Violent Triumphs - König und Königin

Text
Aus der Reihe: White Monarch Trilogie #3
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Violent Triumphs - König und Königin
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Violent Triumphs –
König und Königin

White Monarch 3

Jessica Hawkins


© 2021 Sieben Verlag, 64823 Groß-Umstadt

© Umschlaggestaltung Andrea Gunschera

Aus dem Englischen von Corinna Bürkner

Originalausgabe © Jessica Hawkins 2019

ISBN-Taschenbuch: 9783864439537

ISBN-eBook-mobi: 9783864439544

ISBN-eBook-epub: 9783864439551

www.sieben-verlag.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Epilog

Die Autorin

Kapitel 1
Natalia

Ich vermute, du würdest es sogar mögen, nachzugeben.

Cristianos Worte klangen entfernt durch meinen Verstand, während sich Dunkelheit ausbreitete. Dem Tod nachzugeben, hatte er nicht gemeint. Auch wenn die Hände, die mir am Hals die Luft abdrückten, das einforderten.

An der Stelle, an der mein Hinterkopf auf dem Fliesenboden aufgeschlagen war, pochte mir der Schädel. In einem Moment hatte ich versucht, Cristiano am Telefon etwas Wichtiges mitzuteilen. Im nächsten wurde ich durchs Schlafzimmer gezerrt und von einem schweren Gewicht rücklings auf den Boden gedrückt. Jetzt sah ich weiße Pünktchen. Sternchen an einem Nachthimmel, der Frieden versprach. Es wäre ganz einfach, auf sie zuzulaufen. Dunkelheit hatte mir schon immer innegewohnt. Unbewusst. Einladend.

Nachzugeben wäre einfach. Mein Körper und mein Training hatten versagt. Ich hatte mich noch nicht einmal gewehrt. Oder vielleicht war das alles gar nicht wirklich. Vielleicht war das alles ein Traum und ich wurde aus dem Schlaf gerissen. Während sich meine Luftröhre unter dem Griff darum schloss, verstummten meine Schreie. Der schrille Hausalarm klang wie ein friedliches Surren. Meine Angst verflog. Ein Meer aus Ruhe umgab mich plötzlich.

Der Himmel.

Mama wartete mit offenen Armen auf mich.

Geh zu ihr. Sei wieder bei ihr. Gib nach.

Ich war nicht am Aufwachen. Ich war dabei, zu sterben. Cristiano war der Letzte, den ich an der Himmelspforte erwartete, aber da stand er. Wartete in seinem Anzug auf mich. Gott sei Dank. Wo immer ich hinging, Cristiano war dort und er würde nicht zulassen, dass mir etwas zustößt. Er und meine Mutter würden das Licht sein, die Klarheit, meine Belohnung, wenn ich dem Tod nachgab.

Ich musste nur nachgeben. Zu ihm gehen …

Cristiano.

„Cristiano ist tot.“ Eine kratzige männliche Stimme nahm von mir genauso Besitz, wie die starken Hände, die meine Kehle zudrückten. „Du hast nichts mehr, wofür du kämpfen kannst. Schlaf.“

Das Wort krallte sich in die Reste meines Bewusstseins.

Tot.

Deswegen wartete Cristiano auf mich an den Toren zur Unendlichkeit. Aber er konnte doch gar nicht sterben. Er war unantastbar.

Was war eine Welt ohne Cristiano de la Rosa? Traurigkeit durchflutete mich. Aber genauso schnell verging sie wieder. Und an ihrer Stelle breitete sich maßlose Wut aus. Jemand hatte Cristiano umgebracht. Der Mensch über mir dachte, dass ich nichts mehr hätte, wofür ich kämpfen müsste. Aber gerade eben hatte er mir einen Grund geliefert.

Niemand. Und zwar niemand würde mit dem Mord an meinem Ehemann davonkommen.

Kämpfe, Natalia. Aufgeben ist keine Option.

Die Realität flackerte.

Hauptschlagader.

Kein Sauerstoff.

Ich zwang mich aus der um sich greifenden Dunkelheit heraus. Krallte an den Fingern um meinen Hals. Ich bog den Rücken durch, bis ich mich selbst kopfüber im Spiegel an der Wand sah. An meinem ersten Abend hier hatten Cristiano und ich davorgestanden. Er hatte seinen Arm von hinten um mich gelegt und verlangt, dass ich nachgab. Das hatte ich nicht. Und mit der Zeit wurde ich immer stärker. Mental, emotional und körperlich. Unter Cristianos Führung.

Ich wollte diese Momente mit ihm wiederhaben. Für ihn würde ich überleben, damit ich ihm in die Augen sehen und ihm sagen konnte, dass ich gekämpft und gewonnen hatte.

Denn das hatte er mir beigebracht. Er zeigte mir Stärke. Ich hörte ein klickendes Geräusch, brachte es fertig, den Kopf zu drehen und zu sehen, wo das herkam, aber mein Blick wurde unscharf. Metall glänzte im Mondlicht.

Ein Messer? Fuck. Ich begann, auszutreten.

„Ruhig“, sagte der Mann. „Es wird nicht wehtun.“

Ich hatte nichts, was ich gegen das Messer tun konnte. Hatte keine eigene Waffe. Ich trug nur meinen dünnen Schlafanzug und viel nackte Haut.

Aber mein Atem … ich bekam wieder Luft.

Verändere deine Denkweise, hatte Cristiano mir gesagt. Du hast die Kontrolle. Du bist in der Lage, einen Angreifer auszuschalten. Du bist in der Lage, um dein Leben zu kämpfen und zu entkommen.

Mehr musste ich nicht tun. Entkommen. Weglaufen. Ich hatte noch nicht das Kampfkunstlevel erreicht, das ich brauchte, um zu gewinnen. Für mich sprach einzig der Wille, zu überleben. Und die Tatsache, dass der Mann eine Hand von meinem Hals genommen hatte, um nach dem Messer zu greifen. Ich musste ihn nur lange genug unschädlich machen, um vor ihm abzuhauen und in den Panikraum zu rennen.

Meine erste Lektion in Sachen Selbstverteidigung auf dem Rasen hatte mir mehr als den Kampf von Mann gegen Mann beigebracht. Und zwar Ablenkungsmanöver. Als Cristiano seinen Unterarm von hinten um meinen Hals geschlungen hatte, fragte ich ihn, ob er schon einmal in Disneyland gewesen war. Die Erinnerung an Cristianos herzhaftes Gelächter machte mich stark.

Die Worte schoben sich durch meinen Hals nach draußen. „Cristiano … ist … nicht … tot.“

Der Angreifer sah mir ins Gesicht und zeigte sich mir somit das erste Mal in der Dunkelheit. Schiefe Nase, stinkender Atem, rattenhafte Augen. „Was?“

„Er ist nicht tot. Ich kann …“, ich ließ meine Stimme schwächer werden, „… dich zu ihm … bring …“

Er beugte sich näher. „Was?“

Ich rammte ihm mit der Stirn gegen den Mund. Blut spritzte von seiner Lippe.

„Du Hure“, fluchte er.

Mit dem Handballen schlug ich ihm gegen die Luftröhre. Etwas aus Plastik fiel auf den Boden. Ich hatte nur die Kraft, ihn zu verwirren, aber mehr brauchte ich nicht. Er lockerte die andere Hand um meinen Hals und ich boxte ihm noch einmal auf die gleiche Stelle. Schreck stand ihm ins Gesicht geschrieben und er schrie kehlig auf. Die Tatsache, dass er noch schreien konnte, zeigte, dass ich seine Luftröhre nicht beschädigt hatte. Ich ballte die Faust und nutzte den extravaganten Diamantring, den Cristiano mir geschenkt hatte. Ich rammte meinen Ehering immer und immer wieder gegen den Hals des Mannes, bis er mich losließ und sich selbst an den Hals griff. Blut spritzte auf mich, als er heftig pfeifend atmete, und mir wurde es selbst ganz eng auf der Brust.

 

Barfuß kickte ich ihm in die Eier, krabbelte weg von ihm und stand auf. Nach zwei Schritten umfasste er mich am Fußknöchel und ich fiel nach vorn. Dabei schlug ich mir den Kopf am Spiegel an. Dieser begann zu wackeln und ich konnte mich gerade noch wegrollen, bevor er herunterfiel.

Ich war außer Atem, aber noch nicht am Boden. Er hatte noch nicht gewonnen. Im Augenwinkel nahm ich Bewegung wahr und beeilte mich, wieder aufzustehen. Ich schnappte mir die größte Spiegelscherbe in meiner Nähe und kam auf die Füße. Im selben Moment griff der Mann von hinten nach mir. Er klemmte mir die Ellbogen an den Körper und griff nach der Scherbe. Ich hielt sie so fest, dass das Blut mir von den Fingern lief, aber er nahm sie an sich und legte sie mir an den Hals.

„Niemand hat gesagt, dass du dich wehren würdest.“ Er atmete heftig, konnte kaum sprechen. Wenn sein Mund nicht an meinem Ohr gelegen hätte, hätte ich ihn bei dem lauten Hausalarm nicht verstanden. „Hat dein Mann dir das beigebracht?“

„Fick dich.“

„Das ist eine nette Überraschung. Sehr erregend. Aber ich werde dir die Kehle aufschlitzen, wenn ich muss.“ Mit seiner Brust gegen meinen Rücken gepresst, hob er mein Kinn mit der Scherbe an und sein Tonfall änderte sich von amüsiert in Unheil verkündend. „Dein Mann hat uns bestohlen. Das hier ist der Preis, den er zahlen muss. Für jede Frau, die Cristiano geklaut hat, werden wir zwei Frauen innerhalb dieser Mauern umbringen.“

Ich war schon einmal in so einer Situation gewesen. Der Gnade und Willkür eines bedrohlichen Mannes ausgeliefert. Und ich hatte genauso viel Angst gehabt. Aber Cristiano hatte mir an dem Tag, an dem er einen Angriff auf mich simulierte, etwas Wertvolles beigebracht. Man sollte mich nicht unterschätzen. Ich hatte in den Badlands überlebt, indem ich mein Bestes gegeben hatte, mich rundum zu schützen. Mental, körperlich und emotional. Cristiano hatte mich, soweit es ohne mir körperlich zu schaden ging, getrieben. Aber jetzt musste ich mich darauf einstellen, dass ich verletzt werden könnte. Ich riss mit meinem gesamten Körpergewicht am Handgelenk des Angreifers. Das Glas schnitt der Länge nach meinen Hals empor, während ich mich so drehte, dass der Arm des Mannes in einem unnatürlichen Winkel stand. Ich riss ihn so weit nach hinten, wie ich nur konnte, und rammte dabei mein Knie auf seine Nase. Er fiel nach hinten durch die Balkontüren hinaus. Blut lief ihm vom Gesicht. Sollte ich davonlaufen oder hierbleiben und kämpfen? Ich musste mich entscheiden.

„Du verdammte Schlampe.“ Mit der Scherbe in der Hand kam er auf mich zu. „Verfluchte Nutte.“

Zu spät. Ich hatte die erste Regel missachtet, die Cristiano mir beigebracht hatte. Zögere niemals.

Ich schlug mir die Hände vors Gesicht und duckte mich. Kurz darauf schallte ein Schuss durch den Raum. Ich nahm die Hände herunter, als der Angreifer zuckte und auf den Balkon stolperte. Er hustete, griff nach mir und Blut blubberte aus seinem Mund hervor.

Ich würde nicht noch mal zögern.

Ich rannte auf ihn zu und stieß ihn, so fest ich konnte. Er wirbelte rückwärts über die Brüstung und fiel die steinige Klippe hinab. Seine gutturalen Schreie verklangen am Berghang, als er mit einem krachenden Geräusch unten auf dem schmalen Strand aufschlug.

Stille.

Sogar der Alarm war nur noch ein Hintergrundrauschen. Ich hatte einen Mann getötet. Hatte nicht darüber nachgedacht. Hatte ihn geschubst und umgebracht.

Ich griff mir an den Hals. Warme und klebrige Flüssigkeit floss auf meine Hand. Ich zog sie weg. Blut. Er hätte mich ohne zu zögern getötet. Ich war es ihm nicht schuldig, aber ich wagte dennoch einen Blick über die Brüstung. Es war gerade hell genug, ihn auszumachen. Arme und Beine lagen da, wie bei einer zerbrochenen Actionfigur. Ein dunkler Schatten auf dem Sand.

„Oh mein Gott.“

„Er ist tot.“ Ich drehte mich um und sah Jaz’ schmale Statur im Türrahmen, die Waffe auf mich gerichtet. Sie sprach über den lauten Ton der Sirene hinweg. „Das ist ein tiefer Sturz.“

Ein Moment verging, in dem wir uns anstarrten. „Danke“, sagte ich.

Sie senkte die Waffe. „Sie haben den Strom gekappt und alle Generatoren lahmgelegt“, sagte sie. „Wir müssen die Treppe zum Panikraum nehmen.“

„Sie?“

„Es sind noch mehr Männer im Haus.“

Ich blickte noch einmal zur Brüstung. Flut. Das Meer leckte an dem zerbrochenen Körper am Ufer. „Er hat gesagt, er sei wegen uns hier. Den Frauen. Als Rache.“

„Alles klar bei dir?“

Ein Windstoß streifte über meinen halb nackten Körper. „Ich sollte …“

„Keine Zeit“, sagte sie und drehte sich um. „Komm.“

Sie rannte durchs Zimmer und ich folgte ihr in den zweiten Stock. „Warte“, rief ich oben an der Treppe und rannte zurück.

„Was tust du?“

„Wir müssen Pilar holen.“ Mit dem Rücken an der Wand bahnte ich mir den Weg durch den dunklen Flur zu ihrem Zimmer, wo ich ihren Namen zischte. Nach einer Sekunde schlüpfte sie unter dem Bett hervor. Ihr Gesicht war tränennass.

„Natalia, oh mein Gott.“

„Komm“, sagte ich und bückte mich, um ihr aufzuhelfen. „Mach schnell, bist du verletzt?“

„Nein.“ Zitternd kam sie auf die Beine. Jaz bewachte die Tür, steckte den Kopf in den Flur, bevor sie uns herauswinkte.

Pilar keuchte auf. „Du bist von oben bis unten voller Blut.“

„Mir geht’s gut.“

„Wer macht so etwas?“, fragte sie. „Was wollen die?“

„Macht schon“, befahl Jaz wispernd.

Ich nahm Pilar an der Hand und ließ uns von Jaz durch das dunkle Haus führen. Ich vertraute darauf, wie gut sie sich hier auskannte. Als wir im Erdgeschoss angekommen waren, schickte sie uns vor. „Lauft, schnell. Ich decke euch den Rücken.“

Wir durchquerten das Hauptwohnzimmer und wurden langsamer, als wir in die Nähe der Küche kamen. Von dort war der schnellste Weg in den Keller zum Panikraum. Jaz hob die Waffe und ging als Erste hinein. Die Augen zu Schlitzen verengt maß sie den Raum ab.

„Alles klar“, sagte sie und nickte zur Tür, die in die Garage führte. „Hier entlang. Kennst du den Weg?“

„Ja. Was ist mit dir?“

„Bin hinter euch.“

Ich schnappte mir Pilar am Arm und rannte los. Meine nackten Füße klatschten laut auf dem Fliesenboden. Wir waren kurz vor der Tür, als Pilar stolperte und mich mit herunterriss. Mein Kopf sauste knapp an einer Tischplatte vorbei, allerdings schlug ich mit dem Wangenknochen direkt auf den Boden. Schmerz durchzog mein gesamtes Gesicht, was aber schnell vergessen war, als Pilar aufschrie. Ich sah mich um und schlug mir die Hand vor den Mund. Wir waren über Rocio gestolpert, eine Frau, die neben Fisker in der Küche gearbeitet hatte. Blut war auf dem Boden und den Schränken verspritzt und sie lag in einer Lache.

„Pst.“ Jaz riss Pilar auf die Beine und als sie nicht still wurde, sorgte Jaz dafür, indem sie ihr eine Ohrfeige gab. Dann fühlte sie Rocios Puls am Hals und sagte: „Sie ist tot.“

Mein Hals wurde eng. „Sie … sie war auch auf dem Weg zum Panikraum.“

„Vielleicht.“ Jaz bekreuzigte sich, nahm die Waffe neben Rocio an sich und blickte zum Kühlschrank hinüber. „Aber sie starb im Kampf.“

Ich folgte ihrem Blick und sah die Leiche eines Mannes. „Ist das einer von denen?“

„Es ist keiner von uns. Andere Kartelle begreifen nicht, dass wir immer kämpfen. Jeder von uns. Wir siegen oder wir sterben bei dem Versuch.“ Jaz gab Pilar die Waffe. „Aber jeder in diesem Haus kämpft.“

„Ich weiß nicht, wie man damit umgeht“, sagte Pilar und hielt die Glock so, als wäre sie eine Zeitbombe.

„Wenn dir irgendwer in die Quere kommt, betätige den Abzug“, sagte Jaz und legte Pilars Hand um die Waffe. „Du musst Natalia den Rücken decken. Sie sind höchstwahrscheinlich hinter ihr her. Und sie wird euch zusammen in den Panikraum bringen.“

„Was ist mit dir?“, fragte ich.

Jaz blickte zu Rocio. „Ich hab doch gesagt“, sie schluckte, „ich kämpfe.“

„Nein, Jaz.“ Ich zog an ihrem Arm, damit sie mich ansah. „Du verstehst nicht. Sie sind wegen uns allen hier. Sie suchen alle Frauen und sie werden dich umbringen.“

„Ich habe einen Job zu erledigen. Genau wie Rocio.“

Ich wusste immer noch nicht, wie Jaz in den Badlands gelandet war, aber ich konnte mir einiges zusammenreimen. An meinem ersten Morgen hier, hatte sie mir gesagt, dass sie Sex benutzt hatte, um zu überleben. Cristiano hatte mir erzählt, dass sie nicht viel Gutes erlebt hatte. Wenn man bedachte, dass die Badlands teilweise ein sicherer Hafen und eine Art Rehabilitationszentrum für Opfer aus dem Prostitutionsbereich, Sklavenhandel und einigem mehr waren, dann zählte Jaz sicherlich zu einer dieser Kategorien.

„Vielleicht bringen sie dich nicht um“, sagte ich. „Was ist, wenn sie dich stattdessen mitnehmen?“

Sie erstarrte, hatte offensichtlich Angst. „Ich … ich kann mich nicht da unten verstecken …, während die anderen uns verteidigen.“

„Du versteckst dich nicht, du beschützt uns.“ Ich wollte sie anbrüllen, damit sie mich verstand, aber ich hatte Probleme mit dem Sprechen, der Hals schmerzte so sehr. Ich griff nach ihren Armen und schüttelte sie, bis sie mich überrascht ansah. „Wir brauchen dich. Wenn du nicht mitkommst, bleibe ich hier bei dir.“

„Nein, bitte“, bettelte Pilar mit einem Schluchzen, geweiteten Augen und einem Blick auf Rocio. „Du kannst mich nicht allein lassen.“

Jaz schüttelte den Kopf. „Wenn du stirbst und Cristiano überlebt, dann wird er mich persönlich umbringen.“

„Also, wo meinst du, will er seinen beharrlichsten Kämpfer haben?“

„Bei dir.“ Jaz reckte das Kinn. „Okay. Lasst uns gehen.“

Wir gingen durch die Tür in die Garage und die Stufen in den Keller hinab. An der Tür zum Panikraum zitterte ich so heftig, dass es schwer war, den Daumen auf den Fingerabdruckscanner zu legen. Jaz übernahm es. Innerhalb von Sekunden leuchtete er grün auf und das Schloss öffnete sich.

Ich ließ Pilar und Jaz den Vortritt. Nach der fast kompletten Dunkelheit des Hauses blendete mich das helle Licht im Panikraum und ich sah nur noch dumpfe, graue Schatten. Ich knallte die Tür hinter mir zu und der Schlag hallte durch die komplette Stille. Selbst Pilar hatte aufgehört zu weinen. Eingeschlossen in einem Keller, legte ich die Stirn gegen die kalte Stahltür.

Cristiano.

Selbst in seiner Abwesenheit rettete er mich noch. Wenn ich keine Selbstverteidigung gelernt hätte, würde ich hier jetzt nicht stehen. Aber wo war er nur?

Ich muss wissen, dass du dich selbst retten kannst und zu mir nach Hause zurückkommst, hatte er mir einmal gesagt.

Ich war zu Hause. Ich hatte mich selbst gerettet.

Und er?

Mein Atem stockte.

„Cristiano ist tot. Du hast nichts mehr, wofür du kämpfen kannst. Schlaf.“

Höhnische Worte, während ich in der Gewalt des Fremden gewesen war. Keine Luft bekam. Kaum Hoffnung hatte, mich selbst zu retten. Mein Hals zog sich zusammen, als sich Geisterhände um mich legten. Ich ballte die Faust und kämpfte gegen das Schluchzen an, das sich so schnell und überwältigend in meiner Brust formte. Cristiano hatte am Telefon nicht normal geklungen. Er hatte meinen Namen gesagt, als wäre es in Zeitlupe, von ganz weit weg. Und ich hatte einen Mann im Hintergrund sprechen hören. Was hatte er gesagt?

In meinen Schläfen pochte es und in meiner Kehle brannten ungeweinte Tränen. Wir hatten telefoniert …

Mein Herz schlug schneller bei dieser unbekannten und angstvollen Erregung.

Komm zurück.

Das war die wichtige Sache, die ich versucht hatte, ihm zu sagen, ohne die Person zu verraten, die ich gewesen war, als ich hier ankam. Wenn ich gewusst hätte, dass das seine letzten Momente gewesen wären, dann hätte ich es einfach ausgesprochen.

Komm nach Hause.

Ich drehte mich um und lehnte mich gegen die Tür. Eine der Wände vor mir war aufgeschoben worden und darin befanden sich Regale, wie in einem großen Spind. Jaz gab Pilar eine Decke und eine Flasche Wasser, wobei sie ihre Waffe fest in der Hand behielt. In einer Ecke stand ein Monitor, auf dem die Bilder der Sicherheitskameras im Haus zu sehen waren. Nicht, dass viel zu sehen wäre, es war tödlich still und ruhig.

 

Ich öffnete den Mund, um Jaz zu erzählen, was passiert war. Vielleicht konnte ich einen Zusammenhang finden zwischen dem Angriff hier im Haus und den Sachen, die ich bei Cristiano am Telefon gehört hatte. Doch dann fielen mir Jaz’ Worte wieder ein. Wenn Cristiano es nicht schaffte nach Hause zu kommen, würde ich es nicht lebend hier rausschaffen. Sie hatte mich gewarnt, dass mir niemand in den Badlands verzeihen würde, dass Cristiano sein Leben für mich in Gefahr brachte. Wenn Cristiano in Gefahr war, war ich in Gefahr. Jaz hatte das vor nicht einmal ein paar Stunden deutlich gemacht. Es wäre meine Schuld, wenn er nicht wieder zurückkehrte.

Mein Leben für seins.

Plötzlich stand Pilar vor mir und versuchte, mich von der Tür zu kriegen. „Du siehst nicht sonderlich gut aus.“

„Sie hat sich den Kopf angeschlagen“, sagte Jaz und sah mich aus ihren braunen, mandelförmigen Augen an. „Ist dir übel?“

Pilar machte sich auf ihrem Kopf einen Knoten ins Haar und nahm mich am Ellbogen. „Du solltest dich hinlegen.“

„Sie sollte alles andere tun, als sich hinlegen“, sagte Jaz.

„Wo sind die anderen alle?“, fragte ich Jaz. Pilar zog an meinem Arm, aber ich blieb stehen. Das Pochen in meinem Kopf konnte warten. „Wo ist Alejandro?“

Jaz schüttelte den Kopf. „Er kämpft oder ist tot.“

„Hast du ihn gesehen?“

„Nein, aber ich weiß es. Manche Kartelle denken, sie können hier einfallen, uns einfach abschlachten. Aber keiner, der hier reinkommt, kommt jemals wieder raus. Wir können uns verteidigen und das werden wir. Sie können nicht wissen, dass jeder Mensch in diesem Haus bis zum Tod kämpfen wird für das, was wir aufgebaut haben.“

Die Badlands waren nicht Cristianos Stadt. Sie gehörten allen, die dort lebten. Und offensichtlich war ich nicht die Einzige, die Cristiano mit der Fähigkeit ausgestattet hatte, sich zu verteidigen. Genau wie diesen Ort, im Falle seiner Abwesenheit.

Pilar ging zurück zu dem Regal und suchte nach etwas. Als die Tür hinter mir piepte, trat ich beiseite und Alejandro schob zwei weitere Frauen vom Personal hinein, die sofort in Jaz’ offene Arme liefen.

Ich griff nach Alejandros Ellbogen. „Hast du etwas von Cristiano gehört?“

„Ich habe nach dir gesucht.“ Sein Blick suchte mein Gesicht ab. Jaz und die Frauen sprachen miteinander. „Was ist passiert?“

„Hast du von ihm gehört?“, wiederholte ich laut und plötzlich herrschte Stille im Bunker.

Cristiano ist tot.

Das hier ist der Preis, der gezahlt werden muss.

Alejandros sah zu Boden. „Ich muss wieder nach oben. Bleib hier, bis ich dich hole.“

„Max?“, fragte Jaz. „Daniel?“

Als er die Namen der beiden Männer, die mit Cristiano unterwegs gewesen waren, hörte, drehte Alejandro den Kopf weg. An seiner Wange klebte Schmiere. „Nichts.“

Mein Herz setzte einen Schlag aus und Panik kam in mir auf. „Nichts?“

„Niemand antwortet auf meine Anrufe.“

„Vielleicht können sie nur gerade nicht“, sagte Pilar. „Sie könnten die Telefone ausgeschaltet haben, oder schlafen …“

„Sie wurden auch angegriffen.“ Alejandro seufzte, deutlich im Zwiespalt darüber, ob er bleiben oder wieder nach oben gehen sollte. Und vielleicht sogar darüber, wie viel er sagen sollte. „Und in einem Notfall wie diesem, bei Gefahr draußen im Einsatz und einem Eindringling oder einem Angriff innerhalb der Festung, halten wir immer alle zehn Minuten Kontakt. Egal wie. Das ist ein Gesetz.“

Die Luft um mich herum zog sich zusammen, mein Blickfeld verengte sich bis auf einen Blutfleck auf Alejandros grünem, langärmeligem Shirt. Ich konnte immer noch Cristianos dunkle, lebendige Stimme am Telefon hören. Sein schwer erarbeitetes Lachen. Sein gefasster, nervenzermürbender Befehl an mich, sofort in den Keller zu gehen, als die Sirene losging. Bei ihm war kein Alarm zu hören gewesen. Nur mein Name. Und die Stimme im Hintergrund.

Ein Präsent von Belmonte-Ruiz, Arschloch. Du hast dich das letzte Mal mit uns angelegt.

„Belmonte-Ruiz“, wisperte ich. Mexikos allgegenwärtiger Menschenhandelsring. Sie wollten Cristiano tot sehen. Aus gutem Grund. Er hatte sie beklaut. War allen Versuchen ihn aufzuhalten ausgewichen. Er war stolz darauf gewesen, ihnen Schaden zuzufügen, allein dadurch, dass er noch am Leben war. Es war allerdings nur eine Frage der Zeit gewesen, bevor die Sache ihn einholen würde. Und doch, auch in dem Wissen, dass er sein Zuhause, seine Leute, seine Frau und sich selbst in Gefahr brachte, hatte er weiter darauf bestanden. Er war nicht davon abzubringen gewesen, denjenigen zu helfen, die sich nicht selbst helfen konnten. Ich wollte deswegen gern wütend auf ihn sein. Aber es zeigte nur, was für ein Mensch er war. Ein Mann, den ich angezweifelt und verschmäht hatte, wo ich nur konnte. Er war das Gute in einer Welt voller Schlechtem. Und ich hatte keine Gelegenheit mehr gehabt, ihm das zu sagen, bevor er …

Ich unterdrückte ein Schluchzen. „Sie haben versucht ihn umzubringen.“

„Sie haben es vielleicht geschafft“, sagte Alejandro.

Eine Welle der Übelkeit überkam mich. Ich griff nach dem blutverkrusteten Schnitt an meinem Hals. Auf einmal tat mir alles weh. Mein Hals. Meine Hand. Meine Stirn, die an den Spiegel geknallt, und meine Wange, die auf den Boden aufgeschlagen war.

„Untersuche ihren Kopf“, sagte Alejandro zu Jaz. „Sie ist viel zu blass.“

„Mir geht es gut.“ Das musste es. Ich brauchte Antworten, nicht noch mehr Probleme. Ich griff nach Alejandros Shirt. „Du musst Cristiano finden. Sein Handy könnte kaputt sein. Sie könnten keinen Empfang haben. Oder gezwungen sein, alles zurückzulassen. Er kann nicht … er braucht uns.“

„Ich habe schon ein Team draußen, das nach ihm sucht“, sagte Alejandro. Sein Versuch, mich zu trösten, scheiterte. „Laut GPS haben Cristiano und Daniel sich nicht von der Stelle bewegt. Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen. Aber Max … sein Handy ist offline.“

Ich runzelte die Stirn. „Warum?“

„Wenn ich das nur wüsste. Aber er würde sich melden, wenn er es könnte.“

„Was passiert, wenn du innerhalb dieses Zehnminutenfensters nichts von ihnen hörst?“, fragte Pilar.

„Das ist noch nie vorgekommen“, antwortete Jaz.

„Noch nie?“ Ich sah zu Alejandro. „In all den Jahren, die du Cristiano kennst, kam es noch nie zu einer Fehlkommunikation oder einem Unfall oder …“

„Nie.“ Er sah auf die Uhr. „Wir finden immer einen Weg, uns zu melden, selbst wenn wir irgendwo ein Telefon organisieren müssen. Es ist jetzt schon über eine halbe Stunde.“ Alejo schniefte und griff nach dem Türgriff. „Ich muss …“

„Das muss nichts bedeuten“, sagte Pilar. Ihre Stimme wurde lauter, als sie Alejandro finster ansah. „Handys lassen einen ständig im Stich. Und du musst an deinem Verhalten arbeiten.“

„Ich versuche nur, Natalia vorzuwarnen.“ Auch wenn sein Tonfall brüsk war, sah man Alejos Augen die Sorge an. „Selbst, wenn wir die Zehnminutenregel einmal außer Acht lassen, würde er niemals so viel Zeit verstreichen lassen, ohne Natalias Lage zu checken.“

Oh mein Gott. Meine Knie gaben nach und ich griff nach Pilars Arm. Alejo hatte recht. Cristianos Schweigen sprach lauter als alles. Unsere Geschichte war turbulent, eine Ehe, die eher einem Schlachtfeld glich, und wir hatten uns wochenlang gezankt. Aber in meinem Innersten wusste ich es. Er hätte alles in seiner Macht Stehende dafür getan, damit ich in Sicherheit wäre. Und auch wenn ich ihn mir öfter als ich zählen konnte aus meinem Leben gewünscht hatte, wollte ich doch, dass auch er in Sicherheit war. Ich wollte ihn zurück.

Alles um mich herum begann, sich zu drehen. Ich rutschte an der Wand hinab und legte den Kopf auf die Knie. Wenn ich noch irgendwelche Zweifel gehegt hatte, so verschwanden sie jetzt direkt vor meinen Augen. Etwas, das er auf dem Kostümball damals gesagt hatte, kam mir in den Sinn. Sein letzter Wunsch war gewesen, mich schreien zu hören.

Und der Himmel hatte ihm diesen Wunsch erfüllt.