Menschliches Maß und Königliche Kunst

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Menschliches Maß und Königliche Kunst
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Menschliches Maß und Königliche Kunst
Johann Gottfried Schadow. Künstler - Menschenfreund - Freimaurer
Jens Oberheide

Print: ISBN 978-3-96285-042-5

eBook EPUB: ISBN 978-3-96285-161-3

1. Auflage 2021

Copyright © by Salier Verlag, Leipzig

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Christine Friedrich-Leye, Leipzig

Satz, Layout, Herstellung: Salier Verlag, Bosestr. 5, 04109 Leipzig

Autor und Verlag danken herzlich für die großzügige Unterstützung der Großen Loge Royal York, ohne die dieses Werk nicht zustande gekommen wäre.


«Im Einklang mit seiner ganzen Natur erschien ihm die Kunst nicht als ein allein dastehendes, einfach dem Schönheitsideal nachstrebendes Ding, vielmehr sollte sie dem wirklichen Leben in der Vielheit seiner Erscheinungen und Ansprüche dienen … So entstanden jene Arbeiten, die unser Stolz und unsere Freude sind.»

Theodor Fontane (1819–1898)deutscher Schriftsteller, Dichter und Denker über Johann Gottfried Schadow


Die Quadriga auf dem Brandenburger Tor


Johann Gottfried Schadow, Selbstbildnis, 1824

Inhalt

Vorwort

1. Ein Talent lernt Handwerkskunst

2. Darstellende Kunst und menschlicher Ausdruck

3. Moralische Bildung

4. Begegnungen mit Folgen

5. Italienische Impressionen

6. Königliche Kunst

7. Hofbildhauer

8. Schadows Loge

9. Meister vom Stuhl

10. Aufnahme

11. Das Logenhaus

12. Familienleben

13. Das Brandenburger Tor

14. Ideal und Wirklichkeit

15. Menschenbilder

16. Die Prinzessinnengruppe

Friederike

Luise

17. Helden und Menschen

18. Vereinsleben

19. Selbstsichten

20. Karikaturen aus dem Logenleben

21. Der Reformer

Der Billardsaal

Gartenfest

Logengeheimnisse

22. Der Philosoph

23. Der Logiker

24. Das Schadow-Haus

25. Napoléon

26. Die Quadriga als Kriegsbeute

27. Napoléon-Karikaturen

28. Triumphale Rückkehr eines Symbols

29. Marianne Schadow

30. Die Söhne

31. Alleingelassen

32. Henriette Schadow

33. Königlich Preußische Akademie der Künste

34. Goethe und Blücher

35. Luther-Denkmal

36. Der Alte Fritz und seine Hunde

37. Ehre, wem Ehre gebührt

38. Logenleben

39. Schadows 50. Freimaurer-Jubiläum

Die Arbeit am Steine

40. Das Schadow-Fest

41. Abschied

Editorische Notiz

Zeittafel. Johann Gottfried Schadow

Quellen und Literatur

Personenregister

Bildnachweis

Vorwort

Was er an Ämtern, Titeln und Ehren im Laufe seines langen Lebens erarbeitet, erworben und verliehen bekommen hatte, steht in seinen Memoiren («Kunst-Werke und Kunst-Ansichten», Berlin, 1849) gleich anfangs hinter seinem (Verfasser-)Namen: «Hofbildhauer Seiner Majestät des Königs von Preußen, Direktor der Königlichen Akademie der Künste zu Berlin, Ritter des Roten Adler-Ordens Zweiter Klasse mit dem Stern, des Ordens Pour le mérite für Wissenschaft und Kunst und des Königlich-Schwedischen Nordstern-Ordens; Mitglied der Kunstakademien zu Stockholm, Kopenhagen, Wien, München, Rom, Kassel, Dresden; korrespondierendes Mitglied der Akademien zu Paris und Brüssel,; Mitglied des Mecklenburgischen Patriotischen Vereins, der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur und des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde.» Eine wahrlich beeindruckende Aufzählung, die sich in europäischen Dimensionen bewegt. Sie ließe sich gewichtig fortsetzen, zum Beispiel mit dem Professorentitel und dem Ehrendoktor der Philosophie der Berliner Universität.


Johann Gottfried Schadow, Lithografie nach einer aquarellierten Silberstiftzeichnung von Ludwig Buchhorn, 1815

Dass Schadow 60 Jahre lang Freimaurer war, steht nicht darin. Dieser «Weltbund der Menschlichkeit» war schon damals eine eher diskrete Gesellschaft. Dennoch hat die Freimaurerei mit ihren Ideen und Idealen seit jeher auch anregend und ansteckend auf Geisteshaltung und Lebensstil ihrer Mitglieder gewirkt – und durch diese auch nach außen. Das war sicherlich auch bei Schadow so.

Freimaurer gehen im Grundverständnis davon aus, dass sie zwar nicht die Welt verändern, wohl aber dazu anstiften können, dass aus guten Menschen bessere werden, die sich dann für die bessere Welt und das bessere Miteinander der Menschen einsetzen. Schadows Geisteshaltung entsprach diesem Grundgedanken.

Johann Gottfried Schadows Persönlichkeit war geprägt durch eine »in der Aufklärung wurzelnde Bildung», durch «humanitäres Denken», dadurch, dass er «geistreich, energisch und gesellig» war und einen «ausgeprägten Familiensinn» besaß (Gisold Lammel: «Johann Gottfried Schadow», Berlin, 1987). Er besaß zudem eine große «Gelassenheit», viel «Selbstsicherheit» und sehr viel «Humor» (Joachim Lindner: «Wo die Götter wohnen», Berlin, 2008). «In schwierigen Zeiten bewies er Haltung und Charakter. Er bewahrte einen wachen Sinn für Soziales.» Er hatte ein «kraftvolles und im Wesentlichen hochgestimmtes Naturell» (Ulrike Krenzlin: «Johann Gottfried Schadow», Berlin, 1990). Er besaß «ironischen Witz und diese Art der direkten, unverblümten Sprache» (Claudia Czok: «Schadows Berlin», Berlin,1999). Die Freimaurerei hatte gewiss auch ihren Anteil an diesen Eckpunkten eines Charakterbildes.

Bis auf die gelegentliche Erwähnung in einigen Aufsätzen und Vorträgen ist Schadows Zugehörigkeit zum Bund der Freimaurer bisher noch nicht näher herausgearbeitet worden. Das soll hier versucht werden.

 

Jens Oberheide, im Februar 2021

1

Ein Talent lernt Handwerkskunst


Man lerne erst das Handwerk der Kunst! Wisse bevor – und dichte dann!

Johann Gottfried Schadow

Der Schneidermeister Gottfried Schadow (1738–1788) und seine Ehefrau Anna Katharina, geb. Nilles, (1740–1797) hatten fünf Kinder, zwei Jungen und drei Mädchen.

Johann Gottfried, der Erstgeborene, erblickte am 20. Mai 1764 des Licht der Welt. Die Schadows wohnten damals in Berlin zunächst in der Lindenstraße, nahe dem Halleschen Tor, bevor sie 1766 eine Wohnung in der Heiligengeiststraße Nr. 6/7 bezogen, in der Vater Schadow selbstständig als Schneider arbeitete.

Seine Hauptkundschaft fand er unter den bei Hofe tätigen Kunsthandwerkern und unter den Mitarbeitern der Königlichen Bildhauerwerkstatt. Darunter waren viele Franzosen, Nachfahren der Hugenotten, die in Berlin alle Freiheiten in Brauchtum, Sprache, Religion und Kunst wahrnehmen durften und das auch in Sachen Mode taten (was dem Schneider Schadow entgegenkam).

Nach dem «Edikt von Potsdam» (1685) des «Großen Kurfürsten» waren die Hugenotten als protestantische Glaubensflüchtlinge («Réfugiés») aus Frankreich in Berlin und Brandenburg herzlich willkommen gewesen. Um 1700 waren schon rund ein Fünftel der Einwohner Berlins aus Frankreich Zugewanderte.

Der zu Schadows Jugendzeit regierende Friedrich der Große (1712–1786), Freund französischer Sprache und Lebensart, der nicht nur mit Voltaire (1694–1778) gern französisch parlierte und philosophierte, war durchaus kunstsinnig. Er hielt allerdings relativ wenig «von deutschen Künstlern, ob es nun Schriftsteller, Komponisten, Sänger, Maler oder Bildhauer waren. Italiener oder Franzosen mussten es sein» (Joachim Lindner: «Wo die Götter wohnen», Berlin, 2008).

Diese Kunsthandwerker, «die sich nach des Tages Last und Mühe mit echt romanischer Grazie und Lebenslust in ihren goldbordierten Samtröcken mit bestickten Manschetten, Jabots und seidenen Kniehosen … wie Kavaliere bewegten» (ders.), bildeten die «Zielgruppe» des Schneidermeisters Gottfried Schadow. Er lieferte gute, modische Arbeit, doch die Zahlungsmoral seiner Künstler-Kunden war oft schlecht. Er brauchte aber dringend Geld, um seine Familie zu ernähren und die Stadtschule «Zum Grauen Kloster» zu bezahlen, die seine beiden Söhne besuchten.

Der älteste Schadow-Sohn, Johann Gottfried, hatte schon als Schüler großes Talent zum Zeichnen offenbart. Lehrer, Nachbarn, aber auch Fremde von der Straße, denen er Zeichnungen anbot, zeigten sich erstaunt und angetan von den Künsten des Knaben.

So kam es, wie Schadow später rückblickend schreibt, «zu einer zufälligen Veranlassung». Ein immer wieder säumiger Kunde seines Vaters, Giovanni Battista Selvino, Italiener, Modellzeichner und Bildhauergehilfe aus dem Königlichen Atelier, stand beim Schneidermeister derart «in der Kreide», dass man nach einer Lösung suchte. Wie wäre es, dachten die Schadows, wenn Selvino seine Schulden abarbeitete, indem er dem talentierten Knaben als «Gegenwert» Zeichenunterricht erteilte?

Und daraus entwickelte sich mehr. Während des Unterrichts bei Selvino entdeckte Madame Marie-Edmée Tassaert das Talent des jungen Schadow. Madame Tassaert, erfolgreiche Pastell- und Fächermalerin, französische Gattin des flämisch-stämmigen preußischen Hofbildhauers Jean Pierre Antoine Tassaert, nahm sich des vierzehnjährigen «garçon allemand» an und machte «Godefroi», wie sie Gottfried nannte, zum Zeichenschüler, der fortan ganztägig in den Ateliers der Künstler arbeiten und lernen durfte. Das alles fand in französischer Sprache statt, die Schadow bald auch perfekt beherrschte. Zusätzlich besuchte er gemeinsam mit Jean-Joseph Tassaert, dem Sohn des Hofbildhauers, Vorlesungen in der «Akademie der mechanischen Wissenschaften und Schönen Künste» im alten Marstallgebäude in Berlin Unter den Linden.

Schließlich wurde er «garçon d’atelier» beim Hofbildhauer Tassaert. Bei ihm lernte er in aller Gründlichkeit das Handwerk des Künstlers.

Tassaert (1727–1788) hatte in England und in Paris gearbeitet, bevor er 1770 nach Berlin übersiedelte und in die Dienste des preußischen Königshauses trat. Er schuf mehrere Statuen und Gruppen für das Palais des Prinzen Heinrich und fertigte etliche Porträtbüsten und Denkmale. Schließlich wurde er Rektor der Kunstakademie. Sein eifrigster Schüler wurde später sein Nachfolger: Johann Gottfried Schadow.


Schadows Lehrmeister Jean Pierre Antoine Tassaert, Mezzotinto, 1788

Der junge Schadow durchlief eine strenge handwerkliche und künstlerische Schule und nahm durchaus auch schon kritisch auf, was er sah. Er schildert beispielsweise, dass er dabei war, als Tassaert Moses Mendelssohn (1729–1786), den ersten bedeutenden jüdischen Philosophen deutscher Sprache, porträtiert und seine Büste aus Marmor herausgearbeitet hatte. Der junge Schadow selbst hatte den großen Mendelssohn, der körperlich ein kleiner, buckliger, feingliedriger Mann war, persönlich auf die Stellage geholfen, auf der er Modell sitzen musste, und er durfte das Entstehen des Werkes verfolgen. Vom Ergebnis war er allerdings deswegen nicht so sehr angetan, weil Tassaert nach seiner Auffassung das Wesen des klugen Denkers und feinsinnigen Philosophen nicht so getroffen hatte, wie es Schadows elementarem Kunstverständnis entsprach. Also versuchte er, dieses selbst zeichnerisch in einem Mendelssohn-Porträt auszudrücken.


Johann Gottfried Schadow: Moses Mendelssohn, Radierung, 1787

2

Darstellende Kunst und menschlicher Ausdruck


Von da, wo die Gemütsbewegungen dargestellt werden, beginnt eigentlich die Kunst.

Johann Gottfried Schadow

Gemeinsam mit dem Tassaert-Sohn Jean-Joseph begeisterte sich «Godefroi» Schadow auch für die darstellende Kunst. Madame Tassaert hatte ihnen ein Theater-Abonnement geschenkt, weil sie meinte, auch das gehöre zur umfassenden Bildung von Kunstjüngern.

So erlebten die beiden schon sehr früh den großen Mimen Friedrich Ludwig Schröder (1744–1816), der in Berlin «Hamlet» inszenierte und 1777 selbst die Hauptrolle übernahm. Im Dezember desselben Jahres spielte Schröder den König Lear, und im März 1780 war er erneut auf Gastspielreise in Berlin.

Schröder «war der erste, der es wagte, auf der Bühne natürlich zu sprechen» (Manfred Barthel: «Theater in Briefen», München, 1983). Er «spielte keine Rolle gut, er war immer der Mann selbst» (Friedrich Gottlieb Klopstock). «Seine Nachahmungsgabe überstieg alles Dagewesene» (Johann Wolfgang von Goethe). Schröder «hat versucht, Musik, Malerei, Poesie und Denken mit dem wirklichen Leben zu einigen» (Ludwig Tieck).

War es bisher üblich, am Theater mit großer Gestik und Gebärde zu agieren, so war gegen Ende des 18. Jahrhunderts mit Schröder erstmals ein Schauspieler als wahrhafter Menschendarsteller präsent, der Charaktere überzeugend darstellen konnte und mit Gemütsregungen angemessen ausdrucksvoll umging.


Johann Gottfried Schadow: Szene aus «König Lear», Radierung, 1784

Schadow war deswegen so begeistert von Schröders Schauspielkunst, weil es ihm selbst künstlerisch um den menschlichen Ausdruck ging und weil er immer bemüht war, in seinen Zeichnungen und später auch in seinen bildhauerischen Arbeiten alles Pathetische, überzogen Gebärdenreiche zu vermeiden. Auch ein dargestellter Held war schließlich nur ein Mensch. Auf dem Zeichenblatt, in Marmor oder auf der Bühne.

Inspiriert vom Ausdrucksspiel Schröders, modellierte Schadow zusammen mit dem jungen Tassaert Handpuppen für das Puppenspiel, das sich damals einiger Beliebtheit erfreute. Für Schadow war es ein erster, noch spielerischer Entwicklungsschritt vom Zeichner zum Skulpteur.


Friedrich Ludwig Schröder als «König Lear», zeitgen. Grafik

Bei Friedrich Ludwig Schröder muss man neben dessen Schauspielkunst noch eine andere prägende Seite seiner Persönlichkeit ansprechen. Schröder war 1774 Freimaurer geworden, Mitglied der Loge «Emanuel zur Maienblume» in Hamburg, bei der er 1787 zum «Meister vom Stuhl» gewählt wurde. Das war die Zeit, als sich ein mystisch überhöhtes System von Ritualen und «Erkenntnisstufen» in den deutschen Landen verbreitet hatte. Schröder, Anhänger der geradlinigen «historischen» englischen Freimaurerei, trat gegen diese bunten Strömungen an und wurde fortan zum bedeutenden Reformator der deutschen Freimaurerei. Am Schröder’schen Lehrsystem orientieren sich bis heute viele Logen.

Ein anderer Reformer wirkte in den 1790er Jahren in Berlin: Ignaz Aurelius Feßler (1756–1839). Feßler war Mitglied der Loge, der auch Johann Gottfried Schadow ab 1790 angehörte. Es wird noch viel von ihm die Rede sein. Auch nach Feßlers Reformideen wird noch heute in den Logen gearbeitet.

Schröder und Feßler diskutierten über Form und Fassung ritueller Abläufe. Feßler sah diesen Gedankenaustausch «im Dienste der Vernunft und Tugend, im Kampfe und Arbeit für Wahrheit und Recht» (1798 in Schröders Stammbuch).

Schadow wird später noch in Verbindung zu diesen beiden Logenbrüdern stehen.

Das Theater hat Schadow sein Leben lang fasziniert. Er hat selbst Gedichte verfasst und vorgetragen, schrieb kleine Bühnenstücke und inszenierte Theater für private Kreise. Seine Stücke «Das Intermezzo» und «Der Teekessel» sind im Nachlass erhalten.

Im Theater fand er viele seiner Modelle. Schadow: «Schauspielerinnen sind für mich die interessantesten weiblichen Wesen und ziehen gewöhnlich die Aufmerksamkeit auf sich». So porträtierte er die Schauspielerinnen Friederike Unger, Henriette Sontag oder Louise Fleck. Eng verbunden war er mit dem Mann der Letztgenannten, dem Regisseur des Königlichen Nationaltheaters, Johann Ferdinand Fleck, dessen Grabmal er gestaltete (1801). Auch die Reliefs an der Fassade des Nationaltheaters am Gendarmenmarkt hatten (natürlich!) Theaterbezug. Schadow hat sie ebenso entworfen, wie die Figuren der Musen für den Theatervorhang.

Der künstlerische Ausdruckstanz interessierte ihn. Es gibt eine Reihe von Bewegungsstudien der Tänzer Salvatore Vigano und seiner Partnerin Josefa Maria.

Schließlich muss man Schadows Verbindung zum Direktor der Königlichen Schauspiele erwähnen, zu August Wilhelm Iffland (1759–1814), «…der auf der Bühne jeden seiner Finger mitsprechen ließ …» (Schadow).

Näher gekommen sind sich die beiden über das Theater, aber auch über die Freimaurerei. Iffland war von Friedrich Ludwig Schröder in Hamburg zum Freimaurer aufgenommen worden. Iffland schrieb Schröder die schönen (vielleicht freimaurerisch inspirierten) Worte ins Stammbuch: «Der bessere Mensch ist der bessere Künstler.»

Eine solche Grundhaltung hatte wohl auch Johann Gottfried Schadow. Sie musste sich freilich erst entwickeln. Die Lehrjahre bei Tassaert stehen am Anfang der Selbstfindung.


August Wilhelm Iffland als Pygmalion, Gemälde von Anton Graff, 1800

 

3

Moralische Bildung


Gerader Sinn und gerades Herz, … um richtig wahrzunehmen und unparteiisch zu handeln …

Marcus Herz

Ein künstlerisch eher ungewöhnliches Motiv steht am Anfang von Schadows künstlerischer Reputation. In der Nacht zum 28. Juli 1781 stürzte der Turm der neuen deutschen Kirche am Gendarmenmarkt ein. Ein Konstruktionsfehler? Auf jeden Fall ein Aufsehen erregendes Ereignis. Meister Tassaert schickte seinen jungen Schüler Schadow zum Ort des Geschehens, damit er die Ruine zeichnerisch erfasse. Er tat das von einem Fester des französischen Komödienhauses aus und hielt detailgenau fest, was er sah. Das Blatt wurde vielfach reproduziert und publiziert und fand höchste Aufmerksamkeit, so etwa, wie es heute mit einem aktuellen weitverbreiteten Pressefoto geschehen würde.


Johann Gottfried Schadow: Selbstbildnis als 17-jähriger Zeichner, Radierung, 1781

Diese aktuelle Prominenz, seine künstlerische Vielseitigkeit, sein sprachgewandtes Auftreten und seine Lebensart führten bald zu Einladungen in die damals so beliebten «Salons». Ab 1781 war Schadow gern gesehener Gast im Haus von Marcus und Henriette Herz. Da war er 17 Jahre jung.

Der gesellschaftlich angesehene Preuße jüdischen Glaubens, Marcus Herz (1747–1803), war Mediziner, aber auch Philosoph der Aufklärung mit vielfältigen Verbindungen zu Persönlichkeiten der Zeit. Er hatte u. a. bei Kant in Königsberg studiert, und Kant hatte ihm ein Empfehlungsschreiben an den Philosophen Moses Mendelssohn mitgegeben, bei dem er in Berlin seine Studien fortsetzte und schließlich mit Promotion und Professur reüssierte. Herz hatte auch Verbindung zu Gotthold Ephraim Lessing, den er sehr verehrte.

Die Salonnière Henriette Herz (1764–1847), gleichaltrig mit Johann Gottfried Schadow, war nach jüdischem Brauch als Zwölfjährige mit Marcus Herz verlobt worden und hatte diesen als Fünfzehnjährige geheiratet. Henriette Herz saß Schadow für eine Porträtbüste Modell. Er gestaltete das Bildnis einer der schönsten Frauen Berlins – sein plastisches Erstlingswerk. «Die nach dem Leben modellierte Büste der Henriette Herz offenbart, dass Schadow nicht einem Schönheitskanon folgte, sondern den Ausgleich zwischen Natur und Ideal sucht» (Götz Eckardt: «Johann Gottfried Schadow», Leipzig,1990).

Und den Hofrat Herz zeichnete er für seine «Profile nach dem Leben». Daneben entstand eine Fülle grafischer Arbeiten. Physiognomiestudien, Porträts, Karikaturen, Spottbilder, Satiren. Feder-, Kreide-, Rötelzeichnungen, Aquarelle, aber auch weit verbreitete Auflagen als Radierungen und Kupferstiche, später auch Lithografien.


Marcus Herz, 1795, Gemälde von Johann Friedrich Weitsch


Johann Gottfried Schadow: Henriette Herz, Zeichnung, 1783

Aus dem Berliner Salon der hochgebildeten Henriette Herz entwickelte sich der intellektuelle Mittelpunkt Berlins. «Freimaurerische und pietistische Einflüsse» hatten dazu geführt (Ingeborg Drewitz: «Herz, Henriette» in Deutsche Biografie 8, 1969). Auf Anregung der Brüder Humboldt, die zu den Stammgästen zählten, nannte sich die Gruppe, die sich regelmäßig im Salon traf «Tugendbund zur Übung werktätiger Liebe». Henriette Herz sagte gern «Verbündung» dazu.

Der Salon war überkonfessionell und aufklärerisch gesinnt, und entsprechend waren die Gäste. Man diskutierte über Ideal und Wirklichkeit, Lebensqualität und Sinn und las gemeinsam einschlägige Literatur. «Der Tugendbund, der sich als eine Art Loge wie in der Freimaurerei verstand, hatte hohe Ziele» (Udo Quak: «Glückliche Stunden hatte ich», Berlin, 2014). Als Ziele nannte Henriette Herz selbst «gegenseitige sittliche und geistige Heranbildung».


Johann Gottfried Schadow: Salon der Henriette Herz: literarisch, musikalisch, gesellschaftlich, Federzeichnung um 1800

Wilhelm von Humboldt an Henriette Herz: «Weil der Zweck der Loge Beglückung durch Liebe ist» und diese im «Verhältnis mit dem Grade moralischer Vollkommenheit … steht, so ist moralische Bildung das, wonach jeder Verbündete am eifrigsten strebt …» (in einem Brief vom 11. November 1787).

Die Teilnehmer gaben sich gewisse Rituale, die sich bei jedem Treffen wiederholten. So kreiste beispielsweise ein Zirkel, über den man im Sinne von Bezugspunkten und Gedankenkreisen nachdachte, und es gab ein Symbol für den Zirkelschlag: Einen Kreis mit einem Mittelpunkt, eine Art «Logo» des Salons. »Die Mitglieder nannten sich Brüder und Schwestern» (Udo Quak, ebd.) und verstanden sich als gleichberechtigt und gleichgesinnt, verbunden durch Dichtung, Kunst, Wissenschaft, Ethik und Moral. So war Freimaurerei durchaus ein «salonfähiges» Thema, vor allem aber deren Ideale vom besseren Miteinander für eine bessere Welt.

Auch Henriettes Mann Marcus hing diesen Idealen nach. Das führte ihn in die Berliner «Loge zur Toleranz». Diese «sollte auch aufgeklärten Juden offenstehen, die einen hohen Grad kultureller und moralischer Reife erlangt haben» (Anne Purschwitz: «Jude oder preußischer Bürger», Göttingen, 2018). Das ist deswegen so hervorgehoben, weil damals den Juden in beschämender Weise der Zutritt zu den überwiegend christlich orientierten preußischen Logen verwehrt war.

«Innerhalb der Gemeinschaft der Freimaurer wurde diese Loge (zur Toleranz) jedoch isoliert und konnte keine Vorbildfunktion entwickeln» (Anne Purschwitz, ebd.), obwohl die «Loge zur Toleranz» erklärtermaßen offen war für alle freien Geister und auf dem Boden der «Alten Pflichten» von 1723 stand. «In ihr fanden» auch «Isaak Daniel Itzig und Marcus Herz Aufnahme» (Anne Purschwitz, ebd.).

Karlheinz Gerlach («Die Loge zur Toleranz …», in: «Zeitschrift für Internationale Freimaurerforschung», Heft 2, 1999) kommentiert einen Aufsatz von 1790 mit dem Titel «Bekenntnis zur Loge der Toleranz» : «Es ist ein Dokument der Berliner Aufklärung. Die klare Gedankenführung spricht für die Autorenschaft des Lessing-Verehrers Marcus Herz.»

Freimaurerei ist für den Autor «Verbindungsmittel aller Künste, Wissenschaften, Stände, Religionen, Systeme und Regierungsformen». Das freimaurerische Geheimnis bestehe in nichts anderem als im «Verbinden allen Wissens und Denkens der verschiedenen Menschen …, das durch die vereinigten Kräfte einer stets tätigen Gesellschaft bewirkt werden» könne. Wesentliche Eigenschaften eines Freimaurers seien «gerader Sinn und gerades Herz …, um richtig wahrzunehmen und unparteilich zu handeln». Idealistisches Ziel: «… wenn wir ohne alles Dunkel im vollen Lichte und ganzer Wahrheit die reine Glückseligkeit genießen und in ihr unzerrüttbare Menschen sein werden». Marcus Herz fungierte als Redner der «Loge zur Toleranz». Seine Worte stehen auch dafür, dass für die aufgeklärten Kreise in Berlin die Freimaurerei ein durchaus attraktives Thema war.

Sie sollte auch eins für Johann Gottfried Schadow werden. Im Hause Herz wurden freimaurerische Gedanken thematisiert, und Schadow nahm lebhaften Anteil: «Einigen seiner Bekannten aus dem Hause Herz ist Schadow später, ab 1790, unter den Freimaurern wieder begegnet. Auch die Freimaurerlogen des 18. Jahrhunderts wollten über alle Zufälligkeiten des Lebens – wie Geburt, Stand, Glauben – hinweg wohlgesinnte Menschen zusammenbringen.» (Angelika Wesenberg: «Zwischen Aufklärung und Frühromantik», in «Johann Gottfried Schadow und die Kunst seiner Zeit», Köln, 1994)