Buch lesen: «Ego-State-Therapie bei Traumafolgestörungen», Seite 7

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2.5.3Die kreative Perspektive außerhalb der universitären Betrachtung

In der Übersicht über Behandlungsmethoden der komplexen Traumafolgestörungen von Sack und Sachsse in Abschnitt 2.5.2 finden wir viele Ansätze, die nicht im engeren universitären Fokus stehen. Sie sind diesem Bereich sozusagen »benachbart« und stellen einen eigenen Bereich oder ein eigenes Feld dar, aus dem sehr wichtige und kreative Impulse und Innovationen stammen und immer wieder hervortreten. Die Ansätze aus diesem Bereich besitzen ein hohes Potenzial für die Behandlung von Traumafolgestörungen. Die Abgrenzung ist jedoch schwierig und fließend. Van der Kolk (2017, S. 11) plädiert für ein integratives Vorgehen bei der Behandlung von Traumafolgestörungen, das nicht nur auf einem einzigen Behandlungsansatz aufgebaut ist, sondern verschiedene Ansätze einbezieht, unter denen auch körperfokussierte Verfahren enthalten sein müssen.

Neben den in der Übersicht von Sack und Sachsse aufgeführten Methoden sind weiterhin traumafokussierte Ansätze aus der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) oder der Homöopathie (Pfanzelt 2015) zu nennen, nicht zu vergessen Impulse aus nicht therapeutischen Bereichen wie Sport, Tanz und Theater. Aus diesem zweiten großen Bereich werden von universitärer Seite Anregungen oder Ansätze aufgegriffen und sozusagen in die wissenschaftliche Betrachtung und Diskussion überführt.

2.5.4Die alternative und weiterführende Perspektive

Neben den in Abschnitt 2.5.2 und 2.5.3 genannten Ansätzen existiert ein großer und nur schwer überschaubarer Bereich von Methoden und Techniken, die keine Verbindungen mit der universitären Szene haben, die einen von dieser Szene unabhängigen Weg gehen, sich selbst organisieren und eigenständige Kriterien für die Bewertung von Effekten und Wirkung entwickelten. Daher lassen sich diese Ansätze nicht mit den gleichen Bewertungskriterien einschätzen, wie sie beispielsweise im wissenschaftlichen Rahmen Konsens sind. Aus wissenschaftlicher Sicht würden sie »durchfallen«, aus ihrer eigenen Sicht würden wohl im Gegenzug die wissenschaftlich fundierten Verfahren mit großen Vorbehalten betrachtet werden. Man kann sie als unwissenschaftlich und gefährlich ablehnen, man kann von den dort verwendeten Methoden begeistert sein und inspiriert werden. Es gibt jedoch kaum Austausch zwischen diesen Bereichen und keine gemeinsame Sprache. Mir persönlich fällt es schwer zu unterscheiden, welche dieser Methoden ich ernst nehmen möchte, um von ihnen zu lernen, und von welchen ich mich distanziere. Sack und Sachsse (2013, S. 289) schätzen Verfahren aus drei Kategorien als problematisch für die Behandlung von Patienten mit komplexen Traumafolgestörungen ein:

a)energetisch mobilisierende Methoden wie beispielsweise aus der Bioenergetik oder der Primärtherapie

b)erlebnisaktivierende Methoden verbunden mit intensiver körperlicher Berührung und

c)in besonderem Maße regressionsfördernde Techniken.

Diese Hinweise auf die für die Behandlung von Traumafolgestörungen als problematisch betrachteten Methoden können uns dafür sensibilisieren, in der Auswahl von Techniken sorgsam zu sein und mögliche Risiken abzuschätzen.

2.5.5Die Perspektive aus der Praxis

Wie sieht es nun letztlich in der psychotherapeutischen Praxis aus? Was machen wir dort? Wie arbeiten wir? Worauf greifen wir zurück und worauf nicht? Welchen Konzepten folgen wir, welchen Erkenntnissen und welchen Expertenempfehlungen, abgesehen von den offiziellen Leitlinien? Und wie erfüllen wir diese? Wer kennt sie eigentlich? Ab und an kommt mir mitten in einer Sitzung der störende Gedanke, was ich denn machen würde, wenn meine Seminarteilnehmerinnen und Seminarteilnehmer nun genau diese Therapiestunde in meiner Praxis sehen könnten, in der wieder einmal alles völlig anders läuft, als ich es eben noch unterrichtet habe.

Therapeutinnen und Therapeuten entwickeln im Laufe ihrer Arbeit ihre eigene therapeutische Identität. Sie lernen in den meisten Fällen verschiedene Verfahren und Konzepte. Sie entwickeln sich weiter, sie experimentieren und sie fühlen sich manchen Methoden näher als anderen. Sie arbeiten integrativ. Ihre Arbeit basiert auf dem Hintergrund einer spezifischen psychotherapeutischen Sozialisation. Leider wird diese immer noch durch einen Schulenstreit behindert, der offensichtlich nur schwer zu überwinden ist. Ich plädiere für eine Prozessorientierung, mit deren Hilfe integrativ gearbeitet wird. Viele der im Abschnitt 2.5 erwähnten Ansätze verfolgen bereits eine solche integrierende Vorgehensweise.

2.6Orientierung mittels Prozessen und Wirkfaktoren
2.6.1Behandlungsphasen

Die Orientierung mittels Behandlungsphasen sowie deren Nutzung für den Behandlungsplan haben eine lange Tradition. Van der Hart, Nijenhuis u. Steele (2008, S. 258) erinnern diesbezüglich an die wegweisenden Arbeiten von Pierre Janet, der bereits vor mehr als einhundert Jahren eine dreiphasige Behandlung von Menschen mit komplexen Traumafolgestörungen vorschlug. Janet unterschied drei spezifische Behandlungsphasen, die jeweils eigene Behandlungsziele beinhalten:

a)Stabilisierung und Symptomverringerung

b)Behandlung traumatischer Erinnerungen

c)(Re-)Integration und Rehabilitierung der Persönlichkeit

Die Pioniere der Behandlung komplexer Traumafolgestörungen wie Daniel Brown, Chris Courtois, Catherine Fine, Erika Fromm, Judith Herman, Richard Kluft, Richard Loewenstein, Erwin Parson, Laurie Pearlman, Frank Putnam und Colin Ross folgten diesem Modell. Im deutschsprachigen Raum ist die dreiphasige Behandlung von Traumafolgestörungen ebenfalls etabliert (Hecker u. Maercker 2015, S. 556).

Insbesondere in Deutschland bestehen diesbezüglich jedoch deutliche Kontroversen, die vor allem im Hinblick auf die Notwendigkeit und Indikation der ersten Phase Stabilisierung ausgetragen werden und die leider zu großen Verunsicherungen auf Therapeutenseite führen. Seit dem Erscheinen des Artikels »Stabilisierung und Konfrontation in der Traumatherapie – Grundregel oder Mythos?« (Neuner 2008, S. 109–118) sind darüber Grabenkämpfe entfacht (Sachsse 2013, S. 9). Wer plädiert für und wer gegen den Einsatz einer Stabilisierungsphase? Neuner stellt nicht nur die Notwendigkeit einer solchen Phase infrage, er wirft den Befürwortern Behandlungsfehler vor, da sie ihre Patientinnen und Patienten nicht unverzüglich zu der von ihm favorisierten Technik, der Konfrontation, bringen würden. Durch die Stabilisierungsbemühungen würde den Patienten eine wirksame Behandlung vorenthalten. Die Stabilisierung – so sein Vorwurf – stünde eher mit Vermeidungsverhalten auf Therapeuten- und Patientenseite in Zusammenhang als mit einer Vorbereitung auf die Exposition. Er spricht von der Gefahr »der Verschwörung des Schweigens« und bringt diese in Zusammenhang mit den Schweigegeboten der Täter (Neuner 2008, S. 116). Das sind deutliche Worte. Und trotz der beeindruckenden Studienlage, die seine Arbeitsgruppe mittlerweile für diese Argumentation ins Feld führt – auch schwer traumatisierte Patienten wurden von ihr mittels Kurzzeitintervention ohne Stabilisierungsphase behandelt –, scheint sich die Diskussion zum Teil weit weg von der Lebensrealität ambulant behandelter komplextraumatisierter Menschen zu bewegen, die beispielsweise zunächst Mühe haben, ohne Komplikationen den Weg in die Praxis und anschließend wieder nach Hause zu finden.

Hinsichtlich möglicher Gefahren von Expositionen (die für eine Stabilisierung sprechen könnten) betont Neuner, dass

»… nur Psychosen, organische Störung oder geistige Behinderung, Alkoholabhängigkeit, akute Suizidgefahr sowie fortgesetzte missbrauchende Beziehung als Ausschlusskriterien angewendet wurden.«

Es liegt seines Erachtens für Kliniker auf der Hand,

»dass bei den meisten dieser Bedingungen keine reguläre Psychotherapie, in welcher Form auch immer, möglich oder sinnvoll ist« (ebd., S. 113).

Daraus ergibt sich die Frage, welche Art von Behandlung wir genau den Patientinnen und Patienten anbieten können, die aufgrund einer hohen Komorbidität sowie von weiteren somatischen, zwischenmenschlichen und sozialen Problemen hoch belastet und folglich äußerst instabil sind. Was verstehen wir unter »regulär« und was unter »möglich oder sinnvoll«? Hier wäre ein Austausch zwischen Praktikern und Forschern sehr wünschenswert. Im Abschnitt 8.8 wird ein ausführliches Beispiel einer traumafokussierten Behandlung einer geistig behinderten Patientin gegeben, das möglicherweise als Anregung für eine Diskussion dienen kann. Es handelt sich dabei um eine Patientin, für die es nach Neuner auf der Hand liegt, dass keine reguläre Psychotherapie möglich oder sinnvoll ist.

Letztlich bleibt die Frage interessant, wie stabil eine Patientin oder ein Patient sein muss, um sich in einem sicheren Zustand, das heißt ohne zu dekompensieren und ohne zu dissoziieren, mit traumatischem Material konfrontieren zu können. Dazu gehören ebenfalls die Fähigkeiten, sich im Anschluss an eine Konfrontation wieder selbst beruhigen zu können (Affektregulation) und im Lebensalltag für sich sorgen zu können (Funktionalität/Stabilität im Alltag). Wir können auf beiden Seiten Schaden anrichten. Zu schnelles und unvorbereitetes Konfrontieren kann ebenso zum Scheitern der traumazentrierten Behandlung sowie zu einem massiven Symptomanstieg oder zu weiteren Störungen führen wie eine Verzögerung oder Vermeidung der Konfrontation aufgrund einer ausschließlichen oder verlängerten Stabilisierung. Der Patient aus Fallbeispiel 2, der von einem Hai angegriffen wurde, hätte sicher nicht von einer Stabilisierungsphase im Umfang von 80 Behandlungsstunden profitiert, ein solches Vorgehen hätte aus traumatherapeutischer Sicht einen Behandlungsfehler dargestellt. In seinem Fall fand der Beginn der Konfrontation bereits in der vierten Sitzung statt. Andere Behandlungen erfordern einen völlig anderen Verlauf. Wenn die Patientin beispielsweise tatsächlich kaum die Praxis findet, wenn sie durch ihre komplexe Symptomatik extrem beeinträchtigt ist, sich nicht an vergangene Sitzungen erinnern kann, kaum absprachefähig scheint, Täterkontakt sowie ein komplexes komorbides Störungsbild vorliegt und vieles mehr, dann sind in jedem Falle vor dem Beginn einer Konfrontation mit traumatischem Material noch einige Aufgaben zu erledigen. Ein Verzicht auf eine Stabilisierung würde ein hohes therapieinduziertes Risiko darstellen.

Zahllose Beispiele ließen sich für die Indikation einer Stabilisierungsphase anführen. Sollten wir diesen Punkt quantitativ entscheiden, also demjenigen recht geben, der die meisten Fälle für seine Argumentation aufführt? Muss in dieser Diskussion jemand recht bekommen? Oder sollten wir sie qualitativ entscheiden und im Einzelfall gemeinsam mit unseren Patientinnen und Patienten überlegen, wie viel und welche Art von Stabilisierung notwendig ist? Lassen sich aus einer qualitativen Herangehensweise Empfehlungen für die Praxis ableiten? Welche Haltung gegenüber der Exposition haben wir? Wie können wir unsere eigenen Gefühle hinsichtlich bevorstehender Expositionen von Patientinnen reflektieren?

Wir sollten nicht darüber streiten, ob eine Stabilisierung im Behandlungsplan enthalten ist oder nicht, sondern erstens überlegen, ab wann und unter welchen Umständen konfrontiert werden kann, und zweitens, wie sich Konfrontationen gestalten lassen, damit sie gut zu bewältigen sind.

Grawe zählt die Ressourcenaktivierung, die in der Stabilisierungsphase einer phasenorientierten Traumatherapie angesiedelt ist, zu den empirisch validierten Hauptwirkfaktoren von Psychotherapie (Grawe 2005, S. 311). In integrativen Ansätzen zur Behandlung von Traumafolgestörungen, wie dem Ansatz der Schonenden Traumatherapie von Martin Sack, wird der Stabilisierungsphase ein hoher Stellenwert eingeräumt (Gromes 2013, S. 61 ff.). Aus den körperorientierten Ansätzen erhalten wir für diese Diskussionen und die entsprechenden Entscheidungen sehr interessante Anregungen, die darauf hinweisen, wie wichtig u. a. das Erleben von Sicherheit ist und welcher Bedeutung die Entwicklung eines von Sicherheit und Halt geprägten Zustands innerhalb der Traumatherapie zukommt (Levine 2011, S. 104). Auch aus der Hypnotherapie und der Ego-State-Therapie lassen sich konstruktive Interventionen zur Stabilisierung (Affektregulation und Erleben von Sicherheit) ableiten.

Allein schon, um die Frage beantworten zu können, wann ein guter Zeitpunkt für den Beginn der Konfrontation sein könnte, also die Frage, wann von der Stabilisierungs- zur Konfrontationsphase gewechselt werden kann, liegen seitens der Hypnotherapie und Ego-State-Therapie spezifische Ansätze vor (Fritzsche 2018a, S. 81). Im Rahmen einer hypnotherapeutischen Behandlung lässt sich die Weisheit des Unbewussten nutzen, um den Schritt zur Konfrontation einschätzen zu können, in der Ego-State-Therapie werden verschiedene Ego-States, wie innere Beobachter, innere Helfer oder Ego-States der inneren Stärke, herangezogen, um die Entscheidung für den Beginn der Konfrontation treffen zu können.

Bei einer Patientin, die unter den Folgen von lang anhaltendem sexuellem Missbrauch in der Kindheit und Jugend litt, arbeitete ich zur Beantwortung der Frage, ob wir mit der Konfrontation beginnen können, mit ideomotorischen Fingersignalen (Erickson 1998, S. 421 ff.; Fritzsche und Hartman 2019, S. 105), also einer klassischen hypnotherapeutischen Intervention, in der mit dem Unbewussten kommuniziert wird. Das Unbewusste wird veranlasst, über den Körper, in diesem Fall die Finger, drei Antwortmöglichkeiten geben: 1) Ja, 2) Nein und 3) Weiß ich nicht bzw. Kann ich nicht sagen. Die Patientin war bezüglich der Konfrontation sehr ungeduldig und drängelte mich, so schnell wie möglich damit anzufangen. Da ich nicht sicher war, ob sie stabil genug war, schlug ich ihr die Arbeit mit ideomotorischen Fingersignalen vor. Nachdem die drei Antwortmöglichkeiten drei Fingern zugeordnet waren, kam die Antwort auf die Frage unmittelbar. Ohne Zeitverzögerung schoss förmlich der Nein-Finger in die Höhe, man könnte fast sagen, schneller als die Patientin den Ja-Finger hätte willentlich bewegen können, was ihr lieber gewesen wäre. Wir waren beide sehr beeindruckt von dieser klaren Antwort des Unbewussten und suchten nach den Hintergründen, die offensichtlich noch gegen den Beginn der Konfrontation sprachen.

Um zu der Diskussion der Rolle der Stabilisierung zurückzukommen, lässt sich zusammenfassend der Konsens in Form der deutschen Behandlungsleitlinien zitieren, in denen für die Behandlung von Traumafolgestörungen klar drei Therapiephasen empfohlen werden: 1) Sicherheit: Stabilisierung und Affektmodulation, 2) Traumaexposition (in verschiedenen Formen) und 3) Integration und Neuorientierung (Flatten et al. 2011, S. 202–210). Die Stabilisierungsphase in der Ego-State-Therapie wird in Kapitel 7 ausführlich erläutert.

Phillips und Frederick konzipierten für das Konzept der Ego-State-Therapie ein vierphasiges Behandlungsmodell (Fritzsche 2018a, S. 182 ff.; Phillips u. Frederick 2003, S. 65 ff.). Das in der Traumabehandlung übliche dreiphasige Modell wurde um die Phase der Schaffung eines Zugangs zu traumatischem Material sowie zu den damit assoziierten Ego-States als zweite Phase ergänzt. Damit wurde dem Aspekt besondere Aufmerksamkeit geschenkt, auf welchem Weg sich die Patientinnen und Patienten mit traumatischem Material konfrontieren können und wie der Kontakt mit traumatisierten Ego-States gelingt bzw. sich gestalten lässt.

Phase zwei vereint zwei Bereiche: (A) den Zugang zum Traumamaterial und (B) die Begegnung mit traumatisierten Ego-States.

Damit weist sie bereits auf eines der zentralen Konzepte der Traumabehandlung mit dem Ego-State-Modell hin, die Unterscheidung von Traumamaterial und Ego-States (siehe Abschnitt 8.6). Für die Phase 2 werden verschiedene Fragen beantwortet:

1)Ist die Patientin stabil genug und verfügt sie über ausreichend Ressourcen, um sich mit traumatischem Material zu konfrontieren (einschließlich einer fundierten Psychoedukation)?

2)Mit welcher Intervention wird die Konfrontation durchgeführt?

3)Mit welcher Art von Traumatisierungen wird voraussichtlich gearbeitet, d. h. mit welchen Erinnerungen?

4)Wie wird die Konfrontation gestaltet, und wie lässt sie sich strukturieren?

5)Wie wird die Begegnung mit traumatisierten Ego-States realisiert und gestaltet?

6)Welcher Art ist die Beziehung der Patientin zu ihrem traumatisierten Ego-State bzw. den traumatisierten Ego-States?

7)Wie ist die Reaktion weiterer Ego-States bzw. welche Reaktionen sind zu erwarten?

Die vier Behandlungsphasen werden ausführlich im Abschnitt 3.6 vorgestellt.

2.6.2Grundlegende Behandlungsstrategien

Karameros u. Sack (2013, S. 201 ff.) stellen Grundstrategien der psychotherapeutischen Behandlung von Patientinnen und Patienten mit komplexen Traumafolgestörungen vor und filtern aus den therapeutischen Elementen verschiedener Verfahren fünf grundlegende Behandlungsstrategien heraus (ebd., S. 225).

Die Grundstrategien umfassen:

•die Berücksichtigung spezifischer Aspekte der therapeutischen Beziehungsgestaltung

•Ressourcenaktivierung und Aufbau von Kompetenzen

•das Bearbeiten der spezifischen Traumafolgesymptomatik

•Integration und Rehabilitation

•die Differenzierung der Therapiebedürfnisse nach Art und Schwere der erfahrenen Traumatisierungen

Die fünf Behandlungsstrategien zur Bearbeitung der spezifischen Traumasymptomatik lauten:

1)Förderung des Gegenwartsbezuges

2)Förderung des Selbstmanagements und der inneren Kommunikation

3)Bearbeitung emotionaler Reaktionen und dysfunktionaler Kognitionen

4)Durcharbeiten von traumatischen Erinnerungen und Auslösereizen

5)Versprachlichen von Erlebtem und Integration in die persönliche Biografie

Die Autoren erläutern die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten einiger der Behandlungsstrategien entsprechend ihrer Systematik und Wirkungsweise. Diese werden in den folgenden Abschnitten vorgestellt.

Förderung des Gegenwartsbezuges

a)Präsentifikation Der Begriff Präsentifikation in Verbindung mit der Behandlung von Traumafolgestörungen geht auf van der Hart, Nijenhuis a. Steele (2006, zit. n. Karameros u. Sack 2013) zurück und bezeichnet die psychische Leistung, Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft miteinander zu verbinden und gleichzeitig zu differenzieren, sodass Gegenwart möglichst real erlebt wird. Das Ziel besteht in der Stärkung des Gegenwartsmoments, das heißt in der Orientierung im Hier und Jetzt im Gegensatz zum Sog in die Vergangenheit.

b)Achtsamkeit und Mentalisierung Achtsamkeit beschreibt eine Praxis der Gelassenheit und Akzeptanz gegenüber gegenwärtig ablaufenden seelischen Prozessen. Dadurch lassen sich Belastungen auf einer beobachtenden Ebene wahrnehmen, ohne sich davon dominieren zu lassen. Mentalisierung wird als Fähigkeit definiert, eine distanzierende und beobachtende Ebene mit dem Ziel einer (selbst-)reflektierenden Beobachterhaltung einnehmen zu können.

c)Wirkfaktor Bindungs- und Beziehungsfähigkeit Dieser Aspekt zielt auf den Zusammenhang von Gegenwartsbezug und Beziehungsfähigkeit. Da die Verankerung in der Gegenwart auch von der Verfügbarkeit positiver Beziehungen abhängt und Patientinnen mit komplexen Traumafolgestörungen signifikant weniger über solche Personen und Beziehungen verfügen, besteht eines der Ziele in der Förderung der Bindungs- und Beziehungsfähigkeit.

d)Wirkfaktor Selbst-Akzeptanz Selbst-Akzeptanz ist vielen komplextraumatisierten Menschen fremd. Zu den negativen Auswirkungen fehlender (Selbst-)Akzeptanz gehört ein negatives Selbstbild, das wiederum die Übernahme der Einstellungen und Wertmaßstäbe der Täter sowie die (teils von Tätern gezielt provozierte) Schuldübernahme fördert.

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Altersbeschränkung:
0+
Umfang:
641 S. 3 Illustrationen
ISBN:
9783849782412
Rechteinhaber:
Bookwire
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