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Mrs. Commingdale 4 - Zwei auf einen Streich

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Nach einer weiteren Frage über ihre Intimsphäre wurde es Margret zu bunt. Statt einer Antwort stellte sie die Gegenfrage, was ihr Eheleben denn mit einem kranken Arm zu tun habe. Daraufhin schob Dr. Woodborough die Brauen belustigt in die Höhe und schmunzelte. Er erklärte ihr, dass er nicht nur Neurologe sei, sondern auch als Psychiater praktiziere. Er sei davon ausgegangen, sie sei wegen psychischer Probleme zu ihm gekommen.

Las der Mann die Karteikarte nicht, die bei jedem neuen Patienten angelegt wurde und Aufschluss über dessen Krankheitsbild gab? Margret sah ihn entgeistert an. Sie hatte nur den Namen auf dem Schild am Eingang der Praxis gelesen, nicht welche Art Mediziner sie aufsuchte. Wenn er schon so zerstreut war, dass er ihre Krankenakte ignorierte, was sollte da erst kommen, sobald er die Nerven im Arm inspizierte? Margret beschlich ein ungutes Gefühl.

Sie wäre am liebsten gegangen, aber Dr. Woodborough dirigierte sie entschlossen in einen anderen Raum. Wenigstens sah es darin wie in einem üblichen Behandlungszimmer aus. Während der Arzt sich einen weißen Kittel überzog, setzte sie sich auf eine Pritsche und machte den rechten Arm frei. Dr. Woodborough erklärte die Vorgehensweise und begann mit den Vorbereitungen. Dann steckte er ihr eine Nadel, die mit einem dünnen roten Kabel verbunden war, in die Außenseite ihrer Hand. Margret zuckte kurz zusammen. Ohne darauf einzugehen, bohrte er weiter in ihrem Fleisch, bis er mit dem Sitz des spitzen Dings zufrieden war. Es tat ziemlich weh, doch den Mann rührte es augenscheinlich nicht. Sie atmete erleichtert auf, als der Schmerz endlich nachließ.

Zu ihrem Entsetzen platzierte er eine zweite Nadel auf dem Daumenballen, als sein Telefon plötzlich klingelte. Mit der linken Hand nahm er ein Handy aus der Brusttasche des Hemdes und meldete sich. Gleichzeitig versenkte er mit der Rechten die Nadel mit dem blauen dünnen Kabel in ihrem Daumenballen. Margret verzog das Gesicht. Verärgert sah sie den Mann an, der nicht auf sie achtete. Munter plauderte er drauflos und erzählte irgendetwas von einem Bootsausflug. Dann lachte er, nickte und redete weiter, als sei sie gar nicht da. Zwischendurch drehte er an den Reglern der Maschine, die er neben die Pritsche geschoben hatte, und ließ Strom durch ihren Arm fließen.

Anfangs kribbelte es erträglich, aber der Doktor war nicht ganz bei der Sache und beachtete die Stärke der Stromschläge nicht. Als der Schmerz zu extrem wurde, schrie Margret auf. Erst da sah er sie erschrocken an, schritt eiligst auf das Gerät zu und stellte das gottverdammte Folterinstrument ab. Dann verabschiedete er sich seelenruhig von seinem Gesprächspartner. Anschließend zog er die Nadeln heraus, studierte die Aufzeichnung auf dem Monitor der Maschine und meinte, er könne nichts Ungewöhnliches ausmachen. Seiner Meinung nach war der Arm allenfalls überlastet. Sie solle ihn einfach schonen. Da wusste Margret, dass einer von ihnen beiden nicht ganz richtig im Oberstübchen war. Sie jedenfalls nicht!

Margret war sicher, von Dr. Woodborough für verrückt erklärt worden zu sein, hätte sie ihm eine psychische Störung vorgegaukelt. Bestimmt hatte Elizabeth B. diesem Gerichtsmediziner etwas vorgemacht. Da vertraute sie ganz und gar ihrer Intuition. In ihren Augen war die Frau eine gute Schauspielerin. Jetzt brauchte Margret nur noch herauszufinden, warum die Einundzwanzigjährige ihre Kinder getötet hatte. Doch dafür musste sie sie erst finden.

5

Als Margret Elizabeth B. nach zwei Wochen und etlichen Cafés nicht aufgespürt hatte, begann sie zu zweifeln. Würde sie die Frau, die in ihren Augen ohne Frage eine Kindermörderin war, überhaupt aufstöbern? Sie konnte im Urlaub sein, krank – vielleicht hatte sie den richtigen Betrieb sogar schon gefunden, war aber nicht in der richtigen Schicht dort gewesen. Es war möglich, dass sie sich schlichtweg verpasst hatten. Es war zum Verrücktwerden.

Margret nahm sich vor, noch drei Kaffeehäuser abzuklappern. Fand sie die Gesuchte nicht ... Sie überlegte. Vielleicht sollte sie dann einfach aufgeben. Die Suche war wesentlich anstrengender und langwieriger geworden, als sie gedacht hatte. Zwar war sie kein Mensch, der so schnell alles hinwarf, nichtsdestotrotz besaß sie keine unendlichen Kräfte. Zum ersten Mal, seit sie ihre Passion auslebte, machte sich ihr Alter bemerkbar.

Abends war sie von den Laufereien völlig erledigt, fühlte sich ausgelaugt und spürte jeden Knochen im Körper. Margret war an einem Punkt angelangt, an dem sie spürte, dass es nicht mehr lange so weitergehen konnte. Aber kapitulieren? Nein. Schon der Gedanke lag bitter auf ihrer Zunge. Zu gerne würde sie die kleinen unschuldigen Babys rächen, die ihr Leben nicht leben durften, nur weil ihre Mutter es so wollte.

Nach einem weiteren fruchtlosen Tag beschloss sie, eine Regenerationsphase einzulegen, um die Flinte noch nicht ins Korn zu werfen. Dafür war ihr diese Mission zu wichtig!

Nach einer einwöchigen Pause, in der Margret viel Zeit zum Nachdenken hatte, machte sie sich ausgeruht ans Werk. Vergessen waren die Überlegungen, die Mission abzubrechen. Nun, da ihre Krafttanks aufgefüllt waren, sah die Welt schon wieder besser aus. An diesem Tag standen ein erstklassiges und zwei mittelmäßige Kaffeehäuser auf der Liste, die nicht allzu weit auseinanderlagen.

Nachdem sie sich auf dem Bahnhofsklo in eine andere verwandelt hatte, machte Margret sich auf den Weg zum ersten Café auf ihrer Liste – es war eines dieser zweitklassigen Etablissements. Kaum war sie durch die Tür getreten, erlebte sie eine Überraschung. Beinahe wäre ihr die Kinnlade heruntergefallen, als sie Elizabeth B. erkannte. Kein Zweifel, dieses Gesicht hatte auf den Fotos in der Zeitung geprangt. Sie fühlte ihren Blutdruck bedrohlich ansteigen. Ganz ruhig bleiben, altes Mädchen. Jetzt nur nichts vermasseln und die Contenance wahren! Mit den Augen suchte sie nach einem freien Tisch und schlenderte so gelassen wie möglich darauf zu, obwohl es in ihr brodelte.

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