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Buch lesen: «Der beiden Quitzows letzte Fahrten», Seite 14

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Die beiden Ritter wurden vorübergelassen und dann mit stürmischer Hast von hinten angefallen. Bei dem ersten Geräusch, welches die Huftritte der Pferde hervorbrachten, wandten sie sich um.

»Das sind Güntersberger,« rief Henning von Wedel; »wie kommen die hierher? Schlag fein sanfte zu, Bruder Heinrich, sonst zerspringen sie in Scherben. Nur immer leise, leise!«

Dabei richtete er seine stolze, herkulische Gestalt hoch im Sattel empor, ballte die gewappnete Faust und schlug damit den Wachtmeister, welcher mit einigen Knechten von der einen Seite herandrängte, während Simon die andere zu gewinnen suchte, so aufs Haupt, daß er vom Pferde sank; die Knechte folgten, ehe sie sich zur Flucht besinnen konnten, und dann erst griff er zum Schwerte, indem er Simon von Güntersberg, dessen Hiebe er bisher gleichgültig hingenommen hatte, zurief:

»So macht man es mit den Knechten; der Ritter aber soll auch ritterlich bedient werden!«

Gleich mit dem ersten Streiche schlug er ihm den Degen in Stücke, dann faßte er ihn beim Wamms, riß ihn mit der Linken herüber, so daß er nur mit einem Fuße im Bügel hing, und erhob die Waffe zum tödtlichen Stoße.

»Gnade oder nicht?!« frug er kurz und gebieterisch.

»Gnade!« bat der so hart Bedrängte.

»So soll sie Euch werden gegen die schuldige Sühne!«

»Auch schon fertig?« rief in diesem Augenblicke lachend Heinrich von Bork, indem er auf Janeke von Stegelitz deutete, welcher abgestiegen war und blutend an seinem Pferde lehnte.

»Bei solchen Streitern ist des Vergnügens zu wenig und des Jammers zu viel. Ein einziger Schwerthieb bringt einen gefangenen Ritter und drei Knechte an den Boden. Und dazu kommt dort noch der Kremzow hinter uns her mit seinem Haufen. Die können nur immer umkehren, denn nun wir die Herren haben, brauchen wir den Dörfern nichts zu thun!«

Wirklich nahte ein Haufen Reisiger, an deren Spitze Henning von Kremzow ritt. Sie hatte im Begriffe gestanden, einen Streifzug auf das Güntersbergische zu machen und wunderten sich nicht wenig, die beiden vornehmsten ihrer Gegner hier so plötzlich und unerwartet gefangen zu sehen. Diese wurden ihrer Waffen entledigt und in die Mitte genommen.

»Ihr befandet Euch auf der Jagd, wie ich aus Eurer Ausrüstung sehe. Wo habt Ihr Euer Geräthe und Diejenigen, welche bei ihm wachen müssen?« frug Henning von Wedel. Aber er erhielt keine Antwort, und nur nach langem Drängen rief Simon von Güntersberg erbost:

»Sucht selbst, ich mache Euern Fanghund nicht!«

»Gut, vielleicht waren die Herren auf der Beitze, und dann führten sie wohl auch das »Röslein von Güntersberg« mit, wie Eure Tochter ihrer Lieblichkeit wegen genannt wird. Ich kenne sie nicht und habe sie schon längst gern sehen mögen.«

Die Unruhe, welche sich bei diesen Worten in den Zügen Simons nicht verkennen ließ, bestätigte sein Vermuthen, und so gab er den Befehl, daß die Gegend sofort und treulich abgesucht werden solle; er selbst werde dabei helfen.

»Ihr wißt, Herr Simon, daß wir einst gute Freunde waren, ehe Der von Stegelitz Euch den Kopf verdrehte. Damals hat Euer Töchterlein oft mit meinem Buben gespielt, und ich habe es auf meinen Knieen geschaukelt. Der Bube ist in die Fremde, aber er kehrt bald wieder, und da wäre es doch schön, wenn er die Gespielin wiederfände. Ich werde sie für ihn suchen!«

Diese scharf gesprochenen Worte, scheinbar eine Freundlichkeit enthaltend, erfüllten den Vater mit bitteren Befürchtungen. Er mußte den Knechten folgen, welche ihn davonführten, und die einzige Hoffnung, welche ihm blieb, war diejenige auf die Umsicht und Treue des Falkenmeisters, dem er sein Kind anvertraut hatte. Mit stillem Grimme dachte er an die Unvorsichtigkeit, mit welcher er, der Mahnung desselben entgegen, dem Willen Dessen von Stegelitz nachgegeben hatte, nachdem ihnen doch gleich vorher durch Friedrich von Wedel eine ernste Lehre geworden war. Er selbst konnte möglicherweise, von einem günstigen Umstande unterstützt, sich seiner jetzigen Lage noch entziehen; wurde aber auch Brunhilde gefangen, so wurde die Lösung schwieriger und mit größeren Opfern verbunden. Darum gelobte er sich, Friedländer stets in hohen Ehren zu halten, wenn es diesem gelänge, das Mädchen glücklich nach Güntersberg zu geleiten. —

Kapitel 9: Unter den Vitalienbrüdern

Im Norden der germanischen Länder vermählt sich der atlantische Ocean durch das deutsche Meer und die Ostsee mit den niedrigen Küsten, welche weich und niedrig in die Fluthen steigen, um sich in dem »Millionentropfen« zu baden, wie eine alte scandinavische Heldensage das Meer benennt.

Die ausgedehnte Wasserstrecke des Nordostens gehört dem fast abgeschlossenen und beschränkten Binnenmeere der Ostsee an, welche von kalten, meist ziemlich unfruchtbaren, schwachbevölkerten und nur langsam civilisirten Landesgrenzen umschlossen wird. Dort waren die wechselvollen Winde und der kurze, krause Wellenschlag von jeher keineswegs geeignet, zu weiten Schifffahrtsversuchen mit gebrechlichen Fahrzeugen zu ermuthigen. Dazu kam, daß die einspringenden Buchten des baltischen Meeres oft erst im späten April von den Eisdecken des langen Winters befreit wurden, die Küsten wenig natürliche Anlage zur Hafenbildung zeigten, lange Strecken derselben durch einen seltsamen Dünenkranz gesperrt waren und die Verbindung des Binnenlandes mit der hohen See durch die Seichtigkeit der kleineren Flüsse ebenso bedroht wurde wie durch die unaufhaltsame Versandung der Mündungen der größeren Stromgewässer.

Auch die Nordsee, oder wie sie richtiger heißt, das deutsche Meer hat noch viel von der Lage eines Binnenmeeres. Sein kürzester Weg von Deutschland aus in den freien Ocean führt durch die enge Straße von Calais, die eben so leicht durch fremde Seemächte versperrt werden, wie durch ihre gefahrvollen Strömungen abschrecken konnte. Auch die langgestreckten Küsten dieses aufgeregtesten aller Meere leiden einen empfindlichen Mangel an geschirmten Häfen und Schiffsstationen, an sicherem Fahrwasser und windstillen, bergenden Golfen. Ueberdies sind sie zu jeder Zeit ungeheuren Veränderungen und Verheerungen durch furchtbare Sturmfluthen ausgesetzt gewesen, welche von Nordwesten über das Land hereinbrachen und mit ihren Wogenkrallen ganze Landestheile in den nimmersatten Schlund des Meeres rissen. Aber der dort wohnende Volksstamm der Friesen und Sachsen hat es jederzeit verstanden, dem Elemente zu trotzen, das Küstenland durch kostspielige Dämme und Deiche zu schützen und im Kampfe mit dem Meere demselben immer wieder neuen Boden abzugewinnen, und seine Angehörigen sind es gewesen, welche sich seit uralten Zeiten mit nie gebrochenem Muthe auf die trügerischen Wogen hinausgewagt haben.

Ja, es gab eine Zeit, in welcher Deutschland auf den beiden nordischen Gewässern und weit über sie hinaus eine weltgeschichtliche Bedeutung erlangte. Dies war die Glanzperiode der deutschen Hansa. Dieser ursprünglich von Hamburg und Lübeck abgeschlossene Handelsbund umfaßte nach und nach über achtzig Städte, hatte mehrere ausländische Kolonien und zeichnete sich durch merkwürdige, fast klösterliche Einrichtungen aus. Damals fehlte für die nordischen Seen noch die Weltverbindung durch die Oceane; der Verkehr war meist nur auf die angrenzenden Meerbusen und Binnengewässer beschränkt; die an der Nord— und Ostsee wohnenden außer-deutschen Völker hatten jene hohe und geordnete Kraftentwicklung auf der See noch nicht begonnen, durch welche sie den Deutschen später einen so gewaltigen Vorsprung abgewannen, und es wurde die Hansa ganz unberufen des Reiches Seemacht, welche mit Klugheit, Muth und zäher Ausdauer alle Vortheile benutzte, sich zur kräftigsten und ausgedehntesten Geltung zu bringen. Die Entdeckung und kaufmännische Belebung ferner Straßen und Länder, die Weiterverpflanzung des Christenthumes, die Erziehung der Marine und des Handels von Großbritannien, die Bändigung der ungezähmten Normannen, die Niederhaltung der dänischen Herrschaft, die Entscheidung über die Besetzung des schwedischen Thrones, die Befreiung der Meere vom Raubgesindel, welches dieselben unsicher machte, eine weit verzweigte Colonisation an und auf dem baltischen Meere und die Sicherung ihrer Freiheit gegen Vergewaltigung durch äußere Feinde, das alles war das Werk ihres kräftigen und nachdrucksvollen Handelns. Ein ganzes Heer von wohlbewaffneten Söldnern stand in ihrem lohnenden Dienste, um ihre Karawanen gegen das verwegene Raubritterthum zu schützen; ihre Gesandten und Bevollmächtigten standen in hoher Geltung bei allen Fürsten und Höfen; ihre Gelder thaten Wunder; ihre Protection galt oft mehr als die Freundschaft eines Königs, und ihre Schiffe durchfurchten den Ocean nach allen Richtungen, in denen es möglich war, Macht und Ansehen zu vergrößern und den Reichthum zu vermehren.

Wie zu Lande, gab es damals auch zur See eine Menge Leute, welche ernteten, da sie nicht gesäet hatten und am liebsten nach dem griffen, was ihnen nicht gehörte. Ein wohlbemanntes und gutgebautes Fahrzeug auf offenem Meere bildete gewissermaßen einen kleinen souveränen Staat, der sich keiner fremden Macht unterwarf, seine eigenen Gesetze und Bestimmungen hatte und nur dann einmal sich in fremden Dienst stellte, wenn er seinen Vortheil dabei fand. Diese Art Leute führten ein freies, ungebundenes, Wechsel— und abenteuervolles Leben, und es war daher nicht zu verwundern, daß grad’ die unruhigsten und unternehmendsten Character die Planken eines Kapers suchten und fast täglich Thaten verrichtet wurden, welche des Heldenthums würdig gewesen wären, wenn sie einen edleren Zweck gehabt hätten.

Eine Gesellschaft besonders war es, welche zwar nicht unter sich geschlossen, aber doch zusammenhängend und vielfach in ihren einzelnen Gliedern verbunden, das Handwerk der »freien See« im ausgedehntesten Maßstäbe betrieb und eine solche Macht bildete, daß selbst Fürsten nach ihrem Beistande strebten. Es waren die Vitalienbrüder, unter welche uns jetzt der Gang unserer Erzählung führt. —

Wenn man von Hamburg aus die Elbe abwärts fährt, so gelangt man an die Insel Neuwerk, welche in der Mündung des Stromes liegt und aus einem öden, flachen Marschlande besteht.

Es war ein unfreundlicher Abend, an welchem es sich bei dem flackernden Heerdfeuer besser saß als draußen im Freien. Ein hohler Nordwest strich pfeifend über das vollständig im Dunkeln liegende Eiland und peitschte die großen, schweren Regentropfen gegen die geschlossenen Läden einer armseligen Hütte, welche einige Hundert Schritte entfernt vom Rande lag. Da öffnete sich die Thür; ein heller, schmaler Lichtstreifen fiel durch dieselbe in die Nacht hinaus und beleuchtete eine kleine, verschobene Männergestalt, welche, die Augen mit beiden Händen gegen das Wetter schützend, das Dunkel zu durchdringen strebte.

»Mach’ die Thür zu, Heinrich,« rief hinter ihm eine tiefe, rauhe Weiberstimme; »der Regen schlägt herein, und der Wind bläst mir das Feuer durch die Esse! Auch ist es Mitternacht, und die ist keines Menschen Freund. In der Weidenbucht hat es gestern wieder einmal so sonderbar gepurzelt; das kostet ein Menschenleben, und der alte Willrich hat mir erst heut erzählt, daß sich das schwarze Schiff im Flusse sehen läßt; das giebt wieder Blutvergießen, wie damals im Herbste, als es dreimal hinter einander gesehen wurde und gleich darauf die vielen Leichen angeschwommen kamen. Man hat sie aufgefischt, aber nie erfahren können, woher sie stammten.«

»Und das ist ganz gut, denn sonst hättest Du Dir über jede einzelne eine Gespenstergeschichte ausgesonnen, die ich täglich zehnmal anzuhören bekäme.«

»Eine Gespenstergeschichte? Denkst Du etwa, daß ich abergläubisch bin? Noch lange nicht so, wie die Rieke Hannecken, nein, gar nicht so, sage ich Dir, aber es giebt doch zwischen Himmel und Erde Dinge, die man nicht verstehen kann; und was von der Erde fort ist und nicht in den Himmel darf, wo soll denn das anders zu finden sein, als in der Luft und auf dem Wasser! Die Rieke Hannecken hat mir erst vorhin gesagt, daß – —«

»Sei still mit Deiner Rieke Hannecken,« gebot der Kleine, indem er die Thür wieder schloß und sich zurück an das Feuer setzte; »ich mag von dem Weibe nichts wissen!«

»Das weiß ich wohl. Du magst von gar Niemanden mehr etwas wissen, auch von mir nicht. Alle Tage bist Du fort, und kommst Du des Abends ja nach Hause, so bleibt das Lager leer und Du gehst bei Wind und Wetter am Strande draußen spazieren. Ich habe es bisher gelitten und mir im Stillen den Kopf darüber zerbrochen, was Du nur immer auswärts zu suchen hast.«

»Laß das nur unterbleiben; es hilft Dir doch nichts!«

»So? Ich als Frau soll Dich täglich fortlassen, ohne einmal nachdenken zu dürfen, wo Du hingehst? Und mein Sinnen hilft mir doch nichts? Hältst Du Dich wirklich für so klug, daß ich nicht erfahren sollte, was Du treibst und was Dir anliegt? Liebesgedanken sind es, Liebesgedanken, denen Du nachhängst, die Rieke Hannecken hat es mir gesagt! Ein Mann, der mit seiner Frau nicht spricht, immer ohne ihren Willen fortgeht, sich schlaflos auf dem Lager herumwälzt und sich keine Rede und Antwort abkaufen läßt, der ist verliebt, hat sie gesagt. Es ist auch vor kurzer Zeit Eine bei Ihr gewesen, der hat sie eine Latwerge von Salbey, Beifuß und Gänsekropf machen müssen, und das ist ein Trank, der auch den treuesten Ehemann von Sinnen bringt, wenn er zur guten Zeit und im richtigen Tempo gebraut wird. Besinne Dich, wo Du so etwas getrunken hast!«

Der Krüppel sah die lange, starkknochige und schnurrbärtige Frau mit einem verächtlichen Blicke an.

»Glaubst Du denn wirklich, daß sich ein vernünftiges Weibsbild in mich verlieben könne?«

»Ja, das glaube ich, das glaube ich sehr, denn ich bin Dir auch gut gewesen.«

»Daran hat mir niemals viel gelegen.«

»Das weiß ich; aber ich wollte Dich nun einmal haben, denn die Rieke Hannecken sagte, es würde nun bald Zeit, daß ich mir endlich Einen nähme. Da bin ich zu Deiner Mutter gegangen; die hat Dir den Kopf zurecht gesetzt, und so sind wir zusammengekommen.«

»Ja, die Rieke Hannecken ist an gar manchem Unheile schuld!«

»Das sagst Du, weil Du sie nicht leiden magst; ich aber weiß, was sie kann. Als ich von den zwölferlei Gicht die neunte Sorte hatte und vor Schmerz keinen Augenblick schlafen konnte, da hat sie mir in drei Tagen geholfen. Die Gicht kam zwar schon nach kurzer Zeit wieder, aber das war wieder eine andre Art, nämlich die elfte. Und dann, als ich mit dem bösen Herzgebreste beladen war, da hat sie bei mir gewartet, bis der Spuk erschienen ist, und sich eine volle, geschlagene Stunde mit ihm herumgebalgt, bis er vor ihr fliehen mußte. O, die Rieke Hannecken, sie glaubt gar Vieles, was ich nicht glaube, aber sie hat mir erst heut früh gesagt – —«

»Daß Du eine alte Ziege bist, die nichts weiter als dummes Zeug mäckert!« fiel er ihr in die Rede, indem er sich erhob, die Thür von Neuem öffnete und trotz des Regens die Hütte verließ.

Er schritt dem Strande zu, der sich an dieser Stelle nach einwärts bog und eine kleine Bucht bildete, deren Rand mit dichtem Weidengestrüpp bewachsen war. Dies war die Weidenbucht, von welcher die Frau gesprochen hatte. —

Sich gegen Wind und Strom wendend, strengte er seine Sinne an, ob sich vielleicht irgend ein ungewöhnliches Geräusch vernehmen lasse; aber das Heulen des Windes überbot jeden andern Laut, so daß ein Ruderschlag selbst aus großer Nähe wohl nur schwer hätte gehört werden können. So stand er eine ganze Zeit; da plötzlich schrak er zusammen: es hatte ihn eine kräftige Faust beim Arme gepackt.

»Bist Du es, Heinrich, oder ist es ein unberufener Lauscher, dem ich die Neugierde vertreiben muß?«

»Teufel noch einmal, laß los, Daniel! Du zermalmst mir die dünnen Knochen ja vollständig!«

»Gut, so habe ich doch recht gesehen in dieser Höllennacht. Warum hast Du mich nicht angerufen?«

»Sehr einfach: weil ich Dich weder gesehen noch gehört habe. Der alte Blasius thut heut ja über die Gebühren! Meine Hütte wackelt in allen Fugen und meine furchtsame Hausehre sieht Gespenster von allen Farben.«

»Nimm ihr das nicht übel; es geht ja oft auch ganz gespenstermäßig zu auf dem Stückchen Erde, wo Du unser Nachtkönig bist. Und so lange die Leute hier an Gespenster glauben, so lange können wir hier auch ungestört unser Wesen treiben. Ist Alles sicher?«

»Ja, bringst Du Güter?«

»Nein, diesmal nicht. Habe etwas Besseres geladen, was mir aus Hamburg zugeschickt worden ist.«

»Etwas Besseres als Güter? Hm!«

»Du denkst, es giebt überhaupt nichts Besseres als eine gute und billige Sorte von gewissen Waaren?«

»Ich habe stets so gemeint. Was hast Du?«

»Einen Pfaffen.«

»Einen Pfaffen? Pfui Teufel!«

»Nur sachte, sachte! Es scheint mir eine ganz absonderliche Art von Pfaffe zu sein.«

»Inwiefern?«

»Da, sieh einmal hinaus auf’s Wasser! Möchtest Du jetzt, zu dieser Stunde, in dieser Finsterniß, bei diesem Winde und trotz des Eistreibens auf meinem morschen Kahne eine Fahrt versuchen?«

»Das möchte ich mir doch vorher erst einmal überlegen!«

»Da hast Du es! Und dieser fromme Mann hat Zeit seines Lebens noch keinen Fuß in einen Kahn gesetzt und kommt gar weit her aus dem Binnenlande. Dennoch aber hat er mir fast gute Worte gegeben, ihn herüber zu schaffen, weil seine Sache Eile habe.«

»Allerdings gehört er da nicht zu Denen, welche blos singen und beten, fasten und sich kasteien und vor lauter Angst das böse Wesen bekommen, wenn sie das Wasser nur riechen. Wo ist er denn eigentlich her?«

»Er thut in Allem sehr geheimnißvoll, aber so viel habe ich vernommen, daß er aus den Marken kommt und Pater Eusebius heißt. Er brachte mir das geheime Zeichen mit; er hat es in Hamburg bekommen, und ich muß ihm also zu Diensten sein.«

»Und was will er hier?«

»Er will nach dem Wiking.«

»Nach dem Wiking? Mir scheint, der Kerl hat Muth! Was mag er dort wohl zu thun haben?«

»Er hat kein Wort verlauten lassen. Ich übergebe ihn Dir; das Uebrige ist Deine Sache.«

»Bringe ihn her!«

Der Mann entfernte sich und kehrte bald darauf in Begleitung eines zweiten zurück.

»Wir sind mit einander fertig,« sagte er zu diesem; »von jetzt an habt Ihr Euch mit Euren Wünschen an diesen hier zu wenden!«

Pater Eusebius wollte Etwas erwidern, aber der Sprecher war nach dem letzten seiner Worte schon im Dunkel der Nacht verschwunden. Hinrich ergriff ihn bei der Kutte und zog ihn mit sich fort.

»Kommt!« mahnte er ihn; »es ist heut nicht gut sein im Freien!«

Die ganze vorherige Unterhaltung war nicht gesprochen, sondern geschrieen worden, da eine jede gewöhnliche Rede im Winde vollständig verklungen wäre. Darum gab Hinrich auch jetzt nur in kurzen Worten die einzelnen Weisungen, welche nothwendig waren, ihm durch die Finsterniß folgen zu können, und schritt über den morastigen Boden bis in die Mitte einer kleinen, mit Binsen bewachsenen Fläche, wo er sich bückte, um eine Fallthüre empor zu heben, welche mit Erde und Pflanzenwerk so verdeckt war, daß man sie selbst am hellen Tage wohl nur schwer und bei vorsätzlichem Suchen von ihrer Umgebung hätte unterscheiden können.

Er führte den Pater eine Reihe von Stufen hinab, welche aus Rasen aufgesetzt waren, brannte unten ein Licht an, dessen kleines, düsteres Flämmchen einen nur höchst zweifelhaften Schimmer um sich her verbreitete, und verließ ihn dann mit den Worten:

»So, jetzt seid Ihr geschützt vor der Unbill des Wetters. Wartet zu, bis ich nach einiger Zeit wiederkomme, um Euch weiter zu führen.«

Der Pater sah sich in einem primitiv ausgegrabenen, nassen Loche, zu dessen Boden die erwähnten Stufen hinabführten, wo sich auch eine mit Rasen belegte Erdbank befand. Jedenfalls wurde die Grube nur benutzt, um Personen oder Güter auf kurze Zeit zu verstecken und vor Späheraugen in Sicherheit zu bringen. Der nasse Moorboden eines mitten in der Elbe gelegenen Inselchens war keineswegs geeignet, einen angenehmen Aufenthalt zu bilden, und dazu kam die Unsicherheit seiner Lage, welche das Ihrige dazu beitrug, ihm den gegenwärtigen Augenblick so unbehaglich wie möglich zu machen. Gern hätte er mit dem kleinen Buckligen ein Gespräch angeknüpft, um aus demselben wenigstens zu sehen, wessen Geistes Kind der Mann sei, dem er sich hier jetzt hatte anvertrauen müssen; dieser aber hatte das Loch zu schnell verlassen und schritt nun nachdenklich seiner Hütte wieder zu.

»Ein Pfaffe, der zu Rolf Vendaskiold auf den »Wiking« will,« dachte er während des Gehens bei sich; »das ist eine so seltsame Sache, daß sie noch nicht einmal mir vorgekommen ist, und ich habe doch schon gar Vieles erlebt und erfahren. Das wird gewiß eine sehr fromme Messe werden, welche die beiden Herren mit einander lesen, und wehe Dem, der dazu die Hände falten muß! Und aus den Marken kommt er? Das soll ein schauderhaft fernes Land sein, wo sie einander zum Vergnügen die Gurgeln sammt den Köpfen abschneiden. Vielleicht ist es der Leibpfaffe des dortigen Herzogs oder Kaisers, der den Vendaskiold haben soll, damit er mit seinen Mannen einmal Ruhe und Ordnung im Lande stifte. Die Gegend muß um Afrika herum im großen Meere liegen, denn der »Wiking« kann auf dem Flusse nicht vorwärts, weil er zu groß ist, und muß immer offene See und tiefes Wasser haben. Ich wollte, ich könnte mit; da käme ich doch einmal von meinem alten Hausdrachen los, obgleich ich meine Gurgel auch noch anders gebrauchen kann, als sie mir in den Marken abschneiden zu lassen. Dort soll auch der böse Diez hausen, von dem sie hier den Kindern allerlei Grauliches erzählen, wenn diese keine Ruhe geben wollen. Nein, ich will doch lieber auf meiner Insel und bei meinem Ehekreuze bleiben, als mich von diesem vielleicht gar noch viertheilen lassen, es ist ja so nicht gar absonderlich viel zu meinem Bischen Fleisch!«

Mit diesen Schlußgedanken trat er in die Hütte. Die Frau hatte sich gelangweilt und empfing ihn mit Scheltworten.

»Du kannst es doch nicht lassen, Dich draußen herumzutreiben. Bist naß bis auf die Haut, und wenn Du Dich am Feuer wieder trocken gebraten hast, so gehst Du wieder hinaus, um von neuem naß zu werden. Ich habe nun alle Arten von den zwölferlei Gichten durchgemacht, nur die fünfte noch nicht, und halte mich doch wie ein Hühnchen; Du lebst wie ein wildes Thier, und weißt noch nicht einmal von der ersten oder zweiten Sorte etwas. Ich muß nur einmal die Rieke Hannecken fragen, wie das zugeht. Vielleicht könnten wir uns in die zwölf Gichten theilen, Du sechs und ich sechs, dann hätte ich weniger auszustehen und Du bliebest besser daheim bei mir. Ja, ja, ich muß sie einmal fragen, ob sie die Gicht theilen kann!«

»Ich wollte, sie könnte es, dann würde ich ihr meine Hälfte lassen, damit sie für ihren Hokuspokus auch etwas bekommt.«

»Hokuspokus? Das redet nur der Unverstand! Als

Du die Füße voller Leichdornen hattest und ich ihr Deine Strümpfe bringen mußte, um die Dornen einspinden zu lassen, hat es Dir da nicht wohlgethan?«

»Jawohl haben mir die Leichdornen auch fernerhin wohlgethan, aus den Strümpfen aber hat sie sich ein Busenkissen bereitet, welches gegen die bösen Dünste und giftigen Dämpfe hilft, wenn es von einem Manne kommt, dessen Weib ihm noch kein böses Wort gesagt hat.«

»Dann muß es auch helfen, denn ein so ruhiges und friedsames Weib, wie ich, giebt es gar nicht wieder. Die Rieke Hannecken hat mir erst vorgestern gesagt, daß es so ist.«

»Ich wollte nur, sie sagte es mir einmal, dann wollte ich ihr auch ohne Busenkissen für die giftigen Dämpfe thun!«

»Du kannst sie einmal nicht leiden, und darum – Jesus, Maria und der heilige Vater Joseph, was war das!« unterbrach sie sich mitten in der Rede. »Alle guten Geister loben Gott den Herrn, alle guten Geister loben – – – —«

»Sei ruhig mit Deinem Geplärr!« rief er ihr zornig zu. »Der Satan thut Dir sicherlich nichts; wenn er draußen ist, da frißt er zehnmal lieber mich!«

Es hatte einen Schlag wider die Thür gegeben, und Hinrich erhob sich, um nach der Ursache desselben zu sehen. Seine Frau trat ihm zitternd in den Weg.

»Hinrich, was willst Du thun! Heut’ ist die Luft voll böser Geister, und wenn der Wind einen derselben gegen die Thür wirft und Du gehst hinaus, so faßt er Dich und fliegt mit Dir davon. Bleib hier, ich bitte Dich inständig; denke an Dein armes Weib und sieh lieber morgen am Tage nach, was es gewesen ist!«

»Mir soll es ganz recht sein, wenn er mich mit fortnimmt; dann lasse ich mich später auch einmal gegen die Thür werfen und hole Dich nach. Laß mich!«

Er befreite sich von ihren Händen und öffnete die Thür; der Wind trieb die Flamme hoch in den Schornstein hinauf und riß Alles, was nicht niet— und nagelfest war, von den Wänden herab. Die Frau flüchtete sich unter lautem Kreischen in die Ecke, Hinrich aber schloß den Eingang und schritt, wie vorhin, nach der Weidenbucht. Dort standen mehrere dunkle Gestalten, von denen eine ihm entgegenkam.

»Hast Du noch Raum?« frug der Mann, indem er die hohlen Hände an den Mund legte.

»Genug!« antwortete Hinrich in der gleichen Weise.

»So löscht die Ladung!« gebot der Erstere dem Anderen.

Trotz des Windes, der jede freie Bewegung erschwerte, begann jetzt ein reges Treiben. Säcke, Packete und allerlei Güterzeug wurden landeinwärts getragen. Kein Wort fiel dabei, kein Wink wurde gegeben, keine Pantomime, kein Zeichen gewechselt. Die Männer mußten sowohl ihre Geschäfte, als auch die Oertlichkeit sehr genau kennen. Als sie wieder bei einander am Ufer standen, frug Derjenige, welcher der Anführer zu sein schien:

»Hast Du etwas für uns?«

Hinrich nickte und winkte ihm dann, während er den Andern bedeutete, zu warten. Nach wenigen Schritten standen sie vor der Fallthür; diese wurde geöffnet und die Beiden stiegen hinab. Hier unten war das Sprechen weniger beschwerlich. Der Fremde betrachtete den Pater, welcher sich erhoben hatte, aufmerksam, dann frug er:

»Wer seid Ihr?«

»Ich kenne Euch nicht und bitte um das Zeichen!« antwortete der Gefragte.

»Ihr seid vorsichtig, frommer Herr. Hier ist es!« Er zog ein langes, breites Entermesser aus der Scheide; am oberen Theile der Klinge war ein Schiff eingegraben, unter welchem die Worte »Wiking« standen. »Wo habt Ihr das Eurige?«

Der Pater hielt ihm ein Metallstück entgegen, welches dasselbe Zeichen trug. Der Mann nahm es ihm ab.

»Alles richtig. Ihr braucht es nun nicht mehr. Nun sagt, was Euer Begehr ist!«

»Ich muß Rolf Vendaskiold sprechen.«

»Müßt Ihr das wirklich?«

»Ja. Es giebt zu Lande der Sünde und Verderbniß so viele, daß die Streiter des Herrn ihren Fuß auf die Wogen des Meeres setzen, um ihre errettenden Thaten zu thun.«

Ueber das Gesicht des Schiffers flog ein undefinirbares Lächeln.

»Das haben wir schon längst gewußt, frommer Vater, darum sind wir fortgegangen von den Sündern und haben uns auf dem Wasser der Gottseligkeit geweiht. Es wird uns hohe Freude bereiten, Euch in unserer Mitte zu sehen, denn schon längst war es unser sehnlichstes Verlangen, uns an dem Vorbilde eines heiligen Wandels zu erquicken und Trost für unsere Mühsal und Beschwerde in dem Trachten nach dem Reiche Gottes zu suchen.«

»Ihr seid auf einem guten Wege, mein Sohn; die Gnade von oben wird ihn Euch beleuchten und alles böse Gezücht versengen, welches den giftigen Stachel auf Euch wetzt. Aber mein Wandel wird Euch nicht lange zum Muster dienen, denn ich muß sehr bald wieder von Euch scheiden, nachdem ich mein frommes Werk bei Rolf beendet habe.«

»Das ist mir leid, und dazu muß ich Euch sagen, daß es ein großes Wagniß ist, den »Wiking« zu betreten, um den Herrn zu sprechen. Er ist ein strenger und finsterer Mann und mag es nicht leiden, wenn Fremde zu ihm kommen. Die Botschaft muß eine wichtige sein, wenn er des Boten schonen soll, und es sind ihrer gar Viele nicht wieder dahin zurückgekehrt, woher sie kamen, weil sie Strafe leiden mußten für die Verwegenheit, ihn mit unnützen Dingen zu belästigen.«

»Das Wort eines Priesters ist niemals unnütz; es ist mehr werth als Gold, und wiegt Edelsteine und Perlen auf. Führt mich nur immerhin zu ihm! er wird mich hören, sich meiner Worte freuen und ihnen einen kindlichen Gehorsam schenken.«

»So kommt, nehmt Eure Kutte fest um Euch, sonst werdet Ihr von dem Winde durch die Luft geführt!«

Sie verließen die Grube, welche Hinrich verschloß, und schritten der Weidenbucht zu. Dort nahm der Bucklige kurzen Abschied von den beiden Andern und schritt dem Häuschen zu.

»Solche Kerls giebt es doch auf der ganzen See nicht wieder; in einer solchen Nacht mit einem schwer beladenen Kahne diese Fahrt zu unternehmen, das können nur die Wikinger wagen; vor anderem Besuche bin ich vollständig sicher. Morgen Abend kommen nun die Hamburger, um die Waaren abzuholen. Das giebt wieder eine angestrengte Nacht und einige Gespensterstücke für mein Weib. – Was doch der Pfaffe will! Der Heuchler thut so fromm und sanft wie ein Täubchen, und doch lasse ich mich auf der Stelle spießen, wenn er nicht irgend eine schlimme Sache im Schilde führt. Diese Art von Leuten kennt man, und der Rolf kennt sie vielleicht am allerbesten, denn er soll in eine unbeschreibliche Wuth gerathen, wenn ihm eine Kutte vor die Augen kommt. Vielleicht haben sie ihn auch auf die See getrieben, weil die Gottlosigkeit zu Lande gar so groß und haarsträubend ist, und nun freut er sich bei dem Anblicke einer Tonsur grad’ so, wie sich der Haifisch freut, wenn ihm ein fetter Bissen in den Rachen schwimmt. Da ist die Thür. Na, für heut’ wird es wohl nicht viel Geisterspuk mehr geben, wenn sich die Männer nicht noch einen Spaß mit meiner Eheliebsten machen!«

Mit diesen Trostgedanken trat er ein. Die Frau kauerte noch immer furchtsam in der Ecke, in welche sie sich geflüchtet hatte. Bei dem Anblicke des Gatten erhob sie sich.

»Ich glaubte schon, sie hätten Dich zerrissen und in alle Winde gestreut. Du bist so lange weg, und ich wäre ganz gewiß gestorben, wenn ich die Nacht allein hier hätte bleiben müssen. Die Rieke Hannecken sagte mir erst vor ganz Kurzem, daß ich Dich nicht mehr hinaus lassen sollte, wenn es draußen heult und spukt. Hast Du Etwas gesehen?«

»Ja, sie spielten wie die Mücken in der Luft herum und guckten mich mit Augen an, so groß wie die Wagenräder; sie hatten Drachenschwänze und Geierkrallen und auf dem Rücken einen Kamm, auf dem die Funken spielten.«

»Jesus, Maria und der heilige Vater Joseph, und sie haben Dir nichts gethan?!«