Buch lesen: «Great Green Thinking»
ÜBER DIE AUTORINNEN
Jennifer Hauwehde hat Germanistik und Philosophie in Münster studiert und nebenbei den Nachhaltigkeitsblog Mehr als Grünzeug gegründet. Sie schreibt dort und auf Instagram und veröffentlicht Texte bei den Fashion Changers, der Plattform für Modeaktivismus.
Milena Zwerenz, geboren in Gießen, ist Redakteurin bei ZEIT ONLINE und freie Journalistin in Berlin. Am liebsten schreibt sie über gutes Essen, nachhaltige Ideen und kreative Menschen, unter anderem für Mit Vergnügen, FAZ und ze.tt.
JENNIFER HAUWEHDE & MILENA ZWERENZ
GREAT
GREEN
THINKING
VIELFÄLTIGE PERSPEKTIVEN AUF EIN NACHHALTIGES LEBEN
1. Auflage 2021
Copyright © 2021 &Töchter UG (haftungsbeschränkt), München
Alle Rechte vorbehalten, auch auszugsweise.
Lektorat: Laura Nerbel u. Sarah Zechel, &Töchter
Design u. Satz: Sigl Affairs, München
eISBN 978-3-948819-50-7
Auch als Printausgabe erhältlich.
Für alle
INHALT
Vorwort
KAPITEL 1 NACHHALTIG KONSUMIEREN – EIN WIDERSPRUCH IN SICH?
Eigentlich können wir es nur falsch machen, oder?
Kauf dich frei
Interview mit der Journalistin Kathrin Hartmann
KAPITEL 2 WER IST NACHHALTIGKEIT – UND WER NICHT?
Das muss man sich erst mal leisten können
Alle in einen Topf und kräftig umrühren?
Gespräch mit der Politikwissenschaftlerin Prof. Doris Fuchs
Ein möglicher Schlüssel: Generationengerechtigkeit
Interview mit Sophia Heinlein und Moritz Piepel vom Jugendrat der Generationen Stiftung
Warum ist die nachhaltige Bewegung so weiß?
Ein Essay von Ciani-Sophia Hoeder
Ökofaschismus – Sterben dürfen die anderen
Wir sitzen (nicht) alle im selben Boot
Ein Essay von Berfîn Kalayci, auch bekannt als Berfîn Marx
Der Kampf für das Klima muss intersektional sein
Interview mit Locals United
Wo bleibt die Solidarität mit den ewigen Naturschützer:innen?
Wir müssen den Klimaschutz dekolonialisieren
Interview mit der Anthropologin Taily Terena
Die Töchter sollen ihre kranke Mutter retten
»Wir brauchen weniger Charity, sondern echte Solidarität«
Interview mit den Fashion Changers
KAPITEL 3 LET’S TALK ABOUT WIRTSCHAFT, BABY
Wie Unternehmen in Zeiten der Klimakrise an der Macht bleiben wollen
Eine (sehr kurze) Geschichte des Kapitalismus
Ein Essay von Chris Vielhaus
Wieso wir über alternative Wirtschaftssysteme sprechen müssen
Weniger ist mehr
Gespräch mit der Politikwissenschaftlerin Nina Treu
Die Welt könnte ein Donut sein
Unternehmen: Under Green Pressure
Interview mit der Kulturanthropologin Lena Papasabbas
Cradle to Cradle: Das Kreislaufkonzept in der Praxis
Was bedeutet Cradle to Cradle im Buchdruck?
Interview mit Roswitha Sandwieser und Doris Raßhofer von der Druckerei gugler*
Wirtschaft als Mittel zum Zweck: Social Businesses
Gespräch mit Prof. Dr. Karin Kreutzer, Leiterin des Impact Instituts der EBS Universität
Unternehmen, die sich selbst gehören
Gespräch mit Christoph Bietz, Experte für alternative Unternehmensformen
Wie können Unternehmen die »Economy unfucken«?
Interview mit Waldemar Zeiler und Elisa Naranjo von einhorn
radikal:klima – Da muss doch jetzt mal was passieren!
Gespräch mit Micha Hohenadler und Janka Eckert von radikal:klima
Hier hört die Macht der Konsument:innen auf
Interview mit Lisa Jaspers, Gründerin von Folkdays
KAPITEL 4 UND JETZT?
Wie werden wir wirksam?
Wie überzeuge ich andere von dem guten Leben für alle?
Interview mit der Radikalisierungsexpertin Dana Buchzik
Und wie behalte ich einen klaren Kopf?
Kämpfen die Weißen nur für sich?
Gespräch mit Seggen Mikael und David Ehlers von DisCheck
Alles könnte auch ganz anders sein
Danke
Unterstützer:innen
Weiterführende Adressen
Bildquellen
Endnoten
VORWORT
Februar 2020, bei zwei Frauen in Berlin und im Münsterland geht etwa zeitgleich die gleiche E-Mail ein: »Wir – der &Töchter Verlag – sind auf der Suche nach einer jungen Autorin, die Lust hat, ein populäres Sachbuch über Nachhaltigkeit mit uns zu veröffentlichen!« Zweimal Aufregung, doppelt Ja.
Obwohl wir, Jenni und Milena, uns bis zu diesem Zeitpunkt nicht kannten, obwohl uns unterschiedliche Lebensumfelder umgaben, eine eher Stadt, eine eher Land, obwohl uns verschiedene Geschichten prägten, gab es doch etwas, das uns schon damals verband. Seit einigen Jahren diskutieren wir persönlich und medial das Thema Nachhaltigkeit – Jenni vor allem mit ihrem Kanal @mehralsgruenzeug, Milena als Journalistin. Unabhängig voneinander quälte uns dabei dieselbe Frage: Warum fühlt sich dieses grüne Leben und Streben – allem Wissen zum Trotz – so schwierig an? Und wenn es uns beiden schon so geht, wie viele Menschen fühlen wohl ebenso?
Schnell waren wir uns einig, dass sich dieses Buch genau damit auseinandersetzen sollte. Wir wollten weg von der individuellen Frage, welche Konsumentscheidung denn nun die ökologischste ist, und stattdessen auf die systemische Ebene blicken: Welche Nachhaltigkeitsbehauptungen sind eigentlich wahr – und welche nur PR-Gewäsch? Wer kommt im Diskurs über Nachhaltigkeit gar nicht vor und warum? Und nicht zuletzt: Was ist eigentlich wirklich effektiv, wenn wir die Klimakrise aufhalten, den Planeten nicht weiter zerstören und vermüllen wollen?
Sprung ins Jahr 2021. Mehrere intensive Monate, in denen viel gelesen, geschrieben, gesprochen wurde, liegen hinter uns. Dieses Buch hätte niemals entstehen können, wenn sich wunderbare Menschen (inmitten einer Pandemie!) nicht die Zeit genommen hätten, ihre Expertise mit uns zu teilen. Es ist eine Untertreibung zu sagen, dass wir allen, die an diesen Seiten mitgewirkt haben, sehr dankbar sind. Great Green Thinking ist nicht das Projekt zweier Autorinnen, es ist ein Gemeinschaftsprojekt.
Uns war von Anfang an klar, dass wir die Seiten mit vielen verschiedenen Stimmen füllen und einen Inhalt schaffen wollten, der eine Brücke zwischen Diskursen, die sich häufig in einer kleinen Ecke des Internets oder in Seminarräumen abspielen, und dem Medium Buch schlägt. Wir hatten den Eindruck, dass Nachhaltigkeit in vielen Büchern immer noch in einem eher engen Korridor stattfand und zu selten die systemische Ebene berührte, die komplizierteren Fragen und die vielen Stimmen aussparte. Wir möchten nicht den Anspruch erheben, allein diese Brücke gebaut zu haben. Wir haben höchstens einen Stein beigesteuert – aber das reicht uns schon.
Auf knappen 270 Seiten können wir nicht alles beleuchten, was beleuchtet werden muss. Wir mussten unsere Schwerpunkte rigoros auswählen und den komplexen Inhalt zwischen zwei Buchdeckel bekommen – beides hinterlässt naturgemäß Leerstellen. Wir fragen uns daher auf den folgenden Seiten vor allem, wie weit von dem:der Einzelnen Verantwortung in Bezug auf eine nachhaltige Lebensführung übernommen werden kann und wie ein Klimaschutz funktioniert, der von allen und für alle gestaltet wird. Dabei ist unser Anspruch nicht die Perfektion, sondern die Inspiration zu vielen kleinen Denkanstößen. Wenn Menschen das Buch nach der Lektüre mit ein paar Antworten und vielen neuen Fragen, vor allem aber mit dem unbedingten Drang, etwas zu verändern, zuklappen, ist unsere Arbeit getan.
Jennifer Hauwehde & Milena Zwerenz
NACHHALTIG KONSUMIEREN – EIN WIDERSPRUCH IN SICH?
KAPITEL 1
»Do the best you can until you know better. Then when you know better, do better.« Maya
Angelou
EIGENTLICH KÖNNEN WIR ES NUR FALSCH MACHEN, ODER?
Von Milena Zwerenz
Die Tomaten in der Gemüseabteilung lächeln mich an. Leider ist es ein trauriges Lächeln, denn sie liegen eingeschweißt in einer Plastikverpackung. »Regional« lese ich auf dem Schild darüber – und verspüre eine gewisse Erleichterung. Das ist doch eigentlich nicht schlecht, oder? Aber wie regional heißt regional? Und ist gerade überhaupt Tomatensaison, oder kommen die aus dem Gewächshaus? Wie sah das da noch mal mit der Ökobilanz aus? Hilfe!
So oder so ähnlich läuft wahrscheinlich bei vielen, die sich bereits mit nachhaltigem Konsum auseinandergesetzt haben, der ständige Abwägungsprozess ab (ja, ich gucke auch in deine Richtung, Hafermilch im Tetrapack). Ist die eingeschweißte regionale Tomate denn nun ökologisch vertretbarer als die unverpackte aus den Niederlanden, wo und unter welchen Bedingungen wurden meine Sneaker produziert, und nicht zuletzt: Brauche ich dieses Produkt wirklich? Das sind nur ein paar wenige Beispiele von vielen, doch solche oder ähnliche Überlegungen treiben uns und alle, die nachhaltig leben wollen, immer wieder um. Kleidung kaufen wir bereits secondhand, aber darf es dann trotzdem auch Fast Fashion sein? Wir wollen die Welt sehen, aber inwiefern helfen Flugkompensationen beim umweltfreundlichen Reisen wirklich? Sollten wir dieses Buch hier überhaupt drucken lassen, oder dürfte es nur digital verfügbar sein?
Ein bisschen fühlt es sich an, als könnten wir es gar nicht richtig machen, denn obwohl wir bereits möglichst viel Plastik vermeiden, weitestgehend auf tierische Produkte verzichten und, so oft es geht, den Zug nehmen, weisen wir uns innerlich ständig darauf hin, was wir nicht schaffen, was noch besser laufen könnte, wo wir an unsere Grenzen stoßen. Selbst-Whataboutism vom Feinsten. Fest steht nur: Nachhaltig leben zu wollen ist eine Herausforderung – und stark an die persönlichen Umstände gekoppelt, an soziale genauso wie an ökonomische. Dass ihr und wir, die Autorinnen, uns über das ganze Thema überhaupt Gedanken machen können – und das sollten wir an keiner Stelle vergessen –, ist ein Privileg.
Warum ich das alles erzähle? Weil auch Jenni und ich uns immer wieder fragen, wie wir möglichst ökologisch und sozialverträglich handeln können. Ständig (!) stoßen wir dabei an unsere ganz persönlichen Grenzen. Aber warum ist das eigentlich so? Offensichtlich liegt es nicht allein am Bewusstsein für Umweltthemen, wie ökologisch wir letztlich wirklich handeln – oder etwa doch?
Wenn mich jemand gefragt hat, worum es in diesem Buch gehen soll, antwortete ich als Erstes meist ganz platt: »Um Nachhaltigkeit.« Doch noch während ich das Wort aussprach, merkte ich bereits, was für einen allumfassenden und gleichzeitig leeren Begriff ich da in den Raum geworfen hatte. Hello, Buzzword! Schließlich durchzieht dieses grün schillernde Wort mittlerweile all unsere Lebensbereiche. Der Kaffeeladen um die Ecke wirbt genauso mit »Green Coffee« (was auch immer das sein soll) wie Autohersteller:innen mit grüner Technik. Dementsprechend schob ich immer noch eine Erklärung hinterher, die in dem Moment galt und genauso jetzt noch zutrifft: Uns geht es mit diesem Buch weder darum, einen Ratgeber zur Plastikvermeidung, noch, hochwissenschaftliche Analysen von Klimadaten zu liefern. Uns interessiert im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit vor allem das Spannungsfeld zwischen individueller und politischer Verantwortung. Wo stehen wir selbst auf diesem Planeten? Wie viel können wir als Einzelpersonen nachhaltig beeinflussen, und wo kommen wir an unsere Grenzen? Welche Rolle spielen wir innerhalb eines größeren Systems und welche Rolle das System? Wollen wir wirklich die Umwelt schützen oder nicht vielmehr uns selbst? Oder ist das am Ende sowieso dasselbe? Da wir das nicht allein beantworten können, wollen wir uns dem Fragenkomplex auf unterschiedlichen Ebenen und aus verschiedenen Perspektiven nähern.
Wir wissen, dass wir mit diesem Buch keine simplen Antworten oder Handlungsanleitungen für die perfekte Transformation hin zu einer idealen Weltgemeinschaft liefern können – wenn es so einfach wäre, dann hätte das wohl schon jemand vor uns übernommen. Was wir aber versuchen, ist Nachhaltigkeit gesamtgesellschaftlicher zu betrachten, als es unserer Meinung nach oft geschieht. Wenn wir mit diesem Buch dazu beitragen, dass sich der Diskurs über Nachhaltigkeit verändert – im Kleinen wie im Großen –, dann ist aus unserer Sicht schon viel erreicht.
Die Zukunft können wir am besten voraussagen, indem wir sie selbst gestalten, heißt es. Auch wenn das etwas pathetisch klingen mag, stimmt es wohl: Die Gegenwart bedingt unausweichlich unsere Zukunft. Wir wollen herausfinden, was das für jede:n Einzelne:n von uns bedeutet.
IMMER WIEDER DAS INDIVIDUUM
Für viele mag der Winter 2018/2019 als der Winter von Fridays for Future in Erinnerung bleiben. Für mich war die Zeit vor allem von der Geburt meines Sohnes geprägt. Ganz in unsere eigene kleine Welt versunken, beobachtete ich aus den Augenwinkeln, wie sich draußen auf den Straßen eine neue Bewegung formierte. »Na endlich!«, dachte ich. Endlich bekommt die Frage, wie wir mit dem Planeten umgehen, auf dem wir leben, mehr Aufmerksamkeit. Endlich reflektieren mehr Leute, wie sie nachhaltiger leben können. Endlich passiert etwas! Egal, wie diese Bewegung nun, mit etwas zeitlichem Abstand, inhaltlich und personell zu bewerten ist – Stichworte: elitär, urban, zerstreut, unkonkret –, so versprühte sie eine Hoffnung auf Veränderung. Mich beeindruckte, mit welcher Beharrlichkeit sich die Demos etablierten, mit welcher Wucht sie wuchsen. Beim globalen Streik im September 2019 nahmen laut Organisator:innen mehr als vier Million Menschen weltweit teil.1 Plötzlich kam niemand mehr so leicht um das Thema Nachhaltigkeit herum, die Proteste dominierten die mediale Berichterstattung. Auch Umfragen des Umweltbundesamtes zeigen, dass 2019 mehr Menschen in Deutschland den Umwelt- und Klimaschutz als wichtige, sogar die wichtigste gesellschaftliche Herausforderung ansahen (fast 70 Prozent der Befragten) als noch in den Jahren zuvor.2
Gleichzeitig änderte sich wenig an der Art, wie über Nachhaltigkeit gesprochen wurde. Diverse Ratgeber – die durchaus ihre Berechtigung haben, I know, ich habe selbst genügend von ihnen geschrieben – fluteten die Online-Blogs, Magazine und Zeitungen. So kannst du Plastik sparen, so machst du dir dein Shampoo selbst, kauf dir hier noch eine Bambuszahnbürste. Zum einen störte mich, dass viele dieser Artikel jetzt erst kamen – als ob es ein Gespräch darüber vorher nicht gebraucht hätte. Ein ähnliches Verhalten war auch bei der Black-Lives-Matter-Bewegung zu beobachten, als von heute auf morgen alle Medien ihre antirassistische und superdiverse Haltung betonten. So unfassbar wichtig diese Aufmerksamkeit war und ist, im Hintergrund schwang immer die Frage mit: Geht es hier wirklich darum, nachhaltig den Diskurs zu verändern, oder nur um Clicktivism und Imageerhalt?
Zum anderen hatte ich das Gefühl, dass sich alles immer wieder um die gleichen Inhalte drehte, mit dem:der gebildeten, gut situierten Konsument:in im Mittelpunkt. Selbst das wohl bekannteste Gesicht der deutschen Fridays-for-Future-Bewegung Luisa Neubauer beschwert sich in ihrem Buch Vom Ende der Klimakrise darüber, in Interviews oder Talkshows am Ende immer das gleiche gefragt zu werden, nämlich, was jede:r Einzelne im Alltag tun könne: »Da sitzen wir fast zwei Stunden und besprechen die größte und wohl komplexeste Krise der Menschheitsgeschichte. Wir betonen, wie wichtig es ist, an den großen Stellschrauben zu drehen, systemische Fragen zu stellen, einen strukturellen Wandel einzuleiten, weil wir nur noch so wenig Zeit haben, den ganzen Laden zu dekarbonisieren. Womit die Menschen aber aus Diskussionen wie dieser entlassen werden, ist die völlig erwartbare Antwort auf die Klimaschutz-im-Alltag-Frage.«3
Als ob sich mit der richtigen Einkaufstaktik alles lösen ließe. Als ob mit all diesen Produkten rund ums vermeintlich nachhaltige Leben nicht wieder alte Konsummuster reproduziert würden. Vielleicht frustrierte mich auch einfach nur, wie schwer ich es selbst fand, die richtige Taktik zu finden. Woran das liegt, nämlich an den – wie ich mittlerweile besser weiß – nötigen strukturellen Veränderungen, ließen die meisten Artikel unerwähnt. Auch die Komplexität des Lebens, wie das Privileg, sich überhaupt mit Nachhaltigkeitsfragen beschäftigen zu können, blendeten sie aus. Was würde es bringen, wenn sich plötzlich alle fürs gute Gewissen Haarseifen kauften, aber Flugreisen trotzdem so wenig kosteten? Was nützte das Wissen über die schlechten Produktionsbedingungen von Kleidung, wenn sie weiter billig in den Läden hing? Und wo blieben die Ratgeber für Unternehmen und Politiker:innen?
DIE IDEE IST JA GANZ NETT, ABER …
Wenn wir heute über Nachhaltigkeit sprechen, dann geht es gefühlt nur um den Gegensatz Konsum versus Verzicht (generell und auf bestimmte Produkte), um nachhaltige Produkte oder Dienstleistungen, um Müllvermeidung, CO2-Einsparung. Jede:r fängt erst mal bei sich selbst an. Klar, das ist auf den ersten Blick auch greifbarer und leichter umsetzbar, als über große politische Veränderungen nachzudenken. Auf den Klappentexten von Ökoratgebern heißt es schließlich auch gern: »Wie sich Nachhaltigkeit mit spielerischer Leichtigkeit in den Alltag integrieren lässt«.4 Als wäre ein nachhaltiges Leben pipieinfach. Und ja, anfangs fühlt sich nachhaltiger zu leben auch leicht an. Einweg-Coffee-to-go-Becher durch wie-derverwendbare zu ersetzen, angebrochene Lebensmittel in Bienenwachspapier zu hüllen oder den Urlaub nach Brandenburg statt an die Costa Brava zu planen stärkt erst mal das ökologische Selbstbewusstsein. Wenn sich andere Menschen davon mitreißen lassen, noch besser. In meiner Mittagspause habe ich mir Essen zum Mitnehmen immer in eine Brotdose packen lassen, um den Verpackungsmüll zu sparen. Mittlerweile stehe ich längst nicht mehr allein mit Tupperdose in der Schlange vorm Suppenladen. So ein Effekt lässt sich nicht ausblenden. Doch nach einiger Zeit hat auch mich die Realität eingeholt. Leider steht im Supermarkt nicht nur Unverpacktes, leider habe ich nicht immer die Zeit, erst nach der absolut fairsten Variante für neue Schuhe zu suchen, leider weiß ich bei vielem nicht mehr, was nun tatsächlich die bessere Lösung ist. Ein Beispiel: Während wir dieses Buch schreiben, hat Oatly, eine der weltweit führenden Haferdrink-Marken, einen Deal mit Blackstone abgeschlossen. Ein Investor, der durch andere Geschäfte unter anderem dafür verantwortlich ist, dass Regenwald abgeholzt wird, und deren CEO zudem den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump unterstützt. Für die einen ist das Anlass, die schwedische Marke zu boykottieren. Schließlich steht der Deal in einem krassen Widerspruch zu dem, was das Unternehmen eigentlich verkauft, nämlich Gesundheit und Nachhaltigkeit.5 Andere wiederum – auch die Marke selbst – argumentieren, dass eben leider so das kapitalistische System funktioniere. Und wenn auf diese Weise Investor:innen dazu gebracht würden, nachhaltige Unternehmen zu unterstützen, sei das doch ein Erfolg. So die verkürzte Version. Die ganze Debatte spiegelt aber ein grundsätzliches Problem wider: Insbesondere wenn es um Nachhaltigkeit geht, gibt es nicht nur Schwarz und Weiß, Grün kann in mehreren Abstufungen daherkommen. Häufig werden verschiedene Faktoren gegeneinander aufgewogen oder ausgespielt. Wiegt der ökologische Vorteil von Hafermilch mehr als die moralischen Bedenken? Oder sollten derart wirtschaftende Unternehmen systematisch boykottiert werden? Letztlich muss das jede:r für sich selbst entscheiden. Diese Undurchsichtigkeit verlangt uns Konsument:innen ganz schön viel ab. Dann zu sehen, wie in derselben Welt mehr als offensichtlich umweltschädliche SUVs an mir vorbeifahren, macht die ganzen mühevollen Abwägungen aber gefühlt zunichte.