Buch lesen: «Öffentliches Wirtschaftsrecht», Seite 17

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cc) Materielle Konzeptpflichten

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Aus Art. 3 GG lassen sich – jedenfalls außerhalb des Steuerrechts und seinem Gebot der Lastengleichheit – kaum materielle Maßstäbe für Ansprüche gegen die Verwaltung ableiten, auch nicht im Bereich der Leistungsverwaltung. So sieht man beispielsweise die Grenzen der Gestaltungsbefugnis beim Anspruch auf Zugang zu kommunalen Einrichtungen allein im Willkürverbot[525]; erst recht wird im Subventionsrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG (in Verbindung mit Verwaltungsvorschriften oder entsprechender Verwaltungspraxis) zwar ein Anspruch auf Subventionierung abgeleitet (s. näher Rn 795), aber kein Anspruch auf die Aufstellung eines „Vergabekonzepts“, also darauf, dass die Behörde die hierbei anzulegenden Kriterien vorab, etwa in Verwaltungsvorschriften festlegt. Die Rechtsprechung hält eine Konkretisierung von Auswahlkriterien und Verfahren zwar für „begrüßenswert“[526], verneint aber eine entsprechende Rechtspflicht zur abstrakten Festlegung von „Vergabekriterien“. Allerdings wird dies den Anforderungen an Transparenz und Diskriminierungsfreiheit sowie dem Kohärenzgebot kaum gerecht; letztlich reduziert sich auch die gerichtliche Kontrolldichte, so dass neben Art. 3 und 12 GG auch Art. 19 Abs. 4 GG relevant wird[527]. Über diese aus Art. 3 GG abgeleiteten Konzeptpflichten geht das europäisch determinierte Regulierungsrecht hinaus. Nach § 2 Abs. 3 Nr 1 TKG soll durch die Regulierungskonzepte die Vorhersehbarkeit (und damit die Rechtssicherheit) der Regulierung erreicht werden (dazu Rn 515).

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Außerdem verlangt die Rechtsprechung bisweilen ein „Eingriffskonzept“, sofern – wie regelmäßig auch im öffentlichen Wirtschaftsrecht – ein Einschreiten im Ermessen der Behörde steht. Art. 3 Abs. 1 GG beschränkt als gesetzliche Ermessensgrenze die Handlungsmöglichkeiten der Behörden hinsichtlich des „Ob“ und des „Wie“. Liegt eine Vielzahl von Verstößen vor, ist es ihr verwehrt willkürlich vorzugehen oder sich gar darauf zu beschränken, einen Einzelfall herauszugreifen[528]. Auch wenn sie nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten zwischen mehreren Rechtsfolgen wählen kann, gebietet Art. 3 Abs. 1 GG, das Ermessen in gleichgelagerten Fällen gleichmäßig auszuüben. Hierauf muss die Begründung der Entscheidung eingehen[529]. Teilweise verlangen die Gerichte aber weitergehend, dass bereits im Vorfeld „ein im Lichte der Anforderungen der Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG tragfähiges Konzept entwickelt wird, aus dem sich entnehmen lässt, unter welchen Voraussetzungen und in welcher zeitlichen Reihenfolge“ gegen Gewerbetreibende vorgegangen wird; ein solches Eingriffskonzept kann sich zB an Marktpräsenz, Umsatz oder Gewinn orientieren[530]. Einen „Gleichheitsanspruch auf Fehlerwiederholung“, dh eine Selbstbindung an eine rechtswidrige Verwaltungspraxis kann es allerdings nicht geben[531].

6. Sonstige verfassungsrechtliche Gewährleistungen

a) Die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG)

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Nach der Rechtsprechung des BVerfG und der hM schützt das Grundrecht des Art. 13 GG auch Betriebs- und Geschäftsräume, allerdings in abgeschwächter Form. Relevant wird dies im Zusammenhang mit den behördlichen Betretungsrechten, wie sie § 29 GewO (s. Rn 336) und vergleichbare Vorschriften vorsehen. Im Interesse eines wirksamen Schutzes hat das Bundesverfassungsgericht den Schutzbereich des Art. 13 GG auf Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume erstreckt[532]; dennoch werden an die Zulässigkeit von Eingriffen und Beschränkungen im Sinne des Art. 13 Abs. 1 GG je nach der Nähe der Örtlichkeiten zur räumlichen Privatsphäre unterschiedlich hohe Anforderungen gestellt. Behördliche Befugnisse zum Betreten von Betriebsräumen fallen daher zwar in den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG, sind aber nach der Rechtsprechung dann kein Fall des Art. 13 Abs. 7 GG[533], wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, das Betreten einem erlaubten Zweck dient und für dessen Erreichung erforderlich ist, das Gesetz Zweck, Gegenstand und Umfang des Betretens erkennen lässt und das Betreten auf Zeiten beschränkt wird, in denen die Räume normalerweise für die betriebliche Nutzung zur Verfügung stehen[534]. Die Betretungsrechte bedürfen jedoch einer gesetzlichen Grundlage und sind aus verfassungsrechtlichen Gründen eng auszulegen[535].

Insoweit hat das BVerfG in seiner Kammerentscheidung zu § 17 Abs. 2 HwO den Grundrechtsschutz verstärkt. Auf Grundlage von § 17 Abs. 2 HwO dürfen die Handwerkskammern die Geschäftsräume nur zur Prüfung der Eintragungsvoraussetzungen betreten. „Einzutragende“ Gewerbetreibende sind ausschließlich diejenigen, deren Eintragung in die Handwerksrolle auch tatsächlich in Betracht kommt, weil sie sämtliche Eintragungsvoraussetzungen erfüllen können. Steht also fest, dass eine Eintragung nicht in Betracht kommt, weil der Gewerbetreibende beispielsweise die persönlichen Voraussetzungen nicht erfüllt und auch keinen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung nach §§ 8, 9 HwO gestellt hat, so besteht auch kein Betretungsrecht nach dem „zu dem in Absatz 1 bezeichneten Zweck“[536].

b) Kommunale Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 GG)

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Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG und die entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Regelungen gewährleisten das Recht der Gemeinden, sämtliche Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Nach dem Grundsatz der Allzuständigkeit besteht eine Vermutung für die Aufgabenzuständigkeit der Gemeinde[537]. Im Rahmen der Erfüllung dieser Aufgaben darf sich die Gemeinde daher auch wirtschaftlich und mit Gewinnerzielungsabsicht[538] betätigen (dazu unten Rn 688 ff). Nach überwiegender und zutreffender Ansicht[539] kann sie sich dabei aber gegenüber dem Staat nicht auf die Wirtschaftsgrundrechte der Art. 12 GG und Art. 14 GG berufen (zum Grundrechtsschutz öffentlicher und gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen s. Rn 685 ff). Umgekehrt ist vielmehr die Gemeinde Adressat der Grundrechte, auch von wirtschaftlichen Konkurrenten (s Rn 710 zur von Art. 12 GG umfassten Wettbewerbsfreiheit). Art. 28 Abs. 2 GG begründet aber auch eine Verpflichtung zur Aufrechterhaltung und Wahrnehmung kommunaler Aufgaben[540]. Aus Art. 28 Abs. 2 GG lässt sich aber entgegen der Auffassung des BVerwG kein Verbot der Aufgabe bisheriger Aufgaben ableiten (zum Marktgewerbe Rn 386 f)[541].

Teilweise wird aus der Garantie der Befassung mit den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft auf eine entsprechende Beschränkung der wirtschaftlichen Tätigkeit auf den örtlichen Zuständigkeitsbereich geschlossen[542]. Eine gebietsüberschreitende kommunale Wirtschaftstätigkeit ist jedenfalls dann zulässig, wenn die Tätigkeit örtlich radiziert ist, sie also in den Worten des Bundesverfassungsgerichts in der örtlichen Gemeinschaft wurzelt oder auf sie einen spezifischen Bezug hat[543]. Außerdem müssen die berechtigten Interessen der von der Gebietsüberschreitung betroffenen Gemeinde gewahrt bleiben[544]. Soweit dafür eine gesetzliche Grundlage gefordert wird, sind solche Expansionsklauseln mittlerweile in das Gemeindewirtschaftsrecht mehrerer Länder aufgenommen worden[545] (s. auch Rn 706).

c) Infrastrukturgewährleistungen

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Im Zusammenhang mit der Privatisierung früherer staatlicher Monopole im Eisenbahn- und Telekommunikationssektor wurden in den Art. 87e, f GG Grundentscheidungen aufgenommen. Über den Auftrag zur Privatisierung hinaus bedeutet dies auch die Zuweisung materieller Verwaltungskompetenzen, von denen der Bund durch die Einrichtung der Bundesnetzagentur Gebrauch gemacht hat (s. näher Rn 188). Vor allem aber wurde die Gewährleistungsverantwortung des Staates verfassungsrechtlich verankert. So hat er nach Art. 87f Abs. 1 flächendeckend angemessene und ausreichende Telekommunikationsdienstleistungen zur Verfügung zu stellen; da dieser Auftrag nicht nur Eingang in die Regulierungsziele des § 2 TKG, sondern auch der telekommunikationsrechtlichen Einzelregelungen, etwa im Bereich der Frequenzvergabe, gefunden hat, spielt Art. 87f GG in der Rechtsanwendung vor allem normintern bei der Auslegung der telekommunikationsrechtlichen Vorschriften eine Rolle. Die Gewährleistungsverantwortung legitimiert aber auch die besonderen Anforderungen des TKG an die Eignung und Sachkunde potentieller Anbieter[546].

§ 2 Der unions- und verfassungsrechtliche Ordnungsrahmen › V. Gesetzgebungskompetenzen

V. Gesetzgebungskompetenzen

1. Kompetenzen der EU

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Auch die EU kann nur gesetzgeberisch tätig werden, soweit ihr das Primärrecht eine entsprechende Gesetzgebungsbefugnis einräumt; es gilt das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 EUV): Entsprechend betont auch Art. 288 Abs. 1 AEUV, dass die Gesetzgebungsorgane der Union (nur) „für die Ausübung der Zuständigkeiten der Union“ tätig werden, Die wichtigste, zugleich sehr weit verstandene Kompetenz ist die Rechtsangleichungskompetenz zur Verwirklichung des Binnenmarkts (Art. 114 AEUV; ausf ▸ Klausurenkurs Fall Nr 1)[547].

Für den Binnenmarkt mit Waren ist diese Kompetenz lex specialis, auch zu Art. 193 AEUV (Umweltschutz)[548]; Art. 114 AEUV ist allerdings kein Kompetenztitel für die Verwirklichung der Personenfreizügigkeit (vgl Art. 114 Abs. 2 AEUV); Rechtsvorschriften zu Dienstleistungen können daher nur auf Art. 53 Abs. 1 AEUV iVm Art. 62 AEUV gestützt werden. Dort ist nur das Instrument der Richtlinie vorgesehen. Im Bereich des Art. 114 AEUV kommen sowohl Richtlinien wie Verordnungen in Betracht; die Kommission muss die Wahl der Rechtsform VO also ausdrücklich begründen. Allerdings spielte diese Grenze in der Praxis bisher keine Rolle. Die Einführung strengerer nationaler Bestimmungen auf Basis des Art. 114 Abs. 5 unterliegt, anders als die Beibehaltung einschränkender Voraussetzungen, bestimmten Vorgaben, die kumulativ erfüllt sein müssen, damit „nationale Alleingänge“ zulässig sind[549].

2. Bundeskompetenzen: Das Recht der Wirtschaft seit der Föderalismusreform

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Der Bund hat in weitem Umfang die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das Recht der Wirtschaft, Art. 74 Abs. 1 Nr 11 GG. Der Begriff des „Rechts der Wirtschaft“ ist weit auszulegen[550]. Einige zentrale Bereiche sind im Klammerzusatz beispielhaft genannt. Nicht zum Recht der Wirtschaft gezählt werden solche Bereiche, die unter andere Kompetenztitel des Art. 74 GG fallen (zB Art. 74 Abs. 1 Nr 1 GG für Rechtsanwälte, Art. 74 Abs. 1 Nr 19 GG für Heilberufe) oder einen näheren Bezug zu Landeskompetenzen aufweisen; Letzteres betrifft vor allem die Abgrenzung vom Recht der Gefahrenabwehr (s. auch Rn 167 ff)[551]. Die Bundeskompetenz für das Recht der Wirtschaft wurde bei der Novellierung des Art. 74 Abs. 1 Nr 11 GG im Rahmen der Föderalismusreform eingeschränkt.

Das „Recht der Wirtschaft“ erstreckt sich auf alle das wirtschaftliche Leben und die wirtschaftliche Betätigung regelnden Normen, insbes natürlich auf ihre klassische Ausprägung, das Gewerberecht[552]. Ebenfalls zum Recht der Wirtschaft gehören das im Klammerzusatz erwähnte Energiewirtschaftsrecht sowie das Bankrecht; für das Telekommunikationsrecht ist Art. 74 Abs. 1 Nr 7 GG die speziellere Regelung. Auch die Regelungsgegenstände werden weit gefasst. So können gefahrenabwehrrechtliche Vorschriften des Bundes auch dann auf Nr 11 (Recht der Wirtschaft) gestützt werden, wenn sie der Gefahrenabwehr bzw -vorsorge in spezifischen Wirtschaftsbereichen dienen[553]. Die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes beschränkt sich allerdings nicht auf solche Gesetze, die die Rechtsbeziehungen der in Art. 74 Abs. 1 Nr 11 GG einzeln aufgeführten Wirtschaftszweige regeln. Vielmehr kann der Bund ganz allgemein Gesetze erlassen, die ordnend und lenkend in das Wirtschaftsleben eingreifen[554].

Mit der Föderalismusreform wurden „das Recht des Ladenschlusses der Gaststätten, der Spielhallen, der Schaustellung von Personen, der Messen, der Ausstellungen und der Märkte“ in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder überführt[555]. Von diesen Kompetenzen haben die Länder allerdings nur teilweise Gebrauch gemacht (s. zum Gaststättenrecht Rn 410; zum Marktrecht Rn 349, 362). Bis zum Erlass von Landesgesetzen gelten die bisherigen Regelungen als Bundesgesetze fort, Art. 125a GG. Die scheinbar klare Regelung führt zu einigen Folgeproblemen. Ausgeschlossen ist zunächst die Änderung eines bisherigen Bundesgesetzes durch ein Land[556]. Die Länder könnten daher die bisherige bundesrechtliche Regelung nicht modifizieren, ohne sie – wenn auch gleichlautend – neu zu erlassen[557]. Davon unabhängig können sie solche Regelungen treffen, die selbstständig neben die bisherigen Regelungen treten. Dies betrifft etwa die Vorschriften über Sperrzeiten sowie die in die Landesnichtraucherschutzgesetze aufgenommenen Rauchverbote. Allerdings kann auch der Bund die bisherigen Regelungen ändern; verwehrt ist ihm lediglich eine grundlegende Neukonzeption[558]. Praktisch wurde dies bei der unionsrechtlich geforderten Erstreckung der Genehmigungsfiktion (vgl § 6a Abs. 2 GewO) auf Verfahren nach § 33a Abs. 1, § 69 Abs. 1 und das GastG[559] relevant.

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Im Wege der Annexkompetenz können mit wirtschaftsrechtlichen Vorschriften solche Normen verbunden werden, die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienen. Diese Annexkompetenz des Bundes gerät leicht in Konflikt mit der allgemeinen Gesetzgebungskompetenz der Länder aus Art. 70 Abs. 1 GG, die gerade das Recht der öffentlichen Sicherheit und Ordnung als eine ihrer wichtigsten Ausprägungen umfasst. Entsprechend stellt sich überall dort, wo nunmehr die Länder für wirtschaftsrechtliche Regelungen zuständig sind, die Frage nach der Abgrenzung von speziellen bundesrechtlichen Gesetzgebungskompetenzen. Dies betrifft zum einen die Abgrenzung zwischen dem Gaststättenrecht und dem in der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz verbliebenen Gewerberecht (s. dazu unten Rn 410), aber auch weiteren Bundeskompetenzen, insbesondere für den Jugendschutz (öffentliche Fürsorge iSv Art. 74 Nr 7 GG), Arbeitsschutz (Art. 74 Abs. 1 Nr 12 GG), Gesundheitsschutz und den Lärmschutz (Art. 74 Abs. 1 Nr 24 GG). Dies verdeutlicht das Beispiel der Landesnichtraucherschutzgesetze, soweit sie das Rauchen in Gaststätten verbieten (ausf ▸ Klausurenkurs Fall Nr 2)[560]. Vergleichbare Abgrenzungsfragen stellen sich bei Maßnahmen gegen Alkoholmissbrauch in einem LGastG[561]. Abgrenzungsschwierigkeiten wirft die Landeskompetenz für das Gaststättenrecht vor allem hinsichtlich der Abgrenzung vom Reisegewerbe auf; die beim Bund verbliebene Kompetenz für das Reisegewerbe schließt auch das Reisegaststättengewerbe ein (dazu Rn 410 ff).

3. Recht der Wirtschaft und Ordnungsrecht

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Besonderer Aufmerksamkeit bedarf die Abgrenzung zwischen Recht der Wirtschaft und dem allgemeinen Gefahrenabwehrrecht der Länder. Selbst dann, wenn der Bund keine speziellen Regelungen erlassen hat, gilt der Grundsatz der Gewerbefreiheit. Wegen § 1 GewO kann der Zugang zum Gewerbe[562] aus kompetenzrechtlichen Gründen nur durch ein Bundesgesetz eingeschränkt werden. Die Landesgesetzgeber können folglich nur Genehmigungsvorbehalte einführen, soweit sie durch die GewO dazu ermächtigt werden (s. zB §§ 33b, 71a GewO). Infolge der Föderalismusreform ist allerdings die Reichweite dieses Grundsatzes problematisch geworden.

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Erst recht könnten landesrechtliche Regelungen nicht auf die polizei- und ordnungsrechtliche Generalklausel gestützt werden, die auch unter kompetenzrechtlichen Gesichtspunkten relevant wird (zu den grundrechtlichen Fragen bereits Rn 126, zum Gewerberecht ausführlich unten Rn 320 ff). Eine Auslegung des Polizei- und Ordnungsrechts als generelle Zulassungsschranke verstieße gegen die bundesrechtliche Regelung des § 1 GewO[563]. Allerdings ist es den Ländern nicht verwehrt, die Art und Weise des Betriebes eines Gewerbes zu normieren, solange solche Regelungen nicht einer generellen Zulassungsschranke oder Ermächtigung zur Gewerbeuntersagung gleichkommen[564]. Insbesondere kann gegen einzelne Formen der Gewerbeausübung mit polizei- und ordnungsrechtlichen Mitteln vorgegangen werden, solange nicht die Ausübung des Gewerbes als solche in Frage gestellt, sondern lediglich die Art und Weise der Gewerbeausübung beschränkt wird[565]. Soweit allerdings die Gesetzgebungskompetenz für das Recht der Wirtschaft auf die Bundesländer übergegangen ist (s. zum Spielrecht Rn 169 f und zum Gaststättenrecht Rn 410), entschärft sich die Problematik, indem beispielsweise landesrechtliche Maßnahmen gegen den Alkoholmissbrauch in Gaststätten nunmehr unabhängig davon zulässig sind, ob man sie dem Gewerbe- oder dem Ordnungsrecht zuordnet[566].

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Von besonderer Relevanz ist die Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Ländern im Bereich des Glücksspielrechts. Traditionell wurden zwei Materien unterschieden, das gewerberechtliche Spielrecht der §§ 33c ff GewO und das Recht der Spielbanken, Sportwetten und Lotterien. Die Unterscheidung, die der Bundesgesetzgeber in § 33h GewO zu konkretisieren versuchte, fußte im Wesentlichen darauf, dass man Erstere dem Kompetenztitel Art. 74 Abs. 1 Nr 11 GG (Recht der Wirtschaft) zuordnete, während Glücksspiel traditionell zur (polizei- und ordnungsrechtlichen) Gesetzgebungskompetenz der Länder gezählt wurde, weil es sich um eine „nicht erlaubte Tätigkeit“ handelte[567].

Seit der Sportwetten-Entscheidung des BVerfG[568] wird auch das Sportwetten- und Lotterierecht[569] dem Recht der Wirtschaft zugeordnet[570]. Entsprechendes hat für das Spielbankrecht zu gelten[571]. Eine Länderkompetenz ergibt sich auf diesen Gebieten daraus, dass der Bund entsprechende Regelungen jedenfalls bisher nicht erlassen hat[572]. Die Vorschrift des § 33h GewO wird daher zur Öffnungsklausel: Die Länder können alle nicht von der GewO erfassten Formen des Spiels bzw Glücksspiels regeln. Sie haben von ihrer Gesetzgebungskompetenz vor allem durch den Glücksspielstaatsvertrag Gebrauch gemacht[573]. Dessen Regelungen waren wiederholt Gegenstand von Verfahren vor EuGH und BVerfG (dazu schon oben Rn 63, 69).

§ 2 Der unions- und verfassungsrechtliche Ordnungsrahmen › VI. Organisation der Wirtschaftsverwaltung

VI. Organisation der Wirtschaftsverwaltung

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Fall 12:

Aus den Kreisen der Wirtschaft wird vorgeschlagen, die Aufsicht über Finanzdienstleistungen – genauso wie ihr Vorbild in Großbritannien – in eine privatrechtliche Organisation (AG) zu überführen. Das bisherige Modell einer rechtsfähigen bundesunmittelbaren Anstalt des öffentlichen Rechts im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen (BaFin) habe sich nicht bewährt. Wäre eine solche Privatisierung zulässig? Die Bundesbank wiederum schlägt vor, die Finanzdienstleistungsaufsicht bei ihr zu bündeln und die BaFin aufzulösen.

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Fall 13:

Angesichts der Konsolidierung im deutschen Bankensektor wittert das Unternehmen U AG seine Chance als Newcomer und beantragt bei der BaFin die Erteilung einer Bankerlaubnis.


a) Wie wird die BaFin verfahren, wenn sie die Erlaubnisvoraussetzungen als gegeben ansieht?
b) Was kann U unternehmen, wenn die BaFin den Antrag ablehnt?
c) Das Geschäft der U AG boomt, so dass sie angesichts des Geschäftsvolumens von über 30 Mrd. EUR bald durch Aufsichtsbeschluss der EZB als „bedeutendes Institut“ eingestuft wird, das der „direkten Aufsicht“ der EZB unterliegt. Kann sich U gegen den Beschluss wehren, wenn sie der Auffassung ist, die Einstufung als bedeutendes Institut sei trotz des Geschäftsvolumens aus besonderen Umständen gem. Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 SSM-VO ausgeschlossen?
d) Als der EZB Zweifel an der ordnungsgemäßen Geschäftsführung kommen, weist sie die BaFin an, sich die Geschäftsräume der U AG einmal genauer anzuschauen. U steht auf dem Standpunkt, dass die EZB die Prüfungen nun schon selbst durchzuführen habe und nicht die BaFin vorschicken könne.

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Fall 14:

Die EBA beobachtet schon seit einiger Zeit Missstände bei der deutschen Großbank D, die nicht nur in erheblicher Weise Grundsätze des europäischen Bankenrechts verletzen, sondern auch das ordnungsgemäße Funktionieren und die Integrität des Finanzsystems in der Union gefährden.


a) Nachdem die BaFin einer Empfehlung der EBA, in der die zu treffenden Maßnahmen zur Beseitigung der Missstände enthalten waren, nicht nachgekommen ist, erlässt die EBA eine Untersagungsverfügung gegenüber D.
b) Außerdem werden auf Vorschlag der EBA abstrakt-generell gefasste technische Standards in Form einer Verordnung erlassen, die die Arbeitsabläufe und Zusammenarbeit der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und der EBA koordinieren. Hierin ist auch das Datenformat geregelt, in welchem die nationalen Behörden ihre Informationen an die EBA abzuliefern haben.
c) Welche Rechtsschutzmöglichkeiten haben D und BaFin gegen die beiden Maßnahmen?

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Der Vollzug der Normen des öffentlichen Wirtschaftsrechts obliegt in den meisten Fällen staatlichen Behörden (vgl Rn 174 ff). Daneben gibt es Fälle der mittelbaren Staatsverwaltung, in denen die Aufgaben öffentlichrechtlich organisierten Kammern übertragen worden sind (Rn 205 ff). Die Gestaltungsbefugnisse der Gesetzgeber werden vor allem durch die Verfassung determiniert. Vor allem im Bereich des sog. Regulierungsrechts lässt sich die Verwaltung allerdings ohne Einbeziehung der europäischen Ebene nicht mehr angemessen umschreiben. Aufgrund der verfahrensrechtlichen Autonomie der Mitgliedstaaten greift das Unionsrecht zwar grundsätzlich nicht in die Verwaltungsorganisation ein; auch bei dem mittelbaren Vollzug von Unionsrecht bleibt es daher zunächst bei dieser Zuständigkeitsverteilung (s. aber zur Überlagerung des Verwaltungsorganisationsrechts im Verwaltungsverbund unten Rn 181 ff).

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Umfang:
1951 S. 2 Illustrationen
ISBN:
9783811495876
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