Storm

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Aus der Reihe: Sternenlicht #3
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Johannes Anders

Sternenlicht 3

Storm

Saphir im Stahl

Bereits erschienen:

Horst Hoffmann - Insel im Nichts

Johannes Anders - Rücksturz nach Tyros

Johannes Anders - Storm

Peter Krüger - Der Fehler im System

Joachim Stahl - Parsifal

In Vorbereitung:

Erik Schreiber - Wanderer

Sternenlicht 3

e-book 089

Erste Auflage 01.01.2021

© Saphir im Stahl

Verlag Erik Schreiber

An der Laut 14

64404 Bickenbach

www.saphir-im-stahl.de

Titelbild: Thomas Budach

Lektorat: Joachim Stahl

Vertrieb: neobooks

Inhaltsverzeichnis

Mari Ried

Storm

Prof. Dr. Koranne Fluk

General Landan Blang

Oberst Brisella Edge

Konor Bas

Storm

Renette Dang

Omega

Coach Juli

1 Mari Ried

Der gepanzerte Transportgleiter lastete schwer auf seinen Magnetkissen und schwebte mit Höchstgeschwindigkeit einige hundert Meter über dem Boden dahin. Auf dem Weg von Nuevo Knox zu seinem streng geheimen Ziel wurde er von einer Polizeieskorte gesichert. Die sechs schwerbewaffneten blau-weiß markierten Kampfgleiter umgaben den wertvollen Transport vorne, hinten, links, rechts, oben und unten.

Leutnant Lars Hartleib beobachtete aufmerksam die Umgebung, konnte aber nichts Bedrohliches feststellen. Ein solcher Transport war absolut außergewöhnlich. Nicht jeden Tag wurde ein Teil der Goldreserven Campanulas um den halben Planeten geflogen. Es war mit Sicherheit die wertvollste Fracht, die man Hartleib in seiner bisherigen Laufbahn anvertraut hatte.

Ein Signal leuchtete auf der Konsole vor ihm auf.

„Hier Transporter Campa-04, sprechen Sie!“, meldete er sich.

„Code gamma-echo-02-Stern-3“, authentifizierte sich eine Stimme. „Kursänderung auf 52.682 Nord, 10.664 Ost.“

„Kursänderung verstanden.“

Hartleib gab den neuen Kurs ein. Die Eskorte synchronisierte sich automatisch, als der Transporter auf das neue Ziel einschwenkte.

Plötzlich blitzte etwas in einem Waldstück unter ihnen auf. Der vordere Gleiter wurde getroffen, sein Schutzschirm war nicht stark genug, und er wurde aus der Bahn geworfen. Hartleib schaffte es geistesgegenwärtig, den Transporter nach unten zu drücken, während der angeschlagene Gleiter über ihn hinwegtaumelte und den weiter hinten fliegenden mit sich riss. Die beiden Gleiter trudelten dem Boden entgegen, während Hartleib mühsam die Kollision mit dem unten eskortierenden Gleiter vermeiden konnte.

Er schlug auf den roten Notfallknopf. „Hier Campa-04, wir werden angegriffen!“, schrie er in die Leitung. „Haben zwei Begleitflugzeuge verloren!“

Die verbliebene Eskorte gruppierte sich so, dass sie den Transporter gegen den Beschuss abschirmten, und nahm die Bodenbatterie unter Feuer. Während die Geschütze dort in einer Feuerwolke vergingen, eröffneten drei weitere Bodenstützpunkte das Feuer. Ein weiterer Gleiter schmierte ab, während die drei anderen sich jeweils eine Batterie vorknöpften.

„Dritter Gleiter abgeschossen, erbitten dringend Hilfe!“, schrie Hartleib.

Es rauschte in der Leitung, bis eine Antwort kam: „Gamma-echo-02-Stern-3, gehen Sie auf Ausweichplan b-6. Ich wiederhole: Ausweichplan b-6!“

Hartleib aktivierte den befohlenen Ausweichplan über seine Konsole. Die Triebwerke jaulten auf, während der Transporter über die linke vordere Ecke in den Sturzflug kippte. Just in diesem Moment fing er sich einen Treffer von einem der Bodengeschütze. Hartleib sah nach hinten. Die schwere Panzerung hatte größeren Schaden abgehalten. Der Transporter war noch flugfähig, aber er zog eine schwarze Rauchfahne hinter sich her. Die Steuerungs-KI schaffte es, ihn zu stabilisieren und auf Kurs zu halten. Tief unter sich sah Hartleib Häuser auftauchen. Eines der Häuser wurde rasend schnell größer. Es handelte sich um den Turm der Galaxbank. Der Transporter umkreiste den Turm in einer Abwärtsspirale und verschwand in einem Schacht, der sich just in dem Moment öffnete, als er die Planetenoberfläche erreichte, und der sich sofort wieder hinter ihm schloss. Über ein internes Leitsystem wurde der Transporter zu einem Landeplatz gewiesen, an dem bereits ein Löschtrupp und schwerbewaffnete Polizisten warteten.

„Campa-04 nimmt Asyl in der Galaxbank“, funkte Leutnant Hartleib. „Ich wiederhole: Campa-04 ist in Sicherheit. Ausweichplan b-6 ausgeführt.“

Nachdem der Brand gelöscht war, begannen die Polizisten, die wertvolle Fracht zu entladen und im Tresorraum der Bank einzulagern.

*

Man hatte Inspektor Ontan Rückriegel brutal aus dem Urlaub zurückgeholt. Eben noch hatte er sich eine Rückenmassage im Spa-Bereich des Hotels Sieben Sonnen gegönnt, das direkt am Strand lag. Minuten später stieg er schon in den Gleiter, der ihn zu einem Komplex des SSD bringen würde. Man hatte ihm gesagt, dass es um die nationale Sicherheit ging.

Als er schließlich beim SSD eintraf, gönnte man ihm keine Verschnaufpause. Missmutig ließ er sich in einen Konferenzraum geleiten, in dem ein halbes Dutzend aufgeschreckter SSD-Offiziere saß. Einer von ihnen erhob sich, ein grauhaariger hagerer Typ.

„Ich bin Oberst Nova“, stellte er sich vor. „Wir haben ein Problem. Ein Transport unserer nationalen Devisenreserven wurde verraten und angegriffen. Unser Ausweichplan sah vor, in der Galaxbank Zuflucht zu suchen. Allerdings ist diese Bank nicht sicher genug. Ein Kommando Spezialkräfte ist unterwegs, um die wertvolle Fracht zu bergen.“

„Und wie kann ich Ihnen dabei helfen?“

„Wir brauchen Sie als Kontaktmann zur Polizei. Sorgen Sie dafür, dass ihre Leute uns nicht in die Quere kommen!“

Na super. Wegen so etwas holte man ihn aus dem Urlaub. Das hätte jeder andere seiner Kollegen auch erledigen können.

Auf einem Bildschirmtisch in der Mitte des Konferenzraums beobachteten sie, wie die Spezialkräfte das wertvolle Gut sicherten und in einen neuen Panzergleiter verluden. Dieser stieg alsbald in den Himmel auf, um sich dort in die Mitte einer erheblich verstärkten Eskorte von 24 Kampfgleitern einzureihen.

Währenddessen trafen Spezialisten des Kriminallabors bei den zerstörten Bodenbatterien ein, die die Eskorte angegriffen hatten. Da die Löscharbeiten noch im Gange waren, mussten sie sich noch gedulden.

Oberst Nova, Inspektor Rückriegel und der Krisenstab betrachteten wie hypnotisiert die Bilder, die von einem der Kampfgleiter zu ihnen geliefert wurden. Sie zeigten den Transporter im Schwarm der Eskorte.

„Eigentlich hätte niemand von dem Transport wissen dürfen“, stellte der Oberst fest. „Da wir verraten wurden, müssen wir mit dem Schlimmsten rechnen!“

Erfreulicherweise verlief der weitere Flug aber ereignislos und der Transport näherte sich bereits dem Raumhafen, wo die Fracht auf einen schnellen Kreuzer verladen und nach Mené im Tyrossystem gebracht werden sollte. Dort verfügte man über ein besseres Sicherheitskonzept und die zentrale Lagerung der Devisenreserven würde auch jede Menge Kosten sparen.

Der Oberst sah auf der eingeblendeten Karte, dass nur noch wenige Kilometer bis zum Raumhafen fehlten. Man konnte schon fast aufatmen. Da vibrierte Oberst Novas Armsprechgerät.

„Ich habe hier jemanden, der etwas über die Hintergründe des Angriffs zu wissen scheint“, meldete eine Ordonnanz. „Soll ich durchstellen?“

„Ja, machen Sie das! Legen Sie es auf den Konferenzraum!“

Das Bild einer jungen Frau erschien auf dem Tischmonitor. Sie war in eine Fantasieuniform gekleidet und trug ein weinrotes Kopftuch, unter dem ihre braunen Rastalocken hervorquollen. In einige Strähnen war Schmuck eingeflochten und an ihrem rechten Ohr war ein Ohrring mit einer Feder befestigt. Unschwer war sie als Piratin zu erkennen.

„He, ho, ihr Leute vom SSD, wie geht‘s denn immer so?“, fragte sie mit einem frechen Grinsen.

„Wer zum Henker sind Sie und was wissen Sie über den Transport?“

„Man kennt mich als Mari Ried und ich kann Ihnen bei Fragen zum Verbleib Ihres Goldschatzes gerne behilflich sein“, antwortete sie und erhob sich aus dem Pilotensessel eines Transporters. Dann deutete sie hinter sich in den Laderaum, wo man die gesammelten Reichtümer des Planeten Campanula liegen sah.

„Was soll das?“, fragte Nova irritiert. „Wollen Sie behaupten, dass Sie unser Gold gestohlen haben? Es befindet sich doch schwer bewacht auf dem Weg nach …“ Rechtzeitig fiel ihm ein, dass das Ziel offiziell geheim war, auch wenn es mittlerweile jeder zu kennen schien. „Moment, bleiben Sie dran!“

Er schaltete die Verbindung auf Pause und verlangte: „Stellen Sie mich sofort zum Transporter durch!“

Leutnant Hartleib meldete sich. „Hier ist alles in bester Ordnung, Oberst! Keine besonderen Vorkommnisse.“

„Zeigen Sie mir das Gold!“

Hartleib schwenkte die Kamera, so dass sie die Goldbarren im Frachtraum zeigten.

„Danke!“, sagte der Oberst und schaltete zurück zu Mari Ried. Selbige feilte sich gerade gelangweilt die Fingernägel.

„Unser Gold ist genau da, wo es hingehört!“, behauptete der Oberst.

„Na, dann ist ja alles in bester Ordnung. Ich habe meinen Goldschatz und Sie haben Ihren. Leben Sie wohl, Oberst!“ Damit unterbrach sie die Verbindung.

„Was sollte das?“, fragte Nova irritiert.

„Rufen Sie noch mal den Transporter an!“, verlangte Inspektor Rückriegel.

 

Leutnant Hartleib meldete sich wieder.

„Holen Sie bitte einen Barren nach vorne und kratzen Sie daran!“

Hartleib tat wie ihm geheißen. Schockiert sahen alle Anwesenden, wie unter der dünnen Goldschicht profanes Eisen zum Vorschein kam. Nova sprang auf. „Das Gold muss ausgetauscht worden sein!“, schrie er entsetzt. „Unglaublich, und diese übergeschnappten Piraten weisen uns auch noch darauf hin!“ Er sah Kommissar Rückriegel an. „Nun sagen Sie doch etwas dazu!“

„Ich denke nicht, dass es schon in Nuevo Knox ausgetauscht wurde“, vermutete der Kommissar. „Wahrscheinlicher erscheint mir, dass jemand Ihren Ausweichplan gekannt hat und Sie in der Galaxbank erwartete.

„Wie ist das möglich?“

„Erlauben Sie mir, mein Team hinzuschicken, um es herauszufinden?“

„Meinetwegen. Aber beeilen Sie sich, sonst sind die mit der Beute über alle Berge!“

„Wir haben in der Galaxbank zwei identisch aussehende Tresorräume gefunden“, meldete sich Inspektor Rückriegel vom Tatort.

„Und?“, fragte Oberst Nova.

„Beide sind leer.“

„Was bedeutet das? Nun lassen Sie sich doch nicht die Würmer aus der Nase ziehen!“

„Würmer?“

„Verdammt, reden Sie!“

„In den einen Tresorraum haben Ihre Leute das Gold im Zuge des Ausweichplans eingelagert“, vermutete der Kommissar. „Währenddessen lag im anderen Tresorraum bereits die Fälschung bereit. Der zweite Raum lag genau in der Etage unter dem ersten Raum. Eine kleine Manipulation am Fahrstuhl genügte und Ihre Leute haben das falsche Gold abgeholt statt des richtigen.“

„Aber dann muss doch jemand von der Bank davon gewusst haben!“

„Gut möglich. Gehen Sie ruhig davon aus, dass sich die betreffenden Personen in Sicherheit gebracht haben und über alle Berge sind.“

Oberst Nova fluchte. „Wo sind die Piraten hin? Wo hat diese Missgeburt unser Gold hingebracht?“

„Ich schlage vor, alle Flugbewegungen zu analysieren, die zwischen dem Eintreffen des Goldes bei der Galaxbank und dem Anruf der Piratin stattgefunden haben.“

Major Ubanwa saß vor dem Hauptbildschirm des Kreuzers OBERST VILLA und beobachtete erstaunt, dass der angekündigte Transporter ohne Eskorte auf dem Raumhafen vor ihnen landete. Angestellte in den Uniformen der Transportgesellschaft sprangen heraus und sicherten die Umgebung. Der Laderaum wurde geöffnet und die wertvolle Fracht auf Schwebepaletten herausgeschoben.

„Das muss ich mir aus der Nähe betrachten“, sagte er und stieg in den Lift.

Unten stauten sich schon die Schwebepaletten vor dem Eingang des Lifts.

„Wer ist hier der Chef?“, fragte er.

„Ich!“, meldete sich eine Frau, die ihre voluminöse Haarpracht mühsam unter die Mütze ihrer Arbeitskleidung gesteckt hatte. „Ich bin, äh, Leutnant Ried“, lächelte sie herzlich und schüttelte ihm mit beiden Händen die ausgestreckte Rechte.

„Wo ist Ihre Eskorte?“, fragte Major Ubanwa.

„Der eskortierte Gleiter war nur ein Trick, um die Aufmerksamkeit von uns abzulenken. Er hat falsche Goldbarren chauffiert. Der SSD hat entschieden, den wirklichen Transport möglichst unauffällig durchzuführen.“

„Warum wurden wir darüber nicht informiert?“

„Je mehr Mitwisser es gibt, umso größer ist die Gefahr, verraten zu werden.“

„Trotzdem …“, zögerte der Major. „Ich muss mich erst bei meinem Vorgesetzten versichern.“

„Was ist los, wollen Sie unser Gold nicht?“

Mari Ried deutete auf die riesigen Stapel, die sich vor dem Landungsschacht des Kreuzers angesammelt hatten.

„Doch, natürlich, aber …“

„Aber wir lassen es lieber noch ein Weilchen auf der Straße liegen, bis es geklaut wird, wollten Sie das sagen?“

„Also gut. Schieben Sie es in den Landungsschacht! Ich gehe derweil zurück und mache Meldung bei meinem Vorgesetzten.“

Major Ubanwa spürte plötzlich etwas Hartes in seinem Rücken. Mari Ried griff von hinten um seinen Hals und zog ihn an sich.

„Hör zu, Freundchen“, flüsterte sie ihm ins Ohr, „meine HM-6 ist auf Töten eingestellt. Aber wenn du keinen Ärger machst, wirst du mit dem Leben davonkommen, das verspreche ich dir.“

„Da ist er!“, jubelte Kommissar Rückriegel.

Er deutete auf einen schweren gepanzerten Transportgleiter. Er hatte die Galaxbank wenige Minuten nach dem Regierungsgleiter verlassen.

„Der sieht ja genauso aus wie unser Gleiter!“, stellte Oberst Nova befremdet fest. „Und er fliegt der Eskorte hinterher!“

Sie verfolgten entgeistert die Aufzeichnungen des Flugverkehrs. Der Piratengleiter folgte der Eskorte in respektvollem Abstand, sodass er nicht auffiel. Kurz bevor die Eskorte den Raumhafen erreichte, drehte sie ab.

„Das ist der Punkt, an dem wir sie zurückgerufen haben“, stellte der Kommissar fest.

Während die Eskorte abdrehte, hielt der Piratengleiter seinen Kurs und senkte sich in der Nähe des schnellen Kreuzers OBERST VILLA auf das Landefeld des Raumhafens.

„Die … die haben einfach unseren Platz eingenommen“, stellte Oberst Nova mit bebender Stimme fest. „Deshalb hat die Diebin uns angerufen! Sie wollten, dass wir abdrehen, damit sie das echte Gold in den Kreuzer laden konnten.“

„Und die Kreuzerbesatzung?“

„Die haben sie wohl überwältigt!“ Er wandte sich an seine Ordonnanz. „Ich brauche sofort eine Verbindung mit Admiral Drayk Schreiber!“

Die Verbindung kam innerhalb weniger Minuten zustande.

„Admiral, der schnelle Kreuzer OBERST VILLA flieht mit einem Teil der campanulischen Devisenreserven! Tun Sie alles, um ihn aufzuhalten!“

„Was zum …“ Der Admiral verschwand kurz von der Bildfläche, um dann wiederaufzutauchen. „Wir haben den Kreuzer erfasst. Er verlässt bereits die Stratosphäre des Planeten. Die campanulischen Raumaufklärungsverbände können ihn abschießen.“

„Sind Sie verrückt? Wollen Sie unsere Devisenreserven pulverisieren? - Fangen Sie das Ding irgendwie ein, aber machen Sie nichts kaputt!“

„Unsere Einheiten wurden bereits alarmiert. Wir tun was wir können, um den Kreuzer abzufangen, bevor er über die Einstein-Rosen-Brücke entkommt.“

„Sie müssen mehr tun, verdammt! Was Sie können reicht nicht aus! Leisten Sie Übermenschliches! Das sind Sie Campanula schuldig!“

„Nun beruhigen Sie sich mal, Oberst! Sie haben die Sache verbockt, nicht wir.“

Die Erinnerung an sein Versagen ließ bei Oberst Nova die Luft raus wie aus einem lecken Luftballon. „Kriegen Sie den Mistkerl!“, flüsterte er leise. „Sonst ist Campanula pleite!“

Auf der Brücke des gekaperten Kreuzers OBERST VILLA war eine ausufernde Party im Gange. Die Piraten hatten ein Fass Rum mitgebracht, dessen Inhalt sie nun freudig durch ihre Kehlen rinnen ließen. Alsbald war Stimmung aufgekommen und Gesänge wurden angestimmt.

„He, Mari! Wie hast du das mit der Bank hingekriegt?“, wollte einer der wilden Burschen wissen. „Wie hast du sie dazu gebracht, zwei Tresorräume zu bauen?“

„Die Bank? - Ach, die Bank gehört mir.“

„Was, die Bank gehört dir? Ich glaube es nicht. Die Bank gehört ihr!“

„Ja, Mann, raube keine Bank aus, die dir nicht selbst gehört!“

„Aber mal ehrlich: So eine Bank ist doch teuer. Oder etwa nicht? Wie haben wir das bezahlt?“

„Wir hatten einen Investor.“

„Will der nicht sein Geld wiederhaben?“

„Hundertfach.“

„Halsabschneider und Otterngezücht! Was für eine Scheiße!“

„Ja, Scheiße, aber macht nichts. Wir geben es ihm nicht. Wir sind Piraten!“

„Wir geben es ihm nicht? - Ay, Mari, du bist die Größte!“

Trotz des Besäufnisses hatte eine Piratin die Ortung im Auge behalten. „Mari, die gesamten campanulischen Raumaufklärungsverbände sind hinter uns her“, meldete sie.

„Macht nichts“, wiegelte Mari ab. „Die fliegen auch nicht schneller als ihr schneller Kreuzer hier.“

„Aber sie kommen jetzt auch von den anderen Planeten und versuchen, uns einzukreisen. Bald sind sie in Schussweite!“

„Egal. Die schießen nicht auf uns. Wir haben ihr Gold.“

Als die ersten Warnschüsse vor dem Bug des Kreuzers explodierten, wurden den Piraten allerdings doch mulmig zumute.

„Sie legen ein Sperrfeuer, um uns den Weg über die Einstein-Rosen-Brücke abzuschneiden. Sollen wir zurückfeuern?“

„Noch nicht“, lehnte Mari Ried ab. Sie ließ sich ihre Laune nicht im Geringsten verderben.

Kurz darauf beendete eine Piratenflotte ihren relativistischen Sprung im Campanulasystem. Die Schiffe hatten alle unterschiedliche Typen. Manche waren nur gestohlene Privatyachten, in die nachträglich ein Werfer eingebaut worden war. Sie begannen sofort, auf die campanulischen Raumaufklärungsverbände zu feuern.

„Nun“, lachte Mari Ried. „Wenn ihr Lust habt, könnt ihr ein wenig mitmachen.“

Die Piraten jubelten und schossen ebenfalls auf die campanulischen Verbände, die irritiert Ausweichmanöver flogen.

„Ich wusste gar nicht, dass wir so viele Schiffe haben“, wunderte sich einer der Piraten.

Mari Ried grinste nur.

Das Bild von Jet Rockheim flackerte im Holo auf. Wie Mari trug er eine bunte Uniform. „Dein Plan hat funktioniert“, jubelte er, ebenfalls breit grinsend. „Und nun reiht euch ein, damit wir hier verschwinden, ehe die Raumaufklärung sich wieder sammelt. Wie heißt denn euer supermodernes Kreuzerchen?“

„OBERST VILLA“, antwortete Mari. „Aber ich denke, wir werden ihn stilecht in REVENGE umbenennen.“

„Das ist ein würdiger Name für das schnellste Schiff der Piratenflotte“, stimmte Jet zu.

2 Storm

Sie lag auf der Liege und konnte sich nicht bewegen. Ihr Körper reagierte nicht auf die Befehle, die ihr Gehirn aussandte. Verzweifelt versuchte sie, sich zu konzentrieren. Wackle, großer Zeh, wackle!, befahl sie. Aber der Zeh bebte nicht einmal leicht. Anderer großer Zeh, wackle du! Aber auch der andere Zeh reagierte nicht. Sie schien auch den Kontakt zu ihrer mechanischen Hälfte völlig verloren zu haben. Die Drogen, unter die man sie gesetzt hatte, blockierten das fragile Mensch-Maschine-Interface.

Sie wurde wütend, sehr wütend auf die, die ihr das angetan hatten.

Aber Wut half nicht weiter.

Ich brauche einen Schock, dachte sie. Ein Schock hatte schon einmal geholfen. Sie erinnerte sich daran, wie sie das Seil an der Kabinendecke befestigt hatte. Wie sie auf den Hocker stieg. Wie sie sich das Seil um den Hals legte. Aber würde es reichen, sich nur daran zu erinnern, wie sie gesprungen war? Wie sie baumelte?

„Haaaa!“

Die Liege war plötzlich verschwunden, und Storm saß aufrecht in ihrem Bett.

Stille.

Es ist vorbei, beruhigte sie eine Stimme in ihrem Kopf. Du hattest einen Alptraum.

Es war die Stimme von Coach Juli.

Warum hast du mich nicht geweckt?, fragte sie.

Ich konnte nicht erkennen, ob es ein guter oder ein schlechter Traum war, dachte die abtrünnige KI der Vlock, der Storm im künstlichen Teil ihres Gehirns Asyl gewährte.

Weck mich doch einfach immer, wenn ich träume!

Du weißt, dass das nicht geht, dozierte Juli. Menschen müssen träumen.

„Ach, verdammt!“, fuhr es ihr heraus.

Es war noch mitten in der Nacht, aber Storm hatte keine Lust, weiterzuschlafen. Was bedeutete auch schon Nacht, wenn man im All unterwegs war.

Unser Schlafzyklus entspricht immer noch dem von Neu Paris auf Mené, erklärte die KI. Du wirst sterbensmüde sein, wenn wir morgen dort ankommen.

„Meine Güte, bist du ein Besserwisser!“

Storm machte sich frisch und schlenderte durch das Schiff. Die FERDINAND MAGELLAN war bereits vor Tagen in der Nähe des Tyros-Systems angekommen. Relativistische Sprünge direkt in bewohnte Sternensysteme waren aus Sicherheitsgründen verboten, deshalb näherte sie sich nun langsam mit Unterlichtgeschwindigkeit an. Überall im Schiff zeigten Holos die blaue Kugel des Planeten Mené zusammen mit dem schrumpfenden Abstand in Lichtminuten und der noch verbleibenden Flugzeit. Aktuell waren es noch gut 32 Stunden.

Storm setzte sich in ein leeres Bordcafé, das noch geöffnet hatte. Die Mannschaften hatten freibekommen, um sich auf die Landung vorzubereiten. Die meisten packten ihre Sachen und schmiedeten über Videokonferenzen Pläne mit ihren Angehörigen, wie sie die Zeit zu Hause verbringen wollten.

Endlich kam eine Bedienung.

 

„Wir schließen in zwanzig Minuten“, sagte der Mann.

„Bringen Sie mit trotzdem noch schnell einen Kaffee, bitte.“

„Wie Sie wollen.“

Storm beobachtete versonnen die rotierende blaue Kugel mit den weißen Wolkenwirbeln. Für diese Welt habe ich meine Gesundheit geopfert, dachte sie. Und jetzt habe ich nicht einmal mehr Verwandte da unten.

Der Kaffee kam.

Aber du wirst doch trotzdem Landurlaub nehmen, oder?, meldete sich Coach Juli in ihren Gedanken.

Was soll ich dort?

Mir deine Heimat zeigen? Ich habe Mené noch nie gesehen und bin sehr neugierig.

He, wir sind nicht verheiratet, ich muss dir nichts zeigen! Vergiss nicht, dass du nur zu Gast in meinem Kopf bist.

Behandelt man so einen Gast?

Wenn ich das vorher gewusst hätte …

Dann hättest du was gemacht?

Ach, lass mich doch in Ruhe!

„Wir schließen jetzt“, sagte die Bedienung.

Storm machte sich auf den Rückweg in ihre Kabine. Dort begann sie unwillig zu packen. Hätte sie sich bloß nie auf diese idiotische KI eingelassen, die nun in ihrem Kopf nervte …

Plötzlich klopfte es an der Kabinentür.

Über die Außenkamera sah Storm, dass Zaya Karan draußen wartete. Storm reagierte nicht.

„Storm, bist du da?“

Storm hatte keine Lust, mit dieser überschätzten Kommandantin eines Beibootes zu sprechen.

„Storm, ich weiß, dass du da bist!“

Wie konnte sie diese lästige Schülerin nur dazu bringen, endlich zu verschwinden?

„Mach auf oder ich nehme die HM-6!“

Immer die gleichen leeren Drohungen.

Nun mach schon auf, verlangte auch Coach Juli. Deine Kabinentür hat schon genug Brandspuren von Major Karans HM-6.

„Scheiße!“, schimpfte Storm und öffnete die Tür. „Was willst du?“

Zaya Karan sah sie mit ihren braunen Augen treuherzig von unten herauf an. Storm wurde schlecht von dem Niedlichkeitsfaktor, den sie ausstrahlte. „Ich will dich einladen“, antwortete Zaya. „Da du niemanden auf Mené hast, komm doch für einen Abend zu meinen Eltern mit. Sie wohnen in einem Vorort von Neu Paris.

Den Teufel werde ich …, dachte Storm.

Aber Juli war schon wieder anderer Meinung. Sag zu, das ist doch unheimlich nett von ihr, dachte der Coach.

Das bringe ich nicht über die Lippen, weigerte sich Storm.

Dann gib mir eben Zugriff auf die Lippen und lass mich das machen.