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Buch lesen: «Der Schut», Seite 24

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Indessen unternahm es Halef, Stojko das diesem geraubte Geld zurückzugeben. Letzterer erkannte es als das seinige an. Dann schnallte der Kleine den Panzer und den Damaszener ab, um auch diese nebst dem Handschar zurückzugeben. Stojko zögerte, sie zu nehmen. Nach einigen Augenblicken der Ueberlegung wendete er sich an mich:

»Effendi, ich habe eine Bitte, welche du mir, wie ich hoffe, erfüllen wirst.«

»Wenn mir die Erfüllung möglich ist, bin ich gern bereit dazu.«

»Sie ist dir sehr leicht möglich. Ihr habt mich gerettet. Ich weiß, daß ich ohne euch eines bösen Todes gestorben wäre. Mein Herz ist deshalb voll von Dank gegen euch, und ich wünsche, euch dies beweisen zu dürfen. Die Waffen, welche dein Hadschi mir jetzt zurückgeben will, sind ein altes Erbstück meiner Familie. Derjenige, welcher sie tragen sollte, ist nun tot; ihr Anblick würde mich und die Meinen an seine Ermordung erinnern, und so möchte ich sie gern dir als ein Zeichen meiner Dankbarkeit schenken. Leider aber ist der Panzer dir zu klein; dem Hadschi paßt er ausgezeichnet, und so bitte ich dich um die Erlaubnis, denselben ihm schenken zu dürfen – — «

Der Hadschi unterbrach ihn mit einem Ausruf des Entzückens. Stojko fuhr fort:

»Den Säbel und den Handschar aber sollst du bekommen, denn ich wünsche, daß du dich beim Anblick derselben meiner erinnern mögest.«

Halefs Augen waren mit dem Ausdruck der größten Spannung auf mich gerichtet. Auf meine Antwort kam es an, ob er das reiche Geschenk annehmen durfte oder nicht. Ihm zuliebe sagte ich:

»Was den Panzer betrifft, kann ich weder ja noch nein sagen. Er soll Halefs Eigentum sein, und so hat er allein zu bestimmen, ob er diese wertvolle Gabe annehmen will oder nicht.«

»Sofort, sofort!« rief der Kleine, indem er augenblicklich den Panzer wieder umschnallte. »Wie wird Hanneh, die Blume der lieblichsten Frauen, staunen und sich freuen, wenn ich so silberfunkelnd bei ihr ankomme! Wenn sie mir entgegen blickt, wird sie meinen, ein Held aus den Erzählungen von Scheherezade oder der berühmte Feldherr Salah ed din (* Saladin.) nahe sich ihr. Die tapfersten Krieger des Stammes werden mich beneiden; ich werde die Bewunderung der jungen Frauen und Töchter besitzen, und die Matronen werden in die Lobgesänge der Kühnheit einstimmen, sobald sie mich erblicken. Die Feinde aber werden bei meinem Anblick von dannen fliehen vor Angst und Entsetzen, denn sie werden an dem glänzenden Panzer erkennen – mich, den unbezwinglichen Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah!«

Halef hatte sich eben bei allen seinen reichen Erlebnissen und Erfahrungen ein wahrhaft kindliches Gemüt bewahrt. Trotz des pathetischen Tones, in welchem er seine Worte vorbrachte, wagte es keiner, ihm mit einem Lächeln zu antworten. Stojko sagte vielmehr sehr höflich und achtungsvoll:

»Es freut mich außerordentlich, daß der Panzer dir gefällt. Möge er derjenigen, welche du die Lieblichste nennst, sagen, wie viel ich dir zu verdanken habe! Hoffentlich wird auch der Effendi meine Gabe nicht verschmähen?«

»Von einer Verschmähung kann keine Rede sein,« antwortete ich. »Es ist mir nur deshalb unmöglich, sie anzunehmen, weil sie zu kostbar ist. Du darfst dich nicht eines Schatzes berauben, welchen deine Ahnen heilig gehalten haben.«

Seine Miene verdüsterte sich. Ich wußte gar wohl, daß es eine fast todeswürdige Beleidigung ist, das Geschenk eines Skipetaren zurückzuweisen, glaubte aber, daß Stojko hier eine Ausnahme machen und sich nicht erzürnt zeigen werde. Doch klang seine Stimme beinahe heftig, als er fragte:

»Effendi, weißt du, was ein Skipetar tut, wenn sein Geschenk zurückgewiesen wird?«

»Ich bin noch nicht in der Lage gewesen, es zu erfahren.«

»So will ich es dir sagen. Er rächt diese Beleidigung, oder, wenn er dem Beleidiger Dankbarkeit schuldet, so daß er sich nicht rächen kann, so vernichtet er die Gabe, welche verachtet wird. Auf keinen Fall aber nimmt er sie zurück. Es würde die größte Undankbarkeit gegen dich sein, wenn ich dir zürnen wollte; denn du hast mir das Leben erhalten und meinst es auch jetzt gut mit mir. Darum darf mein Zorn sich nur auf die Gegenstände erstrecken, welche dein Mißfallen erregt haben. Sie sollen vernichtet werden.«

Er zog den Säbel aus der Scheide und bog die Klinge zusammen, enger und immer enger, so daß sie schließlich zerspringen mußte. Ich ergriff seine Hand, um ihn daran zu hindern, und rief:

»Mann, bist du des Teufels! Es kann doch dein Ernst nicht sein, diese unvergleichliche Klinge zerbrechen zu wollen! Du drohst es nur!«

»Ich drohe nicht. Ich gebe dir vielmehr mein Wort, daß sie in Stücke gehen wird, wenn du nicht schnell versprichst, sie von mir anzunehmen.«

Er befreite sich von meiner Hand und begann wieder energisch zu biegen. Ich sah, daß es ihm wirklich ernst sei, und sagte darum:

»Halt ein! Ich nehme sie.«

»Und auch den Handschar?«

»Auch ihn.«

»So ist es gut. Stecke beide in deinen Gürtel! Mögen sie dir Schutz in Gefahr und Sieg im Kampf bringen! Jetzt aber wollen wir aufbrechen, bevor die Angehörigen des Schut erfahren, was vorgegangen ist.«

»Wenn du meinst, daß sie es nicht wissen, so irrst du dich. Rugova ist so klein, daß diese Leute alles Geschehene wissen würden, selbst wenn es einen Andern als just ihn betroffen hätte. Jedenfalls haben sie ihre Vorbereitungen gut getroffen. Löst dem Schut die Fesseln von den Füßen, damit er gehen kann. Osko und Omar mögen ihn in ihre Mitte nehmen, und augenblicklich einen Jeden niederschießen, der es wagen sollte, die Hand zu seiner Befreiung auszustrecken.«

Die Fesseln wurden dem Perser abgenommen. Er bewegte sich nicht.

»Steh auf!« gebot Halef.

Der Gefangene tat, als hätte er es nicht vernommen. Aber als ihm der Hadschi einen derben Peitschenhieb verabreichte, sprang er augenblicklich auf, warf dem Kleinen einen wütenden Blick zu und schrie:

»Hund, das darfst du wagen, weil ich an den Händen gebunden bin! Wäre das nicht der Fall, so würde ich dich augenblicklich zermalmen. Aber noch ist die Sache nicht zu Ende. Ihr alle werdet bald und gewiß erfahren, was es heißt, den Sch . – wollte sagen, Kara Nirwan zu beleidigen!«

»Sprich das Wort Schut immer aus,« antwortete ich, um ihn zu einem Bekenntnis zu reizen. »Wir wissen doch alle, daß du der Anführer der Räuber bist. Aus der Ferne hast du deine Hunde auf die Opfer gehetzt, du aber bist stets im sichern Dunkel geblieben. Der Köhler mußte dir die Leute in das Garn treiben, und nur durch Tücke und Hinterlist hast du sie in die Falle gelockt. Der Räuber, welcher kühn und offen den Menschen überfällt, kann noch bewundert werden; du aber bist ein Feigling, welchen man verachten muß. Du besitzest nicht eine Spur von Mut. Du wagst nicht, es einzugestehen, wer du bist. Tfu haif 'alaik! (* Pfui, Schande über dich.) Ein Hund sollte sich hüten, dich anzubellen, denn das ist viel zu viel Ehre für dich!«

Bei diesen Worten spuckte ich vor ihm aus. Das brachte die beabsichtigte Wirkung hervor. Er brüllte grimmig:

»Schweig'! Wenn du sehen willst, ob ich feig bin oder nicht, so nimm meine Fesseln ab und kämpfe mit mir! Dann sollst du erfahren, welch ein Wurm du gegen mich bist!«

»Ja, in Worten bist du tapfer, aber nicht in der Tat. Bist du nicht vor uns geflohen, als du uns im Schacht erblicktest?«

»Ihr waret in der Ueberzahl.«

»Ich habe ganz allein deine Verbündeten besiegt, obgleich sie auch in der Ueberzahl waren. Und bist du mir nicht entflohen, als ich – ich ganz allein – im Kahn mit dir kämpfte? War das Mut von dir? Und als wir dann miteinander das Ufer erreichten, warst du da gefesselt? Hast du mir gezeigt, daß ich ein Wurm gegen dich bin, oder habe nicht ich dich niedergeschlagen wie einen Knaben? Rede ja nicht von Mut! Alle deine Spießgesellen, die beiden Aladschy, der Miridit, Manach el Barscha, Barud el Amasat, der alte Mübarek, haben mir offen gezeigt, daß sie meine Feinde waren, daß sie Räuber und Mörder seien; du allein hast nicht das Herz dazu. Du kannst nur drohen, weiter nichts. Du besitzest das Herz eines Hasen, welcher davon eilt, wenn er die Meute hört. Du bist ein Adschemi, ein Perser aus Nirwan. Ich kenne diesen Ort, denn ich bin dort gewesen. Die Nirwani fressen Krötenfleisch und werden dann, wenn sie davon fett geworden sind, von den Läusen verzehrt. Kommt ein Nirwani nach einem andern persischen Ort, so rufen die Bewohner desselben: »Tufu Nirwanost! Nirwanan dschabandaranend; ora bazad – pfui, einer aus Nirwan! Die Nirwani sind Feiglinge; speit ihn an!« Grad so muß man auch von dir und zu dir sagen, denn du hast nicht das Herz, zu gestehen, wer du bist. Deine Eingeweide zittern vor Angst, und deine Knie schlottern vor Schwäche, daß ein Wort des Zorns dich umblasen könnte!«

Solche Beleidigungen waren ihm noch nicht in das Gesicht geschleudert worden. Er zitterte wirklich, aber nicht vor Angst, sondern vor Grimm. Da tat er einen Sprung auf mich zu, stieß mit dem Fuß nach mir und antwortete in demselben persischen Dialekt, dessen ich mich bedient hatte:

»Gur, dzabaz, bisaman, dihdschet efza, gatar biz, gar riz – Schurke, Bube, Dummkopf, du bist zum Lachen! Du verbreitest Gestank und streust die Krätze umher! Kein Mensch sollte mit dir sprechen. Deine Rede ist Tollheit, und deine Worte sind Lügen. Du nennst mich feig? Wohlan, so will ich dir zeigen, daß ich mich nicht fürchte.«

Und zu den Andern gewendet, fuhr er in türkischer Sprache fort:

»Ihr sollt mich nicht für einen Feigling halten. Ich will euch sagen, daß ich der Schut bin. Ja, ich habe diese drei Männer in dem Schacht eingeschlossen, um mir viel Geld von ihnen geben zu lassen und sie dann zu töten. Aber wehe und dreifach wehe über jeden, der es wagt, mir ein Haar zu krümmen! Meine Leute zählen nach Hunderten und werden alles, was mir geschieht, entsetzlich rächen. Dieser Hund aus Germanistan wird zuerst meiner Rache verfallen; er wird an der Räude verenden und noch demjenigen danken, der ihn mit einem Knüppel von seinen Qualen erlöst. Kommt herbei, und bindet mir die Hände los! Ich werde es euch reich lohnen, und dann soll . – «

Er kam nicht weiter, denn Halef trat an ihn heran, gab ihm eine Ohrfeige, daß er taumelte, und rief ihm zu:

»Das ist für den Hund und für die Räude, und wenn du noch ein einziges Wort sagst, Sefil bodur (* Elender Wicht.), so haue ich dich mit der Peitsche, daß deine Knochen meilenweit umher fliegen! Schafft ihn fort, den Schurken! Ich werde mit der Peitsche hinter ihm hergehen, und für jeden Laut, welchen er ohne Erlaubnis des Effendi hören läßt, fährt ihm ein Hieb ins Fleisch!«

Das war sehr ernstlich gemeint, und ich hatte auch gar nichts dagegen. In der Lage, in welcher der Perser sich befand, war es eine unsägliche Frechheit, sich solcher Reden zu bedienen. Die Hauptsache war freilich, daß ich meinen Zweck erreicht hatte: – er hatte eingestanden, daß er der Schut sei. Nun durfte ihn niemand mehr in Schutz nehmen, wenigstens nicht in offener Weise.

Er biß sich in die Lippen, wagte aber nicht, wieder zu sprechen. Der Goldfuchs wurde für Stojko geholt. Galingré erklärte, daß er versuchen wolle, mit uns zu gehen, denn es wurde nun Zeit, aufzubrechen und nach dem Khan zu gehen.

– — —

Siebentes Kapitel: An der Verräter-Spalte

Als wir aus dem Hause traten, bemerkten wir, daß die Menschenmenge vor demselben sich verringert hatte. Der ehrwürdige Alte hatte bis jetzt zu den Leuten gesprochen, aber es war ihm sichtlich nicht gelungen, den Eindruck zu verwischen, welchen die vorhergehende Hetzrede des Kiaja auf sie gemacht hatte. Sie bildeten zwei in ihren Ansichten verschiedene Trupps, von denen der eine es mit uns, der andere es mit dem Perser hielt.

»Onu getirler – sie bringen ihn!« rief eine Stimme aus dem einen Haufen. »Kara Nirwan sudschuzdir; ona azadlykü werinis – Kara Nirwan ist unschuldig; gebt ihm die Freiheit!«

»Jok, jok; katildir – nein, nein; – er ist ein Mörder!« ertönte es von der andern Seite. »Oelmeli, schimdi, mutlak – er muß sterben, sofort, unbedingt!«

Beide Haufen drängten herbei; ich redete dem einen bittend, dem andern drohend zu und versprach, daß die Sache eine streng gerechte Untersuchung finden werde. Daran schloß ich die ernste Warnung vor einer zu großen Annäherung an uns, da wir Jeden niederschießen würden, der es wagte, uns lästig zu fallen. Das half. Wir hielten die Waffen in den Händen. Man murrte zwar, ließ uns aber abmarschieren. Selbstverständlich folgten alle hintendrein. Niemand dachte an seine Arbeit; heute war ein Tag, wie es in Rugova noch niemals einen gegeben hatte.

Die »Väter des Ortes« hatten sich natürlich zu uns gesellt, der Alte schritt voran, um uns den Weg zu zeigen. Die Andern wies ich an, hinter uns zu gehen. Sie sollten sich zwischen uns und dem aufrührerischen Mob befinden, dem nicht zu trauen war. So ging es in ein enges Gäßchen hinein und dann aus dem Dorfe hinaus, den Berg empor.

Die Häuser schienen vollständig verlassen zu sein. Nicht einmal ein Kind war jetzt zu sehen. Die ganze Bewohnerschaft befand sich entweder hinter uns oder bereits vor uns auf dem Berg.

Der Perser leistete nicht den geringsten Widerstand. Er tat gar nicht verlegen und hielt auch die Augen nicht mehr geschlossen. Er schickte seinen Blick überall hin. Vermutlich erwartete er von irgend einem seiner Anhänger ein heimliches Zeichen. Deshalb hielt ich meine Augen ebenso offen, wie er die seinigen.

Die erst vorhin angekommenen Skipetaren befanden sich zu Pferd. Ich hatte das gewünscht, damit sie im Fall einer Feindseligkeit die Angreifenden gleich niederreiten konnten. Sie bildeten auf ihren schönen Rossen mit ihrer guten Bewaffnung und prächtigen Haltung einen herzerfreuenden Anblick. Es war ihnen anzusehen, daß sie sich nötigenfalls nicht scheuen würden, es mit ganz Rugova aufzunehmen.

Hinter oder vielmehr über dem Dorfe gab es einige ärmliche Felder und dann Wald, in welchen der Hohlweg, dem wir folgen mußten, tief einschnitt. Hier und da traten die Bäume zurück, um einer kleinen Alpenwiese Platz zu machen, auf welcher einige Pferde, Rinder, Ziegen und Schafe friedlich beisammen weideten. Das hinter uns liegende stille Dorf und diese Wiesen mit den Tieren hatten ein idyllisches Aussehen, welches keineswegs mit dem Zweck unsers Hierseins und mit dem Umstand harmonierte, daß Rugova der Ausgangspunkt so vieler Verbrechen gewesen war.

Es begegnete uns kein Mensch, und das, was der Schut erwartet hatte, schien nicht einzutreffen, bis endlich, als wir fast die Höhe erreicht hatten, eine Stimme über uns vom Rand des Hohlweges laut ertönte:

»Ima mi uprawo dwadeszet i cschetiri godije!«

Das war serbisch und heißt auf deutsch: »Ich bin grad vierundzwanzig Jahre alt,« oder vielmehr wörtlich: »Es gibt mir vierundzwanzig Jahre.« Ehe ich noch zu denken vermochte, was dies zu bedeuten habe, rief die Stimme weiter:

»Wrlo je lepo wreme!«

Das heißt: »Es ist sehr schönes Wetter.« Und darauf folgten die Worte:

»Koje-li je doba?« Worauf eine andere Stimme antwortete: »Bacsh je szad isbilo cschetiri!«

Ins Deutsche übertragen, lautet das: »Wie viel ist's an der Zeit? Eben jetzt hat es vier geschlagen.«

Diese lauten Zurufe galten natürlich dem Schut. Ich legte den Stutzen an und sandte zwei Kugeln nach der Stelle empor, an welcher, dem Schall der Stimmen nach, die beiden Rufer sich befinden mußten.

»Ah sa boga, jaoj meni – ach Gott, wehe mir!« schrie es oben.

Ich hatte getroffen. Niemand setzte ein Wort dazu; aber der Schut drehte sich nach mir um und warf mir einen lodernden Blick des Hasses zu. Als er das Gesicht wieder gewendet hatte, ging ich raschen Schrittes nach vorn. Ich wollte jetzt seine Miene sehen, welche zu verstellen er sich wohl keine Mühe gab, weil er sich unbeachtet wähnte. Indem ich an ihm vorüber kam, sah ich ein Lächeln der Befriedigung bis hinauf zu seinen Augen spielen. Als er mich erblickte, verschwand es sofort.

Es war klar, daß die Zurufe die Bestimmung gehabt hatten, ihn über seine Lage zu beruhigen. Was aber bedeuteten sie eigentlich? Daß sehr schönes Wetter sei, hatte jedenfalls nichts anderes zu sagen, als daß die Angelegenheit für ihn gut stehe. Was aber war mit dem Alter von vierundzwanzig Jahren gemeint? Bedeutete diese Zahl vielleicht Menschen, welche zu seiner Befreiung bereit seien? Wahrscheinlich! Ich konnte keine andere Erklärung finden. Und daß es vier Uhr geschlagen habe – was sollte diese vier, auf die es ganz allein ankam, sagen? Ich fragte die Gefährten über ihre Ansicht, natürlich leise, daß der Schut es nicht hörte; aber ihr Scharfsinn erwies sich als ebenso unzureichend wie der meinige. Wir konnten nichts anderes tun, als überaus vorsichtig sein.

Bald nach diesem Zwischenfall senkten sich die Seiten des Hohlweges, und wir kamen auf ebenes Terrain. Eigentlich hatte ich Lust, den Zug halten zu lassen und mich nun einmal zu der Stelle zu begeben, nach welcher ich gezielt hatte; aber ich mußte mir sagen, daß ich niemand dort antreffen würde, da der Unverwundete ganz gewiß den Verwundeten fortgeschafft oder wenigstens versteckt hatte, und es schien mir auch nicht rätlich zu sein, mich zu entfernen, da meine Abwesenheit leicht von den uns feindlich Gesinnten zu einem Streich gegen uns benutzt werden konnte. Wir zogen also weiter.

Nach einiger Zeit, als wir uns rechts gewendet hatten und uns noch immer im Wald befanden, mündete ein schmaler Pfad in unsern Weg. An dieser Stelle standen mehrere Männer, welche auf unser Kommen gewartet zu haben schienen.

»Wohin führt dieser Steig?« fragte ich sie.

»Nach dem Karaul, Herr,« lautete die Antwort.

»Waret ihr dort?«

»Ja.«

»Befinden sich jetzt noch andere Leute dort?«

»Viele. Sie untersuchen das Gestein.«

»Nun, was ist denn dort zu sehen?«

»Herr, der Turm ist vollständig eingestürzt.«

»Ist nicht irgend eine Spur von dem alten Schacht zu sehen?«

»O ja! Hart an dem Platz, an welchem der Turm stand, hat sich die Erde tief eingesenkt, und es ist ein großes Loch entstanden, welches die Gestalt eines Chuni (* Trichter.) hat. Niemand aber wagt es, hinabzusteigen, weil das Gestein noch fortwährend nachbröckelt. Die Stelle könnte leicht noch tiefer einsinken.«

Der Schut trat einige Schritte zur Seite, als ob er in den Pfad einbiegen wollte. Er erwartete dort am Karaul wohl Hilfe. Ich aber sagte:

»Gehen wir nicht hin! Es ist für uns dort gar nichts zu finden. Wir wollen direkt nach dem Khan.«

Als wir uns dann wieder in Bewegung gesetzt hatten, verschwanden die Männer zwischen den Bäumen, und wir hörten den lauten Ruf:

»Natrat! Idu nami kutschi – zurück! Sie gehen hinter uns nach Hause!«

War das etwa ein Zeichen für die vierundzwanzig Männer, welche wir zu fürchten hatten? Die Worte mußten ihnen von weitem zugerufen werden, da sie keine Zeit hatten, auf eine persönliche Botschaft zu warten, denn sie mußten auf alle Fälle schon vor uns in dem Khan eintreffen. Gern hätte ich einige der Reiter vorausgesandt, aber ich konnte sie nicht entbehren und hielt es überdies für gefährlich für sie, sie von uns fortzulassen.

Bald endete der Wald. Der Weg führte nur noch durch dichtes Buschwerk. Dann sahen wir Felder, welche durch Reihen von Sträuchern voneinander abgegrenzt waren. Diese letzteren machten es unmöglich, einen freien Blick zu haben. Darum konnten wir diejenigen nicht sehen, welche sehr wahrscheinlich von dem Karaul her nach dem Khan eilten.

»Wo liegt das Haus des Persers?« fragte ich den Alten, welcher uns führte.

»Nur fünf Minuten noch, dann wirst du es sehen,« antwortete er.

Als diese Zeit vergangen war, erreichten wir den für die weite Umgegend so verhängnisvollen Ort. Der Weg, auf welchem wir gekommen waren, bildete die nach Prisrendi führende Straße, auf welcher Ranko mit seinen fünf Begleitern vorhin von Norden her Rugova erreicht hatte. Hart an dieser Straße lagen die Gebäude eng beieinander, welche den Karanirwan-Khan bildeten, nach dem wir so lange gesucht hatten und welchen wir nun endlich vor uns sahen.

Das Hauptgebäude stand links an der Straße, die Nebengebäude befanden sich rechts. Letztere bildeten einen sehr großen Hof, in welchen ein breites, steinernes Tor führte. Dieses Tor war verschlossen. Vor demselben und vor dem Eingang des Hauptgebäudes standen wohl vier bis fünf Dutzend Menschen beiderlei Geschlechtes. Es schien, daß man ihnen verwehrt habe, einzutreten. Sie empfingen uns still. Ich hörte kein Wort sprechen. Die Gesichter waren zwar nicht drohend, aber auch nicht freundlich: auf allen war der Ausdruck großer Spannung deutlich zu lesen.

Wir wendeten uns links nach dem Wohnhause, dessen Türe uns trotz unseres Klopfens nicht geöffnet wurde. Halef ging nach der hinteren Seite und meldete uns nach seiner Rückkehr, daß auch dort die Türe von innen verriegelt sei.

»Befiehl, daß uns geöffnet werde!« gebot ich dem Schut. »Sonst öffnen wir uns selbst.«

»Ich habe dich nicht zu mir eingeladen,« antwortete er. »Ich verbiete euch, in mein Haus zu treten.«

Da nahm ich den Bärentöter her. Einige Hiebe mit dem eisenbeschlagenen Kolben desselben, und die Türe ging in Stücke. Der Schut stieß einen Fluch aus. Die Menge drängte herbei, um mit uns in das Haus zu kommen. Ich aber bat Ranko, mit seinen fünf Reitern hier zurückzubleiben und dafür zu sorgen, daß kein Unberechtigter eintrete. Dann begaben wir uns in das Innere des Gebäudes.

Der Flur war leer. Wir sahen keinen Menschen. Es gab hier nicht verstellbare geflochtene Wände, sondern feste Ziegelmauern. Rechts und links lagen je zwei Stuben, welche nicht verschlossen waren. Auch sie waren leer. Ihrer Einrichtung nach mußte ich annehmen, daß die beiden vorderen Stuben zur Aufnahme der Gäste bestimmt seien. Links hinten wohnte wahrscheinlich die Familie des Schut; rechts hielt sich wohl das Gesinde auf. Als ich die Hintertüre öffnete, sah ich, daß dieselbe direkt auf freies Brachland führte. In ihrer Nähe führte innerhalb des Flures eine schmale Holztreppe nach oben. Ich stieg ganz allein hinauf in den Dachraum, welcher aus drei Abteilungen bestand. Die mittlere derselben, in welche die Treppe mündete, enthielt allerlei Gerümpel. Von den Dachbalken hingen dichte Reihen getrockneter Maiskolben und Zwiebeln herab. Die beiden anderen Abteilungen wurden von Giebelstuben gebildet, welche durch dünne Bretterwände von der Mitte getrennt waren. Ich klopfte an die eine Türe, erhielt aber keine Antwort. Da nahm ich abermals den Gewehrkolben zu Hilfe und stieß ein Brett ein. Nun sah ich, daß die Kammer leer war. Auch drüben an der andern Seite wurde auf mein Klopfen nicht geantwortet. Durch ein Astloch schauend, gewahrte ich eine Frau, welche auf einer Kiste saß.

»Mach auf, sonst schlage ich die Tür ein!« drohte ich.

Da auch dieser Zuruf nicht beachtet wurde, so stieß ich ein Brett ein, griff durch die Oeffnung und schob den Türriegel zurück. Ich wurde durch ein mehrstimmiges Gekreisch empfangen. Die Frau, welche ich gesehen hatte, war vielleicht fünfunddreißig Jahre alt. Bei ihr befanden sich zwei alte Weiber. Alle drei waren gut gekleidet. Ich war überzeugt, die Frau des Schut, die Schuta, vor mir zu haben. Sie hatte sich von ihrem Sitz erhoben und in die Ecke geflüchtet. Von den beiden Andern flankiert, rief sie mir zornig-trotzig entgegen:

»Was fällt dir ein! Wie darfst du es wagen, auf diese Weise bei uns einzudringen!«

»Weil es auf eine andere Weise nicht möglich war,« antwortete ich. »Ich habe noch nie einen Khan gesehen, welchen man am hellen Tag vor den Gästen verschließt.«

»Du bist kein Gast.«

»Woher weißt du das?«

»Ich weiß, was geschehen ist. Man hat es mir berichtet, und übrigens sah ich euch kommen.«

Sie deutete nach der runden Maueröffnung in der Giebelwand. Da diese nach dem Dorf gerichtet war, hatte man uns also sehr gut bemerken können.

»Für wen hältst du mich denn?« fragte ich weiter.

»Du bist der größte, der schlimmste Feind meines Mannes.«

»Deines Mannes? Wer ist das?«

»Der Wirt.«

»Also bist du die Wirtin! Aus welchem Grund hältst du mich denn für euern Feind?«

»Weil du meinen Mann gefangen genommen hast, weil du ihn überhaupt seit langer Zeit verfolgst.«

»Das alles weißt du bereits? So wirst du dich jedenfalls auf meinen Besuch vorbereitet haben. Sage mir einmal: bist du nicht mit dem Wirt Deselim in Ismilan bekannt?«

»Sogar verwandt bin ich mit ihm,« rief sie mir wütend entgegen. »Er war mein Bruder, und du hast ihn ermordet. Allah verfluche dich!«

Ich setzte mich gemächlich auf die Ecke der Kiste und betrachtete mir die drei. Die Schuta war noch immer eine schöne Frau. Sie besaß wohl einen sehr leidenschaftlichen Charakter und war jedenfalls mehr oder weniger die Vertraute ihres Mannes. Die beiden Andern waren alte Frauen, wie man eben dort tausend alte Weiber findet, durch nichts als durch ihre Häßlichkeit ausgezeichnet. Als ich fragte, wer sie seien, antwortete die Wirtin:

»Es ist meine Mutter und deren Schwester. Sie haben dich außerordentlich lieb, weil du der Mörder meines Bruders bist!«

»Ich verzichte auf ihre Liebe, und ihr Haß ist mir gleichgültig. Ich habe Deselim nicht ermordet. Er stahl mir mein Pferd. Er war ein schlechter Reiter, wurde abgeworfen und brach den Hals dabei. Habe ich ihn also ermordet?«

»Ja, denn du verfolgtest ihn. Hättest du das nicht getan, so wäre er nicht gezwungen gewesen, über das Wasser zu setzen und dabei vom Pferde zu stürzen!«

»Höre, du entwickelst da eine merkwürdig spaßhafte Ansicht. Wenn mir ein Dieb ein kostbares Pferd stiehlt, so wirst du mir wohl gütigst den Versuch erlauben, es wieder zu bekommen. Daß du gar wünschest, Allah möge mich dafür verfluchen, klingt nicht gut aus dem Munde eines zarten Weibes und ist außerdem eine große Unvorsichtigkeit von dir. Wie die Sachen stehen, solltest du dich sehr hüten, mich zu beleidigen. Ich habe die Macht, dich dafür zu bestrafen.«

»Und wir haben die Macht, uns dann zu rächen!« drohte sie in energischem Ton.

»So? Du scheinst über eure Kräfte sehr genau unterrichtet zu sein. Wahrscheinlich hat dein Mann dir kein geringes Vertrauen geschenkt.«

Ich sagte das, um sie zu einer Unvorsichtigkeit zu verleiten, in sehr spöttischem Ton, und wirklich fuhr sie auf:

»Ja, ich besitze sein volles Vertrauen. Er sagt mir alles, und so weiß ich auch ganz genau, daß du verloren bist!«

»Ja, ich konnte mir freilich denken, daß die Schuta alles wissen werde und . – «

»Die Schuta?« unterbrach sie mich. »Die bin ich nicht!«

»Pah! Leugne nicht! Kara Nirwan hat gestanden, daß er der Schut ist.«

»Das ist nicht wahr!« fuhr sie angstvoll auf.

»Ich lüge nicht. Er hat es in der Versammlung der Aeltesten zugegeben, als ich ihm sagte, daß er zu feig sei, es einzugestehen.«

»O Allah! Ja, so ist er! Den Vorwurf der Feigheit läßt er nicht auf sich liegen. Lieber bringt er sich und uns in das Verderben!«

»Mit diesen Worten schließest du dich seinem Geständnis an. Eigentlich habe ich mit euch Frauen nichts zu schaffen; aber du bist seine Vertraute und also seine Mitschuldige und wirst sein Schicksal teilen müssen, wenn du uns nicht Veranlassung gibst, dich mit Milde zu behandeln.«

»Herr, ich habe nichts mit dieser Sache zu schaffen!«

»Sehr viel sogar! Du warst jahrelang die Genossin des Verbrechers und mußt auch die Strafe erleiden. Der Schut wird jedenfalls hingerichtet werden.«

»O Allah! – Ich auch?«

»Ganz sicher!«

Die drei Weiber schrien laut auf vor Angst.

»Jetzt könnt ihr heulen,« fuhr ich fort. »Hättet ihr doch früher über euch selbst geschrien! Oder habt ihr wirklich geglaubt, daß Allah eure Missetaten nicht an das Licht des Tages bringen würde? Ich sage euch, daß alle eure Verbündeten verloren sind, und daß mancher von ihnen das Leben lassen wird.«

Die beiden Alten rangen die Hände. Die Schuta starrte eine Weile vor sich hin und fragte dann:

»Du sprachst vorhin von Milde. Wie meintest du das?«

»Ich meinte, daß man dich nachsichtiger beurteilen werde, wenn du die Veranlassung dazu gibst.«

»Und worin soll diese Veranlassung bestehen?«

»In einem offenen Geständnis.«

»Das hat mein Mann bereits abgelegt. Ihr braucht also nur ihn zu fragen, wenn ihr noch mehr wissen wollt.«

»Ganz recht. Ich habe auch gar nicht die Absicht, ein Verhör mit euch anzustellen und euch irgend welche Geständnisse zu erpressen. Die Untersuchung wird in Prisrendi geführt werden, und ich bin dabei nur als Zeuge beteiligt. Aber auf meine Aussage wird sehr viel ankommen, und du kannst es dahin bringen, daß ich ein gutes Wort für dich einlege.«

»So sage mir, was ich tun soll!«

»Nun, ich will aufrichtig mit dir sein. Ich und meine Gefährten, wir sind aus fremden Ländern. Wir werden in dieselben zurückkehren und nie wieder hierher kommen. Darum ist es uns ziemlich gleichgültig, wer durch euch hier beschädigt wurde und ob ihr dafür bestraft werdet. Weniger gleichgültig freilich ist uns alles, was ihr gegen uns unternommen habt. Da wir aber glücklicherweise mit dem Leben davongekommen sind, so fühlen wir uns zur Nachsicht geneigt, falls uns der Schaden ersetzt wird, welchen wir erlitten haben. Du kannst das deinige beitragen, daß dieses geschehe.«

»So viel ich weiß, hast du keinen Schaden gehabt.«

»Du scheinst wirklich ganz genau unterrichtet zu sein. Ja, den indirekten Schaden will ich nicht rechnen. Aber ihr habt den Engländer und auch den Kaufmann Galingré ausgeraubt. Ich hoffe, es ist noch alles vorhanden, was ihr ihnen abgenommen habt?«

Sie blickte, ohne zu antworten, nachdenklich vor sich nieder. Ihre Züge bewegten sich lebhaft. Es war ihr anzusehen, daß ein Kampf sich ihres Innern bemächtigt hatte. Aber ich traute ihr nicht zu, den für mich vorteilhaften Entschluß zu fassen. Auch hatte ich keine Zeit, mit vielen Worten in sie zu dringen, und wiederholte darum meine letzte Frage in dringendem Ton.

Da erhob sie langsam den Blick, sah mich auf eine ganz eigentümliche, mir rätselhafte Weise an und antwortete:

»Ja, Herr, ich glaube, es ist noch alles vorhanden.«

»Aber wo?«

»Im Jazlyk (* Schreibstube, Kontor.) meines Mannes.«

»Halt ein!« rief ihre Mutter erschrocken. »Willst du wirklich deinen Mann verraten? Willst du alles hergeben, was nun euer Eigentum geworden ist?«

»Sei still! Ich weiß, was ich tue,« antwortete die Tochter.

»Dieser Mann hat recht. Wir haben unrecht getan und müssen unsere Strafe leiden; aber diese Strafe wird um so geringer werden, je früher wir das Geschehene gut zu machen versuchen.«