Mit Segenskreuz und Handy

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Mit Segenskreuz und Handy
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Impressum

1. Auflage 2016

© Patrimonium-Verlag

In der Verlagsgruppe Mainz

Alle Rechte vorbehalten

Erschienen in der Edition »Patrimonium Theologicum«

Patrimonium-Verlag

Abtei Mariawald

52396 Heimbach/Eifel

www.patrimonium-verlag.de

Gestaltung, Druck und Vertrieb:

Druck & Verlagshaus Mainz

Süsterfeldstraße 83

52072 Aachen

www.verlag-mainz.de

Abbildungsnachweis:

Umschlag: Stockvault.net/Geoffrey Whiteway

ISBN-10: 3-86417-048-6

ISBN-13: 978-3-86417-048-5

Gewidmet meinem Bischof

Karl Kardinal Lehmann,

Bischof von Mainz,

zu seinem achtzigsten Geburtstag

in Dankbarkeit

VORWORT

Ein Wort macht hier immer wieder die Runde, besonders bei denen, die neu nach Ägypten kommen: »Entweder man liebt es, oder man hasst es!« Ägypten ist nach mehr als 20 Jahren eine Heimat geworden. Und dennoch gebe ich meine Heimat nicht auf, sie trägt mich, aus ihr stamme ich. Aber ich weiß: Diese »neue Heimat« Ägypten, der ich begegnen durfte und immer noch darf, prägt mein Verständnis von meiner »eigentlichen« Heimat, meinem geliebten Rheinhessen und meiner Vater- und Mutterstadt Mainz.

Begegnung bewirkt Veränderung. Aber auch nur dann, wenn ich Begegnung zulasse, und sie nicht als »Zusammenstoß« definiere.

Dieses kleine Werk möchte zeigen, dass Begegnung froh machen kann. Begegnung verändert und bereichert. Und dies auf allen Feldern des Menschseins, bis hin zu tiefen Fragen des Woher und Wohin, zu den Fragen der Religion und der Konkretisierung des religiösen Lebens.

Ich möchte nichts anderes sein, als katholischer Priester. Und als solcher möchte ich die Botschaft verkünden, dass Gott nicht irgendwo verborgen im Himmel sitzt, sondern uns nahe gekommen ist. Dass Weihnachten der Anfang und Ostern die herrliche Vollendung unseres und des Herrn Jesus Christus Leben ist.

Einen kleinen, facettenhaften Einblick in 20 Jahre Ägypten soll dieses Buch geben.

Ich danke allen, die mir in diesen Jahren begegnet sind – nicht zuletzt auch denen, die mir und der Markusgemeinde Kairo unfreundlich, dialogfrei und negativ begegnet sind. Dank dafür, dass uns Kräfte zugewachsen sind, die wir nie für möglich gehalten hätten. Ich bete weiter für sie.

Danke den Lebenden und Verstorbenen unserer Markusgemeinde! Danke den Patres und Schwestern, die uns geholfen haben. Danke den Borromäerinnen in Ägypten, die einer eigenen Würdigung bedürften! Danke den Muslimen und Christen, die Verständnis für uns aufbrachten.

Einen herzlichen Dank an Ruth Badawi, die das Manuskript durchgesehen hat. Und jetzt schon: jeder Druckfehler, jedes falsche Komma, wird uns im Himmel nicht negativ angerechnet!

Kairo, am 25. Januar 2016,

Fest der Bekehrung des Hl. Apostels Paulus,

Fünfter Jahrestag des Aufstandes

Gegen Unrecht und Unterdrückung in Ägypten

Joachim Schroedel

ZUR ORIENTIERUNG

»Sie können in ganz Nordafrika Gemeinden gründen«! Ein Satz, mit dem mir augenzwinkernd der damalige Leiter des »Katholischen Auslandssekretariats«, Pfarrer Norbert Blome, den Weg nach Ägypten ebnete!

Seitdem sind mehr als 20 Jahre vergangen. Zwei Jahrzehnte Seelsorgetätigkeit in Ägypten und von hier aus fast »sternförmig« in Syrien, dem Libanon, Jordanien, zeitweise Israel, Libyen, Eritrea und Äthiopien.

Dieses Büchlein soll keine Biographie sein, sondern Einblick in die Arbeit und das Leben eines Menschen geben, der seit September 1995 fest in der Region lebt und bereits 1976/77 und 1979/80 in Palästina/Israel sein kleines »Zuhause« gefunden hatte. Dabei wird viel Persönliches gesagt werden, wichtiger aber ist mir, dass der Leser Einblick in eine Region erhält, die gerade heute als eine der problematischsten Regionen der Welt angesehen wird. Der »Nahe Osten« scheint seit Jahrzehnten ein Pulverfass zu sein, dem man sich eigentlich nicht nähern sollte. Die politische Situation überdeckt dabei den Blick auf die Menschen, die hier leben. Ägypter und Palästinenser, Syrer und Jordanier, Libanesen, Hunderttausende von Arbeitern aus dem fernen Osten … und natürlich auch Tausende von Deutschsprachigen. Und blickt man auf die Religionen und Konfessionen; neben den Muslimen, die zweifelllos den größten Bevölkerungsanteil des Nahen Ostens darstellen, gibt es Christen! Dies wird, nach meiner Erfahrung, allzu oft geflissentlich übersehen.

Aber es sind eben nicht nur Christen der, wie es bei uns in Deutschland zumeist heißt, »beiden großen Kirchen« (und damit sind Katholiken und Protestanten gemeint, unter geradezu sträflicher Missachtung der Orthodoxen oder Orientalen!).

Mit drei Geschichten, die eigentlich exemplarisch für die letzten 20 Jahre sind, möchte ich beginnen.

Warum wollen Sie dort sterben?

Seit Mitte der achtziger Jahre hatte ich die große Freude, an der St. Lioba – Schule in Bad Nauheim als Schulseelsorger und Religionslehrer tätig zu sein. Durch meine Freisemester, die ich in Jerusalem verbringen durfte (1976-77) und durch einen weiteren Aufenthalt nach Beendigung meines Studiums (1979-80), bei dem ich mich prüfen wollte, ob ich eine Berufung zum monastischen Leben hätte, war ich zum Liebhaber des Nahen Ostens und vielleicht auch etwas zu einem kleinen Experten geworden. In der Tat ist wohl bei diesen Aufenthalten die Grundlage geschaffen worden, auch heute noch im Nahen Osten zu leben – nach immerhin fast 40 Jahren.

Immer war es mir eine Freude, über Jerusalem, das Heilige Land zu beiden Seiten des Jordan und über die ganze Region zu berichten und so das »Fünfte Evangelium« (Pater Bargil Pixner, einer meiner Professoren an der Dormitio-Abtei hat wohl diesen Begriff geprägt) mit in die Verkündigung einzubeziehen. Einmal war ich von einer Gruppe Religionslehrern eingeladen, einen Studientag über das Heilige Land zu halten. Grundlage für meine Vorträge war der historische (oder historisierte) Weg des Volkes Israel und des Stammvaters Abraham.

Ich muss wohl mit so viel Begeisterung erzählt haben, dass in einer Vortragspause einer der Kollegen zu mir kam und sagte: »Ihnen merkt man die Liebe zur ganzen nahöstlichen Region wirklich an«! Meine spontane Reaktion: »Ja, ja; wahrscheinlich werde ich dort auch mal sterben.«

»Warum wollen Sie dort sterben?«, fragte er mich. Er kenne einen Religionslehrer-Kollegen, der an einer deutschen Schule in Kairo unterrichten würde. Leider hätte man dort keinen katholischen, deutschsprachigen Priester … und seit Jahren würde man vom »Katholischen Auslandssekretariat« einen Seelsorger erbitten. Doch die Bischöfe stellten ja wohl niemanden frei …

Wenn ich wollte, würde er den Kontakt zu diesem Kollegen einmal herstellen. »Vielleicht wäre vor dem Sterben im Nahen Osten auch noch etwas Seelsorge für eine deutsche Gemeinde möglich« – sagte er schmunzelnd.

Leider habe ich den Kontakt zu diesem Kollegen verloren. Doch er war es, der den »Startschuss« gegeben hatte.

»Warum wollen sie dort sterben?« – Ein Satz, der mich dann in den letzten 20 Jahren manchmal auch fast handgreiflich begleitet hat. Ägypten, so musste ich eben auch erfahren, ist nicht nur das Land von Sonnenschein, Pyramiden und Meer; es ist auch ein Land größter sozialen Unterschiede und Verwerfungen. Ein Land, in dem Armut und mitunter echte Verzweiflung herrschen. Aber immer wohl auch ein Land, das durch die Religion und die Furcht vor der Strafe Gottes geprägt ist.

Eine zweite Geschichte, jetzt schon aus Ägypten, schließt sich an.

Geld her! Oh, ein Abuna!

Es war vor einigen Jahren nach dem Empfang der Deutschen Botschaft zum Tag der Deutschen Einheit. Seit 2005 lebe ich »auf dem Lande«, nicht zuletzt auch, um unseren Gemeindegruppen (Kinder, Jugendliche, Senioren, ausländische Besucher) eine Art »Pfarrhaus« zu geben – und ganz egoistisch auch für mich, der nach dem Stadtleben in einer 20-Millionen-Stadt genug von den Abgasen und dem ständigen und krankmachenden Lärm hatte. Wer in sog. »Mega-Citys« lebt weiß; lange Wege zurücklegen gehört zum Alltag.

Gegen 23:00 Uhr fuhr ich also durch die Nacht zu meiner »gated community«, einem Ensemble von 14 Häusern hinter einem mehr oder weniger effektiven Zaun und mit Wächtern, die sich in Schichten abwechseln und ihre Runden drehen.

Die Straßen außerhalb der Stadt sind meistens unbeleuchtet. Etwa einen Kilometer vor meinem Ziel wurde die Straße durch drei junge Männer blockiert. Eine Kalashnikov (ich kannte diese Waffe, denn kurz nach der Revolution vom 25. Januar 2011 hatten die Sicherheitskräfte unserer Häuser mehrere davon, und auch ich musste mich an der Waffe üben …) sprach Bände. Die beiden anderen Burschen sahen auch nicht unbedingt sehr friedlich aus. Noch bevor ich von ihnen aufgefordert wurde, mein Auto zu verlassen setzte ich, über das Handy, noch eine Facebook-Nachricht ab: »Werde gerade überfallen!«

Dann aber stieg ich aus. Der Blick der Jungen, zunächst eher martialisch und drohend, änderte sich schlagartig. Plötzlich sahen sie verdutzt und betroffen aus. Was war geschehen? Ich selbst hatte nicht daran gedacht: Ich war in meiner paspelierten Monsignore-Soutane mit purpurnem Zingulum unterwegs! Und bei meinen fast 1,90 m wurden sie eher ängstlich. Vor allem; sie hatten erkannt: Mein Gott, ein Abuna (abuna, arabisch: mein Vater, also die Bezeichnung für einen christlichen Geistlichen)! Das Segenskreuz in meiner Hand (Lateiner kennen dies eher nicht, aber für orientalischen Christen ein wichtiges Zeichen!) verriet ihnen noch mehr: Jetzt galt es für sie, auf der Hut zu sein, denn es begegnete ihnen »ein Mann Gottes«.

 

Meinen Mut zusammen nehmend fuhr ich sie an, was das solle, jemanden auszurauben. Und ich sagte kurz: »Rabbina zaalaan giddan!« – Gott wird sehr traurig/wütend sein. Sicher verstörte sie Einiges. Ein offensichtlich doch ausländischer Abuna, der mit ihnen einige Worte Arabisch spricht und sie zudem auf ihre Sünde aufmerksam macht. Mit »ahna asfin« – wir entschuldigen uns – machten sie mir den Weg frei, nicht ohne zu bemerken: wa-lakin ahna muslimin quayyesin – wir sind gute Muslime. Und beim Einsteigen sagten sie noch deutlich: »Sorry«.

Die dritte Geschichte macht frohen Mut.

Hilfe in der Nacht

Wieder einmal wurde es ein langer Tag, und ich fuhr spät über meine mir eigentlich bekannte Straße nach Hause. Urplötzlich tauchte aus dem Dunkel der Nacht vor mir ein großer Müllberg auf! Häufig kommt es leider vor, dass, wegen fehlender Müllabfuhr, besonders auf dem Land, der Müll einfach an den Straßenrand gekippt wird. Diesmal hatte ich die besondere Freude, über einen Berg Bauschutt zu rattern. Ich konnte zwar etwas ausweichen, aber das Geröll des Bauschutts beschädigte wohl einige wichtige Motorteile – und ich blieb, mitten auf der Straße gegen Mitternacht mit einem Motorschaden liegen. Ich war etwa 5 Kilometer von meinem Ziel entfernt. Der Mond schien nicht, Straßenbeleuchtung, wie fast immer, funktionierte nicht.

Man sagt zwar, in Kairo wäre 24 Stunden pro Tag »etwas los«, es sei eine der Städte der Welt, die niemals schlafen – aber dies trifft eben nicht für Kairos ländliche Gebiete zu. Ich stelle mich auf eine etwas längere Wartezeit ein und hatte zudem ein »mulmiges Gefühl«. Einmal war ja ein versuchter Überfall gut ausgegangen, aber würde das die Regel sein?

Nach 10 Minuten kam ein Motorrad, darauf drei (!) junge Männer. Sie fuhren zunächst einige Meter an mir vorbei, dann kehrten sie um und fragten, ob ich Hilfe bräuchte. Doch eigentlich hatten sie es schon gesehen: »al arrabiya atlana« – der Wagen ist defekt! Sie fragten mich, wo ich wohnte. Und nach meinen Erklärungen sagte sie: »Wir helfen Dir!« Zwei hatten schwarze Plastiktüten in Händen. Sie baten, ob sie die in mein Auto legen könnten. Ich stimmte zu, und so landeten 3 Flaschen »Stella local« (die traditionelle Biermarke Ägyptens) auf meinem Rücksitz. Sie seien wohl Christen, fragte ich vorschnell. »Natürlich nicht«, sagten sie eilfertig. Und mit dem Blick auf die Tüten meinten sie: »Wir haben heute viel gearbeitet, sind Bauarbeiter. Das macht Durst!«

Dann banden sie ein Seil von ihrem Motorrad ab und befestigen es an meinem Auto. Die Drei setzten sich auf ihr Motorrad und zogen so mein armes Gefährt bis vor meine Haustür. Niemals hatte ich gehört, dass ein kleines Motorrad ein Auto abschleppen kann. In Ägypten zumindest gelang es.

Ich war glücklich und wollte meinen Helfern ein Bakshish (Trinkgeld) geben. Und ich war sicher, dass sie es dankbar annehmen wollten. Aber: Weit gefehlt! Mehrfach lehnten sie energisch ab! Sie können kein Geld nehmen, denn sie hätten doch eine gute Tat getan, und kein Geschäft gemacht. Und außerdem: Von einem Priester wollen sie ebenso wenig Geld nehmen, wie von einem Scheich! Bete für uns – sagten sie beim Abschied. Ich habe sie niemals wieder gesehen, meine treuen Helfer ….

Was sagen mir diese drei Geschichten?

DAS ZENTRUM MEINES DIENSTES – BEGEGNUNG

Dieses Büchlein bleibt ein zutiefst persönliches Werk. Es sind biographische Notizen. Denn es beschreibt mein Erleben – in 20 Jahren Ägypten

Durch einen »Zufall« kam ich eigentlich wieder in die Region zurück, die mir seit fast 40 Jahren am Herzen liegt. Dass meine flapsige Äußerung gegenüber meinem Religionslehrer-Kollegen, vielleicht werde ich auch mal im Nahen Osten sterben, noch einmal wirklich auch brisant werden könnte, hatte ich damals noch nicht geahnt. Aber wohl liegt meinem Dienst im Nahen Osten, ja, meinem ganzen priesterlichen Dienst seit meiner Weihe im Jahre 1983 zugrunde, mein Leben einzusetzen für die Wahrheit und Gerechtigkeit.

BEGEGNUNG – so heißt unser, zusammen mit der evangelischen Gemeinde herausgegebenes Informationsheft. Und das FEST DER BEGEGNUNG als Fest der Begrüßung und des Kennenlernens zu Beginn eines jeden »Ägypten-Jahres« Ende September/Anfang Oktober ist zentrales und wichtigstes »weltliches« Fest der »Deutschsprachigen Katholischen Markusgemeinde Kairo«. Begegnung ist kein Alleinstellungsmerkmal unserer Gemeinde. Vielmehr sollte es integraler Bestandteil jeder Seelsorge sein. »Alles wirkliche Leben ist Begegnung« (Martin Buber). Doch gerade im Ausland spielt Begegnung nochmals eine andere Rolle. In meiner zweiten kleinen Geschichte schien es zunächst eine Begegnung, die dramatisch verlaufen könnte. Und doch hat eine gute Wende stattgefunden; aus den Gangstern wurden Menschen, die sich entschuldigten.

Und die dritte Geschichte zeigt nochmals und verstärkt: Begegnung mit Angst Machendem kann sich in eine Erfahrung mit großer Freude wandeln. Und: Begegnungen mit Muslimen halten Überraschendes bereit …

»Mit Segenskreuz und Handy«? Beide Gegenstände sind bereits in den kleinen Geschichten aufgetaucht. Jeder orientalische Priester hat ein »Handkreuz«, das sein ganz besonderes Attribut ist. Er segnet damit, die Gläubigen küssen es demütig (erst das Kreuz, dann die Hand des Priesters), und es ist eben DAS Zeichen der Christenheit schlechthin. In hoc signo vinces - in diesem Zeichen wirst Du siegen. Mit diesem Ruf beginnt die öffentliche Wirksamkeit des Christentums. Ich trage es gern bei mir! Denn ich teile so das orientalische Priestertum mit dem meinen – und ich erlebe, wie dankbar viele Christen, besonders die Kopten, für dieses Zeichen sind.

Als ich nach Kairo kam, gab es noch keine mobile Kommunikation – man kann es sich heute kaum mehr vorstellen! Aber eben der »Durchbruch« des Mobiles (nur wir Deutschen nennen es »Handy«) hat gerade die nahöstliche Welt total verändert. Und heute scheint normales Leben nicht mehr vorstellbar ohne dieses Gerät …

»Mit Segenskreuz und Handy«? Beides trage ich häufig mit mir. Beides ergänzt sich – und ist zugleich so widersprüchlich, ja: gegensätzlich.

Das Segenskreuz ist Symbol des von Gott und seinem Segen abhängig Seins. Zeichen für die Überlegenheit des Schöpfers über seine Schöpfung. Aber auch: Zeichen für seine Liebe, die er uns in Christus und den Tod des Gottessohnes unwiderruflich geschenkt hat.

Ein Handy ist Zeichen der neuen Selbständigkeit des Menschen, seiner dauernden Erreichbarkeit, seiner Macht (aber manchmal auch Ohnmacht) über die Zeit und oft auch über Menschen.

Aber in genau dieser Spannung leben wir im Orient: Zwischen Tradition und Moderne, zwischen Fundamentalismus und Aufklärung, zwischen vermeintlichem »Gestern« und dem gerne beschworenen »Heute«, zwischen »konservativ« und »progressiv« …

Spannungen machen das Leben »spannend«. Wie die Musik, so lebt auch das Leben nur durch Höhen und Tiefen, und oft in ständigem Wechsel des Rhythmus. In diese Spannung, die im Orient nochmals an Bedeutung gewinnt, möchte ich den geneigten Leser führen. Denn dann können auch sie Begegnung spüren – und sich weiter führen lassen zum wirklichen Leben.

ÄGYPTEN – TRAUM ODER ALBTRAUM?

Das Exultet

Bei einer meiner ersten Ägyptenreisen, lange bevor ich meinen Dienst für die Deutschsprachige Katholische Gemeinde beginnen durfte, führte mich der Weg auch in die Kapelle der Deutschen Schule der Borromäerinnen1. Ich durfte eine Gruppe des ökumenischen Reiseveranstalters »Biblische Reisen Stuttgart« bei einer Osterreise als Reiseleiter begleiten.

Viele Jahre später las ich in der handschriftlichen »Chronik der Deutschsprachigen Katholischen Gemeinde«, die der damalige Pfarrer, der Franziskanerpater Berthold Türffs, von 1981 bis Weihnachten 1986 geführt hatte:

»10.4., Karsamstag. 20 Uhr Osternachtfeier mit Diakon

Schroedel und der Reisegruppe vom Vortag. Diakon Schroedel sang das Exultet«.

Das war in der Karwoche 1982, also vor 34 Jahren. Meinen ersten wichtigen »österlichen Dienst« als Kleriker durfte ich also dort feiern, wo ich ab Ostern 1995 meinen priesterlichen Dienst für die Gemeinde ausüben durfte!

Das »Exultet« ist der Jahrhunderte alte Lobgesang auf die Osterkerze, die in die dunkle Kirche getragen wird. Die Kerze wird dabei auch verglichen mit der »leuchtenden Säule«, die dem Volk Israel bei ihrem Exodus voranging und ihm den Weg wies. In diesem Teil der Liturgie steht also das Land Ägypten unter einem besonderen Blickwinkel. Es wird gesehen als das Land der Sklaverei, der Unterdrückung durch den Pharao.

In diesem Exultet nahm ich eine kleine Änderung vor, die ich seitdem in jeder Osternacht so gesungen habe:

Dies ist die Nacht,

die unsere Väter, die Söhne Israels,

aus DIESEM ÄgyptenLAND befreit

und auf trockenem Pfad durch die Fluten

des Roten Meeres geführt hat.

Man darf sich schließlich vorstellen, und man muss es auch den hier lebenden Deutschen immer wieder vermitteln, dass wir in einem eminent biblischen Lande sind. Es ist eben nicht nur ein »Traumland« für Urlauber, die ihre Ferien beim Tauchen und Schnorcheln am Roten Meer verbringen! Am Roten Meer sein bedeutet auch, dort zu sein, wo eine fast unüberwindliche Grenze zwischen Afrika und Asien war. Eine geschichtsträchtige Region ersten Ranges. Und eben auch eine biblische Region.

Meine Erinnerungen an diese allererste Zeit in Ägypten sind verständlicherweise lückenhaft, aber zwei Begebenheiten sind mir noch in lebhafter Erinnerung.

Das Ägypten der Romantiker und der Historiker

Obwohl Ägypten damals nur etwa 60 Millionen Einwohner hatte (heute sind es über 90 Millionen!) erlebte ich die Stadt Kairo als völlig ungeordnet und chaotisch. Bereits während meines Studiums durfte ich Gruppen ins »Heilige Land« (Israel und Palästina) führen, da ich die begehrte »Green Card« hatte und damit die Erlaubnis, als Gruppenleiter auch Führer an den Heiligen Stätten zu sein. Ich bin heute noch dem ökumenischen Studienkreis »Biblische Reisen« dankbar, dass ich, unmittelbar nach meinem Freisemester in Jerusalem, diese Möglichkeit hatte.

Aber auch mit den umliegenden Ländern wollte ich mich vertraut machen und kam bereits als Student, also vor 1979, nach Jordanien, Syrien und eben auch Ägypten. Auch in diesen Ländern führte ich Studien- und Pilgergruppen. Und ich gebe auch heute noch gerne solchen Gruppen meine Erfahrungen weiter.

Reisen nach Ägypten beginnen immer in Kairo. Und schon vor 30 Jahren war für die meisten Touristen Kairo ein Albtraum! Verstopfte Straßen, PKWs, Kleinbusse, Eselskarren, Fußgänger; alles schien planlos durcheinander zu laufen, das oft ohrenbetäubende Hupen und das Schreien der Karrenfahrer, der Geruch nach Abgasen und Müll, die scheinbare Hilflosigkeit vieler Menschen, die diese Stadt durchziehen – all dies war und ist heute wohl erst recht für einen »normalen« Mitteleuropäer abschreckend und eher hoffnungslos verwirrend. »Warum bin ich nur hier her gekommen?« – diese Frage, von einer pensionierten Lehrerin aus Baden-Württemberg gestellt, wird mir nie aus dem Sinn gehen. Sie hatte sich das Kairo der 30er Jahre vorgestellt, Kutschen und wenige Fußgänger, kulturelle Ereignisse, Museen und eben: die Pyramiden! Als ich einmal mit einer Gruppe von Kairo aus über den Nil nach Gizeh fuhr, immer und immer nur durch verkehrsreiche Straßen, fragte mich ein anderer Reiseteilnehmer, warum denn hier überhaupt Menschen lebten; eigentlich sei doch die Hauptstadt des pharaonischen Reiches gar nicht an dieser Stelle gewesen. Ich wollte gerade mit meiner Antwort anheben, doch nach etwa 6 Kilometern tauchten die Pyramiden zwischen den modernen Häusern auf! Und es war kaum verstellbar: Plötzlich hörte man nur noch staunendes Rufen, und alle Kritik und Angst vor Verkehr, Lärm und Umweltzerstörung war beendet.

Die Pyramiden! Wohl auch heute noch der Traum vieler Menschen, das letzte der antiken Weltwunder einmal im Leben zu sehen! Wenn ich einmal einen Anflug von Hochmut habe sage ich gerne: »Ich sehe jeden Tag die Pyramiden im Rückspiegel!« – und das stimmt, denn seit etwa 10 Jahren lebe ich am Rande der Wüste, auf der Westseite des Nil. Wenn ich also in die Stadt fahren will, fahre ich Richtung Osten – und sehe die Pyramiden im Rückspiegel.

Zwei Reiseteilnehmer aus den 70ern. Die Eine ist erschlagen von der lauten und schrecklichen Stadt Kairo, die sie sich so vorgestellt hatte, wie eine etwas modernisierte Version einer romantisch-verklärten Orientalisten-Expedition, der Andere, der sich wohl eher als Ägyptologe verstand und Entwicklungen der letzten Jahrtausende gerne übersehen möchte.

 

Nein, Ägypten ist kein Museum, weder für Hobby-Ägyptologen noch für Orient-Romantiker. Ägypten ist ein lebendiger Körper mit Problemen, die man als Europäer nur ansatzweise erahnen kann.

Wie hatte ich damals die Problematik meiner Reiseteilnehmer aufgefangen?

Als junger Mensch und dem Hang zur Harmonie versuchte ich etwa Folgendes zu sagen:

»Ja, Kairo ist wirklich ein Moloch, aber wir müssen das halt aushalten. Wir besuchen die Pyramiden und werfen einen Blick auf das Kairo des siebten und zehnten Jahrhunderts (Christentum in Ägypten, »koptisches Kairo« und »das fatimidische Kairo«), und natürlich werden wir das weltberühmte Nationalmuseum besichtigen – aber dann brechen wir nach »Oberägypten« auf (damals sogar mit dem Bus, jetzt fast nur noch mit dem Flugzeug)! Und dort sehen wir dann das wirkliche Ägypten, wie Sie es sich vorstellen!«

Im Rückblick: Eine sehr falsche Antwort, die falsch verstandenem Romantizismus und vermeintlicher »Ägyptologie der reinen Form« zwar zu entsprechen versucht, aber scharf an der Lösung der Problematik vorbei geht.

Kairo konnte und kann man nicht als isolierten Körper betrachten, an dem man schnell vorbei zu gehen soll, um das vermeintlich »wahre Ägypten« zu erleben. An einer Stadt, die die Fläche von Frankfurt am Main hat, aber mit den beiden (von zusammen 27) Provinzen Kairo und Gizeh alleine zwischen 17 und 20 Millionen Einwohner hat (also mehr als 1/5 der gesamten Einwohner Ägypten stellt!) kann man nicht einfach einmal »vorbei gehen«. Auch wenn es wohl statistisch nicht ganz stimmt; ich sage als Richtzahl: 1/3 der Bevölkerung Ägyptens lebt im Nildelta, ein weiteres Drittel in den Ballungszentren Kairo und Alexandria und das letzte Drittel lebt entlang des Nil, von Kairo bis Assuan. Kairo ist nicht nur die Stadt der Pyramiden und des Nationalmuseums; Kairo ist Ägypten! Und so sagen auch viele Bewohner Ägyptens, wenn sie etwa von Oberägypten in die Hauptstadt fahren: Wir fahren »Masr« – Ägypten!

Als ich vor über 30 Jahren diese jugendlich-unbedarfte Äußerung machte, man müsse jetzt halt erst einmal Kairo »überstehen«, aber nach drei Tagen würde man aufbrechen, um das «wirkliche Ägypten« zu sehen, war mit Bestimmtheit falsch.

Kairo scheint mir heute das »Ägypten in nuce« zu sein; wer Kairo analysiert, sei es als Politikwissenschaftler oder Geograph, kann zumindest die wichtigsten Indikatoren der Gesamtentwicklung Ägyptens beschreiben. So wahr es wohl ist, dass »auf dem Lande« das Bildungsniveau niedriger ist als »in der Stadt«, so richtig ist es auch, dass die Stadt (ich spreche immer noch von Kairo und keiner »westlichen« Stadt), die Gesamtbevölkerung »abbildet«. Es gibt Stadtviertel in Kairo, die ländlicher nicht sein könnten. Etwa 60% des Stadtgebietes ist »informal« (englisch für: ungeplant, ja: illegal). Zu Beginn des Monats Dezember 2015 berichtete das Amt für Statistik (CAPMAS), die Bevölkerung Ägyptens habe um 1,5 Millionen Menschen zugenommen. Und selbst ohne jede Behörde kann man, mit offenen Augen und bloßem Menschenverstand sehen; jetzt, 20 Jahre nach meiner Ankunft in Ägypten und knapp 35 Jahre nach meinen ersten Erfahrungen mit diesem Land, scheint es wirklich nicht mehr möglich, Strukturen zu schaffen, die dem Menschen dienen.

Verlassen wir die Erfahrungen mit meinen »ersten Schritten« in Ägypten und wenden uns dem Zeitpunkt zu, an dem ich beruflich zum ersten Mal in Kairo eintraf.

Die erste Nacht in Kairo

Am 14. August 1995 kam ich nach Mitternacht in Kairo an. »Umzugsgut« gab es nicht, denn ich durfte die Wohnung beziehen, die auch schon meine Vorgänger hatten. Bestimmt nichts Besonderes, möbliert im Stil der 50er Jahre, im siebten und letzten Stock eines Hauses in der Mohammed-Mahmoud-Straße. Erst 17 Jahre später erlangte diese Straße, die sich vom Tahrir-Platz zum Abdinpalast erstreckt, traurige Berühmtheit.

Das Beste an der Wohnung: Sie lag genau gegenüber der »Deutschen Schule der Borromäerinnen«, von den Schülerinnen liebevoll »die Borro« genannt. Die Schwestern des Schulkonvents holten mich mit einer kleinen Delegation ab, und recht schnell fuhren wir die 20 km vom Flughafen zur Schule. Die Straßen waren leer, nur einige streunende Hunde suchten nach Futter oder lieferten sich kleine Gefechte. Mir wurde eines der klösterlichen Gästezimmer zugewiesen und Schwester Martina, die Oberin des Konvents, wünschte mir eine gute Nacht – nicht ohne darauf klar hinzuweisen, dass ich am folgenden Morgen um 6:15h die Heilige Messe zu feiern hätte. Das Fest Maria Himmelfahrt hat in der Kirche einen hohen Rang – und für mich persönlich eine große Bedeutung. War ich ja bei meinem ersten Flug, der mich ins Heilige Land Israel/Palästina führte, ebenfalls an Maria Himmelfahrt unterwegs – freilich bereits 1976 …

Auf meine Frage, in welcher Sprache denn die Messe sei, antwortete sie fast indigniert: »Auf Deutsch natürlich!«.

Dieser Satz ist mir heute noch in lebendiger Erinnerung, denn er stand und steht für die innere und äußere Haltung nicht nur von Schwester Oberin Martina, die eine deutsche Ordensfrau war, sondern auch des ganzen Konventes, der damals etwa acht Schwestern umfasste, wobei nur zwei aus Deutschland kamen. Die anderen waren aus Mittelägypten, hatten aber ihr Noviziat und ihre Ausbildung (Lehrerinnen, Erzieherinnen, Krankenschwestern) im Mutterhaus in Grafschaft im Sauerland absolviert. Bereits in den ersten Wochen lernte ich die Schwestern näher kennen. Und mir wurde deutlich, wie wichtig der Bezug nach Deutschland war. In den Jahren konnte ich dann schließlich feststellen: Dieser Bezug zu allem Deutschen ist nicht nur auf die Gemeinschaft der Borromäerinnen oder vielleicht der Deutschen Schulen zu beschränken! Wenn man sich in Ägypten als Deutscher zu erkennen gibt, gehen die Herzen fast aller Ägypter weit auf!

An Schlaf war allerdings nicht zu denken; im August herrschen in der Regel in Kairo mörderische Temperaturen. Nicht zu vergleichen mit Rom etwa, wo wegen der Hitze des »ferragosto« nur noch Minimalbetrieb herrscht.

Und freilich gab es keine Klima-Anlage, nur einen laut ratternden Ventilator, der mich auch nicht in den Schlaf wiegen konnte. Ich hätte gerne gewusst, wie viel Grad es denn in diesen sehr frühen Morgenstunden in meinem Zimmer sind, doch einen Thermometer hatte ich nicht mitgenommen – oder … Da war doch in meinem Erste-Hilfe-Set, das mir meine Mutter gepackt hatte (sie war Krankenschwester), ein Fieberthermometer! Gesagt, getan; ich holte das Fieberthermometer hervor und nach 5 Minuten konnte ich feststellen: es waren tatsächlich 38,2 Grad Celsius!

»Worauf hast Du Dich hier eingelassen?« – Diese Frage kam mir in den ersten Jahren häufig. Aber in dieser Nacht dachte ich nur, dass ich eben hier durch muss! Nach einer Dusche setzte ich mich an den kleinen Schreibtisch und wollte eine Tagebucheintragung machen: Angekommen! Der Schweiß tropfte jedoch auf das Papier des Heftes und machte selbst eine kleine Eintragung unmöglich! Also: Raus aus dem Zimmer und noch etwas durch die Straßen der schlafenden Stadt gewandert.

Das Viertel, in dem die Schule liegt, heißt im Volksmund »Bab el Louk«. Es könnte »Tor des Lukas« heißen, aber Keiner kann schlüssig einen Beweis antreten. Offiziell heißt der Stadtteil »Abdin«, denn das Zentrum ist der Abdin-Palast, der seit 1873 als Sitz der Regierung und heute noch als offizieller Amtssitz des Präsidenten genutzt wird, etwa bei Akkreditierungen ausländischer Botschafter.

Aber für alle Bewohner Kairos, ja, für alle Ägypter, ist das gesamte Konglomerat an Häusern der frühe »belle Époque« das »wust el-balad«, eigentlich: »Zentrum des Landes«. Ausländer nennen es einfach: »Downtown«.

Wenn man fast 900 Kilometer von Kairo entfernt ist, vielleicht in einem nubischen Dorf südlich von Assuan, und man antwortet auf die Frage, wo man denn in Kairo wohnt mit dem Begriff »wust el-balad«, dann kommt fast immer ein Funkeln in die Augen des Gesprächspartners. »Wundervoll!« wird man dann zu hören bekommen; »wie glücklich Du sein darfst!« Doch wenn man noch erklärt, man sei in »Bab el Louk«, dann setzt schon fast ekstatische Freude ein: »Nein, unmöglich, wie herrlich: Da bist Du ja mitten im Trubel, im Herzen der Stadt! Ich beneide Dich!«