Der Raubzug der Baggara

Text
Autor:
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Der Raubzug der Baggara
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

KARL MAY
DER RAUBZUG DER BAGGARA

REISEERZÄHLUNG AUS DEM ORIENT

Aus

KARL MAYS

GESAMMELTE WERKE

BAND 10

„SAND DES VERDERBENS“

© Karl-May-Verlag

eISBN 978-3-7802-1305-1

KARL-MAY-VERLAG

BAMBERG • RADEBEUL

Inhalt

DER RAUBZUG DER BAGGARA

1. Der ‚Vater des Windes‘

2. Der ‚Vater der Liebe‘

DER RAUBZUG DER BAGGARA
1. Der ‚Vater des Windes‘

Wir hatten einen anstrengenden Ritt hinter uns, denn wir kamen vom Dar Abu Uma herüber, das über siebenhundertundfünfzig Kilometer vom Nil entfernt ist, und mussten höchstens noch eine halbe Tagereise bis zu seinem westlichen Arm, dem Bahr el Abiad, machen. Wenn ich sage ,wir‘, so meine ich außer mir meinen tapferen Diener und Begleiter Ben Nil und einen echten Fori-Neger namens Marrabah. Dieser hatte das Gelübde getan, allein nach Mekka zu pilgern, und uns gebeten, ihn mitzunehmen, weil er bei uns Sicherheit vor den Sklavenjägern erwartete. Ich hatte ihm diese Bitte erfüllt, und da er die Gegend bis zum Nil genau kannte, so konnte er uns als Führer von Nutzen sein. Marrabah war als armer Teufel nur mit einem baumwollenen Hemd bekleidet und saß auf unserem Lastpferd, das während dieses Rittes kein Gepäck zu tragen hatte. Von seinen Waffen, einem alten Messer und einem noch älteren Spieß, war ich überzeugt, dass sie keinem Menschen schaden würden, da ihr Träger und Besitzer sich schon am ersten Tag als ein zwar guter Kerl, aber außerordentlicher Hasenfuß entpuppt hatte. Ben Nil und ich ritten junge kräftige Fadasihengste, Pferde, die im tiefen Wüstensand große Schnelligkeit entwickeln und im Wasser wie die Fische schwimmen.

Seit heute früh hatten wir den jetzt wasserlosen Nid en Nil weit von uns zur rechten Hand und so nahm ich an, dass wir den Bahr el Abiad ungefähr in der Gegend der Insel Abu Nimul oder der Mischrah[1] Om Oschrin erreichen würden. Die Gegend war eben; zur Regenzeit grünende Steppe, bot sie uns jetzt als kahle, ausgetrocknete Fläche nicht einen einzigen Grashalm, über den sich unsere Augen hätten freuen können. Dazu brannte die Sonne mit einer so verzehrenden Glut auf uns hernieder, dass wir um die Mittagszeit Halt machten, um den Pferden Erholung zu gönnen und die größte Tageshitze vorüberzulassen.

Wir saßen still beisammen und aßen einige Datteln. Da deutete Ben Nil gegen Osten und sagte:

„Effendi, da draußen am äußersten Horizont sehe ich einen weißen Punkt. Ob das wohl ein Reiter ist?“

Da ich der angegebenen Richtung den Rücken zukehrte, stand ich auf und drehte mich um.

„Siehst du ihn?“, forschte er weiter.

„Ja“, antwortete ich, „der Punkt, den du meinst, bewegt sich auf uns zu. Was so hell schimmert, ist ein weißer Burnus. Die Bewegung ist so rasch, dass es nur ein Reiter sein kann.“

„Ist er etwa bewaffnet?“, fragte da der Fori-Neger ängstlich.

„Natürlich! Jedermann geht hier mit Waffen, wie du weißt.“

„O Allah, Allah, bewahre mich vor dem neunmal geschwänzten Teufel! Meinst du, Herr, dass dieser Reiter uns feindselig angreifen wird?“

Die Furcht vergrößerte seine Augen und er spreizte alle zehn Finger aus, als ob er die Gefahr damit abwenden wolle. Da fuhr ihn der wackere Ben Nil zornig an:

„Schweig, Hasenfuß! Wie kann ein einzelner es wagen, uns, die wir zu dreien sind, zu überfallen! Und wenn es zwanzig wären, wir würden uns nicht fürchten. Wir haben den Elefanten und das Nilpferd gejagt, mein Effendi und ich, wir ganz allein haben gegen hundert Feinde gestanden, ohne dass es unseren Herzen eingefallen ist, schneller zu schlagen. Ich sage dir, solange du bei uns bist, wird es keinem Feind gelingen, dir nur ein einziges Haar zu krümmen. Aber leider wächst auf deinem Kopf nur die Wolle des Schafes anstatt des schönen Schmucks der tapferen Männlichkeit.“

Das war von meinem sonst so wortkargen Ben Nil nicht höflich gesprochen. Aber er hasste nichts so sehr wie Furchtsamkeit. Während der Zurechtweisung war der fremde Reiter näher gekommen. Er sah uns und hielt an. Jedenfalls überlegte er, ob er uns ausweichen oder sich zu uns wenden solle. Er entschloss sich für das Zweite und kam auf uns zugeritten. Der Fremde saß auf einem falben Beni-Schankolpferd und hatte den weißen Burnus so um sich geschlagen, dass wir nur die lange arabische Flinte erblickten, die er in der Hand hielt, nicht aber die anderen Waffen, die er im Gürtel trug. Kurz vor uns hielt er sein Pferd an und musterte uns mit Augen, die nichts weniger als freundlich auf uns blickten. Dann fragte er kurz:

„Wer seid ihr?“

Es fiel mir nicht ein zu antworten, auch Ben Nil schwieg. Der Fori-Neger duckte sich zusammen wie ein Huhn, über dem der Habicht schwebt.

„Wer seid ihr?“, wiederholte der Beduine strenger als vorher.

Da stand Ben Nil vom Boden auf, zog sein Messer und sagte:

„Komm herab, ich werde dich unterweisen, höflich zu sein! Man grüßt, wenn man sich begegnet, und spricht erst dann eine Frage aus, wenn man den Willkommen gegessen und getrunken hat.“

„Dazu habe ich keine Zeit“, murrte der Fremde, „ich bin ein Krieger der tapferen Baggara, ihr befindet euch auf unserem Gebiet und so habe ich ein Recht, zu wissen, wer ihr seid.“

„Das sollst du nun erfahren, da du uns vorher gesagt hast, wer du bist. Dieser Mann da hinter mir kommt aus Dar Fur und will nach der heiligen Stadt Mekka, um dort Allah und den Propheten zu verehren. Dieser hohe Herr da neben mir ist der weltberühmte Hadschi Kara Ben Nemsi Effendi und ich bin sein Diener und Begleiter Ben Nil.“

Der Baggara erwiderte in ruhigem, kaltem Ton:

„Ich komme vom Wasser des Nils und will in die Wüste, wo meine Gefährten sind, um Gazellen zu jagen. Nun wisst ihr es und werdet mir wohl auch sagen, woher ihr kommt und wohin ihr wollt.“

„Wir kommen vom Dar Abu Uma und wollen nach dem Fluss.“

„Nach welcher Stelle?“

„Das wissen wir noch nicht.“

„Wollt ihr etwa den fremden Muallim el Millet el Mesihije aufsuchen?“

Diese arabischen Worte bedeuteten zu deutsch ,Lehrer des Christentums‘. War vielleicht ein Missionar hier in der Nähe? Das musste natürlich meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen und darum antwortete ich an Ben Nils Stelle:

„Das wollen wir allerdings. Kannst du uns sagen, wo er zu finden ist?“

„Ja. Er hat sich auf der Dschesîre[2] Aba niedergelassen, um die dort wohnenden Gläubigen zu verführen. Allah verderbe ihn!“

„Aus welchem Land ist er gekommen?“

„Aus dem Bilâd el Ingelîs[3]. Wenn ihr von hier aus gegen Nordost reitet, werdet ihr morgen bei ihm sein. Seid ihr etwa auch verdammte Christen?“

„Ich bin einer“, antwortete ich ruhig.

„So lasse dich Allah in der tiefsten Hölle schmoren! Du besudelst mich!“

Er gab seinem Pferd die Sporen und ritt davon, in die Steppe hinein, die Richtung verfolgend, die er vorher eingehalten hatte.

„Effendi, soll ich nachreiten und ihn verprügeln?“, fragte mich Ben Nil zornig, indem er seine Nilhautpeitsche aus dem Gürtel zog.

„Nein. Ein solcher Mann kann mich nicht beleidigen.“

„Ja, du stehst viel zu hoch, als dass du es bemerken könntest, wenn so ein Taugenichts dich anquakt, der noch nicht einmal gelernt hat, sein Pferd zu behandeln. Hast du auch bemerkt, dass dieses ein Eisen verloren hatte?“

„Ja, am rechten Hinterhuf. Bekümmern wir uns nicht weiter um diesen Menschen!“

Die Baggara sind ausgezeichnete Reiter und wilde, verwegene Jäger, Krieger und Räuber. Man hält sie für die gefürchtetsten Araber des oberen Nils, und dies durchaus nicht mit Unrecht, wie sie in neuerer Zeit des Öfteren bewiesen haben, denn bei den Aufständen im Sudan haben sie stets die hervorragendste Rolle gespielt. Dass dieser eine, der jetzt hier bei uns gewesen war, ein Pferd mit nur drei Eisen ritt, galt mir als ein Zeichen, dass er sein Tier nicht schonte; bald jedoch sollte dieser Umstand mir wichtiger werden.

Wir brachen zwei Stunden nach Mittag wieder auf, ritten aber nicht nach Nordost, wie uns geraten worden war, sondern ostwärts, in unserer früheren Richtung weiter, weil wir da eher an den Fluss kamen. Wenn wir ihm abwärts folgten, konnten wir die Insel Aba und den englischen Missionar auch erreichen.

Der Weg ging wie bisher über öde, vertrocknete Steppe; sie war hart, malmte aber unter den Hufen unserer Pferde leicht in Staub. Darum war es kein Wunder, dass wir nach ungefähr einer Stunde eine Fährte, die aus Südwesten kam, gleich bemerkten. Sie war breit und ich stieg von meinem Pferd, um sie zu untersuchen. Bei genauer Prüfung zeigte es sich, dass diese Spur von wenigstens sechzig Pferden und Kamelen herstammte und gerade in der von uns beabsichtigten Richtung zum Nil führte.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?