Interview mit dem Teufel

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Interview mit dem Teufel
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Jens Böttcher

Interview mit dem Teufel

Ein Theaterstück

in zwei Akten


Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 9783865066008

© 2011 by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers

Umschlag: Gemälde von Mihály Zichy, »Lucifer«, 1887.

Umschlaggestaltung: Brendow Verlag, Moers.

Satz: Satzstudio Winkens, Wegberg

1. digitale Auflage 2013: Zeilenwert GmbH

www.brendow-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Die handelnden Personen in der Reihenfolge ihres Auftretens

Erster Akt

Ein überraschendes Geständnis

Zweiter Akt

Die ganze Wahrheit

Die handelnden Personen in der Reihenfolge ihres Auftretens

Richard Kolbach, Reporter beim Mühlhofener Merkur. Drei weitere Print-Journalisten aus der Region: Martin Rüttger, Thorsten Schmelzer und Katie Meggle.

Dazu das zweiköpfige Fernsehteam eines kleinen, ortsansässigen TV-Senders: Fred Harnik und sein Assistent.

Der Teufel in Menschengestalt. Ein Gentleman mittleren Alters. Er hat ein markantes Gesicht mit einem lässigen Viertagebart. Er sieht überaus elegant aus und trägt einen dunklen Designeranzug. Wenn er nicht gerade einen cholerischen Anfall hat, spricht er sanft und beherrscht. Gelegentlich kichert er etwas irre.

Janine Berger, Hotelangestellte und – wie sich herausstellen wird – eine sehr gute Bekannte von Kolbach.

Dr. Kuhn, Notfall-Psychiater auf der Suche nach einem Patienten.

Zwei Sanitäter.

Erster Akt

Wie bist du vom Himmel gefallen, du Glanzstern, Sohn der Morgenröte! Wie bist du zu Boden geschmettert, Überwältiger der Nationen! Und du, du sagtest in deinem Herzen: »Zum Himmel will ich hinaufsteigen, hoch über den Sternen Gottes meinen Thron aufrichten und mich niedersetzen auf den Versammlungsberg im äußersten Norden. Ich will hinaufsteigen auf Wolkenhöhen, dem Höchsten mich gleichmachen.«

JESAJA 12,12 –15

Home is where the heart is, ain’t that what they always say? But my heart lies in broken pieces scattered along the way.

STEVE EARLE, Hometown Blues

Ein überraschendes Geständnis

Auftaktszene, Bühnenbild. Das Konferenzzimmer eines Hotels. Hinter den Fenstern mit üppigen Vorhängen ein trübes Herbstszenario. Nachmittagslicht. Eine beinahe leere Bühne: nur ein Rednerpult mit Mikrofon, davor platziert ein Dutzend Stühle. Getragene, etwas schräge Kammermusik erklingt. Reporter Richard Kolbach betritt das Podium. Er geht zum vorderen Bühnenrand und wendet sich direkt an das Publikum. Die Musik endet.

KOLBACH

Guten Abend, meine Damen und Herren. Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle: Mein Name ist Kolbach, Richard Kolbach, ich bin Journalist. Zugegeben, nicht gerade einer von Weltruf. Also, ich meine, keiner von denen, die in nächster Zeit für den Pulitzerpreis nominiert werden. Oder für irgendeinen anderen Preis. Ich schreibe für den Mühlhofener Merkur. Das ist eine sehr kleine Zeitung. Aber Mühlhofen ist ja auch ein kleiner Ort. Normalerweise ist nicht viel los hier. Es ist beschaulich und ruhig, eine fromme Gegend mit einfachen Menschen. Aber ich lebe gerne hier. Und ich mag meinen Job. Oder besser: Ich hab ihn gern gemocht, bis vor Kurzem. Alles hat sich verändert. An jenem Tag. Genau deshalb möchte ich Ihnen von dieser eigentlich ganz unglaublichen Begebenheit erzählen.

Er geht unruhig auf der Bühne umher und wirkt sehr konzentriert.

Alles begann, als eines Morgens eine dpa-Meldung in unserer Redaktion eintraf. Da hieß es schlicht, dass eine berühmte Persönlichkeit im Hotel Mühlhof zu einer Pressekonferenz einlädt. Jetzt denken Sie bestimmt: Eine berühmte Persönlichkeit in Mühlhofen? Wen könnte es wohl ausgerechnet hierher verschlagen haben? Brad Pitt und Angelina Jolie werden es kaum sein, wir sind ja nicht Berlin oder Hamburg. Dann also vielleicht irgendeiner von diesen C-Promis, der gerade mal zwischen vierzehn Kochshows im Fernsehen Zeit gefunden hat, uns zu beglücken? Genau das dachte ich auch zunächst. Aber: Nein, von denen war es auch keiner. Es war, und verzeihen Sie, wenn ich zögere, es auszusprechen – es hat mich damals sehr erschreckt, wenn auch aus einem anderen Grund als heute. Es war, also, es handelte sich bei dieser berühmten Persönlichkeit um, ja, um: den Teufel.

Pause und Schweigen.

Ja, meine Damen und Herren, genau dieses Schweigen überkam auch mich, als ich die dpa-Meldung betrachtete. 13. Oktober, 16 Uhr. Pressekonferenz mit dem Teufel. Weitere Informationen waren nicht zu bekommen. Ich wollte die Mitteilung gerade zerknüllen und einfach wegwerfen, als mein Chefredakteur, Herr Westphal, lachend in mein Büro kam und sagte (ahmt ihn burschikos und autoritär nach): »Da gehen Sie hin, Kolbach! Ist doch herrlich, dass hier mal wieder was los ist in unserem Kaff! Irgend so’n Spinner, der einen wirklich witzigen Weg gefunden hat, auf sich aufmerksam zu machen. Das ist doch mal was anderes, als immer diese spießigen Pipifax-Christenveranstaltungen!« Mein Chef kriegte sich kaum wieder ein. Ich entgegnete ihm nur trocken, dass es sich um eine christliche Veranstaltung handeln könnte. Ich hielt das für möglich, sogar für wahrscheinlich. Die Christen in der Gegend kamen manchmal auf sonderbare Gedanken. Vielleicht war es also nur der Gag einer modernen Jugendgruppe. Wie auch immer: Ich ging hin. Und werde Ihnen jetzt berichten, was an jenem unglaublichen Tag geschah, bei diesem (er zögert kurz) Interview mit dem Teufel.

Die schräge Kammermusik setzt wieder ein, während die Bühne sich mit weiteren Protagonisten füllt. Drei Reporter, zwei Männer, eine junge Frau, nehmen auf den Stühlen vor dem Rednerpult Platz; die Mehrzahl der Stühle bleibt frei. Ein Zwei-Mann-Kamerateam, bestehend aus dem Kameramann und seinem Assistenten (mit Ton-Equipment: Mikro mit Puschel, Stativangel etc.), kommt dazu und platziert sich am hinteren Ende des Raums. Auch Kolbach setzt sich.

KOLBACH (jetzt zum Publikum gewandt) Wir waren nur eine Handvoll Lokalreporter. Mein Chef mochte recht gehabt haben, dass es eigentlich eine clevere Marketing-Idee gewesen war, die Pressekonferenz derart unverschämt anzukündigen, aber es hatte trotzdem nicht funktioniert. Offensichtlich interessierte sich kaum jemand für das Event. Wir waren nur zu (er schaut sich um) … äh … sechst. Doch dann, in diese Atmosphäre aus irritierter, vielleicht sogar irgendwie belustigter innerer Anspannung – wir alle starrten gespannt auf das Rednerpult, versuchten einen Blick zu erhaschen, aus welcher Richtung nun der Missionar oder vermeintliche Witzbold oder Wasauch-immer-er-war auftauchen würde –, kam er.

Dramatischer Moment in der Kammermusik, dann abruptes Musik-Ende. Der Teufel betritt die Bühne, geht gockelhaft eine Ehrenrunde am vorderen Bühnenrand, lächelt gewinnend und stellt sich am Rednerpult in Position.

TEUFEL

Guten Tag, meine Damen … (er lächelt) … und Herren natürlich. Wobei ich den, äh, der Dame ein, sagen wir, klitzeklein bisschen einen noch besseren Tag wünsche.

Er lacht leise. Sein Blick verharrt dabei auf der Journalistin Katie Meggle. Er kommt hinter dem Rednerpult hervor, geht zu ihr, streichelt ihr über die Wange. Sie reagiert unsicher, halb empört, halb eingeschüchtert.

TEUFEL

Oh, was für ein schönes Kind. Vielleicht haben Sie anschließend noch etwas Zeit? Ich würde Sie gerne zu einem Abendessen einladen. Etwas schweren Rotwein, dazu Rinderfilet in Pfefferkruste …

Katie Meggle wendet sich echauffiert ab. Der Teufel wendet sich ebenfalls ab, geht lächelnd zurück zum Pult und fährt mit überraschend garstigem Unterton fort.

TEUFEL

Aber nun, wir sind ja nicht zum Vergnügen hier. Jedenfalls Sie nicht. Ich schon. Die amourösen Details können wir auch später noch klären. (Seine Stimme wird wieder zärtlich.) Und Sie, meine Liebe, überlegen sich doch vielleicht inzwischen, auf welche Sorte Wein Sie Lust verspüren.

KOLBACH (steht auf) Guten Tag, Herr, äh … Würden Sie uns vorab verraten, wer Sie sind?

TEUFEL (überrascht) Aber, mein Bester, haben Sie das denn nicht in der Einladung gelesen?

KOLBACH

 

Nun ja. Dort stand nur: Pressekonferenz mit …

TEUFEL

Ja?

KOLBACH

… mit dem Teufel. Das ist eine wirklich interessante Idee. Aber wer sind Sie wirklich, und was wollten Sie mit dieser ungewöhnlichen Einladung bezwecken?

Die Reporter zücken ihre Blöcke und Laptops und warten gespannt auf die Antwort.

TEUFEL (charmant) Haha, das ist … Nun, ich muss Ihnen gestehen, dass ich damit gerechnet habe. Sonst hätte ich natürlich eine größere Lokalität für unsere Zusammenkunft ausgesucht.

KOLBACH

Haben Sie eine Pressekonferenz dieser Art schon einmal abgehalten? In einer anderen Stadt?

TEUFEL (amüsiert) Nein, niemals.

KOLBACH

Na schön, dann verraten Sie uns doch jetzt bitte, wer Sie sind und was es damit auf sich hat.

TEUFEL

Sie haben recht. Die Höflichkeit gebietet, dass man sich persönlich bekannt macht, besonders in so kleiner, illustrer Runde. Sagen Sie mir also bitte auch Ihren Namen.

KOLBACH

Richard Kolbach, Mühlhofener Merkur.

TEUFEL (lächelnd) Hm, tatsächlich. Das ist gut. Herr Kolbach, sehr angenehm. Meinen Namen haben Sie, wie gesagt, bereits auf der Einladung gelesen.

RÜTTGER (der zweite Reporter) Sie wollen also ernsthaft behaupten, dass Sie der Teufel sind?

TEUFEL

Selbstverständlich.

SCHMELZER (der dritte Reporter) Aber Sie erwarten nicht ernsthaft, dass wir das glauben, oder?

TEUFEL

Ganz ehrlich? Doch.

KATIE MEGGLE (Reporterin) Ich möchte mich auch vorstellen, bitte.

TEUFEL

Aha?

KATIE MEGGLE (schnippisch) Ich heiße Lady Bärbel Shakira-Rübbach und bin die Kaiserin von Südamerika.

TEUFEL (lacht) Sehr witzig, Fräulein Meggle.

Katie Meggle und die anderen sind irritiert, dass der Fremde ihren Namen kennt.

TEUFEL

Ich musste wohl damit rechnen, dass Sie mich zunächst für einen Schwindler halten. Sie werden aber gleich verstehen, dass mir wirklich daran liegt, die Wahrheit zu sagen. Ich habe heute ausnahmsweise überhaupt keinen Anlass, Sie anzulügen, was meine Identität angeht.

KOLBACH (etwas spöttisch) Na ja, also das scheint mir doch ein Widerspruch in sich zu sein.

TEUFEL

Widerspruch? (Er lacht schallend.) Aber wieso, wie kommen Sie denn darauf?

KOLBACH

Also wenn ich da, sagen wir mal, theologisch recht informiert bin, heißt es doch, der Teufel sei der »Vater der Lüge«.

TEUFEL (lacht immer noch) Oh, Sie sind bibelfest? Na ja, wie auch immer, definieren Sie »Lüge«, mein Sohn. Ist es zum Beispiel eine Lüge, wenn der Lügner daran glaubt, dass er die Wahrheit sagt? Und was ist mit einer wegweisenden Lüge, die am Ende zu einer Wahrheit führt, die ohne die Lüge nie aufgedeckt worden wäre?

KOLBACH

Ich kann Ihnen nicht folgen. Die Wahrheit ist nicht relativ, oder?

TEUFEL

Na gut, ich will nicht spitzfindig sein. Und ich weiß natürlich, was Sie meinen. Es stimmt. Normalerweise ist es nicht meine Art, aber ich bin tatsächlich heute hier, um die Wahrheit zu sagen.

KOLBACH

Ein interessantes Spiel, das Sie hier treiben. Würden Sie uns jetzt dennoch bitte aufklären, wer Sie wirklich sind? Wir alle haben unsere Zeit nicht gestohlen.

TEUFEL

Hach, wie erschütternd. Es stimmt wohl, was die Leute sagen: Man hat’s wirklich nicht leicht, wenn man mal ehrlich sein will.

RÜTTGER

Sind Sie ein christlicher Missionar oder Aktionskünstler?

TEUFEL

Ich ein christlicher …? (Er kann sich jetzt kaum noch halten vor Lachen.) Haha, der war gut! Um Gottes Willen.

Schmelzer – der dritte Reporter – steht auf und will gehen.

SCHMELZER

Also, ganz ehrlich, ich hab wichtigere Sachen zu tun, als hier mit so einem …

TEUFEL

Oh? Was möchten Sie sagen, Herr Schmelzer?

SCHMELZER (setzt sich wieder) … so einem Verrückten … was? Woher wissen Sie denn meinen Namen?

TEUFEL

Die Frage verstehe ich nicht. Sind wir nicht alle Freunde bei Facebook?

SCHMELZER

Äh, was? Ich bin gar nicht bei Facebook …

TEUFEL

Ich schon! Ich bin da sogar im Vorstand! (Er lacht etwas irre, kriegt sich aber schnell wieder ein.) Aber, na gut, Sie haben mich ertappt. Ich habe Ihre Namen in Wirklichkeit natürlich geraten! Und dabei wohl ein bisschen Glück gehabt.

RÜTTGER

Glück gehabt? Sie haben schon zwei von unseren Namen gewusst.

TEUFEL

Na ja, so schwer war das auch wieder nicht, denn es haben sich ja nur sechs von Ihnen auf die Anwesenheitsliste eingetragen. Und dass Sie nicht Herr Kolbach oder Frau Meggle sind, wusste ich schon.

RÜTTGER

Ich dachte, Sie hätten geraten?

TEUFEL

Entschuldigung, das war jetzt gelogen. Aber nur zum Spaß. Können Sie mir verzeihen?

SCHMELZER (irritiert) Und wieso überhaupt Anwesenheitsliste? Ich hab mich in keine Liste eingetragen … (Er schaut hilfesuchend zu den anderen.) Ihr etwa?

Ungläubiges Kopfschütteln.

SCHMELZER (steht wieder auf) Na ja, wie auch immer. Also, ich mach mich mal auf den Weg.

TEUFEL

Eine Sekunde, ich habe hier noch etwas für Sie.

Er hält einen Briefumschlag hoch. Dann kommt er hinter dem Pult hervor, geht zu Schmelzer und überreicht ihm das Kuvert.

TEUFEL

Schauen Sie kurz rein. Und wenn Ihnen gefällt, was Sie sehen, bereiten Sie mir doch bitte weiter das Vergnügen Ihrer Anwesenheit.

Schmelzer öffnet den Umschlag und betrachtet ein Stück Papier, offensichtlich ein Scheck.

TEUFEL (lächelnd) Na? Was sagen Sie?

SCHMELZER (verblüfft) Ich … Ist das Ihr Ernst? Soll das für mich sein?

TEUFEL

Ja, natürlich. Alles, was Sie dafür tun müssen, ist zu bleiben. (Er verzieht das Gesicht und macht übertrieben auf niedlich.) Och, bitte, ja?

SCHMELZER

Ich, äh, ja, also …

TEUFEL

Oh, bitte, bitte.

Schmelzer setzt sich wieder hin und betrachtet den Scheck ungläubig. Nebenmann Rüttger beugt sich zu ihm herüber und staunt, als er sieht, um was für eine Summe es sich handelt.

RÜTTGER

Eine Zwischenfrage bitte!

TEUFEL

Ja, Herr Rüttger?

RÜTTGER (steht auf) Äh, ja, genau, Martin Rüttger. Ich wollte nur sagen, dass ich auch gerade, sozusagen sogar sehr heftig, mit dem Gedanken spiele, spontan gehen zu wollen …

TEUFEL (lacht donnernd) Sie meinen, weil Sie auch so einen Scheck über 10 000 Euro haben wollen? Haha, wie wunderbar! Aber es tut mir leid. Ich hatte nur den einen bei mir. Also, gehen Sie ruhig. Haha, obwohl … (Er macht eine kleine Pause, alle schauen ihn erwartungsvoll an.) Wenn Sie bleiben, wartet vielleicht eine andere lohnende Überraschung auf Sie. Also, überlegen Sie es sich.

Rüttger blickt sich unsicher um, die anderen schauen ihn gespannt an. Er setzt sich wieder und starrt übertrieben konzentriert auf seinen Notizblock.

TEUFEL (ernst) So, das hätten wir geklärt. Können wir dann beginnen?

Katie Meggle erhebt sich.

KATIE MEGGLE

Einen Moment …

TEUFEL (beherrscht charmant) Ja, meine Liebe? Handelt es sich um unser Rendezvous später? Plagen Sie sich mit der Auswahl der Weinsorte? Möchten Sie wissen, welche ich persönlich empfehlen würde?

KATIE MEGGLE

Nein, ich möchte Sie ganz ernsthaft ersuchen, diese merkwürdige Farce zu beenden! Ist hier irgendwo ‘ne versteckte Kamera? Ich hasse so was!

Der Teufel fegt plötzlich mit einer wütenden Handbewegung einen Stapel Zettel und sein Wasserglas vom Rednerpult. Alle zucken zusammen.

TEUFEL (zornig, nur mühsam beherrscht) Entschuldigung. Das passiert mir manchmal, wenn ich wütend werde. Aber keine Sorge, das sind nur Zuckungen, wahrscheinlich ein neurologisches Problem, sonst nichts.

Irritiertes Durchatmen bei den Reportern.

TEUFEL (weiter cholerisch) Nun gut, Sie wollen wissen, was das soll und wer ich bin. Ich bin gekommen, um Ihnen die Wahrheit zu sagen, die ganze Wahrheit. Und ich bin der Teufel, verdammt noch mal, ich BIN es! Geben Sie mir einen anderen Namen, wenn es Ihnen gefällt, nennen Sie mich Iblis oder Satan oder Ahriman oder Luzifer, mir egal, aber nehmen Sie es zur Kenntnis und dann schweigen Sie mit Ihrer furchtbaren, unangebrachten Arroganz, bevor ich meine verdammt gute Laune verliere! (Urplötzlich wieder sanft.) Hab ich nämlich nicht oft. Ich neige zur Unausgeglichenheit.

Katie Meggle setzt sich wieder hin. Alle schweigen. Nach einer kurzen, betretenen Pause erhebt sich Kolbach. Er räuspert sich.

KOLBACH

Nun gut, Herr, äh … Nehmen wir also für einen Moment an, dass Sie sind, wer Sie zu sein behaupten. Würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, dass das Ganze einer gewissen Absurdität nicht entbehrt? Der Teufel bittet in einer kleinen Stadt wie dieser zu einer Pressekonferenz, um ausgerechnet die Wahrheit zu sagen?

TEUFEL (wieder gefasst) Ja, köstliche Idee, oder?

KOLBACH

Und es erscheinen gerade mal eine Handvoll Lokalredakteure und das kleinste Team eines vollkommen unbedeutenden Fernsehsenders, den wahrscheinlich nur zweitausend Menschen überhaupt kennen?

TEUFEL

Perfekt!

KOLBACH

Wäre es nicht angebrachter gewesen, ein solch ungewöhnliches Outing in Berlin oder München oder Paris oder Buenos Aires vor Tausenden oder am besten Hunderttausenden von Menschen zu veranstalten? Im Fernsehen zur Primetime?

TEUFEL

Hübscher Gedanke, Kolbach. Aber Sie werden noch verstehen, dass es dann ja nur halb so viel Spaß gemacht hätte. Stellen Sie sich vor: Der Teufel persönlich, also ich (er kichert), stellt sich der Öffentlichkeit und erzählt seine Geschichte und offenbart seine intimsten Geheimnisse nur einer auserlesenen Handvoll …

KOLBACH

Ist es das, was Sie uns verraten wollen? Ihre intimsten Geheimnisse?

TEUFEL

Ja, gewiss. Ich möchte mir alles von der Seele reden und euch, der armen, geplagten Menschheit, endlich die Gelegenheit geben, euch von mir abzuwenden. Das ist mein heiliger Ernst. Aber ein bisschen Spaß möchte ich dabei auch haben dürfen. Es ist für mich ein großes Opfer, das muss ich mir etwas versüßen.

KOLBACH

Wie meinen Sie das: Spaß haben?

TEUFEL

Nun, Herr Kolbach: Ich glaube, Sie als theologisch interessierter und halbwegs gottgläubiger Mensch würden mir wohl zustimmen, dass ich mit Fug und Recht behaupten darf, eine wunderbare, lange und erfolgreiche Karriere als heimlicher Weltherrscher hinter mir zu haben. Würden Sie das?

SCHMELZER (der mit dem Scheck) Ich stimme Ihnen zu!

Die anderen schauen Schmelzer verächtlich an.

TEUFEL (amüsiert) Oh, treue Seele …

KOLBACH

Ich würde sagen:Wie man’s nimmt!

TEUFEL

Sie gefallen mir, Herr Kolbach. Na, jedenfalls, es ist wohl nicht von der Hand zu weisen: Ich bin schon lange im Geschäft und habe viel Großes erreicht. Ich habe die Weltgeschichte massiv beeinflusst. Denken Sie nur an all die schönen Kriege, die Wirtschafts- und Bankenkrisen, den Hunger, den Durst, den entfesselten Hass, die Geisteskrankheiten, die vielen untreuen und geplagten Seelen. Aber nun möchte ich mich offenbaren. Und mich dann anschließend eine Weile zurückziehen.

KATIE MEGGLE

Aha. Und warum?

TEUFEL (kokett) Hm. Ich befürchte einen Burn-Out und muss wirklich ganz dringend mal ausspannen. (Er zögert.) Na ja, mal sehen, also jedenfalls, wenn meine Mission glückt. Was wiederum auch nicht gewiss ist. Man kann im Leben nie sicher sein, oder? Es passieren ja manchmal die verrücktesten Sachen.

KOLBACH

Das ist etwas verwirrend. Bitte verraten Sie uns doch mehr Details.

TEUFEL

Ich gelte überall, in allen Kulturen, als der ewig Böse, der Urheber aller Gemeinheiten, als der Feind der Menschheit, der nicht mal vor den ekelhaftesten Schandtaten zurückschreckt.

KOLBACH

Und Sie wollen das jetzt mal Geraderücken?

TEUFEL

Oh, nein, nicht wirklich. Ich bin ja tatsächlich all das, was man mir nachsagt. Aber das Problem, das die Menschen schon immer mit mir hatten, ging doch eigentlich nie von mir aus, jedenfalls nicht nur. Ich bin gewissermaßen … (er lacht) … viel unschuldiger, als man allgemein annimmt. Und ich möchte, dass die Wahrheit endlich ans … (zögerlich, dann amüsiert) Licht kommt.

 

KOLBACH

Entschuldigung, aber das klingt absurd.

TEUFEL

Aber wieso denn? Es ist ja keineswegs so, dass ich nur im Verborgenen operiert hätte in all den Jahrhunderten. Oft bin ich bei meinen Missetaten deutlich zu erkennen gewesen und konnte trotzdem tun und lassen, was ich wollte. Phänomenal, oder? Woran liegt das wohl? Ich bin also hier, um euch das gute Gefühl zu geben, ein wirklich aktiver Teil all dessen zu sein. Oder anders gesagt: Ehre wem Ehre gebührt. Und euch allen gebührt die Ehre der Mitschuld.

KOLBACH

Alles schön und gut. Aber das beantwortet meine Frage nach Ihrem Spaß an dieser Scharade nicht …

TEUFEL

Na gut. Ich gönne mir das ultimative Vergnügen, einem kleinen, ausgewählten Kreis hauptsächlich durchschnittlicher Menschen die Wahrheit zu sagen und dann zu sehen, was daraus wird. So etwas habe ich noch nie gemacht. Ist eine echte Premiere. (Er kichert wieder.) Ich bin ja so irre … scharf auf Abwechslung. Man muss auch mal runter vom Sofa, oder? Mal eine Weile das Knabbergebäck ignorieren und mit lustvollem Schwung auf der pulsierenden See des richtigen Lebens herumsegeln. Kennen Sie das nicht auch?

KOLBACH (notiert) Verstehe ich das richtig? Sie gehen also davon aus, dass die hier anwesenden Journalisten dem Rest der Welt anschließend Ihre »Wahrheit« verkünden?

TEUFEL (lacht schallend) Ja, korrekt! Verstehen Sie den genialen Gedanken? Das wiederum ist nicht das erste Mal! Genial war ich schon häufig, was übrigens daran liegt, dass ich es eben BIN. Aber Genialität wird vom Schicksal leider viel zu oft mit Ignoranz bestraft. Das habe ich satt. Ich möchte, dass ihr es endlich sehen könnt. Es wird uns alle befreien. Vertrauen Sie mir.

KATIE MEGGLE

Ich fasse mal zusammen: Sie haben also Vergnügen daran, uns Ihre Geheimnisse anzuvertrauen, damit wir sie weitersagen? Und lassen uns gleichzeitig mit diesem arroganten Unterton wissen, dass wir »durchschnittliche Menschen« sind? Das ist nicht gerade charmant.

TEUFEL

Och, hab ich Ihre Gefühle verletzt? Tut mir furchtbar leid, aber so ist das manchmal mit der Wahrheit. Die kann ganz schrecklich sein. Und vielleicht gewöhnen Sie sich auch gleich daran, mich korrekt zu zitieren. Ich sagte nämlich hauptsächlich durchschnittlich. Es könnte also durchaus Ausnahmen geben.

KATIE MEGGLE

Aha … Und wer soll das sein?

TEUFEL (arrogant) Keine Sorge, meine Hübsche. Sie sind es nicht. Davon abgesehen haben Sie in der Sache ganz recht: Ich gebe Ihnen eine Vorlage, die brillanter nicht sein könnte, und Sie machen dann die Arbeit und heimsen dafür hinterher den ganzen Ruhm ein. Ist das nicht eine wundervolle Chance? Und wie gesagt, wenn wir das Geschäftliche hinter uns haben, würde ich mich sehr freuen, Sie zum Abendessen einladen zu dürfen … (Er sieht sie kokett an.) Hm? Denn wenn Sie auch nicht die Allerhellste sind:Vielleicht haben Sie ja andere Talente? Sie riechen zum Beispiel sehr gut …

Katie Meggle beherrscht sich nur mühsam, schaut den Teufel giftig an und widersteht ihrem Impuls, auf der Stelle zu gehen oder ihm ihren Laptop an den Kopf zu werfen.

RÜTTGER

Also, ganz ehrlich, ich verstehe den Spaßfaktor an der Sache immer noch nicht so ganz.

TEUFEL

Ach, kommt, Leute, jetzt stellt euch doch nicht so dämlich an. Was könnte ich nicht alles tun! Aber was für ein dumpfes Vergnügen wäre es, wenn ich vor versammelter Welt ein paar Katastrophen wie einen erbärmlichen Zaubertrick darböte? Glauben Sie etwa, das könnte ich nicht? Mich hinstellen wie ein Las-Vegas-Entertainer, sodass alle sehen und hören könnten, wozu ich in der Lage bin? Hui!

Peng! Piffpaff! Eine Explosion, ein einstürzendes Hochhaus! Nein! Mein größtes Kapital war doch stets, dass ihr alle gar nicht wirklich an mich glaubt. Wollen wir doch hübsch subtil bleiben, wenn’s recht ist.

KOLBACH

Jetzt komme ich gar nicht mehr hinterher.

TEUFEL (mit zynischem Unterton) Ich möchte doch so gerne beobachten, wie es Ihnen gelingt, Ihr neu gefundenes und ganz und gar aufregendes und potenziell weltveränderndes Wissen in die sehnsüchtige und wartende Welt hinauszutragen, um sie endlich zu einem wahrhaft besseren Ort zu machen. Das wird Spaß machen. Die Welt wird ab jetzt vielleicht ein ganz himmlischer Ort. Dabei würden wir alle etwas gewinnen, oder?

KOLBACH

Ich verstehe immer noch nicht. Was gewinnen Sie denn, wenn die Welt ein besserer Ort wird?

TEUFEL

Nun, wer weiß? Vielleicht reizt mich auch nur der Kick. Es ist ein bisschen wie »Doppelt oder Nichts« spielen. Kennen Sie das Spiel, Herr Kolbach?

KOLBACH

Ja, ich denke schon.

TEUFEL

Sehen Sie: Die Menschen haben nie verstanden, dass ich nur ihr Werkzeug bin. Ich habe mich immer freundlich zur Verfügung gestellt. Ein Handlanger, ein dienender Geist aus der Flasche. Nur so lange mächtig, wie er mit Vollmachten ausgestattet wird. Und jetzt sage ich euch eben die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, und ihr müsst hinterher nie wieder ein Wörtchen mit mir wechseln, wenn ihr nicht wollt. Es liegt ganz allein in eurer Hand, mich zu entmachten. Sogar jetzt schon, in dieser Sekunde.

Es ist eigentlich ganz einfach: Ich gebe freiwillig alles auf und habe gleichzeitig ein teuflisches Vergnügen dabei, zu beobachten, wie gut oder schlecht es Ihnen gelingen wird, meine Enttarnung öffentlich zu machen. Immerhin könnte es ja auch gut sein, dass die Menschen die Wahrheit gar nicht wissen wollen, oder? (Er lacht unterdrückt und etwas irre.) Vielleicht glauben sie sie nicht mal dann, wenn sie ihnen auf einem silbernen Tablett serviert wird. Wäre ja nicht das erste Mal. Dann wieder, kaum vorstellbar. Ich riskiere meine Macht, meinen Job, meine Reputation. Sie alle riskieren gar nichts, höchstens, dass alles so erbärmlich bleibt, wie es ist.

KOLBACH

Nun gut, spielen wir dieses Spiel.

TEUFEL (divenhaft) Hach, da bin ich aber erleichtert, es fühlte sich gerade schon an, als würde ich wieder diese fürchterliche Anstrengungsmigräne bekommen. Das ist psychosomatisch, hab ich manchmal. Kennen Sie das? Ah, Sie kennen das, oder, Herr Rüttger?

RÜTTGER

Ich, äh, meine was?

TEUFEL

Das hat mir schon immer so schrecklich leidgetan, wenn Sie plötzlich ganz unerklärlich an heftiger Übelkeit litten und Versammlungen fluchtartig verlassen mussten. Aber ich habe Sie stets dafür bewundert, wie tapfer Sie alles für sich behalten haben. Also, ich meine jetzt das Geheimnis, nicht das Mittagessen.

Der Reporter Rüttger steht auf und verlässt den Raum, als würde er sich heftig übergeben müssen.

RÜTTGER

Entschuldigung, ich … Mir wird übel …

TEUFEL (lacht donnernd) Oh ja, Sie kennen das! Auf Wiedersehen, schönen Gruß zu Hause! Und gute Besserung! (ruhiger) Ja, wie sagt man? Wo gehobelt wird, fallen Späne … haha … köstlich. Hach, der arme Kerl.

KAMERAMANN

Wir müssen das Band wechseln, könnten Sie eine Sekunde warten, bitte?

TEUFEL

Oh, natürlich, kein Problem für mich. Ich habe alle Zeit der Welt.

Der Kameramann und sein Assistent wechseln das Band.

KOLBACH (ironisch)

Wenn Sie also wirklich der Teufel sind, dann wird doch wahrscheinlich auf dem Band sowieso nichts zu sehen sein, oder?

TEUFEL (lacht jovial) Haben Sie einen Clown gefrühstückt, Kolbach? Nein, wenn Sie Vampire sehen oder eben nicht sehen wollen, müssen Sie schon ins Kino gehen. Und ich sage es gern noch mal: Ich möchte, dass jeder, der mich sehen will, mich auch sehen kann.

KAMERAMANN

O.K., fertig, kann weitergehen.

KOLBACH

Dann möchte ich Ihnen bitte eine Frage stellen.

TEUFEL

Nun, ich hatte zwar gedacht, dass es am Schönsten wäre, wenn ich einfach mal frei von der Leber weg erzähle, aber, weil Sie es sind … Ich höre?

KOLBACH

Warum ausgerechnet bei uns? Warum in einer frommen Kleinstadt wie dieser? War Ihre Auswahl willkürlich?

TEUFEL

Oh, nein, das ist kein Zufall, wenn Sie das meinen. Ich liebe Ihre kleine Stadt. Ich bin oft und gerne hier. Es ist ganz herrlich für jemanden wie mich. Es gibt so viele bodenständige Menschen, so viele gut besuchte Kirchen!

Überhaupt fühle ich mich unter entschlossen-religiösen Menschen schrecklich wohl. Das ist für mich immer ein bisschen wie Familie. Ich bin ja selbst sehr gläubig.

KOLBACH

Ist das jetzt so ‘ne Art Scherz?

TEUFEL

Oh, keineswegs. Es gibt zwei Sorten von Menschen, die mich seit Jahrtausenden so überaus erfolgreich machen, Kolbach. Erstens natürlich all die, deren Lebensmotto sich mit meinem deckt …

KOLBACH

Und dieses Lebensmotto wäre?

TEUFEL

Ich sagte es doch schon: Spaß haben! Hauptsache Spaß! (Er lacht.) Ist das nicht eine herrliche kleine Faust-aufs-Auge-Philosophie? Immer nur Spaß haben wollen und sich gar nicht um die Konsequenzen scheren? Das ist wirklich köstlich, sollten Sie mal ausprobieren. Ich gebe zu, es ist manchmal schon ein bisschen infantil und geschmacklos, aber eben auch so furchtbar effektiv. Herrlich, die Dinge einfach geschehen zu lassen, ohne nachzudenken.

KOLBACH

Aha. Und die zweite Sorte Menschen?

TEUFEL

Na, die, die alles so schrecklich ernst nehmen. Die Gläubigen, die Religiösen, die humorlosen Fanatiker. All jene, die zu wissen glauben, wie alles funktioniert, und auf der Basis ihrer angeblich perfekten und exklusiven Moral nichts anderes akzeptieren als ihre eigene unvollständige Interpretation der Wahrheit. Die sind genauso fundamentalistische Idioten wie die rücksichtslosen Spaßmacher. In beiden Fällen ist es herrlich einfach für mich, da fühle ich mich immer wie ein Fisch im Wasserglas. Und ganz ehrlich: Die religiösen Verspannten sind mir noch einen Hauch lieber als die dumpfen Bekloppten. Seit Jahrhunderten amüsiere ich mich wie ein Schneekönig über die angestrengten Gesichter und die bizarren Rituale der fanatischen Kleingartenwahrheitsbesitzer.

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