Anarchistische Analysen zur Gegenwart

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Philanthrokapitalismus und kulturelle Hegemonie



Zur Rolle von Stiftungen & anderen 'gemeinnützigen' AkteurInnen bei der Modernisierung kapitalistischer Herrschaftsverhältnisse





Stiftungen & .. in Deutschland





In den Analysen kapitalistischer Herrschaft wird sowohl im sozialen und medizinischen Sektor als auch in der kulturellen Produktion die Rolle nichtstaatlicher 'gemeinnütziger' AkteurInnen meist vernachlässigt. Dabei kommt diesen Institutionen eine wichtige Rolle bei der Modernisierung und Bewahrung kapitalistischer Herrschaft zu.



Ein Beispiel dafür ist der Bereich der Biopolitik, also die Formierung der Körper, ihre Disziplinierung und Optimierung für die Verwertbarkeit, und ihre Verwaltung und die Regulation des Bevölkerungskörpers. Biopolitik wird nicht nur von staatlicher Seite und im Arbeitsprozeß betrieben, sondern hier sind eine Vielzahl an 'sozialen' und 'medizinischen' AkteurInnen beteiligt. In Deutschland sind dies vor allem die Kirchen (Kindergärten, Krankenhäuser, 'Integrations'maßnahmen in den Arbeitsmarkt, Altenverwaltung, ..) oder die großen traditionellen Sozialverbände (DRK, ASB, DPWV, ..), die wesentliche Teile der biopolitischen Verwaltung der Menschen übernommen haben. Kritisch analysiert wird dies kaum, z.B. welche biopolitischen Muster der Praxis in kirchlichen Kindergärten zu Grunde liegen, und wo und wie diese in Machtprozessen ausgehandelt werden?



Dabei handelt es sich allein vom finanziellen Volumen schon um Bereiche von beträchtlicher Bedeutung.



Die Kirchen sind auch im kulturellen Bereich und in der internationalen Politik nicht unwichtige (biopolitische) Akteure (Brot für die Welt, Misereor, ..).





Dazu kommen die großen Parteistiftungen, die zwar über kein Einlagevermögen verfügen, von der Größe ihres Ausschüttungsvolumens, daß sie vom Staat erhalten (Rosa Luxemburg Stiftung - Jahresetat 2006: 14 Millionen Euro

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 , Heinrich Böll Stiftung - Jahresetat 2006: 40 Millionen Euro

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 , Adenauer Stiftung - Jahresetat 2006: 101 Millionen Euro

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 , Friedrich Ebert Stiftung - Jahresetat 2006: 112 Millionen Euro

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 , Hans Seidel Stiftung - Jahresetat 2006: 42 Millionen

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 , Friedrich Naumann Stiftung - Jahresetat 2006: 41 Millionen Euro

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 ), aber mit den Top 100 der Stiftungen in den USA mithalten können. Die Parteistiftungen fördern dabei von Todesschwadronen (implizit durch finanzielle Förderung der Polizei autoritärer Staaten) bis hin zu Basisgewerkschaften und Menschenrechtsgruppen ein breites Spektrum an Gruppen weltweit. Sie agieren dabei entsprechend ihres politischen Programms, versuchen aber im Regelfall das westliche parlamentarische kapitalistische und marktwirtschaftliche System durchzusetzen, sei es in seiner repressiven Variante (Kohäsion durch Repression und Überwachungsstaat) oder in seiner sozialliberalen Variante (Kohäsion durch sozialstaatliche Institutionen und gesteuerte Aushandlungsprozesse), der grundsätzlichen Infragestellung dieser Struktur wirken die Stiftungen in ihrer Gesamtheit aber entgegen.



Eine genaue kritische Analyse fehlt auch hier.





Und dazu kommen dann noch semistaatliche Institutionen wie die VW-Stiftung (Jahresetat 2006: 100 Millionen Euro

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 ).





Kapitalstiftungen gibt es zwar auch in der Bundesrepublik, aber sie sind nur einige unter vielen AkteurInnen. Die einzige Stiftung, die ausführlicher und kritischer analysiert worden ist, ist die Bertelsmann-Stiftung (siehe Wiki; Bildung schadet nicht - http://wiki.bildung-schadet-nicht.de/index.php/Bertelsmann-kritische_Informationen_und_Materialien -). Diese Analysen sind interessant, die Fokussierung auf die Bertelsmannstiftung unter Ausblendung der anderen Akteure birgt aber die Gefahr einer obskuren Dämonisierung, bei der diese Stiftung omnipotent erscheint und andere Akteure verniedlicht werden

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 . Die Bertelsmannstiftung ist von der Größe des jährlichen Ausschüttungsvolumens (Jahresetat 2006: 61 Millionen Euro

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 ) z.B. erheblich kleiner als die Friedrich Ebert Stiftung (Jahresetat: 112 Millionen Euro) oder die Konrad Adenauer Stiftung (Jahresetat: 100 Millionen Euro). Und es gibt auch in der Bundesrepublik noch andere Kapitalstiftungen vergleichbarer Größenordnung.





Eine kritische Analyse dieser Gesamtstrukturen für die Bundesrepublik Deutschland aus linksradikaler Sicht steht aus.





In den USA gibt es hingegen eine kritische und radikale Kritik zumindest an Teilen dieser zivilgesellschaftlichen AkteurInnen. Diese Kritik und die, in ihr in aktuellen Texten deutlich werdenden, neoliberalen Modernisierungstendenzen in diesem Bereich werden im folgenden, an Hand der von Gramsci inspirierten Kritik an den liberalen US-Stiftungen

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  und an Hand der spezifischen Kritik an der Bill und Melinda Gates Stiftung (größte Stiftung der USA

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 ), dargestellt und konkretisiert. Ein zusätzlicher Ansatzpunkt ist dabei die Kritik am Philanthrokapitalismus, der exemplarisch, an Hand der programmatischen Rede "A New Approach to Capitalism in the 21st Century", die Bill Gates in Davos im Januar 2008 auf dem World Economic Forum (WEF) gehalten hat

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  und die als eine Art Manifest des Philanthrokapitalismus

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  begriffen werden kann, hier kritisiert wird.





Stiftungen & .. aus den USA





Auch in den USA gibt es breites Spektrum zivilgesellschaftlicher Institutionen. Sie reichen von fundamentalistischen christlichen Strukturen, über neokonservative Stiftungen (z.B. Heritage-Foundation) mit ihren Think-Tanks, bis hin zu den großen alten liberalen Stiftungen, den "Big Three" (Ford-Foundation, Rockefeller-Foundation, Carnegie-Foundation).



Das Spektrum der Aktivitäten reicht auch hier von der Unterstützung fundamentalistischer Missionsarbeit, der Unterstützung von Contras und Diktaturen, bis hin zur Unterstützung von Menschenrechtsaktivitäten und sozialer Selbstorganisation.





Die Big Three, die aber nur einige Prozent der Gesamtaktivitäten bestimmen, stehen dabei klar in sozialliberaler Tradition. Ihnen kommt aber eine erhebliche Bedeutung für die Modernisierung kapitalistischer Verhältnisse und die Reintegration kapitalismus- und systemkritischer Gruppen zu. Übertragen auf deutsche Verhältnisse haben sie eine eine ähnliche Funktion, wie die linke Sozialdemokratie und die Grünen.



So waren es die Big Three, die weite Teile der 68er Bewegung in den USA finanzierten, und sie soweit als möglich reintegrierten ins US-System. Die Big Three stehen damit aber auch für die Unterstützung vielfältiger Reformen, vor allem der Affirmativ Action Programme für Farbige und Frauen, für die Unterstützung lesbisch-schwuler Bürgerrechte und für das Aufgreifen sozialer Probleme

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 . Das erklärte Ziel dieser Stiftungen ist allen Menschen die Teilhabe am kapitalistisch parlamentarischem System zu ermöglichen. Dies äußert sich erstens, in hohen Aufwendungen für Bildung und Wissenschaft (Stipendien, Universitäten, Bibliotheken) und der gezielten Förderung diskriminierter Gruppen, und zweitens, in der systematische Zusammenarbeit mit Basisinitiativen und ihrer Rückbindung an eine reformistische sozialliberale Programmatik. Unterstützt werden Aushandlungsprozesse und die Schaffung von Partizipationsmöglichkeiten als Befriedungsstrategie. Zu Grunde liegt der Weltsicht dieser Stiftungen der Glaube an die technokratische (sozialwissenschaftliche

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 ) Steuerbarkeit von gesellschaftlichen Prozessen. Sie stehen damit auch für die Stärkung von Experten und Fachgremien.



Das Zusammenwirken der liberalen Stiftungen und ihrer reaktionären Gegenstücke ähnelt dabei, sowohl in den USA als auch in anderen Ländern, dem Schema von Good Cop und Bad Cop, Herrschaftssicherung, die Reproduktion der bestehenden Verhältnisse, ist ihr gemeinsames Anliegen, aber dort, wo die einen mit Partizipation (Brotkrumen) locken bieten die anderen Militär auf.





Die Big Three waren dabei außerdem von vornherein nicht nur auf die USA fokussiert, sie haben erheblich Einfluß auf die Außenpolitik der USA genommen und weltweit Politik betrieben. Sie waren eine entscheidende treibende Kraft hinter der 'grünen Revolution'

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 , der Chemisierung der Landwirtschaft im Trikont in den 60er und 70er Jahren mit ihren katastrophalen ökologischen Folgen und der Ausweitung der Macht der Agro- & Chemieindustrie. Und sie waren in den 80er Jahren an der Entwicklung des Begriffs und Konzeptes 'Nachhaltigkeit' wesentlich mit beteiligt

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 .



Ihr Einfluß reicht auf Grund fast eines Jahrhunderts Tätigkeit und vielfältiger Verbindungen weit über ihre finanziellen Möglichkeiten hinaus. Viele UN-Initiativen und UN-Gremien und Institutionen der US-Außenpolitik sind unter dem Einfluß dieser Stiftungen entstanden

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 . Auch die Ideologie der 'Humanitären Intervention' stammt nicht zuletzt aus dem Umfeld dieser Stiftungen.



Zusammen mit der Sorros-Foundation, die sich in ihrer Praxis eng an den Big Three orientiert hat, haben sie, im Laufe der 70er, 80er und 90er Jahre durch die gezielte Unterstützung pro kapitalistischer zivilgesellschaftlicher Gruppen wesentlich dazu beigetragen den us-amerikanischen kulturellen Einfluß in Osteuropa zu sichern und den Systemwechsel voranzutreiben

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 .



Zu all diesen Tätigkeiten gibt es differenzierte Kritiken von Seiten der radikalen Linken in den USA

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 . Die Kritik ist dabei durchgehend von der Ambivalenz geprägt, daß viele auch radikale linke Projekte (z.B. World Sozial Forum) unter anderem durch diese Stiftungen finanziert werden.





Diese sozialliberalen alten Stiftungen, mit ihrem Wissensreservoir von nun fast 100 Jahren Stiftungstätigkeit (Gegründet Anfang des 20ten Jahrhunderts), werden seit einigen Jahrzehnten durch eine Reihe Neugründungen mit ähnlicher Zielsetzung aber modernisierten Methoden ergänzt. Die Sorros-Foundation wurde schon genannt.

 



Unter diesen Neugründungen ist auch die nun mit Abstand größte US-Stiftung, die Bill-und-Melinda-Gates-Foundation (die zukünftig über ein Einlagevermögen von über 60 Milliarden Dollar verfügen wird und ein Ausschüttungsvolumen von jährlich ca. 3 Milliarden Dollar

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 ), eine Stiftung, die sich von ihren Zielsetzungen an den alten liberalen Stiftungen orientiert und z.B. 30.000 Stipendien für schwarze Studierende in den USA zur Verfügung gestellt hat, aber gleichzeitig für eine radikale Modernisierung der Stiftungspraxis steht.



Diese Modernisierung läßt sich am besten mit den in den USA geprägten Begriff des Philanthrocapitalism beschreiben.





Philanthrokapitalismus





Der Begriff des Philanthrokapitalismus wurde um die Jahrtausendwende zuerst unkritisch geprägt als Werbung für einen Kapitalismus bei dem Superreiche aus ethischen Erwägungen und auf Grund der sozialen Anerkennung, die sie dafür erhalten, der Gesellschaft einen wesentlichen Teil ihres Vermögens zur Verfügung stellen. Dies wurde als bessere Alternative zu erzwungenen Umverteilungen beworben. Real stellen sie den Reichtum aber nicht der Gesellschaft zur Verfügung sondern Stiftungen, die weiter unter ihrer Kontrolle bleiben.



Die philanthrokapitalistische Ideologie setzt dabei, daß der erfolgreiche Großkapitalist auch die ideale Person ist, um die Verwendung seines Vermögens im Sinne des gesellschaftlichen Ganzen zu organisieren. Dies basiert vor allem auf der Annahme, daß der erfolgreiche Großkapitalist auch im philanthropischen Bereich derjenige ist, der Geldmittel mit maximaler Effizienz einzusetzen weiß.



Dies ist ziemlich genau das Selbstbild von Bill Gates, der, nachdem er sich aus der aktiven Arbeit bei Microsoft zurückgezogen hat, nun sich ganz der Stiftungsarbeit widmen will und nun mit dem selben Denken, mit dem er Microsoft erfolgreich gemanagt hat, Hunger und Krankheit im Trikont bekämpfen will.





Der Philanthrokapitalismus unterscheidet sich von der alten Politik der liberalen Stiftungen vor allem dadurch, das Kapitalismus und Markt nun nicht mehr nur Ziele sind, sondern selbst zu den Mitteln der Stiftungen werden. Das heißt die Stiftungen selbst und die Mittelvergabe werden, wie bei einem Konzern, nach Effizienz und Erfolgskriterien, die in Zahlen und Geld gefaßt werden, organisiert.





Inzwischen gibt es aber eine differenzierte Kritik an diesem Ansatz von Seiten radikaler KritikerInnen

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  und aus den Reihen der alten liberalen Stiftungen. So definiert Michael Edwards, ein CEO der Ford-Foundation, Philanthrocapitalism in seinem Buch "Just Another Emporer? The Myths and Realities of Philanthrocapitalism"

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 , durch folgende Punkte;





- Philanthrokapitalisten verstehen sich selbst als stark engagiert, daß heißt übersetzt, sie wollen den Einsatz der Mittel stark kontrollieren und eigenständig intervenieren. Für die geförderten Projekte bedeutet dies starke Verluste an Selbstständigkeit und einen permanenten Kontrolldruck.





- Effektivität wird wie bei einem Großunternehmen gemessen durch Zahlen und Statistiken.





- Die Strategie setzt auf die aggressive kurzfristige Umsetzungen von Aktivitäten, die sich möglichst bald selbst tragen sollen. Es geht um die Ausweitung von Märkten und die Integration der Bedürftigen als Marktsubjekte als Ideallösung.





- Die Verwischung der Grenzen zwischen zivilgesellschaftlichen Institutionen und Konzernen durch die systematische Förderung von Initiativen in denen zivilgesellschaftliche Gruppen mit Konzernen zusammenarbeiten ist ein angestrebtes Ziel. Die philanthrokapitalistische Ideologie kennt keine grundlegenden Interessenwidersprüche, sondern nur mangelnde Marktintegration.





Als DAS erfolgreiche Beispiel für Philanthrokapitalismus gilt das Konzept der Microkredite.





Auf dieser Beschreibung des Philathrokapitalismus aufbauend formuliert Edwards seine Kritik;





- Der Hype um Philanthrokapitalismus, mit denen sich die Philanthrokapitalisten als die effiziente Lösung der Weltprobleme feiern, hat bisher keine nachweisbaren Ergebnisse vorzuweisen.





- Die Konzentration des Reichtums und der Macht in den Händen Weniger ist eine Gefahr für die Demokratie. Philanthrokapitalismus ist ein Symptom des Problem der Ungleichheit weltweit und nicht die Lösung.





- Die Übertragung des Konzern- und Effizienzdenkens auf die Zivilgesellschaft droht diese ernsthaft zu beschädigen.





Konkret sieht er die Gefahr, daß zivilgesellschaftliche Institutionen zunehmend fremdgesteuert werden durch Marktkonkurrenz um finanzielle Zuwendungen, daß die Grenzen zwischen Zivilgesellschaft und Konzernen, die notwendig für eine funktionierende Demokratie und Kontrolle sind, verwischt werden, und Ressourcen von Initiativen, die strukturelle Veränderungen anstreben, abgezogen werden zu Gunsten sozialer und ökologischer Serviceageturen. Außerdem sieht er die Gefahr einer zunehmenden Ungleichheit zwischen hochgeförderten und nicht geförderten zivilgesellschaftlichen Gruppen und die Gefahr der Spaltung. Die Menschen werden darüber hinaus in die Haltung von passiven KonsumentInnen gedrängt, anstatt sie zur aktiven Partizipation zu motivieren. Letztendlich werden notwendige zivilgesellschaftliche Reformprozesse unterbunden.





Ausgangspunkt für Edwards Kritik ist dabei die Erfahrung der alten liberalen Stiftungen. Es waren die wenig organisierten diffusen Strukturen der Bürgerrechtsbewegung in den USA, die in Folge von 68 die Gesellschaft tiefgehend veränderten. Und Edward zitiert auch eine aktuelle sozialwissenschaftliche Untersuchung über die Wirksamkeit von 12.000 Umwelt-NGO über den Zeitraum 1999 bis 2006. Am erfolgreichsten waren die Gruppen, die am weitesten entfernt von den Vorstellungen der Philanthrokapitalisten waren: "Social movements are most effective when they are purest, most radical, and most disorganized."

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  Die pragmatisch orientierten Gruppen waren die ineffizientesten.





Dazu kommt, daß Philanthrokapitalisten zum Teil auch ihr philanthropischen Engagement direkt mit Firminteressen vermischen. So fördert die Gatesstiftung, die Verbreitung von Computern mit Microsoft-Software in Konkurrenz zum 'philanthropischen' Engagement von Google, die gezielt mit der 'philanthropischen' Förderung von Open Source dagegen halten. Und die Stiftungsmittel der Gates-Foundation werden auch schon mal genutzt um strategische Übernahmen im us-amerikanischen Mediensektor zu finanzieren

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 .



Diese Investitionen weisen auch auf einen zweiten Sektor des Philanthrokapitalismus, auf das zunehmende 'philanthropische' Engagement von Firmen. Hier geht es nicht mehr primär um Spenden um den eigenen Ruf aufzubessern, sondern um strategische 'Philanthropie'. So investieren in Afrika engagierte US-Firmen inzwischen im Schnitt 4% ihrer Gewinne in 'philanthropische' Projekte, die genauer aber wohl als Investition in regionale biopolitische Infrastrukturmaßnahmen bezeichnet werden sollten

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 . Eine regionale funktionierende Basisgesundheitsversorgung ist z.B. Voraussetzung für eine effiziente Vernutzung von qualifizierten Arbeitskräften.





Aus Sicht einer radikalen Kritik geht es beim Philanthrokapitalismus um die Instrumentalisierung zivilgesellschaftlicher Institutionen für die Ausweitung von Märkten und die biopolitische Formierung der Subjekte zu Marktsubjekten.



Das dies nicht eine verschwörungstheoretische Phantasie ist, sondern eine realistische Einschätzung der Intentionen der Philanthrokapitalisten ist, ist exemplarisch an der Rede "A New Approach to Capitalism in the 21st Century"

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  von Bill Gates im Januar 2008 in Davos auf dem World Economic Forum (WEF) ersichtlich.





Gates nennt seinen Ansatz "Creative Capitalism", es handelt sich dabei aber nur um einen neuen Begriff für Philanthrokapitalismus.



Für Gates liegt das Allheilmittel in der Ausweitung der Märkte, so daß auch die Armen zu interessanten Marktsubjekten für das Kapital werden;





"The challenge here is to design a system where market incentives, including profits and recognition, drive those principles to do more for the poor.



I like to call this idea creative capitalism, an approach where governments, businesses, and nonprofits work together to stretch the reach of market forces so that more people can make a profit, or gain recognition, doing work that eases the world's inequities.





My thinking on this subject has been influenced by many different experiences, including the work Microsoft does to address inequity.



For the past 20 years, Microsoft has used corporate philanthropy as a way to bring technology to people who don't have access. We've donated more than US$3 billion in cash and software to try to bridge the digital divide.



But our greatest impact is not just free or inexpensive software by itself, but rather when we show how to use technology to create solutions.





In one case, we're developing an interface that will enable illiterate or semi-literate people to use a PC instantly, with minimal training or assistance. In another we're looking at how wireless, together with software, can avoid the expensive connectivity costs that far more than the cost of software or hardware is what stands in the way of computing access in rural areas.





This kind of creative capitalism matches business expertise with needs in the developing world to find markets that are already there, but are untapped.





Another approach to creative capitalism includes a direct role for governments. Of course, governments already do a great deal to help the poor in ways that go far beyond just nurturing markets: They fund aid research, healthcare; they've done great things. But I believe the highest-leverage work that governments can do is to set policy to create market incentives for business activity that improves the lives of the poor.





I'd like to ask everyone here, whether you're in business, government or the non-profit world, to take on a project of creative capitalism in the coming year, and see where you can stretch the reach of market forces to help push things forward. Whether it's foreign aid or charitable gifts or new products, can you find a way to apply this so that the power of the marketplace helps the poor?"

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Für Bill Gates sind die erfolgreichen Konzernmanager DIE Fachleute zur Lösung der sozialen und ökologischen Probleme in ihrem Bereich. Klaus Schwab als Konferenzleiter des WEF ergänzte diese Aussage von Bill Gates mit dem Hinweis auf zwei Manager von Nestle und Coca Cola, die er als Beispiele für Management-Kompetenz zur Lösung der Weltwasserproblematik anpries

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 .



Keine Satire!





Damit handelt es sich hier auch nicht um eine Verschwörung, sondern die neoliberale Ideologie ist zum die Wirklichkeitswahrnehmung strukturierenden Raster dieser 'Eliten' geworden, so daß sie den Neoliberalismus quasi automatisch auf Grund dieser Art die Wirklichkeit wahrzunehmen reproduzieren und alles immer nur als Bestätigung ihres Glaubens lesen

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 . Und dann auch entsprechend, das neoliberale System stabilisierend, handeln.





Gates selbst sieht seinen Ansatz übrigens in direkten Bezug und in Übereinstimmung zu den Charity-Veranstaltungen von Bono, den er persönlich kennt. Die Band Chumbawumba hat schon vor Jahren recht treffend diese Charityveranstaltungen karikiert, trotzdem sieht mensch sich die Veranstaltungen zum G8-Gipfel in Deutschland an, überkommt einen unter diesem Gesichtspunkt noch einmal stärker das kalte Grausen, ob der Zusammenarbeit mit der Charitybewegung.





Um zu begreifen, was Philanthrokapitalismus konkret bedeutet, ist es sinnvoll sich konkrete Projekte der Bill-und-Melinda-Gates-Foundation anzuschauen.





Dazu soll ein kritischer Blick auf das Projekt AGRA (Initiative für eine 'neue' grüne Revolution in Afrika) und die gesundheitspolitischen Projekte der Bill-und-Melinda-Gates-Foundation in Afrika geworfen werden.





AGRA





Zur klassischen Biopolitik großer Industriekonglomerate der Gründerzeit im 19ten Jahrhundert gehörte nicht nur die Versorgung der ArbeiterInnen mit Wohnungen sondern auch ihre Lebensmittelversorgung über firmeneigene Läden. Ausgebildete ArbeiterInnen mußten an den Betrieb gebunden und arbeitsfähig erhalten werden. Seuchen, die den Betriebsablauf gefährdeten, mußten ausgeschlossen werden. Hunger und verdorbene Lebensmittel senkten die Produktivität. Der Bau des Panamakanals drohte noch im 20ten Jahrhundert zuerst daran zu scheitern, daß ein Großteil der Arbeiter innerhalb kurzer Zeit an Seuchen starb. Auch in Europa war dies im 19ten Jahrhundert noch eine ernsthafte Bedrohung der industriellen Produktivität.

 



Die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung ist ein klassisches Feld der 'grünen' Biopolitik. Sie steht nicht zufällig im Fokus der Entwicklungspolitik von Stiftungen, die ihr Ziel in der Förderung der klassischen kapitalistischen industriellen Entwicklung sehen.



Dies galt sowohl für die Rockefeller Foundation in den 60er und 70er Jahren und gilt für die Gates Foundation heute.





Damit ist auch klar, daß es hier nicht um die Förderung von Lebensmittel-Souveränität geht, sondern um die Förderung der im kapitalistischen Sinne optimierten Lebensmittelproduktion, mit ihrer zwangsläufigen und intendierten Folge der Verdrängung der KleinbäuerInnen. Das heißt es geht um die Förderung der Lebensmittelmassenproduktion mit der bewußten gleichzeitigen Verdrängung und Verelendung der bisherigen kleinbäuerlichen ProduzentInnen um sie als billige abhängige ausbeutbare Arbeitskräfte in die industrielle Verwertung zu zwingen.



Zumindest waren dies die Folgen der ersten 'grünen Revolution', der Industrialisierung und Chemisierung der landwirtschaftlichen Produktion im Trikont, besonders in Asien in den 60er und 70er Jahren. Bei der die Rockefeller Foundation die herausragende treibende Kraft war.



Kleinbäuerliche Strukturen wurden zerstört, die Sortenvielfalt auf wenige Sorten reduziert, Monokulturen und Monopole gefördert, Zerstörungen der Ökosysteme wurden in Kauf genommen und große Teile der landwirtschaftlichen Produktion gerieten in Abhängigkeit der großen Chemie- und Saatgutmulties. Als Effekt kam es zu massenhaftern Flucht in die Slums der Städte und zu einer Verelendung breiter Teile der Bevölkerung, bei gleichzeitig wachsenden Einkommen der vorher schon Wohlhabenden

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 .



Real wurde die Lebensmittelproduktion gesteigert

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 , dafür hätte es aber auch andere sozialverträgliche Entwicklungspfade einer intensiven, ökologisch angepaßten und arbeitsintensiven Landwirtschaft gegeben. Aber auch viele lokale 'Eliten', insbesondere in Indien, setzten auf den technokratischen Entwicklungspfad.





Nach der Kritik der Folgen dieser Entwicklungspolitik in den 70er und 80er Jahren, müßte an sich heute eine unkritische Fortführung dieser Art technokratischer Entwicklung der Landwirtschaft ausgeschlossen sein. Dies ist aber leider nicht so.



Nicht nur auf der englischsprachigen Seite von Wiki zum Stichwort 'Green Revolution' findet sich inzwischen wieder Propaganda die an Texte der Presseabteilungen der Agra- & Chemiemulties erinnert

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 . Mit dem Projekt AGRA knüpft auch die Bill-und-Melinda-Gates-Foundation ohne jegliche kritischen Rückbezug nahtlos an die 'grüne' Biopolitik der 60er Jahre an. Das Projekt AGRA wird den Genmulties den Zugriff auf die afrikanische Lebensmittelproduktion sichern und die afrikanische Landwirtschaft industrialisieren, dort wo dies noch nicht geschehen ist, immer mit dem Argument, die Produktivität zu steigern

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 . Dies zumindest sind die Ziele. Die Folgen werden ähnlich katastrophal sein wie die der ersten 'grünen Revolution' in Asien.





AGRA (Alliance for a Green Revolution in Africa)

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  ist ein Zusammenschluß hinter dem neben der Bill und Melinda Gates Foundation, die Rockefeller Foundation, diverse Hilfsorganisationen, diverse Forschungsinstitute und die großen multinationalen Chemie- und Saatgutkonzerne stehen. Die Initiative wird von der Gates Foundation mit dreistelligen Millionenbeträgen gefördert (bisher ca. 410 Millionen $).



Ziel ist die afrikanischen Anbaufrüchte genetisch zu optimieren, um so die Erträge zu vergrößern, bei gleichzeitigem Einsatz moderner Technik (Chemie) und dafür systematisch die notwendige Infrastruktur aufzubauen (z.B. eine bis in die Dörfer reichende Vertriebskette für genetisch manipuliertes Saatgut). Als Effekt wird die afrikanische Landwirtschaft in die Abhängigkeit weniger Multies geraten, die sowohl das Saatgut als auch die chemischen Zugaben kontrollieren und teilweise in der Folge vermutlich sogar den Landbesitz. Die ökologische Pflanzenvielfalt wird drastisch reduziert und Ökosysteme schwer geschädigt werden. Auf Grund des höheren Finanzmitteleinsatzes für diese Art der Landwirtschaft wird es zur weiteren massiven Zerstörung kleinbäuerlicher Strukture