Gullivers Reisen

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Jonathan Swift

Gullivers Reisen

(Gulliver’s Travels)

Original: Naunhof; Leipzig: Hendel, 1938

Übersetzung: Franz Kottenkamp

Umschlagbild: Charles Edmund Brock

Überarbeitung, Umschlaggestaltung: Null Papier Verlag

1. Auflage, ISBN 978-3-95418-356-2

Umfang: 440 Normseiten bzw. 456 Buchseiten

www.null-papier.de/gulliver

Das Buch

Gullivers Reisen ist das bekannteste Werk des irischen Schriftstellers, Priesters und Politikers Jonathan Swift und gleichzeitig eines der wichtigsten der Literaturgeschichte.

In der hier vorliegenden, unverfälschten und vollständigen Übersetzung der Originalfassung besteht der satirische Roman, der 1726 zuerst veröffentlich wurde, aus vier Teilen:

● Reise nach Lilliput

● Reise nach Brobdingnag

● Reise nach Laputa

● Reise in das Land der Hauyhnhnms

In farbenprächtiger und für damalige Zeiten äußerst satirischer Erzählweise bringt Swift seine Verbitterung über seine Zeitgenossen zu Papier und verpackt sie in vier Reiseberichte.

Auch wenn die Reisen ins Lande Lilliput und nach Brobdingnag, ins Land der Riesen, die bekanntesten der vier Reisen darstellen, handelt es sich bei dieser Fassung nicht um ein Kinderbuch.

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Biographie von Jonathan Swift

Sir Walter Scott

Das Leben Swifts ist ein Gegenstand voll Interesse und Belehrung für alle diejenigen, die über die Wechselfälle nachdenken mögen, aus denen das Geschick der Männer zusammengesetzt ist, die durch ihren Ruf und ihre Talente berühmt sind. Bei seiner Geburt von allen Hülfsmitteln entblößt, erzogen durch das kalte sorglose Mitleid zweier Oheime, von akademischen Ehren ausgeschlossen, während mehrerer Jahre auf den unzulänglichen Schutz Sir William Temples beschränkt, bieten die ersten Blätter der Geschichte Swifts nur das Gemälde eines erniedrigten, in seinen Hoffnungen betrogenen Genius. Trotz aller dieser Nachteile brachte er es dahin, der Ratgeber eines britischen Ministeriums, der geschickteste Verteidiger seines Verwaltungssystems und der vertraute Freund aller der Männer zu werden, die unter der klassischen Regierung der Königin Anna durch ihren Adel oder ihre Talente merkwürdig waren.

Die Ereignisse seiner letzten Jahre bieten einen nicht weniger auffallenden Kontrast dar. In die Ungnade seiner Beschützer verwickelt wurde er verfolgt, verließ England, lebte von seinen Freunden getrennt, und erreichte dann auf einmal einen Grad von Popularität, der ihn zum Abgott Irlands und zum Schrecken derer machte, welche dieses Königreich regierten. Nicht weniger außerordentlich ist sein Privatleben. Er liebte zwei der schönsten und anziehendsten Frauen seiner Zeit und wurde von ihnen ebenfalls zärtlich geliebt; aber sein Schicksal wollte, daß er mit keiner derselben jemals eine glückliche und friedliche Verbindung eingehen sollte, und er sah sie nach einander in das Grab steigen mit der Überzeugung, daß ihre tötliche Krankheit durch den Schmerz über ihre betrogenen Hoffnungen und eine schlecht erwiderte Liebe verursacht worden sei.

Swifts Talente, die Quelle seiner Berühmtheit und seines Stolzes, deren Glanz so lange die Welt geblendet und bezaubert hatte, wurden, je mehr er sich dem Ende seines Lebens näherte, durch Krankheit verdunkelt, durch Leidenschaften verkehrt, und ehe er dasselbe erreichte, standen sie denen der gewöhnlichsten Menschen weit nach.

Swifts Leben ist also eine wichtige Lehre für alle berühmte Männer; es wird zeigen, daß, wenn das Genie auf der einen Seite vom Unglück sich nicht niederdrücken lassen soll, die Berühmtheit andererseits, so groß sie auch seien möge, den Eigendünkel nicht ermutigen müsse. Wenn diejenigen, denen das Schicksal die glänzenden Fähigkeiten versagt hat, mit denen er begabt war, oder diejenigen, denen die Gelegenheit fehlte, sie zu entwickeln, die Geschichte dieses berühmten Mannes lesen, so werden sie die Überzeugung gewinnen, daß das Glück weder von einem politischen Einfluß, noch von einem großen Ruhme abhängig ist.

I

Jonathan Swift, Doktor der Theologie und Dechant zu St. Patrick in Dublin, stammte von dem jüngeren Zweige der Familie Swift in der Grafschaft York ab, die seit vielen Jahren in dieser Provinz ansäßig war.

Sein Vater war der sechste oder siebente Sohn des ehrwürdigen Thomas Swift, Pfarrers zu Goodrich. Die Zahl der Kinder dieses Geistlichen und die Bescheidenheit ihres Vermögens gestatten es nicht, die Aufeinanderfolge derselben genauer anzugeben. Der Dechant selbst benachrichtigt uns, daß sein Vater einige Agentschaften und Ämter in Irland bekleidete.

Jonathan wurde zu Dublin in einem kleinen Hause im Court of Hoeys geboren, das die Bewohner dieses Stadtviertels noch zeigen. Seine Kindheit war, wie die seines Vaters, durch einen sonderbaren Umstand bezeichnet. Es war nicht die Wiege, die diesmal von Soldaten geraubt wurde, wie es bei Thomas Swift geschehen war, sondern diesmal wurde das Kind selbst entführt.

Die Amme, die von Whitehaven war, wurde von einem sterbenden Verwandten, von dem sie ein Vermächtnis erwartete, in ihre Heimat zurückgerufen. Sie war dem Kinde, das ihrer Sorgfalt anvertraut war, so zugetan, daß sie es mit sich nahm, ohne Frau Swift davon zu benachrichtigen. Es blieb drei Jahre in Whitehaven; seine Gesundheit war so zart, daß seine Mutter es keine zweite Reise wollte wagen lassen, und es daher der Frau überließ, die ihm diese Probe ihrer Anhänglichkeit gegeben hatte. Die gute Amme trug so viel Sorge für die Erziehung des Kindes, daß es, als es nach Dublin zurückkam, buchstabieren konnte; mit fünf Jahren las es bereits in der Bibel.

Swift teilte die Dürftigkeit einer Mutter, die er zärtlich liebte, und lebte von den Wohltaten seines Oheims Godivin. Diese Abhängigkeit scheint von seiner Kindheit an einen tiefen Eindruck auf seinen stolzen Charakter gemacht zu haben, und von dieser Zeit an begann sich bei ihm jener menschenfeindliche Geist zu zeigen, den er nur zugleich mit dem Gebrauch seiner intellektuellen Fähigkeiten verlor. Als nachgeborenes Kind, vom Mitleid erzogen, gewöhnte er sich frühe, den Tag seiner Geburt als einen Tag des Unglücks zu betrachten, und er versäumte nie bei der alljährigen Wiederkehr dieses Tages die Stelle in der Schrift zu lesen, in welcher Hiob den Tag beweint und verflucht, an welchem man im Hause seines Vaters anzeigte, »daß ein Männlein geboren sei.«

In einem Alter von sechs Jahren schickte man ihn in die Schule von Kilkenny, die von der Familie Ormond gegründet und ausgestattet worden war. Hier zeigt man den Fremden noch Swifts Pult, auf welchem er seinen Namen mit einem Messer eingegraben habe.

Von Kilkenny aus wurde Swift im vierzehnten Jahre in das Dreifaltigkeits-Kollegium nach Dublin gesandt. Es scheint nach den Registern, daß er daselbst als Kostgänger am 24. April 1682 aufgenommen wurde und St. Georg Ashe zum Lehrer gehabt habe. Sein Vetter, Thomas Swift, wurde um dieselbe Zeit aufgenommen und die zwei Familiennamen, die ohne die Taufnamen in den Registern aufgeführt wurden, haben über einige geringfügige Umstände im Leben des Dechanten Ungewißheit verbreitet. Als Swift an die Universität aufgenommen wurde, forderte man von ihm, sich mit den gewöhnlichen Studien jener Zeit abzugeben. Aber darunter gab es einige, die seinem Geiste nicht sehr zusagten. Vergebens empfahl man ihm die Logik, die man damals als die Wissenschaft par excellence betrachtete. Er hatte einen natürlichen Widerwillen gegen die Sophismen des Smiglecius, Keckermannus, Burgersdicius und anderer ernsthafter Doktoren, die wir heut zu Tage kaum mehr kennen. Sein Lehrer konnte es nicht dahin bringen, daß er auch nur drei Seiten von diesen Gelehrten in us las, obgleich es unerläßlich war, einen Begriff von den Erklärern des Aristoteles zu haben, um durch das Examen zu kommen. Ebenso vernachläßigte er alle Studien, die ihm nicht gefielen. Er las weniger, um sich zu belehren, als um sich zu unterhalten, oder um traurige Gedanken von sich abzuhalten. Aber seine Lektüre war jedenfalls mannigfaltig; und er mußte viel gelesen haben, denn er hatte bereits eine Skizze des »Mährchens von der Tonne« auf’s Papier geworfen, die er Hrn. Waryng gezeigt hatte. Was muß man daraus schließen? Daß ein träger Student des siebzehnten Jahrhunderts durch Lektüre, die er zum Zeitvertreib in seinen Mußestunden vornahm, Kenntnisse erwerben konnte, die einen fleißigen Studenten unserer Zeit in Staunen setzen würden.

Wir haben keine sichern Angaben, um über den Umfang der Kenntnisse Swifts urteilen zu können; man kann nicht sagen, daß er ein tiefes Wissen besaß, aber gewiß ein mannigfaltiges. Seine Schriften bezeugen, daß die Geschichte der alten und neuen Poesie ihm vertraut war; er ist nie in Verlegenheit, zur Bestätigung des Gegenstandes, den er gerade vor sich hat, die klassischen Stellen anzuführen, die für seinen Zweck die geeignetsten sind. Obgleich er keine hohe Vorstellungen von seinen Kenntnissen hat und sich den Vorwurf machte, durch seine Trägheit und Unwissenheit einen akademischen Grad verscherzt zu haben; obgleich er diejenigen heftig tadelte, die einem Manne den Titel eines Gelehrten gaben, der nicht den größten Teil seines Lebens den Studien gewidmet hatte, machte er doch nicht viel aus einem Studenten, der nichts als Fleiß besaß.

Während so Swift seine Studien ohne Beharrlichkeit, nach seinen Launen betrieb, hätte er sie beim Tode seines Oheims Godwin, bei dessen Gelegenheit die Zerrüttung seines Vermögens an den Tag kam, beinahe unterbrechen müssen, wenn er nicht in seinem Oheim Dryden William Swift einen Gönner gefunden hätte. Herr Dryden kam seinem Neffen zu Hilfe; er behandelte ihn, wie es scheint, mit mehr Gewogenheit und Wohlwollen, als sein Bruder Godwin; aber sein nicht sehr beträchtliches Vermögen erlaubte ihm nicht, freigebiger zu seien, als sein Bruder. Swift hat sein Andenken stets wert gehalten, und spricht oft von ihm als von dem besten seiner Verwandten. Er erzählte oft einen Vorfall, der, während er im Kollegium war, sich ereignete, und dessen Held sein Vetter Willoughby Swift, der Sohn Dryden Williams, war. Swift, der ohne einen Pfennig in der Tasche in seinem Zimmer saß, bemerkte im Hofe einen Matrosen, der nach dem Zimmer eines Studenten zu fragen schien. Es kam ihm der Gedanke, dieser Mensch könne mit irgend einer Botschaft von seinem Vetter Willoughby beauftragt seien, der damals Kaufmann in Lissabon war. Kaum war ihm diese Idee durch den Kopf gefahren, als die Türe seines Zimmers sich öffnete, und der Fremde, sich ihm nähernd, eine große lederne Börse voll Geld aus der Tasche zieht, die er als ein Geschenk seines Vetters Willoughby vor Swift hinlegt. Swift hoch erfreut, reicht dem Boten einen Teil seines Schatzes, den der ehrliche Matrose nicht annehmen will.

 

Von diesem Augenblick an beschloß Swift, der das Unglück der Dürftigkeit kennen gelernt hatte, sein bescheidenes Einkommen so zu verwalten, daß er nie mehr in die äußerste Not käme. Er führte eine solche Ordnung in seiner Lebensart ein, daß es aus seinen Tagebüchern, die man aufbewahrt hat, hervorgeht, wie er sich jedes Jahr bis auf einen Sou hinaus von seinen Ausgaben Rechenschaft geben konnte von seiner Universitätszeit an, bis zu dem Augenblick, wo er den Gebrauch seiner Geisteskräfte verlor.

Im Jahre 1688 brach der Krieg in Irland aus; Swift war damals 21 Jahre alt. Ohne viel Geld; wenn auch nicht ohne Kenntnisse, doch mit dem Rufe, keine zu besitzen, mit dem Makel eines unruhigen und störrischen Charakters, und ohne einen einzigen Freund, der ihn hätte aufnehmen und unterhalten können, verließ er das Kollegium in Dublin. Mehr von der Liebe, als von der Hoffnung geleitet, schlug er den Weg nach England ein und begab sich zu seiner Mutter, welche damals in der Grafschaft Leicester wohnte. Frau Swift, die sich selbst in einer abhängigen und ärmlichen Lage befand, empfahl ihrem Sohne, den Sir William Temple um Schutz anzugehen, dessen Gattin mit ihr verwandt war und die Familie Swift gekannt hatte. Thomas Swift, der Vetter unsers Autors, war Kaplan des Sir William gewesen.

Man bat, und die Bitte wurde gewährt; aber längere Zeit hindurch bemerkte man von Seiten Sir William Temples kein Zeichen der Liebe oder des Vertrauens. Der vollendete Staatsmann, der fein gebildete Gelehrte fand wahrscheinlich keinen besonderen Geschmack an dem reizbaren Charakter und den unvollständigen Kenntnissen seines neuen Tischgenossen. Aber die Vorurteile Sir Williams zerstreuten sich nach und nach: der Beobachtungsgeist Swifts gab ihm die Mittel, zu gefallen und er vermehrte seine Kenntnisse durch ein anhaltendes Studium, dem er acht Stunden täglich widmete. Diese Zeit, wohl angewendet, machte einen Mann mit den Fähigkeiten Swifts zu einem unschätzbaren Schatze für einen Gönner, wie Temple, bei welchem er zwei Jahre blieb. Das üble Befinden Swifts nötigte ihn, seine Studien zu unterbrechen; eine Unverdaulichkeit hatte seinen Magen erkältet und ihm apoplectische Zufälle1 zugezogen, die ihn an den Rand des Grabes brachten; die Wirkungen derselben begleiteten ihn durch das ganze Leben. Einmal war er so krank, daß er nach Irland ging, in der Hoffnung, die Luft seines Geburtslandes könne ihm wohltätig werden; aber als er keine Erleichterung fühlte, kehrte er nach Moorpark zurück, wo er die ruhigen Zwischenzeiten, die ihm sein Unwohlsein gestatteten, zum Studium anwendete.

Damals geschah es, daß Sir William Temple ihm einen großen Beweis seines Vertrauens gab, indem er ihm gestattete, bei seinen vertraulichen Zusammenkünften mit dem König Wilhelm, wenn dieser nach Moorpark kam, gegenwärtig zu seien, eine Auszeichnung, welche Temple dem vertrauten Verhältnisse verdankte, das zwischen ihnen in Holland bestanden hatte, die er mit ehrerbietiger Ungezwungenheit aufnahm und durch weise konstitutionelle Ratschläge belohnte. Während Sir William durch die Gicht im Bette zurückgehalten war, hatte Swift den Auftrag, den König zu begleiten; und alle Biographen des Dichters haben wiederholt, daß Wilhelm ihm eine Kompagnie Reiterei anbot und ihn die Spargel nach holländischer Weise schneiden lehrte. Es wäre nicht recht, wollte man den hier gewonnenen Vorteil verschweigen, daß er dieses Gericht durch das Beispiel des Königs auf holländische Weise, das heißt ganz mit Stumpf und Stiel essen lernte. Noch solidere Vorteile wurden seinem Ehrgeiz geboten. Man machte ihm Hoffnung auf Beförderung im geistlichen Stande, dem er sich aus Neigung und durch die Aussicht, die sich vor ihm öffnete, bestimmte. Das große Vertrauen, das man auf ihn setzte, rechtfertigte diese Hoffnung. Sir William Temple beauftragte ihn, dem König die Gründe vorzustellen, die ihn bestimmen mußten, zu dem Antrage auf die dreijährige Dauer des Parlaments seine Zustimmung zu geben; und er führte für die Ansicht Temples mehrere weitere Beweisgründe an, die er aus der Geschichte Englands hernahm. Aber der König beharrte auf seiner Opposition, und der Antrag wurde durch den Einfluß der Krone auf das Haus der Gemeinen verworfen. Dies war die erste Beziehung, in welche Swift mit dem Hofe kam; und er sagte oft seinen Freunden, dies habe dazu gedient, ihn von seiner Eitelkeit zu heilen. Er hatte wahrscheinlich auf den Erfolg seiner Unterhandlungen gerechnet, und war tief gekränkt, als er sie scheitern sah.

Als Swift nach Irland zurückkehrte, und zu einer Stelle von hundert Pfund Sterling Einkünfte ernannt war, forderten die Bischöfe, an die er sich wandte, um ordiniert zu werden, ein Zeugnis seines guten Betragens während seines Aufenthalts bei Sir William Temple. Diese Bedingung war unangenehm: um das Zeugnis zu erhalten, mußte man sich fügen, mußte man bitten. Swift brauchte fünf Monate, um sich dazu zu entschließen. Er sandte einen Entschuldigungsbrief und die Bitte wurde gewährt; der Brief Swift’s war wahrscheinlich der erste Schritt zur Versöhnung mit seinem Gönner. In weniger als zwölf Tagen erhielt er das verlangte Zeugnis, denn sein Ordinationsschein als Diakonus ist vom 18. Oktober 1694 datiert, und der als Priester vom 13. Januar 1695. Sir William Temple hatte, wie man glauben muß, den gewünschten Zeugnissen noch eine Empfehlung an den Lord Capel beigelegt, der damals Vizekönig von Irland war; denn beinahe unmittelbar, nachdem Swift zum Priester ordiniert war, wurde er auf die Pfründe von Kilroot, in der Diözese Connor, ernannt, die ungefähr hundert Pfund Sterling jährlich trug. Er zog sich auf diese bescheidene Stelle zurück und lebte hier als Dorfpfarrer.

Das Leben, das er in Kilroot führte, und das so verschieden war von dem in Moorpark, wo er die Gesellschaft aller durch Geburt oder Genie ausgezeichneten Männer genossen hatte, wurde ihm bald verleidet. Inzwischen fühlte Temple, seit er Swift entbehrte, diesen Verlust schmerzlich und drückte ihm den Wunsch aus, er möchte wieder nach Moorpark kommen. Während Swift zögerte, ehe er auf eine selbst gewählte Lebensweise verzichtete, um seine früher verlassene wieder aufzunehmen, scheint ein Umstand, der die ganze Milde seines Charakters beurkundet, seinen Entschluß entschieden zu haben. Auf einem seiner Ausflüge war er einem Geistlichen begegnet, mit dem er sich verband, weil er ihn sehr unterrichtet, bescheiden und sittlich fand. Dieser gute Pfarrverweser war Vater von acht Kindern und seine Stelle trug ihm vierzig Pfund Sterling ein. Swift, der keine Pferde hatte, entlehnte von ihm seine schwarze Stute, ohne ihm von seiner Absicht etwas zu sagen, begab sich nach Dublin, verzichtete auf seine Stelle in Kilroot und setzte es durch, daß sie auf seinen neuen Freund übertragen wurde. Das Gesicht des guten Greises drückte im ersten Augenblick nur das Vergnügen aus, das er empfand, sich auf eine Pfründe ernannt zu sehen; aber als er erfuhr, daß es die seines Wohltäters sei, der zu seinen Gunsten darauf verzichtet hatte, da nahm seine Freude einen so rührenden Ausdruck der Überraschung und der Dankbarkeit an, daß Swift, selbst tiefbewegt, sagte: er habe niemals in seinem Leben so viel Vergnügen genossen, als an diesem Tage. Als Swift abreiste, drang der gute Geistliche in ihn, die schwarze Stute anzunehmen, die er nicht ausschlug, um ihn nicht zu kränken. Beritten, zum erstenmale auf einem Pferde, das ihm gehörte, mit achtzig Pfund Sterling in der Börse, schlug Swift den Weg nach England ein, und bekleidete in Moorpark wieder die Stelle eines Sekretärs Sir William Temples.

II

Während Swift seiner Liebe zur Literatur nachhing und diese hohe Freundschaft ihm eine angenehme Zukunft zu versprechen schien, bereitete er sich, ohne es zu merken, eine Reihe von Unglücksfällen für den Rest seiner Tage. Es geschah, während seines zweiten Aufenthalts in Moorpark, daß er die Bekanntschaft von Esther Johnson machte, die unter dem poetischen Namen Stella bekannter ist.

Swift, im Vertrauen auf sein kaltes Temperament und seine wandelbare Laune, die kein unkluges Verhältnis gestatten würde, faßte den Entschluß, nicht eher an eine Heirat zu denken, als bis seine Existenz gesichert wäre. Auch dann noch, meinte er, werde er so schwer zufrieden zu stellen seien, daß er die Hochzeit wohl bis zu seinem Tode werde aufschieben können; die Anzeichen einer Neigung, in welchen sein Freund die Symptome einer Leidenschaft zu erkennen glaubt, sind nur die Wirkung einer beweglichen, unruhigen Laune, die der Nahrung bedarf. Er ergreift die erste Gelegenheit, sich zu unterhalten, die sich darbietet, und sucht sie oft in einer nichtssagenden Galanterie; dies ist auch sein Zweck bei dem genannten Mädchen; »es ist eine Gewohnheit«, sagte er, »die ich ohne Mühe werde ablegen können, wenn ich einmal den Entschluß werde fassen wollen, und die ich gewiß ohne Schmerz an der Schwelle des Heiligtums zurücklasse.«

Auf diese Neigung folgte eine noch ernsthaftere; Jane Waryng, die Schwester seines Schulfreundes Waryng, die er mit ziemlich kalter poetischer Affektation Varina nannte, zog während seines Aufenthalts in Irland, als er William Temple verlassen hatte, seine Aufmerksamkeit auf sich.

Ein Brief, der vier Jahre später an dieselbe Person gerichtet wurde, ist in einem ganz andern Tone geschrieben. Varina ist verschwunden; unser Autor schreibt an Jane Waryng: Innerhalb vier Jahren konnten viele Ereignisse vorfallen, die wir nicht wissen; und es wäre nicht gerecht, das Betragen Swifts hart zu beurteilen, den der hartnäckige Widerstand Varina’s nicht auf das plötzliche Anerbieten einer Kapitulation hatte vorbereiten können.

Der Tod des Sir William Temple setzte dem friedlichen und glücklichen Leben, dessen sich Swift vier Jahre lang in Moorpark erfreute, ein Ziel. Sir William hatte die edle Freundschaft Swifts zu schätzen gewußt: er machte ihm ein Vermächtnis an Geld und hinterließ ihm seine Manuskripte, die er ohne Zweifel weit höher schätzte.

Kurze Zeit nachher begab sich Swift nach Irland mit Lord Berkeley. Nach einigen Uneinigkeiten mit diesem Edelmann erhielt er die Pfründe Saracor; aber nun warf er sich unverzüglich auf die Politik.

Im Jahr 1710 begab er sich nach England. Damals begannen seine Feindseligkeiten mit den Whigs und sein Bündnis mit Harley und der Verwaltung.

Seine Ernennung zum Dechant zu St. Patrik wurde den 23. Februar 1713 unterzeichnet und Swift reiste in den ersten Tagen des Junius ab, um eine Pfründe in Besitz zu nehmen, die er, wie er oft sagte, im höchsten Falle für nichts Anderes ansah, als für eine ehrenvolle Verbannung. Man konnte sich in der Tat nicht darauf gefaßt machen, daß die beispiellose Gunst, in der er bei der Regierung gestanden hatte, ihn zu nichts weiter, als zu einer Pfründe in Irland führen und ihn von denselben Ministern entfernen würde, von denen er um Rat gefragt worden war, die seine Talente zur Verteidigung ihrer Sache benützten und mit eben so viel Entzücken seine Gesellschaft genoßen als sie zuvor seine Dienste für die Verwaltung so wesentlich gehalten hatten. Er mochte sich allerdings eben so getäuscht als überrascht fühlen, daß sie ihn nicht zum Bischof in Irland ernennen wollten. Mistreß Johnson hatte ihr Vaterland verlassen, ihren Ruf auf’s Spiel gesetzt, um sein Schicksal zu teilen, zu einer Zeit, als durchaus kein Anschein war, es könnte später glänzender mit ihm werden, und die Bande, die Swift verpflichteten, sie für diese Opfer schadlos zu halten, wären eben so heilig als ein feierliches Versprechen gewesen, wenn nicht wirklich ein förmliches Heiratsversprechen von seiner Seite gegeben ward. Swift beauftragte den ehrwürdigen Sr. Georg Ashe, Bischof von Clogher, seinen alten Lehrer und Freund, sich nach der Ursache der Schwermut Stella’s zu erkundigen, und die Antwort war eine solche, wie sie ihm sein Gewissen zum Voraus hätte geben können. Es war nur ein Mittel, sie von seiner fortdauernden Liebe zu überzeugen und gegen die Verläumdung zu schützen. Swifts Antwort war, daß er zwei Entschlüsse in Beziehung auf den Ehestand gefaßt habe, einmal nicht eher zu heiraten, als wenn er ein hinlängliches Auskommen habe, und dann nur in einem solchen Alter daran zu denken, wo er vernünftiger Weise noch hoffen könnte, seine Kinder so versorgt zu sehen, wie sie es zu werden wünschen dürften. Seine Unabhängigkeit sei noch nicht gesichert, er habe Schulden und die Lebensstufe überschritten, über welche hinaus er entschlossen sei, nicht mehr zu heiraten. Indessen wolle er Stella seine Hand geben, wenn ihre Heirat geheim gehalten, und unter der Bedingung, daß sie fortfahren würden, getrennt, und mit derselben Zurückhaltung wie zuvor zu leben. Stella unterschrieb diese harten Bedingungen. Sie hoben ihre Zweifel und beschwichtigten ihre Eifersucht, indem sie die Verbindung mit ihrer Nebenbuhlerin unmöglich machten. Swift und Stella wurden im Jahre 1716 im Garten der Dekanei vermählt. Unmittelbar nach der Zeremonie war Swift, wie es scheint, in einer schrecklichen geistigen Aufregung. So viel ich von einem Freunde seiner Wittwe erfahren habe, erzählte Delany, als man in ihn drang, seine Meinung über diese seltsame Heirat auszusprechen, er habe um die Zeit, als sie zu Stande kam, bemerkt, daß Swift sehr finster und außerordentlich aufgeregt war, so sehr, daß er zum Erzbischof King gegangen sei, um ihm seine Besorgnisse mitzuteilen. Als er in das Bibliothekzimmer gegangen, sei Swift eilig mit verstörten Zügen herausgekommen und an ihm vorbeigeeilt, ohne mit ihm zu sprechen. Er habe den Erzbischof in Tränen gefunden, und auf seine Frage nach dem Grunde die Antwort erhalten: »Sie sind so eben dem unglücklichsten Menschen auf der Welt begegnet, aber fragen Sie mich niemals über die Ursache seines Unglücks.« Bei dieser Gelegenheit ist zu bemerken, daß Delany aus diesem Umstande schloß, Swift habe nach seiner Heirat mit Stella entdeckt, daß sie in einem verbotenen Grade mit einander verwandt seien und dies dem Erzbischof anvertraut. Aber die Ausdrücke des Prälaten lassen auf nichts Näheres schließen, und es gibt sichere Beweise dafür, daß diese Verwandtschaft gar nicht bestanden haben kann.

 

Swift sah mehrere Tage Niemand. Als er aus seiner Zurückgezogenheit hervorkam, dauerten seine Beziehungen zu Mistreß Dingley und Stella mit derselben Vorsicht fort, um jeden Verdacht eines vertrauten Verhältnisses abzuwehren, wie wenn dieses jetzt nicht rechtmäßig und tugendhaft gewesen wäre. Stella war also fortwährend die Geliebte und vertraute Freundin Swifts; sie hielt ihm Haus, machte die Honneurs seines Tisches, obgleich sie nur sein Gast zu seien schien; sie war seine treue Gefährtin, pflegte ihn, wenn er krank war, aber sie war nie seine Frau, und selbst diese Heirat war ein Geheimnis für die Welt.

Die Angelegenheiten seiner Kirche, die durch den Widerstand seines Kapitels und durch die Dazwischenkunft des Erzbischofs King in Verwirrung gebracht worden waren, hoben sich unmerklich durch die Überzeugung, die man von der Redlichkeit der Absichten des Dechanten und von seinem uneigennützigen Eifer für die Rechte und Interessen der Kirche gewann. Er erlangte einen solchen Einfluß auf das Kapitel, daß man seinen Vorschlägen selten widersprach. Die Angelegenheit der Gefälle und der Erneuerung derselben verschlang in der Folge viel von seiner Zeit. Man darf annehmen, daß Swift wahrend dieser fünf bis sechs Jahre das Studium nicht vernachläßigte. Man fand seine Ansichten über Herodot, Philostrat und Aulus Gellius, was zu der Annahme veranlaßt, daß er sich mit diesen Schriftstellern hauptsächlich beschäftigte: er hatte seine Ausgaben mit weißen Blättern durchschießen lassen, auf die er Bemerkungen schrieb. Man dürfte wohl voraussetzen, daß er die klassischen Autoren nicht vergessen habe, wenn wir nicht wüßten, daß Lucrez seine Lieblingslektüre während seines Aufenthalts zu Gaulstown war. Das Verzeichnis der Bücher, aus denen seine Bibliothek bestand, mit seinen eigenhändigen Bemerkungen ist der sicherste Beweis für seinen Geschmack.

Diese Studien genügten indes einem Manne nicht, der während seines Aufenthalts in England einen so tätigen Anteil an der Politik genommen hatte. Man hat daran gedacht, und es ist sehr wahrscheinlich, daß Swift zu jener Zeit den Plan zu den Reisen Gullivers entwarf. Man findet den Keim dieses berühmten Werkes in den Reisen des Martinus Scriblerus, die wahrscheinlich zuvor entworfen worden waren, ehe die Verbannungen den literarischen Clubb zerstreut hatten. Der Zustand, in welchem der Dechant die öffentlichen Angelegenheiten nach dem Tode der Königin Anna erblickte, paßt zu einem großen Teile der satyrischen Züge in den Reisen. Außerdem spielt ein Brief von Vanessa auf das Abenteuer Gullivers mit dem Affen von Brobdingnag an, und man findet in derselben Korrespondenz, daß Swift im Jahr 1722 mehre Reisebeschreibungen las. Er sagte zu Mißtreß Whitway, was er nachher wiederholt hat, daß er aus den Reisen, die er gelesen, alle Seeausdrücke in Gulliver entlehnt habe. Es ist also wohl anzunehmen, daß die Reisen Gullivers zu der Zeit, von der wir sprechen, skizziert wurden, obgleich sie von der Politik einer spätern Periode handeln.

Swift verließ im Jahre 1720 seine Beschäftigungen und Unterhaltungen, um wieder auf der politischen Bühne zu erscheinen, zwar nicht mehr als Sachwalter und Lobredner eines Ministeriums, aber als der unerschrockene und beharrliche Verteidiger eines unterdrückten Volkes. Keine Nation hat jemals so sehr eines solchen Verteidigers bedurft. Der Wohlstand, dessen sich Irland unter den Königen aus dem Hause Stuart erfreut hatte, war durch einen Bürgerkrieg unterbrochen worden, dessen Ausgang den Kern seines Adels und seines Heeres genötigt hatte, sich aus dem Lande zu entfernen. Die katholische Bevölkerung dieses Königreichs erweckte nur Mißtrauen, und wurde dadurch zur Führung ihrer eigenen Sache untüchtig.

Das englische Parlament hatte sich die Gewalt angemaßt, Irland Gesetze zu geben; und es benutzte diese Gewalt dazu, den Handel dieses Königreichs so sehr als möglich in Fesseln zu legen, dem Handel Englands unterzuordnen und ihn in dieser Abhängigkeit zu erhalten. Die Gesetze des zehnten und elften Jahres der Regierung Wilhelm III. verboten die Ausfuhr der Wollwaren, außer nach England und in das Fürstentum Wales. Die irländischen Fabriken wurden dadurch eines Einkommens beraubt, das man auf eine Million Pfund Sterling schätzte.

Nicht eine Stimme erhob sich in der Kammer der Gemeinen gegen diese eben so unpolitischen, als tyrannischen Maßregeln, die eher eine Korporation kleinstädtischer Krämer, als des aufgeklärten Senats eines freien Volkes würdig waren. Nach diesen Grundsätzen handelnd, häufte man Ungerechtigkeit auf Ungerechtigkeit und man fügte den Hohn hinzu, mit dem Vorteil für die Angreifenden, daß sie das unterdrückte Volk Irlands einschüchtern und zum Schweigen bringen konnten, indem sie es als Rebellen und Jakobiren verschrieen! Swift sah diese Übelstände mit dem ganzen Unwillen eines Charakters an, der von Natur zum Widerstand gegen die Tyrannei geneigt ist. Er veröffentlichte die »Briefe des Tuchhändlers« voll gewichtiger Gründe, blitzend von Geist und besonders durch die Gewandtheit ausgezeichnet, mit welcher die Beweisgründe dargestellt und die Pfeile gerichtet wurden.

1Schlaganfall