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Buch lesen: «Durch die Wuste», Seite 29

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»Wer ernennt eure Priester?«

»Sie werden nicht ernannt, denn diese Würde ist erblich. Wenn ein Priester stirbt und keinen Sohn hinterläßt, so geht sein Amt auf seine älteste Tochter über.«

Das war allerdings höchst merkwürdig, besonders im Orient!

»Und wer ist der Oberste aller Priester?«

»Der Scheik von Baadri. Du hast ihn noch nicht gesehen, denn er befindet sich bereits in Scheik Adi, um das Fest vorzubereiten. Hast du noch etwas zu fragen?«

»Noch vieles! Werden eure Kinder getauft?«

»Getauft und beschnitten.«

»Gibt es unreine Speisen, welche ihr nicht essen dürft?«

»Wir essen kein Schweinefleisch und haben keine blaue Farbe, denn der Himmel ist so erhaben, daß wir seine Farbe nicht unsern irdischen Dingen geben mögen.«

»Habt ihr eine Kiblah?«

»Ja. Wenn wir beten, so wenden wir das Angesicht dem Orte zu, an welchem an diesem Tage die Sonne aufgegangen ist. Auch die Toten werden bei ihrem Begräbnisse so gelegt, daß ihr Angesicht nach dieser Gegend gerichtet ist.«

»Weißt du, woher eure Religion gekommen ist?«

»Scheik Adi, der Heilige, hat sie uns gelehrt. Wir selber aber sind aus den Ländern des untern Euphrat gekommen. Dann zogen unsere Väter nach Syrien, nach dem Sindschar und endlich hierher.«

Ich hätte sehr gern noch weiter gefragt, aber es erschallte von oben her ein Schrei, und als wir emporblickten, erkannten wir Selek, welcher im Begriffe war, zu uns herabzusteigen. Bald stand er neben uns und reichte uns die Hand.

»Beinahe hätte ich euch erschossen,« lautete sein Gruß.

»Uns? Warum?« fragte ich.

»Von oben herab hielt ich euch für Fremde, und solche dürfen in dieses Tal nicht eindringen. Dann aber erkannte ich euch. Ich komme, um nachzusehen, ob das Tal der Vorbereitung bedarf.«

»Zur Aufnahme der Flüchtigen?«

»Der Flüchtigen? Wir werden nicht fliehen; aber ich habe dem Bey erzählt, wie listig du die Feinde der Schammar nach jenem Tale locktest, in welchem ihr sie gefangen nahmt, und wir werden ganz dasselbe tun.«

»Ihr wollt die Türken hierher locken?«

»Nein, sondern nach Scheik Adi; die Pilger aber sollen während des Kampfes hier untergebracht werden. Der Bey hat es so befohlen, und der Scheik ist damit einverstanden.«

Er untersuchte das Wasser und die Höhlen und fragte uns dann, ob wir ihn zurückbegleiten wollten. Dies verstand sich ganz von selbst. Wir führten unsere Pferde empor, saßen dann auf und hielten stracks auf Baadri zu. Als wir dort ankamen, fand ich den Bey einigermaßen in Aufregung.

»Ich habe Kunde erhalten, seitdem du fortgeritten bist,« sagte er. »Die Türken aus Diarbekir stehen bereits am Ghomelflusse, und die aus Kerkjuk haben unterhalb der Berge auch schon denselben Fluß erreicht.«

»So sind deine Kundschafter von Amadijah bereits zurück?«

»Sie sind gar nicht bis Amadijah gekommen, denn sie mußten sich teilen, um diese Truppen zu beobachten. Es ist nun erwiesen, daß der geplante Ueberfall nur uns gilt.«

»Ist es bereits bekannt?«

»Nein, denn dadurch könnte der Feind erfahren, daß er uns gerüstet finden wird. Ich sage dir, Emir, ich werde entweder sterben oder diesem Mutessarif eine Lehre geben, die er nie vergessen soll!«

»Ich werde bis nach dem Kampfe bei dir bleiben.«

»Ich danke dir, Emir; aber kämpfen sollst du nicht!«

»Warum nicht?«

»Du bist mein Gast: Gott hat mir dein Leben anvertraut.«

»Gott kann es am besten schützen. Soll ich dein Gast sein und dich allein in den Kampf gehen lassen? Sollen die Deinen von mir erzählen, daß ich ein Feigling bin?«

»Das werden sie niemals sagen. Bist du nicht auch der Gast des Mutessarif gewesen? Hast du nicht seinen Paß und seine Briefe in der Tasche? Und jetzt willst du gegen ihn kämpfen? Mußt du nicht deinen Arm aufheben für den Sohn deines Freundes, den ihr befreien wollt? – Und kannst du mir nicht dienen, auch ohne daß du meine Feinde tötest?«

»Du hast recht in allem, was du sagest. Ich wollte aber auch nicht töten, sondern vielleicht dahin wirken, daß kein Blut vergossen wird.«

»Laß diese Sorge mir, Effendi! Ich trachte nicht nach Blut; ich will nur den Tyrannen von mir weisen.«

»Wie willst du dies durchführen?«

»Weißt du, daß in Scheik Adi bereits dreitausend Pilger eingetroffen sind? Bis zum Beginne des Festes werden es sechstausend und noch mehr sein.«

»Männer, Frauen und Kinder?«

»Ja. Die Frauen und Kinder sende ich in das Tal Idiz, und nur die Männer bleiben zurück. Die Truppen aus Diarbekir und Kerkjuk werden sich auf dem Wege von Kaloni her vereinigen, und die aus Mossul kommen über Dscherraijah oder Aïn Sifni herauf. Sie wollen uns in dem Tale des Heiligen einschließen; wir aber steigen hinter dem Grabe empor und stehen rund um das Tal, wenn sie eingerückt sind. Dann können wir sie niederstrecken bis auf den letzten Mann, wenn sie sich nicht ergeben. Andernfalls aber sende ich einen Boten an den Mutessarif und stelle meine Bedingungen, unter denen ich sie freigebe. Er wird sich dann vor dem Großherrn in Stambul zu verantworten haben.«

»Er wird diesem die Angelegenheit in einem falschen Lichte schildern.«

»Aber es wird ihm nicht gelingen, den Padischah zu täuschen; denn ich habe vorhin eine heimliche Gesandtschaft nach Stambul gesandt, welche ihm zuvorkommen wird.«

Ich mußte mir im Innern eingestehen, daß Ali Bey nicht nur ein mutiger, sondern auch ein kluger und darum vorsichtiger Mann sei.

»Und wie willst du mich verwenden?« fragte ich ihn.

»Du sollst mit jenen ziehen, welche unsere Frauen und Kinder und unsere Habe beschützen werden.«

»Euere Habe nehmt ihr mit?«

»So viel wir fortbringen. Ich werde noch heute allen Bewohnern von Baadri sagen lassen, daß sie alles nach dem Tale Idiz schaffen mögen, aber heimlich, damit mein Plan nicht verraten werde.«

»Und Scheik Mohammed Emin?«

»Er geht mit dir. Ihr könntet jetzt nicht nach Amadijah kommen, da der Weg dorthin bereits nicht mehr frei ist.«

»Die Türken würden das Bu-djeruldi des Großherrn und den Ferman des Mutessarif achten müssen.«

»Aber es sind Leute aus Kerkjuk dabei, und wie leicht ist es möglich, daß einer von ihnen Mohammed Emin kennt!«

Noch während wir sprachen, kamen zwei Männer in das Haus. Es waren meine beiden alten Bekannten Pali und Melaf, welche ganz außer sich waren, als sie mich erblickten, und mir vor Freude wohl zehnmal die Hände küßten.

»Wo ist der Pir?« fragte Ali Bey.

»Im Grabe des Jonas bei Kufjundschik. Er sendet uns, um dir zu sagen, daß wir am zweiten Tage des Festes früh am Morgen überfallen werden sollen.«

»Kennt er den Vorwand, welchen der Mutessarif angeben wird?«

»Es sind in Malthaijah von einem Dschesidi zwei Türken erschlagen worden. Er will die Täter in Scheik Adi holen.«

»Es sind in Malthaijah von zwei Türken zwei Dschesidi erschlagen worden, so lautet die Wahrheit. Siehst du, Emir, wie diese Türken sind? Sie erschlagen meine Leute, um Ursache zum Einfall in unser Gebiet zu haben. Mögen sie finden, was sie suchen!«

Ich begab mich mit meinem Dolmetscher nach meinem Zimmer, wo ich meine Uebungen begann. Mohammed Emin saß wortlos dabei, rauchte seine Pfeife und wunderte sich baß darüber, daß ich mir so viele Mühe gab, ein Buch zu lesen und die Worte einer fremden Sprache zu verstehen. Dies tat ich während des ganzen Tages und am Abend. Auch der nächste Tag verging unter dieser angenehmen Beschäftigung.

Unterdessen hatte ich bemerkt, daß die Bewohner von Baadri ihre Habe ohne Aufsehen fortschafften; auch wurde in einer Stube unseres Hauses eine große Menge Kugeln gegossen. Beifügen muß ich noch, daß der Esel des Buluk Emini während dieser Zeit nicht wieder laut geworden war, da ihm sein Herr und Meister sofort bei Einbruch der Dunkelheit den Stein an den Schwanz befestigt hatte.

Pilger kamen fortwährend, bald einzeln, bald in Familien und bald in größeren Trupps. Viele waren arm und auf die Mildtätigkeit anderer angewiesen. Dann trieb einer eine Ziege oder einen fetten Hammel herbei; reichere Leute hatten einen Ochsen oder zwei, ja einige Male sah ich sogar ganze Herden vorüberziehen. Das waren die Liebes— und Opfergaben, welche die Wohlhabenden zum heiligen Grabe brachten, damit ihre armen Brüder nicht Mangel leiden sollten. So viele auch kamen und gingen: – meine Baschi-Bozuks und Arnauten blieben verschollen, und ich habe bis zum heutigen Tage nicht erfahren, wo sie geblieben sind.

Am dritten Tage, dem ersten Tage des Festes, saß ich mit meinem Dolmetscher wieder beim Buche. Es war noch vor Sonnenaufgang. Ich war in die Arbeit so vertieft, daß ich gar nicht bemerkte, daß der Buluk Emini eingetreten war.

»Emir!« rief er, nachdem er sich bereits einige Male geräuspert hatte, ohne daß es von mir bemerkt worden war.

»Was gibt es?«

»Fort!«

Jetzt erst bemerkte ich, daß er bereits gespornt und gestiefelt sei, übergab dem Sohne Seleks das Buch und sprang auf. Ich hatte ganz vergessen, daß ich mich baden und frische Wäsche anlegen müsse, wenn ich überhaupt am Grabe des Heiligen würdig erscheinen wollte. Ich nahm die Wäsche zu mir, ging hinab und eilte hinaus vor das Dorf. Der Bach wimmelte von Badenden und ich mußte ziemlich weit gehen, um eine Stelle zu finden, an welcher ich mich unbeobachtet glaubte.

Hier badete ich und wechselte die Wäsche, eine Prozedur, welche man auf Reisen im Oriente nicht gar zu häufig vornehmen kann. Daher fühlte ich mich wie neugeboren und wollte bereits den Ort verlassen, als ich eine leise Bewegung des Gebüsches bemerkte, welches sich an den Ufern des Baches hinzog. War es ein Tier oder ein Mensch? Wir standen auf dem Kriegsfuße, und so konnte es nichts schaden, wenn ich die Sache einmal näher untersuchte. Ich tat daher vollständig unbefangen, pflückte einige Blumen und näherte mich dabei scheinbar absichtslos dem Orte, an dem ich die erwähnte Bewegung bemerkt hatte. Dabei kehrte ich dem Busche den Rücken zu; plötzlich aber drehte ich mich um und stand mit einem schnellen Sprunge mitten im dichten Zweigwerk. Vor mir kauerte ein Mann, er sah noch jung aus, hatte aber beinahe einen militärischen Anstrich, obgleich ich nur ein Messer als einzige Waffe bei ihm bemerkte. Eine breite Narbe zog sich über seine rechte Wange. Er erhob sich und wollte sich rasch zurückziehen, ich aber faßte seine Hand und hielt ihn fest.

»Was tust du hier?« fragte ich.

»Nichts.«

»Wer bist du?«

»Ein – ein Dschesidi,« klang es zaghaft.

»Woher?«

»Ich heiße Lassa und bin ein Dassini.«

Ich hatte gehört, daß die Dassini eine der vornehmsten Familien der Dschesidi seien; er sah mir aber gar nicht aus wie ein Teufelsanbeter.

»Ich habe dich gefragt, was du hier tust?«

»Ich versteckte mich, weil ich dich nicht stören wollte.«

»Und was tatest du vorher hier?«

»Ich wollte baden.«

»Wo hast du die Wäsche?«

»Ich habe keine.«

»Du warst vor mir hier und hattest also das Recht hier zu bleiben, statt dich zu verstecken. Wo hast du diese Nacht geschlafen?«

»Im Dorfe.«

»Bei wem?«

»Bei – bei – bei – ich kenne seinen Namen nicht.«

»Ein Dassini kehrt bei keinem Manne ein, dessen Namen er nicht kennt. Komm mit mir und zeige mir deinen Wirt!«

»Ich muß vorher baden!«

»Das wirst du nachher tun. Vorwärts!«

Er versuchte, sich von meinem Griffe zu befreien.

»Mit welchem Rechte sprichst du in dieser Weise zu mir?«

»Mit dem Rechte des Mißtrauens.«

»Ebenso könnte ich dir mißtrauen!«

»Natürlich! Ich bitte dich, es zu tun. Dann führst du mich in das Dorf, und es wird sich zeigen, wer ich bin.«

»Gehe, wohin es dir beliebt!«

»Das tue ich auch; aber du wirst mich begleiten.«

Sein Blick hing an meinem Gürtel; er bemerkte, daß ich keine Waffe bei mir trug, und ich sah es ihm an, daß er im Begriffe stehe, nach seinem Messer zu greifen. Dies konnte mich aber nicht irre machen; darum hielt ich sein Handgelenk nur fester und gab ihm einen scharfen Ruck, der ihn zwang, aus dem Busch heraus in das Freie zu treten.

»Was wagest du?« blitzte er mich an.

»Gar nichts. Du gehst mit mir; tschapuk – sofort!«

»Laß meine Hand los, sonst – – —!«

»Was sonst?«

»Brauche ich Gewalt!«

»Brauche sie!«

»Da – – —!«

Er zog das Messer und stieß nach mir; Ich aber griff von unten herauf und faßte nun auch seine zweite Hand.

»Schade um dich; denn du scheinst kein Feigling zu sein!«

Ich drückte ihm die Hand, daß er das Messer fallen ließ, hob dasselbe schnell auf und faßte ihn bei der Jacke.

»Nun vorwärts, sonst – —! Hier nimm meine Wäsche auf, und trage sie!«

»Herr, tue es nicht!«

»Warum nicht?«

»Bist du ein Dschesidi?«

»Nein.«

»Warum willst du mich dann nach dem Dorfe schaffen?«

»Das will ich dir sagen: du bist ein türkischer Soldat, ein Spion.«

Er erbleichte.

»Du irrst, Herr! Wenn du kein Dschesidi bist, so laß mich frei!«

»Dschesidi oder nicht; vorwärts!«

Er krümmte sich unter meinem Griffe, aber er mußte mit. Ich zwang ihn sogar, meine Wäsche zu tragen. Wir erregten kein geringes Aufsehen, als wir das Dorf erreichten, und eine ziemliche Menschenmenge folgte uns nach der Wohnung des Beys. Er befand sich im Selamlik, wohin ich auch den Fremden schaffte. Unweit der Türe stand, ohne daß der Gefangene ihn bemerkte, mein Baschi-Bozuk, der eine sehr überraschte Miene machte, als wir an ihm vorübergingen. Er mußte ihn kennen.

»Wen bringst du mir da?« fragte Ali Bey.

»Einen Fremden, den ich draußen am Bache fand. Er hatte sich versteckt, und zwar an einem Orte, von welchem aus er das ganze Dorf und auch den Weg nach Scheik Adi überblicken konnte.«

»Wer ist er?«

»Er behauptet, Lassa zu heißen und ein Dassini zu sein.«

»Dann müßte ich ihn kennen; auch gibt es keinen Dassini dieses Namens.«

»Er stach nach mir, als ich ihn zwang, mit mir zu gehen. Hier ist er. Tue mit ihm, was du willst!«

Ich verließ den Raum. Draußen stand der Buluk Emini noch.

»Kennst du den Mann, den ich jetzt brachte?«

»Ja. Was hat er getan, Emir? Gewiß hast du ihn verkannt! Er ist kein Dieb und kein Räuber.«

»Was sonst?«

»Er ist Kol Agassi211 bei meinem Regiment.«

»Ah! Wie heißt er?«

»Nasir. Wir nannten ihn Nasir Agassi. Er ist der Freund des Miralai Omar Amed.«

»Gut; sage Halef, daß er satteln möge!«

Ich kehrte in das Selamlik zurück, wo vor Mohammed Emin und einigen der zufällig anwesenden bedeutenderen Dorfbewohner das Verhör bereits begonnen hatte;

»Seit wann lagst du im Busche?« fragte der Bey.

»Seit dieser Mann hier badete.«

»Dieser Mann ist ein Emir; merke dir das! Du bist kein Dassini und auch kein Dschesidi. Wie heißt du?«

»Das sage ich nicht!«

»Warum nicht?«

»Ich habe eine Blutrache da droben in den kurdischen Bergen; ich muß verschweigen, wer ich bin und wie ich heiße.«

»Seit wann hat ein Kol Agassi mit der Blutrache des freien Kurden zu tun?« fragte ich ihn.

Er wurde noch bleicher als vorhin am Bache.

»Kol Agassi? Was meinest du?« fragte er dennoch beherzt.

»Ich meine, daß ich Nasir Agassi, den Vertrauten vom Miralai Omar Amed, so genau kenne, daß ich mich nicht täuschen lasse.«

»Du – du – – du kennst mich? Wallahi, so bin ich verloren; das ist mein Verhängnis!«

»Nein; es ist dein Kismet nicht. Gestehe aufrichtig, was du hier tatest, so wird dir vielleicht nichts geschehen!«

»Ich habe nichts zu sagen.«

»Dann bist du verl – – —«

Ich unterbrach den zornigen Bey mit einer schnellen Handbewegung und wandte mich wieder zu dem Gefangenen.

»Ist das von der Blutrache die Wahrheit?«

»Ja, Emir!«

»So sei ein anderes Mal vorsichtiger. Wenn du mir versprichst, unverweilt nach Mossul zurückzukehren und die Rache für jetzt aufzuschieben, so bist du frei.«

»Effendi!« rief da der Bey erschrocken. »Bedenke doch, daß wir ja – —«

»Ich weiß, was du sagen willst,« unterbrach ich ihn abermals. »Dieser Mann ist ein Stabsoffizier des Mutessarif, ein Kol Agassi, aus dem einst vielleicht ein General werden kann, und du lebst mit dem Mutessarif in Freundschaft und in tiefstem Frieden. Es tut mir jetzt leid, diesen Offizier belästigt zu haben, was gar nicht geschehen wäre, wenn ich ihn sofort gekannt hätte. – Du versprichst mir also, unverweilt nach Mossul zurückzukehren?«

»Ich verspreche es.«

»Betrifft diese Rache einen Dschesidi?«

»Nein.«

»So gehe, und Allah behüte dich, daß die Rache nicht gefährlich für dich selbst wird!«

Er stand ganz erstaunt. Noch vor einem Augenblick hatte er den gewissen Tod vor sich gesehen, und jetzt sah er sich frei. Er faßte meine Hand und rief:

»Emir, ich danke dir! Allah segne dich und alle die Deinen!«

Dann war er in größter Eile zur Tür hinaus. Er mochte befürchten, daß wir unsere Großmut noch bereuen könnten.

»Was hast du getan!« sagte Ali Bey mehr erzürnt als erstaunt.

»Das Beste, was ich tun konnte,« antwortete ich.

»Das Beste? Dieser Mensch ist ein Spion!«

»Das ist richtig.«

»Und hatte den Tod verdient!«

»Das ist richtig.«

»Und du schenktest ihm die Freiheit! Zwangst ihn nicht zum Geständnis!«

Auch die andern Dschesidi schauten finster drein. Ich ließ mich dies nicht anfechten und antwortete:

»Was hättest du durch sein Geständnis erfahren?«

»Vielleicht viel!«

»Nicht mehr, als wir bereits wissen. Und übrigens schien er der Mann zu sein, der lieber stirbt als gesteht.«

»So hätten wir ihn getötet!«

»Und was wäre die Folge davon gewesen?«

»Daß es einen Spion weniger gegeben hätte!«

»O, die Folgen wären noch ganz andere gewesen. Der Kol Agassi war jedenfalls abgeschickt, sich zu überzeugen, ob wir eine Ahnung von dem beabsichtigten Ueberfalle haben. Töteten wir ihn, oder hielten wir ihn gefangen, so kehrte er nicht zurück, und man hätte gewußt, daß wir bereits gewarnt sind. Nun aber hat er seine Freiheit wieder erhalten, und der Miralai Omar Amed wird als ganz sicher annehmen, daß wir nicht das geringste von dem Anschlage des Mutessarif ahnen. Es würde doch die allergrößte Dummheit sein, einen Spion zu entlassen, wenn man überzeugt ist, daß man überfallen werden soll – so werden sie sich sagen. Habe ich recht?«

Der Bey umarmte mich.

»Verzeih, Emir! Meine Gedanken reichten nicht so weit wie die deinigen. Aber ich werde ihm einen Späher nachsenden, um mich zu überzeugen, daß er auch wirklich fortgeht.«

»Auch dies wirst du nicht tun.«

»Warum nicht?«

»Er könnte grad dadurch auf das aufmerksam werden, was wir ihm durch seine Freilassung verborgen haben. Er wird sich hüten, hier zu bleiben, und übrigens kommen jetzt genug Leute an, bei denen du dich erkundigen kannst, ob sie ihm begegnet sind.«

Auch hier drang ich durch. Es war mir eine angenehme Genugtuung, zwei Vorteile verbunden zu haben: ich hatte einem Menschen, der doch nur auf Befehl gehandelt hatte, das Leben erhalten und zu gleicher Zeit den Plan des Mutessarif vereitelt. Mit diesem Gefühle ging ich in das Frauengemach, welches hier eigentlich Küche genannt werden mußte, um das Frühstück einzunehmen. Vorher aber holte ich aus meiner kleinen Raritätensammlung, die ich von Isla Ben Maflei erhalten hatte, ein Armband, an welchem ein Medaillon angebracht war.

Der kleine Bey war auch bereits munter. Während ihn seine Mutter hielt, versuchte ich seine niedliche Physiognomie zu Papiere zu bringen. Es gelang ganz leidlich, denn Kinder sind einander ähnlich. Dann legte ich das Papier in das Medaillon und gab der Mutter das Armband.

»Trage dies als Andenken an den Emir der Nemtsche,« bat ich sie; »das Gesicht deines Sohnes befindet sich darin; es wird ewig jung bleiben, auch wenn er alt geworden ist.«

Sie sah das Bild an und war ganz entzückt. In fünf Minuten hatte sie es sämtlichen Bewohnern des Hauses und allen Anwesenden gezeigt, und ich konnte mich vor Dankbarkeitsbezeigungen kaum retten. Dann aber brachen wir auf, allerdings nicht mit dem Gefühle, daß es zu einer Lustbarkeit gehe, sondern in sehr ernster Stimmung.

Ali Bey hatte seine kostbarste Kleidung angelegt. Er ritt mit mir voraus, und dann folgten die angesehensten Leute des Dorfes. Mohammed Emin befand sich natürlich an unserer Seite. Er war mißmutig, da unser Ritt nach Amadijah eine solche Unterbrechung erlitten hatte. Vor uns her zog eine Schar von Musikanten mit Flöten und Tamburins. Hinterher kamen die Frauen, meist mit Eseln, die mit Teppichen, Kissen und allerlei Gerätschaften beladen waren.

»Hast du deine Vorbereitungen für Baadri getroffen?« fragte ich den Bey.

»Ja. Bis Dscherajah stehen Posten, welche mir das Nahen des Feindes sofort melden.«

»Baadri wirst du den Türken ohne Verteidigung lassen?«

»Natürlich. Sie werden still hindurchziehen, um uns nicht vor der Zeit aufmerksam zu machen.«

Von jetzt an ging es sehr laut um uns zu. Wir wurden von Reitern umschwärmt, welche Scheingefechte aufführten, und von allen Seiten knallten unaufhörlich Salven. Jetzt wurde der Weg sehr schmal und wand sich stellenweise so steil an den Bergen empor, daß wir absteigen und, einer hinter dem andern, unsere Pferde über die Felsen führen mußten. Erst nach einer starken Stunde erreichten wir den Gipfel des Passes und konnten nun in das grüne bewaldete Tal von Scheik Adi hinabblicken.

Ein jeder schoß, sobald er die weiße Turmspitze des Grabmales erblickte, sein Gewehr ab, und von unten herauf antworteten ununterbrochen Schüsse, so daß ein großes Infanteriegefecht stattzufinden schien, dessen Echo in den Bergen widerhallte. Hinter uns kamen immer neue Züge, und als wir den Abhang hinabritten, sahen wir rechts und links zur Seite zahlreiche Pilger unter den Bäumen liegen. Sie ruhten sich hier von den Strapazen des Steigens aus und genossen dabei den Anblick des Heiligtumes und der herrlichen Gebirgsnatur, der für die Bewohner der Ebene eine wahre Erquickung sein mußte.

Wir hatten das Grabmal noch nicht erreicht, so kam uns Mir Scheik Khan, das geistliche Oberhaupt der Dschesidi, an der Spitze mehrerer Scheiks entgegen. Er wird Emir Hadschi genannt und stammt von der Familie der Ommijaden ab. Seine Familie wird als die Hauptfamilie der Dschesidi betrachtet und Posmir oder Begzadehs genannt. Er selbst war ein kräftiger Greis von mildem, ehrwürdigem Aussehen und schien nicht den mindesten hierarchischen Stolz zu besitzen, denn er verbeugte sich vor mir und umarmte mich dann so innig, wie man es bei einem Sohne tun würde.

»Aaleïk salam u rahhmet Allah. Ser sere men at – der Friede und die Barmherzigkeit Gottes sei mit dir! Ihr seid mir willkommen!« grüßte er.

»Chode scogholeta rast init – Gott stehe dir bei in deinem Amte!« antwortete ich. »Aber willst du nicht türkisch mit mir sprechen? Ich verstehe die Sprache eures Landes noch nicht!«

»Befiehl über mich nach deinem Gefallen, und sei mein Gast in dem Hause dessen, an dessen Grabe wir die Allmacht und die Gnade verehren.«

Wir waren natürlich bei seinem Nahen abgestiegen. Auf einen Wink von ihm wurden unsere Pferde in Empfang genommen, und wir, nämlich Ali Bey, Mohammed Emin und ich, schritten an seiner Seite dem Grabmale zu. Wir kamen zunächst in einen von einer Mauer umgebenen Hof, welcher bereits ganz von Menschen erfüllt war; dann gelangten wir an den Eingang des inneren Hofes, welcher von den Dschesidi nie anders als barfuß betreten wird. Ich folgte diesem Beispiele, zog meine Schuhe aus und ließ sie am Eingange zurück.

In dem innern Hofe standen viele Bäume, deren Schatten den Pilgern Kühlung und Labung bringt; dichter Oleander trieb Blüte an Blüte, und ein ungeheurer Weinstock bildete eine Laube, nach welcher uns der Mir Scheik Khan führte und in der wir Platz nahmen. Einige Scheiks und Kawals ruhten unter den Bäumen, sonst waren wir allein.

In diesem Hofe erhebt sich das eigentliche Gebäude des Grabmales, welches von zwei weißen Türmen überragt wird, die mit dem tiefen Grün des Tales lebhaft und wohltuend kontrastieren. Ihre Spitzen sind vergoldet und ihre Seiten in viele Winkel gebrochen, zwischen denen sich Licht und Schatten jagen. Ueber dem Torwege waren einige Figuren ausgehauen, in denen ich einen Löwen, eine Schlange, ein Beil, einen Mann und einen Kamm erkannte. Das Innere des Gebäudes ist, wie ich nachher sah, in drei Hauptabteilungen geschieden, von denen die eine größer ist, als die beiden andern. Diese Halle wird von Säulen und Bogen getragen und hat einen Brunnen, dessen Wasser für sehr heilig gehalten wird. Mit demselben werden die Kinder getauft. In der einen der zwei kleineren Abteilungen befindet sich das eigentliche Grab des Heiligen. Ueber der Gruft erhebt sich ein großes kubisches Gehäuse, welches aus Ton gebildet und mit Gips überzogen ist. Als einziger Schmuck ist ein grünes, gesticktes Tuch darüber gebreitet, und eine ewige Lampe brennt in dem Gemache.

Der Ton des Grabmales bedarf von Zeit zu Zeit einer Ergänzung, da die Hüter des Heiligtums kleine Kugeln daraus bereiten, welche von den Pilgern gern gekauft und als Andenken mitgenommen, vielleicht auch als Amulette getragen werden. Diese Kugeln befinden sich in einem Gefäße, welches an dem erwähnten Weinstocke angebracht ist, und haben verschiedene Größen: von der Größe einer Erbse bis zu der jener kleinen Marmor— oder Glaskugeln, mit denen bei uns die Kinder zu spielen pflegen.

In dem zweiten kleinen Gemache befindet sich auch ein Grab, über dessen Inhalt die Dschesidi aber selbst nicht klar zu sein scheinen.

In der Umfassungsmauer, welche das Heiligtum umgibt, sind zahlreiche Nischen angebracht, welche die Lichter aufzunehmen haben, mit denen bei größeren Festen illuminiert wird. Das Grabmal wird von Gebäuden umgeben, welche den Priestern und Dienern des Grabes zur Wohnung dienen. Der ganze Ort aber liegt in einer engen Talschlucht, deren Felsen von allen Seiten sehr steil in die Höhe steigen. Er besteht nur aus wenigen profanen Wohnungen und enthält außer dem Heiligtume vorzugsweise solche Gebäude, welche die Pilger aufzunehmen haben. Jeder Stamm oder auch jede größere Abteilung desselben hat dann ein solches Haus ausschließlich für sich in Besitz.

Draußen vor den Mauern hatte sich ein förmlicher Jahrmarkt entfaltet. Alle möglichen Arten von Geweben und Zeugen hingen zum Verkaufe von den Aesten der Bäume nieder; alle möglichen Früchte und Eßwaren wurden feilgeboten; Waffen, Schmuckgegenstände und allerlei orientalisches Allerhand war zu bekommen. Wäre die Tracht nicht gewesen, so hätte ich mich in die Heimat versetzt dünken können, so heiter und unbefangen, so harmlos und gutmütig war das bunte Treiben in dem Dorfe des Heiligen. Wahrhaftig, diese Teufelsanbeter erwarben sich immer mehr meine Sympathie, und ich stimme dem vollständig bei, was ein sehr verständiger Engländer, welcher einige Wochen in Kofau gewesen war, mir später in Konstantinopel von ihnen sagte:

»Die Teufelsanbeter werden verleumdet, weil sie besser sind, als ihre Verleumder. Wären sie zahlreicher und nicht so zerstreut, so könnten sie die Deutschen Asiens werden, und nirgends hat das Christentum so große Hoffnung auf Erfolg, als bei diesen Leuten. Ich glaube, gewisse überseeische Sendboten der Mission schildern die Dschesidi nur deshalb so ganz und gar unwahr, um einem etwaigen kleinen Erfolge eine sehr große Bedeutung verleihen zu können.«

Natürlich ließ ich meiner Wißbegierde nicht die Zügel schießen, so daß sie zur lästigen Neugierde werden konnte, und vielleicht grad darum wurde unsere Unterhaltung eine so animiert herzliche, als ob wir Glieder einer Familie seien und uns von Jugend auf geliebt und geachtet hätten. Zunächst kam die Rede auf den bevorstehenden Angriff, doch wurde dieser Gegenstand bald beiseite gelegt, da es sich herausstellte, daß Ali Bey alle erforderlichen Maßregeln mit der größten Sorgfalt getroffen hatte. Dann kam das Gespräch auf Mohammed Emin und meine Person, auf unsere Erlebnisse und gegenwärtigen Absichten.

»Vielleicht kommt ihr dabei in Gefahr und bedürft der Hilfe,« meinte der Mir Scheik Khan. »Ich werde euch ein Zeichen mitgeben, welches euch den Beistand aller Dschesidi sichert, denen ihr es zeigt.«

»Ich danke dir! Es wird ein Brief sein?« fragte ich.

»Nein, ein Melek Ta-us.«

Fast wäre ich wie elektrisiert emporgesprungen. Das war ja die Benennung des Teufels! Das war ja der Name desjenigen Tieres, welches nach den über sie verbreiteten Verleumdungen bei ihren Gottesdiensten auf dem Altare stand und die Lichter verlöschen mußte, wenn die Orgien beginnen sollten! Das war endlich auch der Name derjenigen Legitimation, welche der Mir Scheik Khan jedem Priester anvertraut, den er mit einer besonderen Mission beehrt! Und dieses große, dieses geheimnisvolle Wort, über welches so viel gestritten worden ist, sprach er hier so gelassen aus? Ich nahm eine sehr unbefangene Miene an und fragte:

»Einen Melek Ta-us? Darf ich fragen, was das ist?«

Mit der freundlichen Miene eines Vaters, der seinem unwissenden Sohne eine notwendige Erklärung gibt, antwortete er:

»Melek Ta-us nennen wir jenen, dessen eigentlicher Name bei uns nicht ausgesprochen wird. Melek Ta-us heißt auch das Tier, welches bei uns ein Symbol des Mutes und der Wachsamkeit ist, und Melek Ta-us nennen wir auch die Abbildung dieses Tieres, welche ich jenen verleihe, zu denen ich Vertrauen habe. Ich weiß alles, was man über uns fabelt; aber deine Weisheit wird dir sagen, daß ich uns vor dir nicht zu verteidigen brauche. Ich habe mit einem Manne gesprochen, der in vielen christlichen Kirchen gewesen ist. Er sagte mir, daß dort die Bilder der Gottesmutter, des Gottessohnes und vieler Heiligen seien. Auch ein Auge sollt ihr haben, welches das Symbol des Gottvaters, und eine Taube, welche das Zeichen des Geistes ist. Ihr kniet und betet an den Orten, wo diese Bilder sind, aber ich werde niemals glauben, daß ihr diese Bilder anbetet. Wir glauben von euch das Richtige, und ihr glaubet von uns das Falsche. Wer ist verständiger und gütiger, ihr oder wir? Blicke hin an das Tor! Meinst du, daß wir diese Bilder anbeten?«

»Nein.«

»Du siehst einen Löwen, eine Schlange, ein Beil, einen Mann und einen Kamm. Die Dschesidi können nicht lesen; daher ist es besser, man sagt ihnen durch diese Bilder, was man ihnen sagen möchte. Eine Schrift würden sie nicht verstehen; diese Bilder aber werden sie nie vergessen, weil dieselben am Grabe ihres Heiligen zu sehen sind. Dieser Heilige war ein Mann; darum beten wir ihn nicht an; aber wir versammeln uns an seinem Grabe, wie sich die Kinder am Grabe ihres Vaters versammeln.«

»Er hat euren Glauben gestiftet?«

»Er hat uns unsern Glauben, nicht aber unsere Gebräuche gegeben. Der Glaube wohnt im Herzen, die Sitten aber wachsen aus dem Boden, auf welchem wir leben, und aus dem Lande, welches diesen Boden rings umgrenzt. Scheik Adi hat vor Mohammed gelebt. Zu seiner Lehre sind auch diejenigen Satzungen des Kurans gekommen, welche wir für gut und heilsam erkannt haben.«

211.Ueberzähliger Stabsoffizier zu Fuße.