Von Mäusen, Kröten, Elefanten und anderem Kleingetier

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Von Mäusen, Kröten, Elefanten und anderem Kleingetier
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Table of Contents

Title Page

VORWORT

BIG TEDDY UND LITTLE TEDDY

DIE MAUS KLICK

ARKTUS

DIE BLUME DER VERGESSLICHKEIT

DAS NEUE AUTO

DAS GRASGRÜNE PFERD

DAS RECHENMONSTER

REX

MAULWÜRFE

COWBOY

FLASCHENPOST

DER FUSSBALLSTAR

WER HAT DEN DINOSAURIER GE- STOHLEN?

TEMBO

MISS KRÖTE

EIN GESPENST GEHT UM IM MASSE- TANO !!

DAS EIDECHSENHORN

NACHWORT

Von Mäusen, Kröten, Elefanten und anderem Kleingetier

Kurzgeschichten für Kinder

Johann Widmer

Band 2


Der Autor, Johann Widmer (Jahrgang 1938), ist ein «schrei­ bender» Künstler. Er ist ein Vertreter der «arte povera» und der informellen Malerei und ein talentierter Erzähler.

Er wehrt sich aber gegen den Ausdruck «Schriftsteller», er versteht sich als «Geschichten­ erzähler», der je nach Gelegen­ heit und Publikum Geschich­ ten erfindet, die den Zuhörer in Atem halten, zum Lachen oder zum Nachdenken bringen.

Die vorliegenden Erzählungen sind in den Jahren 1970 bis 2000 entstanden. Sie eignen sich übrigens sehr gut zum Vorlesen.

Illustrationen

Fotos von Werken (arte povera) des Autors aus den Jahren 1970 – 2010

Stiftung Augustine und Johann Widmer, Hrsg.

© Stiftung Augustine und Johann Widmer

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Bildungszentrums reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

www.johann­widmer.ch ISBN: siehe Umschlag

1. Auflage 2022

VORWORT

Diese Kindergeschichten können getrost auch von jung gebliebenen Erwachsenen gelesen werden und auch sie werden bestimmt ihren Spass daran haben.

Der Themenkreis dieser fantasievollen Geschichten reicht vom Alltagsgegenstand bis zur Märchenfigur, die Ziel­ gruppe variiert vom kleinen Kind, dem noch vorgelesen wird bis zum Jugendlichen, der gerne liest.

Der Autor hat diese Erzählungen in den Neunziger Jahren vor einem jugendlichen Publikum erzählt und anschlies­ send aufgeschrieben. In einer Zeit also, wo es weder Fa­ cebook noch Smartphones gab und man froh war, wenn da ein Opa war, bei dem man Geschichten downloaden konnte.

Bei vielen Geschichten merkt man, wie rasch sich die Welt verändert oder wie sie von technischen Fortschritten ver­ ändert wird.

Als diese Geschichten entstanden sind, hatte jeder Com­ puter seine Maus und heute? Heute besteht Erklärungsbe­ darf,

Ein Auto mit Navigationsgerät war damals ein Traum all jener, die nicht Kartenlesen konnten und das Smartphone war noch kein menschlicher Körperteil.

Und wie wird die Welt in 20 Jahren aussehen?

BIG TEDDY UND LITTLE TEDDY

Big Teddy ist mein grosser Bruder. Er ist viel grösser als ich, hat schon ein dunkelbraunes Fell und eine weisse Schnauze und kann brummen wie ein echter Bär. Mein Fell ist noch weich und goldfarben, weil ich noch ein etwas kleinerer Teddy bin und brummen, na ja, dafür kann ich so laut und so schrill kreischen, dass die Fensterscheiben klirren.

Soll ich mal vormachen?

Na gut, dann also ein ander Mal.

Mein Bruder kann auch schon lesen, nicht nur Bilderbücher angucken, nein, er kann wirklich richtig lesen und ist deswegen mächtig stolz und will mir immer vorlesen, dabei kann ich es nämlich auch schon ein bisschen, aber ich sage es niemandem, denn sonst liest mir keiner mehr vor.

Big Teddy sagt dann zu mir: «Hör mal Kleiner, soll ich dir vorlesen?»

Manchmal sage ich ja, aber manchmal stört es mich, dass er KLEINER zu mir sagt und dann will ich keine Geschichte hören, nur um ihn zu ärgern. Aber dann reut es mich gleich wieder, dass es nun keine Geschichte gibt und dann sage ich: «Aber wenn du vorlesen üben musst für die Schule, so lies schon, mich soll's nicht stören.»

Und wenn mein Bruder vorliest, dann vergisst man die ganze Welt um sich herum und man sieht alle Dinge, von denen er erzählt, genau vor sich, als wären sie hier. Das ist mächtig spannend!

Da spürt man ein Kribbeln im Fell oder die Haare sträuben sich oder da kommen einem die Tränen, wenn es eine traurige Geschichte ist.

Am meisten liebe ich Geschichten von kleinen Teddybären, die ungeheuer stark sind und so schlau und flink und mutig.

Mein Bruder sagt dann immer, ich solle von diesen Vorbildern lernen, aber ich bin auch schon ein schlauer Bär, viel schlauer als mein Bruder.

Und das kam so: Am Sonntag, als wir bei der Nachspeise waren, es gab Erdbeeren mit Schlagsahne, da habe ich ihn so richtig erwischt.

Mein Bruder sagte vorwurfsvoll, ich solle mich nicht so sinnlos vollstopfen, ich solle langsam essen. Das sagte er aber nur, weil ich viel schneller essen kann als er und er wieder mal Angst hatte, ich esse ihm alles weg. Ich begann daher mit den Ohren zu wackeln, was ich so gut kann und er nicht und sagte zu meinem Bruder, ob er das auch könne. Natürlich konnte er nicht und begann zu probieren und zu probieren, schnitt fürchterliche Grimassen, zog sich an den Ohren und als er hinaus eilte, um einen Spiegel zu holen, hatte ich bereits die ganze Nachspeise im Bauch.

Als er merkte, wie ich ihn hereingelegt hatte, meinte er, ich würde schon noch die Strafe erhalten, denn mir werde nun bestimmt speiübel.

Wurde aber nicht.

Big Teddy fragte mich dann aber auch nicht, ob er mir eine Geschichte vorlesen solle.

War er mir böse, wegen den paar Erdbeeren? Sicher nicht.

Überhaupt ist er mir nie böse wegen etwas, Im Gegenteil. Er will mir immer helfen, wo ich es zwar selber auch könnte, will mich belehren, wo ich es selber weiss, will mir Dinge zeigen, die ich lange vor ihm gesehen habe. Und alles nur, weil ich angeblich so KLEIN bin. Bin ich aber nicht.

Wenn ich eine Schere in die Pfoten nehme, so schreit er schon: «Pass auf, Little Teddy, du machst dir weh, lass mich es für dich machen.»

Hm, wie ich das hasse!

Wenn er mir dann die Schere aus der Hand reissen will, dann kreisch' ich, was ich herausbringe und dann kommen Papa und Mama Teddy angerannt und schauen ganz vorwurfsvoll auf meinen Bruder. Papa sagt dann zu ihm, er sei schliesslich der grössere und Mama tröstet mich, damit ich aufhöre zu schreien.

Und so geht es immer.

Ich kann auf keinen Baum klettern, kann kein Fleisch im Teller zerschneiden, kann keine Gabel in den Mund stecken, kann kein Treppengeländer runterrutschen und nichts und immer heisst es: Lass das, wart ich helfe dir, ich zeig dir wie es geht, pass auf, dafür bist du noch reichlich klein, das kannst du noch nicht, mach dir nicht weh, und so und ähnlich.

Richtig scheusslich ist das.

Darfst nur mit den Ohren wackeln, Bilderbücher angucken, brav Händchen geben beim Spazieren, mit den kleinen Bauklötzen spielen und schöne Zeichnungen machen.

Dabei bin ich doch schon so gross.

Nun ja, sie sind ja alle so lieb und meinen es sicher nur gut mit mir, aber ich möchte doch auch mal gross sein. Nicht ganz so gross wie mein Bruder, aber wenigstens beinahe so gross.

Und so beschloss ich an einem Tag, als Big Teddy in der Schule war, alle zu überraschen um ihnen zu zeigen, dass ich, Little Teddy, ein Grosser sei.

Aber wie?

Ich würde, statt Bilderbücher anzugucken, ein feines Abendessen kochen und wenn dann alle nach Hause kamen, würde ich sagen: «Es ist schon gekocht. Setzt euch bitte an den Tisch.»

Die würden staunen! Big Teddy würde Kulleraugen machen und nie mehr sagen können, dass ich für irgendwas zu klein sei.

 

Zuerst stellte ich die grösste Pfanne auf den Herd und füllte sie mit Wasser.

Papa mag so gern Reis.

Weil ich schon lesen kann, so fand ich gleich das Gesuchte: REIS.

Das Paket war nicht mehr ganz voll, aber vielleicht reichte es wenigstens für Papa.

Mama mag so gerne Kartoffeln.

Ich füllte die Pfanne bis zur Hälfte mit Kartoffeln. Mein Bruder mag Spaghetti.

Aber die Stäbchen waren zu lang. Also zerbröselte ich sie, damit sie Platz fanden.

Ob drei Pakete genügten?

Schliesslich musste ich auch noch für mich kochen. Was ich mag?

Essiggurken, Ketchup, Coca Cola, Pommes frites und Omeletten mit viel Kräutersalz drüber.

Oh, ich weiss schon, dass man für Omeletten Eier, Mehl und Salz braucht.Im Kühlschrank waren aber nur noch sechs Eier. Nun, für eine Person war das sicher genug, es musste ja nur für mich reichen, denn jeder sollte sein Lieblingsessen bekommen.

Bevor ich die Gurken in die Pfanne geben konnte, musste ich noch etwas Wasser abschöpfen.

Jetzt hatte auch das Mehl wieder Platz. Die Eier konnte ich noch nicht so gut aufschlagen wie Mama. Es ging etliches daneben.

Aber die fehlende Flüssigkeit würde ich mit Cola wieder ausgleichen.

Oh, fast hätte ich noch das Salz vergessen!

Aber da konnte man davon reinschmeissen soviel man wollte, es verschwand alles spurlos. Das war wirklich interessant. Ob Zucker auch so rasch dahinschmolz? Mal versuchen.

Den Ketchup sparte ich für später: Wenn dann die Überraschung auf dem Tisch stand, konnte sich jeder nach Belieben bedienen.

Hatte ich wirklich nichts vergessen. Mal im Kühlschrank nachschauen.

Wienerwürste? Auch nicht schlecht. Käse? War ohnehin nur noch ein kleiner Rest da. Mayonnaise? Schmeckt mir nicht besonders. Aber Big Teddy kann nie genug davon haben. Also nur das halbe Glas.

Salat?

Das mochte gut sein für Meerschweinchen, aber Bären, ha, dass ich nicht lache, die mögen doch sowas nicht.

In der Pfanne begann es inzwischen zu brodeln und zu blubbern und das gute Essen drohte überzukochen.

Also rasch etwas abschöpfen in ein zweites Kochgeschirr und damit es nicht anbrennt ein grosses Glas Coca dazu. Schliesslich waren alle Pfannen und Töpfe gefüllt und auf allen vier Kochplatten köchelte das Abendessen. Manchmal kochte es freilich über, so mit dumpfem Blopp und spritzte gefährlich das heisse Zeugs in der Küche herum, aber ein Teddy, mag er auch noch so klein sein, kennt keine Furcht, wir sind mutige Kerle!

Ich würde mal ein berühmter Koch sein, so mit einer weissen Mütze auf dem Kopf.

Genau das fehlte noch.

Ich ging ins Esszimmer und bastelte mir aus einer Zeitung einen richtigen Kochhut. War übrigens gar nicht so einfach, denn das Papier flatterte immer wieder auseinander: Aber nachdem ich eine halbe Rolle Tesaband verklebt hat­te, hielt die Mütze endlich zusammen. Siehste, man muss sich nur zu helfen wissen.

Toll sah das aus! Super!

Wie ich wieder in die Küche zurückkehrte, schien mir, dass es so eigenartig rieche, eigentlich gar nicht wie sonst, sondern so scharf und beissend Das Wasser war irgendwie weg und verschwunden. Ich goss Cola in die Töpfe, bis alles mächtig brauste und schäumte, aber der Geruch wurde immer stärker und stärker.

Vielleicht war schon alles gar? Oder hatte ich etwas vergessen?

Mal kosten wie es schmeckt?

Im ersten Topf war eine steinharte Masse. Der Löffel verbog sich, aber es liess sich nichts heraus schöpfen.

Komisch?

Ich musste irgend etwas vergessen haben. Aber was?

Und wie konnte man wohl das Zeugs wieder weich machen?

In diesem Augenblick kam die Familie angetrabt. Die würden ja nun staunen!

Und wie sie staunten.

Einen Augenblick lang, dann begann Papa Teddy laut zu brummen, Mama Teddy drehte die Flammen unter den Töpfen aus und Bruder Big Teddy begann zu feixen und hämisch zu grinsen. Ich ahnte ja schon, dass da vielleicht nicht alles so ganz richtig war, aber auslachen sollte mich deswegen niemand, jedem kann mal ein Fehlerchen unterlaufen.

So ging ich zu Big Teddy und mit einem linken Haken boxte ich ihn nieder. KO mit einem einzigen Schlag! Das soll er mir mal nachmachen!

Und wie das grosse Brüderchen nun gekreischt hat! Wie am Spiess! Wie ein kleiner, wie ein winzigwunzigkleiner Teddy. Unglaublich. Wie man nur so kreischen kann!

Nachdem ich dem Papa Teddy und der Mama Teddy alles erzählt hatte, da sagte der GROSSE TEDDY (nämlich Papa): «Los Leute, wie wär's wenn wir in die Pizzeria rüber gehen würden? Hat wer was dagegen?»

Niemand hatte.

In der Pizzeria sagte Papa zum Italiener: «Da sind zwanzig Mark, mehr hab ich nicht, bringe uns Pizza und ein Glas Rotwein dafür.»

Da ich viel schneller essen kann als alle andern Teddies, wurde ich richtig satt.

Und fein geschmeckt hat's! Ich kann's beschwören. Vielleicht koche ich wieder mal für unsere Familie.

DIE MAUS KLICK

Die Maus Klick, das bin nicht ich, aber ich will von ihr erzählen. Ich bin Quinto, die Wandmaus.

Ich bin der fünfte von sieben Geschwistern, die auch, wie ich und Mama Maus, in den Wänden und Böden eines alten Holzhauses lebten. Das war eine ganz tolle Mauswohnung mit unendlich vielen Gängen und Tunneln, mit unzähligen Kämmerchen und Sälen. Und alles war extra für uns Mäuse gemacht, denn alle Durchgänge und Tunnel waren genau so gross, damit wir bequem durch schlüpfen konnten, aber sie waren viel zu eng für die Katze oder für den Menschen.

Wenn Mama Maus schnell herüberging in die Speisekammer um unser Essen zu holen, dann spielten wir Mauskinder Verstecken oder Fangmich oder Wolauertdiekatz.

Dann rasten wir durch die Gänge, purzelten übereinander und lachten und lachten.

Oh, das war alles so furchtbar lustig!

Manchmal klopfte dann der Mensch an die Wände. Dann hielten wir uns die Schnauzen zu, damit wir nicht laut heraus lachten, aber das Kichern konnte niemand so richtig verbeissen, denn es war doch allzu lustig zu denken, dass der Mensch da drüben, dieses langsame, tapsige und dicke Tier mitspielen wollte.

Der Riesenbrocken wäre ja in den engen Gängen elendiglich steckengeblieben, der hätte sich nirgendwo verstecken können und der wäre viel zu langsam gewesen beim Fangmichspiel.

Der soll doch mit seiner Katze spielen.

Die war auch so ein dummes und faules Tier. Katzen seien schlau?

Dass ich nicht lache! Schaut doch mal am Menschenfernsehen. Tom und Jerry.

Und das müssen wahre Geschichten sein, denn sonst würden sie nicht am Fernsehen gezeigt.

Ist doch klar.

Und unsere Katze, die war noch viel blöder als der Tom. Wisst ihr wie die hiess?

Miggi!

Ist doch wirklich ein oberdoofer Name. MIGGI! Dass ich nicht lache. Wie man nur so heissen kann.

Aber das Allerbeste muss ich erst noch erzählen:

Diese Katze frass nämlich nur Futter, das aus einer Blechbüchse kam.

Unvorstellbar.

Aus einer Blechbüchse, die sie selber natürlich nicht öffnen konnte.

Sowas von blöd!

Wenn sie Hunger hatte, dann strich sie der Menschin oder dem Menschen um die Beine und maunzte und schrie und bat und bettelte und miaute, dass man fast Ohrenschmerzen bekam.

Dann nahm endlich der genervte Mensch so eine Büchse aus dem Schrank, schraubte sie auf und schüttete den Inhalt in den Katzenteller.

Ich habe einmal im Vorbeiweg von dem Zeugs gekostet, schmeckt scheusslich!

Da ist mir ein guter Emmentalerkäse oder ein Stück Magerschinken viel lieber.

Aber die heutigen Katzen sind nun mal so. Uns Mäusen kann es ja recht sein.

Doch ich erzähle und erzähle und berichte nichts von der Maus Klick. Die war nämlich, wie soll ich sagen, so, so nett, nein sie war so süss, so eine prima Maus, so vornehm.

Ja, sehr vornehm war sie.

Als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, drüben im Büro des Menschen, da lag sie faul auf dem Schreibtisch.

«Hallo, du bist ja ein wirklich freches Ding,» rief ich ihr zu, denn wir Mäuse dürfen eigentlich die Räume des Menschen nie betreten, oder wenigstens dabei nicht erwischt werden, sonst, na ja, sonst riskieren wir unser Leben. Aber diese freche Maus lag am hellichten Tag auf dem Tisch und rührte sich nicht. Sowas von Frechheit! Die hatte ja einen Mut, den ich nie aufbringen würde. Die war noch mutiger als Jerry.

Aber bevor ich sie zum Sprechen und zum Erzählen bringen konnte, hörte ich Schritte im Korridor. Ich versuchte sie zu warnen, aber sie rührte sich nicht, sie hatte offensichtlich keine Angst. Ich stiess einen schrillen Schrei aus, aber ohne Erfolg.

Mit der Ausrede, dass Mama mich gerufen habe, konnte ich mich noch rechtzeitig aus dem Staub machen und hinter der Bodenleiste verschwinden, bevor der Mensch hereingepoltert kam.

Neugierig schaute ich durch ein Astloch in der Wand, was nun drüben geschehen werde, konnte aber leider nichts sehen. Mir war wirklich bange um die Maus. Ich hätte sie aufwecken müssen. Ich hätte sie vor dem Menschen erretten sollen. Ich war nun schuld, wenn sie getötet würde.

Ach, das arme, arme Mäuschen!

Mir kamen die Tränen. Ich heulte und heulte und wartete auf den Angstschrei der erschreckten Maus, wartete auf ihren Todesschrei.

Statt dessen hörte ich plötzlich drüben ein neues Geräusch. Klick, klick­klick und abermals klick.

Das musste die Maus sein!

Hab ich mir doch gedacht, dass die etwas Besonderes sei. Mit welcher Vornehmheit die auf dem Tisch gelegen hatte. Wie die mich so von oben herab angeguckt hatte ohne auch nur ein Auge zu öffnen. Sie hatte doch gleich gewusst, dass da unten nur so ein armer, gewöhnlicher Wandmausjüngling stand. Nein, für die war ich zu unbedeutend. Ich war ein jämmerliches Nichts gegen sie, die es zu etwas gebracht hatte.

Aber mochte ich auch nur ein struppiger kleiner Mäuserich sein, ich würde ihr schon noch zeigen, was in mir steckte, jawohl, das würde ich.

Und ich, ich habe sie retten wollen, wo sie nun drüben mit dem Menschen fröhlich plauderte.

Das ging in einem fort klick und klick und nochmals klick.

Obschon ich ihre fremde Klicksprache nicht verstand, so schien mir doch, sie sei ein bisschen schwatzhaft, eine rechte Plaudertasche.

Nanu, dafür war sie aber auch so furchtbar hübsch, so elegant, so wahnsinnig dufte und wirklich gut erzogen, das musste man ihr lassen.

Vielleicht war sie nachts zu einem Plauderstündchen zu haben.

Ich würde ihr ein fettes Stück Emmentalerkäse bringen. Wir würden den Brocken zusammen verspeisen und dann würde sie sicher etwas gesprächiger.

Aber das mit dem Emmentaler wurde ein totaler Flop. Nicht mal angerührt hat sie ihn solange ich daneben stand.

Und gesprochen hat sie auch nicht. Kein einziges Klick kam über ihre so wunderhübschen Lippen. Nein. Geschlafen hat sie wie ein Stein wie ein Stück Holz, wie ein Stück Plastik.

Nun, sie hatte natürlich den ganzen Nachmittag mit dem Menschen geplaudert und geklickt, klar, dass sie nun müde war.

Oder war sie zu vornehm, um mit mir zu reden?

Auf jeden Fall liess ich ihr den Käse. Sie würde schön staunen, wenn sie erwachte und dann den prächtigen Käse vor sich sah.

Damit sie ahnen konnte, wer ihr das Geschenk gebracht hatte biss ich eine Ecke weg.

Jetzt sah man die Abdrücke meiner Zähne. Sie würde bestimmt verstehen.

Als ich in den herrlichen Käse biss, musste ich mich zwar furchtbar zusammennehmen, um nicht alles zu essen, aber ich beherrschte mich. Ich wollte sie doch kennenlernen.

Mama schalt mich nachher aus, weil ich dieser wildfremden und zugelaufenen Stadtmaus meinen Käse geschenkt hatte und meine Geschwister lachten und hiessen mich

«verliebten Mäuserich», was ich gar nicht mochte. Denn verliebt war ich keineswegs, nein, nein, gar nicht, ich hatte nur, ich wollte, ich, sie war halt einfach so, so, ich weiss nicht wie.

Das Käsestück war wohl zu gross gewesen für so ein zartes Ding, denn sie hatte nicht alles aufgegessen. Jedenfalls hörten wir am nächsten Morgen den Menschen schimpfen und toben.

Diese Mäuse würden alleweil frecher und was der Käse auf dem Schreibtisch sollte und man müsste sie endlich Anstand lehren und so und ähnlich.

 

Wie er uns Anstand beibringen wollte?

Er sperrte die Katze «Miggi» (sowas von blödem Namen!) in die Speisekammer.

Das war eine grossartige Idee. So konnten wir an diesem Tag ungestört die Nüsse und die Salzbrezeln auf dem Salontischchen knabbern. Ein grosses Stück Nusskuchen schleppte ich hinter die Wand, denn sowas Feines würde meine Maus Klick bestimmt nicht verschmähen.

Das war sicher genau das richtige Futter für vornehme Mäusedamen.

Aber sie hat auch den Kuchen nicht gemocht, obwohl ich neben ihr auf dem Schreibtisch gesessen und dabei meine Hälfte des Kuchens geknabbert habe. Nichts hat sie angerührt, nichts gesprochen, obschon ich sie auf den Knien angefleht habe, doch ein allereinziges Mal Klick zu sagen. Nichts. Nicht das leiseste, zart gehauchte Klicklein.

Ich war echt traurig, wie nur ein kleiner Mausejunge traurig sein kann.

Ich mochte nicht mehr spielen, ich mochte nicht mehr essen und trinken, Ich wollte überhaupt nichts mehr hören und sehen. Ich war traurig und mir war sterbenselend.

Die folgenden Nächte brachte ich ihr die allerleckersten Dinge aus der Speisekammer, aber ein Wort ist ein Wort und kein Klick ist kein Klick.

Und dabei wäre doch das leiseste Klickelchen wie Himmelsmusik für meine Ohren gewesen.

Nichts zu machen.

Weder Speck noch Schinken, weder Sahnetörtchen noch Zwieback, weder Äpfel noch Kartoffeln konnten ihr ein einziges Wörtchen entlocken.

«Die noble Dame lässt sich ja wacker füttern,» war die Meinung von Mama und dass sie es für unziemlich halte, dass wir «Proleten» (was das nun wieder sein mochte?) uns mit den Herrschaften gemein machten. Ich solle mir «die Dings da drüben» endlich aus dem Kopf schlagen, das sei kein Umgang für mich.

Das sagt sich so leicht, aber wenn ich den ganzen Tag über jenseits der Holzwand das fröhliche Klicken hörte, da wurde mir das Herz immer schwerer und schwerer und so gegen Mittag war es so schwer, dass ich glaubte, das Haus würde im nächsten Augenblick unter diesem Gewicht zusammen krachen. Aber am Nachmittag wurde es wieder leichter, denn ich hoffte, ja ich wusste, dass sie diese Nacht mit mir sprechen würde.

Ich hörte schon genau, wie sie sagen würde: «Hallo, klick, klick »

Meine Seufzer brachten mir ausser dem Spott meiner Geschwister auch nicht viel.

In der folgenden Nacht beschloss ich, die Maus Klick zu entführen.

Ich sagte zu ihr: «Los, so komm schon, hauen wir ab. Du führst hier ein so unmäusisches Leben, das ist nicht gesund. Komm mit mir hinter die Wand, dahin wo die echten Mäuse wohnen. Los, gehen wir!»

Nichts, gar nichts.

Kein Klick, keine Bewegung, keine Regung, einfach nichts. So ein Frust!

Schliesslich packte mich so richtig die Wut und ich riss die Maus Klick vom Tisch.

Aber auf halbem Weg blieb sie hängen. Ihr Schwanz musste eingeklemmt sein. Leute, der war ja lang!

Und wirklich, sein Ende verschwand in einer grauen Blechkiste.

Ich beugte mich über den Tischrand, um meiner Braut die Lage zu erklären.

War die eigentlich taubstumm? Oder hatte die Arme einen Schock erlitten und konnte vor Schreck nicht mehr reden? Oder schwieg sie, weil sie zu vornehm zum Schreien war?

Nu ,ich erklärte ihr, dass ich ihr die alleräusserste Schwanzspitze abbeissen müsse, um sie freizubekommen, dass ihre Schönheit aber dadurch nur gewinnen würde, denn so lange Schwänze waren momentan gar nicht in Mode.

Ich biss und nagte, aber vergeblich.

Als das Morgenlicht durchs Fenster drang verzog ich mich entmutigt hinter die Wand. Müde, enttäuscht und das Herz voller Kummer.

Drüben bei den Menschen wurde wieder einmal über die Mäuse geschimpft. Das tun sie immer, wenn sie nicht mehr weiter wissen. Mäuse, Kabel angefressen, Schweinerei, wozu halten wir uns eigentlich eine Katze? (das frage ich mich auch).

Dann kam das Geschrei von Miggi, die einen Fusstritt abbekommen hatte, dann wieder Gefluche und Geschrei aber, aber kein einziges Mal Klick.

War sie krank? Oder abgehauen? Ohne mich?

Nein, das konnte sie mir nicht antun.

Ich konnte meine Ohren spitzen wie ich wollte, da kam kein Klick mehr herüber.

???????????

Sie war wirklich weg!

Und zwei Tage später, ich glaubte mein Herz zerspringe vor Freude, da war es wieder da, dieses süsse und zärtliche Klick, Klick, Klick­Klick.

Diesmal sollte mir die Entführung aber gelingen.

Die ganze Mausfamilie zerrte an der Maus, die benachbarten Familien schoben am grossen grauen Kasten und genau im Moment als meine Herz allerliebste den Fussboden erreicht hatte, krachte die riesige Kiste mit fürchterlichem Getöse hinten nach und … zerschmetterte alle und alles.

Als einziger Überlebender der furchtbaren Katastrophe mochte ich nicht mehr länger hier wohnen und so zog ich in ein nahegelegenes Haus.

Wichtig war mir aber vor allem, dass meine neuen Menschen keinen Computer haben.