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Die Schaffnerin; Die Mächtigen: Novellen

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Die Schaffnerin; Die Mächtigen: Novellen
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Die Schaffnerin

I

In der Nähe einer unterfränkischen Stadt lag ein hübsches Gut, das dem Generalleutnant von Bruneck gehörte. Der Besitzer selbst wohnte niemals dort, kam höchstens zwei- oder dreimal jährlich zur Inspektion, wobei die Zeit seines Aufenthaltes so kurz war, daß der Bursche, der sein Pferd hielt, während dieses Wartens durchaus nicht ermüdete. Es ging die Rede, daß traurige Familien-Erinnerungen den Herrn von Bruneck an einen längeren Aufenthalt auf seinem Gut nicht denken ließen.

Seit zwei Jahren verwaltete das Besitztum der »Amtmann« Bödensaß, ein phlegmatischer alter Herr, der alle Geschäfte, Schreibereien, Abmachungen und Verkäufe dem Belieben seines Untergebenen, des Wirtschaftsschreibers Tarnow überließ. Tarnow war ein schweigsamer, gutmütiger und mitleidiger Mensch. Er konnte Niemanden beleidigen oder kränken, er konnte keinem Menschen ein böses Wort sagen. Ungefähr einen Monat, nachdem er seine Stellung angetreten, ereignete sich folgender Vorfall. Der Fuhrknecht Stauff hatte zu schwer aufgeladen. Das einzige Pferd zog an dem übervollen Wagen, als ob ihm die Rippen springen wollten; es war zum Erbarmen. Das schlecht genährte Tier, das längst sein Gnadenbrot oder den Todesstreich verdient hatte, brachte den Wagen kaum bis zum Hof, der etwas bergig anstieg, wie denn überhaupt das ganze Gut auf einem Hügel lag, der die Form eines Katzenbuckels hatte. Die Schindmähre bemühte sich umsonst, das ächzende und knarrende Fuhrwerk in die Höhe zu ziehen; sie verdrehte die Augen, hing den Kopf tief und angespannt nach vorn, tappte mit den Hufen verzweifelt und in schnellen Schlägen herum, zerrte und zerrte, aber der Wagen, der mit Ziegeln für den Bau einer Art Waschküche beladen war, rührte sich nicht von der Stelle. Der Knecht aber bildete sich ein, die Mähre sei nichts weiter als starrköpfig; er schimpfte und wetterte deshalb und hieb sinnlos auf den schweißtriefenden Gaul ein, wobei er selbst mehr und mehr in Hitze geriet. Da sprang Tarnow aus dem Thor des Hauptgebäudes (er hatte den Vorgang von den Fenstern des Bureaus aus verfolgt) und sagte zu dem Knecht mit einer Stimme, deren Schüchternheit und Weichheit in seltsamem Gegensatz zu seinen erregten Bewegungen stand: »Stauff, das taugt nicht! Hören Sie auf, das arme Tier zu quälen. Hören Sie, Stauff? Sie sollen aufhören.« Er war bleich geworden. Aber der Knecht beachtete ihn nicht und holte nur noch grimmiger mit der Peitsche aus. Da trat Tarnow näher und fing den Arm des Knechtes auf, der darüber völlig außer Fassung geriet, einige Schritte zurücktrat und mit der Peitsche dem Amtsschreiber ins Gesicht schlug.

Tarnow sagte nichts, sondern blieb ruhig stehen. Weil ihn die Haut schmerzte, blinzelte er ein wenig mit den Augen. Der Knecht machte ein finsteres Gesicht und schien Furcht zu haben. Er murmelte vor sich hin, gab dem Gaul noch ein paar Stöße mit der Faust, spannte ihn aber dann aus.

Es wäre Tarnow leicht gewesen, den rohen Knecht vom Gut zu entfernen. Er that es nicht, sondern schwieg den Zwischenfall tot. Es widerstrebte ihm, beim Amtmann den Ankläger zu machen; er fühlte sich förmlich zu schwach dazu. Wenn er nicht gleich vergessen hatte, so hatte er doch gleich vergeben, und wenn auch die Magd Libuhn vom Küchenfenster aus Zeugin von all dem gewesen war, fühlte er sich doch nicht in seinem Stolz beleidigt, sondern ging ruhig wieder in seine Arbeitsstube, wo der Amtmann in einem überaus breiten Lehnstuhl behaglich schnarchte.

Im ganzen war es ein ruhiges, ein friedliches Leben auf dem Gut. Selbst zur Erntezeit war nirgends eine übermäßige Hast zu bemerken. Jeder wußte, was er zu thun hatte und jeder that, was er wußte. Der Hühnerstall war von prächtigen Exemplaren bevölkert, und ein Hahn von wahrhaft patriarchalischem Ansehen übte eine liebenswürdige Autorität aus. Enten und Gänse lebten einträchtig zusammen, die Schweine grunzten glücklich hinter ihren Verschlägen, Kühe, deren Euter von Milch strotzte, verlebten in schwerer philosophischer Ruhe ihr Leben, die Singvögel jubelten tagaus, tagein auf den Bäumen und schwiegen erst still, wenn der Knecht Stauff des abends zur Milchmagd schlich, um sie zu küssen. Das Land umher bestätigte und weihte diese Hülle von Frieden und Eintracht. Sanfte Hügelketten, lagen die Weinberge ringsumher, in der Ferne abgelöst durch dunkle Wälder. Deutlich sichtbar lag die Stadt mit vielen Türmen im Osten und mitten in der Ebene dazwischen erhob sich der Riesenbacksteinbau der Infanterie-Kaserne. Nur wenige hundert Meter weit wälzte der breite, majestätische Main seine Wogen dahin: gleichsam das Symbol all der Fruchtbarkeit, die sich hier so mühelos entfaltete.

Tarnow liebte dieses Land. Wenn er sein Tagewerk beendet hatte, nahm er Hut und Stock und verließ das Gut, um durch die Wiesen den Strom entlang zu wandern. Zum Erstaunen aller sonstigen Fußgänger begleitete ihn dabei ein Kater, den er Hofmann genannt hatte und den er sehr liebte. Dieser Kater folgte ihm überall hin; nichts was sonst die Seele einer Katze verlockt, konnte ihn abziehen; folgsam, mit gesenktem, anmutig geründetem Schweif schritt das wunderliche Tier hinter seinem Herrn einher.

So überaus zufriedenstellend lagen die Dinge auf Gut Bruneck, als mit einem Male eine schroffe und folgenschwere Wandlung eintrat.

II

In der dritten Woche des Mai wurde der Amtmann Bödensaß plötzlich sehr krank. Er konnte weder stehen noch gehen, und auch im Liegen ächzte er. Man holte den Arzt, der den Kopf schüttelte und heiße Wicklungen verordnete. Aber an demselben Abend noch bemerkten alle vom Gut, daß es unaufhaltsam zu Ende gehe mit dem Alten. Am anderen Morgen um ein halb fünf Uhr verschied er. Die Trauer um ihn war herzlich und aufrichtig, denn er war ein seelenguter Mann gewesen. Zorn und Härte waren ihm ebenso fremd gewesen, wie Enthaltsamkeit und übermäßige Anstrengung. Nur die Stadt war ihm verhaßt gewesen, und ein Städter war in seinen Augen ein untauglicher Mensch.

Dem Begräbnis wohnte der Generalleutnant selbst bei. Er hielt eine kurze Ansprache in strengen militärischen Worten, die wie mit dem Messer geschnitten von seinem lippenlosen Mund fielen und legte einen Kranz auf den Sarg. Da der Amtmann keinerlei Anverwandte in der Welt hatte, verlief die Feierlichkeit im ganzen ziemlich kühl. Auf dem Gut wurde nachmittags ein Gelage abgehalten, bei dem von Trauer nicht mehr viel zu spüren war. Tarnow hielt sich jedoch fern. Er war der Abrechnungen halber mit den Büchern zum Generalleutnant gegangen. Die Knechte spöttelten darüber; ob er wohl glaube, daß er den ledigen Posten jetzt für sich bekomme? Da hätte es aber gute Wege. Stauff saß mit der Libuhn Arm in Arm, und beide lachten über den ehrgeizigen Schreiber.

Möglich, daß Tarnow gehofft hatte, Amtmann zu werden. Redlich und geduldig genug hatte er gedient. Auf jeden Fall schlug sein Herz gewaltig, als am Sonntag in der Früh der Überlandbote einen an den Wirtschaftsschreiber gerichteten Brief brachte, dessen Adresse von der Hand des Generalleutnants stammte. Mit zitternden Fingern riß Tarnow den Umschlag entzwei; die Augen gingen ihm fast über, und er bat den Jäger Klein, der heute vom Forst gekommen war, um einen Stuhl. Aber der Generalleutnant schrieb in seiner kurzen, gemessenen Weise nichts als das, daß der neue Amtmann am 1. Juni auf Bruneck eintreffen werde und befahl, die nötigen Vorkehrungen unverzüglich zu treffen.

Tarnow saß noch lange mit dem Papier in der Hand und starrte auf die Wiesen hinaus. Dann aber streichelte er seinem Kater das pechschwarze, glänzende Fell und lächelte in seiner geduldigen Weise.

Einige Tage später traf der neue Amtmann ein. Er hieß Truchs. Er war weit über Mittelmaß gewachsen. Dabei war er ziemlich dick, so daß seine Schultern etwas nach rückwärts gebeugt waren. Er hatte einen hellbraunen Bart, der an manchen Stellen schon ins Graue spielte, eine Adlernase und eine vollkommene Glatze. Seine Augen hatten etwas Unruhiges, Spähendes, fast Irres. Sie waren stets wie in weite Ferne gerichtet, schienen durch die Gegenstände hindurchzublicken und nahmen oft einen kalten, tückischen Ausdruck an.

Gegen Mittag war er in einer etwas altmodischen Kalesche vorgefahren, in Begleitung eines jungen Weibes, die er dem Tarnow gegenüber als seine Wirtschafterin bezeichnete. Er besah das Herrenhaus vom Giebel bis zum Keller, ließ sich die Ställe zeigen, ging in den Garten, auf die Äcker und in die Vorwerke, wobei ihn der Knecht Stauff begleitete. Als er zurückkam, suchte er das für ihn hergerichtete Wohnzimmer auf und ließ den Kaffee bringen, den Frau Leuthold, seine Wirtschafterin, inzwischen bereitet hatte. Während er aß, gab er seine Zufriedenheit zu erkennen. »Fanny,« sagte er unter behaglichem Schmatzen, »man wird sich hier gut einnisten. Hier ist gut sein.« Lachend tätschelte er ihre Hand.

Fanny Leuthold nickte nachdenklich.

Als er fertig war, rief der Amtmann nach Tarnow. Tarnow kam. Sein Gesicht war etwas blasser als sonst, seine Haltung etwas gebückter. Mit Augen, die fast den fragenden Augen eines Kindes glichen, sah er den Amtmann an. Truchs warf sich mit übertriebenem Behäbigthun auf seines Vorgängers alten Lehnstuhl, den man hierherein geschafft hatte, und fragte spöttisch: »Na, was machen Sie denn für ein Gesicht?«

Tarnow senkte den Kopf und lächelte schüchtern.

»Mir scheint, das Gut wurde bisher ziemlich schlecht verwaltet, wa?« sagte Truchs plötzlich mit gleichsam drohendem Ernst und auf seine Stirn legte sich eine lange, tiefe Falte wie ein Reifen.

»Wir haben nach besten Kräften gearbeitet,« erwiderte Tarnow langsam und unbefangen.

Der Amtmann brach in ein wieherndes Gelächter aus und patschte sich auf die Schenkel. »Vorzüglich, hähä! Haben Sie gehört, Fanny, – hähä –? Nach besten Kräften ist doch vor – züglich, hähähä! wa? Der Mann hat Talent. Wo haben Sie denn die Schule besucht, Tarnow?«

 

»In Arnstein,« sagte Tarnow mit völliger Ruhe.

Der Amtmann schien dem Ersticken nahe; sein Gewieher wurde immer dumpfer. »Vor–züglich!« ächzte er, »giebt’s da mehr von der Sorte, in Arnstein? Vor–züglich! Nach besten Kräften ist unbezahlbar!« Er klopfte sich noch ein paarmal wie beschwichtigend auf seine fleischigen Schenkel und verschnaufte dann. Plötzlich stand er auf, und sein Gesicht zeigte nun unvermittelt eine bösartige Ruhe. »Von heute ab wird das anders,« sagte er rauh. »Oder sagen wir lieber von morgen früh ab, ich will nicht tyrannisch sein. Also von morgen früh ab wird hier ein anderes Regiment sein. Jetzt können Sie sich trollen, mein lieber Tarnow aus Arnstein.«

Tarnow verließ die Stube und wie er in den langen, schmalen Flur trat, glaubte er, die getünchten Mauern hätten auf einmal eine andere Farbe erhalten. Vor dem Thor mußte er die flache Hand vor die Augen halten; denn die untergehende Sonne blendete ihn. Die Berge und der Strom waren verschwenderisch übergossen mit gelber Glut, die von Sekunde zu Sekunde tieffarbiger wurde, bis die ersten scharlachroten Streifen über einer zerfließenden Wolke im Westen hervorquollen. Alles zitterte und bebte auf den Feldern und Wiesen: die Halme der Gräser und des Getreides, das Insektengetier in den Lüften, die Dächer ferner Hütten und die Eisenschienen der Bahn glitzerten an den Kurven so sehr, als seien sie nahe daran, Feuer zu fangen. Tarnow erschrak fast vor all dem Leben in Flammen. Er dachte: nun, heuer wird man guten Wein haben.

Er sah von der Richtung der Kaserne her ein Mädchen kommen. Zuerst war er ungewiß, wer es sei, denn die Gestalt schien völlig zu verfließen im Sonnenglast. Dann aber nickte er beifällig vor sich hin; er wußte schon, es war Galeners Anna, eine Base der Libuhn, ein junges Ding von vierzehn Jahren. Sie kam jeden Samstag auf das Gut heraus und schleppte einen Korb mit sich, in welchem sich Fettnudeln befanden. Für geringes Geld verkaufte sie die an die Knechte und Mägde, und auch Tarnow nahm bisweilen ein Stück, nicht, weil ihm die Mehlspeise besonders wohlschmeckte, sondern aus Gutmütigkeit und weil er damit dem Mädchen eine Freude zu machen glaubte. Nun kam sie wieder und lachte schon aus aller Ferne dem Wirtschaftsschreiber zu. Auch der Knecht Stauff sah es und kam und die Miresin, eine Magd, die schon mehr als zwanzig Jahre auf Bruneck war, »dazumal, als die Herrschaft noch da war.«

Tarnow stand schon bei ihr, öffnete mit der einen Hand den Korb und strich mit der andern sanft über die erhitzten Wangen des Mädchens. Auch die andern schauten neugierig, halb verschmitzt, halb begehrlich lächelnd in den Korb, aus dem ein fettig-süßer Geruch stieg. Auf einmal machte sie eine harte, zornige Stimme auseinander fahren. Bestürzt sahen sie sich um: es war der Amtmann. »In des Teufels Namen, was ist hier los!« Er schrie so, daß der Hofhund mit eingekniffenem Schwanz in seine Hütte kroch. Der Kopf des Amtmanns war blutrot vor Wut, er fletschte die Zähne und seine Augen quollen vor. »Herr, haben Sie nichts Besseres zu thun, als hier zu stehen?« schrie er Tarnow ins Ohr, der mit gesenktem Kopf schweigend zurücktrat. »Haben Sie keine Bücher, haben Sie keine Abrechnungen?«

Dann ging Truchs auf das Mädchen zu, das vor Schrecken zu zittern begann. »Nun Fräulein Balg«, schrie er sie an, »wollen Sie sich wohl vom Hof scheren!« Und er packte das Kind wie ein Kleidungsstück, schlug es ins Gesicht und gab ihm Stöße in die Brust, dann warf er es wie ein Scheit Holz mitten auf die Straße hinaus, wo es liegen blieb und leise zu weinen begann. Selbst der Knecht Stauff schien entsetzt. Er ging hin, sammelte die zur Erde gefallenen Fettnudeln wieder in den Korb, trug ihn zu dem Mädchen hinaus, richtete es auf und staubte, mehr aus Verlegenheit als weil es nötig war, mit der flachen Hand das Röckchen ab.

Tarnow strich sich mit der Hand über die Augen. Ruhig und bescheiden antwortete er auf Truchs Frage, wieviel Uhr es sei: »Einviertel vor acht.« Der Amtmann kniff das eine Auge zu, zerrte an der Schnurrbartspitze und sah aus, als ob er sich nur mit Mühe das Lachen verbeißen könne. »Weiches Herz, was?« kicherte er und schlug Tarnow leutselig auf die Schulter. Tarnow versuchte zu lächeln.

Dann wandte sich der Amtmann zu Fanny Leuthold, die unterdes auf die Schwelle getreten war. Er rieb sich die Hände, schnalzte mit der Zunge und sagte: »Was, liebe Leutholdin, das haben wir doch wieder mal fein gemacht? Wie das Mädel flog! Ein Hui und weg war se.« Er lachte und schien über alle Maßen vergnügt.

Fanny Leuthold sah ihn an, und es war ein seltsam sirenenhafter Blick, den Tarnow auffing. Er dachte bei sich: lieber Gott, sie ist ein schönes Weib.

Als er zu abend gegessen hatte, trat er wieder auf den Hof, um sich am Brunnen die Hände zu waschen. Da trat die »Schaffnerin,« wie man Frau Leuthold auf dem Gut schon nannte, zu ihm heran und fragte: »Sind Sie denn traurig, Herr Tarnow?«

Ihre Stimme, so nah, machte ihn aufmerksam, doch in einer ungewohnten Weise, als lauschte er dem, was hinter der Stimme sei. Er errötete und vermochte nicht zu antworten, sie tippte mit einem Zweig, den sie in der Hand hielt an seine Ohren und flüsterte schelmisch: »Na, bin ich denn so schrecklich, daß man mir gar nicht antwortet?«

Tarnow hatte seine Fassung wieder gewonnen und entgegnete in der bescheidenen Art, die ihm stets eigen war: »O nein, ich finde Sie nicht schrecklich. Ich bin immer Ihr ergebener Diener.« Wieder begegnete er jenem sirenenhaften Blick, der diesmal ihm selbst galt und vor dem er die Augen niederschlug wie ein Knabe.

Als sie ihn verlassen hatte, schritt er gegen die Scheune und ließ einen leisen Pfiff ertönen. Darauf sprang der Kater vom Boden der Scheune, ging zu seinem Herrn und rieb sich schnurrend an den langen Stiefelschäften. Dann trabte er wohlgemut in gewohnter Weise hinter Tarnow her, der in tiefen Gedanken hinauswandelte in die dunkelnden Felder.

III

Die Schaffnerin saß, mit einer Näharbeit beschäftigt, in dem großen Wohnzimmer. Es war am Nachmittag und schwer lag die Luft über dem Thal. Von den Exerzierstätten klang der dumpfe Trommelwirbel übender Tamboure herüber, und von den tiefliegenden Stromufern hörte sie das Knattern der Platzpatronen. Bisweilen hielt sie ein in ihrer Arbeit und blickte wie erwartend nach der Thüre. Wenn sie allein war, so war der Ausdruck ihres Gesichts ganz stumpf, die Augen, unleuchtend und ohne Bewegung, blickten müde und erinnerten an die eines Haustiers: und obwohl ihr Gesicht etwas Liebliches hatte und ihr Teint sehr zart war, wurde dies unwirksam durch die sonderbare Stirn, die eine Lügnerstirn war.

Als sie geraume Zeit, bald arbeitend, bald sinnend, gesessen war, wurde die Thüre aufgerissen und der Amtmann kam herein. Er setzte sich in einen Winkel, der Schaffnerin gegenüber und versuchte den Rhythmus der fernen Trommeln nachzupfeifen.

»Was giebt’s?« fragte die junge Frau, indem sie einen prüfenden Blick in sein Gesicht warf.

Er lachte leise und zischend. »Jetzt willst du wohl, daß ich dich heirate, Fannychen?« sagte er plötzlich und legte sein Gesicht in kindische Falten.

»Ich? Nein, Truchs. Ich nicht. Das weißt du gut genug.«

»Also suchst dir wohl einen andern zum Heiraten?«

»Warum, Truchs? es muß ja nicht geheiratet sein.«

»Es muß nicht. Sehr richtig. Das war einmal vernünftig, sehr vernünftig. Ein Feldwebel findet sich ja auch nicht alle Tage und noch weniger ein Gutsverwalter, häh.«

»Wieso ein Feldwebel?«

»Na, dein erster war doch Feldwebel oder sowas. Was Leutholdin?«

»Du führst so bittere Reden, Truchs. Wo willst du hinaus? Was willst von mir? Heiraten willst mich nicht. Loslassen willst mich auch nicht, also was willst du, Truchs? Sag’s doch lieber gleich, daß ich mich darnach richten kann. Ich fürcht mich manchmal vor dir.«

»Das ist gut, Leutholdin. Das ist gut, wenn einen die Weiber fürchten. Aber heiraten will ich dich nicht, das schwör ich dir zu. Ich will eine Reiche heiraten, jetzt, wo ich säßig geworden bin, eine aus der Gegend da. Und offen gestanden Fanny« – der Amtmann stand auf und trat ganz nahe zur Schaffnerin – »offen gestanden, ich hab dich zu gern, als daß ich dich heiraten möchte. Wenn ich dir das aus freiem Willen sag, kannst du’s glauben. Sakerment, wenn ich dich heirat, verlierst deine runden Backen, Fanny. Aber such dir doch einen. Wenn er gut und dumm und blind ist, kannst ihn heiraten. Ich hab nichts dagegen.«

»Das sagst du jetzt, Truchs. Aber ich will’s auch. Das Leben vor den Leuten taugt mir nicht. Schließlich merken sie’s ja doch. Und die sechzig Mark, die mir der Generalleutnant giebt, reichen kaum für die Kleider. Geh jetzt weg von mir, Truchs, die Leut’ sehn uns ja vom Hof aus.«

Das Gesicht des Amtmanns wurde finster und verzerrt. »Die Leut,« preßte er mit vorgebeugtem Kopf zwischen den Zähnen hervor, »die Leut scheren mich einen Pfifferling. Hier hat jeder zu thun, was ich will! Hier bin ich Herr. Verstehst du? Steh auf und küss’ mich!«