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Teil III Die gewillkürte Erbfolge

 › § 12 Die Anfechtung von Verfügungen von Todes wegen





§ 12 Die Anfechtung von Verfügungen von Todes wegen



Inhaltsverzeichnis




        I.

        Allgemeines





        II.

        Die Anfechtung des Testaments





        III.

        Die Anfechtung des Erbvertrags





        IV.

        Die Anfechtung des gemeinschaftlichen Testaments




384










Fall 25:



Der Erblasser E ist plötzlich ein Pflegefall. Seine Ehefrau F droht, dass sie ihn nicht pflegen werde, wenn er sie nicht zur Alleinerbin einsetzt. E setzt daraufhin ein entsprechendes Testament auf. Er hinterlässt neben F zwei Kinder aus einer früheren Ehe. Wie ist die Rechtslage?

Lösung: →

Rn. 449





Fall 26:



E setzt seine Frau F kurz nach der Heirat 1993 in einem privatschriftlichen Testament als Alleinerbin ein. 1995 wird das gemeinsame Kind K geboren. Kurz darauf kommt E bei einem Autounfall ums Leben. Wie ist die Rechtslage?

Lösung: →

Rn. 450





Literatur:



Bengel

, Zum Verzicht des Erblassers auf Anfechtungen bei Verfügungen von Todes wegen, DNotZ 1984, 132;

ders

., Beziehungstestamente, ErbR 2009, 236;

Gottwald

, Fristen im Erbrecht: Anfechtungsfristen, ZEV 2006, 489;

Heyers

, Willensäußerung und Willensentäußerung als Formsubstrate – am Beispiel der Anfechtung von Erbverträgen durch Erblasser, JURA 2014, 11;

Leipold

, Der vergessliche Erblasser und die Anfechtung, ZEV 1995, 99;

Mankowski

, Selbstanfechtungsrecht des Erblassers beim Erbvertrag und Schadensersatzpflicht nach § 122 BGB, ZEV 1998, 46;

Reinicke

, Die Wirkungen der Testamentsanfechtung durch den übergangenen Pflichtteilsberechtigten, NJW 1971, 1961;

Röthel,

 Die Anfechtung im Erbrecht, JURA 2017, 1183;

Schindler

, Zur Abfindung für einen Erbteilsverzicht, ZEV 2009, 80;

dies.

, Maßgebliche Frist für die Anfechtung von Ausschlagungserklärungen, JURA 2015, 106;

Schubert/Czub

, Die Anfechtung letztwilliger Verfügungen, JA 1980, 257 und 334;

Schreiber

, Die Anfechtung einer Verfügung von Todes wegen, JURA 2009, 507;

Tiedtke

, Die Auswirkungen der Anfechtung des Testaments durch den übergangenen Pflichtteilsberechtigten, JZ 1988, 649;

Veit

, Die Anfechtung von Erbverträgen durch den Erblasser, NJW 1993, 1553.



Teil III Die gewillkürte Erbfolge

 ›

§ 12 Die Anfechtung von Verfügungen von Todes wegen

 › I. Allgemeines





I. Allgemeines






1. Zweck der Anfechtung



385





Die Anfechtung nach dem Allgemeinen Teil des BGB hat den Zweck, die Willensfreiheit des Erklärenden zu schützen. Die

Anfechtung des

 (nicht gemeinschaftlichen)

Testaments

 erfolgt dagegen nicht durch den Erblasser selbst; denn dieser kann sein Testament jederzeit frei widerrufen (

§ 2253

) bzw. neu testieren (

§ 2258

), da er keiner Bindung unterliegt. Die Anfechtung kann daher nur durch Dritte nach Eintritt des Erbfalls erfolgen. Zweck der Anfechtung nach dem Erbfall ist beim Einzeltestament daher nicht der Schutz der individuellen Willensfreiheit, sondern der

Schutz der Interessen der Anfechtungsberechtigten

, die fehlerhafte Willenserklärung des Erblassers nicht gegen sich gelten lassen zu müssen.





Mittelbar wird dadurch auch die Willensfreiheit des Erblassers geschützt: Denn schon die Existenz des Rechtsinstituts der Anfechtung führt dazu, dass arglistige Täuschungen, Drohungen und sonstige Beeinflussungen, die beim Erblasser einen Motivirrtum erzeugen sollen, wenig aussichtsreich erscheinen.



386





Der Zweck der

Anfechtung eines Erbvertrages (

§ 2281 Abs. 1

) oder gemeinschaftlichen Testaments durch den Erblasser

 stimmt hingegen mit dem Zweck der Anfechtung nach dem Allgemeinen Teil des BGB überein: Durch die Wirkung der Anfechtung entfällt (mit Einschränkungen) die Bindungswirkung der vertragsmäßigen bzw. wechselbezüglichen Verfügungen und der Erblasser wird in die Lage versetzt, neu testieren zu können; daher dient die Anfechtung in diesem Fall dem

Schutz der Willensfreiheit des Erblassers

. Dritte (

§ 2080

), die nach dem Erbfall einen Erbvertrag oder ein gemeinschaftliches Testament anfechten, können dies gem.

§ 2285

 (analog) nur, wenn das Anfechtungsrecht des Erblassers zur Zeit des Erbfalls noch nicht erloschen war (→

Rn. 430

,

448

). Ihr Anfechtungsrecht ist also letztlich abhängig vom Anfechtungsrecht des Erblassers: wenn er die Anfechtungsfrist hat verstreichen lassen, müssen sie die fehlerhafte Willenserklärung gegen sich gelten lassen. Darin manifestiert sich nochmals der Zweck der Anfechtung, die Willensfreiheit des Erblassers zu schützen.





2. Verhältnis zum Allgemeinen Teil des BGB und zur Auslegung






a) Verhältnis zum Allgemeinen Teil des BGB



387





Die

Anfechtungsregeln des Erbrechts

 haben als

leges speciales

 Vorrang vor den Vorschriften des Allgemeinen Teils. Sie enthalten jedoch

keine vollständige Sonderregelung

, sodass jeweils im Einzelfall zu prüfen ist, inwieweit die allgemeinen Normen ergänzend anwendbar sind. Die Regelung der Anfechtungsgründe in den

§§ 2078

,

2079

 ist abschließend; ein Rückgriff auf die

§§ 119

,

120

,

123

 ist daher unzulässig (→

Rn. 391 ff

.). Die Anfechtungsberechtigung ergibt sich ebenfalls ausschließlich aus den erbrechtlichen Vorschriften – für Testamente aus

§ 2080

, für Erbverträge aus den

§§ 2281

,

2285

,

2080

 (→

Rn. 410 ff

.,

429 f

.;

446 ff

.). Schließlich gelten auch für die Anfechtungsfrist allein die erbrechtlichen Regelungen der

§ 2082

 bzw.

2283

 (→

Rn. 418 f

.,

437 f

.). Die Anfechtungserklärung ist hingegen nur für die wichtigsten Fälle in den

§§ 2081

,

2281 Abs. 2

,

2282

 geregelt; daneben ist

§ 143

 anwendbar (→

Rn. 416 f

.,

433 f

.). Die Wirkung der Anfechtung ergibt sich – mangels erbrechtlicher Spezialregelung – aus

§ 142 Abs. 1

 (→

Rn. 423 ff

.,

441 f

.).






b) Verhältnis zur Auslegung



388





Eine Anfechtung kommt nur in Betracht, wenn Wille (bzw. Motive) und Erklärung auseinanderfallen. Die Bedeutung der Erklärung steht jedoch erst nach der Auslegung fest. Die

Auslegung

 (auch die ergänzende) hat daher

Vorrang

 gegenüber der Anfechtung (→

Rn. 326

).



Teil III Die gewillkürte Erbfolge

 ›

§ 12 Die Anfechtung von Verfügungen von Todes wegen

 › II. Die Anfechtung des Testaments





II. Die Anfechtung des Testaments






1. Anfechtungsgegenstand



389





Gegenstand der Anfechtung ist nicht etwa das gesamte Testament, sondern nur eine, mehrere (bzw. ggf. auch sämtliche) darin enthaltene(n)

letztwillige Verfügung(en)

 bezüglich derer ein Anfechtungsgrund besteht.






2. Voraussetzungen der Anfechtung



390

 












Voraussetzungen der erbrechtlichen Anfechtung



            1.


            Anfechtungsgrund

            a)


            Inhaltsirrtum,

§ 2078 Abs. 1

 Alt. 1

            b)


            Erklärungsirrtum,

§ 2078 Abs. 1

 Alt. 2

            c)


            Motivirrtum,

§ 2078

 Abs. 2 Alt. 1

            d)


            Widerrechtliche Drohung,

§ 2078

 Abs. 2 Alt. 2

            e)


            Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten,

§ 2079


            2.


            Anfechtungsberechtigung,

§ 2080


            3.


            Anfechtungserklärung,

§§ 143

,

2081


            4.


            Anfechtungsfrist,

§ 2082


            5.


            Keine Bestätigung,

§ 144












a) Anfechtungsgründe

aa) Überblick



391





Die Gründe für die Anfechtung von Testamenten umfassen zum einen die schon aus dem Allgemeinen Teil des BGB bekannten Gründe des

Erklärungs- und Inhaltsirrtums

 (

§ 2078

 Abs. 1, →

Rn. 392 ff

.) sowie der widerrechtlichen

Drohung

 (§ 2078 Abs. 2 Alt. 2, →

Rn. 403

). Die Irrtumsarten des § 2078 Abs. 1 stimmen wörtlich mit den in

§ 119 Abs. 1

 geregelten Fällen überein. Die Formulierung zur Erheblichkeit des Irrtums weicht jedoch von

§ 119 Abs. 1

 ab (→

Rn. 409

).



Mit den in § 2078 Abs. 2 Alt. 1 und

§ 2079

 als Anfechtungsgründe erfassten

Motivirrtümern

 (→

Rn. 394 ff

.) geht die erbrechtliche Anfechtung jedoch erheblich über den Anwendungsbereich von

§ 119 Abs. 2

 und § 123 Abs. 1 Alt. 1 hinaus.








Ein weiterer besonderer Irrtum ist in

§ 2077

 (→

Rn. 373

) geregelt: Er betrifft den Irrtum über den Bestand der Ehe bzw. des Verlöbnisses. Der Gesetzgeber ging hier pauschal davon aus, dass die Verfügungen, durch die der andere bedacht wird, nicht für den Fall der Auflösung der Ehe bzw. des Verlöbnisses gelten sollen. Rechtsfolge ist hier – und das ist die Besonderheit, wodurch sich

§ 2077

 von den Anfechtungsgründen absetzt – dass die Verfügungen zugunsten der Ehegatten oder Verlobten nicht anfechtbar werden, sondern einfach nichtig sind (→

Rn. 373

).






bb) Inhaltsirrtum, § 2078 Abs. 1 Alt. 1



392





Ein

Inhaltsirrtum

 liegt vor, wenn sich der Erklärende über die Bedeutung (Inhalt) der Willenserklärung irrt. Der Erklärende benutzt ein Erklärungszeichen, das er auch benutzen will, irrt sich aber über Sinn und Bedeutung dieses Zeichens. Verbindet der Erblasser mit einem von ihm im Testament gebrauchten Begriff eine falsche Bedeutung, kommt die Anfechtung aber nur in Betracht, wenn sich durch Auslegung nicht ermitteln lässt, was er mit dem Begriff gemeint hat. Ein Irrtum des Erblassers hinsichtlich der Rechtsfolgen seiner Erklärung ist jedoch nur dann ein beachtlicher Inhaltsirrtum, wenn sich der Irrtum auf die wesentlichen Rechtsfolgen bezieht.





Beispiele:



Rücknahme eines notariellen Testaments aus der amtlichen Verwahrung in Unkenntnis davon, dass hierin ein Widerruf liegt; Errichtung eines Erbvertrages in der Annahme, nur frei widerrufliche Erklärungen abzugeben; Irrtum, dass es sich bei einem „Ersatzerben“ um einen Nacherben handele.






cc) Erklärungsirrtum, § 2078 Abs. 1 Alt. 2



393





Ein

Erklärungsirrtum (Irrtum im Erklärungsakt)

 liegt vor, wenn der Erklärende ein Erklärungszeichen benutzt, das er gar nicht benutzen will. Hauptfälle sind Verschreiben und Versprechen, wobei Letzteres nur im Rahmen der Testamentserrichtung nach § 2232 S. 1 Alt. 1 oder nach den

§§ 2250 f

. vorkommen kann. Ein Erklärungsirrtum liegt auch vor, wenn der Erblasser falsche Vorstellungen vom Wortlaut der dem Notar übergebenen Schrift (§ 2232 S. 1 Alt. 2) oder des nur mitunterzeichneten (

§ 2267 S. 1

) gemeinschaftlichen Testaments hat. Einen Erklärungsirrtum nach dem Erbfall zu beweisen, ist allerdings naturgemäß schwierig.





Beispiele:



Der Erblasser verspricht sich bei der mündlichen Erklärung vor dem Notar; er vergreift sich bei der Übergabe seiner Schrift an den Notar; er verschreibt sich bei der Errichtung seines eigenhändigen Testaments.






dd) Motivirrtum, § 2078 Abs. 2 Alt. 1



394





Anders als nach den Regelungen des Allgemeinen Teils des BGB, der den Motivirrtum nur im Ausnahmefall des

§ 119 Abs. 2

 sowie bei arglistiger Täuschung in § 123 Abs. 1 Alt. 1 anerkennt, ist

nach § 2078 Abs. 2 Alt. 1 jeder Motivirrtum (Irrtum im Beweggrund)

 beachtlich. Deshalb existiert im Erbrecht auch gerade keine spezielle Regelung für die arglistige Täuschung, da auch sie zu einem Motivirrtum führt. Die erweiterte Anfechtungsmöglichkeit eines Testaments resultiert aus der besonderen Interessenlage der Beteiligten: Dem Anfechtungsrecht steht kein schutzwürdiges Vertrauen anderer Personen entgegen, da diese ohnehin jederzeit mit einem Widerruf rechnen mussten.





(1) Objektiver Tatbestand



395





Auf welche

Art von Umständen

 sich der Irrtum bezieht, ist irrelevant: Er kann sich z.B. auf den Erblasser, andere Personen, Gegenstände oder auch auf rechtliche, wirtschaftliche oder politische Verhältnisse beziehen. Es muss sich jedoch stets um einen außerhalb der Verfügung liegenden Umstand handeln.



396





Der Irrtum kann sich auf

vergangene, gegenwärtige oder zukünftige Umstände

 beziehen. Die Berücksichtigung auch künftiger Umstände ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 2078 Abs. 2 Alt. 1 („Erwartung“) und wird durch die Entstehungsgeschichte bestätigt.



397





Umstritten ist, ob auch Umstände, die erst

nach dem Zeitpunkt des Erbfalls

 eingetreten sind, einen relevanten Motivirrtum begründen können. In der Literatur und von einigen Gerichten wird teilweise die Position vertreten, dass dies aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes prinzipiell abzulehnen sei; eine Ausnahme komme nur bei gänzlich unvorhersehbaren und daher in keiner Weise einzukalkulierenden Veränderungen, die der Verfügung nach der Willensrichtung des Erblassers jegliche Rechtfertigung nehmen, in Betracht. Der BGH hat die Frage in einer Entscheidung aus dem Jahr 1987 offengelassen. Letztlich sprechen jedoch die überzeugenderen Argumente dafür, dass auch erst nach dem Zeitpunkt des Erbfalls eingetretene Umstände einen Motivirrtum begründen können. § 2078 Abs. 2 Alt. 1 lässt sich insofern keine zeitliche Grenze entnehmen. Den legitimen Bedürfnissen nach Rechtssicherheit und Vertrauensschutz kann durch eine genaue Prüfung der Erheblichkeit des Irrtums (Kausalität, →

Rn. 409

) hinreichend Rechnung getragen werden. Wenn der Erblasser aber tatsächlich einem erheblichen und kausalen Irrtum über einen erst nach dem Erbfall eingetretenen Umstand unterlag, wäre es nicht gerechtfertigt, die Anfechtung nur deshalb zu versagen, weil dieser Umstand erst nach dem Erbfall eintrat; auch nach dem Erbfall gibt es kein schutzwürdiges Vertrauen auf eine nicht irrtumsfrei zustande gekommene Verfügung.



398





Die Umstände, deren Eintritt oder Nichteintritt der Erblasser erwartet hatte, müssen grundsätzlich nicht von seinem Willen unabhängig sein; § 2078 Abs. 2 Alt. 1 greift vielmehr grundsätzlich auch dann, wenn er sie

willentlich herbeigeführt

 hat. Der Anfechtungsgrund darf vom Erblasser jedoch

nicht treuwidrig

 herbeigeführt worden sein. Hiergegen kann nicht eingewandt werden, dass die Anfechtung jedenfalls eines Testaments auch bei einem Verstoß des Erblassers gegen Treu und Glauben möglich sein muss, weil er das Testament auch jederzeit hätte widerrufen können. Denn es stellt einen Unterschied dar, ob der Erblasser selbst widerruft oder die Verfügung nach seinem Tod durch Dritte beseitigt wird.






(2) Subjektiver Tatbestand



399





Subjektiv

 liegt ein Motivirrtum jedenfalls dann vor, wenn der Erblasser durch

eine irrige positive Vorstellung

 eines Umstandes zur Verfügung bestimmt worden ist.



400





Fraglich ist jedoch, wie die Fälle zu behandeln sind, in denen sich der Erblasser keine Gedanken über einen für die Anfechtung erheblichen Umstand gemacht hat. Der Wortlaut und die Entstehungsgeschichte sprechen gegen eine Berücksichtigung sog.

unbewusster Vorstellungen

. Die

h.L.

 plädiert jedoch gleichwohl für eine

Gleichsetzung von Nichtwissen und Irrtum

. Es dürfe keinen Unterschied machen, ob der Erblasser durch seine Formulierung zu erkennen gegeben hat, dass er die Vorstellung von künftigen stabilen Verhältnissen hatte oder ob ihm die Vorstellung künftiger Änderungen fehlte. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Anfechtung – vor allem beim Erbvertrag – auch die Fälle erfassen müsse, die für schuldrechtliche Verträge durch das Rechtsinstitut der Störung der Geschäftsgrundlage gelöst würden. Im Übrigen erfolge eine hinreichende Einschränkung der Anfechtung auf der Stufe der Kausalitätsprüfung (→

Rn. 409

). Die

Rechtsprechung

 schwankte zunächst. Heute nimmt sie eine vermittelnde Position ein: Sie vermeidet den widersprüchlichen Begriff der „unbewussten Vorstellung“ und lässt nunmehr

selbstverständliche Vorstellungen

 genügen; dies sind Vorstellungen von Umständen, die der Erblasser zwar nicht konkret in seinem Bewusstsein hatte, die er aber jederzeit hätte abrufen und in sein Bewusstsein holen können. Die Ergebnisse der beiden Auffassungen dürften selten differieren. Vorzugswürdig ist dennoch die Auffassung der Rechtsprechung, da sie mit dem Wortlaut des Gesetzes in Einklang zu bringen ist; die h.L. wendet hingegen der Sache nach § 2078 Abs. 2 Alt. 1 analog an, obwohl die Voraussetzungen für eine Analogie aufgrund der Entstehungsgeschichte gerade nicht vorliegen.



401








Anders als bei der Auslegung bedarf es bei der Anfechtung für die Berücksichtigung der Vorstellungen des Erblassers

keiner Andeutung

 im Testament. Eine dahingehende Vorschrift des ersten Entwurfs des BGB wurde von der zweiten Kommission verworfen. Eine entsprechende Andeutung im Testament erleichtert jedoch den Beweis für das Vorliegen eines Motivirrtums, so dass die Nichterwähnung einer bestimmten Erwartung ein Indiz dafür ist, dass diese Vorstellung bei der Motivation des Erklärenden keine entscheidende Rolle gespielt hat.

 





(3) Beispiele



402





Relevante Irrtümer:



Enttäuschte Erwartung künftigen Wohlverhaltens des Bedachten gegenüber dem Erblasser; irrige Erwartung, der Erbe werde ein bürgerliches Leben führen, dieser tritt tatsächlich jedoch einer Sekte bei und wendet dieser Teile des Nachlasses zu; Irrtum über die Dauerhaftigkeit des Streits zwischen dem Erblasser und seinem Sohn; irrige Annahme, nicht mehr verheiratet zu sein; Irrtum über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Bedachten.






ee) Widerrechtliche Drohung, § 2078 Abs. 2 Alt. 2



403





Die Voraussetzungen der Widerrechtlichkeit der Drohung entsprechen denen des § 123 Abs. 1 Alt. 2 (vgl. ferner auch

§ 2339 Abs. 1 Nr. 3

, →

Rn. 501

). Die Drohung ist daher auch im Rahmen des § 2078 Abs. 2 Alt. 2 widerrechtlich, wenn entweder das Mittel (das angedrohte Übel), der Zweck (der angestrebte Erfolg) oder die Mittel-Zweck-Relation rechtswidrig ist. Ob die Drohung vom Bedachten selbst oder von einem unbeteiligten Dritten ausgeht, ist irrelevant.





Beispiele:



Eine

Drohung

 i.S.d. § 2078 Abs. 2 Alt. 2 liegt etwa vor, wenn die Haushälterin ihr Kündigungsrecht dazu benutzt, den schwerkranken Erblasser zu veranlassen, sie letztwillig zu bedenken oder wenn der Ehegatte des Erblassers ankündigt, sich das Leben zu nehmen, wenn der Erblasser das gemeinschaftliche Testament nicht unterschreibt.

Keine

 relevante

Drohung

 liegt hingegen vor, wenn dem Erblasser vorgehalten wird, dass er sonst „nicht in den Himmel“ komme; denn hier fehlt es an der Beherrschung des angekündigten Übels. Ebenso wenig stellen fortgesetztes aufdringliches Bitten oder reines Widersprechen eine Drohung dar.






ff) Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten, § 2079



404





Gem.

§ 2079 S. 1

 kann eine letztwillige Verfügung angefochten werden, wenn der Erblasser einen zur Zeit des Erbfalls vorhandenen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat, dessen Vorhandensein ihm bei der Errichtung der Verfügung nicht bekannt war oder der erst nach der Errichtung geboren oder pflichtteilsberechtigt geworden ist. Bei diesem Tatbestand handelt sich um einen gesetzlich geregelten

Sonderfall des Motivirrtums

. Im Unterschied zu § 2078 Abs. 2 Alt. 1 muss die Erheblichkeit (Kausalität) des Irrtums bzw. der fehlenden Vorstellung nicht konkret festgestellt werden;

§ 2079

 basiert vielmehr auf der Erwägung, dass es der Verfügung schon allein wegen der Unkenntnis des Pflichtteilsrechts und der Übergehung des Pflichtteilsberechtigten an einer tragfähigen Motivation fehlt.



405





Voraussetzung ist zunächst, dass

zum Zeitpunkt des Erbfalls

 ein

Pflichtteilsberechtigter

 vorhanden war. Pflichtteilsberechtigt können nur Abkömmlinge (gem.

§ 1923 Abs. 2

 auch ein

nasciturus

), Ehegatten, eingetragene Lebenspartner oder Eltern sein (vgl.

§ 2303

,

§ 10 Abs. 6 LPartG

, →

Rn. 623

).



406








Unstreitig

übergangen

 ist ein Pflichtteilsberechtigter, wenn er

weder

 (sei es auch mit einer noch so kleinen Zuwendung)

bedacht noch bewusst von der Erbfolge ausgeschlossen

 wurde. Wer enterbt ist, ist somit nicht übergangen. Umstritten ist jedoch, ob „übergangen“ auch Personen sind, denen der Erblasser in Unkenntnis ihrer (späteren) Pflichtteilsberechtigung eine

hinter ihrem gesetzlichen Erbteil zurückbleibende Zuwendung

 gemacht hat. Die Rechtsprechung lehnt eine Anwendung des

§ 2079

 in diesen Fällen ab. Der Pflichtteilsberechtigte kann zwar immer noch nach § 2078 Abs. 2 Alt. 1 anfechten, muss dann aber die Erheblichkeit der Unkenntnis des Erblassers im Einzelfall beweisen (→

Rn. 409

). In der Literatur wird hingegen mit guten Gründen verbreitet dafür plädiert,

§ 2079

 auch in diesen F