Anarchistische Analysen zur Gegenwart

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Anarchistische Analysen zur Gegenwart
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Texte wider die Anpassung an Herrschaftsverhältnisse

- Anarchistische Analysen zur Gegenwart -

Jörg Djuren

Hannover 2018

HerausgeberInnengemeinschaft Irrliche

http://www.irrliche.org

Anarchistische Literatur, Lyrik, Texte und Theaterstücke

für das 21. Jahrhundert

CC BY SA

Das Buch steht unter der Lizenz:

http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/

Der Text darf beliebig weiterverbreitet &

gespiegelt werden.

Inhalt

Einleitung

Texte zur Kapitalismuskritik

Fight the MIS

(Jörg Djuren - Hannover 2005)

Stichworte: Kapitalismus, Kapitalismuskritik, Postmoderne, Anarchismus, Theorie, Kritik, Multinationale Konzerne, Globalisierung, Sexualität, Subjekt, Widerstand

Philanthrokapitalismus und kulturelle Hegemonie

(Jörg Djuren - Hannover 2008

Stichworte: Philanthrokapitalismus, Stiftungen, Kritik, Kapitalismus, Globalisierung, Bill und Melinda Gates Stiftung, AGRA, GAVI, Public Health, Landwirtschaft, Gentechnologie, Afrika, Green Revolution

Wes Geistes Kind? Arbeit(s)-Religion

(Jörg Djuren - Hannover 2008)

Stichworte: Protestantismus, Arbeitsideologie, Max Weber, Protestantische Ethik, Geist des Kapitalismus, Calvinismus

Die Kapitalisierung des Denkens und Träumens und des Lebens

(Jörg Djuren - Hannover 2000)

Stichworte: Kapitalismus, Kapitalismuskritik, Kapitalakummulation, Postmoderne, Anarchismus, Theorie, Kritik, Träume, Wissensgesellschaft, Künstliche Intelligenz

Texte zur Kritik von Militarismus, Sexismus und Nationalismus

Heimat = Shangri-La? Die Tibetfrage & Neonationalismus in Deutschland und anderswo

(Jörg Djuren - Hannover 2009)

Stichworte: Tibet, China, Nationalismus, Nation, Dekonstruktion, Heimat, Dalai Lama, Geschichte

Die Entkörperung des 'Soldatischen Mannes'

(Jörg Djuren - Hannover 1997)

Stichworte: Militarismus, Männlichkeit, Sexismus, Körper, Geschlecht

Atomare Märchen & ihre Dekonstruktion

(Jörg Djuren - Hannover 2008)

Stichworte: Atomwaffen, Atomtechnologie, Atomenergie, Proliferation, IAEA, International-Atom-Energy-Agency, IAEO, Schweden, Iran, Deutschland, Japan

Thesen zur Modernisierung der Bevölkerungspolitik - oder wer kocht dem Banker sein Chop Suey?

(Ute Finkeldei / Jörg Djuren - Hannover 1998)

Stichworte: Bevölkerungspolitik, Rassismus, Sexismus, Selbstbestimmung, Überbevölkerung, Kritik, Diskurskritik

Texte zur Kritik der Soziobiologie

Ein wissenschaftlicher NAZI

(Jörg Djuren - Hannover 2012)

Stichworte: Hermann Alois Boehm, NSDÄB, Nationalsozialistischer Deutscher Ärztebund, NSDAP, Nationalsozialismus, Medizin, Humangenetik, Rassenbiologie, Alt Rehse, Führerschule der Deutschen Ärzteschaft, Wissenschaftskritik, Kritik, Ärzte, NS

Reflektionen zur Kritik der Europäischen Union

Individuelle Anmerkungen eines Anarchisten zur EU Verfassung einschließlich Anhängen

(Jörg Djuren - Berlin 2004)

Stichworte: EU-Verfassung, EU, Europäische Union, Kritik, Technokratie, Militarismus, Interpretation, Kapitalismus, Konzerne

Die Verträge von Lissabon & die Gesetzespraxis der EU-Nomenklatura

(Jörg Djuren - Hannover 2009)

Stichworte: Verträge von Lissabon, EU, Europäische Union, Kritik, Technokratie, Bürokratie, Interpretation, Kapitalismus, Konzerne, EU-Nomenklatura

Analysen

zur Giordano-Bruno-Stiftung

Die Giordano-Bruno-Stiftung

(Jörg Djuren - Hannover 2012)

Stichworte: Giordano-Bruno-Stiftung, GBS, Kritik, Soziobiologie, Peter Singer, Wolf Singer, Michael Schmidt-Salomon, freier Wille, Nationalsozialismus, Hermann Alois Boehm, Atheismus, Bioethik

zu Noam Chomsky

Noam Chomsky - the Flash Gordon of Anarchism

(Jörg Djuren - Hannover 2006/2007)

Stichworte: Noam Chomsky, Heldenverehrung, Anarchismus, Kritik, Personenkult

Eine Kritik der politischen Implikationen der Sprachtheorie Noam Chomskys

(Jörg Djuren - Hannover 2006/2007)

Stichworte: Noam Chomsky, Linguistik, Sprachtheorie, Computerlinguistik, Kritik, Biologismus, Soziobiologie, Imperialismus, Poststrukturalismus

Deconstructing Noam

(Jörg Djuren - Hannover 2009)

Stichworte: Noam Chomsky, Kritik, Theorie, Poststrukturalismus, Feminismus, Rassismus, Nebenwiderspruch, Hauptwiderspruch, Verkürzte Kapitalismuskritik

zu Antonio Gramsci

Anarchistische Alternativen

(Jörg Djuren - Hannover 1999)

Stichworte: Antonio Gramsci, Gramscikritik, Zivilgesellschaft, Intellektuelle, Anarchismus, anarchistische Theorie, Herrschaft, Macht, Kritik, Revolution, Subjekt

Einleitung

"Anarchismus, eine alternative Gesellschaft wird nicht allein dadurch realisierbar, dass institutionelle Machtverhältnisse unterminiert werden, wir brauchen für eine alternative Gesellschaft viel tiefgreifendere Wandlungsprozesse. Subjekt und Gesellschaft bedingen einander und konstituieren sich wechselseitig. Revolutionen werden nicht in einem Augenblick umgesetzt, sondern sind Ergebnisse Jahrhunderte dauernder Auseinandersetzungen. Revolutionen brauchen Geduld und Ausdauer.

Die bürgerliche Revolution hat nicht nur eine neue Regierungsform geschaffen, sondern ein neues Subjekt und darüber hinaus viele andere grundlegende Veränderungen unseres Verhältnisses zu uns selbst, zur Natur und zur Gesellschaft bewirkt, die vielen heute unkritisch so selbstverständlich erscheinen, als wären sie Natur gegeben und schon 'immer' so gewesen. Z.B.:

- Die Erfindung des Nationalstaates. Ein zentrales Werkzeug zur Durchsetzung war dabei die Erfindung der Geschichtwissenschaften, denen wesentlich die Konstruktion der Nation als übergeschichtlicher Realität oblag.

- Die Erfindung der 'romantischen Liebe' und damit einer völligen Neuordnung der Familienbeziehungen (Statt Zweckehe und Zwangsheirat). Hier liegt z.B. ein Teil des revolutionären Potentials der Werke von William Shakespeare.

- Die Erfindung des Subjektes, des 'Ich', in seiner heutigen Bedeutung. Deutlich z.B. im Werk Albrecht Dürers und der Selbstabbildung in der Position Jesus.

- Die Erfindung der Kindheit (Siehe - Philippe Ariès - 'Geschichte der Kindheit')

- Die Erfindung unseres heutigen Konzeptes von Mutterliebe (Siehe - Elisabeth Badinter - 'Die Mutterliebe, Geschichte eines Gefühls vom 17. Jahrhundert bis heute')

- Die Neukonzeption der Geschlechterverhältnisse und die Erfindung eines biologischen Körperselbstbildes (Siehe - Barbara Duden - 'Geschichte unter der Haut' / Thomas Laqueur - 'Auf den Leib geschrieben' / Claudia Honegger - 'Die Ordnung der Geschlechter')

- Die Neukonzeption des Mensch/Natur-Verhältnisses mit der Durchsetzung des naturwissenschaftlichen Weltbildes und dem technisch/industriellem Zugriff auf Natur.

- Die Erfindung einer neuen Ästhetik in bildender Kunst und Musik orientiert an mathematischen Idealkonstrukten.

- ..

All dies und vieles mehr im Zusammenwirken hat zum Erfolg der bürgerlichen Revolution geführt.

Zur Durchsetzung des Anarchismus wird es vergleichbar radikaler Wandlungsprozesse bzgl. Subjekt, Gesellschaft und Naturverhältniss bedürfen. Das Private ist politisch muss in einem radikalen Sinn begriffen werden. In diesem Sinn publiziert die HerausgeberInnengemeinschaft Irrliche Texte, die radikal anarchistisch und politisch sind, gerade weil sie oberflächlich nicht politisch sind. Literarische Texte, die versuchen andere Formen von Subjektivität und Gesellschaft zu denken, bzw. die bestehenden Formen zu kritisieren. Die Revolution beginnt beim Subjekt."

Irrliche-Manifest

In diesem Buch finden sich kurze Texte, die sich als anarchistische Theorie und Analyse in diesem Sinn begreifen lassen. Sie sind über einen Zeitraum von 20 Jahren entstanden und umfassen ein weites Spektrum an Themen. Allen gemeinsam ist aber der kritisch analytische Standpunkt, der Herrschaftskritik immer auch mit einer kritischen Analyse der Subjektposition verbindet. Die anarchistische Positionierung ist dabei sowohl Ausgangspunkt, als auch Analyserahmen und Zielpunkt.

Als Theoriehintergründe werden dafür vor allem poststrukturalistische Ansätze und Ansätze aus der feministischen Theorie bzw. kritische Aufgriffe der psychoanalytischen Theorie genutzt.

In den Texten finden sich aus heutiger Sich auch Irrtümer, Thesen, Analysen, die sich als falsch erwiesen haben. Und doch kann gerade durch die Linse solcher Fehler die Realität um so genauer erfasst werden, stellt jeder Irrtum doch immer auch ein Wissen darüber bereit, dass wichtige Entwicklungen nicht beachtet wurden und verweist auf diese Auslassungen, die dadurch aufgegriffen werden können für zukünftige kritische Analysen.

Jörg Djuren - Hannover, 2019

Texte zur Kapitalismuskritik

Fight the MIS

"Es war (schon) einmal", sagte die Fledermaus.

 

"Es war (schon) einmal", sagte die Kirsche.

"Es war (schon) einmal", sagte die Puppe.

Doch dann,

weil es regnete,

weil die Sonne schien,

- - - -

vergaßen sie es.

Es war (schon) einmal

Ein Teil des Umbruchs vom Mittelalter zur Neuzeit war eine grundlegende Umstrukturierung der Herrschaftsverhältnisse. Die Adelsherrschaft wurde durch den Nationalstaat ersetzt. Nation und Staat waren in dieser Form Neuerfindungen. Das bürgerliche Subjekt, der 'freie' Unternehmer-Mann, löste als Idealfigur die adeligen Vorbilder ab. Das Geschlechterverhältnis und die Reproduktionsverhältnisse wurden neu strukturiert. Die bäuerliche Subsistenzwirtschaft wurde durch die bürgerliche Kleinfamilie ersetzt. Auch unsere heutige Vorstellung von Mutterliebe1 und Kindheit2 wurden erst zu diesem Zeitpunkt entwickelt und Teil der Subjektkonstitution.

Für Frauen und die nicht so mächtigen Teile der Bevölkerung bedeuteten die Umbrüche eine erhebliche Verschlechterung ihrer Situation. Eigenständige Einkommens- und Lebensmöglichkeiten für Frauen, z.B. Beginenklöster und Frauenzünfte, wurden im Zuge der Inquisition, die als Teil der Modernisierung zu begreifen ist, zerstört und enteignet. Für die kapitalistische Entwicklung war es substantiell sich die reproduktive Arbeit von Frauen umsonst, ideologisiert als Natur der Frau, anzueignen, und Frauen keine Alternative zur Heirat, daß heißt Übereignung an einen Mann, zu lassen. Frauen wurden auch in ihren sexuellen Freiheiten massiv eingeschränkt. So gibt es z.B. aus dem Mittelalter Lieder von Troubaritza (weiblichen Troubadoren)3 in denen sie selbstverständlich für sich sexuelle Bedürfnisse formulieren. So heißt es in einem Lied, schläfst Du mit ihr, schlaf ich auch mit meinem Liebhaber. Für die bürgerliche Frau des 19ten Jahrhunderts wäre eine derartig sexuell selbstbewußte Aussage zumindest öffentlich undenkbar gewesen. Mit dem Umbruch zur Moderne wurde auch Handwerkern der blaue Montag4 und andere erkämpfte Freiräume gestrichen, Arme wurden durch Arbeit in Arbeitshäusern vernichtet, Land das Allgemeingut war, die Almende, wurde zu Gunsten der Besitzenden privatisiert, u.a.5 .

Das Mittelalter war eine repressive und patriarchale Standesgesellschaft, aber in ihr hatten Frauen und die nicht so mächtigen Gruppen der Bevölkerung für sich bestimmte Freiräume und soziale Absicherungen durchgesetzt. Während es erheblichen Teilen der alten Nomenklatura (Adel, Kirche) gelang ihre Privilegien im Umbruch zur bürgerlichen Gesellschaft in neue Macht (Kapital, Besitz) umzusetzen6 , verschlechterte sich die Lebenssituation für die Mehrheit der Menschen mit wenig Macht und für Frauen mit dem Umbruch zur Neuzeit.

Mit dem zunehmenden Bedeutungsverlust der Nationalstaaten, den Veränderungen in Familien- und Arbeitsverhältnissen und der Aufrichtung neuer Machtregime im Geschlechterverhältnis, z.B. durch die Gen- und Reproduktionstechnologien, deutet sich heute ein ähnlich grundlegender Umbruch der Gesellschaftsverhältnisse an.

Damit stellt sich die Frage was zu erwarten ist und welche Auswirkungen dies für die Möglichkeit anarchistischer, antisexistischer Praxis haben wird?

Welche neuen institutionellen Machtverhältnisse deuten sich an, welche Institutionen lösen den Nationalstaat ab?

Wie sieht das neue Subjekt der Macht aus?

Was ist für das Geschlechterverhältnis zu erwarten?

Was ist bzgl. der Arbeits- und Familienverhältnisse zu erwarten?

Wie kann die Zerstörung erkämpfter Freiräume und sozialer Rechte verhindert werden, ohne sich für den Erhalt der alten Machtverhältnisse, z.B. den Nationalstaat, oder ihre Modernisierung instrumentalisieren zu lassen?

Wie ließe sich der Umbruch für die Durchsetzung ganz anderer anarchistischer Alternativen nutzen?

Wie könnten diese anarchistischen Alternativen aussehen?

Für diese Fragen sollen im Folgenden Ideen entwickelt werden, keine definitiven Antworten. Auf den Versuch zu begreifen und auf Theorie zu verzichten, halte ich für falsch, aber jede anarchistische Theorie muß offen für die Reformulierung an Hand politischer Praxis, der Alltagserfahrung und der Bedürfnisse und Interessen der Menschen sein.

Nach dem Nationalstaat - MIS (Multinationale Institutionelle Strukturen)

Der Ablaßhandel im Mittelalter und der Verkauf von Markenturnschuhen funktionieren nach ähnlichen Prinzipien, verkauft wird primär etwas was beliebig zu Minimalkosten vervielfältigbar ist, ein Markenname heißt er nun Gott oder Nike, aber über Monopolisierung künstlich knapp gehalten wird.

In vielen Science Fiction lautet die Antwort auf die Frage, was kommt nach dem Nationalstaat? Die Konzerne. Dies ist für mich nicht überzeugend. Industriekonzerne allein können die notwendigen Bedingungen, z.B. Rechtssetzung, globale Infrastruktur, u.a., für ihre Existenz nicht sicherstellen - zumindest, wenn ich nicht etwas völlig anderes als bisher üblich unter diesem Begriff denke -. Außerdem wird im Science Fiction diese Konzernherrschaft dann doch wieder wie ein Staat gedacht, z.B. mit festem Territorium7 .

Zur Zeit bilden sich aber neue Strukturen heraus, die durchaus die Nationalstaaten ablösen könnten, Mischformen zwischen Konzernen und überstaatlichen, staatliche Aufgaben wahrnehmenden, Institutionen. Diese Multinationalen Institutionellen Strukturen, kurz MIS, stellen etwas neues dar. Sie entstehen zum Teil aus Konzernen, z.B. aus Gefängnis- und Sicherheitsunternehmen, die exekutive Funktionen vom Staat übernehmen, aber auch aus überstaatlichen Behörden und internationalen Institutionen, die sich zunehmend konzernartig organisieren.

Ein Beispiel für das Zweite ist das Europäische Patentamt, kurz EPA.

Das EPA hat einen eigenen Haushalt, der sich aus seinen Einnahmen aus einem Anteil an den Patentgebühren ergibt, über den es autonom verfügt. EPA-MitarbeiterInnen haben DiplomatInnenstatus und sind nicht der der nationalen Gerichtsbarkeit unterstellt. Das EPA verfügt über eine eigene Gerichtsbarkeit bzgl. Einsprüchen in Patentrechtsstreitigkeiten, deren Entscheidungen national anerkannt werden müssen. Das EPA beschäftigt bevorzugt MitarbeiterInnen, die nicht aus dem Land ihres Hauptsitzes Deutschland kommen. Mitglieder der Kotrollgremien des EPA sind in nicht unbeträchtlicher Zahl, nach Beendigung ihrer Tätigkeit, als führende MitarbeiterInnen des EPA wiederzufinden.

In einem etwas polemischen Kommentar wurde in der Presse dem EPA auch schon empfohlen als autonomer Staat die Mitgliedschaft in der EU zu beantragen.

Das EPA ist also eine multinationale bürokratische institutionelle Struktur, die exekutive und juridikative Funktionen für einen Teilbereich der Gesellschaft in sich vereint und mit nicht unbeträchtlichem Erfolg versucht für diesen Teilbereich auch die Legislative zu kontrollieren. Die Behörde ist dabei zum Teil strukturiert und agiert wie ein multinationaler Konzern, der eigene Standortentscheidungen herbeiführt, sich neue Märkte (durch die Ausweitung des Patentbegriffes) erschließt und wachstumsorientiert arbeitet. Das EPA bricht dabei mit der Erteilung fragwürdiger Patente systematisch EU-Recht und setzt die Interessen multinationaler Konzerne auch gegen die Interessen der EU8 durch.

Interessanterweise ist einer der Sitze des EPA in Berlin Kreuzberg (Ecke Lindenstraße/Glitschiner Str.), diese mit hauptverantwortliche Institution für die Ausweitung genetischer Patente scheint aber die autonome Linke nicht zu interessieren.

Die Multinationalen Institutionellen Strukturen, kurz MIS, unterscheiden sich in einer Reihe von strukturellen Fakten von traditionellen Konzernen und staatlichen Institutionen.

- Für die MIS ist nicht nur das traditionelle Kapital (Geld, Grundvermögen, Besitz an Produktionsmitteln, ..) ausschlaggebend, sondern das Kapital einer MIS kann auch wesentlich aus symbolischen oder rechtlichen Kapital bestehen, z.B. aus dem Recht Patente erteilen zu dürfen, wie das EPA. Dieses Kapital wird auch offensiv zur Ausweitung des Einflußbereiches, also zur weiteren Kapitalakumulation eingesetzt. Im Fall des EPA wird das Patentrecht in diesem Sinn instrumentalisiert.

Außerdem werden die Kapitalarten flexibel in einander umgewandelt. So transformiert das EPA seine Patentierungsbefugnis in Geld und politischen Einfluß. Gefängniskonzerne in den USA setzen Geld in politischen Einflußnahme um mit der sie wiederum auf Gesetzesverfahren Einfluß nehmen können, die ihre exekutiven Machtbefugnisse ausweiten, die sie wiederum in Geld umsetzen können. Die MIS Katholische Kirche ist ein anderes Beispiel für die virtuose Umwandlung unterschiedlicher Kapitalarten, hier wird symbolisches Kapital in Geld und politische Einflußnahme umgewandelt und dies wieder zur Ausweitung des symbolischen Kapitals genutzt. Ein Beispiel für die Transformation von Kapitalarten ist auch die Generierung von Markennamen.

- Ein anderes Merkmal der MIS ist ihre geringe territoriale Bindung. So nutzt das EPA Standortentscheidungen um auf EU-Länder Druck auszuüben. Bei multinationalen Konzernen ist dies sowieso üblich.

Dies ist nur mit dem großen Anteil von nicht vom Produktionsstandort abhängigen Kapitalarten, z.B. einem Markennamen, zu begreifen. Im Extrem führen dies Konzerne wie Nike vor, die andere Firmen für ihre Marke produzieren lassen. Aber auch Wissen und Patente und hochqualifizierte Angestellte, die primär an den Konzern gebunden sind, sind solche standortunabhängigen Kapitalarten. Sie stellen eine wesentliche Erweiterung der klassischen Produktionsmittel, der Produktionsmaschinen, der Fabrik, die an einen Standort gebunden war, dar.

- Die MIS zeichnen sich durch eine starke Identifikation ihrer WissensarbeiterInnen mit dem Konzern aus. Nationalstaatliche oder regionale Bindungen der mittleren und höheren Angestellten sind demgegenüber irrelevant. Es wird Englisch gesprochen und MitarbeiterInnen wechseln häufiger den Ort. Diese Personalpolitik ist durchaus als bewußte Maßnahme zur Unterbindung des Aufbaus alternativer nicht auf den Konzern oder die Institution bezogener Sozialstrukturen anzusehen.

Zum Teil übernehmen MIS auch weitere Funktionen für ihre MitarbeiterInnen. Z.B. gilt dies für Rohstoffkonzerne in einigen Regionen Afrikas, in denen sie semistaatliche Strukturen von Schulen bis hin zu Militärapparaten aufgebaut oder von anderen MIS angemietet haben.

- MIS agieren primär mit Bezug auf andere MIS, sie stehen untereinander in Wechselwirkung, in Bündnissen und Konfrontationen. Noch müssen sie Rücksicht nehmen auf die mächtigeren Staaten der Welt. Noch gibt es starke Bindungen an Nationen. Dies wird aber nicht so bleiben. Zur Zeit werden die MIS von nationalstaatlichen Strukturen ausgehend aufgebaut. Dies ist vergleichbar der Phase des Absolutismus in der die Adelsgesellschaft den Nationalstaat begründete. Doch irgendwann wird es zur Ablösung kommen und zu den ersten Kriegen von MIS gegen Staaten und von MIS untereinander. Kriege nicht mehr unbedingt um reale Territorien sondern um virtuelle Einflußgebiete, z.B. Patenansprüche, Markennamen9 oder Fernsehkanäle, so absurd das heute klingen mag.

- Für die MIS spielt die Ausweitung von Patentrechten, z.B. auf schon lange existierende Nutzpflanzen, die Ausweitung von exekutiven Befugnissen und die Absicherung von Urheberrechtsansprüchen eine ähnliche Rolle, wie der Zugriff auf Land, Ressourcen und Arbeitskräfte für die Kapitalisten im Umbruch vom Mittelalter zur Neuzeit. Es geht hier um eine ursprüngliche Kapitalakumulation, um die Enteignung von Allgemeingut und entsprechend groß ist die Bereitschaft dies auch gewaltförmig durchzusetzen.

Die steigende Bedeutung z.B. des Urheberrechtes für die MIS läßt sich auch heute schon im Alltag beobachten.

Z.B. in der aktuellen10 Kampagne der Zukunft Kino Marketing in der BRD unter dem Titel "hart aber gerecht", in der offensiv Folter als Bestrafung für Urheberechtsverletzungen legitimiert wird. So wird in einem Werbespot 'witzig' die Vergewaltigung von Jugendlichen in Gefängnissen als angemessene Bestrafung für das Raubkopieren von Filmen angepriesen. Diese Form extralegaler Bestrafung ist eindeutig ein Bruch der UN-Folterkonvention. Die ZKM tritt also in diesem 'Witz' dafür ein, das Urheberrecht höher als die Menschenrechtscharta anzusetzen. Finanziert wird dies von der Filmförderungsanstalt, einer Bundesanstalt öffentlichen Rechts, in deren Aufsichtsgremium Vertreter der Parteien und auch die evangelische und katholische Kirche sitzen.

 

Zu befürchten ist das aus diesem 'Witz' in Zukunft bei Zuspitzung der Interessenlagen ernst wird.

Dies ist keine notwendige Entwicklung. AnarchistInnen stehen vor der Aufgabe sowohl den Nationalstaat wie die MIS zu bekämpfen, ohne sich für eine Seite instrumentalisieren zu lassen. Auch der Niedergang der USA und Deutschlands wäre, wenn er mit entsprechenden Machtzuwächsen für MIS verbunden wäre, kein Grund zum Feiern. Die Ablösung der Nationalstaaten durch MIS verschärft heute schon die Herrschaftsverhältnisse und sozialen Bedingungen. Falls dies so weiterläuft wird sich die Situation weiter verschlechtern.

Gute MIS gibt es ebensowenig wie gute Staaten oder einen guten Kaiser. Dies gilt auch für Groß-NGO's und einen Weltgerichtshof. Die Alternative liegt nicht bei Attac sondern bei Peoples Global Action, der Zusammenarbeit an der Basis.

Elite-Klone - das neue Subjekt der Macht

Die Umbrüche in der Gesellschaft führen auch zu einem neuen internationalem Subjekt der Macht. Das alte bürgerliche Machtsubjekt war weiß, männlich, Unternehmer, Arzt, Architekt, Ingenieur, usw.. Sein sozialer Status hing wesentlich mit seiner Verortung in einer Stadt oder einer Region zusammen. Der Status setzte soziale Beziehungen zu anderen Bürgern der Stadt, Region, voraus. Kontakte die unter anderem sie, seine 'Haus'Frau, zu pflegen hatte, eine Kompetenz, die auch ihr Status verlieh. Der Status war damit örtlich gebunden. Auch die Sozialisation der Kinder erfolgte über lokale Einrichtungen, wie z.B. Gymnasien, in denen sie mit anderen Kindern der lokalen herrschenden Schicht zusammen aufwuchsen.

Das neue Subjekt der Macht konstituiert und definiert sich nicht mehr über lokale Bezüge.

Nur als Reminiszens kaufen sie sich vielleicht ein 'echt' altes Haus irgendwo, wo es schön ist und die Menschen noch so sind wie früher in der bürgerlichen Zeit - zumindest wo sie so tun als ob, der Priester, der Kaufmannsladenbesitzer, usw. -. In dieses Haus ziehen sie dann, wenn sie Ausscheiden aus dem Leben in der MIS, um dort, in der Zeit zwischen den Kreuzfahrten, internationalen Kulturveranstaltungen und Charitybanketts in New York, zu vergammeln.

Das neue Subjekt der Macht findet seine Identität über seine Stellung in der Multinationalen Institution in der es arbeitet, die MIS ist sein(ihr) zu Hause11 , die Wohnung, die Stadt, das Land sind austauschbar.

Moderne Dienstleistungsapparate stellen sicher, daß die Wohnung überall gleich aussieht. Evtl. 'aufgepeppt' mit ein wenig lokalem Interieur, das ist dann aber schon sehr gewagt. Vielleicht liegt auch irgendwo an passender Stelle die Taschenuhr des Urgroßvaters, unauffällig drapiert.

Auch die Subjekte der Macht sehen alle gleich aus. Die Körperformierung von Fittness bis zu Enthaarung und unauffälliger teurer Bekleidung ist gegenüber dem klassischen Bürger wesentlich weiter vor allem nun auch für Männer fortgeschritten. Die Variationsspielräume sind minimal. Die Sprache ist Englisch. Nur bei der Hautfarbe sind außer weiß nun auch ein paar andere Schattierungen zu sehen, sporadisch werden auch Frauen, soweit sie die männlich heterosexistische Norm übererfüllen, akzeptiert.12

Auch diese Formierung wird durch eine internationale Dienstleistungsindustrie abgesichert, die selben Fittnesstudios in Neu Dehli, Berlin und New York, die selben Boutiquen, die selben Golfplätze.

Das Ideal dieser neuen Herrschaftsschicht scheint der in wenigen Tagen im Tank von der Zelle zum Mann gereifte Klon zu sein. Die Abhängigkeit von leiblichen Bedürfnissen, das Gebohren worden sein, Gefühle außerhalb der MIS13 , werden negiert oder als Konserven konsumiert.

Dies entspricht einer Familienorganisation bei der das Leben in der MIS bei der Arbeit stattfindet, am besten beide arbeiten bei der selben MIS, während die Kinderaufzucht zunehmend nach Effizienzkriterien rationalisiert wird.

Von der Pränataldiagnostik über vielfältige frühkindliche Ausbildungs- und Überwachungstechnologien bis hin zur Weiterbildung im Internat haben längst Techniken der sozialen Klonierung alte bürgerliche Familienverhältnisse abgelöst oder sind dabei sie abzulösen.

In den USA gibt es heute schon totalüberwachte Kindergärten, in denen Eltern via Internet und Kameras das Verhalten ihrer Sprößlinge jederzeit und überall kontrollieren können. In der BRD wird gerade damit geworben Handys für Kinder und Jugendliche zu kaufen mit einer Ortsüberwachungsfunktion, die es Eltern ermöglicht jederzeit auf 100m genau via Internet festzustellen, wo sich Handy und Kind aufhalten. Mir geht es hier nicht so sehr um die repressive als um die produktive Funktion dieser Dauerüberwachung. Hier wird das neue Subjekt der Macht, die Eliteklone von Morgen, durch die Machtwirkung im Sinne Foucaults produziert, als ein Subjekt, daß sich allzeit positiv ins Bild zu setzen weiß. Dieses Subjekt wird auch kein Überich im klassischen Sinn mehr entwickeln, sind doch die unüberwachten Momente der Kindheit, in denen das Kind eigenständige Entscheidungen treffen muß, Voraussetzung für die Herausbildung einer solchen internalisierten Instanz. Das neue Subjekt der Macht wird vielmehr im hohen Maße in seinen Vorstellungen von gut und böse die jeweiligen Moden flexibel zu bedienen wissen.

Big Brother läßt grüßen - die TV-Serie ist insofern pädagogisches Versuchslabor für Erziehungspraxen der Zukunft -.

Die Führungsschichten der MIS pflanzen sich längst durch soziale Klonierung fort, die genetische Klonierung wäre hier nur eine nachholende Materialisierung auf der Ebene der Biologie.

Dies bedeutet aber nicht die Auflösung der Familie. Im Gegenteil auf Grund ihrer Irrealisierung bei gleichzeitiger Simulation als Glücksversprechen, wird sie als Phantasma psychologisch nur um so wirkmächtiger. Sie wird zum unerreichbaren Ziel.

Schöne Neue Familien-Simulation

Die neuen Subjekte der Macht haben gelernt ihre unterschiedlichen Fähigkeiten und Vermögen, z.B. Wissen, soziale Kontakte, Geld, Habitus, u.a., als austauschbare Kapitalien zu denken und nach Bedarf ineinander zu transformieren um sie optimal ein- und sich selbst optimal ins Bild zu setzen.

Dies lernen sie wie aufgeführt im Klonierungsprozess.

Dort wo Aufmerksamkeit und soziale Beziehungen einschließlich Sexualität zu einem geldwertem Kapital werden, kann die klassische Familienstruktur nicht mehr funktionieren, beruhte sie doch auf der unentgeltlichen Ausbeutung der Reproduktionsarbeit von Frauen. Außerdem verändern sich dadurch die Beziehungsstrukturen selbst und werden zu austauschbaren von der konkreten Situation und Person abstrahierenden Formeln. Die reproduktiven Tätigkeiten werden im erheblichen Maß aus der Familie ausgelagert.

Das klassische bürgerliche Familienmodell, die Triade Vater, Mutter, Kind, mit seinen in der psychoanalytischen Theorie beschriebenen Funktionsweisen verliert für das Subjekt der Macht seine Gültigkeit. Es geht nicht um Ausbildung eines Überich, Triebverzicht, Ödipuskomplex, u.a., sondern darum frühzeitig zu lernen, sich selbst als Ware optimal zu vermarkten.

Das Kind lernt im sozialem Klonierungsprozess frühzeitig das Vaterzeit und Mutterzeit knapp bemessen und teuer sind, und es lernt gleichzeitig, daß sie eintauschbar ist gegen Geld, denn dafür gehen Papi und Mami arbeiten, und das sie auch eintauschbar ist gegen kindliches Wohlverhalten, oder gegen das Versprechen, mit dem Weinen aufzuhören, wozu natürlich auch gehört bei Zeiten zu lernen richtig loszuheulen. Das Kind lernt außerdem, daß es außer Vaterzeit und Mutterzeit alternativ auch Schokolade, neues Spielzeug oder einen Kinobesuch eintauschen kann. Alles ist ineinander umrechenbar.

Früh übt die Ware ihre souveräne Selbstvermarktung.

Die klassischen Konflikte mit den Eltern sind für dieses Subjekt hinfällig geworden. Statt durch Ausbildung eines Überichs wird das Kind zum Subjekt durch die Selbstobjektivierung als Ware unter anderen Waren. Das primäre Ziel wird die Erhöhung des eigenen Tauschwertes.

Da neue und alte, hegemoniale und alternative, Subjektdiskurse sich in jedem Subjekt überlagern und widersprechen ist die Subjektivierung nicht konfliktfrei, insbesondere in Zeiten des Überganges. Die Gleichzeitigkeit von Anforderungen, noch und schon gültiger, sich ausschließender Diskurse bringt das Subjekt in eine widersprüchliche Situation.