich das Wasser möglichst aus den Kleidern schüttelte, ungefähr wie es ein nasser Pudel tut, und dann auf dem Stuhl Platz nahm, den ihm der Wirt herbeigezogen hatte.

In dem kleinen Raum sah es ordentlich kriegerisch aus. Er war ganz von Soldaten des Konvents[1] erfüllt und außer dem zuletzt Eingetretenen und dem Wirt gehörte nur ein einziger Gast dem Zivil an; dies war ein Missionsprediger vom Orden des Heiligen Geistes, der im Jahre 1703 von Abbé Desplaces, Vincent le Barbier und J. H. Garnier in Paris gestiftet wurde. Dieser Priester saß still in seiner Ecke und schien sich mehr mit seinen Gedanken als mit seiner Umgebung zu beschäftigen. Er musste ein ungewöhnlicher und mit einem ganz besonderen Mut begabter Mann sein, sonst hätte er sich nicht unter diese wilde Soldateska gewagt.

Man hatte damals in Frankreich bereits alle geistlichen Orden aufgehoben und von sämtlichen Geistlichen die Ablegung des Bürgereids verlangt. Wer diesen Eid verweigerte, wurde als Rebell behandelt. Es war eine Zeit der wildesten Anarchie. Wenige Tage nach dem Beginn unserer Erzählung, nämlich am 6. Oktober 1793, schaffte man die vorherige Zeitrechnung ab; am 10. Dezember führte die Pariser Commune den ‚Dienst der Vernunft‘ ein; am 7. Mai 1794 verfügte der Nationalkonvent, dass es keinen Gott mehr gäbe, und am 24. desselben Monats befahl dieser Konvent, dass kein Bürger mehr an die Unsterblichkeit der Seele glauben dürfe. Unter diesen Umständen war es gewiss ein Beweis außerordentlichen Mutes, sich im Ordenskleid unter die halb betrunkenen Krieger der Revolution zu wagen, eine Kühnheit, die sehr leicht verhängnisvoll werden konnte.

Ein bärtiger Sergeant-Major war der Erste, der den eingetretenen Fremden anredete: „Holla, Bürger, woher des Wegs?“

„Ein wenig von der Durance herunter.“

„Und wohin, he?“

„Nach Beausset hinein.“

„Was willst du dort?“

„Einen Freund besuchen. Hast du vielleicht etwas dagegen?“

„Hm, vielleicht, vielleicht auch nicht.“

„Aaah!“

Er stieß diesen Laut nur langsam und leise aus, aber es wäre wohl nicht möglich gewesen, eine ironische Stimmung deutlicher auszudrücken. Er legte die Beine übereinander, schlug die Arme über der Brust zusammen und blickte den Sergeant-Major mit ein Paar Augen an, in denen alles, nur keine Bewunderung zu lesen war. Dieser junge Mann konnte höchstens dreiundzwanzig Jahre zählen, aber seine hohe Stirn, seine breiten Schläfen, die dichten Brauen, der durchdringende Blick, die scharfe Adlernase, der energisch gezeichnete Mund, der sehnige, von der Sonne gebräunte und vom Hemdkragen bloßgelassene Hals, die breiten Schultern, der geschmeidige Gliederbau, das alles machte den Eindruck des Gereiften, des Achtunggebietenden, des Ungewöhnlichen.

„Was wunderst du dich da, Bürger?“, fragte der Unteroffizier. „Glaubst du, dass zum Hauptquartier in Beausset ein jeder Zutritt habe, dem es beliebt?“

„Das glaube ich nun freilich nicht; aber glaubst du vielleicht, Bürger Sergeant-Major, dass du es bist, den man um Erlaubnis zu fragen hat?“

„Schweig! Ein jeder Soldat hat die Pflicht, die Sicherheit des Heeres zu bewachen! Wie ist dein Name, Bürger?“

„Surcouf“, antwortete der Gefragte mit einem spöttischen Zug um die Mundwinkel.

„Der Vorname?“

„Robert, Robert Surcouf.“

„Was bist du?“

„Seemann.“

„Ah, darum tappst du in aller Seelenruhe wie eine Ente da draußen im Wasser herum! Wer ist der Freund, den du besuchen willst?“

„Der Bürger-Grenadier Andoche Junot.“

„Andoche Junot, der Advokat gewesen ist? Das ist ein guter Kamerad. Woher kennst du ihn?“

„Wir sahen uns zu Bussy le Grand, wo er geboren wurde.“

„Das stimmt! Du bist legitimiert, Bürger Surcouf. Junot steht bei meiner Kompanie; ich werde dich zu ihm bringen. Vorher aber magst du mit uns trinken. Es gibt hier nur eine Sorte Roussillon, aber er ist stark und lieblich zugleich. Probiere ihn!“

Der Wirt brachte ein großes Humpenglas des berühmten Getränks und alle Hände streckten sich aus, es auf Rechnung des Fremden anzutrinken. Dieser ließ sich das lachend gefallen; er gab zu, dass man das Glas immer von Neuem zu füllen befahl und wieder austrank, und als der Wirt wegen der Bezahlung ein bedenkliches Gesicht zu machen begann, zog er eine Handvoll Assignaten[2] aus der ledernen Brieftasche und warf davon mehr als nötig auf den Tisch. Bei diesem Anblick erhob sich großer Jubel; der Wirt musste von Neuem füllen und nun wurde auch der geistliche Herr bedacht, dem man bisher noch keinen Schluck gegönnt hatte. Der Sergeant-Major trat zu ihm, hielt ihm den Humpen entgegen und forderte ihn auf:

„Steh auf, Bürger Confrère, nimm das Glas und trinke auf das Wohl des Konvents, der den Papst zum Lande hinausgeworfen hat!“

Der Priester erhob sich wirklich und ergriff das Glas; aber anstatt den geforderten Toast zu bringen, sprach er mit sanfter, jedoch fester Stimme: „Gott hat uns diese Gabe nicht zur Lästerung gegeben. Im Wein ist Wahrheit und ich will nicht eine Lüge sagen. Ich trinke auf das Wohl des Heiligen Vaters in Rom, den die Heerscharen des Himmels beschützen werden!“

Er wollte das Glas zum Munde führen, aber ein Faustschlag des Sergeant-Majors schmetterte es ihm aus der Hand, sodass es am Boden in Stücke zerschellte. „Was fällt dir ein, Bürger Confrère!“, rief der Unteroffizier. „Weißt du nicht, dass in unserem schönen Frankreich der alte Saint-père abgesetzt worden ist? Wie lange wird es dauern, so wirft man euch auch selbst hinaus mit allem, was ihr uns weisgemacht habt! Ich befehle dir, deinen Toast zu widerrufen!“

 

Da drängte sich ein anderer, ein Tambour-Major, hinzu: „Halte-là, Alter! Warum zerschlägst du ihm das Glas? Bürger Wirt, gib ein neues, volles her! Dieser da gehört ganz sicherlich zu denen, die sich weigern, den Bürgereid zu leisten. Wir werden ihn auf die Probe stellen, und wehe ihm, wenn er sie nicht besteht!“

Der Wirt brachte das Verlangte; der Tambour-Major drückte dem Priester das gefüllte Glas in die Hand und befahl ihm: „Jetzt trinke mir zu, Bürger, und rufe laut: ‚Es lebe die Republik, nieder mit dem Papst!‘“

Der Bedrängte zeigte nicht die mindeste Angst. Sein Angesicht war bleich, aber seine Augen blitzten, als er, das Glas erhebend, rief: „Es lebe der Heilige Vater; nieder mit den Feinden Frankreichs und den seinen!“

Da erhob sich unter der rohen Horde ein wüstes Geschrei; zwanzig Hände streckten sich aus, den mutigen Bekenner seines Glaubens zu ergreifen, um ihn zu misshandeln, aber man kam nicht dazu: Der Fremde hatte sich herbeigedrängt. Niemand konnte sagen, wie es kam, aber er stand plötzlich vor dem Priester, den er mit seinem Leib deckte, und rief mit lächelnder Miene:

„Bürger, wollt ihr mir einen Gefallen tun?“

„Welchen?“

„Seid so gut und wringt mir erst das Wasser aus der Jacke, ehe ihr euch an diesem Gottesmann vergreift!“

Sie begriffen seine Absicht nicht sogleich; sie wurden irre an dem Lachen seines Auges und an der Freundlichkeit seines Tones; aber in diesem Auge lag etwas, was sie stutzen machte.

„Deine Jacke?“, frug der Sergeant-Major. „Was haben wir mit der zu tun? Geh auf die Seite, Bürger Surcouf, wir wollen diesem Heuchler eine Litanei einpauken, die er nicht vergessen soll!“

„So erlaubt wenigstens, dass ich erst einen Schluck mit ihm trinke!“ Er nahm dem Priester das Glas aus der Hand und fragte ihn: „Wie ist dein Name, frommer Vater?“

„Ich werde Bruder Martin genannt“, antwortete der Gefragte.

„Eh bien, Bruder Martin, so erlaube, dass ich mit dir trinke auf dein Wohl, auf das Wohl aller mutigen Männer, die sich nicht fürchten, die Wahrheit zu bekennen, auf das Wohl meiner schönen Bretagne, wo ich geboren bin, auf das Wohl meines Vaterlandes, auf den Sieg unseres Glaubens und auf das Wohl aller ehrwürdigen Diener der heiligen Kirche, die Gott der Herr beschützen möge!“

Er setzte das Glas an die Lippen und trank es bis zur Nagelprobe aus. Einige Sekunden lang herrschte tiefe Stille in der Stube, die Stille der Überraschung, dann aber brach der Sturm los. Alle Stimmen schrien und alle Fäuste ballten sich; man drängte sich zornig heran, aber der lange Tambour-Major breitete die Arme aus und hielt die anderen zurück.

„Halt, Bürger Kameraden!“, rief er. „Der Soldat muss bei jedem Angriff nach bestimmten Regeln verfahren. Dieser Mensch, der sich Bürger Surcouf nennen lässt, scheint mir kein Seemann, sondern ein verkappter Emissär des Papstes zu sein. Wir wollen ihn einmal auf die Bank legen und mit dem Stock befragen. Bürger Sergeant-Major, fass an!“

Die beiden starken Menschen streckten die Hände aus, um Surcouf zu erfassen – flogen aber so schnell nach rechts und links auseinander, dass niemand eigentlich begreifen konnte, wie es geschehen konnte, wie es geschehen war. Ein Schrei der Wut erscholl ringsum und nun ließ sich keiner mehr halten, sich auf die beiden Angegriffenen zu werfen. Da aber ertönte ein lautes Krachen; Surcouf hatte ein Bein vom Tisch gebrochen und schlug damit einen so regelrechten Achter, dass sofort zwei, am Kopf scharf getroffen, zu Boden stürzten, die anderen aber sich schleunigst zurückzogen.

„Glaubt ihr nun, dass ich Seemann bin?“, lachte er. „Ein Schiffer weiß so ein petit levier[3] schon zu gebrauchen! Ist das der Dank, dass ihr meinen Wein getrunken habt, ihr Memmen, die ihr euch an zwei Männer wagt, weil ihr über dreißig zählt? Kommt her und legt den Robert Surcouf auf die Bank, wenn ihr könnt!“

„Drauf auf sie!“, brüllte der Sergeant-Major.

Surcouf ließ das Tischbein wieder wirbeln; aber die hinten Stehenden drängten die Vorderen, und es hätte gewiss ein Unglück gegeben, wenn nicht eben jetzt eine helle, scharfe, gebieterische Stimme von der Tür her gerufen hätte: „Cessez à l’instant! Was geht hier vor?“

Draußen vor den Fenstern sah man einen kleinen Reitertrupp halten und unter der Tür stand derjenige, der gesprochen hatte. Er war von kleiner, schmächtiger Gestalt; sein hageres, scharf geschnittenes Gesicht zeigte eine bronzene Färbung; die breite Stirn bedeckte ein Tressenhut und die Gestalt war in einen weiten Regenrock gehüllt. Beim Anblick dieses Mannes zogen sich die Angreifer erschrocken zurück, indem sie mit der tiefsten Ehrerbietung salutierten. Er mochte vierundzwanzig Jahre zählen; sein bartloses Gesicht blieb regungslos, aber sein mächtiges Auge blitzte im Kreise umher und blieb dann auf demjenigen haften, der unter den Anwesenden den höchsten Rang bekleidete: „Bürger Tambour-Major, berichte!“

Der Genannte, dem bereits der Angstschweiß auf die Stirn zu treten begann, erzählte in kurzer, soldatischer Weise: „Hier ist ein Pfaffe, mon colonel, und ein päpstlicher Emissär, die uns beleidigten.“

„Und darauf antwortet ihr mit Schlägen! Welcher ist der Emissär?“

„Der mit dem Tischbein.“

„Woher weißt du, dass er ein Emissär ist?“

„Ich vermute es.“

„Très bien, Bürger Tambour-Major. Du bist fertig; nun mag auch er sprechen!“

Surcouf trat einen Schritt vor und blickte dem Offizier furchtlos in die Augen. „Mein Name ist Surcouf, Bürger Colonel; darf ich um den deinigen bitten?“

„Ich heiße Bonaparte“, erklang es kalt und stolz.

„Also, ich heiße Surcouf, Robert Surcouf, bin Seemann und wollte nach Beausset, um meinen Freund Andoche Junot, den Advokaten und Bürger-Grenadier, zu besuchen. Ich trat ein, ließ diese Bürger-Soldaten Wein auf meine Rechnung trinken, bis sie von diesem würdigen Priester verlangten, dass er auf das Verderben seines höchsten Oberhauptes, des Heiligen Vaters, trinken solle. Er tat es nicht und darum wollten sie ihn schlagen. Er ist ein Mann des Friedens und kann sich nicht wehren; darum brach ich dieses Tischbein ab und habe ihn verteidigt. Nun halten sie mich für einen Emissär. Ein braver Seemann aber wird einen jeden verteidigen, der von einer Übermacht unschuldig angegriffen wird. Es sind noch viele Tischbeine hier!“

Über das Gesicht des Obersten zuckte ein leises, ganz leises Lächeln, das aber sofort wieder verschwand. Er wandte sich zu den Soldaten:

„Bürger Tambour-Major, du marschierst sofort mit den anderen in Arrest!“

Das Wort war kaum gesprochen, so salutierten sämtliche ‚Bürger-Soldaten‘ und marschierten zur Tür hinaus.

Dann drehte sich der Oberst wieder zu den beiden anderen herum. Sein Wort galt zunächst dem Priester:

„Wer bist du?“

„Ich bin Bruder Martin vom Orden der Missionare des Heiligen Geistes“, lautete in bescheidenem Ton die Antwort.

„Es sind alle Orden aufgehoben. Hast du den Bürgereid geleistet?“

„Nein. Mein Eid gehört nur der heiligen Kirche.“

„Das wird sich finden.“ Und sich zu dem Seemann wendend, fuhr er fort: „Surcouf? Das klingt mir bekannt! Hm, hast du den Namen ‚The Runner‘ gehört?“

„Ja. Das war das englische Avisoschiff, das ich durch die Klippen bringen sollte, aber mit voller Absicht auf eine Sandbank laufen ließ.“

Der Oberst maß den jungen Mann mit einem kurz aufleuchtenden Blick. „Ah, das wärst also du? Wirklich? Weißt du, Bürger Surcouf, dass dein Leben damals an einem Haar hing?“

„Ich weiß es; aber sollte ich den Feind in den Hafen bringen? Ich sprang, sobald der ‚Runner‘ auflief, über Bord und kam glücklich an Land, obgleich die Kugeln mir um den Kopf pfiffen. Die Engländer schießen schlecht, Bürger Colonel!“

„Wir werden in diesen Tagen sehen, ob du Recht hast. Warum nimmst du dich eines Priesters an, der den Bürgereid nicht leisten will?“

„Weil das meine Pflicht ist. Ich bin ein guter Katholik; ich habe mit ihm auf das Wohl des Heiligen Vaters getrunken.“

„Ah, quelle inconsidération! Musstest du das tun? Brauchtest du mir dies zu sagen, Bürger Surcouf? Ich sah, dass du einige Soldaten verwundet hast.“

„Ja, mit dem Tischbein hier.“

„Gut. Der Fall soll untersucht und bestraft werden. Auch ihr beide seid arretiert. Man wird euch nach Beausset bringen; doch sollst du deinen Freund Junot zu sehen bekommen. Adieu!“

Der klein gebaute Offizier wandte sich scharf auf dem Absatz um und verließ die Stube. Eine Minute später sprengte er mit seinen Begleitern davon; er befand sich jedenfalls auf einem Erkundungsritt. Zu gleicher Zeit aber traten drei Militärs ein, die den beiden sagten, dass sie ihnen nach Beausset zu folgen hätten.

„Das werden wir tun“, meinte Surcouf, während er sein Tischbein beiseite legte. „Beausset war ohnedies mein Ziel.“

„Aber das meinige nicht“, antwortete Bruder Martin. „Ich wollte hinauf nach Sisteron.“

„Dorthin kannst du auch morgen gehen, mein frommer Bruder. Bis dahin magst du in Beausset mein Gast sein; vorher aber wollen wir hier mit drei tapferen Bürgern noch ein Glas trinken. Ich finde diesen Roussillon sehr gut und muss ja auch mein Tischbein bezahlen.“

Der wackere Seemann schien sich in seine Gefangenschaft sehr leicht zu finden. Es war ihm nicht die mindeste Abnahme seiner guten Laune anzumerken, und als dann später aufgebrochen wurde, ertrug er den strömenden Regen mit derselben Geduld, mit der er ihn vorher ertragen hatte.

Beausset ist noch heute[4] ein kleiner Ort von nicht viel über 3.000 Einwohnern. Es gibt dort eine Wollenweberei und in der Umgebung werden ein gutes Olivenöl sowie ein leidlicher Rotwein gebaut. Als die beiden Gefangenen dort anlangten, wurden sie nach dem Hause geführt, wo der Oberstkommandierende, General Carteaux, sein Quartier aufgeschlagen hatte, und dort in eine enge, dunkle Kammer eingesperrt, deren einziges Fenster durch den Laden dicht verschlossen war.

„So, hier liegen wir vor Anker“, lachte Surcouf. „Leider gibt es weder Hängematte noch Daunenbett. Wir müssen uns mit dem Bewusstsein fügen, dass man uns bald aus dieser Koje erlösen wird.“

„Ich wenigstens habe das nicht zu hoffen“, seufzte Bruder Martin. „Weißt du nicht, Bürger Surcouf, dass es jetzt in Frankreich kein größeres Verbrechen gibt, als dem Willen des Konvents zu trotzen? Ich habe meinen priesterlichen Eid abgelegt und kann keinen anderen schwören. Ich sehe böse Tage für mich kommen, aber ich bleibe meinem Schwur treu.“

Da ergriff Surcouf die Hände des Gefährten und seine Stimme klang ganz anders als bisher, als er nun in bewegtem Ton sagte: „Das vergelte dir Gott, Bruder Martin! Viele, viele sind abgefallen; aber noch mehr sind freiwillig in die Verbannung gegangen oder bleiben mutig im Lande, um mit der Hydra des Unglaubens und der Vergewaltigung zu kämpfen. Ich bin nicht der sorglose Mann, der ich scheine. Ich sehe eine Zeit kommen, in der man auch das Allerheiligste verleugnen wird, nachdem man vorher das Heiligste beschimpfte, eine Zeit, in der es starker Geister und gewaltiger Arme bedarf, um das Vaterland von der Herrschaft des Schreckens zu befreien. Es wird große Kämpfe geben; es werden Ströme Blutes fließen. Da gilt es, wach und munter zu sein; da gilt es, sich beizeiten im Kampf zu üben und zu stählen, damit ein jeder an seinem Platz sei, wenn die Kräfte gemessen werden. Ich bin ein Sohn des Vaterlandes und auch ich habe die Pflicht, treu und stark zu ihm zu halten in aller Not und Gefahr. Darum habe ich mich ihm zum Dienst angeboten, aber man hat mich abgewiesen, weil ich offen bekenne, dass ich nicht zu denen gehöre, die den Stuhl Petri stürzen und Christus abermals an das Kreuz schlagen möchten. Wegen einer freimütigen Rede habe ich aus Paris flüchten müssen; ich ging an andere Orte und wurde wieder abgewiesen; nun komme ich nach Toulon, um den letzten Versuch zu machen. Ich werde mit den Generalen Carteaux und Doppet sprechen; ich werde auch mit diesem Colonel Bonaparte reden; er hat das Gesicht eines Mannes, der wachsen wird; vielleicht erreiche ich hier am letzten Ort, was mir anderwärts versagt wurde.“

Der Priester hielt seinen Blick erstaunt auf den Sprecher gerichtet. Dieser junge Mann war auf einmal ein ganz anderer geworden; der fröhliche, sorglose, unbekümmerte Jüngling stand plötzlich da als ein Mann, dessen Auge prophetisch in die Ferne blickte, dessen Aufgabe auf ein großes Ziel gerichtet war.

 

„Mein Sohn“, sagte Bruder Martin, „ich höre aus deinem Munde Worte eines Mannes, dessen Weg zur Höhe führen muss. Was auch die Zukunft dir beschieden haben mag, sei stets der ewigen Wahrheit eingedenk, dass der Mensch nichts Gutes tut als nur in Gott und dass er einen Richter hat für jeden Gedanken, jedes Wort und jede Tat, die er vollbringt! Dein Fuß wird nicht gewöhnliche Pfade wandeln; lass dich bei jedem Schritt von dem Licht leiten, das kein Konvent und keine Revolution verlöschen kann!“

Nach längerer Zeit wurde die Tür geöffnet. Man rief Surcouf, um ihn zum kommandierenden General zu führen. Es dauerte lange, bis er zurückkehrte, und dann wurde Pater Martin abgeführt. Dieser kam sehr bald zurück. Er hatte sich erklären sollen, ob er bereit sei, den Bürgereid zu leisten, und als er sich entschieden weigerte, war ihm eröffnet worden, dass man ihn als Verräter behandeln müsse und ihm also seine Freiheit nicht zurückgeben könne. Surcouf fragte ihn, was er dagegen zu tun entschlossen sei.

„Was soll ich machen?“, sagte er. „Ich bin ein Mann des Wortes, aber nicht ein Mann des Schwerts. Es wird mir gehen, wie so vielen anderen; man wird mich nach Paris bringen und dort werde ich verschwinden.“

„Ah, du würdest nicht in Paris, sondern bereits unterwegs verschwinden; aber dies soll nicht geschehen, so wahr ich Robert Surcouf heiße!“

„Wie wolltest du mir helfen? Du bist ja selbst Gefangener!“

„Aber ich werde es nicht immer sein. General Carteaux wollte sich nur vergewissern, ob ich ein Emissär sei oder nicht. Seitdem er einsieht, dass ich ein ehrlicher Seemann bin, handelt es sich nur noch um die kleinen Hiebe, die diese guten Bürger-Soldaten von mir erhalten haben, und darüber soll Colonel Bonaparte urteilen, wurde mir gesagt. Ich werde also baldigst auf freiem Fuß sein.“

„Welcher Mensch kann mit Sicherheit auch nur von dem nächsten Tag sprechen! Ich wollte nach Sisteron, um von da vielleicht über Cap oder Embrun und Briancon aus Frankreich zu kommen; nun aber bin ich gar gefangen!“

„Über Cap und Embrun? O malheur! Einen solchen Fluchtweg kann nur eine Seele einschlagen, die mehr im Himmel als auf Erden wandelt! An diesen beiden Festungen muss ein jeder hängenbleiben, der nach dieser Richtung hin entkommen will, und überdies wimmelt die ganze Strecke von Toulon bis an die italienische Grenze von Konventstruppen, die schwer zu täuschen sind. Dazu begreife ich nicht, wie man in einem Weinhaus einkehren kann, wenn man den Häschern entgehen will!“

„Der Wirt dieses Hauses ist mein Verwandter; er hielt mich lange Zeit versteckt, und eben wollte ich Abschied nehmen, als das Wetter die Soldaten herbeitrieb.“

„Das hätte nichts zu sagen gehabt; aber dieses geistliche Gewand ist zum Verräter geworden. Überhaupt gibt es von hier aus auf dem Landweg kein Entkommen; nur auf der See ist die gesuchte Freiheit zu finden.“

„Aber wie gelangt man ohne Freunde, ohne Mittel und ohne Kenntnis der Fahrgelegenheiten auf ein sicheres Schiff?“

„Durch mich, durch Robert Surcouf. Verlass dich drauf!“

Er konnte nicht weitersprechen, denn die Tür wurde abermals geöffnet und es trat ein Grenadier herein, in dem Surcouf seinen Freund Junot erkannte. Dieser war jetzt noch gewöhnlicher Soldat, aber man weiß, dass er nur drei Tage später Sergeant wurde.

Bei der Beschießung von Toulon vom 15. bis 17. Dezember 1793 diktierte ihm Napoleon einen Befehl; da schlug eine Kanonenkugel neben ihnen in den Boden und bespritzte das Blatt mit Erde.

„Prächtig“, rief Junot, „so brauchen wir keinen Streusand!“

Durch dieses Wort wurde Bonaparte auf ihn aufmerksam und ließ ihn von da an nicht wieder aus den Augen, sodass Junot schon 1804 Divisionsgeneral und Kommandant von Paris wurde.

Dieser Grenadier, der jetzt noch nicht ahnen konnte, dass er einst die Herzogskrone des Abrantes tragen werde, hatte große Freude, seinen Freund Surcouf wiederzusehen. Er erfuhr, dass dieser sich um eine Anstellung in der Marine bewerbe und dass er nun auch von General Carteaux abschlägig beschieden worden sei. Junot konnte für den Freund nichts tun, als ihm seine gegenwärtige Haft erleichtern; er sorgte für Speise, Trank und Licht und musste die beiden dann ihrem Schicksal überlassen.

Erst am Nachmittag des nächsten Tages kam eine Ordonnanz, die den Seemann zu Bonaparte bringen sollte. Dieser befand sich nicht in Beausset, sondern außerhalb des Ortes in einer Schanze, von wo aus die Befestigungen von Toulon beschossen wurden.

Diese Stadt hatte sich der unter Admiral Hood stehenden Flotte der vereinigten Engländer und Spanier übergeben und der Konvent machte die riesigsten Anstrengungen, diesen hochwichtigen Platz zurückzuerobern. Leider erwiesen sich die Generale Carteaux und Doppet als unfähig; der eine war ein Maler und der andere ein Arzt gewesen; sie waren im Atelier und Lazarett an ihrem Platz, nicht aber vor den gewaltigen Außenwerken eines so großartigen Waffenplatzes, und darum hatte man den jungen Napoleon Bonaparte gesandt, um den beiden Generalen beizustehen.

Der kleine Korse hielt soeben neben den beiden Obergeneralen, als Surcouf zu ihm geführt wurde. Er beachtete den Gefangenen gar nicht und schien nur in das Gespräch vertieft, das er mit seinen zwei Vorgesetzten führte.

„Und ich kann dennoch nicht von meiner Überzeugung abgehen“, sagte er. „Wenn wir so fortfahren, werden wir nach Monaten immer noch ohne Erfolg vor Toulon liegen! Was sind unsere Geschütze gegen die Feuerschlünde der Festung und der Flotte. Wir müssen so schnell wie möglich neues Belagerungsgeschütz aus Marseille und den anderen Waffenplätzen kommen lassen. Wir dürfen nicht nur die Befestigung der Stadt beschießen, sondern wir müssen vor allen Dingen die feindlichen Schiffe mit glühenden Kugeln bewerfen. Haben wir die Flotte vernichtet und vertrieben, so kann sich die Stadt unmöglich mehr lange halten. Geben Sie mir Vollmacht, so verspreche ich, dass Toulon sich in vierzehn Tagen in unseren Händen befindet!“

„Nur nicht sanguinisch[5]!“, erwiderte Carteaux in hochfahrendem Ton. „Selbst wenn die Flotte weichen muss, wo haben wir die Mittel, Befestigungen wie Fort Malbosquet, Balagnier und Eguilette zu bezwingen?“

„Man schaffe nur zunächst Geschütze und Munition herbei, verstärke die Belagerungsarmee bis auf vierzigtausend Mann und versehe die Verstärkungen mit dem notwendigen Zubehör! Ich habe das Gelände noch nicht genau studieren können, aber es muss ein Punkt zu finden sein, der die feindlichen Werke beherrscht, und von diesem aus werden wir den Gegner zu bezwingen wissen.“

Surcouf hatte die Worte gehört; er trat mit zwei raschen Schritten an die drei Offiziere heran und sagte: „Pardon, Bürger! Dieser Punkt ist bereits gefunden.“

Carteaux machte eine strenge, zurückweisende Gebärde; auch Doppet drehte sich stolz zur Seite. Napoleon aber überflog den Sprecher mit einem Blitze seines Auges und meinte: „Du bist sehr kühn, Bürger Surcouf! Wenn Offiziere sprechen, hat jeder andere zu schweigen, besonders wenn er gar ein Gefangener ist. Welchen Punkt meinst du?“

„Bürger Colonel, sieh dort den Platz zwischen beiden Häfen der Stadt. Wenn du ihn besetzt, so kannst du die feindliche Flotte in ihrer ganzen Ausdehnung bestreichen. Die Stadt muss sich in zwei oder drei Tagen ergeben, sobald du ihre Festungswerke von dort aus mit Vierundzwanzigpfündern und Mörsern zerschmetterst. Das Auge wird dich lehren, dass von diesem Punkt aus Fort Malbosquet sehr leicht zu bombardieren ist.“

Bonaparte setzte das Fernrohr an und musterte die betreffende Gegend. Als er es wieder absetzte, bewegte sich kein Zug seines ehernen Gesichts. Er blickte lange auf den Horizont hinaus; dann aber wandte er sich plötzlich zu den beiden Generalen: „Dieser Mann hat vollkommen Recht. Ich ersuche die Bürger Generale, seinen Rat, den ich mit meiner Überzeugung unterstütze, in schnelle Erwägung zu ziehen!“

„Den Rat eines Arrestanten!“, rief Carteaux. „Schäme dich, Bürger Colonel!“

Auch auf diese beleidigende Antwort zuckte keine Wimper in Napoleons Gesicht; aber seine Stimme klang scharf und schneidig, als er entgegnete: „Allerdings schäme ich mich, Messieurs, aber nicht über den Rat, der uns erteilt wurde, sondern darüber, dass bis jetzt noch nicht gefunden worden ist, was dieser Bürger auf den ersten Blick bemerkte. Ich bin gewohnt, jeden nützlichen Rat anzunehmen, er komme, von wem es auch sei, und bitte, den betreffenden Punkt schleunigst besetzen und befestigen zu lassen. Wenn uns die Engländer zuvorkommen, so wird es uns außerordentliche Opfer kosten, die Unterlassung wieder auszugleichen.“

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