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Münchhausen

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Zehntes Kapitel

Tatsache: In Gegenwart der Polizei erscheint weder Dämon noch Engel

Ein Zwischenfall, der sich an einem der folgenden Tage ereignete, wandte auf einen Augenblick unsre gespannten Erwartungen von dem nächstkünftigen Mittwoch ab. Mit dem wachsenden Flor der Schnotterbaumschen Wunder hatte sich nämlich das Etablissement nach und nach wieder zu bevölkern angefangen. Zuerst war der Gergesener aufs neue grunzend geworden, dann kehrten mit den Hellseherinnen die drei Geister und zwei Geistinnen zurück, nur die zweite Hälfte des Kindsgeistes mußte sich verirrt haben, denn sie blieb aus. Unser Lager war demnach wieder vollständig assortiert und wir taten uns nicht wenig auf unsern Reichtum zugute.

Aber nicht bloß bei uns herrschten die besten dämonischen Umstände, auch über das ganze Städtchen hatte sich der Segen ergossen. Es gab in ganz Weinsberg fast kein Haus mehr, worin es nicht spükte; ein Poltergeist begann, sozusagen, zur Einrichtung einer ordentlichen Wirtschaft zu gehören. Darüber kamen nun freilich manche Geschäfte in Stockung, denn zur Dämmerungsstunde wollte niemand mehr gern allein wohin gehen, weil trotz des Gewöhnlichen, welches die Sache erhielt, die Furcht noch immer den Sinn der Menschen befing. Außerordentliche Dinge erzählte man sich; so sollte zum Beispiel in der Teufelsschmiede den glaubwürdigsten Nachrichten zufolge der Hammer, womit der Schneider den Dämon zuerst auf dem Ambosse bearbeitet hatte, noch immer im Hämmern begriffen sein ohne Arm, der ihn regierte, recht wie der Hegelsche Gott in der Geschichte.

Wie nun das Heilige stets, bevor es selbst zu weltlicher Macht gelangt, dem Arme der weltlichen Obrigkeit verfällt, so geschah es auch hier. Die Behörden nannten in ihrer rohen Weise das Hereinragen der höheren Welt in die Gassen von Weinsberg einen lästerlichen Unfug, und ihre Hand begann drückend über dem Wirken und Weben der zarten Sphäre zu lasten. Bei zehn Gulden Strafe wurde verboten, einen Geist zu sehen, geringere Leute, die sich dessen unterfingen, sollten mit bürgerlichem Arrest gebüßt werden. Hart lag der Druck über Ginnistan; der Hammer hämmerte nur noch bei Nacht, wo niemand ihn hörte.

Auch dem Etablissement war ein Besuch der Polizei angekündigt worden und nicht lange dauerte es, so erschien der Beamte. Der Schneider hatte uns allen aber Mut eingesprochen, wir erwarteten daher gefaßt jenen Boten der Gewalt. Auch war dessen Persönlichkeit ganz geeignet unsere Zuversicht zu steigern. Wir sahen in ihm einen noch nicht bejahrten Mann von gefälligem Äußeren erscheinen, der sein Kommen sozusagen entschuldigte und um Verzeihung bat, daß er den Befehl der Oberen ausführen müsse. »Glauben Sie mir, meine Herren, daß ich den Kreis Ihrer verehrungswürdigen Bestrebungen aus eigenem Antriebe nie stören würde«, sagte der höfliche Beamte. »Die Polizei darf keine Feindin der Wunder sein, sie muß selbst jezuweilen Wunder tun, muß Dinge sehen, die niemand sonst sieht, zum Beispiel Verschwörungen gegen Thron und Altar und was dergleichen mehr ist. Also nur ein weniges Übernatürliches, meine Herren, während ich anwesend bin, und ich will zufrieden sein und weit mehr glauben.«

Die Schnotterbaum lag entkräftet auf dem Bette, warf dem Beamten aus ihren matten Augen einen sonderbar lächelnden Blick zu und sagte: »Ich kenne Sie recht wohl.« — »Und ich Sie auch, Jungfer Schnotterbaum«, versetzte der Beamte. »Ich habe mich hin und wieder mit Ihrem seligen Herrn Vater sehr angenehm unterhalten, obgleich seine Grundsätze nicht in allewege die meinigen sein durften. Wenn ich nicht irre, so beruht auch noch in unserem Archive —«

Hier unterbrach ihn der Magische, welcher die Zeit kaum erwarten konnte, eine Probe seiner Gaben abzulegen, rief: »Jetzt wollen wir einmal dem Herrn den Glauben in die Hand geben!« Tat das, was ich von ihm schon mehrere Male berichtet habe, sich mit Kraft zu salben, und begann das thaumaturgische Werk. Aber die Schnotterbaum blieb ruhig liegen, sagte mit ihrer natürlichen, nicht mit der dämonischen Stimme hin und wieder: »Was für Seitenstiche, die ich verspür‘, sie sind mein Letztes«; weiter aber nichts. Der Dämon kam nicht. Der Schneider, auf dem der Beamte sein Auge still und höflich ruhen ließ, griff sich noch stärker an, warf die gräßlichsten Blicke, deren er mächtig werden konnte, umher, und gebärdete sich wie ein schaumbedeckter Schamane. Aber die Schnotterbaum blieb ruhig liegen und kein Dämon erschien. Plötzlich schnappte der Magische in einer ungeheuren Formel, die er unvollendet ließ, kurz ab, rief, den Beamten zornig anblickend: »Wenn ich immer beguckt werde, dann weichen die beiden Geister der Stärk‘, welche mir helfen!« und rannte aus der Stube.

Der Beamte sprach jetzt noch höflicher als zuvor: »O meine Herren, ich sehe wohl, daß Sie mich für meine Zudringlichkeit bestrafen wollen. Dürfte ich nichtsdestoweniger Sie Herr Doktor Eschenmichel wohl ersuchen, mir gefälligst den Dämon vorzustellen, der hier so oft seine Aufwartung gemacht hat?« — Eschenmichel zog die Achseln in die Höhe, ging gleichwohl zur Schnotterbaum und sprach mit dem Dämon auf kabbalistisch und swedenborgisch. Aber die Schnotterbaum blieb ruhig liegen und der Dämon kam nicht. Eschenmichel folgte darauf dem Schneider, indem er sagte, daß Geschäfte ihn abriefen. »Ich bin untröstlich«, sagte der Beamte, »daß ich diese Störungen in Ihren Geschäftsbetrieb bringe. Wäre es nicht zu vermessen, so würde ich mich gleichwohl ermüssiget sehen, auch Sie Herr Doktor Kernbeißer zu bitten —«

»Doch nicht daß ich den Dämon herbeischaffe?« rief Kernbeißer, der durch alle Verlegenheit hindurch ein Lächeln hatte blicken lassen. Sein Humor verließ ihn auch in dieser drangvollen Lage nicht. Er fuhr fort: »Der muß nunmehr in contumaciam zum Tode verurteilt werden. Aber«, sprach er weinend (denn die Übergänge von Lachen zu Tränen waren bei ihm unglaublich rasch); »das liebe Englein wird kommen, der zarte Bub‘, er tut mir schon den Gefallen, er läßt seinen alten Kernbeißer nicht im Stich.«

Er setzte sich zum Bette, nahm die Hand der Kranken in die seinige und sang mit sanfter Stimme:

 
»Ich weiß, daß du vorhanden
Im ew‘gen Lichte webest,
Weiß auch, daß du zu Banden
Des Ird‘schen niederschwebest!
Ich müßte ganz zerbrechen,
Zerbräche mir mein Schauen!
So hart könnt Ihr nicht rächen
Ein gläubiges Vertrauen.«
 

Es blieb aber alles still in der Schnotterbaum. Nach einer Pause sagte sie, nämlich die irdische Person Schnotterbaum: »Gebt Euch keine Mühe, lieber Herr, auch er kommt heute nicht.«

Kernbeißer stand auf und sah sehr verwirrt aus. »Vielleicht ein anderes Mal, Herr Doktor, wird es besser gelingen«, sagte der Beamte in der mildesten, tröstendsten Art. »Lassen Sie sich darüber keine grauen Haare wachsen. Aber Ihr Herr Kollege wird nach Ihnen verlangen.« — Kernbeißer ging.

»Sollten Sie vielleicht ein Mittel besitzen, Herr von Münchhausen?« fragte mich jener humane Offiziant. — »Nein, mein Herr«, erwiderte ich, »ich bin hier nur Lehrling und Handlanger.« — »Nun dann ...« Es war deutlich, er wollte mit der Schnotterbaum allein sein. Ich fügte mich seinem Winke.

Der Beamte blieb über eine Stunde bei der Kranken. Ich kam, weil ich nicht annehmen konnte, daß er noch bei ihr sei, und weil ich mich nach ihrem Befinden erkundigen wollte, unversehens zu der Unterredung, von welcher ich noch die letzten Worte hörte. Die Schnotterbaum fragte den Beamten: »Ist es auch keine Sünde?« und er erwiderte: »Nein, gewiß nicht; Sie tun vielmehr ein gutes Werk damit.«

»Herr von Münchhausen« (mit diesen Worten wandte er sich an mich) »Sie sind hier Zeuge einer merkwürdigen Tatsache auf dem Gebiete der höheren Welt geworden.« — »Jawohl«, versetzte ich, »es ist die Tatsache:

»In Gegenwart der Polizei erscheint weder Dämon noch Engel.«

Ich werde nicht ermangeln, dem Herrn Doktor Eschenmichel sie bemerkbar zu machen.«

Wirklich schrieb Eschenmichel, als ich davon zu ihm redete, sie in seinem Diario nieder. Er hatte schon wieder Mut gefaßt.

Eilftes Kapitel

Bekenntnisse einer Sterbenden

Kernbeißer war zerbrochen und vernichtet. Dürr schlief. Ich war stark im Glauben und hoffte auf den nächstkünftigen Mittwoch.

Aber die Entscheidung sollte noch rascher heranrücken. Gegen zehn Uhr abends ließ uns die Schnotterbaum rufen. Wir fanden sie völlig entkräftet und kaum noch fähig zu reden. Die Magd wurde herbeigeholt, unterstützte sie mit ihren Armen, und so halb emporgerichtet, gab sie uns, oft unterbrochen von ihrer Schwäche, folgendes zu vernehmen:

»Ihr Herren, es geht mit mir zu Ende. Die Geistersachen haben mich zu sehr mitgenommen. Vielleicht hätt‘ einige irdische Arznei meinen schwachen und gebrechlichen Leib länger hingehalten; indessen sei es fern‘ von mir, an den Pforten der Ewigkeit jemand anzuklagen.

Ich werd‘ den nächstkünftigen Mittwoch schwerlich erleben. Ob der Grobschmidt oder der Magister, mein seliger Herr Vater in mir gesessen, ich weiß es nit, nehm‘ auch keinen Anteil mehr daran. Ich muß ohne sie oder einen von beiden vor Gott. Der Magister hat mir etwas anvertraut, worüber er auf einer seiner Wanderungen Licht erhalten, und welches der Art ist, daß kein Mensch sich dergleichen denken kann. Es hat mich überaus sehr gequält, ist aber nicht über meine Lippen gekommen. Ich hielt‘s auch meistenteils für eine Schnurr‘, darin der Magister von jeher stark war. Weiß auch noch nit, ob etwas Wahres daran ist.

Nun aber höret und vernehmet, Ihr Herrn. Der Magister hat mir auch erzählt, daß er diese verborgene Sache zu Papier gebracht, und das verschlossene Papier sein Testament benamset habe. Bisher wußte ich nun dessen Aufbewahrungsort nicht. Vor kurzem jedoch ist mir offenbart worden, daß es im hiesigen Polizeiarchive und zwar in dem Gefach S unter verschiedenen nicht mehr brauchbaren und staubigen Papieren hinterlegt worden sei, und dorten allerdings noch beruhe.

 

Nun aber Ihr Herren tut mit meiner Entdeckung und in betreff des bisher unbekannt gebliebenen Testamentes, was Euch gut dünkt. Mich laßt mit mir allein und schickt mir, wenn ich bitten darf, geistlichen Beistand.«

Die Magd mußte sie zurücklegen, und ihre Brust begann zu röcheln. Wir verließen das Zimmer und sandten nach dem Geistlichen. Keiner von uns legte sich nieder. Gegen Mitternacht kam die Magd und sagte, daß sie verschieden sei. Kurz vor ihrem Ende habe sie geäußert: »Es steht kein Engel bei mir, aber ich bin dennoch getrost. Das Unheil ist ohne meinen Willen über mich gekommen; es wird mir vergeben werden.«

»Also wieder eine, die in die Stricke des Zerebralsystems zurückfiel!« rief Eschenmichel. »Dieser Umstand, meine Herren, bleibt vorderhand unter uns.«

Alle unsere Gedanken wendeten sich mit Macht gegen das Testament des Magisters Schnotterbaum. Nach kurzer Verfinsterung durch den dunkeln Körper der Polizei schien die Sonne der höheren Welt nur um so sieghafter leuchten zu sollen. Denn Eschenmichel schrieb auf der Stelle an den Beamten, teilte ihm die Entdeckung mit, und bat ihn um die Erlaubnis für die Etablissementsgenossen, an dem bezeichneten Orte nach dem Testamente suchen zu dürfen. »An dem Rande des Grabes«, so schloß der Brief, »in dem Augenblicke, wo der scheinbare Tag weicht und die heiligen Finsternisse ihre Lichter anzünden, trat die Welt der Geister wieder in ihre unzerstörlichen, urewigen Rechte ein. Aus ihr erscholl die Stimme, welche einen Moment lang zum Schweigen gebracht worden war, um den Glauben am Zweifel zu prüfen. Hat sie Wahrheit gesprochen, so müssen alle Staubwirbel, welche die Geschäftigkeit des modernen Unglaubens aufwühlt, sich zerstreuen und verschwinden.«

»Eigentlich ist‘s nicht ganz richtig«, sagte Kernbeißer, als er den Brief überlesen hatte. »Denn der Magister hatte ihr bei Lebzeiten vom Testament gesagt, soweit ich die gute Schnotterbaum verstanden habe.« — »Schweig!« rief Eschenmichel, und siegelte den Brief.

Zwischen der Leiche im Hause und dem verhängnisschwangern Polizeiarchiv eingeklemmt verbrachten wir den Rest der Nacht in einer wild-unruhigen, verworrenen Stimmung. Wir wollten dieses sagen, und unsere Lippen sprachen jenes. Wir wollten jubelnde und triumphierende Reden über den Sieg der Thaumaturgie halten, und ehe wir uns dessen versahen, schlugen sie in Klagelieder um. Wir wollten lachen und mußten heiße, schmerzhafte Tränen von den Wangen wischen. Ein Geist, vielleicht mächtiger, als alle bisherigen Poltergeister in und um Weinsberg ging durch das Etablissement.

Frühmorgens sandte Eschenmichel seinen Brief an den Beamten. Sehr bald kam eine Antwort von diesem, worin er auf die allerverbindlichste Weise seine Freude über die hergestellte Tätigkeit der Wunder ausdruckte und meldete, daß er, um allen Unterschleif zu vermeiden, sofort das Polizeiarchiv habe unter Siegel legen lassen. Er bestimmte die Stunde der Nachsuchung und schloß damit, daß er, um dem ganzen Einhergange die größtmögliche Offenkundigkeit und feierlichste Würde zu geben, mehrere Honoratioren des Städtchens und einige Fremde von Auszeichnung dazu einladen lassen werde.

Eschenmichel mühte seinen Geist in Vermutungen ab, was das mystische Testament enthalten werde. »Vielleicht die Entdeckung, wo er die Kleider des erschlagenen Knechts gelassen«, sagte er unter anderem. — »Du vergissest«, erwiderte Kernbeißer, »daß es ja nicht der Grobschmidt, sondern der Magister geschrieben hat.« — »Mir ist hoch zumut!« rief Eschenmichel. — »Mir angst«, sagte Kernbeißer.

Dürr schlief noch immer. Ich packte im stillen meinen Koffer. Warum? weiß ich nicht. Mir war, als müsse ich packen. Gewiß auch noch ein dämonischer Einfluß zu guter Letzt.

Zwölftes Kapitel

Das Testament des Magisters Schnotterbaum

Als die Stunde gekommen war, gingen wir nach dem Rathause. Vor demselben hatte sich eine große Menge Volks versammelt, welches sich ehrerbietigst verneigte und uns Platz machte, als wir uns näherten. Auf dem Vorsaale erwartete uns der Beamte, welcher zur Feier des Tages sich in seine Staatsuniform geworfen hatte, mit mehreren Honoratioren, unter denen ich den Spezereihändler bemerkte. Von ausgezeichneten Fremden sah ich freilich niemand als den Ehinger Spitzenkrämer. Es mochten wohl an fünfzig Menschen aller Art oben versammelt sein, in deren Gesichtern Neugier, Befremden, Spannung sich auf die mannigfaltigste Weise kundgaben. So weit wie heute hatte sich die Thaumaturgie noch nicht in die Kreise des profanen Lebens gewagt; schon das mußte alle Erwartungen entfesseln, dazu aber kam noch der Tod der Jungfer Schnotterbaum. Dieser setzte selbst die Leidenschaften in Bewegung.

Der Beamte empfing die beiden Geschäftsträger der höheren Welt mit einer Artigkeit, die fast an Demut grenzte, und sagte zu einem seiner Dienenden leise: »Achten Sie auf Dürr.« — »Irgendeine Auszeichnung, wahrscheinlich das Ehrenbürgerrecht der Stadt, wird wohl die Folge der Sache sein«, dachte ich. »Vielleicht bekommst du auch etwas ab.«

Über dem Schlüsselloche der Archivstube lagen Papierstreifen mit Siegeln, diese wurden für unverletzt erkannt und sodann hinweggenommen. Der Beamte ließ die Stube öffnen; wir nahmen den staubigen Schränken und Repositorien gegenüber Platz. Für Kernbeißer und Eschenmichel waren auf einer Erhöhung in der Mitte des Gemachs zwei eilig herbeigeschaffte Ehrensessel hingestellt worden. So saßen sie denn, allen Blicken sichtbar, über uns andere erhöht, da.

Indem ich mich zufällig während dieser vorbereitenden Handlungen umwandte, sah ich jemand in unserem Rücken durch die offene Türe herein und hinter eine spanische Wand schlüpfen, welche zunächst der Türe stand. Da ich etwas neugierig bin, benutzte ich einen Augenblick, in welchem ich mich für unbeachtet halten durfte, um mich auch hinter der spanischen Wand umzusehen. Zu meinem allergrößten Erstaunen aber fand ich hinter derselben einen Bekannten, den ich auf der Stelle mir erinnerlich zu machen wußte, nämlich — den Gehülfen aus dem Würzburger Juliusspital, mit dem ich mich über die »Seherin von Prevorst« und die beiden entlaufenen alten Weiber unterhalten hatte. Ich wollte meiner Verwunderung durch einen Ausruf Luft machen, der Gehülfe hielt mir aber den Mund zu und sagte: »Erregen Sie kein Aufsehen, die vorseiende heilige Handlung darf nicht gestört werden, ein Zufall führt mich auf dieser meiner Reise durch Weinsperg, und es war wohl natürlich, daß ich ein Zeuge des merkwürdigen Ereignisses zu werden wünschte, von welchem ich, sobald ich im Wirtshause abgetreten war, zu hören bekam. Was den Umstand betrifft, daß ich hier hinter der spanischen Wand zuzusehen, oder vielmehr zuzuhören wünsche, so ist dieses letztere eine Liebhaberei von mir, die sonder Zweifel zu den völlig unschuldigen gehört.«

Ich weiß nicht, welcher abermalige geheime Einfluß mich trieb, nach dieser Entdeckung türwärts zu schleichen, um in das Freie zu entgleiten. Der Mensch ist dunkeln, unerklärlichen Anstößen so häufig unterworfen. Aber zwei Türsteher wiesen mich zurück und sagten: »Niemand darf das Gemach verlassen, bis die Handlung vorbei ist.« — »Ei! Ei!« dachte ich, »werden die Geistersachen nun mit solcher polizeilichen Strenge behandelt?«

Der Beamte hatte inzwischen der Versammlung ihren Anlaß in einer bündigen Rede auseinandergesetzt, und forderte eben, als ich zu dem erhöhten Sitze der beiden Doktoren der Geisterwelt zurückkehrte, diese auf, das Fach zu bezeichnen, worin das Testament des seligen Magisters Schnotterbaum nach dessen Angabe liegen solle. Eschenmichel gab mit herzhafter Stimme das Fach an. »Nun merket wohl auf, meine Mitbürger«, sprach der Beamte. »Liegt das Testament des verstorbenen Magisters, so wie behauptet wird, in dem Fache S unter verschiedenen nicht mehr brauchbaren und staubigen Papieren, so habt Ihr ein Wunder, mit Händen zu greifen. Denn selbst seine Tochter, die tugendsame, durch die beiden Herren so zweckmäßig behandelte und nun in der Ewigkeit versierende Jungfer Anna Katharina Schnotterbaum wußte von dem Aufbewahrungsorte nichts, weil ihr seliger Vater ihr denselben keineswegs entdeckt hatte. Er war vielmehr nur zweien Menschen auf Erden bekannt, dem Testator und mir, dem der alte Schäker einstmals in einer Weinlaune das versiegelte Papier eingehändigt hatte, ohne gleichwohl dessen Inhalt mir zu offenbaren. Es sind also nur zwei Fälle möglich. Entweder muß ich mit den beiden Herren unter der Decke gespielt, und ihnen den Ort verraten haben, oder er ist durch den Geist des Magisters aus jener Welt heraus kundgetan. Der dritte Fall läßt sich nicht gedenken —«

»Wenn ich reden dürfte« — sagte ich, von neuem durch geheimen Anstoß hingerissen.

»Nein, Herr von Münchhausen«, sprach der Beamte mit Ansehen, »Sie dürfen hier nicht reden. Sie sind ein Ausländer und haben bei uns keine Stimme.« Er warf einen so bezeichnenden Blick auf sein Dienstpersonal, daß der innere Impuls, weiterzusprechen, plötzlich in mir verschwand. »Wissen Sie einen dritten Fall, meine Herrn?« fragte er Kernbeißer und Eschenmichel. »Ich bin überzeugt, daß es Ihnen nur um Wahrheit zu tun ist.«

»Nein«, versetzte Eschenmichel mutig. »Nein«, erwiderte Kernbeißer schüchtern.

»Wißt Ihr einen dritten Fall, versammelte Schwaben?« rief der Beamte in das Publikum hinein. — »Nein!« war die einstimmige Antwort der Menge. — »Glaubt Ihr, daß ich den beiden Herrn Doktoren die Sache gesteckt habe, daß die Polizei ein falsches Wunder hier verfertigen hilft?« — Abermaliges stürmisches Nein.

»So wäre also der Tatbestand mit völliger Gewißheit hergestellt, und nur der Geist des Magisters kann den beiden erleuchteten Männern die Notiz haben zufließen lassen«, sagte der Beamte. »Wir werden aber unter solchen Umständen, und da noch im Jenseits, in dem Lande, wo alle Täuschung schwindet, von dem Testamente Rede gewesen ist, seinem Inhalte die allerernsteste Beachtung zu widmen haben. Gewiß erlebt die Thaumaturgie heute einen hohen Triumph. Wie beklage ich, daß ich für ihre würdigsten Priester die Ehrensessel bei dieser erhabenen Feier nur auf dasjenige Gerüst stellen lassen konnte, von welchem herab wir leider mitunter auf dem Markte andere Personen dem Volke zeigen müssen. Der Herr Doktor Eschenmichel brachte uns aber die Dämonophanie zu rasch über das Haupt, und so mußten wir in der Hast zu jener allerdings standeswidrigen Vorrichtung greifen, weil keine andere im Augenblick zu ermitteln war.« — Er gab einem Schreiber den Befehl, im Fache S nachzusuchen, Aller Herzen pochten vor Unruhe. Der Schreiber ging, suchte, warf erst einige gebräunte Hefte aus dem Fache, daß eine Wolke Staubes aufstieg, zog denn ein vergilbtes Kuvert hervor, und las mit vernehmlicher Stimme dessen Aufschrift ab, welche also lautete:

»Hierin ist enthalten der letzte Wille Jodoci Zebedäi Schnotterbaums, lebzeitig Magisters der Freien Künste, aus Hall in Schwaben bürtig.

Dem ernannten Exekutor, dem Zufall, wird die Publikation übertragen.«

Ein allgemeines: »Ah!« der befriedigten Erwartung wurde hörbar. Eschenmichel saß wie ein Triumphator auf seiner Bühne, Kernbeißer wurde immer bleicher, je deutlicher sich der Sieg auf die Seite des Wunders neigte.

Ein großer schwarzer Rabe kam in diesem Augenblicke in das Archiv gehüpft und auf den Tisch, an welchem der Beamte saß. Er setzte sich zutraulich vor ihn hin und blickte wie ein Eingeweihter nach den Thaumaturgen. »Sieh! Sieh! mein alter Claus, du Unglücksvogel, was willst du hier?« sagte der Beamte und streichelte den Rücken des zahmen Tieres, welches seinem Herrn überallhin folgte.

Die Siegel des Testaments wurden gleichfalls als unverletzt anerkannt, der Schreiber brach sie auf Befehl und hob, deutlich, daß niemandem ein Laut entging, folgendermaßen zu lesen an:

Zwischenbetrachtung des Erzählers

— O Menschenschicksal! Menschenschicksal! An welchen jähen Abgründen taumelst du wie ein Nachtwandler hin! Durch das goldene Tor von Byzanz träumst du, zu schreiten, dem Pfauenthrone des Moguls in Delhi wähnst du, dich zu nähern, da tönt der weckende Ruf, und du liegst zerschmettert unten, herabgestürzt von der Firste des Dachs, über welche du bewußtlos klettertest! Wie hatte Kernbeißer‘s Blässe recht, wie hatte der schwarze Rabe recht, wie hatte ich recht, als ich von der Möglichkeit eines dritten Falls reden wollte!

 

Das Testament des Magisters Schnotterbaum enthielt folgende Bestimmungen und Aufschlüsse.

»Da der Tod eine gewisse, Zeit und Stunde desselben aber eine ungewisse Sache ist, so habe ich mich entschlossen, bei allbereits merklicher Abnahme meiner Kräfte, jedoch völlig gesundem Verstande meinen letzten Willen aufzurichten. Ich habe immer zu den Leuten gehört, welche auf Erden ihren Willen nicht haben sollten, aber meinen letzten will ich haben und durchsetzen.

Blutarm bin ich in die Welt gekommen, blutarm bin ich auf derselben gewallt und blutarm werde ich sie aller Wahrscheinlichkeit nach verlassen. Aber ein Testament darf auch der Ärmste machen, und daran kann ihn kein Tyrann verhindern. Ich hoffe nicht mißverstanden zu werden, wenn ich daran erinnere, daß des Menschen Sohn, welcher nicht hatte, da er sein Haupt hinlegen sollte, ein Testament errichtete, aus welchem die Geschlechter zweier Jahrtausende Erbgenahmen worden sind. Diesen Menschensohn, genannt Jesus der Christ, habe ich zeitlebens lieb gehabt, aber ganz in der Stille; nicht wie Regan und Goneril ihren Vater liebten, sondern gleichsam à la Cordelia, oder da ich generis masculini bin, à la Cordelius. Ich wurde deshalb für einen bösen Christen und Atheisten gehalten, welches ich mir wohl gefallen lassen konnte, da ich die Liebe der Regans, Gonerils, der Edmunde und Cornwalls an ihren Früchten erkannte.

Ich besitze an zeitlichen Gütern drei Stücke, nämlich meinen sterblichen Leichnam, eine natürliche Tochter und einen alten von mir durchaus zerlesenen Juvenal, Göttinger Ausgabe von Vandenhoeck vom Jahre 1742. Über meinen Leichnam eröffne ich die Sukzession der Aszendenten, vermache ihn nämlich der Mutter Erde, und mag er zusehen, wie er darin zu seiner Auferstehung kommen will; vor der Hand wünsche ich, zu schlummern. Meine natürliche Tochter vermache ich ihrer Näherei, welche ich sie habe mit allen Feinheiten dieser Kunst erlernen lassen. Um meinen Juvenal sollen die Hauptstädte der Welt würfeln, und welche die niedrigsten Augen wirft, ihn haben und behalten als immerwährendes Fideikommiß.

An ewigen und unzeitlichen Gütern besitze ich eine große Wahrheit und deren Bestätigung durch ein eminentes Exempel, welches wieder mit einem unglaublichen Geheimnisse zusammenhängt. Diesen Zusammenhang von Wahrheit, Exempel und Geheimnis verlasse und vermache ich allen Leuten von gesunder Vernunft. Da die genaue Bezeichnung des Erben zu den Hauptstücken eines gültigen Testaments gehört, so merke ich hier an, daß unter den titulo honorifico Bedachten nicht gemeint sind:

 
die sogenannten großen Köpfe
die edeln Charaktere
die bedeutenden Menschen
die gefühlvollen Seelen
diejenigen, welche man die Hochverdienten, oder
die Allverehrten und Allgeliebten nennt;
 

sondern meine Erben sollen sein die Leute von gesunder Vernunft, eine leider neuerdings nur zu sehr herabgekommene und unscheinbar gewordene Sekte.

Denn die Vernunft, welche ich meine, bietet ihren Anhängern nur Armut und Nichtachtung, sie selber geht auch nicht in Sammet und Seide, sondern in einem schlichten weißen Gewande. Puffen, Bänder und Schmelz fehlen ihrem Anzuge ganz, auf den Wangen brennt ihr nicht die bei den meisten beliebte hektische Röte, sondern die reine Farbe der Gesundheit steht auf denselben, die für den verwöhnten Geschmack zu derb und frisch ist; kurz, sie hat nichts, was reizen und verführen kann.

Die große Wahrheit, welche ich besitze, ist: daß es keine Tollheit, keinen noch so verrückten Sparren und keine Einfaltspinselei gibt, welche jemals wirklich stürbe unter den Menschen. Vielmehr ist das Abtun der allergreulichsten Irrtümer immer nur eine Scheintötung und sie leben zu gehöriger Zeit stets wieder auf, nicht etwa mit gewechselter Garderobe, o nein! in solche Unkosten setzt sich ihr König und Oberfeldherr nicht, sondern, wie sie waren, erstehen sie wieder und in der alten, elendigen, bettelhaften Gestalt. Wenn ein Reich durch die Dummen und Memmen gestürzt und durch die Klugen und Tapfern gerettet worden, so beginnt einige Tage nach der Rettungsstunde ganz sicherlich die Herrschaft der Dummen und Memmen wieder. Wenn es Millionen Male vorkam, daß die Sklaven ihre Herren beraubten und ermordeten und nur die Treue des Freien fromm-schützend die Hand über Gut und Haupt des Gebieters hielt, so stellt sich die alte Liebhaberei für Sklaven jederzeit wieder ein, und wenn der menschliche Geist endlich auf den Punkt gediehen zu sein schien, die Geisterwelt im Geist zu erfassen, so ragt unversehens das verjährte, jämmerliche, krüpplichte Zeichen-, Wunder- und Gespensterwesen, der müffigste mystische Trödel in die nur scheinbar befreit gewesene Welt herein.

Empfanget in der Erläuterung dieser letzten Worte, meine teuren Erben, die Bestätigung durch das eminente Exempel. Wir haben die Reformation gehabt und demnächst eine große Philosophie und Literatur. Wir glaubten, endlich dahin gekommen zu sein, Fetische, Amulette, Poltergeister und andern Polterkram für abgeschafft erachten zu dürfen. Endlich meinten wir, dahin wenigstens gekommen zu sein, das Empyreum sowohl als den Hades nur in der adäquaten Sphäre des aufgeschlossenen menschlichen Bewußtseins wirkend zu erblicken und in dessen äußerem Leibe, in der Geschichte. Aber mitnichten. Im neunzehnten Jahrhundert rühret sich plötzlich wieder das erstunkene, erlogene, sichtbar-unsichtbare Gelichter; die gespenstischen Weinschrötter, Kellerasseln und Grabwürmer kriechen aus ihren Löchern, der heilige Name Gottes und des Menschensohns wird in diesen ekelhaften Stank und Dampf hineingerufen, die Mysten und Epopten, den Narren oder den Schalk im Busen, verdrehen die Augen und entblöden sich nicht, Worte des ewigen Lebens ihren Faseleien an die zerrüttete Stirn zu setzen. Der Bauch der Vetteln soll plötzlich mehr wissen, als das Haupt und das Herz der Weisen, und alles dieses Zeug, dieser Wasch und Klatsch, wofür man ebensowohl Prätorii »Wünschelrute«, Erasmi Francisci »Höllischen Proteus« und den »Vielförmigen Hinzelmann« als Gewährsleute anführen könnte, wird von einem nicht unzahlreichen Pöbel aller Stände geglaubt und sanft-selig weiter verbreitet.

»Ei«, werdet Ihr, meine Erben, sagen, »was für ein schlechtes Legat hinterlässest du uns? So stehen ja die Hexenprozesse vor der Türe.« Geduld, Ihr Teuren! Es ist allerdings sehr möglich, daß unsere Enkel abermals Hexenprozesse erleben, indessen ganz nahe stehen sie doch noch nicht bevor, und zwar von wegen des unglaublichen Geheimnisses, welches mit dem eminenten Exempel verbunden ist. Ihr wißt, liebe Erbgenahmen, daß die Herren Doktoren Eschenmichel und Kernbeißer, welche hauptsächlich den Geistertrödel in schwunghaften Betrieb gebracht haben, von der Welt für gelehrte und würdige Männer gehalten werden, und für Männer haltet auch Ihr sie wahrscheinlich. Wenn es nun aber an den Tag kommt, was mir bekannt ist, daß dem nicht so sei, so kann es kaum fehlen, daß die dämonischen Geschäfte in einigen Verruf geraten, die Sache, bildlich zu reden, eine Posse wird, und unsere Nachkommen vielleicht doch in den nächsten dreißig Jahren noch vor der Rückkehr der Hexenprozesse bewahrt bleiben.

Meine teuren Erben, die Herren Doktoren Kernbeißer und Eschenmichel sind nicht männlichen Geschlechts.

Auf einer meiner Streifereien, die ich unternahm, um mir mein Bettelbrot zu verschaffen, kam ich durch eine Stadt, worin sich ein weltberühmtes Spital für Alte und Sieche befindet. Es ist eine geraume Reihe von Jahren her. Ich ließ mir die Anstalt zeigen und durchwanderte die langen Reihen der alten Männer und Frauen, welche ihre letzten Tage da zubrachten. Wie es nun wohl zufällig kommen kann, daß sich unserem Geiste die Gestalt eines Baumes, Felsens, Hauses untilgbar einprägt, so wollte es der Zufall, (denn es sei ferne von mir, diese Geschichte irgend romantisch aufzuschmücken;) daß mir zwei alte Frauen, welche von den andern sich gesondert hielten und sehr eifrig miteinander verkehrten, besonders auffielen. Es war weiter gar nichts Merkwürdiges an den beiden Alten. Gewöhnliche alte Weiber, wie es deren Tausende gibt, aber ihre Statur und Physiognomie machte dennoch einen unauslöschlichen Eindruck auf mich, so daß mir gleich damals klar wurde, ich würde sie wiedererkennen, wo und wann ich sie jemals sähe.