Neuroanatomie

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Kapitel 1

Aufbau des Gehirns – Einführung in die Neurohistologie

Nervenzellen (Neurone)

Der neuronale Zellkörper und das Zytoskelett

Das Axon und die Synapse

Axonaler Transport

Dendriten von Nervenzellen

Gliazellen

Astrozyten

Oligodendrozyten und Schwann-Zellen

Saltatorische Erregungsleitung

Mikrogliazellen

Ependymzellen

Zusammenfassung

Was das IMPP wissen möchte

Index

Weiterführende Literatur

Vorbemerkung

Das Nervensystem ist kompliziert und faszinierend zugleich. In keinem anderen wissenschaftlichen Feld konnten im letzten Jahrzehnt größere Fortschritte verzeichnet werden als in den Neurowissenschaften.

Dieses Lehrbuch stellt sich der Herausforderung, ein komplexes Gebiet der Anatomie einerseits so zu erklären, dass Funktionsweisen und Zusammenhänge begriffen werden können, andererseits soll aber auch der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die Neuroanatomie nur einen gewissen Prozentsatz der prüfungsrelevanten Fragen ausmacht. Bei der Konzeption dieses Lehrbuches haben wir uns deswegen am Gegenstandskatalog des IMPP orientiert. Zum Abschluss jedes Kapitels wird noch einmal gesondert auf „Spezialitäten“ des IMPP-Wissens eingegangen („Was das IMPP wissen möchte“).

Im ersten Kapitel werden wir eine Einführung in das Organisationsprinzip des Nervensystems geben. Hierbei beginnen wir mit der Histologie, da zelluläre Komponenten des Nervensystems den Baustoff für unser Gehirn liefern. Diesem histologischen Teil schließt sich ein grober Überblick über den Aufbau und die Funktionsweise des Nervensystems an. Ziel dieser einleitenden Kapitel ist es, eine Grundlage für weiterführende Betrachtungen des Nervensystems zu legen. Hier lernen Sie die wichtigsten Vokabeln und Begriffe, sowie wichtige Grundprinzipien, die immer wieder in der Neuroanatomie vorkommen werden. Sicher sind Sie nach den ersten beiden Kapiteln noch nicht in der Lage, in der „Bundesliga“ der Neuroanatomen mitzuspielen. Es reicht aber zumindest für die Kreisklasse, Sie lernen zu dribbeln, Sie lernen auf das Tor zu schießen.

In den folgenden Kapiteln gehen wir detaillierter auf die verschiedenen Abschnitte des Nervensystems ein. Dort lernen Sie dann, einen Gegner auszutricksen und den Ball am Torwart vorbei in die Ecke zu schießen. Zum Abschluss betrachten wir das Nervensystem unter funktionellen Gesichtspunkten. Dort werden Sie lernen wie Sehen, Hören, Gleichgewicht, Bewegung und Sensibilität funktioniert und welche verschiedenen Elemente des Nervensystems daran beteiligt sind.

Lernziele

Sie sollten nach Durcharbeitung der beiden einführenden Kapitel 1 und 2 in der Lage sein:

•Den Aufbau einer Nervenzelle zu erklären.

•Elemente des neuronalen Zytoskelettes zu benennen und zu erklären.

•Verschiedene Typen von Nervenzellen zu benennen.

•Das Prinzip der Verschaltung via Synapsen zu erklären.

•Mechanismen des axonalen Transports zu erklären.

•Gliazellen zu benennen und deren unterschiedliche Funktionen zu erklären.

•Die Unterschiede zwischen grauer und weißer Substanz, peripherem und zentralen Nervensystem, somatischem und vegetativem Nervensystem sowie zwischen Afferenzen und Efferenzen zu kennen.

•Apikale, medio-sagittale, laterale und basale Ansichten des Gehirns zu erkennen und zu benennen.

Aufbau des Gehirns – Einführung in die Neurohistologie

Die Zellen des Nervensystems lassen sich in Nervenzellen (Neurone) und Gliazellen unterteilen. Wenngleich auch die Anzahl der Neurone des menschlichen Gehirns unsere Vorstellungskraft übersteigt (etwa 100 Milliarden), die Anzahl der Gliazellen übertrifft die der Neuronen noch um ein Vielfaches. Neurone sind für die Signalübermittlung innerhalb des Nervensystems verantwortlich, indem sie Aktionspotenziale generieren und weiterleiten (siehe entsprechende Lehrbücher der Physiologie). Im Prinzip handelt es sich bei Aktionspotenzialen um elektrische Impulse. Nervenzellen kommunizieren also über elektrische Impulse. Dabei wird eine bestimmte Funktion in der Regel von einer Kette hintereinander geschalteter Nervenzellen erfüllt. Den Ort, an dem Nervenzellen miteinander kommunizieren, nennt man Synapse. Neben den Neuronen besteht das Nervensystem noch aus Gliazellen. Diese tragen zur Gehirnfunktion vor allem dadurch bei, dass sie benachbarte Neurone isolieren, stützen und ernähren.

Um die Struktur von Nervenzellen zu untersuchen, mussten Wissenschaftler etliche Hindernisse überwinden. Das erste Hindernis war die geringe neuronale Größe. Die meisten Nervenzellen haben einen Durchmesser vom Bruchteil eines Millimeters. Zum Vergleich: Die Spitze eines ungespitzten Bleistifts misst etwa 2 mm, Nervenzellen sind 40- bis 200-mal kleiner. Diese Größe liegt deutlich unterhalb der Grenze dessen, was mit bloßem Auge noch erkennbar wäre. Deshalb waren vor Entwicklung des zusammengesetzten Mikroskops im späten 17. Jahrhundert Fortschritte in der Neurowissenschaft nur bedingt möglich. Die Erfindung des Mikroskops eröffnete das Gebiet der Histologie, der mikroskopischen Untersuchung von Gewebestrukturen. Wissenschaftler, die das Gehirn untersuchen wollten, waren jedoch noch mit einem weiteren Hindernis konfrontiert: Frisch präpariertes Gehirn sieht unter dem Mikroskop mehr oder weniger einheitlich cremefarben aus. Das Gewebe zeigt keine deutlichen Unterschiede in der Pigmentierung, die es den Histologen ermöglichen würden, einzelne Zellen voneinander abzugrenzen. Der endgültige Durchbruch auf dem Gebiet der Neurohistologie war deswegen die Einführung von speziellen Färbemethoden, mit denen sich einzelne Zellteile im Hirngewebe darstellen ließen. Eine dieser Färbemethoden, die auch heute noch Anwendung findet, wurde vom deutschen Neurologen Franz Nissl Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt. Nissl zeigte, dass basische Farbstoffe einer bestimmten Klasse die Zellkerne aller Zellen sowie Materialansammlungen um die Zellkerne von Neuronen herum anfärben. Diese Ansammlungen bezeichnet man als Nissl-Schollen, die Methode als die Nissl-Färbung. Mit dieser Färbung lassen sich zum einen Neurone und Gliazellen voneinander unterscheiden, zum anderen können erfahrene Neurohistologen so die Anordnung oder Zytoarchitektur von Nervenzellen in verschiedenen Teilen des Gehirns feststellen. Diese Untersuchungen führten zu der Erkenntnis, dass das Gehirn aus vielen spezialisierten Regionen besteht. Wir wissen heute, dass jede Region eine eigene Funktion hat, die wir im Rahmen dieses Lehrbuches allesamt kennenlernen und verstehen werden.

Nervenzellen (Neurone)

Neurone bestehen aus mindestens zwei unterscheidbaren Teilen: einem Zellkörper, der den Zellkern enthält, und zahlreichen dünnen Fortsätzen, die vom Zellkörper abgehen (Abb. 1.1).


Abb. 1.1

Eine Nervenzelle besteht auseinem Nervenzellkörper (Soma/ Perikaryon) mit zwei Arten von Fortsätzen (Neuriten): Dendriten, welche die Information aufnehmen und Axone, welche die Information an die nächste Zelle weiterleiten. Ein ankommendes Aktionspotenzial wird an den Dornfortsätzen von einer Nervenzelle registriert.

Am Axonhügel, der frei von rauem endoplasmatischen Retikulum (rER) ist, entsteht bei Überschreitung eines Schwellenwertes ein neues Aktionspotenzial. Dieses wird rasch über das myelinisierte Axon an die nächste Zelle weitergeleitet. Viele Axone sind von einer Myelinscheide umgeben; diese isoliert das Axon und beschleunigt somit die Fortleitung des Aktionspotenzials (saltatorische Erregungsleitung). An den Ranvier-Schnürringen ist die Myelinscheide regelmäßig unterbrochen. Dieser Bereich wird als Nodus bezeichnet, der Abschnitt zwischen zwei Ranvier-Schnürringen als Internodium. Zur besseren Orientierung ist die Flussrichtung des Aktionspotenzials als Pfeil illustriert. An den Axonterminalen (synaptische Endköpfchen; Boutons) wird das Aktionspotenzial an die nächste Nervenzelle übergeben.

Für den Zellkörper gibt es zwei verschiedene Bezeichnungen, die gleichbedeutend verwendet werden können: Soma (Plural: Somata) und Perikaryon (Plural: Perikarya). Perikaryon bedeutet so viel wie „Bereich um den Zellkern“ (griech. περί – „um, herum“ sowie κάρυον – „Kern“). Die Fortsätze, die vom Soma ausgehen, bezeichnet man als Dendriten und Axone, die oft unter dem Oberbegriff „Neuriten“ zusammengefasst werden. Wie bereits erwähnt, kommunizieren Neurone untereinander durch elektrische Impulse, durch Aktionspotenziale. Dendriten nehmen die Aktionspotenziale auf, Axone leiten sie weiter. Der Fluss eines Aktionspotenzials, bezogen auf die Fortsätze der Nervenzelle, verläuft also von Dendrit über das Perikaryon zum Axon.

 

Eine Nervenzelle kann mehrere Dendriten, aber nur ein Axon haben. Das Axon besitzt auf seiner gesamten Länge einen einheitlichen Durchmesser und verzweigt sich an seinem Ende in mehrere Fortsätze, die Telodendra (Telodendron in der Einzahl) genannt werden. Diese enden in einer Vielzahl von Endknöpfchen (auch als Axonterminale, Synapsenendköpfchen oder Boutons bezeichnet), die den präsynaptischen Teil der Synapse bilden (Abb. 1.2).


Abb. 1.2

Übersicht über die synaptischen Strukturen.

Das Axon einer Nervenzelle zweigt sich an seinem Ende in eine Vielzahl von Endknöpfchen auf. Jedes dieser Endknöpfchen bildet eine Verbindung zu einer weiteren Nervenzelle oder zu einem Erfolgsorgan (z. B. einer Drüse oder Muskelzelle) aus. Diese Verbindung nennt man Synapse. Das Endknöpfchen des Axons macht dabei den präsynaptischen Teil aus. Der postsynaptische Teil einer Synapse entspricht den äußersten Enden der Dendriten, den sog. Dornfortsätzen (Spines) der nächsten Nervenzelle. Dazwischen liegt der synaptische Spalt.

Den zweiten Teil einer Synapse bilden die Endsegmente von Dendriten, sogenannte Dornfortsätze (Spines). Dendriten stehen in Kontakt mit vielen Axonen anderer Nervenzellen. Axone wiederum stehen über ihre Axonterminalen im Kontakt mit vielen Dendriten.

Eine Nervenzelle besteht also aus Dendriten, Zellkörper und einem Axon. Im Folgenden sollen die einzelnen Anteile einer Nervenzelle genauer betrachtet werden.

Der neuronale Zellkörper und das Zytoskelett

Der Zellkörper eines typischen Neurons hat einen Durchmesser von circa 20 µm. Die wässrige Flüssigkeit im Inneren der Zelle, das Zytosol, ist eine salzige, kaliumhaltige Lösung, die von der Umgebung durch die Neuronenmembran getrennt ist. Der Zellkörper einer Nervenzelle enthält die gleichen Organellen, die in allen Tierzellen vorkommen. Funktionell am wichtigsten sind der Zellkern, das raue endoplasmatische Retikulum (rER), das glatte endoplasmatische Retikulum, der Golgi-Apparat und die Mitochondrien. Alles, was sich innerhalb der Grenzen der Zellmembran befindet, einschließlich der Organellen, aber ohne den Zellkern, bezeichnet man in seiner Gesamtheit als das Zytoplasma. Das ausgeprägte Vorhandensein von rER (Synonym: Ergastoplasma) in Nervenzellen ist Ausdruck ihrer ausgeprägten Proteinbiosynthese. Das rER lässt sich durch die bereits erwähnte Nissl-Färbung besonders schön darstellen, und wird deswegen auch Nissl-Substanz genannt.

Das Zytoskelett ist ein aus Proteinen aufgebautes Netzwerk im Zytoplasma jeder Zelle und besteht aus dynamisch auf- und abbaubaren, dünnen, fadenförmigen Zellstrukturen (sogenannten Filamenten). Es ist für die mechanische Stabilisierung der Zelle, für aktive Bewegungen der Zelle als Ganzes, sowie für Bewegungen und Transporte innerhalb der Zelle verantwortlich. Der Name „Zellskelett“ leitet sich von der Erscheinung dieser Strukturen im Mikroskop ab, ist aber irreführend. Beim Zytoskelett handelt es sich nicht um ein steifes Skelett oder Gerüst, sondern vielmehr um ein außerordentlich flexibles Geflecht von Strukturen. Man weiß inzwischen, dass Zytoskelettelemente nicht nur für die mechanische Stabilität einer Zelle, sondern auch für sensorische Funktionen wie die Signalübertragung unerlässlich sind.

Das Zytoskelett von Nervenzellen setzt sich aus Mikrotubuli, Neurofilamenten und Mikrofilamenten zusammen. Mikrotubuli sind die größten Komponenten des Zytoskelettes, gefolgt von den Neurofilamenten und Mikrofilamenten. Diese unterscheiden sich nicht nur in ihrer Größe, sondern auch in ihrer Funktion. Mikrotubuli, die in Nervenzellen Neurotubuli genannt werden, sind röhrenförmige intrazelluläre Polymere aus globulären Tubulinuntereinheiten (Abb. 1.3).


Abb. 1.3

Nervenzellorganellen

Eine Nervenzelle besitzt die gleichen Organellen wie jeder andere Zelltyp. Das raue endoplasmatische Retikulum (rER) nimmt auffällig viel Platz ein. Dies ist Ausdruck der ausgeprägten Proteinbiosynthese, die in der Zelle vorherrscht. Da sich das rER besonders gut durch die Nissl-Färbung darstellen lässt, nennt man es auch Nissl-Substanz. Die verschiedenen Elemente des Zytoskeletts sind Mikrotubuli, Intermediärfilamente und Mikrofilamente. Die Intermediärfilamente nennt man in Nervenzellen Neurofilamente.

Als größte Vertreter des Zytoskeletts verfügen Mikrotubuli über einen Durchmesser von 20 nm und verlaufen in Längsrichtung der Neuriten. Nebst der Stabilisierung der Zelle sind Mikrotubuli für den Transport verschiedener Substanzen innerhalb einer Nervenzelle sowie deren Bewegung im Rahmen der Entwicklung wichtig. Eine Klasse von Proteinen, die an der Regulierung des Zusammenbaus und der Funktion der Mikrotubuli mitwirken, sind die Mikrotubuli-assoziierten Proteine (kurz MAP). Ein Vertreter dieser MAP ist das Tau-Protein. Durch die Bindung an Mikrotubuli stabilisiert und reguliert Tau die Polymerisation der Mikrotubuli.

Klinik

Fehlregulierte Tau-Proteine werden mit der Entstehung der Alzheimer-Erkrankung in Zusammenhang gebracht. Hierbei handelt es sich um eine demenzielle Erkrankung mit etwa 40 Millionen betroffenen Patienten weltweit. Sie ist somit recht häufig. Tau-Proteine als Vertreter der MAP regulieren, wie erwähnt, normalerweise die Zusammenlagerung der einzelnen Bausteine der Mikrotubuli, bilden aber beim Morbus Alzheimer unkontrolliert Aggregate. Es resultieren unter anderem sogenannte neurofibrilläre Tangles (auch Alzheimer-Fibrillen genannt) im Inneren der neuronalen Zellkörper, welche sich charakteristischerweise im Gehirn von Alzheimer-Erkrankten nachweisen lassen. Der eigentliche Auslöser der pathologischen Entartung von Tau-Proteinen ist noch unbekannt, ebenso die daraus resultierenden Folgen für die Nervenzelle. Die Bedeutung der Alzheimer-Fibrillen wird jedoch deutlich, wenn man deren Häufigkeit mit dem Grad der Vergesslichkeit vergleicht: Je höher die Dichte der Tau-Fibrillen, desto gravierender ist die klinische Beeinträchtigung der Patienten.1

Mit einem Durchmesser von 10 nm besitzen Neurofilamente eine mittlere Größe zwischen Mikrotubuli und Mikrofilamenten. Intermediärfilamente kommen in allen Körperzellen vor, in Neuronen bezeichnet man sie als Neurofilamente (Abb. 1.4).


Abb. 1.4

Neurofilament-assoziierte

Erkrankungen

Intermediärfilamente sind Teil des Zytoskeletts. In Nervenzellen nennt man sie Neurofilamente. Etliche verschiedene neurodegenerative Erkrankungen lassen sich vermutlich zumindest teilweise auf Mutationen in neurofilament-kodierenden Genen zurückführen, unter anderem bei Morbus Charcot-Marie-Tooth (CMT), der Alzheimer Erkrankung (AD), dem Morbus Parkinson (PD) oder aber der amyotrophen Lateralsklerose (ALS).

Neurofilamente sind der maßgeblich strukturbestimmende Bestandteil Neurofilamente sind der maßgeblich strukturbestimmende Bestandteil der Axone von Nervenzellen. Sie sind in Axonen mit großem Durchmesser zahlenmäßig deutlich häufiger enthalten als Mikrotubuli, was ihre Bedeutung für die strukturelle Integrität von Axonen mit großen Kalibern unterstreicht. Bei den meisten Wirbeltieren bestehen die Neurofilamente aus drei Polypeptid-Ketten, die sich in ihrem Molekulargewicht unterscheiden: Neurofilament heavy protein (NF-H), Neurofilament medium protein (NF-M), und Neurofilament light protein (NF-L).

Forschung

Neurofilamente sind in der Regel phosphoryliert, können aber im Rahmen einer axonalen Schädigung abnorm phosphoryliert werden, was in der Forschung zur histologischen Darstellung einer axonalen Schädigung ausgenutzt wird.

Ein weiteres, erst später entdecktes Protein, welches am Aufbau der Neurofilamente beteiligt ist, heißt α-Internexin. A-Internexine scheinen vor allem während der Entwicklung des Nervensystems eine wichtige Rolle zu spielen. Mutationen in allen vier Neurofilament-kodierenden Genen können zu axonalen Schädigungen führen, die dann typische neuropathische Symptome wie Schmerz, Sensibilitätsstörungen oder muskuläre Schwäche hervorrufen. Anomalien der Neurofilamente sind mit einer Vielzahl von neurologischen Erkrankungen beim Menschen assoziiert, z. B. erblichen Neuropathien oder der Amyotrophen Lateralsklerose (kurz ALS).

Mit einem Durchmesser von nur 5 nm besitzen Mikrofilamente, die kleinsten Vertreter des Zytoskeletts, in etwa gerade mal die Dicke einer Zellmembran. Mikrofilamente sind besonders zahlreich in den Neuriten zu finden und bestehen dort aus zwei umeinander gewundenen dünnen Aktin-Polymer-Strängen. Besonders dicht findet man Mikrofilament-Netzwerke immer dort, wo die Dendriten-Membran Synapsen ausbildet. Mikrofilamente tragen so zur Stabilisierung von Mikrodomänen der Plasmamembran bei (wie etwa Ansammlung von Ionen-Kanälen oder aber Rezeptorproteinen).

Das Axon und die Synapse

Das Axon beginnt in einem Bereich, den man als Axonhügel bezeichnet. Der Axonhügel enthält kein Ergastoplasma (Nissl-Substanz) und erscheint daher in der Nissl-Färbung heller. Er ist der Bildungsort eines Aktionspotenziales: Wenn eine Nervenzelle über ihre Dendriten aktiviert (= erregt) wurde, und alle Voraussetzungen zur Weiterleitung dieses Aktionspotenziales gegeben sind, entsteht im Bereich des Axonhügels ein neues Aktionspotenzial. Der Axonhügel verjüngt sich zum Axon hin und bildet so den eigentlichen ersten Abschnitt eines Axons. Der Durchmesser von Axonen ist unterschiedlich groß und reicht beim Menschen von unter 1 μm bis 25 μm (bis zu 1 mm beim Tintenfisch). Als Regel gilt: Je dicker das Axon, desto schneller wird ein Aktionspotenzial fortgeleitet.

Die Enden eines Axons bezeichnet man als Axonterminale oder Synapsenendknöpfchen. Es ist die Stelle, an der das Axon mit anderen Neuronen (oder anderen Zellen wie etwa Muskelzellen oder Drüsenzellen) in Kontakt tritt und an diese Informationen überträgt (Synapse). Obwohl es nur ein Axon pro Nervenzelle gibt, kann jedes Axon mehrere Endköpfchen ausbilden und dadurch mit vielen verschiedenen Neuronen kommunizieren. Stellenweise bilden Axone auf ihrer gesamten Länge aufgewölbte Bereiche mit Synapsen, setzen sich dann fort und enden woanders. Solche Aufwölbungen bezeichnet man als boutons en passant („Endknöpfchen im Vorübergehen“).

Eine Synapse besitzt zwei Seiten: eine präsynaptische und eine postsynaptische (Abb. 1.5). Diese Bezeichnungen geben die Richtung des Informationsflusses, der von „prä“ nach „post“ verläuft, an.


Abb. 1.5

 

Die bei der Weiterleitung eines Signals an die nächste Zelle beteiligten Strukturen fasst man als Synapse zusammen. Ein ankommendes Aktionspotenzial führt dazu, dass synaptische Vesikel, die Neurotransmitter beinhalten, mit der präsynaptischen Membran verschmelzen. Neurotransmitter werden dadurch in den synaptischen Spalt freigesetzt. Rezeptoren in der postsynaptischen Membran führen zur Erregung der postsynaptischen Zelle. Den gesamten Mechanismus der Weitergabe eines Aktionspotenzials nennt man synaptische Verschaltung.

Die präsynaptische Seite besteht generell aus einem Synapsenendknöpfchen, während die postsynaptische Seite ein Dornfortsatz (spine) oder das Soma eines anderen Neurons sein kann (im Falle der boutons en passant auch ein Axon). Der Raum zwischen der präsynaptischen und der postsynaptischen Membran ist der synaptische Spalt. Die Übermittlung eines Aktionspotenziales zwischen zwei Nervenzellen heißt synaptische Übertragung bzw. Verschaltung. Von den chemischen Synapsen des Nervensystems wird die elektrische Information im synaptischen Spalt in ein chemisches Signal umgewandelt, das den synaptischen Spalt überquert. An der postsynaptischen Membran wird dieses chemische Signal wieder in ein elektrisches umgewandelt. Das chemische Signal bezeichnet man als Neurotransmitter. Dieser wird in synaptischen Vesikeln im Synapsenendknöpfchen gespeichert und bei Bedarf von dort freigesetzt.

Verschiedene Arten von Neuronen verwenden unterschiedliche Neurotransmitter. Neurotransmitter können nach sehr vielen verschiedenen Gesichtspunkten eingeteilt werden. Insgesamt handelt es sich um eine chemisch gesehen sehr heterogene Gruppe. Eine gängige Unterteilung ist die Klassifizierung nach ihren chemischen Merkmalen in Monoamine (wichtige Vertreter sind Adrenalin, Dopamin, Serotonin), Peptide (Endorphine, Substanz P) und Aminosäuren (γ-Aminobuttersäure [GABA], Aspartat, Glutamat und Glycin). Ein weiterer wichtiger Neurotransmitter ist Acetylcholin. Der vorherrschende Neurotransmitter einer Nervenzelle bestimmt deren Namen. Cholinerge Nervenzellen benutzen Acetylcholin als Neurotransmitter, adrenerge Adrenalin, dopaminerge Dopamin usw.

Die über chemische Synapsen übertragenen Signale haben eine biochemisch festgelegte Wirkung. Je nach Neurotransmitter und Ausstattung der postsynaptischen Membran, auf die das sendende Neuron Einfluss nimmt, wird entweder eine erregende (exzitatorische) oder aber eine hemmende (inhibitorische) Wirkung erzielt. Eine erregende Wirkung trägt dazu bei, dass die Zielzelle ein neues Aktionspotenzial am Axonhügel bildet, eine hemmende Wirkung wirkt gegensätzlich. Nicht nur einzelne Synapsen, ganze Neurone werden daher in exzitatorische und inhibitorische unterteilt, je nachdem ob sie erregende oder nur hemmende Synapsen an Zielzellen ausbilden. Für eine Zielzelle innerhalb des Zentralnervensystems ist es für gewöhnlich so, dass sie von verschiedenen Neuronen Signale erhält, auch gegensätzliche, so dass sich die von ihnen ausgelösten elektrischen Spannungsänderungen addieren. Überschreitet die Summe der einlaufenden exzitatorischen und inhibitorischen (postsynaptischen) Spannungsänderungen am Axonhügel dieser Nervenzelle einen bestimmten Schwellenwert bei der Potenzialänderung, so wird diese Zelle ihrerseits aktiv, bildet ein Aktionspotenzial und leitet es über ihr Axon weiter. Bei einer Vielzahl von psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen wird davon ausgegangen, dass synaptische Übertragungswege gestört sind. So gibt es zum Beispiel Anzeichen für einen Zusammenhang zwischen verschiedenen Formen von Depressionen und Störungen von Signalübertragungen durch den Neurotransmitter Serotonin.

Axonaler Transport

Viele Substanzen, wie etwa Proteine, werden im neuronalen Zellkörper (Soma/Perikaryon) synthetisiert und von dort über einen speziellen Transportmechanismus zu ihrem Zielort (z. B. zur Synapse) transportiert: man spricht vom axonalen Transport. Vom Zellkörper zur Synapse (anterograd, stromabwärts) werden unter anderem Membranmaterial und zur Sekretion bestimmte Substanzen (wie Neurotransmitter) transportiert. Dies geschieht über Granula oder Vesikel, die an das Motorprotein Kinesin geheftet sind (Abb. 1.6).


Abb. 1.6

Axonaler Transport

Axone leiten nicht nur Aktionspotenziale weiter, sondern transportieren auch verschiedene intrazelluläre Substanzen (zum Beispiel Neurotransmitter oder Wachstumsfaktoren). Man unterscheidet einen Transport in gleicher Richtung wie das Aktionspotenzial (anterograder Transport, vermittelt durch Kinesin) und einen in gegensätzlicher Richtung (retrograder Transport, vermittelt durch Dynein). Viren können so von der Synapse in Richtung Soma wandern und ein Neuron dauerhaft infizieren (Herpes-Infektion).

Beim sogenannten retrograden Transport ist die Geschwindigkeit etwas geringer; hier werden Endprodukte des Stoffwechsels zurück zum Soma transportiert, außerdem zum Ab- und Umbau bestimmtes Membranmaterial sowie verschiedene Nervenwachstumsfaktoren, die für das Überleben der Nervenzelle notwendig sind. Der retrograde Transport erfolgt über Vesikel, die an das Motorprotein Dynein geheftet sind.

Klinik

Diese axonalen Transportvorgänge nutzen bestimmte Erreger aus, um sich im Gehirn einzunisten. Herpes-simplex- und Polioviren etwa gelangen durch den retrograden Transport ins Zentralnervensystem. Bei abgeschwächter Immunlage können schwerwiegende Entzündungen im Gehirn die Folge sein (Enzephalitis). Im Falle der Herpes-Viren können diese auch wieder entlang der Nervenbahnen in Richtung Haut wandern und dort zu einer lokalen Entzündung führen. Man bekommt schmerzhafte Herpesbläschen, z. B. im Bereich der Lippe.

Forschung

Sowohl der anterograde als auch der retrograde Transportmechanismus werden in den Neurowissenschaften genutzt, um Verbindungen im Gehirn zu verfolgen (sog. Tracingexperimente). Appliziert man spezifische Farbstoffe in eine bestimme Gehirnregion, werden diese in Nervenzellen aufgenommen und entweder anterograd oder retrograd transportiert. Mit Hilfe dieser eleganten Technik kann man feststellen, wohin ein Axon zieht (anterograder Transport) bzw. woher es kommt (retrograder Transport). Diese Technik hat wesentlich dazu beigetragen zu verstehen, welche Gehirnregionen untereinander in Verbindung stehen.

Dendriten von Nervenzellen

Das Wort „Dendrit“ leitet sich aus dem griechischen Wort für „Baum“ ab (Dendriten ähneln den Ästen eines Baumes, die vom Soma abgehen). Die Dendriten eines einzigen Neurons in ihrer Gesamtheit nennt man Dendritenbaum. Anhand der großen Vielfalt an Formen und Größen von Dendritenbäumen lassen sich die Neuronen in verschiedene Untergruppen einteilen: multipolare Neurone, bipolare Neurone, pseudounipolare Neurone, und unipolare Neurone (Abb. 1.7).


Abb. 1.7

Man klassifiziert Nervenzellen anhand der Morphologie ihrer Dendritenbäume (grün): Multipolare Neurone kommen am häufigsten vor und verfügen über ein Axon und mehr als einen Dendriten. Bipolare Neurone besitzen neben ihrem Axon genau einen Dendriten. Pseudounipolare Neurone entwickeln sich aus bipolar angelegten Neuronen. Es entspringt aus ihrem Soma zunächst nur ein Fortsatz, der sich im Verlauf in Axon und Dendrit aufzweigt. Unipolare Neurone sind sehr selten. Sie besitzen keinen Dendriten – ihre Reizwahrnehmung findet direkt am Soma oder am Axon statt.

Pseudounipolare Neurone entwickeln sich zunächst aus bipolar angelegten Zellen, deren zwei Fortsätze dann aber aufeinander zuwachsen und an den Abgangsstellen auf eine kurze Strecke miteinander verwachsen. Das Zytoplasma von Dendriten ähnelt größtenteils dem der Axone.

Die beiden Neurowissenschaftler O. Steward und W. B. Levy fanden 1982 heraus, dass in Dendriten Polyribosomen vorkommen, die häufig direkt unter den Dornfortsätzen angesiedelt sind.2, 3 Ihre Untersuchungen zeigten, dass die synaptische Signalübertragung in einigen Neuronen tatsächlich eine lokal begrenzte Proteinsynthese direkt im Bereich des Dendritenbaumes induzieren kann. Heute weiß man, dass diese synaptische Regulierung der lokalen Proteinbiosynthese für Lernprozesse von entscheidender Bedeutung ist.

Gliazellen

Im Rahmen der Erforschung der Ultrastruktur des Nervensystems sind den damaligen Histologen zuallererst die Nervenzellen aufgefallen. Nach und nach wurde jedoch klar, dass das Nervensystem nicht nur aus Neuronen, sondern auch aus anderen Zellen besteht, die sowohl morphologisch als auch funktional nicht so recht in das Bild der Nervenzellen passen wollten. Der Mitentdecker dieser nicht neuronalen Zellen, Rudolf Virchow, vermutete Mitte des 19. Jahrhunderts eine Stütz- und Haltefunktion und gab ihnen deshalb den Namen Gliazellen, abgeleitet aus dem griechischen Wort glia für „Leim“. Gliazelle ist also ein Sammelbegriff für strukturell und funktionell von den Neuronen abgrenzbare Zellen im Nervengewebe. Mittels unterschiedlicher Färbemethoden durch Santiago Ramón y Cajal, Pío del Río Hortega und Camillo Golgi konnten sie Ende des 19. Jahrhunderts weiter subklassifiziert werden.

Ersten Untersuchungen zufolge bilden die Gliazellen ein Stützgerüst für die Nervenzellen und sorgen für deren gegenseitige elektrische Isolation. Neuere Erkenntnisse zeigten, dass Gliazellen maßgeblich am Stoff- und Flüssigkeitstransport sowie an der Aufrechterhaltung der Homöostase im Gehirn beteiligt sind und im Prozess der Informationsverarbeitung, -speicherung und -weiterleitung mitwirken. Gliazellen sind somit unabdingbare Hilfszellen der Nervenzellen, deren spezifische Funktionen von ihnen abhängig sind. Sie besitzen Rezeptoren für viele Neurotransmitter und andere effektorische Moleküle. Es gibt sie sowohl im zentralen als auch im peripheren Nervensystem.

Eine erste Unterscheidung der Gliazellen wurde anhand ihrer Größe vorgenommen. Dementsprechend kann Mikroglia von Makroglia unterschieden werden. Zu den zentralen Makrogliazellen zählt man die Astrozyten, Oligodendrozyten und die Ependymzellen (Abb. 1.8).


Abb. 1.8

Übersicht über verschiedene Gliazellen. Gliazellen lassen sich u. a. anhand ihrer Größe unterscheiden.

Zu den Makrogliazellen zählt man:

•Schwann-Zellen und Oligdendrozyten, die Myelinscheiden synthetisieren

•Astrozyten, die das chemische Milieu des Extrazellulärraums regulieren

•Ependymzellen, die die inneren Liquorräume auskleiden

Mikrogliazellen sind eine wichtige Effektorzellpopulation des angeborenen Immunsystems.