Seewölfe - Piraten der Weltmeere 299

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 299
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Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-696-2

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

1.

„Miguel ho!“

Der Ruf schallte über das dunkle Wasser der kleinen Bucht, an deren Ende um ein flackerndes Feuer Männer in einer Felsengrotte lagerten.

Mühelos drang der Ruf bis zu jener Felsengrotte, die zugleich auch den Abschluß der Bucht bildete, hinüber.

Einer der Männer, ein wüster Kerl mit wildem Bart und dicken Muskelsträngen unter der nackten Haut seines Oberkörpers, sprang auf. Mit ein paar Schritten hatte er die Felsengrotte verlassen und stand dann auf dem selbst in der Dunkelheit noch hell schimmernden Sandstrand, der sich rings um die wie eine Parabel geformte Bucht herumzog. Der Strand war von größeren und kleineren Felsbrocken übersät, die gespenstisch in den Nachthimmel emporragten.

Der flackernde Feuerschein tanzte auf dem Wasser und an den Wänden der Felsengrotte, in der jetzt auch die restlichen Männer aufsprangen. Gelbes, und doch irgendwie geisterhaft bleich wirkendes Licht des schon tief über dem Meer stehenden Mondes vermischte sich mit den tanzenden Reflexen des Feuers in der Felsengrotte.

Barabas, der Anführer der Männer, die die westlichste der Caicos-Inseln zu ihrem Schlupfwinkel auserkoren hatten, stand bewegungslos am Strand. Seine Blicke durchbohrten die Dunkelheit, die trotz des Mondlichts und der tanzenden Lichtreflexe über dem nachtschwarzen Wasser der Bucht lag. Er konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf jene Stelle, an der die Schaluppe Miguels, seines Unterführers, sichtbar werden mußte, und zwar innerhalb weniger Minuten.

„Miguel ist zurückgekehrt“, murmelte Barabas. „Damit ist nun die Entscheidung unwiderruflich gefallen. Denn Miguel hat herausgefunden, was ich wissen wollte!“

Barabas reckte seinen gewaltigen Körper, und die dicken Muskelstränge spielten unter seiner braunen Haut. Ein Grinsen umspielte seine Lippen. „Alle, die es bisher versuchten, haben es mit Gewalt und durch einen Frontalangriff erzwingen wollen. Dummköpfe, die sie waren. Ich, Barabas, werde es anders machen. Und ich werde kriegen, was ich haben will! Ganz sicher werde ich das …“

Sein Gemurmel war leiser und leiser geworden und verstummte nunmehr ganz. Ein Schatten tauchte in der Einfahrt zur Bucht an der schmalen Felszunge auf. Schnell wuchs er zur Silhouette einer geräumigen Schaluppe heran.

Der Kopf von Barabas ruckte herum. Seine Blicke wanderten zu einer anderen, ebenfalls unübersehbaren Silhouette hinüber. Zur „Diabolo“, seiner rank gebauten, schnellsegelnden Karacke, die für ihre Größe, kaum mehr als 200 Tonnen, aber sehr gut bewaffnet war. Sie verfügte über zwei Masten, Lateinertakelung, und einen flachen, schnittigen Rumpf, von dem sich lediglich das Achterkastell deutlich hervorhob.

Wieder umspielte ein Grinsen die Mundwinkel von Barabas. Diese Narren, dachte er. Nie wäre er auf die verrückte Idee verfallen, seine Erkundungen mit einem Schiff dieser Größe durchzuführen. Dem Zweimaster sah man das Piratenschiff schon von weitem an. Nein, er mußte im Verborgenen arbeiten. Seine Crew zählte mit ihm und Miguel nur zwölf Mann. Beim Satan keine Streitmacht, mit der man den offenen Kampf suchen sollte. No, er, Barabas, machte das anders. Er kannte jedoch den Vorteil genausogut, den ein kleines, schnelles und vor allem wendiges Schiff und eine zahlenmäßig schwache Mannschaft bot, wie auch die Nachteile beider. Ein kleines Schiff und eine kleine Mannschaft waren gut beherrschbar und vor allem vielseitig einsetzbar, und darauf kam es ihm an.

Die Silhouette war größer geworden, und die heransegelnde Schaluppe, auf der eben das große Lateinersegel niedergeholt wurde, riß Barabas aus seinen Gedanken. Er ging den Strand hinunter, genau auf die Stelle zu, an der Miguel und seine Männer landen würden. In den nächsten Minuten würde sich alles entscheiden, alles.

Der Kiel der Schaluppe fuhr knirschend auf den feinen Sand, das Schiff kam zur Ruhe.

Ein großer, schlanker Mann sprang von Bord. Fast so groß wie Barabas, wirkte er jedoch feingliedriger und geschmeidiger in seinen Bewegungen. Jede seiner Bewegungen hatte etwas Raubtierhaftes an sich. Hinzu kam noch – aber das sah man nur bei Tageslicht – die gelbe Färbung seiner Haut. Ihr hatte er seinen Spitznamen „Der Gelbe“ zu verdanken. Ein Mann, vor dem man auf der Hut sein mußte, in jeder Beziehung, wie Barabas wußte. Aber auch ein Unterführer, wie er sich keinen besseren wünschen konnte. Denn Miguel war schlau, gerissen, verschlagen, mutig. Ein harter Kämpfer, dessen Spezialität das Enterbeil war, das er stets in seinem Gürtel bei sich trug. Genauer gesagt in einer Lederschlaufe, die an seinem Gürtel befestigt war.

Pechschwarze, schulterlange Haare vervollständigten das Bild, das ein Fremder schon in den ersten Augenblicken von Miguel gewann.

Miguel trat auf Barabas zu. Unmittelbar vor ihm blieb er stehen. Sekundenlang starrte er ihn an.

„Du hattest recht, Barabas“, sagte er dann. „Er ist fort, er hat die Schlangeninsel verlassen und ist nach Norden davongesegelt. Auch der gefährliche Franzose war an Bord des Schwarzen Seglers. Jetzt befindet sich nur noch diese verfluchte Rote Korsarin auf der Schlangeninsel. Sie und eine Anzahl von Männern. Wie viele genau war nicht zu erfahren.“

Barabas atmete auf. Er hatte also recht behalten. Jetzt stand seinen Plänen so gut wie nichts mehr im Wege.

„Der Wikinger ist also fort mit seinem dreimal verfluchten Schwarzen Segler! Gegen ihn oder den Seewolf hätten wir keine Chance gehabt. Aber mit dieser Katze, dieser Siri-Tong, werde ich fertig!“

Miguel legte Barabas, als er sich schon abwenden und zur Felsengrotte zurückkehren wollte, die Rechte auf den Unterarm.

„Unterschätze sie nicht!“ warnte er. „Schon mancher hat das geglaubt und war hinterher tot. Denk an Caligu, und er besaß Macht über die ganze Karibik!“

Barabas furchte die Stirn.

„Caligu!“ stieß er hervor. „Ich kenne ihn, ich war bei der Schlacht in der Windward Passage dabei und vorher schon. Ja, er besaß Macht über die ganze Karibik, aber sein Fehler war, daß er mit dieser Siri-Tong und dem Wikinger und dem Seewolf den offenen Kampf suchte. Daß es diesen verfluchten Wikinger überhaupt noch gibt, geht sowieso nicht mit rechten Dingen zu. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen, wie er mit seinem Schiff, mit Mann und Maus, in die Luft flog. Das überlebt keiner – und doch ist er wieder da!“

Barabas atmete schwer. Dieser Punkt bereitete ihm Sorgen. Mehr als er selbst vor seinem Vertrauten, vor Miguel, zugeben mochte. Und Miguel schwieg dazu. Aber er nahm sich vor, auf diesen Punkt noch zurückzukommen, sobald es an der Zeit dafür war.

„Die Rote Korsarin wird uns erzählen müssen, was damals geschah, verlaß dich drauf, Miguel. Wir beide kennen Mittel, die jeden zum Sprechen bringen, auch diese Katze!“

Miguel nickte, aber seine Gedanken kreisten um einen anderen Punkt. Trotzdem, ohne sich etwas anmerken zu lassen, hielt er Barabas abermals zurück.

„Ich habe unseren Spionen auf Tortuga befohlen, sich absolut still zu verhalten, und zwar sofort. Ich habe mir das etwas kosten lassen, von daher wird keine Gefahr drohen. Diesmal wird auch dieser verdammte Diego, der Schildkrötenwirt, nichts erfahren. Dafür ist gesorgt. Niemand kennt unsere Männer auf Tortuga. Nur einer, so ein verdammter Bastard, der sich zu gerne in der Schildkröte vollaufen ließ und dann dämliche Reden führte, der ist über die Rutsche zu den Haien gegangen. Das war auch gut für die anderen, denn von diesem Moment an wußten sie, was ihnen blühte, wenn sie das Maul an der falschen Stelle aufreißen würden.“

Barabas starrte Miguel an.

„Es ist sicher, daß dieser Kerl nichts Wichtiges ausgeplaudert hat?“ fragte er.

Miguel nickte.

„Ja, ich war dabei. Absolut sicher.“

Barabas nickte.

„Gut, Miguel. Hast du es selber gesehen, daß der Wikinger davongesegelt ist, oder hat man dir das berichtet?“ fragte er dann.

„Keine Sorge, so etwas überlasse ich anderen nicht. Ich selber habe es mit meinen eigenen Augen gesehen. Sie kehrten mit sieben Schiffen von Tortuga zurück, ein paar Tage später verließ der Schwarze Segler des Wikingers die Schlangeninsel. Er kehrte nicht zurück.“1)

Wieder nickte Barabas. Auf Miguel konnte er sich verlassen. Aber sein Unterführer war noch immer nicht fertig.

„Noch eines solltest du wissen, Barabas. Die Schlangeninsel ist eine nahezu uneinnehmbare Festung. Sie arbeiten dort immer noch wie verrückt an weiteren Befestigungsanlagen. Ich habe das beobachtet. Wahrscheinlich haben sie damals auf Tortuga Kanonen und Pulver und andere Waffen bei den Spaniern erbeutet. Ich habe mir auch die Felsen angesehen. Sehr genau sogar, Barabas. Nur eine einzige Stelle gibt es, um auf die Insel zu gelangen. Aber ich halte es für möglich, daß auch die Rote Korsarin und ihre Leute diese Stelle kennen und sie bewachen lassen. Und dann – auch wenn du diese Siri-Tong hast, auch wenn sie dir verrät, wo die Schätze liegen, wie willst du sie holen? Ganze zwölf Mann sind wir …“

 

Barabas sah seinen Unterführer an. In seinen dunklen Augen tanzten Lichter, Reflexe des flackernden Feuers in der Grotte, aber er wirkte in diesem Moment wie der Leibhaftige auf Miguel.

„Darüber habe ich längst nachgedacht, Miguel. Ich weiß, wie ich die Schätze kriege. Wenn ich das nicht wüßte, würde ich gar nicht erst den Versuch wagen. Ich denke gar nicht daran, diese Siri-Tong zu unterschätzen. Ich kenne sie noch aus Caligus Zeiten, ich weiß, wie mißtrauisch und wie vorsichtig sie ist. Genau darauf gründet sich mein Plan.“

Er wandte sich endgültig ab, ohne seinem Unterführer eine weitere Erklärung zu geben.

„Komm jetzt“, sagte er über die Schulter, während er bereits auf die Felsengrotte zuschritt, „du wirst mir jetzt die Umrisse der Schlangeninsel in den Sand zeichnen, ganz besonders aber diejenige Stelle, von der du glaubst, daß sie sich dazu eignet, auf die Insel zu gelangen.“

Miguel blieb nichts anderes übrig – er folgte seinem Anführer. Aber er war bei weitem nicht so überzeugt vom Gelingen ihres Planes wie Barabas. Er hatte sich in allen möglichen Tarnungen jetzt wochenlang vor der Schlangeninsel herumgetrieben, und er hatte so einiges gesehen, was ihn sehr bedenklich stimmte. Er schwieg sich jedoch aus, denn er kannte Barabas. Der war von seinem Plan sowieso nicht mehr abzubringen.

In der Grotte zeichnete er die Schlangeninsel in den Sand, nachdem ein paar Männer einen Teil des Sandes, der den Boden bedeckte, angefeuchtet und glattgestrichen hatten. Zum Zeichnen benutzte Miguel die Spitze seines Messers, und das ergab scharfe, klare Linien. Es war alles genausogut zu erkennen, als wenn er es auf Pergament gezeichnet hätte. Und es erwies sich dabei, daß Miguel Talent zum Zeichnen besaß. Zum Schluß stellte er die Felsen sogar noch perspektivisch genau im richtigen Verhältnis zueinander dar.

Barabas saß dabei, stellte hin und wieder ein paar Fragen, verhielt sich ansonsten aber still.

„Es ist gut und schlecht zugleich“, sagte er schließlich, „daß diese Stelle“, er deutete ebenfalls mit der Spitze seines Messers darauf, „in der Nähe des Felsendoms liegt. Wir werden verdammt auf der Hut sein müssen, und wir brauchen eine absolut dunkle Nacht.“

Er starrte in den Sand, und keiner der Männer wagte, auch nur einen Laut von sich zu geben. Doch dann wandte er plötzlich den Kopf und sah seinen Unterführer an.

„Eine wichtige Information hast du mir noch nicht gegeben. Hast du beobachtet, wann jener Strom einsetzt, bei dem diese Hunde die Insel verlassen oder anlaufen können? Wir müssen unseren Plan zu einer Zeit durchführen, in der sie mit keinem ihrer Schiffe aus der Insel heraus können. Nur wenn wir das genau wissen, ist unser Plan durchführbar. Also?“

Miguel nickte.

„Ich habe mir das sogar ganz genau gemerkt, Barabas“, antwortete er. „Hochflut ist die Zeit, in der sie durch den Felsendom in die Bucht der Insel einlaufen können. Einsetzende Ebbzeit, also das Kentern des Stroms, die Zeit, in der sie mit ihren Schiffen die Insel verlassen können.“

Einer der Männer, ein scharfgesichtiger Bursche von hagerer, fast schmächtiger Gestalt, starrte Miguel an.

„He, wenn das so einfach ist, wieso ist es dann bisher keinem gelungen, in diese verdammte Bucht einzulaufen? Da stimmt doch was nicht!“

Miguel blickte unwillig auf.

„Du solltest dein Maul nur aufmachen, Pedro, nachdem du überlegt hast. Aber trotzdem will ich dir antworten. Erstens ist es Don Bosco gelungen, in die Bucht einzulaufen …“

„Ja, aber mit dem Schiff des Seewolfs und nur mit seiner Hilfe, weil der Seewolf am Ruder gestanden hat …“

„Stimmt. Und das sagt doch alles. Wir kennen die Bucht nicht. Wer sie je kennenlernte, gegen den Willen der Bewohner der Schlangeninsel, hat das nicht überlebt. Es gibt da hinter dem Felsendom also noch etwas, was keiner zu überwinden vermag, ohne daß er genau Bescheid weiß. Hast du schon mal was vom Höllenriff gehört?“

Pedro schüttelte den Kopf, aber er war doch wesentlich nachdenklicher geworden. Barabas beendete das Palaver aber sowieso.

„Los, weiter, Miguel. Wie ist das nun mit den Zeitabständen? Wann können sie raus aus der Schlangeninsel, wann wieder rein?“

„Etwa alle sechs bis sieben Stunden. Bei auflaufender Flut rein, bei einsetzendem Ebbstrom wieder raus. Wir können das also ungefähr hier sehen, denn die Schlangeninsel ist nur rund hundert Meilen von uns entfernt. Und die Flut verschiebt sich jeden Tag um rund eine Stunde, ebenso die Ebbe.“

Barabas hörte kaum noch hin. Er begann zu rechnen. Miguel ebenfalls.

„Wir müßten also übermorgen abend absegeln. Wenn wir mit unserer Schaluppe rund zwanzig Stunden brauchen, sind wir ein paar Stunden vor Einbruch der Nacht bei der Schlangeninsel. Wir brauchen aber einen Tag, an dem die Flut gegen Mitternacht einsetzt, oder jedenfalls bei Dunkelheit. Das wäre von heute an gerechnet in drei Tagen der Fall. Dann ist der Mond auch nicht mehr am Himmel, es wird eine stockfinstere Nacht sein. Bevor die Ebbe dann wieder einsetzt und sie daran denken können, uns zu verfolgen, vergehen fast acht Stunden, mindestens aber sieben. Das gibt uns den Vorsprung, den wir benötigen. Nur müssen wir uns bis zum Einsetzen der Dunkelheit irgendwo verbergen, am besten irgendwo außerhalb der Sichtweite auf See warten, so, als ob wir Fischer wären.“

Miguel nickte, aber wieder war es Pedro, der sich einmischte.

„Und natürlich wartet dann die Rote Korsarin auch schon am Strand, damit ihr dieser Katze eins auf die Rübe klopfen und sie dann von der Insel entführen könnt …“

Barabas sprang auf. Mit einem Satz war er bei Pedro und packte ihn. Dann schlug er ihm ins Gesicht.

„Ich habe dich Dreckskerl nicht um deine gottverdammte Meinung gefragt, und ich rate dir, von jetzt an dein Maul zu halten!“ brüllte Barabas. Er riß den schmächtigen Mann hoch und warf ihn kurzerhand in hohem Bogen aus der Grotte auf den Strand.

Dann sah er sich mit funkelnden Augen um.

„Noch jemand, der dämliche Fragen hat?“

Die Männer krochen in sich zusammen. Sie kannten Barabas, und sie wußten, wie brutal er reagieren konnte, wenn man ihn reizte. Im Gegensatz zu Miguel, der fast immer kalt und gelassen blieb. Der allerdings, wenn man ihn soweit brachte, fast noch gefährlicher war, als Barabas selbst.

Pedro rappelte sich fluchend auf. Wütend starrte er zu Barabas herüber, aber er wagte nicht, sich der Felsengrotte auch nur einen Schritt zu nähern. Trotzdem fuhr Barabas herum.

„Los, du löst den Posten an der Einfahrt ab!“ brüllte er. Und als Pedro nicht sofort verschwand, sprang er über das Feuer, mitten durch die Flammen. Im nächsten Moment hatte er Pedro gepackt, und diesmal schlug er nicht nur mit der flachen Hand zu, sondern prügelte ihn den ganzen Strand hinunter. Anschließend warf er ihn in die Bucht.

„Du kommst erst wieder, wenn ich dich holen lasse!“ brüllte Barabas. „Wenn du dich eher hier sehen läßt, ersäufe ich dich wie eine Ratte!“

Barabas drehte sich um und kehrte zur Grotte zurück. Am Eingang blieb er stehen und funkelte die Männer an.

„Wie ich es anstelle, die Rote Korsarin in unsere Gewalt zu bringen, das überlaßt gefälligst mir. Vielleicht schaffe ich das nicht beim ersten Versuch. Aber ich kriege sie, so, wie wir die Schätze des Seewolfs, des verfluchten Wikingers und dieser verdammten Katze kriegen werden!“

Er wandte sich an Miguel.

„Wir müssen alles noch genau durchdenken. Fehler können wir uns bei einer Gegnerin wie der Roten Korsarin nicht leisten. Aber sie wird nicht damit rechnen, daß wir sie von ihrer verfluchten Schlangeninsel herunterholen. Das ist unsere Chance. Und jetzt holt die Weiber und ein Faß Rum. Heute wird gefeiert, und in zwei Tagen segeln wir …“

Wüstes Gegröle aus der Grotte antwortete ihm. Das war ein Vorschlag nach dem Geschmack seiner Spießgesellen. Ein paar von ihnen rannten los. Barabas jedoch zog Miguel auf die Seite.

„Du beginnst morgen damit, die Schaluppe mit allem Nötigen auszurüsten. Ich suche die Männer aus, die dich und mich zur Schlangeninsel begleiten. Wenn es uns gelingt, die Rote Korsarin zu packen und hierher zu bringen, dann wird sie singen, verlaß dich drauf, Miguel!“

Der Gelbe grinste. Wie in einer Reflexbewegung zog er sein Enterbeil aus der Schlinge an seinem Gürtel.

„Sie wird reden, Barabas. Sie wird uns sogar anflehen, reden zu dürfen. Ich kenne mich in solchen Dingen aus, es wäre nicht das erste Mal, daß ich jemand zum Reden bringe. Aber sie darf nicht sterben dabei. Wir werden sie brauchen, denn ohne sie werden wir an den Schatz nicht herankommen …“

Zwei Stunden später ging es in der Felsengrotte hoch her. Das Gegröle der Piraten, das Gekreische der Weiber und das Donnern blindlings abgefeuerter Musketen drang weit über das Wasser in die Bucht hinaus.

Auch Pedro, der den Wächter an der Einfahrt zur Bucht abgelöst hatte, hörte das.

Verbittert fluchte er vor sich hin. Sein scharfes Gesicht verzog sich dabei, als sei eben ein großes Geschwür in seinem Magen aufgebrochen.

„Du wirst mir das noch büßen, Barabas, du Hund!“ murmelte er. „Du willst die Rote Korsarin fangen. Ha – ich kenne diese Wildkatze, besser als du. An der wirst du dir deine dreckigen Pfoten verbrennen, und ich, Pedro, werde dabei etwas nachhelfen!“

Aber außer Pedro hörte das niemand. Und das war auch besser für ihn.

2.

Auf der etwa hundert Meilen entfernten Schlangeninsel herrschte ebenfalls Unruhe. Die Ereignisse auf Tortuga hatten ihre Spuren hinterlassen2). Dieser Admiral Cortejo war ein gefährlicher Bursche gewesen, und ohne die Warnung durch Diego, den Schildkrötenwirt, hätte es unter Umständen schlecht für die Schlangeninsel ausgesehen.

Hinzu kam noch, daß sowohl der Wikinger als auch der Seewolf und obendrein auch noch Jean Ribault sich nicht auf der Insel befanden. Das einzige kampfstarke Schiff, über das die Schlangeninsel und ihre Bewohner zu diesem Zeitpunkt verfügten, war Siri-Tongs „Roter Drache“, obwohl sich insgesamt sieben Galeonen in der Schlangenbucht befanden. Nämlich Siri-Tongs Kriegsgaleone, die „Mocha“ der Schlangenpriesterin Arkana, eine zwar schnelle und wendige Galeone, aber eben nicht sonderlich gut bewaffnet, und die fünf erbeuteten spanischen Galeonen des Admiral Corteja, die sie mit ihrer gesamten Ladung zur Schlangeninsel gesegelt hatten. Auch die Tatsache, daß eine dieser Galeonen ein Kriegsschiff war, änderte daran nichts. Denn dieses Schiff, alt, morsch und in höchst desolatem Zustand, würde im Falle eines Angriffs auf die Schlangeninsel auch nicht wirklich von Nutzen sein können. Ganz davon abgesehen, daß es ebenfalls an Mannschaften fehlte, um die vorhandenen Galeonen wirklich einzusetzen.

Es war eine schlimme Zeit für die Bewohner der Schlangeninsel. Die „Le Vengeur II.“ hatte Don Bosco bei seinem Überfall auf die Insel vernichtet. Mit ihr mehr als die Hälfte ihrer Besatzung. Und so lebten im Moment auf der Schlangeninsel nur noch die Krieger und Kriegerinnen Arkanas, deren Kinder und die restliche Besatzung der „Le Vengeur II.“, von der sich aber, Ribault eingeschlossen, vier Mann an Bord des Schwarzen Seglers befanden. Außerdem noch die Rote Korsarin mit ihrer Crew.

Um eben diese Situation aber drehte sich das Gespräch, das sich unweit des Schlangentempels zwischen Arkana, der Roten Korsarin und Karl von Hutten entsponnen hatte.

„Wir können nur eines tun, Arkana“, sagte Siri-Tong und fuhr sich dabei durch ihr langes, rabenschwarzes Haar, „wir müssen die Befestigung der Insel so rasch wie möglich ausbauen. Geschütze haben wir, schließlich können wir die der spanischen Kriegsgaleone demontieren und in den Felsen aufstellen, eine der Galeonen war bis unters Hauptdeck vollgestopft mit Pulver, Kanonenkugeln, Handfeuerwaffen und anderen Dingen. Eine Reihe von Kanonen haben wir bereits in unsere Befestigungsanlagen eingebaut – es wird einem Angreifer nicht leicht werden, uns den Garaus zu machen …“

„Richtig, Siri-Tong“, erwiderte die Schlangenpriesterin, und der Schlangenreif, den sie um die Stirn in ihrem ebenfalls pechschwarzen Haar trug, funkelte im Licht der schon tief über den Felsen stehenden Sonne. „Deine Männer und auch meine Krieger wie Kriegerinnen sind bereits dabei, die neuen Befestigungsanlagen zu bauen. Aber das alles wird auf die Dauer nicht genügen. Zu viele wissen von unserer Insel, und die Habgier wird sie immer neue Versuche unternehmen lassen, sich der Schätze im Schlangentempel zu bemächtigen und das Geheimnis dieser Insel zu lüften. Natürlich wissen sie nicht, daß sie die Schätze gegen unseren Willen niemals kriegen werden, dafür ist von mir gesorgt. Aber darum geht es auch gar nicht. Diese Insel ist unser aller Stützpunkt und Zufluchtsort zugleich. Wir bewahren sie und den Tempel des Schlangengottes nicht nur für uns, sondern auch für den Seewolf und seine Männer. Schon sehr bald werden sie zurückkehren. Die Schlangeninsel wird dann für uns alle, auch für den Seewolf, von größter Bedeutung sein.“

 

Arkanas Stimme hatte einen dumpfen Klang angenommen, ihre Augen waren weit geöffnet, und ihr Blick schien durch die hohen Felsen der Insel hindurchzugehen.

Keiner sagte ein Wort. Auch Karl von Hutten nicht, der gerade eine Entgegnung auf der Zunge gehabt hatte. Partner und Freund von Jean Ribault, wirkte er durch seine kühngeschnittenen Gesichtszüge und durch seine dunkle Haut, die der Arkanas glich, wie ein Indianer. Nur daß statt der schwarzen, lange hellblonde Haare über seine Schultern fielen, die in seltsamem Kontrast zu seiner übrigen Erscheinung standen. Von Hutten wußte wie die anderen, daß Arkana über die Gabe des Zweiten Gesichts verfügte und daß ihre Prophezeiungen fast immer eintrafen. Aber man durfte sie in solchen Momenten auf keinen Fall stören.

„Es wird neue Kämpfe geben zwischen dem Mutterland des Seewolfs und dem der Spanier“, hörte von Hutten sie sagen. „Unsere Schlangeninsel wird dabei eine wichtige Rolle spielen“, fuhr sie nach einer Weile fort, „aber wir müssen sie sichern, sie zu einer uneinnehmbaren Festung ausbauen, oder wir gehen unter. Ihr natürlicher Schutz, der Mahlstrom, der Felsendom, das Höllenriff, die sie umgebenden Felsen reichen dann nicht mehr aus.“

Arkana schien einen Moment lang in sich zusammenzusinken. Doch dann straffte sich ihr biegsamer, schlanker Körper plötzlich, und sie sah ihre Gefährten an.

Besonders Siri-Tong. Und zwar so lange und so eindringlich, daß der Roten Korsarin bereits unbehaglich zumute wurde und sie schon die Lippen öffnete, um Arkana zu fragen, was das zu bedeuten hätte. Aber da durchdrang bereits die Stimme der Schlangenpriesterin die Stille.

„Dir, Siri-Tong, droht Gefahr. Sie ist bereits unterwegs hierher, aber ich kann sie nicht erkennen. Sei auf der Hut. Ich werde diese Nacht den Schlangengott befragen – vielleicht erhalte ich von ihm Antwort …“

Siri-Tongs Augen verengten sich.

„Gefahr, Arkana? Mir droht Gefahr? Hier auf der Insel?“ fragte sie, und zwei scharfe Falten hatten sich über ihrer Nasenwurzel gebildet.

Die Schlangenpriesterin nickte.

„Ja, hier“, erwiderte sie nachdrücklich. „Sie nähert sich mit jeder Stunde, die verstreicht, aber ich weiß nicht woher, und auch nicht, um welche Art von Gefahr es sich handelt. Gehe nie ohne Begleitung über die Insel, auch nicht heute abend, wenn du die Befestigungen und die Baustellen inspizierst …“

In diesem Moment lief auf die Gruppe der drei Menschen ein junges Mädchen zu. Gertenschlank, geschmeidig in jeder seiner Bewegungen, mit ebenso bronzefarbener Haut wie Arkana und ebensolchem schwarzen Haar. Auch sie trug um die Stirn den Schlangenreif.

Siri-Tong und Arkana wandten sich um, die jugendlich-helle Stimme des Mädchens klang zu ihnen herüber.

„Du brauchst nicht allein zu gehen, Siri-Tong!“ rief sie der Roten Korsarin zu, „ich werde dich begleiten, ich wollte mir das alles schon lange einmal ansehen!“

Die Rote Korsarin lächelte.

„Gut, Araua!“ antwortete sie. „Dann kann mir ja nichts passieren, wenn ich unter deinem persönlichen Schutz stehe!“

Siri-Tong, Arkana und von Hutten lachten, und auch um Arauas Lippen legte sich ein spitzbübischer Zug.

„Ich werde schon auf dich aufpassen, Siri-Tong, manchmal muß man das bei dir, denn mit dir geht dein Temperament nur allzuleicht durch …“

Die Rote Korsarin langte blitzschnell zu, packte Araua, die Tochter Arkanas und des Seewolfs, die inzwischen ein bildhübsches Mädchen von sechzehn Jahren war, und zog sie zu sich heran.

„Man merkt, daß deine Mutter dir viel zuviel durchgehen läßt! Auf meiner nächsten Reise wirst du mich und nicht den Wikinger begleiten, den du ja doch immer wieder um den Finger zu wickeln vermagst. Du wirst dann …“

Araua entwand sich dem Griff der Roten Korsarin wie eine Schlange.

„Gut, einverstanden“, sagte sie. „Und wenn du die Zustimmung meiner Mutter bekommst – ist das dann ein Versprechen?“

Ihre Augen lachten, aber irgendwo in ihren Tiefen war auch wieder jener Ernst, den die Rote Korsarin schon so oft beobachtet hatte und der sie immer wieder überraschte.

„Diese Augen“ dachte sie. „Es sind die Augen des Seewolfs, und sie können genauso prüfend und fordernd blicken wie seine!“ Sie dachte das, sagte es jedoch nicht. Aber in diesem Moment dachte sie an den Mann, der ihre Liebe besaß. Ihre und die der Schlangenpriesterin. Aber merkwürdigerweise empfand die Rote Korsarin bei dem Gedanken an Arkana keine Eifersucht.

Araua hatte unterdessen einen raschen Blick mit ihrer Mutter gewechselt, und die hatte durch leichtes Nicken ihrer stummen Frage zugestimmt.

„Es gilt also, Siri-Tong?“ fragte Araua und streckte der Roten Korsarin die Hand hin.

Siri-Tong schrak aus ihren Gedanken auf. Ein rascher Blick zu Arkana hinüber zeigte ihr, daß die Schlangenpriesterin einverstanden war.

„Es gilt, Araua. Aber du weißt, daß eine Reise unter meinem Kommando und auf meinem Schiff anders ist als eine auf dem Schwarzen Segler?“

Araua nickte. Jetzt hatte sie die Augen halb geschlossen und schien durch die Felsen hindurchzublicken.

„Ich weiß“, sagte sie leise, „aber es wird eine lange Reise sein, Siri-Tong. Ich werde vieles sehen und vieles lernen, und wir werden den Seewolf, meinen Vater treffen …“

Die Rote Korsarin zuckte zusammen. Wie ihre Mutter, vielleicht noch nicht so ausgeprägt, verfügte auch Araua über die Gabe des Zweiten Gesichts.

„Du meinst, wir werden …“

„Ja, Rote Korsarin. Aber da ist noch etwas. Etwas Schlimmes, etwas Gefährliches. Eine Bucht, Männer, Feuer …“

Araua erwachte plötzlich aus ihrer Trance. Langsam, wie in Gedanken, setzte sie sich zu Arkana, Siri-Tong und Karl von Hutten, und die drei ließen sie gewähren.

Noch einmal warf die Rote Korsarin Araua einen nachdenklichen Blick zu, aber dann straffte sie sich und sah von Hutten an.

„Setzen wir jetzt unsere Beratung fort, es waren noch etliche Fragen offen“, forderte sie. Aber sie konnte so wenig wie die anderen vermeiden, daß sie nicht ganz bei der Sache war, denn die Worte Arauas gingen ihr durch den Kopf.

Doch dann forderte von Hutten ihre Aufmerksamkeit.

„Wir brauchen Schiffe“, sagte er. „Neue, moderne und gut bewaffnete Schiffe, eine kampfstarke Flotte, die hier in der Schlangenbucht stationiert wird. Aber obwohl ich das bereits mit Jean“, er meinte den Freund aus Frankreich, der mit dem Wikinger auf dem Wege nach England war, „besprochen habe, schafft uns gerade das neue Probleme. Sogar welche, die nur schwer zu lösen sein werden.“

Er schwieg einen Moment, sah Arkana und Siri-Tong an und auch Araua, die ihn aus hellwachen, eisblauen Augen anblickte.

„Ja, sprich weiter, Karl“, drängte Siri-Tong.

„Es werden mehr Menschen auf dieser Insel wohnen und leben müssen. Zwar ist die Schlangenbucht sehr fischreich, von daher wird es keine Probleme geben, aber alle anderen Nahrungsmittel müssen wir uns beschaffen. Ich könnte mir vorstellen, daß wir auf einer der uns benachbarten Caicos-Inseln etwas anpflanzen, Kulturen anlegen müssen. Daß wir hier Vorräte für Notzeiten einlagern müssen, daß sich das Leben auf der Schlangeninsel selbst sehr verändern wird. Und wenn wir nicht gut achtgeben darauf, wer künftig zu ihren Bewohnern gehört, auch der Friede, der auf ihr herrscht, seit wir hier leben, verändern.“

Arkana nickte. Ja, das waren sie, die Sorgen um die Zukunft, die sie alle verspürten. Wasser hatten sie genug, es gab mehrere Quellen auf der Insel. Bei einer eventuellen Belagerung durch eine fremde Flotte konnten sie sich mühelos vom Fischreichtum der Bucht ernähren. Die Felsen, der Felsendom, der Mahlstrom, das Höllenriff und die rings um die Insel verteilten und in die steil zur See hin abfallenden Felsen eingebauten Befestigungsanlagen gewährten einen guten Schutz. Die neue Flotte von kampfstarken Galeonen modernster Bauart würde ein übriges tun. Aber die Menschen, die Fremden, die man zwangsläufig auf der Insel beherbergen mußte, die waren ein Problem. Denn die Sicherheit der Schlangeninsel hing in allererster Linie von ihren Bewohnern ab und davon, daß man einander voll vertrauen konnte. Jeder dem anderen, und zwar blind, so, wie das bisher immer gewesen war.

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