Rücksturz nach Tyros

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Aus der Reihe: Sternenlicht #2
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Rücksturz nach Tyros
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Für Mirador

Bereits erschienen:

01 Horst Hoffmann - Inseln im Nichts

02 Johannes Anders - Rücksturz nach Tyros

In Vorbereitung:

03 Johannes Anders - Storm

e-book 080

Erscheinungstermin: 01.11.2020

© Saphir im Stahl

Verlag Erik Schreiber

An der Laut 14

64404 Bickenbach

www.saphir-im-stahl.de

Titelbild: Thomas Budach

Lektorat: Joachim Stahl

Vertrieb: bookwire

ISBN: 978-3-96286-047-9

Johannes Anders

Sternenlicht 2

Rücksturz nach Tyros

Saphir im Stahl

1 Vorgeplänkel

2 Aufbruch nach Skram

3 Erstkontakt

4 Die Regeln der Kunst

5 Diplomatischer Eklat

6 Entführung

7 Unter Feuer

8 Versionen der Wahrheit

9 Die Uneinsichtige

10 Der Suizid

11 Die letzte Schlacht

12 Ende gut

1 Vorgeplänkel

In der Tiefe des Weltraums spielen sich manchmal dramatische Szenen ab, von denen das Licht der Sterne erst Milliarden Jahre später kündet, wenn sich ein Beobachter weit davon entfernt befindet.

Die Gesichter der Brückenbesatzung waren angespannt, ihre Blicke klebten am Hauptbildschirm, der sich wie ein großer Tisch in ihrer Mitte befand und ein Schreckensszenario vor ihnen entfaltete. Keiner wagte, ein Wort zu sagen. Selbst Ordonnanzleutnant Dankowitsch, der sonst immer für einen abseitigen Spruch gut war, schwieg. Im Hintergrund hörte man den Funkspruch, der in Endlosschleife wiederholt wurde: „MAGELLAN Basis an Erkundungskreuzer Mag-1 bis 6! Sie werden zum sofortigen Rücksturz zur Basis aufgefordert. Dies ist eine Alpha-Order der Expeditionsleitung. Sofortiger Rücksturz zur Basis. Erkundungskreuzer, hören Sie! Die Expedi- tionsleitung gibt Alpha-Order: Sofortiger Rücksturz …“

Auf der Planetenoberfläche bewegte sich noch immer nichts. Auch bei maximaler Vergrößerung sah man unter den dahintreibenden bläulichen Wolken keinerlei Bewegung. Admiralin Charlene Armstrong krallte ihre Finger in die Polster des Kommandosessels. Hoffentlich war es noch nicht zu spät! Die Vlock hatten sie erst überfreundlich empfangen, aber dann verschwanden immer mehr Ausrüstungsgegenstände und Aggregate aus den Erkundungskreuzern. Es blieb keine Wahl, als die Mission umgehend abzubrechen, bevor die Schiffe fluguntauglich wurden. Den Vlock war das nicht recht, sie wollten weiter plündern. Deshalb bedrohten sie die Besatzungen und versuchten, die Kreuzer gewaltsam an Boden zu halten.

Endlich geschah etwas, aber leider nichts Gutes: Die Instrumente zeigten Energieentladungen an. Am Boden wurde geschossen. Einige Funksprüche trafen ein:

„Mag-4 an Mutterschiff. Hören Sie, MAGELLAN, wir sind auf der Flucht. Ich wiederhole: Erkundungsgruppe führt Notevakuierung durch.“

„Notstart! Notstart! Mag-6 unter Beschuss! Sofortiger Notstart!“

Wenige Minuten später stiegen kurz nacheinander fünf Erkundungskreuzer in die Atmosphäre auf, man sah, wie die bläulichen Wolken um die Schiffe herum verwirbelt wurden.

Charlene Armstrong sprach aus, was jeder dachte: „Warum nur fünf? Was ist mit dem sechsten Kreuzer? - Statusmeldung!“

Die Kommandanten der Kreuzer wurden aufgefordert, ihren Status durchzugeben, aber sie hatten offensichtlich ganz andere Probleme, als Statusmeldungen zu verfassen. Bevor eine Antwort empfangen werden konnte, wurde einer der Kreuzer langsamer und geriet ins Trudeln. Entsetzt sahen alle, wie er an Höhe verlor.

„Mag-3 an Basis, Bordingenieur meldet gestohlene Kühlaggregate! Die Wandler überhitzen und das Ding fliegt uns um die Ohren, Leute! Feuer im Maschinenraum! Mag-3 an Basis, wir stürzen ab! Mag-3 an Basis ...“

Man sah den Kreuzer auf dem Hauptbildschirm kleiner werden. Etwas später gab es eine Explosion auf der Planetenoberfläche. Charlene schlug entsetzt die Hände vor das Gesicht. Ein Aufstöhnen ging durch die Brückenbesatzung.

Die verbliebenen vier Erkundungskreuzer näherten sich mit größtmöglicher Beschleunigung der Stratosphäre des Planeten und gaben ihre Meldungen ab:

„Mag-5: Voll funktionsfähig!“

„Mag-1: Alles in Ordnung.“

„Mag-6: Nur leichte Schäden!“

„Mag-2: Alles okay!“

Von der Mag-4, kam keine Meldung, dafür meldete sich die Mag-2 noch einmal: „Mag-2 an Basis: Die Mag-4 konnte nicht abheben. Teile des Antriebs wurden gestohlen. Die Besatzung konnte sich aber zu uns durchschlagen. Ich wiederhole: Wir haben die Besatzung der Mag-4 an Bord, keiner wurde zurückgelassen.

„Gut gemacht!“, atmete die Admiralin auf. Das ersparte ihnen einen gefährlichen Rettungseinsatz mit unsicherem Ausgang. Wer weiß, ob sie es geschafft hätten, die Leute herauszuhauen?

Plötzlich sah man eine größere Zahl kleiner Punkte vom Planeten aufsteigen.

„Raumjäger nehmen die Verfolgung auf“, meldete der Ortungsoffizier des Mutterschiffs. „Es sind genau zwanzig. Jetzt starten noch zehn Raumjäger. Und noch mehr. Raumjäger von überall!“

Die kleinen Abfangschiffe der Vlock hatten eine irrsinnige Beschleunigung. Kaum in Reichweite der Erkundungskreuzer, eröffneten sie das Feuer. Die Energie ihrer starken Laser wurde von den Schutzschirmen der Kreuzer abgefangen.

„Kreuzer, Feuererlaubnis!“, kommandierte die Admiralin.

Die Kreuzer schossen zurück, aber da jeder von ihnen nur über vier Lichtwerfer verfügte, war der Erfolg überschaubar. Die Mag-5 kam auf die Idee, alle vier Werfer auf einen Jäger zu konzentrieren, wodurch derselbe nach kurzer Zeit explodierte.

„Gut gemacht, Storm“, flüsterte die Admiralin.

Die anderen Kreuzer übernahmen das erfolgreiche Vorgehen und feuerten nun ebenfalls konzentriert. Ein Jäger nach dem anderen zerstob in einer Feuerwolke.

Aber auch die Vlock waren lernfähig und konzentrierten ebenfalls ihr Feuer: Eine große Anzahl Jäger nahm die Mag-6 in die Zange.

„Mag-6 an Basis“, ertönte es nervös aus den Lautsprechern. Im Hintergrund knisterte, zischte und puffte es. „Unsere Wandler überladen! Die Schirme halten nicht ...“

„Astrogator“, kommandierte die Admiralin. „Bugsieren Sie die MAGELLAN in die Kampfzone! So schnell es geht! Übergehen Sie das Protokoll!“

Das Mutterschiff der Erkundungskreuzer nahm Fahrt auf, brauchte aber eine gewisse Zeit, um seine Massenträgheit zu überwinden. Immerhin handelte es sich bei der FERDINAND MAGELLAN um einen diskusförmigen Raumgiganten von 700 m Durchmesser, auf dem 330 Personen Dienst taten. Vermutlich würden sie zu spät kommen, um die Mag-6 zu retten, deren Schutzschirm schon bedrohlich flackerte. Aber sie mussten es versuchen.

*

Commander Brent sah eine Handvoll Jäger auf dem Display und klammerte sich nervös an den Armlehnen seines Sessels fest. Nicht mehr lange und sie hatten die Mag-6 eingeholt. Die Wandler schrien förmlich ihre Überlastung hinaus, während sie die Schwerkraft des Planeten mit maximaler Beschleunigung überwanden. Kein Wunder, dachte Brent. Die diebische Bande hatte von zwei Wandlern so viele Teile geklaut, dass sie nutzlos waren.

Unablässig strömten Meldungen herein: Kühlaggregate defekt, Zuleitungen zu den Hilfstriebwerken ohne Energie. Zweites Ladeschott musste von Hand geschlossen werden, Hydraulik ohne Funktion, sie hatten das Öl geklaut.

Endlich gelang es, eine Verbindung aufzubauen. „Brent an MAGELLAN. Wir werden angegriffen. Ich wiederhole: liegen unter Beschuss", versuchte er der Admiralin mitzuteilen, aber ohne Erfolg. Offenbar wurde der Funkverkehr jetzt gestört. Die Funksprüche der anderen Schiffe kamen nur als Fragmente herein. Alle schienen unter denselben Problemen zu leiden.

Dann schlugen die ersten Treffer ein: energiestarke Laserstrahlen, die die Schirme gleich auf Höchstlast brachten.

„Kommandant an Armierungsoffizier. Mugab, Feuer frei! Hol das Pack vom Himmel!“

„Würde ich ja gerne, Commander. Benötige mehr Energiezuleitung zu den Werfern", kam prompt die Antwort. Brent legte zwei Schalter in der Holokonsole um, und sofort begannen die Werfer zu feuern.

Lichtblitze von mehreren Gigavolt schlugen in die Jäger der Vlock ein, ohne Wirkung zu erzielen.

Brent sah im Ortungsholo, dass die Mag-5 ihre Laser auf einen Gegner konzentrierte. Das war eine gute Idee. „Konzentriertes Feuer auf einen Gegner“, befahl er.

Der Jäger verdampfte, aber weitere Jäger näherten sich. Die gesamte Jägerflotte schien es plötzlich auf die Mag-6 abgesehen zu haben.

„Energieverlust. Die Schirme halten nicht!", schrie Bad Huren, der Bordingenieur.

Brent ließ den Antrieb abschalten. Ein Vlockjäger konnte gerade noch ausweichen und raste so dicht an einer Sichtluke vorbei, dass man den Piloten sehen konnte. Alle Energie lag nun auf den Schirmen, die zischten, knisterten und pufften.

„Mag-6 an Basis! Unsere Wandler überladen! Die Schirme halten nicht …“, schrie Brent in die Kommunikationsanlage.

Die anderen Kreuzerkommandanten kamen zu Hilfe und steuerten ihre Schiffe in die Schussbahnen der Jäger, um die Mag-6 zu entlasten.

*

Charlene Armstrong sah, dass die Mag-6 am Ende war und in einer großen Explosion auseinanderflog.

Für Entsetzten blieb keine Zeit, denn die Vlock knöpften sich als nächstes die Mag-2 vor. Zwar flog sie Ausweichmanöver, aber die Jäger hingen an ihr dran und hörten nicht auf, sie zu beschießen. Schon flackerten auch ihre Schirme, und eine Explosion sprengte Trümmerstücke aus ihrer Seite. Die Mag-1 wollte helfen und Entsatz fliegen, aber ihr Astrogator machte einen Fehler und rammte einen der angreifenden Jäger. Da die Schutzschirme nur Energie abhalten konnten und nicht Materie, traf der Jäger den Kreuzer mit voller Wucht. Beide Schiffe vergingen in grellen Feuerbällen.

 

Derweil wurde die Lage auf der Mag-2 hoffnungslos. „Besatzung in die Phönix!“, hörte man die Kommandantin befehlen. Das Schiff trieb steuerungslos im All. Die anderen Kreuzer umschwärmten sie, um sie notdürftig gegen den Beschuss abzuschirmen.

Charlene Armstrong beobachtete verzweifelt das Szenario. Es war wie beim Schachspiel: Wenn der König im Schach stand, blieben dem Verteidiger kaum Optionen. Hier stand nun die Mag-2 im Feuer, und alle anderen Kreuzer waren gebunden, um sie vor der Vernichtung zu bewahren. Dabei war der Einsatz doppelt hoch, denn die Mag-2 hatte ja auch noch die Crew der Mag-4 mit an Bord. Die Phönix würden sie nicht retten, denn die kleinen Beiboote würden leichte Beute für die Jäger sein.

Endlich war die MAGELLAN im Kampfgeschehen eingetroffen und brachte Erleichterung. Ihre zehn Werfer schossen Schneisen in die Reihen der angreifenden Jäger. Der Astrogator brachte sie in die Nähe der schwer angeschlagenen Mag-2. Überraschend nahm die Mag-2 langsam Fahrt auf und näherte sich dem Hangar des Mutterschiffs. Offenbar hatten sich doch noch nicht alle Besatzungsmitglieder in die Phönix geflüchtet. Wahrscheinlich hielt die Kommandantin noch Stellung auf der Brücke, wie man es von einer guten Kommandantin erwarten konnte.

Die Mag-2 erreichte den Hangar des Mutterschiffs. Sobald die künstliche Schwerkraft sie erfasste, krachte sie auf den Boden und schlitterte gegen eine Wand, wobei sie umherstehendes Gerät mit sich zog. Offenbar waren auch die Magnetkissen des Kreuzers beim Kampf beschädigt worden. Der Hangar schloss sich, und das Rettungsteam rückte an, um Feuer zu löschen und Verletzte zu bergen.

Währenddessen lieferten sich die Mag-5 und das Mutterschiff ein Duell mit den Jägern. Deren Reihen wurden zwar gelichtet, aber auch die MAGELLAN fing sich schwere Treffer ein. „Einschlag in Maschinenraum 7, brauchen Rettungsteam!", brüllte jemand durch das Kommunikationssystem.

„Noch mehr Jäger starten von der Planetenoberfläche!“, meldete der Ortungsoffizier. „Es sind hunderte! Tausende!“

„Abbrechen!“, befahlt die Admiralin. „Geben Sie Alphaorder an die Mag-5: Rücksturz zur MAGELLAN! Packen wir unsere Sachen und dann nichts wie weg hier!“

Die Mag-5 näherte sich mit irrer Geschwindigkeit ihrem Hangar und zog eine Reihe feindlicher Jäger hinter sich her. Statt mit diesem Tempo in den Hangar einzuschlagen und Verwüstungen anzurichten, zog sie im letzten Moment eine Schleife und präsentierte die verfolgenden Schiffe wie auf einer Perlenkette den Werfern des Mutterschiffs.

Nicht schlecht, dachte die Admiralin, während die Jäger der Reihe nach abgeschossen wurden. Es war zwar nur ein Standardmanöver, das man auf der Flottenakademie lernte, aber nicht allen Kommandanten fielen die Basics ein, wenn es drauf ankam. Dann war es wohl doch eine gute Entscheidung gewesen, die Mag-5 Commander Karan zu geben. Viele hielten Karan für zu jung, aber Charlene Armstrong hatte geahnt, dass die junge Frau etwas draufhatte.

Nachdem die Mag-5 unbeschädigt im Hangar gelandet war, gaben die Wandler der FERDINAND MAGELLAN die bereits angestaute Energie auf den Einstein-Rosen-Antrieb und katapultierten das Schiff in Sicherheit.

2 Aufbruch nach Skram

Im Weltall gibt es keinen Morgen und keinen Abend, und so waren es nur die Vibrationen ihres Armsprechgerätes, die Major Zaya Karan weckten. Leichte Kopfschmerzen plagten sie, und sie rieb sich die Schläfen, um sie zu vertreiben. Genervt fiel ihr ein, dass sie sich um 9:00 Uhr Bordzeit mit ihrer Crew zur Vollversammlung melden musste. Die Vollversammlung, zu Kriegszeiten noch Appell genannt, war keine freiwillige Veranstaltung. Alle mussten antreten, um den Weisheiten der Schiffsführung zu lauschen.

Üblicherweise marschierten die Besatzungen der Erkundungskreuzer gemeinsam in den Versammlungsraum ein. Am Sammelpunkt warteten schon Bordingenieur Chivan Swo und Astrogatorin Gael Klein. Es verbesserte Zayas Laune nicht, dass Storm fehlte. Außerdem machte sich ein leises Magengrummeln bei ihr bemerkbar, weil sie das Frühstück verpasst hatte. Schwarzer Kaffee auf leeren Magen war eine Dummheit, die sie leider immer wieder beging. Kommunikationsoffizier Neno Chung fand sich nun ebenfalls ein, aber er wusste auch nicht, was mit Storm wieder los war. Storm kam eigentlich immer zu spät oder gar nicht, und Zaya dachte manchmal darüber nach, ob sie selbst im Umgang mit Storm etwas falsch machte oder ob Storm einfach nicht zu helfen war. Da Zaya Storm mit dem Armsprechgerät nicht erreichen konnte, gab sie das Zeichen zum Aufbruch. Ohne Storm marschierten sie in den Versammlungsraum. Es war eine Demütigung für Zaya, denn jeder konnte sehen, dass sie ihr Team nicht im Griff hatte.

Der Versammlungsraum war ein großer Hangar, der für offizielle Anlässe benutzt wurde. Im Hintergrund standen einige hoovercraftbetriebene Landungsfahrzeuge, und durch ein Glasdach konnte man die Sterne sehen. Wie immer mussten sie eine Weile warten, bis die Schiffsführung eintraf. Schließlich ging es los: Die Sternenlichthymne schnatterte aus den Lautsprechern, und die unvollständige Crew nahm hinter Zaya Haltung an. Links neben ihnen befanden sie die Leute des Mutterschiffs und rechts standen die Crews der Mag-2 und der Mag-4. Noch weiter rechts tat sich eine große Lücke auf.

Endlich betrat die Alte den Versammlungsraum. Admiralin Charlene Armstrong hatte schon im Krieg gedient und war mit ihren 57 Jahren nicht mehr die Jüngste. Ihre dunkelbraun melierten Haare trug sie wie immer sauber geflochten und hochgesteckt. Natürlich war sie sich ihrer Pflichten als Führungsperson stets bewusst und ließ sich keinerlei Nachlässigkeiten durchgehen. Die Narbe, die ihre rechte Wange zierte, gab ihr bei aller Aufgeräumtheit etwas Verwegenes.

„Guten Morgen!“, begrüßte sie die Anwesenden. „Wir alle haben eine schwere Zeit durchgemacht. Wir alle haben schmerzliche Opfer zu beklagen. Ich erinnere an die Besatzungen der Mag-1, der Mag-3 und der Mag-6.“ Sie verlas den Namen jedes einzelnen Besatzungsmitglieds, das sie verloren hatten. Dann gab es eine Schweigeminute, und sie fügte hinzu: „Wir werden euch niemals vergessen.“ Als nächstes begann sie, die Schäden an der Mag-2 und am Mutterschiff aufzulisten, die immer noch nicht behoben waren. Insbesondere konnte ein Teil der Wandler nicht repariert werden, weil die dafür benötigten Speicherkristalle nicht in ausreichender Anzahl vorrätig waren. Die MAGELLAN schlich deswegen mit halber Kraft durchs All. „Ja, es stimmt“, fuhr sie fort, „wir sind schwer angeschlagen, und viele von Ihnen erwarten deshalb, dass ich den Rücksturz nach Tyros befehle.“

Sie machte eine rhetorische Pause und sah sich um. Die Anwesenden hingen erwartungsvoll an ihren Lippen. Tatsächlich wünschte sich auch Zaya nichts sehnlicher, als dass diese unglückliche Mission abgebrochen wurde. Leider ließ die Formulierung der Alten anderes befürchten. Tatsächlich fuhr sie fort: „Aber Sie alle wissen, dass ein Rücksturz nach Tyros nicht vorgesehen ist. Unsere Mission ist auf Jahre angelegt. Nach längerem Abwägen habe ich deshalb in Abstimmung mit der Schiffsführung dagegen entschieden. Ich erwarte, dass alle Besatzungen und Expeditionsmitglieder sich hinter diese Entscheidung stellen. Zur Motivation möchte ich Sie daran erinnern, woher wir kommen: Nach dem Zusammenbruch des Sternenreichs der Erde breiteten sich Kleinkriege und Gesetzlosigkeit aus, und die Handelswege wurden unterbrochen. Unsere geliebte Heimat Tyros lag am Boden. Hunger und Entbehrung herrschten, und der Wiederaufbau gestaltete sich schwierig und langwierig. Seit einigen Jahren gibt es neue Hoffnung durch die Gründung der Sternenlichtvereinigung, deren Planetenregierungen eingesehen haben, dass es zusammen besser geht. Aber noch immer werden wir bedroht von Freibeutern, Söldnern und konkurrierenden Staatengebilden. Tyros liegt am Rande des früheren Sternenreichs, und während viele Kräfte durch das Chaos in den alten Gebieten gebunden sind, gehören wir zu den wenigen Privilegierten, die entsandt wurden, um neue Welten zu entdecken, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Tyros braucht neue Freunde und neue Ressourcen. Unsere Reise war lang und teuer. Wir dürfen die Menschen daheim nicht enttäuschen. Wir dürfen nicht so schnell aufgeben.“

Sie machte erneut eine Pause.

Schnell aufgeben, dachte Zaya. Nachdem hier alles in Trümmern lag, konnte von schnell ja wohl keine Rede sein. Niemand wagte es aber, der Schiffsführung zu widersprechen. Irgendwie war es ja nicht ganz verkehrt, was sie erzählte.

Die Admiralin fuhr fort: „Natürlich lauern auch im Unbekannten große Gefahren. Wir haben die Gerüchte über das unerklärliche Sternenglühen gehört, das angeblich ganze Sonnensysteme zerstört hat. Und auch die Begegnung mit neuen Völkern kann sich als tückisch erweisen, wie wir gerade erst selbst erfahren mussten. Lassen Sie uns trotzdem unsere Mission fortführen und neue Welten und Zivilisationen erkunden!“

Ein gelblicher Planet erschien als Hologramm neben ihr.

„Dieser Planet mit der Katalognummer HR-1231 wird von seinen Bewohnern Skram genannt. Er ist von Wüsten bedeckt, nur etwa zehn Prozent der Oberfläche machen Seen aus. An den Ufern dieser Seen haben wir Städte gefunden, das Landesinnere und auch die Pole sind unbesiedelt. Die auf dem Planeten herrschende Zivilisation betreibt in begrenztem Maße Raumfahrt, über ihr eigenes Sonnensystem sind sie noch nicht hinausgekommen. Da nur noch einer unserer Erkundungskreuzer einsatzfähig ist, bitte ich die Crew der Mag-5 um 11:30 zur Einweisung. Macht euch frisch, Leute, trinkt noch einen Kaffee und erscheint pünktlich, aufgeräumt und vollzählig in meinem Büro.“

Zaya biss sich auf die Lippen. Die alte Fregatte wusste genau, wo die Problemzonen ihrer Crew lagen. Um die Vollzähligkeit herzustellen, musste sie Storm hinterherlaufen, statt einen Kaffee trinken zu können.

Gut, für ihren Magen war es sicher besser so.

*

Storm lag in ihrer Kabine und starb. Etwas in ihrer Seitenprothese war defekt, sodass ihre rechten Extremitäten nicht angesteuert wurden. Sie hingen schlaff über die Bettkante hinunter. Storm horchte in sich hinein und beobachtete mit einer morbiden Faszination die weitere Kaskade des Ausfalls. Der rechte Teil ihrer Lunge geriet ins Stocken und versagte langsam den Dienst. Der verbliebene biologische Lungenflügel arbeitete schwer, da er von der nun unbeweglichen Prothese behindert wurde. Jeder Atemzug kostete große Kraft. Der Sauerstoffgehalt in Storms Blut sank, und sie begann, lethargisch zu werden. Es fühlte sich an wie ein unbeschwertes Schweben. Wäre es nicht schön, so zu sterben? Wäre es nicht schön, die Erinnerungen auf diese Weise zu begraben und der Einsamkeit für immer zu entfliehen?

Ein lautes Klopfen und Schlagen an der Kabinentür riss sie aus dem sanften Abgleiten in die Dämmerung, auf die nur der Tod folgen konnte.

„Storm, was ist los mit dir?“, schrie eine Stimme. „Warum hast du dein beschissenes Armsprechgerät ausgeschaltet? - Storm, verdammt noch mal, antworte!“

Es war Zayas Stimme. Und sie war wie immer einfach nur … lästig.

Storm reagierte nicht. Warum konnte diese viel zu junge Kommandantin eines Beiboots sie nicht in Ruhe sterben lassen …?

„Storm, verdammt, mach sofort die Tür auf, sonst schneide ich ein Loch rein!“

Lästig war das Wort, dass perfekt auf sie passte. Lästig wie ein Schnupfen. Oder wie eine Zecke. Wer hatte dieser unfähigen Schülerin nur das Kommando über die Mag-5 übertragen? Nein, wer es war, wusste man ja. Aber warum nur?

Storm hörte das Geräusch einer Handstrahlenwaffe. Die blöde Ziege würde die Tür aufschneiden, bevor Storm mit dem Sterben fertig war.

Was wollte Zaya von ihr? - Ach ja, sie sollte die Tür aufmachen. Der Mikroprozessor, der Storms rechte Gehirnhälfte ersetzte, zeigte erste Ausfälle, wodurch sie begann, Sachen zu vergessen. Womöglich stand diese Anfängerkommandantin bald an ihrem Bett, und sie konnte sich nicht einmal mehr an ihren Namen erinnern. Nein, so eine Blöße wollte Storm sich nicht geben.

„Schon gut, ich komme ja!“, presste sie undeutlich durch ihren halb gelähmten Mund hervor. „Moment, verdammt!“

Die Waffe an der Tür verstummte.

Mit viel Mühe schloss Storm ihre Prothese an das Diagnosegerät an. Das Gerät arbeitete eine Weile und fuhr dann die Prothese ordnungsgemäß herunter, um sie neu zu starten. Storm verlor einen Teil ihres Kurzzeitgedächtnisses und vergaß einen Teil ihrer Gedanken. Lebenswichtige Organe arbeiteten nicht mehr. Es fühlte sich scheußlich an.

 

„Was ist nun?“, drängelte die Kommandantin vor der Tür.

„Gib Ruhe, ich komme ja!“, schimpfte Storm respektlos. Ihre rechte Körperseite fuhr wieder hoch, und ein Backup ihres Kurzzeitgedächtnisses wurde eingespielt. Storm überwand eine leichte Verwirrung, als die alten Gedanken auf ihre neuen trafen. Dann schien alles wieder einwandfrei zu funktionieren. Bis zum nächsten Mal, dachte sie. Mit Bedauern erhob sie sich und öffnete. Zaya hielt in ihrer Bewegung inne und ließ die Hand fallen, mit der sie wohl gerade erneut auf die Tür schlagen wollte. Mit ihren 1,73 m war Zaya nicht klein, aber doch deutlich kleiner als Storm. Zayas brauner Zopf lag geflochten über ihrer rechten Schulter und sie schaute mit ihren braunen Augen verärgert zu ihr auf. Storm war amüsiert.

„Komm jetzt mit!“, zischte die Kommandantin. „Die Alte will uns sehen. Vollzählig!“

Sie fragt gar nicht, was mit mir los war, überlegte Storm. Wahrscheinlich hat sie es aufgegeben, sich mit mir auseinanderzusetzen. Dabei hatte Zaya ihr das Leben gerettet. Storm war kurz davor gewesen zu vergessen, dass sie gerade einen kybernetischen Kollaps erlitt. Danach hätte es kein Zurück mehr gegeben. Dann hätte sie das Diagnosegerät nicht angeschlossen und wäre friedlich eingeschlummert. Für immer. Also war Zaya schuld, dass sie diesen Mist weiter mitmachen musste, den sie Leben nannten. Storm würde Zaya das spüren lassen. Sie würde ihr jede verdammte Minute zur Hölle machen, die sie mit ihr verbringen musste. Und sollte sie doch ihren Termin mit der Admiralin alleine wahrnehmen. Storm überlegte, wie sie sich aus dem Staub machen konnte, aber Zaya wich nicht von ihrer Seite, bis sie die Schwelle zu Charlenes Büro überschritten hatten.

Char erzählte etwas von einem neuen Planeten, den die Crew erkunden sollte, um ein Handelsabkommen abzuschließen und möglichst Ersatz für die dringend benötigten Wandlerkristalle zu finden. Dazu sollten sie eine Xenopsychologin mit an Bord nehmen und den Botschafter. Die Xenopsychologin war anwesend und erklärte, dass sie mit ihrem Team den Funkverkehr der neuen Welt analysiert und die Sprache der Eingeborenen entschlüsselt habe. Automatische Übersetzer seien verfügbar. Sie riet aber dringend, die fremde Kultur noch weiter zu erforschen.

Char gab zu bedenken, dass sie nicht ewig Zeit hätten und dringend die Kristalle brauchten. Die Standardzeit zur Vorbereitung eines Erstkontakts sei von der Sternenlichtvereinigung auf vier Wochen festgelegt worden. Aurora sei nun schon fünf Wochen an der Sache dran. Ob es denn Komplikationen gäbe?

Storm ging das alles ziemlich am Arsch vorbei.

*

Protokoll des Gesprächs mit Major Zaya Karan

Sternenzeit 3166.05.23.15.30, Coach Juli

Turnusmäßig meldete sich heute Major Zaya Karan zum Pflicht-Coaching. Karan ist Kommandantin des Erkundungskreuzers Mag-5 und berichtete in früheren Gesprächen von Autoritätsproblemen mit ihrer Crew. Heute erklärte sie, sie sei mit leichten Kopfschmerzen erwacht und empfinde die Gesamtsituation an Bord der MAGELLAN als belastend. Alle hätten schlechte Laune, nachdem die Schiffsführung die nächste Mission vorgestellt hatte. Die schlechte Stimmung der Besatzung kann nach dem Scheitern unseres letzten Auftrags nicht verwundern. Besonders die Erkundungskreuzer hatten ja hohe Verluste zu beklagen.

Major Karan gab ihrer Verwunderung Ausdruck, dass ihr das Kommando über die Mag-5 nicht entzogen wurde. Schließlich sei die Mag-5 das einzige noch einsatzfähige Erkundungsschiff, und die Kommandantin der Mag-2 sei viel erfahrener und habe gerade nichts zu tun, da die Mag-2 noch in der Reparaturwerft festhinge. Was läge also näher, als die Crews auszutauschen?

Mir lagen alle Daten über Major Karan vor, deshalb wusste ich, dass sie die besten Zeugnisse und exzellente Referenzen von der Flottenakademie mitbrachte. Sie zeichnete sich durch überragende Intelligenz, charakterliche Stärke und körperliche Fitness aus. Ich fragte Major Karan, ob sie Ideen habe, warum sie das Vertrauen der Schiffsführung genieße. Sie antwortete wörtlich: „Ach, keine Ahnung, die glauben doch alle, ich sei zu jung für den Job!“

Auf meine Frage, worin sich das äußere, erklärte sie, dass sich das bei den meisten Mitgliedern ihrer Crew nicht offen äußere, umso mehr allerdings bei Leutnant Eden Sturm, auch genannt Storm, deren Verachtung sie ununterbrochen spüre.

Ich säte bei ihr den Gedanken, dass Storm ihre Verachtung ja vielleicht nicht nur gegen Major Karan, sondern gegen alle Menschen und insbesondere gegen sich selbst richte.

Karan griff meine Anregung auf und überlegte, ob Leutnant Sturm vielleicht deshalb ihre Kriegsverletzung so offen zur Schau trug. Moderne Prothesen konnten schließlich sehr echt wirken, sodass man sie kaum als künstlich wahrnahm. Storm habe aber eine Prothese aus unlackiertem Edelstahl gewählt, womit sie aussah wie ein halber Roboter. Sie trug auch keine Perücke und ließ die gelb gefärbten Haare auf ihrer biologischen Seite abstehen wie Stacheln eines Igels. Aber tat sie das aus Selbsthass, oder war es vielmehr ein verdeckter Hilferuf? Oder eine Anklage, dass man sie mit ihrer Kriegsverletzung alleine ließ?

Da Karan mich fragend ansah, gab ich die Frage an sie zurück: „Was meinen Sie? Haben Sie mit Leutnant Sturm schon einmal darüber gesprochen?“

„Das würde ich niemals wagen“, begehrte sie empört auf. „Storm reagiert absolut allergisch auf jede Art von Psychogedöns und würde hochgehen wie eine Granate!“

Ich nahm zur Kenntnis, dass meine Dienste unter den Besatzungen nicht allzu sehr geschätzt und als Psychogedöns abgetan wurden. Dies war aber keine große Überraschung für mich, da die Leute ja nicht freiwillig zum Coaching kamen, sondern weil es auf ihrem Dienstplan stand.

„Ich möchte eigentlich nur eins wissen“, fuhr Karan fort. „Warum wurde Storm ausgerechnet auf meinen Kreuzer versetzt?“

Ich kannte die Antwort, war aber leider nicht autorisiert, Major Karan über die Hintergründe von Leutnant Sturms Versetzung aufzuklären.

„Und warum wird sie niemals suspendiert, bei all den Dienstverstößen, die sie sich ununterbrochen leistet?“

Die Antwort darauf durfte ich ihr ebenfalls nicht geben. „Man traut Ihnen wohl noch am ehesten zu, mit dieser schwierigen Situation umzugehen“, sagte ich deshalb, um dem Ganzen wenigstens einen positiven Beigeschmack zu verleihen.

3 Erstkontakt

Gael Klein betrachtete die Mag-5, die mit ausgefahrenem Landeschacht ruhig vor ihr im Hangar stand. Wartungspersonal führte letzte Arbeiten aus. Auf ihrem Rumpf prangte der Name CLIFF ALLISTER MCLANE, und darunter stand in kleineren Buchstaben Mag-5. Daneben befand sich die LYDIA VAN DYKE, auch als Mag-2 bekannt. Sie war immer noch nicht einsatzfähig.

Während die Mutterschiffe nach berühmten Entdeckern benannt waren, hatte man den Erkundungskreuzern die Namen von Kriegshelden gegeben. Manche Besatzungen machten daraus eine große Sache, aber der jüngeren Generation, die den Krieg nicht mehr selbst erlebt hatte, ging das ziemlich ab. Für sie war die Bezeichnung Mag-5 genauso gut wie MCLANE, obwohl jener berühmte Namensgeber sogar einmal die Erde gerettet haben sollte. Am Ende hatte es ja nichts gebracht. Die Erde war durch die lange andauernde Kriegswirtschaft immer unbewohnbarer geworden und musste nach vergeblichen Rettungsversuchen aufgegeben werden. Nun drehte sie immer noch ihre einsam gewordene Bahn um die Sonne, und nur wenige Zurückgelassene fristeten dort ihr karges Leben. Ein besseres Symbol für die Sinnlosigkeit des Krieges konnte man sich kaum vorstellen. Aber die Menschheit hatte den Krieg ja nicht gewollt, er war ihr aufgezwungen worden.

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