SAOMAI

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„Was machst du da nur?“

Sein Tonfall war Leiden und Genuss zugleich und ließ Saomais Phantasie Pirouetten drehen. Dennoch schaffte sie es, ihm mit sachlicher Stimme zu erklären: „Ich lockere mit den Ellenbogen deine Rippen und biege sie auseinander. So komme ich an die Muskeln, die dich quälen.“

Beeindruckt hob Neill das Gesicht aus seinem Kissen.

„Du hast in deinen Ellenbogen mehr Gefühl, als die meisten Masseure in ihren zehn Fingern, weißt du das?“

Schlagartig setzte das Kribbeln wieder ein. Vielleicht fällt mir die Rolle doch gar nicht so schwer, dachte Saomai. Sie beugte sich vor, brachte ihren Mund an Neills Ohr und flüsterte: „Stell dir nur mal vor, was meine Finger dann erst können!“

„Uh“, machte Neill und rutschte unruhig auf der Massagebank hin und her.

Wissend, welche Wirkung ihre Bemerkung gehabt haben musste, gab Saomai die Anweisung: „Umdrehen!“

Neills Kopf, den er gerade wieder abgelegt hatte, fuhr hoch. Er drehte den Oberkörper, bis er sie ansehen konnte und sagte mit gespielter Entrüstung: „Aber ich bin nackt!“

Saomai fand langsam Gefallen an diesem Spiel. Sie lächelte süß, entgegnete aber im strengen Tonfall einer Krankenschwester: „Keine Ausreden!“

Wie ein paar Tage zuvor richtete sich Neill auf, sah langsam an sich herab und zeigte ihr ein breites Grinsen.

„Oh nein!“, wies Saomai sein Ansinnen zurück, obwohl der Anblick seiner Blöße ihre Glut weiter anfachte. „Eine Thaimassage wird bis zum Ende durchgeführt. Sonst“, sie nickte ernst in Richtung seiner Lenden, „geraten die Lebenssäfte durcheinander.“

„Oh, das wollen wir natürlich nicht“, antwortete Neill und legte sich folgsam auf den Rücken.

Saomai bedeckte seine Mitte mit einem Tuch, wobei ein Zelt entstand, dessen tragende Säule Neills steil aufragendes Glied war.

Während sie ihre Massage fortsetzte, beobachtete Neill sie aus halb geöffneten Lidern. Der konzentrierte Ausdruck in ihrem Gesicht faszinierte ihn. Er bemerkte eine feine Stirnfalte, die sich immer dann glättete, wenn Saomai eine Muskelverspannung aufgelöst hatte. Bis sie die nächste aufspürte. Wie zufällig fuhren ihre Hände immer wieder unter das Tuch, das über seinen Hüften spannte, und berührten ihn dort für den Bruchteil einer Sekunde. Dann blickte sie ihn an, tat überrascht, um ihm gleich darauf ein honigsüßes Lächeln ihrer schön geschwungenen Lippen zu schenken. Ihre Blicke trafen sich immer öfter, wurden intensiver, verschlangen einander irgendwann. Die Zeit schien sich zu dehnen, bis Saomai endlich mit beiden Händen über Neills Brust, an seiner Mitte vorbei bis hinunter zu den Füßen strich. Das Tuch, das seine Lenden bedeckte, glitt dabei zu Boden. Der Anstand gebot ihr, den Blick abzuwenden, doch Saomai konnte nicht. Mit vor Lust geweiteten Augen besah sie Neills prachtvolles Glied. Sie biss sich auf die Unterlippe, als in ihrem Inneren tausend kleine Champagnerperlen explodierten und wohlige Schauer durch ihren Körper rasten.

So schlimm ist der Job wirklich nicht!

Schließlich wandte sie die Augen ab und blickte ihn an. Ein süffisantes Lächeln umspielte ihre Lippen.

„Ich bin fertig. Du müsstest jetzt geschmeidig sein wie Currybutter.“

„Nicht überall!“, protestierte Neill.

Sein Penis zuckte.

„Stimmt“, korrigierte sich Saomai und ließ den Blick wieder an ihm herabgleiten. „Den habe ich wohl übersehen.“

Genussvoll betrachtete sie Neills Schaft. Dann nahm sie ihn in beide Hände und fuhr mit wohl dosiertem Druck daran hinab.

Atemlos kam er auf die Ellenbogen. Sein Blick verriet ihr den Grad seiner Erregung.

„Wenn du auch für ihn noch etwas tun könntest“, sagte er mit belegter Stimme, „wäre ich sehr glücklich.“

Er sah sie an. Nicht fordernd. Auch nicht bittend. Aber mit einer entwaffnend attraktiven Offenheit.

„Hmm, da kenne ich eine ganz spezielle Technik“, raunte Saomai und beugte sich über ihn.

****

„Ja?“

„Kannst du reden?“

„Bin im Termin. Ist es dringend?“

„Ich bin nicht sicher. Ferguson wird langsam ungeduldig. Er will wissen, wann es mit dem Bauprojekt am Fluss losgeht.“

Das Geräusch einer zuschlagenden Tür. Dann, im Flüsterton: „Das ist noch zu heiß. Wir müssen warten, bis Gras über die Sache mit dem Alten gewachsen ist.“

„Das wird ihm nicht gefallen.“

„Was soll das heißen? Herrje, drucks nicht immer so rum!“

„Na ja. Er fragt sich, ob er auf den Richtigen setzt.“

„Glaubst du, er will abspringen?“

„Schwer zu sagen. Auf jeden Fall will er, dass etwas vorangeht, nachdem er so viel Geld investiert hat.“

Schweigen am anderen Ende der Leitung, dann noch leiser: „Ich bin gerade beim Senator. Der ist mir noch was schuldig. Halt Ferguson irgendwie hin, bis ich mich wieder melde.“

„Ich versuche es. Aber da wäre noch etwas.“

„Was denn noch?“

„Die Kleine ist bei ihm aufgetaucht.“

„Welche Kleine?“

„Na, die Tochter von dem Direktor. Saomai…“

„WAS?“

„Ja, ich dachte, das solltest du wissen. Kann ja kein Zufall sein!“

„Was heißt, sie ist bei ihm ‚aufgetaucht‘?“

„Nun ja, offiziell ist sie wohl seine Masseurin, aber inoffiziell verbringt sie jede Nacht bei ihm. Heute Morgen habe ich sie hier getroffen.“

„Sie schläft mit ihm?“

„Davon gehe ich aus.“

„Ok, finde heraus, was sie von ihm will!“

„Wie das denn?“

Kurzes Überlegen.

„Lass ihn abhören.“

„Bitte?“

„Ich kann nicht so laut reden. Lass ihn abhören, sagte ich.“

„In seiner Wohnung?“

„Wo denn sonst. Da ist er doch die meiste Zeit. Und wenn sie mit ihm schläft, werden sie sich wohl auch unterhalten. Ich muss wissen, worüber die reden!“

„Dafür müsste ich jedes Zimmer verwanzen!“

„Dann tu das.“

„Also… das ist… nicht meine Art. Ich denke nicht, dass ich das kann.“

„Du denkst nicht, dass du das kannst? Ich hör‘ wohl nicht richtig! Muss ich dich wirklich daran erinnern, zu was DU fähig bist?“

Ein resigniertes Seufzen. „Nein, Lamom.“

„Gut, dann weißt du, was du zu tun hast.“

****

Saomai hatte nicht vorgehabt, Neills Gästezimmer in Anspruch zu nehmen. Auch wenn ein dunkler Teil in ihr mit heftigem Begehren auf Neill reagierte, kostete es sie doch Überwindung, allabendlich in seinem Apartment zu erscheinen. Wenn sie dann spät nachts ihr Spiegelbild im Gästebad betrachtete, die Haare zerzaust, die Orgasmusröte noch im Gesicht und weder Willens noch in der körperlichen Verfassung, zu dieser späten Stunde in ihre eigene Wohnung zurückzukehren, schlug sie beschämt die Augen nieder. Dann musste sie an ihren Vater denken, der sie nach dem frühen Tod ihrer Mutter doch zu einer anständigen Frau erzogen hatte. Nie hätte er sich für Saomai vorgestellt, dass sie sich wie eine Eskortdame benahm. Der Gedanke an ihren Vater war es allerdings auch, der sie stets wieder von ihrem Skrupel befreite und daran erinnerte, wofür sie es tat. Dann blickte sie auf, sah ihrem Spiegelbild fest in die Augen und flüsterte: „Dafür wirst du büßen, Lamom.“

Woche um Woche verging und mit jedem Tag erschien Saomai ihr Tun weniger verwerflich. Im Gegenteil: Ihr Körper verzehrte sich schon während des Tages nach den Spielen, die Neill mit ihr trieb. Und sie mit ihm.

„Ich habe uns was zu Essen mitgebracht“, rief Saomai, als sie eines Abends aus dem Aufzug trat. Sie fand Neill in der Küche, wo er, ein Glas Rotwein in der Hand, in einem Magazin blätterte. Er sah auf, erblickte die beiden Pappschachteln, die Saomai hochhielt, und verzog das Gesicht.

„Ich vertrage das Zeug von der Straße nicht“, sagte er, fasste sich an den Magen und hob bedauernd die Schultern.

„Das hier schon. Es stammt aus der besten Garküche Bangkoks. Die ist sauber“, fügte Saomai augenzwinkernd hinzu.

Schon drückte sie ihm eine Schachtel in die rechte, Essstäbchen in die linke Hand.

„Komm, probier‘ wenigstens“, bat sie ihn, kickte ihre Pumps fort und schwang sich auf die Küchenanrichte, an der er lehnte.

„Ist das sehr scharf?“, fragte Neill skeptisch.

„Kommt drauf an, was du scharf findest“, antwortete Saomai.

Sie strich mit dem Zeigefinger ihr Dekolleté hinab.

Neill, der sie dabei beobachtete, hatte die Schachtel geöffnet und schnupperte an dessen Inhalt.

„Riecht gut! Aber ich kann nicht mit Stäbchen essen.“

„Warum nicht?“

„Weil ich dabei verhungern würde“, entgegnete er mit einem entwaffnenden Grinsen.

Schon demonstrierte er seine Unfähigkeit, die beiden Holzstäbe so in einer Hand zu halten, dass sie eine Zange bildeten. Immer wieder rutschten sie übereinander oder fielen ihm aus der Hand. Saomai prustete vor Lachen.

„Pass auf, ich zeig’s dir!“

Sie nahm Neills rechte Hand.

„Schau, den Mittelfinger leicht anwinkeln und darauf legst du die Stäbe. Den Zeigefinger benutzt du, um die Zange auf und zu zu machen und der Daumen hält das Ganze fest. Ganz locker… genau so“.

Neill manövrierte erfolgreich einen Bissen Wokgemüse mit Hühnchen zum Mund. Der Triumpf in seinem Blick hielt nicht lange an. Er riss die Augen auf und schnappte nach Luft.

„Shit, ist das scharf!“

Saomai kostete von ihrem Essen.

„Lecker“, sagte sie mit halbvollem Mund und grinste Neill an, der das Brennen mit Wein ablöschte.

Schon versuchte er sich erneut an den Stäbchen, verlor seine ‚Ladung‘ jedoch auf halber Strecke.

„Ich weiß ein Spiel, wie du das ganz schnell lernst.“

Saomais Gesicht bekam einen Glanz, den Neill mittlerweile nur allzu gut kannte.

 

„Wie denn?“

„Für jeden Bissen, den du heil zum Mund führst, ziehe ich ein Kleidungsstück aus. Und wenn ich nackt bin, kriegst du mich zum Nachtisch.“

Neills Augen weiteten sich begeistert.

„Okay“, sagte er. „Aber ich bestimme, welches Kleidungsstück!“

Saomai lächelte und räkelte sich zum Einverständnis auf dem Küchentresen. Neill konzentrierte sich auf die Stäbchen in seiner Hand. Er tat, wie Saomai es ihm erklärt hatte und fischte einen besonders großen Happen aus der Pappschachtel. Das Fleischstück lag mehr oben auf, als dass er es im Griff hatte. Vorsichtig jonglierte er es Richtung Mund. Als es bedrohlich ins Wanken geriet, schnappte er danach und verhinderte gerade noch einen Absturz. Mit einem breiten Grinsen gab er Saomai zu verstehen, dass sie sich bereithalten solle. Doch bevor er sprechen konnte, griff er hastig nach seinem Glas und trank es zur Hälfte leer. Mit krächzender Stimme wiederholte er, wie scharf das Essen sei. Dann widmete er sich dem nächsten Bissen und murmelte nebenbei: „Bluse.“

„Was?“, fragte Saomai irritiert.

„Bluse, hab‘ ich gesagt.“

Deutlich souveräner landeten ein weiteres Stück Fleisch sowie einige Reiskörner, wo sie hin sollten.

„Jetzt der BH.“

Neill blickte auf.

„Hey, du hast ja noch nicht mal die Bluse ausgezogen! Jetzt aber los! Ich bin schneller beim Nachtisch, als du glaubst!“

Saomai tat empört, knöpfte aber gehorsam ihre Bluse auf und ließ sie hinter sich auf einen Barhocker fallen. Mittlerweile liebte sie diese Erotikspielchen mit Neill und war noch immer überrascht, was ihnen seit Wochen alles einfiel, um sich gegenseitig anzuheizen. Mit beiden Händen griff sie an ihren Busen und hakte den weißen Spitzen-BH auf. Sie hielt die Körbchen in der Hand, bis sie Neills volle Aufmerksamkeit hatte.

„Oh, der geht ja vorn auf!“, murmelte er anerkennend und schluckte genussvoll sein Essen herunter, während er gebannt darauf wartete, dass Saomai ihre Brüste entblößte.

Als sie es endlich tat, lächelte Neill so zufrieden, als hätte er eine Trophäe geschossen.

„Jetzt bist du dran“, sagte er, nahm ein großes Stück Kartoffel aus der Schachtel und schob sich zwischen Saomais Beine. Sie öffnete den Mund in der Erwartung, dass er sie füttern würde. Doch kurz vorher schwenkte er um und bestrich ihre rechte Brust mit Gemüsesud. Die Kartoffel verschlang er selbst. Die scharfe Soße brannte auf der Haut. Saomai sog erschrocken die Luft ein. Neill betrachtete gierig die feuchte Brustwarze. Mit den Stäbchen umkreiste er sie, als wollte er sie zwicken. Doch erst einmal griff er mit der freien Hand erneut zu seinem Glas. Dann legte einen Arm um Saomai und zog sie zu sich heran. Sie bog den Rücken durch und bot Neill ihren Busen an. Mit einem beglückten Seufzen vergrub er seine Lippen in ihrem Fleisch und leckte schmatzend die Soße von ihrer Brustwarze.

„Hmmm, feurig“, raunte er, als er sie wieder freigab, und blickte zu ihr auf.

Ihr Gesichtsausdruck hatte sich verändert. Sie sah nicht mehr verspielt und neckend aus, wie noch vor wenigen Sekunden. Ihr schönes Gesicht war vor Erregung gerötet, ihre ohnehin schwarzen Augen waren noch eine Spur dunkler geworden.

„Zieh die Hose aus“, raunte Neill und wurde hart.

Am liebsten hätte er Saomai sofort auf dem Küchentresen genommen. Doch noch mehr Genuss bereitete ihm der Sex mit ihr, wenn sie es hinausgezögerten. Also ließ er wieder von ihr ab, nahm erneut die Pappschachtel zur Hand und holte den nächsten Bissen heraus. Dabei ließ er sie nicht aus den Augen, weidete sich an ihrem Anblick, während Saomai gehorchte und sich weiter auszog. Neill war überrascht, wie leicht ihm mittlerweile der Umgang mit den Stäbchen gelang. Tolles Spiel!

Dieses Mal hatte er Reis und einiges Gemüse zutage gefördert. Er schob es Saomai in den Mund und deutete mit den Stäben auf ihr weißes Spitzenhöschen.

„Und jetzt das.“

Saomai protestierte nicht. Sie stützte sich rücklings ab, hob die Hüfte an und nestelte an ihrem Slip. Kaum hatte sie ihn zu Boden fallen lassen, spreizte sie die Beine und lehnte sich zurück.

„Du lernst schnell, Neill Ferguson“, raunte sie und schloss die Augen. „Zur Belohnung darfst du mich jetzt vernaschen.“

„Moment mal, ich bin immer noch beim Hauptgang!“, scherzte Neill und langte noch einmal in seine Schachtel.

Saomais Kopf schnellte hoch. Entrüstet blickte sie in das schelmische Grinsen, das Neill ihr entgegen hielt. Dann wurde er ernst, betrachtete abwechselnd das Essen auf seinen Stäbchen und ihre vor ihm liegende Scham.

„Oh nein“, sagte Saomai, als ihr klar wurde, was er vorhatte, und dehnte dabei jedes Wort. „Tu das nicht!“

Unbeirrt reckte Neill den Arm vor und bestrich ihre Vagina mit dem scharfen Sud. Zwei-, dreimal rieb er darüber, bevor er sich das Gemüse genussvoll in den Mund schob. Die Schärfe trieb Saomai Tränen in die Augen. Ihre Lippen formten einen stummen Protest. Doch dann lehnte sie sich ergeben zurück. In aller Ruhe trank Neill den letzten Schluck Wein. Dann senkte er den Kopf und im selben Augenblick, in dem er Saomai leckte, schob er die hölzernen Stäbe in sie hinein. Gerade tief genug, um mit einer geschickten Drehung den kleinen Punkt zu erreichen, mit dem er ihr soviel Lust bereiten konnte. Saomai stöhnte auf und vergrub eine Hand in seinem dichten Haar. Immer wieder leckte Neill vom schlüpfrigen Fleisch ihrer Vagina bis zu ihrer Klitoris und ließ dabei die Stäbe in ihrem feuchten Inneren tanzen. Saomai stemmte beide Füße auf die Küchenplatte und presste Neill ihren Unterleib entgegen. Sie schnappte nach Luft – so sehr brannte seine vom scharfen Essen befeuerte Zunge. Dann kam sie mit einem wollüstigen Schrei.

Als sie später an diesem Abend bei einem Drink saßen und auf die funkelnden Lichter der Stadt blickten, sagte Neill: „Ich liebe Bangkok.“

„Dabei kennst du es eigentlich kaum“, entfuhr es Saomai.

Neill hatte ihr erzählt, dass er sein Apartment nur selten verließ. Als Architekt, so fand sie jedoch, hatte er die Pflicht, sich ein Bild von der Gegend zu machen, die er bebaute. Von den Menschen, für die er baute. Deshalb hatte sie sich insgeheim vorgenommen, ihm die Stadt zu zeigen. Wenn sich in den letzten Wochen schon keine Gelegenheit ergeben hatte, auf Lamom zu treffen, wollte Saomai die Zeit wenigstens dafür nutzen.

„Was meinst du?“, fragte Neill überrascht.

„Na, du wohnst hier oben in all deinem Luxus. Von dem echten Leben da unten bekommst du gar nichts mit!“

Saomai spürte, wie die Stimmung kippte. Natürlich wollte ein Mann wie Neill so etwas nicht von seiner Masseuse hören. Deshalb beeilte sie sich, ihren Worten die Schärfe zu nehmen.

„Jetzt, wo du die Kunst der Essstäbchen so hervorragend beherrschst, kannst du dich doch mal in die Straßen Bangkoks wagen. Da unten passiert das Leben, Neill, und es macht Spaß, Teil davon zu sein. Glaub mir!“

Trotz der Dunkelheit bemerkte Saomai Neills durchdringenden Blick. Ahnte er die wahren Absichten hinter ihrem Vorschlag?

„Was hast du vor?“, fragte er.

Sie war verunsichert. Seine Stimme hatte hart geklungen. Argwöhnisch.

Mit aller Unschuld, die sie aufbringen konnte, entgegnete Saomai: „Ich würde dir gern etwas von Bangkok zeigen. Das Viertel, in dem ich groß geworden bin zum Beispiel. Es würde dir gefallen.“

Damit hatte sie sich weit aus dem Fenster gelehnt, das wusste sie. Ausflüge gehörten nicht zu ihrer Vereinbarung. Saomai hatte keine Ahnung, wie Neill diesen Vorschlag auffassen würde. Sie konnte gerade noch die Konturen seines Gesichts erkennen, jedoch keine Regung darin ausmachen. Als Neill nicht antwortete, dachte Saomai schon, er würde ihre Frage unbeantwortet lassen. Doch dann wandte er ihr sein Gesicht zu und sie erkannte am Aufblitzen seiner Zähne, dass er lächelte.

„Und du denkst also, dass mir die Stäbchennummer da draußen von Nutzen sein könnte, ja?“

Erleichtert fiel Saomai in sein Lachen ein.

„Du würdest zumindest nicht verhungern!“

****

Mit einem wütenden Klacken schaltete er das Tonband ab. Das durfte einfach nicht wahr sein! Seit Wochen bearbeitete Saomai Ferguson auf diese unterschwellige Art. Befragte ihn zu seinen Partnern, heuchelte Interesse über seine Bauvorhaben. Und er gab ihr über alles bereitwillig Auskunft!

Dass sie ihm jetzt das Viertel am Fluss zeigen wollte, konnte nur bedeuten, dass sie Ferguson Flöhe über den Bebauungsplan ins Ohr setzen wollte. Oder ihm erzählte, mit welchen Methoden die Hausverkäufe zustande gekommen waren. Lamom würde durchdrehen, wenn er das hörte. Seit Saomai bei Neill aufgekreuzt war, war der Thailänder unberechenbar geworden. Bestimmt würde er seine Laune über die neueste Nachricht wieder an ihm auslassen. Wenn er nur an Lamoms eisgrauen Augen dachte, fror es ihn bis ins Mark. Auf jämmerliche Weise bedauerte er sich selbst. Wie hatte er seine Seele nur an diesen Teufel verkaufen können? Er verfluchte einmal mehr den Tag, der ihm so zum Verhängnis geworden war. Hätte er geahnt, dass ihn die Nummer mit den Ladyboys in die Fänge von Lamoms Mafia treiben würde, er hätte sich gar nicht erst anquatschen lassen. Er wusste selbst nicht, was an diesem Abend mit ihm los gewesen war, dass er sich darauf eingelassen hatte. Er hatte einen Drink in einer Bar genommen. Danach war er wie angetörnt gewesen. Und dann standen diese drei Grazien vor ihm. Bildschöne Mädchen mit großen, unschuldigen Augen und heißen Figuren. Als sie sich später als Boys entpuppten, war er schon so aufgeheizt, dass ihn eine homosexuelle Erfahrung nicht abschreckte.

Was soll’s, hatte er gedacht. Hier im Sündenpfuhl Bangkok interessierte das doch niemanden.

Wie er sich getäuscht hatte!

Aber wie dämlich konnte man auch sein, diese verlumpten Kinder einen Ort vorschlagen zu lassen, wo man sich mit ihnen vergnügen konnte? Die hatten ihn gefilmt!

Der blanke Horror kroch in ihm hoch, als er an den Tag zurück dachte, an dem Lamom vor seiner Tür gestanden hatte. Ohne ein Wort zu verlieren hatte er sich in seine Wohnung gezwängt, seinen Laptop auf dem Küchentisch aufgeklappt und ihn gezwungen, den Film anzusehen, in dem am Ende… Er jaulte auf und krümmte sich vor innerer Pein. In dem einer der drei Jungen leblos zu Boden ging, als er von ihm abließ.

Jetzt weinte er hemmungslos. Um das Kind und um sein eigenes verpfuschtes Leben, das er an Lamom Benjawan verwirkt hatte.

Sein verschwommener Blick fiel auf das Abspielgerät in seinen Händen und brachte ihn in das Hier und Jetzt zurück. Wenn er Lamom erzählte, was diese Saomai plante, würde er es ausbaden müssen. Es sei denn…

Er starrte angestrengt aus dem Fenster.

Ja genau, das war die Lösung! Er würde das Problem aus der Welt schaffen, ohne dass Lamom davon erfuhr. Nichts einfacher, als den Stadtbummel der beiden durch ein paar Kleinkriminelle stören zu lassen. So sehr stören, dass Ferguson das Weite suchen und sich eine neue Masseuse nehmen würde. Gute Idee! Dann konnte er sich damit vor Lamom brüsten und endlich einmal Lob statt Prügel kassieren!

Mit flinken Fingern wählte er eine Nummer in den Slums. Nach etlichen Minuten keuchte eine Männerstimme unwirsch in den Hörer.

„Den Bauvorsteher“, forderte er streng und wartete ungeduldig. Die Jungs vom Bauabschnitt 38 waren genau die richtigen für den Job. Skrupellose Dreckskerle, die vor nichts zurückschreckten, wenn man sie dafür bezahlte. Wenn es sein musste, auch nicht vor einer Frau.

****

Saomai lief wie ein eingesperrtes Tier in ihrer Wohnung auf und ab. Am Nachmittag war sie mit Neill verabredet. Sie würden sich am Memorial Hospital treffen. Ein guter Ausgangspunkt für ihren geplanten Streifzug. Dort konnte Neill sein teures Auto unbehelligt parken. Die Uhrzeit hatte sie mit Bedacht gewählt. Um fünfzehn Uhr war der Schichtwechsel im Krankenhaus vollzogen und die Gefahr gering, auf Ärztekollegen und Schwestern zu treffen. Ihre innere Unruhe wuchs, je näher die Zeiger der Uhr auf die Drei zugingen. Bot sich heute etwa die Gelegenheit, Neill in seinem Bauvorhaben umzustimmen? Ihr Viertel zu retten? Konnte sie doch noch verhindern, dass hier ein Bürohochhaus neben dem anderen hochgezogen wurde! Dass die Klinik einer Schönheitsfarm zum Opfer fiel? Ihr wurde ganz schwindelig.

Als Saomai am Krankenhaus eintraf, erwartete Neill sie bereits. Lässig lehnte er an seinem Sportwagen. Er trug eine schwarze Anzughose. Das weiße Hemd klebte an seinem Körper, trotzdem er die oberen Knöpfe geöffnet hatte. Er erblickte sie und stieß sich vom Kotflügel ab, um ihr entgegenzugehen.

 

Der Mann sieht so unverschämt gut aus, dachte sie. Und dieses Lächeln! Eine Mischung aus jungenhafter Euphorie und Abenteuerlust, ließ Neill deutlich jünger aussehen, als er war.

„Hallo“, sagte er schlicht, als sie voreinander hielten.

Er zog Saomai an sich und küsste sie leidenschaftlich auf den Mund.

Dann musterte er sie von Kopf bis Fuß und pfiff durch die Zähne.

„So sportlich habe ich dich ja noch nie gesehen.“

Saomai trug ein olivfarbenes Top, ihre Beine steckten in weißen Shorts, die nackten Füße in hellen Leinenschuhen. Ihr Haar hatte sie im Nacken zu einem dicken Knoten gebunden.

„Wir haben ja auch ein bisschen Wegstrecke vor uns“, antwortete sie.

Neckend deutete sie auf Neills schwarze Hose.

„Du bist nicht ganz so gut vorbereitet, was?“

„Leider nein. Ich hatte noch einen Termin und nun schwitze ich wie ein Affe in diesem Anzug“, stöhnte er.

„Ich weiß da was“, rief Saomai und zog ihn mit sich in Richtung Krankenhaus.

„Willst du mir ein OP-Hemd besorgen, oder was?“

„Nein, im Erdgeschoss gibt es einen Laden. Da bekommst du zumindest ein T-Shirt.“

Neill ließ sich nur widerwillig mitzerren. Das Letzte, was er brauchte, war in der Kostümierung eines Krankenhaus-Shops neben dieser Traumfrau herzutrotten. Doch zu seiner Überraschung führte das Geschäft gute Marken. Er behielt die beigefarbene Leinenhose und das blaugestreifte Polo, das er auswählte, gleich an, tauschte seine Anzugschuhe gegen sportliche Sneakers und verstaute seine eigenen Klamotten im Wagen. Nun fühlte er sich deutlich wohler. Der ungewohnte Freizeitdress erinnerte ihn an früher, an die Zeit, als er neu in Bangkok gewesen war und mit seiner damaligen Freundin die Stadt erkundet hatte.

Ewig her, dachte er. Dann sah er Saomai an und ein lang vermisstes Hochgefühl weitete ihm die Brust.

Sie erwiderte lächelnd seinen Blick, hakte sie sich unter und sagte: „Na dann, los!“

„Uh, was ist das denn?“, fragte Neill, als sie einen Schlund passierten, der sich am Westflügel des Krankenhauses in das Erdreich bohrte.

„Ach, da geht’s zum ehemaligen Leichenkeller“, antwortete Saomai und ärgerte sich, diesen Weg eingeschlagen zu haben. Sie wollte Neill die schönen Ecken zeigen, nicht die Schandflecken.

„Du machst Scherze!“

„Nein.“

Neills zweifelnder Blick ließ ihr keine andere Wahl, als ihm widerwillig eine Erklärung zu liefern.

„Früher wurden hier die Toten angeliefert und aufbewahrt. Dann wurde der neue Trakt gebaut und dieser hier sich selbst überlassen. Die Einfahrt ist dann irgendwann mal eingestürtzt. Aber jetzt lass uns von etwas anderem reden!“

Als sich kurz darauf ein Boulevard vor ihnen auftat, den zu beiden Seiten Villen im Kolonialstil säumten, blieb Neill überrascht stehen. Das Zwitschern exotischer Vögel erfüllte die Luft. Nur vereinzelt passierten Autos und Motorräder.

„Na, das ist doch deutlich schöner!“ Er lachte. „Nein, im Ernst, Saomai, ich hatte keine Ahnung, dass es mitten in der Stadt so idyllisch sein kann!“

Saomai stimmte ihm zu und begann zu erzählen.

„Früher war die Gegend hier am Fluss sehr wohlhabend. Wegen der Nähe zum Königspalast zogen Konsule, Politiker und Diplomaten aus aller Welt hierher. Die wiederum zogen thailändische Kaufleute, Rechtsanwälte, Steuerberater und Ärzte an. Soviel ich weiß, muss das mal eine sehr noble Gesellschaft gewesen sein. Diese Häuser“, sie wies auf die Villen, „haben Feste gesehen, die heute vermutlich Skandale auslösen würden.“

Neill lachte.

„Hey, du bist ja eine richtige Stadtführerin! Woher weißt du das?“

Saomai zuckte die Schultern. Ihr Vater hatte ihr davon erzählt. ‚Goldene Zeiten‘ hatte er sie immer genannt und sich gegrämt, weil die Gegend in den letzten Jahren mehr und mehr verkam.

Neill und Saomai wichen einem alten Mann aus, der mit seinem wackligen Korbstuhl den schmalen Bürgersteig vereinnahmte. Seine Augen leuchteten auf, als er Saomai erkannte. Er verneigte sich ehrfürchtig, murmelte ein paar Worte, die in Neills Ohren wie ein Segensspruch klangen, und lächelte sie voller Herzenswärme an.

Saomai antwortete ebenfalls auf Thailändisch und neigte leicht den Kopf.

„Was hat der Mann gesagt?“, fragte Neill neugierig.

„Er hat uns einen schönen Tag gewünscht.“

„Und dabei verbeugt er sich so tief vor dir?“

„Er ist eben besonders freundlich.“

Sie steuerten auf eine Tempelanlage zu, die halb zerfallen vor ihnen auftauchte. Trotz der eingestürzten und von Schlingpflanzen überwucherten Fassade, zerbrochener Statuen und über das ganze Gelände verstreuter Ruinen war erkennbar, dass dies einmal eine prachtvolle Heiligenstätte gewesen sein musste. Saomai blieb am steinernen Geländer stehen, das die Anlage zur Straße hin abgrenzte.

„Hier wollte ich starten“, sagte sie aufgeregt, „und dir erzählen, wie diese Gegend einmal ausgehen hat. Es wirkt etwas heruntergekommen, aber hier liegt soviel verborgene Schönheit, findest du nicht?“

Neill sah sich um.

„Ja, aus der Gegend könnte man was machen.“

Hoffnung keimte in Saomai auf. War sie etwa schon auf dem richtigen Weg?

„Was würde dem großen Architekten Neill Ferguson denn dazu einfallen?“, fragte sie keck.

Er überlegte kurz.

„Naja, ich würde vieles von dem bewahren, was vorhanden ist, was hierher gehört.“

Neill deutete in die Richtung, aus der sie gekommen waren.

„Die Kolonialvillen zum Beispiel würde ich im Originalzustand belassen und restaurieren. Und auch die vielen kleinen Holzhäuser erhalten, die verstreut dazwischen liegen. Der Kontrast hat einen unglaublichen Charme.“

Saomai nickte eifrig.

„Dieser Tempel sollte wieder ein Tempel sein!“, sann Neill weiter. „Wenn ich mir vorstelle, was das mit dem ganzen Viertel macht! Mit der Seele der Menschen, die hier leben. Die ganze Nachbarschaft liegt vermutlich nur danieder, weil ihr religiöses Zentrum vermodert. Wenn man den Tempel zu neuem Leben erweckt, wird er auf das Viertel abstrahlen. Er würde die Menschen zusammenbringen, das kulturelle Leben befeuern. So ist es doch mit euren Gotteshäusern, oder nicht?“

„Ja, so ist das mit unseren Gotteshäusern“, wiederholte Saomai nachdenklich.

Wieso war ihr nur nie aufgefallen, dass die ganze Gegend daran krankte, dass der Tempel zusammengefallen war? Eine Häusersprengung in unmittelbarer Nähe hatte vor Jahren den Boden abgesenkt und das Gebäude einstürzen lassen. Wenn sie jetzt darüber nachdachte, war das der Anfang vom Niedergang gewesen. Ohne Tempel fehlte den Menschen offensichtlich eine Stätte der Begegnung. Vom Segen der Götter ganz zu Schweigen.

Saomai ließ den Blick über die vom Dschungel verschlungene Ruine schweifen und Bilder vergangener Tage wurden in ihr wach.

„Als Kind habe ich hier oft gespielt“, erklärte sie Neill. „Es gab nichts Aufregenderes, als auf dem bronzenen Buddha herumzuturnen, der unter einer geschwungenen Pagode da hinten im Garten thronte.“

Ihre Hand deutete in die Ferne, wo ein zerfallener Pavillon stummer Zeuge ihrer Erzählung war.

„Meine Mutter hatte es zwar verboten, doch immer wenn ich glaubte, allein zu sein, kletterte ich an ihm hoch. Wie ein Äffchen“, sie lachte. „Das waren immerhin gute zweieinhalb Meter! Ich stellte mich in seine Armbeuge, schlang die Arme um seinen Hals und brachte mein Gesicht ganz nah an seins. Ich glaube, dass Buddha nichts Schlimmes daran fand. Er sah mich dann aus halb geschlossenen Lidern an und lächelte, während ich ihm plappernd berichtete, was so los war.“

„Erzähl weiter“, bat Neill, als Saomai innehielt.

„Einmal hat meine Mutter mich erwischt“ erinnerte sie sich. „Vor Schreck bin ich abgerutscht und hielt mich an den überlangen Ohrläppchen Buddhas fest. Das hat ganz schön Ärger gegeben!“

Sie schmunzelte bei der Erinnerung an die kleine Episode mit ihrer geliebten Mum.

„Lebt deine Familie noch hier?“, fragte Neill in ihre Gedanken hinein.

Mit einem Kopfschütteln wischte Saomai die Bilder beiseite.